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Wirtschaftsrecht
21.08.2024
Wirtschaftsrecht
EuGH: COVID-19 – Anwendbarkeit der Absicherung gegen Insolvenz des Pauschalreiseveranstalters auch bei Rücktritt des Reisenden aufgrund unvermeidbarer und außergewöhnlicher Umstände

EuGH, Urteil vom 29.7.2024 – C-771/22 und C-45/23, Bundesarbeitskammer gegen HDI Global SE (C‑771/22) und A, B, C, D gegen MS Amlin Insurance SE (C‑45/23)

ECLI:EU:C:2024:644

Volltext: BB-Online BBL2024-1921-1

unter www.betriebs-berater.de

Tenor

Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie (EU) 2015/2302 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen, zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 90/314/EWG des Rates ist dahin auszulegen, dass die den Reisenden gewährte Absicherung gegen die Insolvenz des Pauschalreiseveranstalters anwendbar ist, wenn ein Reisender aufgrund unvermeidbarer und außergewöhnlicher Umstände gemäß Art. 12 Abs. 2 dieser Richtlinie von seinem Pauschalreisevertrag zurücktritt, der Reiseveranstalter nach diesem Rücktritt insolvent wird und dem Reisenden vor dem Eintritt der Insolvenz die getätigten Zahlungen nicht voll erstattet wurden, worauf er nach der letztgenannten Bestimmung Anspruch hat.

 

Aus den Gründen

1          Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Art. 17 der Richtlinie (EU) 2015/2302 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen, zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 90/314/EWG des Rates (ABl. 2015, L 326, S. 1).

 

2          Sie ergehen im Rahmen von zwei Rechtsstreitigkeiten zwischen der Bundesarbeitskammer (Österreich) als Rechtsnachfolgerin eines Reisenden und der HDI Global SE, dem Versicherungsunternehmen des Reiseveranstalters dieses Reisenden (C‑771/22), bzw. zwischen A, B, C, und D, vier Reisenden, und der MS Amlin Insurance SE, dem Versicherungsunternehmen des Reiseveranstalters dieser vier Reisenden (C‑45/23), über die Weigerung dieser Versicherungsunternehmen, den Reisenden infolge der Insolvenz dieser Reiseveranstalter die von ihnen gezahlten Beträge zu erstatten.

 

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 90/314/EWG

3          Art. 4 Abs. 6 der Richtlinie 90/314/EWG des Rates vom 13. Juni 1990 über Pauschalreisen (ABl. 1990, L 158, S. 59) sah vor:

„Wenn der Verbraucher gemäß Absatz 5 vom Vertrag zurücktritt oder wenn der Veranstalter – gleich aus welchem Grund, ausgenommen Verschulden des Verbrauchers – die Reise vor dem vereinbarten Abreisetag storniert, hat der Verbraucher folgende Ansprüche:

a) Teilnahme an einer gleichwertigen oder höherwertigen anderen Pauschalreise, wenn der Veranstalter und/oder der Vermittler in der Lage ist, ihm eine solche anzubieten. Ist die angebotene Pauschalreise von geringerer Qualität, so erstattet der Veranstalter dem Verbraucher den Preisunterschied; oder

b) schnellstmögliche Erstattung aller von ihm aufgrund des Vertrages gezahlten Beträge.

…“

 

4          Art. 7 der Richtlinie 90/314 bestimmte:

„Der Veranstalter und/oder Vermittler, der Vertragspartei ist, weist nach, dass im Fall der Zahlungsunfähigkeit oder des Konkurses die Erstattung gezahlter Beträge und die Rückreise des Verbrauchers sichergestellt sind.“

 

Richtlinie 2015/2302

5          In den Erwägungsgründen 1 bis 3, 39 und 40 der Richtlinie 2015/2302 heißt es:

„(1) In der Richtlinie [90/314] … sind eine Reihe wichtiger Verbraucherrechte bei Pauschalreisen – unter anderem Informationspflichten, die Haftung von Unternehmern für Leistungen, die Bestandteil der Pauschalreise sind, und Schutz vor der Insolvenz eines Reiseveranstalters oder Reisevermittlers – festgelegt worden. Der rechtliche Rahmen muss allerdings jetzt den Entwicklungen des Marktes angepasst und besser auf den Binnenmarkt abgestimmt werden; gleichzeitig müssen Unklarheiten ausgeräumt und Regelungslücken geschlossen werden.

(2) Der Tourismus ist für die Volkswirtschaft der Union von großer Bedeutung; Pauschalreisen, Pauschalurlaubsreisen und Pauschalrundreisen (im Folgenden ,Pauschalreisen‘) machen einen erheblichen Anteil des Reisemarktes aus. Dieser Markt hat sich seit Erlass der Richtlinie [90/314] stark gewandelt. Zusätzlich zu den traditionellen Vertriebswegen hat das Internet als Mittel zum Angebot oder Verkauf von Reiseleistungen erheblich an Bedeutung gewonnen. Reiseleistungen werden nicht nur in der herkömmlichen Form vorab zusammengestellter Pauschalreisen angeboten, sondern häufig nach den Vorgaben des Kunden zusammengestellt. Viele dieser Kombinationen von Reiseleistungen befinden sich rechtlich gesehen in einer ,Grauzone‘ oder sind eindeutig vom Anwendungsbereich der Richtlinie [90/314] nicht erfasst. Mit der vorliegenden Richtlinie soll der Schutz solcher Reiseleistungen diesen Entwicklungen angepasst, die Transparenz erhöht und den Reisenden und Unternehmern mehr Rechtssicherheit geboten werden.

(3) Artikel 169 Absatz 1 und Artikel 169 Absatz 2 Buchstabe a [AEUV] bestimmen, dass die Union durch die Maßnahmen, die sie nach Artikel 114 AEUV erlässt, einen Beitrag zur Erreichung eines hohen Verbraucherschutzniveaus leistet.

(39) Die Mitgliedstaaten sollten gewährleisten, dass Reisende, die eine Pauschalreise erwerben, vor der Insolvenz des Reiseveranstalters in vollem Umfang geschützt sind. Die Mitgliedstaaten, in denen Reiseveranstalter niedergelassen sind, sollten gewährleisten, dass diese Sicherheit für die Erstattung aller im Namen von Reisenden geleisteten Zahlungen und – sofern die Pauschalreise die Beförderung von Personen umfasst – für die Rückbeförderung des Reisenden im Falle der Insolvenz des Reiseveranstalters leisten. Allerdings sollte es möglich sein, dem Reisenden die Fortsetzung der Pauschalreise anzubieten. Es bleibt den Mitgliedstaaten überlassen, wie der Insolvenzschutz auszugestalten ist, sie sollten aber einen wirksamen Schutz gewährleisten. Wirksamkeit bedeutet, dass der Schutz verfügbar ist, sobald infolge der Liquiditätsprobleme des Reiseveranstalters Reiseleistungen nicht durchgeführt werden, nicht oder nur zum Teil durchgeführt werden sollen oder Leistungserbringer von Reisenden deren Bezahlung verlangen. Die Mitgliedstaaten sollten verlangen können, dass Reiseveranstalter den Reisenden eine Bescheinigung ausstellen, mit der ein direkter Anspruch gegen den Anbieter des Insolvenzschutzes dokumentiert wird.

(40) Damit der Schutz vor Insolvenz wirksam ist, sollte er die vorhersehbaren Zahlungsbeträge, die von der Insolvenz eines Reiseveranstalters betroffen sind, und gegebenenfalls die vorsehbaren Kosten der Rückbeförderungen abdecken. Dies bedeutet, dass der Schutz ausreichen sollte, um alle vorhersehbaren Zahlungen, die von oder im Namen von Reisenden für Pauschalreisen der Hochsaison geleistet werden, unter Berücksichtigung des Zeitraums zwischen dem Eingang dieser Zahlungen und dem Abschluss der Reise sowie gegebenenfalls die vorhersehbaren Kosten für die Rückbeförderung abzudecken. Das wird in der Regel bedeuten, dass die Absicherung einen ausreichend hohen Prozentsatz des Umsatzes des Veranstalters in Bezug auf Pauschalreisen abdecken muss und von Faktoren wie der Art der verkauften Pauschalreisen einschließlich des Verkehrsmittels, dem Reiseziel und gesetzlichen Beschränkungen oder den Verpflichtungen des Reiseveranstalters im Hinblick auf die zulässigen Anzahlungsbeträge und deren Zeitpunkt vor Beginn der Pauschalreise abhängen kann. Die erforderliche Abdeckung kann zwar anhand der aktuellen Geschäftszahlen wie etwa des Umsatzes im vorhergehenden Geschäftsjahr berechnet werden, doch sollten die Veranstalter verpflichtet werden, den Insolvenzschutz im Falle eines erhöhten Risikos einschließlich eines erheblichen Anstiegs des Verkaufs von Pauschalreisen anzupassen. Ein wirksamer Insolvenzschutz sollte jedoch nicht bedeuten, dass sehr unwahrscheinliche Risiken berücksichtigt werden müssen, wie beispielsweise die gleichzeitige Insolvenz mehrerer der größten Reiseveranstalter, wenn dies unverhältnismäßige Auswirkungen auf die Kosten des Schutzes haben und somit seine Wirksamkeit beeinträchtigen würde. In solchen Fällen kann die garantierte Erstattung begrenzt sein.“

 

6          Art. 1 („Gegenstand“) der Richtlinie 2015/2302 sieht vor:

„Der Zweck dieser Richtlinie ist die Angleichung bestimmter Aspekte der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für Verträge über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen zwischen Reisenden und Unternehmern, um so zum ordnungsgemäßen Funktionieren des Binnenmarkts und zu einem hohen und möglichst einheitlichen Verbraucherschutzniveau beizutragen.“

 

7          Art. 3 („Begriffsbestimmungen“) der Richtlinie 2015/2302 bestimmt:

„Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

1. ,Reiseleistung‘

a) die Beförderung von Personen;

b) die Unterbringung, bei der es sich nicht um einen wesensmäßigen Bestandteil der Beförderung von Personen handelt und zu anderen Zwecken als Wohnzwecken;

c) die Autovermietung oder die Vermietung anderer Kraftfahrzeuge …

d) jede andere touristische Leistung, die nicht wesensmäßig Bestandteil einer Reiseleistung im Sinne der Buchstaben a, b oder c ist;

…“

 

8          Art. 5 („Vorvertragliche Informationen“) der Richtlinie 2015/2302 bestimmt in Abs. 1:

„Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass dem Reisenden, bevor er durch einen Pauschalreisevertrag oder ein entsprechendes Vertragsangebot gebunden ist, von dem Reiseveranstalter und, wenn die Pauschalreise über einen Reisevermittler verkauft wird, auch von dem Reisevermittler die jeweiligen Standardinformationen durch das zutreffende Formblatt gemäß Anhang I Teil A oder B bereitgestellt werden und er, sofern diese Informationen für die betreffende Pauschalreise relevant sind, über Folgendes informiert wird …“

 

9          Art. 11 („Änderung anderer Bedingungen des Pauschalreisevertrags“) der Richtlinie 2015/2302 sieht vor:

„…

(2) Ist der Reiseveranstalter vor Beginn der Pauschalreise gezwungen, eine der wesentlichen Eigenschaften der Reiseleistungen im Sinne des Artikels 5 Absatz 1 Unterabsatz 1 Buchstabe a erheblich zu ändern oder kann er die besonderen Vorgaben des Reisenden im Sinne des Artikels 7 Absatz 2 Buchstabe a nicht erfüllen oder schlägt er vor, den Gesamtpreis der Pauschalreise nach Artikel 10 Absatz 2 um mehr als 8 % zu erhöhen, so kann der Reisende innerhalb einer vom Reiseveranstalter festgelegten angemessenen Frist

a) der vorgeschlagenen Änderung zustimmen oder

b) den Vertrag ohne Zahlung einer Rücktrittsgebühr beenden.

Beendet der Reisende den Pauschalreisevertrag, so kann der Reisende eine andere Pauschalreise – sofern möglich in gleichwertiger oder höherwertiger Qualität – als Ersatz akzeptieren, sofern ihm der Veranstalter dies anbietet.

(5) Tritt der Reisende gemäß Absatz 2 Unterabsatz 1 Buchstabe b des vorliegenden Artikels vom Pauschalreisevertrag zurück und akzeptiert keine als Ersatz angebotene Pauschalreise, so erstattet ihm der Reiseveranstalter unverzüglich und in jedem Fall spätestens 14 Tage nach Beendigung des Vertrags alle von dem Reisenden oder in seinem Namen geleisteten Zahlungen. …“

 

10        Art. 12 („Beendigung des Pauschalreisevertrags und Recht zum Widerruf vor Beginn der Pauschalreise“) der Richtlinie 2015/2302 sieht vor:

„(1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass der Reisende vor Beginn der Pauschalreise jederzeit vom Pauschalreisevertrag zurücktreten kann. Tritt der Reisende gemäß diesem Absatz vom Pauschalreisevertrag zurück, so kann der Reiseveranstalter die Zahlung einer angemessenen und vertretbaren Rücktrittsgebühr verlangen. …

(2) Ungeachtet des Absatzes 1 hat der Reisende das Recht, vor Beginn der Pauschalreise ohne Zahlung einer Rücktrittsgebühr vom Pauschalreisevertrag zurückzutreten, wenn am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen. Im Fall des Rücktritts vom Pauschalreisevertrag gemäß diesem Absatz hat der Reisende Anspruch auf volle Erstattung aller für die Pauschalreise getätigten Zahlungen, jedoch auf keine zusätzliche Entschädigung.

(3) Der Reiseveranstalter kann den Pauschalreisevertrag beenden und dem Reisenden alle für die Pauschalreise getätigten Zahlungen voll erstatten, ohne jedoch eine zusätzliche Entschädigung leisten zu müssen, wenn

b) der Reiseveranstalter aufgrund unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstände an der Erfüllung des Vertrags gehindert ist und er den Reisenden unverzüglich vor Beginn der Pauschalreise von der Beendigung des Vertrags in Kenntnis setzt.

(4) Der Reiseveranstalter leistet alle Erstattungen gemäß den Absätzen 2 und 3 oder zahlt dem Reisenden gemäß Absatz 1 alle von dem Reisenden oder in seinem Namen für die Pauschalreise geleisteten Beträge abzüglich einer angemessenen Rücktrittsgebühr zurück. Der Reisende erhält diese Erstattungen oder Rückzahlungen unverzüglich und in jedem Fall innerhalb von spätestens 14 Tagen nach Beendigung des Pauschalreisevertrags.

…“

 

11        Art. 17 („Wirksamkeit und Umfang des Insolvenzschutzes“) der Richtlinie 2015/2302 bestimmt:

 

„(1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass in ihrem Hoheitsgebiet niedergelassene Reiseveranstalter Sicherheit für die Erstattung aller von Reisenden oder in deren Namen geleisteten Zahlungen leisten, sofern die betreffenden Leistungen infolge der Insolvenz des Reiseveranstalters nicht erbracht werden. Soweit die Beförderung von Personen im Pauschalreisevertrag inbegriffen ist, leisten die Reiseveranstalter auch Sicherheit für die Rückbeförderung der Reisenden. Eine Fortsetzung der Pauschalreise kann angeboten werden.

(2) Die Sicherheit gemäß Absatz 1 muss wirksam sein und die nach vernünftigem Ermessen vorhersehbaren Kosten abdecken. Sie muss die Beträge der Zahlungen abdecken, die von Reisenden oder in ihrem Namen in Bezug auf Pauschalreisen geleistet wurden, unter Berücksichtigung der Dauer des Zeitraums zwischen den Anzahlungen und endgültigen Zahlungen und der Beendigung der Pauschalreisen sowie der geschätzten Kosten einer Rückbeförderung im Fall der Insolvenz des Veranstalters.

(4) Wird die Erbringung der vertraglichen Pauschalreiseleistungen durch die Insolvenz des Veranstalters beeinträchtigt, so steht die Sicherheit kostenlos zur Verfügung, um Rückbeförderungen und, falls erforderlich, die Finanzierung von Unterkünften vor der Rückbeförderung sicherzustellen.

(5) Für nicht erbrachte Reiseleistungen wird die Erstattung unverzüglich nach der Beantragung durch den Reisenden vorgenommen.“

 

12        Teil A („Standardinformationsblatt für Pauschalreiseverträge für Fälle, in denen ein Hyperlink verwendet werden kann“) des Anhangs I der Richtlinie 2015/2302 stellt in einem Textrahmen den Inhalt dieses Formulars dar und weist darauf hin, dass der Reisende durch Anklicken des Hyperlinks die folgenden Informationen erhält:

„Wichtigste Rechte nach der Richtlinie (EU) 2015/2302

–            Im Fall der Insolvenz des Reiseveranstalters oder – in einigen Mitgliedstaaten – des Reisevermittlers werden Zahlungen zurückerstattet. …

…“

 

13        Teil B („Standardinformationsblatt für Pauschalreiseverträge in anderen Fällen als dem von Teil A erfassten“) des Anhangs I der Richtlinie 2015/2302 gibt in einem Textrahmen den Inhalt des Formblatts wieder und führt dieselben, auch in Teil A ihres Anhangs I aufgeführten wichtigsten Rechte nach dieser Richtlinie an.

 

Österreichisches Recht

14        § 3 der Verordnung der Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen vom 28. September 2018 (BGBl. II Nr. 260/2018) sieht vor:

„(1) Reiseleistungsausübungsberechtigte haben sicherzustellen, dass dem Reisenden

1. die bereits entrichteten Zahlungen (Anzahlungen und Restzahlungen), soweit infolge der Insolvenz des Reiseleistungsausübungsberechtigten die Reiseleistungen gänzlich oder teilweise nicht erbracht werden oder der Leistungserbringer vom Reisenden deren Bezahlung verlangt,

2. die notwendigen Aufwendungen für die Rückbeförderung und, falls erforderlich, die Kosten von Unterkünften vor der Rückbeförderung, die infolge der Insolvenz des Reiseveranstalters oder – im Fall der Verantwortlichkeit für die Beförderung von Personen – des Vermittlers verbundener Reiseleistungen entstanden sind, und

3. gegebenenfalls die notwendigen Kosten für die Fortsetzung der Pauschalreise oder der vermittelten verbundenen Reiseleistung

erstattet werden.

...“

 

15        § 10 des Bundesgesetzes über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen (Pauschalreisegesetz – PRG) vom 24. April 2017 (BGBl. I Nr. 50/2017) bestimmt:

„(1) Der Reisende kann vor Beginn der Pauschalreise jederzeit ohne Angabe von Gründen vom Pauschalreisevertrag zurücktreten. Tritt der Reisende nach diesem Absatz vom Pauschalreisevertrag zurück, so kann der Reiseveranstalter die Zahlung einer angemessenen und vertretbaren Entschädigung verlangen. Im Pauschalreisevertrag können angemessene Entschädigungspauschalen festgelegt werden, die sich nach dem zeitlichen Abstand zwischen dem Rücktritt und dem vorgesehenen Beginn der Pauschalreise sowie nach den erwarteten ersparten Aufwendungen und Einnahmen aus anderweitigen Verwendungen der Reiseleistungen bemessen. Wenn vertraglich kein[e] Entschädigungspauschale festgelegt wurde, hat die Entschädigung dem Preis der Pauschalreise abzüglich der ersparten Aufwendungen und Einnahmen aus anderweitigen Verwendungen der Reiseleistungen zu entsprechen. Auf Verlangen des Reisenden hat der Reiseveranstalter die Höhe der Entschädigung zu begründen.

(2) Unbeschadet des Rücktrittsrechts nach Abs. 1 kann der Reisende vor Beginn der Pauschalreise ohne Zahlung einer Entschädigung vom Pauschalreisevertrag zurücktreten, wenn am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare und außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen. Tritt der Reisende nach diesem Absatz vom Pauschalreisevertrag zurück, so hat er Anspruch auf volle Erstattung aller für die Pauschalreise getätigten Zahlungen, nicht aber auf eine zusätzliche Entschädigung.

(4) Der Reiseveranstalter hat bei einem Rücktritt nach den vorstehenden Absätzen dem Reisenden alle von diesem oder in dessen Namen für die Pauschalreise geleisteten Beträge – im Fall des Rücktritts nach Abs. 1 abzüglich der Entschädigung nach dieser Bestimmung – unverzüglich, spätestens jedoch binnen 14 Tagen ab Zugang der Rücktrittserklärung, zu erstatten.“

 

Belgisches Recht

Gesetz über den Verkauf von Pauschalreisen

16        Gemäß Art. 30 der Wet betreffende de verkoop van pakketreizen, gekoppelde reisarrangementen en reisdiensten (Gesetz über den Verkauf von Pauschalreisen, verbundenen Reiseleistungen und Reiseleistungen) vom 21. November 2017 (Belgisch Staatsblad vom 1. Dezember 2017, S. 106673, deutsche Übersetzung veröffentlicht im Belgischen Staatsblatt vom 27. November 2018, S. 90580, im Folgenden: Gesetz über den Verkauf von Pauschalreisen) hat der Reisende das Recht, vom Pauschalreisevertrag zurückzutreten, „wenn am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen“. In diesem Fall räumt dieser Artikel dem Reisenden einen Anspruch auf volle Erstattung aller an den Reiseveranstalter gezahlten Beträge ein.

 

17        Art. 54 des Gesetzes über den Verkauf von Pauschalreisen bestimmt:

„In Belgien ansässige Reiseveranstalter und Reisevermittler leisten Sicherheit für die Erstattung aller bereits von Reisenden oder in deren Namen geleisteten Zahlungen, sofern die betreffenden Leistungen infolge ihrer Insolvenz nicht erbracht werden. …“

 

Königlicher Erlass über den Insolvenzschutz beim Verkauf von Pauschalreisen

18        Art. 3 des Koninklijk besluit betreffende de bescherming tegen insolventie bij de verkoop van pakketreizen, gekoppelde reisarrangementen en reisdiensten (Königlicher Erlass über den Insolvenzschutz beim Verkauf von Pauschalreisen, verbundenen Reiseleistungen und Reiseleistungen) vom 29. Mai 2018 (Belgisch Staatsblad vom 11. Juni 2018, S. 48438, deutsche Übersetzung veröffentlicht im Belgischen Staatsblatt vom 27. November 2018, S. 90644, im Folgenden: Königlicher Erlass oder Königlicher Erlass über den Insolvenzschutz beim Verkauf von Pauschalreisen) sieht vor:

„Die in den Artikeln 54, 55, 65 und 72 des Gesetzes [über den Verkauf von Pauschalreisen] erwähnten Sicherheiten werden durch einen Versicherungsvertrag geleistet, der bei einer Versicherungsgesellschaft geschlossen wird, die ermächtigt ist, solche Verrichtungen vorzunehmen.“

 

19        Art. 10 des Königlichen Erlasses lautet:

„Die Sicherheit des Versicherungsvertrags kommt dem Begünstigten ab dem Zeitpunkt zu, zu dem der Vertrag während der Gültigkeitsdauer des Versicherungsvertrags mit dem in Artikel 2 Nr. 7 des Gesetzes [über den Verkauf von Pauschalreisen] erwähnten Unternehmer geschlossen wird.“

 

20        Art. 12 § 1 des Königlichen Erlasses bestimmt:

„Im Fall der Insolvenz des Unternehmers bietet der Versicherungsvertrag folgende Deckung an:

1. wenn möglich, Fortsetzung der Reise,

2. Erstattung der Zahlungen, die der Begünstigte bereits bei Abschluss des Vertrags mit dem Unternehmer geleistet hat,

3. Erstattung der Zahlungen für Reiseleistungen, die aufgrund der Insolvenz des Unternehmers nicht erbracht werden können,

4. Rückbeförderung der Reisenden, wenn die Erfüllung des Vertrags mit dem Unternehmer bereits begonnen hat und dieser Vertrag die Beförderung des Begünstigten und wenn nötig die Unterbringung in Erwartung der Rückbeförderung vorsieht.“

 

21        In Art. 13 Abs. 1 des Königlichen Erlasses wird die Erstattung begrenzt auf „alle Zahlungen, die der Begünstigte dem Unternehmer für den Reisevertrag geleistet hat, wenn dieser aufgrund der Insolvenz des Unternehmers nicht erfüllt wird, oder alle Zahlungen, die für Reiseleistungen geleistet worden sind, die aufgrund seiner Insolvenz nicht erbracht werden“.

 

Ausgangsrechtsstreitigkeiten und Vorlagefragen

Rechtssache C‑771/22

22        HDI Global ist ein Versicherungsunternehmen, das mit der Flamenco Sprachreisen GmbH (im Folgenden: Flamenco), einem Reiseveranstalter, einen Versicherungsvertrag zur Deckung der Risiken im Zusammenhang mit der Insolvenz von Flamenco, wie sie in § 3 der Verordnung der Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen genannt werden, geschlossen hat.

 

23        Am 3. März 2020 schloss XY mit Flamenco einen Vertrag über eine Pauschalreise nach Las Palmas de Gran Canaria (Spanien) vom 3. Mai bis zum 2. Juni 2020. Am 9. März 2020 zahlte XY den Reisepreis in Höhe von 2 656 Euro vollständig.

 

24        Am 16. März 2020 trat XY von dem in Rede stehenden Vertrag u. a. wegen der von den österreichischen und den spanischen Behörden infolge der Verbreitung von Covid-19 herausgegebenen Warnungen zurück. Flamenco trat diesem Rücktritt nicht entgegen, erstattete XY aber nicht den betreffenden Reisepreis.

 

25        Am 9. Juni 2022 hob das Landesgericht Linz (Österreich) nach einem Insolvenzverfahren den Konkurs von Flamenco auf.

 

26        XY trat seinen Anspruch gegen Flamenco, der der Erstattung des Preises seiner Pauschalreise entsprach, an die Bundesarbeitskammer ab. Nach dieser Abtretung beantragte die Bundesarbeitskammer die Erstattung bei HDI Global als Versicherer des Insolvenzrisikos von Flamenco. HDI Global lehnte die Erstattung mit der Begründung ab, dass sie nur das mit der Zahlungsunfähigkeit verbundene Risiko der Nichterbringung der Pauschalreiseleistungen abdecke.

 

27        Nach dieser Weigerung erhob die Bundesarbeitskammer gegen HDI Global Klage vor dem Bezirksgericht für Handelssachen Wien (Österreich), dem vorlegenden Gericht.

 

28        Dieses Gericht ist erstens der Auffassung, dass für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits geklärt werden müsse, ob, wenn ein Reisender von einem Pauschalreisevertrag zurücktrete, bevor der Reiseveranstalter insolvent werde, der Anspruch auf Erstattung, der dem Reisenden infolge dieses Rücktritts zustehe, von der Absicherung gegen die Insolvenz des betreffenden Reiseveranstalters erfasst werde. Insbesondere müsse geklärt werden, ob zwischen der Insolvenz und der Nicht- oder Schlechterbringung der betreffenden Reiseleistung ein Kausalzusammenhang bestehen müsse.

 

29        Insoweit ist das vorlegende Gericht der Auffassung, dass der Wortlaut von Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302 in Anbetracht der Wörter „sofern“ und „infolge“ nahelege, dass ein solcher Kausalzusammenhang bestehen müsse. Ein solches Erfordernis hätte zur Folge, dass die Erstattungen, auf die ein Reisender infolge eines vor der Insolvenz des betreffenden Reisveranstalters erklärten Rücktritts von seinem Pauschalreisevertrag Anspruch habe, nicht von der in dieser Bestimmung vorgesehenen Insolvenzabsicherung erfasst würden.

 

30        Der 39. Erwägungsgrund der Richtlinie 2015/2302 spreche allerdings gegen eine solche Lesart dieser Bestimmung, da er vorsehe, dass die Mitgliedstaaten gewährleisten sollten, dass zum einen Reisende, die eine Pauschalreise erwürben, vor der Insolvenz des Reiseveranstalters „in vollem Umfang geschützt“ seien und dass dieser zum anderen Sicherheit für die Erstattung „aller im Namen von Reisenden geleisteten Zahlungen“ und für ihre Rückbeförderung im Fall der Insolvenz leiste. Der in diesem Erwägungsgrund zum Ausdruck kommende Ansatz werde außerdem durch das in der Union angestrebte hohe Verbraucherschutzniveau bestätigt, wie es aus Art. 114 Abs. 3 AEUV und Art. 169 AEUV sowie Art. 38 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union hervorgehe.

 

31        Das vorlegende Gericht stellt außerdem fest, dass die Frage, wie weit der Schutz vor der Insolvenz des Reiseveranstalters gehe, mit den Mitgliedstaaten bei einem Austausch mit der Europäischen Kommission erörtert worden sei, in dessen Rahmen die Kommission zum einen erklärt habe, dass der Unionsgesetzgeber, als er Art. 17 der Richtlinie 2015/2302 mit einem anderen Wortlaut als dem in Art. 7 der Richtlinie 90/314 erlassen habe, nicht die Absicht gehabt habe, die den Reisenden im Fall der Insolvenz des Reiseveranstalters gewährte Sicherheit zu begrenzen, und zum anderen, dass nach dem Wortlaut dieses Art. 17 alle Sicherheiten ausdrücklich ausgeschlossen seien, wenn der Reisevertrag vor dem Eintritt der Insolvenz beendet worden sei. Es weist auch darauf hin, dass der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung zu Art. 7 der Richtlinie 90/314 die Auffassung vertreten habe, dass die Garantie der Erstattung der vom Reisenden gezahlten Beträge für den Fall der Zahlungsunfähigkeit des Reiseveranstalters unabhängig von den Gründen für diese Zahlungsunfähigkeit gegeben werde (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 14. Mai 1998, Verein für Konsumenteninformation, C‑364/96, EU:C:1998:226, vom 15. Juni 1999, Rechberger u. a., C‑140/97, EU:C:1999:306, sowie vom 16. Februar 2012, Blödel-Pawlik, C‑134/11, EU:C:2012:98).

 

32        Zweitens fragt sich das vorlegende Gericht, ob ein Reisender, wenn er wegen außergewöhnlicher Umstände vor der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gegen den Reiseveranstalter von seinem Pauschalreisevertrag mit diesem Veranstalter zurücktritt, dieses Verfahren aber während des für die betreffende Reise vorgesehenen Zeitraums stattfindet, im Rahmen des in Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302 gewährleisteten Schutzes Anspruch auf Erstattung der Zahlungen hat, die er an den Reiseveranstalter geleistet hat. Insoweit ist es der Auffassung, dass es in Anbetracht des mit dem Unionsrecht verfolgten Ziels des Verbraucherschutzes sinnwidrig wäre, davon auszugehen, dass ein Reisender Anspruch darauf habe, vor der Insolvenz des Reiseveranstalters geschützt zu werden, wenn er seine Pauschalreise angetreten habe, nicht aber, wenn er berechtigterweise von dem Reisevertrag zurückgetreten sei.

 

33        Drittens fragt sich das vorlegende Gericht, ob, wenn zwischen dem Rücktritt eines Reisenden von einem Pauschalreisevertrag und der Insolvenz des Reiseveranstalters insofern ein mittelbarer Zusammenhang besteht, als beides auf denselben außergewöhnlichen Umstand wie im vorliegenden Fall die Covid-19-Pandemie zurückzuführen ist, der Anspruch des Reisenden auf Erstattung von der in Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302 vorgesehenen Insolvenzabsicherung abgedeckt ist. Es bezieht sich insoweit auf das von der Bundesarbeitskammer geltend gemachte Argument, wonach, wenn dieser Art. 17 Abs. 1 dahin auszulegen sein sollte, dass diese Sicherheit nicht gilt, wenn die Insolvenz des Reiseveranstalters auf gerade den außergewöhnlichen Umstand zurückzuführen ist, der auch zum Rücktritt des Reisenden vom Pauschalreisevertrag geführt hat, es für diesen interessanter wäre, sein Rücktrittsrecht nicht auszuüben und abzuwarten, bis der Reiseveranstalter insolvent wird. Dies würde das den Verbrauchern mit Art. 12 dieser Richtlinie eingeräumte Rücktrittsrecht entwerten.

 

34        Unter diesen Umständen hat das Bezirksgericht für Handelssachen Wien beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Ist Art. 17 der Richtlinie 2015/2302 dahin gehend auszulegen, dass Zahlungen des Reisenden, die er vor Reiseantritt an den Reiseveranstalter geleistet hat, nur dann gesichert sind, wenn die Reise infolge der Insolvenz des Reiseveranstalters nicht stattfindet, oder sind auch Zahlungen abgesichert, die vor Insolvenzeröffnung an den Reiseveranstalter geleistet wurden, wenn der Reisende vor der Insolvenz aufgrund von außergewöhnlichen Umständen im Sinne des Art. 12 der Richtlinie 2015/2302 zurücktritt?

2. Ist Art. 17 der Richtlinie 2015/2302 dahin gehend auszulegen, dass Zahlungen des Reisenden, die er vor Reiseantritt an den Reiseveranstalter geleistet hat, abgesichert sind, wenn der Reisende von der Reise noch vor Eintritt der Insolvenz des Reiseveranstalters aufgrund von außergewöhnlichen Umständen im Sinne des Art. 12 der Richtlinie 2015/2302 zurücktritt, die Insolvenz jedoch während der gebuchten Reise eingetreten wäre?

3. Ist Art. 17 der Richtlinie 2015/2302 dahin gehend auszulegen, dass Zahlungen des Reisenden, die er vor Reiseantritt an den Reiseveranstalter geleistet hat, abgesichert sind, wenn der Reisende von der Reise noch vor Eintritt der Insolvenz aufgrund von außergewöhnlichen Umständen im Sinne des Art. 12 der Richtlinie 2015/2302 zurücktritt und die Insolvenz des Reiseveranstalters aufgrund dieser außergewöhnlichen Umstände eingetreten ist?

 

Rechtssache C‑45/23

35        Am 13. November 2019 kauften A, B, C und D über einen Reisevermittler, Selectair Inter-Sun Reizen, bei einem Reiseveranstalter, Exclusive Destinations, eine Pauschalreise zu einem Preis von 36 832 Euro ab Brüssel (Belgien) nach Punta Cana (Dominikanische Republik) für den Zeitraum vom 21. bis zum 29. März 2020.

 

36        Aufgrund der Verbreitung der Covid-19-Pandemie wurde diese Reise auf den Zeitraum vom 21. bis zum 30. November 2020 verschoben. Der Preis für die Reise wurde dann auf 46 428 Euro festgesetzt.

 

37        Am 20. Oktober 2020 traten A, B, C und D wegen der Fortdauer der Covid-19-Pandemie von ihrem Reisevertrag zurück und forderten Exclusive Destinations auf, den Betrag von 36 832 Euro, den sie für die Reise bezahlt hatten, zu erstatten.

 

38        Am 8. Dezember 2020 erklärte die Ondernemingsrechtbank Gent (Unternehmensgericht Gent, Belgien) Exclusive Destinations für insolvent. Am 9. Dezember 2020 erstattete Selectair Inter-Sun Reizen A und C 4 151 Euro, die noch nicht an Exclusive Destinations überwiesen worden waren.

 

39        Am 22. Januar 2021 forderten A, B, C und D MS Amlin Insurance, bei der Exclusive Destinations für den Fall der Insolvenz versichert war, auf, die Beträge zu erstatten, die sie an Exclusive Destinations gezahlt hatten und die ihnen nicht erstattet worden waren.

 

40        MS Amlin Insurance weigerte sich, diese Erstattung vorzunehmen, mit der Begründung, dass sie nur die Nichterbringung von Reiseleistungen aufgrund der Insolvenz von Exclusive Destinations versichere. Die Nichtdurchführung der Reise von A, B, C und D sei jedoch deren Rücktritt vom Reisevertrag geschuldet und nicht der Insolvenz von Exclusive Destinations.

 

41        Infolge dieser Weigerung erhoben A, B, C und D bei der Nederlandstalige Ondernemingsrechtbank Brussel (niederländischsprachiges Unternehmensgericht von Brüssel, Belgien), dem vorlegenden Gericht, Klage auf Verurteilung von MS Amlin Insurance zur Zahlung von 32 681 Euro zuzüglich Zinsen ab dem 22. Januar 2021.

 

42        Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts ist die in Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302 geregelte Sicherheit nur für den Fall vorgeschrieben, dass die betreffenden Reiseleistungen infolge der Insolvenz des Reiseveranstalters nicht erbracht werden. Diese Sicherheit müsse daher andere Gründe für die Nichterbringung wie den Rücktritt vom Pauschalreisevertrag durch den Reisenden aufgrund unvermeidbarer und außergewöhnlicher Umstände, die am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe aufträten und die Durchführung der Pauschalreise erheblich beeinträchtigten, nicht abdecken. Das Gesetz über den Verkauf von Pauschalreisen und der Königliche Erlass über den Insolvenzschutz beim Verkauf von Pauschalreisen sähen insoweit keinen weiter gehenden Schutz des Reisenden vor. Das vorlegende Gericht schließt daraus, dass die Reisenden nicht in den Genuss der in Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302 vorgesehenen Sicherheit kommen, wenn der Reiseveranstalter – wie im vorliegenden Fall – insolvent wird, nachdem die Reisenden aufgrund unvermeidbarer und außergewöhnlicher Umstände von ihrem Pauschalreisevertrag zurückgetreten sind, aber bevor er ihnen die Beträge zurückerstattet hat, die sie für diese Reise bezahlt hatten.

 

43        Das vorlegende Gericht hat allerdings Zweifel am Umfang des von dieser Bestimmung verliehenen Schutzes.

 

44        Erstens fragt es sich, ob die Verbraucher gemäß dem allgemeinen Ziel der Richtlinie 2015/2302 angemessen geschützt werden können, wenn die in Art. 17 Abs. 1 dieser Richtlinie vorgesehene Sicherheit nicht auf einen Reisenden anwendbar ist, der infolge des aufgrund unvermeidbarer und außergewöhnlicher Umstände erklärten Rücktritts von seinem Pauschalreisevertrag Anspruch auf Erstattung der von ihm gezahlten Beträge hat, wenn der Reiseveranstalter nach diesem Rücktritt, aber vor der Erstattung der geleisteten Zahlungen insolvent wird. Es weist insoweit darauf hin, dass dieses Ziel darin bestehe, zur Erreichung eines hohen Verbraucherschutzniveaus beizutragen, wie es im dritten Erwägungsgrund dieser Richtlinie, der auf Art. 169 AEUV verweise, heiße. Des Weiteren sehe der 39. Erwägungsgrund dieser Richtlinie vor, dass Reisende, die eine Pauschalreise erwürben, vor der Insolvenz des Reiseveranstalters vollständig geschützt sein müssten und dass die Sicherheit im Fall der Insolvenz, die die Reiseveranstalter stellen müssten, die Erstattung aller von den Reisenden geleisteten Zahlungen abdecken müsse. Außerdem habe der Schutz der Verbraucher vor der Insolvenz von Reiseveranstaltern unter der Geltung der Richtlinie 90/314 alle Beträge abgedeckt, die sie gezahlt hätten.

 

45        Zweitens fragt sich das vorlegende Gericht, ob der von der Richtlinie 2015/2302 vorgesehene Schutz vor Insolvenz nicht zu einer Ungleichbehandlung führe. Sowohl der Reisende, der seine Reise wegen der Insolvenz des Reiseveranstalters nicht antreten könne, als auch derjenige, der nach einem Rücktritt aufgrund dieser Insolvenz keine Erstattung erlangen könne, erlitten einen finanziellen Verlust aufgrund der Tatsache, dass sie beide vor der Durchführung des betreffenden Pauschalreisevertrags den Preis für ihre Reise gezahlt hätten. Nach dem Wortlaut von Art. 17 dieser Richtlinie werde jedoch nur der Verlust des ersten Reisenden vom Schutz vor einer Insolvenz des Reiseveranstalters abgedeckt. Das vorlegende Gericht fragt sich daher, ob diese Ungleichbehandlung gerechtfertigt ist.

 

46        Unter diesen Umständen hat die Nederlandstalige Ondernemingsrechtbank Brussel (niederländischsprachiges Unternehmensgericht von Brüssel) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302 dahin auszulegen, dass die darin vorgeschriebene Sicherheit für die Erstattung aller bereits von Reisenden oder in deren Namen geleisteten Zahlungen auch gilt, wenn der Reisende vom Pauschalreisevertrag aufgrund unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstände im Sinne von Art. 12 Abs. 2 dieser Richtlinie zurücktritt und der Reiseveranstalter – nach Beendigung des Pauschalreisevertrags aus diesem Grund, aber vor tatsächlicher Erstattung dieser Beträge an den Reisenden – für insolvent erklärt wird, wodurch der Reisende einen finanziellen Verlust erleidet und folglich im Fall der Insolvenz des Reiseveranstalters ein wirtschaftliches Risiko trägt?

 

Verfahren vor dem Gerichtshof

47        Mit Entscheidung des Gerichtshofs vom 24. Oktober 2023 sind die Rechtssachen C‑771/22 und C‑45/23 zu gemeinsamem mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden.

 

Zur Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens in der Rechtssache C‑771/22

48        HDI Global ist der Auffassung, dass die Auslegung von Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302 für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits in der Rechtssache C‑771/22 nicht relevant sei. Nur der Inhalt des Versicherungsvertrags, den sie mit Flamenco geschlossen habe, sei dafür entscheidend, weshalb mit dem Vorabentscheidungsersuchen in dieser Rechtssache allgemeine oder hypothetische Fragen geklärt werden sollten, wofür das Vorabentscheidungsverfahren nicht gedacht sei.

 

49        In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass im Rahmen der durch Art. 267 AEUV geschaffenen Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten allein das mit dem Rechtsstreit befasste nationale Gericht, in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende gerichtliche Entscheidung fällt, im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof von ihm vorgelegten Fragen zu beurteilen hat. Daher ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, über ihm vorgelegte Fragen zu befinden, wenn diese die Auslegung des Unionsrechts betreffen (Urteil vom 22. Februar 2024, Consejería de Presidencia, Justicia e Interior de la Comunidad de Madrid u. a., C‑59/22, C‑110/22 und C‑159/22, EU:C:2024:149, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

50        Folglich spricht eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Fragen zum Unionsrecht. Der Gerichtshof darf die Entscheidung über eine von einem nationalen Gericht zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage jedoch verweigern, wenn das Problem offensichtlich hypothetischer Natur ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Februar 2024, Consejería de Presidencia, Justicia e Interior de la Comunidad de Madrid u. a., C‑59/22, C‑110/22 und C‑159/22, EU:C:2024:149, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

51        Im vorliegenden Fall ist jedoch nicht ersichtlich, dass die vom vorlegenden Gericht in der Rechtssache C‑771/22 gestellten Fragen im Hinblick auf den Ausgangsrechtsstreit hypothetisch sind. Dieser betrifft nämlich die Reichweite des Schutzes, der Reisenden zu gewähren ist, wenn der Pauschalreiseveranstalter insolvent ist. Art. 17 der Richtlinie 2015/2302 definiert indessen den Schutz der Reisenden vor einer Insolvenz von Pauschalreiseveranstaltern, den die Mitgliedstaaten umsetzen müssen.

 

52        Folglich ist das Vorabentscheidungsersuchen in der Rechtssache C‑771/22 zulässig.

 

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage in der Rechtssache C‑771/22 und zur einzigen Frage in der Rechtssache C‑45/23

53        Mit der ersten Frage in der Rechtssache C‑771/22 und der einzigen Frage in der Rechtssache C‑45/23, die zusammen zu prüfen sind, möchten die vorlegenden Gerichte im Wesentlichen wissen, ob Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302 dahin auszulegen ist, dass die den Reisenden gewährte Absicherung gegen die Insolvenz des Pauschalreiseveranstalters anwendbar ist, wenn ein Reisender aufgrund unvermeidbarer und außergewöhnlicher Umstände gemäß Art. 12 Abs. 2 dieser Richtlinie von seinem Pauschalreisevertrag zurücktritt, der Reiseveranstalter nach diesem Rücktritt insolvent wird und dem Reisenden vor dem Eintritt der Insolvenz die getätigten Zahlungen nicht voll erstattet wurden, worauf er nach der letztgenannten Bestimmung Anspruch hat.

 

54        Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2015/2302 dem Reisenden einen Anspruch auf volle Erstattung aller für die Pauschalreise getätigten Zahlungen einräumt, wenn er vor Beginn der Pauschalreise aufgrund unvermeidbarer und außergewöhnlicher Umstände, die am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe auftreten und die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen, von seinem Pauschalreisevertrag zurücktritt. Macht der Reisende von diesem Recht Gebrauch, legt Art. 12 Abs. 4 dieser Richtlinie dem Reiseveranstalter außerdem die Verpflichtung auf, diese Erstattung unverzüglich und in jedem Fall innerhalb von spätestens 14 Tagen nach Beendigung des Pauschalreisevertrags vorzunehmen.

 

55        Im vorliegenden Fall wird nicht bestritten, dass die Reisenden, auf die die Ausgangsrechtsstreitigkeiten zurückgehen, wegen des Auftretens und des Fortbestands der Covid-19-Pandemie von ihrem Pauschalreisevertrag nach Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2015/2302 zurücktreten konnten. Sie hatten daher Anspruch auf volle Erstattung der von ihnen an die betreffenden Reiseveranstalter getätigten Zahlungen innerhalb von spätestens 14 Tagen nach Beendigung ihres Pauschalreisevertrags. Trotz dieses Anspruchs erhielten sie keine Erstattung, denn die Reiseveranstalter waren insolvent geworden und deren Versicherer wollten ihre Deckung nicht anbieten, da sie der Auffassung waren, dass sie dazu in Anbetracht der anwendbaren nationalen Rechtsvorschriften zur Umsetzung von Art. 17 Abs. 1 dieser Richtlinie nicht verpflichtet seien.

 

56        Was die Auslegung dieser letztgenannten Bestimmung betrifft, sind nach ständiger Rechtsprechung nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Kontext und die Ziele, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden, sowie gegebenenfalls ihre Entstehungsgeschichte zu berücksichtigen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Januar 2023, FTI Touristik [Pauschalreise auf die Kanarischen Inseln], C‑396/21, EU:C:2023:10, Rn. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung). Wenn sich der Sinn einer Bestimmung des Unionsrechts eindeutig aus ihrem Wortlaut ergibt, kann der Gerichtshof allerdings nicht von diesem Sinn abweichen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. Januar 2022, VYSOČINA WIND, C‑181/20, EU:C:2022:51, Rn. 39).

 

57        Nach dem Wortlaut von Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302 müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass in ihrem Hoheitsgebiet niedergelassene Reiseveranstalter Sicherheit für die Erstattung aller von Reisenden oder in deren Namen geleisteten Zahlungen leisten, sofern die betreffenden Leistungen infolge der Insolvenz des Reiseveranstalters nicht erbracht werden.

 

58        Der Begriff der „betreffenden Leistungen“ könnte zwar so verstanden werden, dass mit ihm die „Reiseleistungen“ in dem in Art. 3 Nr. 1 der Richtlinie 2015/2302 definierten Sinn gemeint sind, was bedeuten würde, dass der Schutz vor der Insolvenz eines Reiseveranstalters, der von jedem Mitgliedstaat eingerichtet werden muss, nur die Fälle erfasst, in denen die im Pauschalreisevertrag vereinbarten Reiseleistungen wegen der Insolvenz des Veranstalters nicht erbracht wurden. Nach dieser Lesart müsste also ein Kausalzusammenhang zwischen der Nichterbringung dieser Reiseleistungen und der Insolvenz des Reiseveranstalters bestehen, damit der Reisende in den Genuss der in Art. 17 dieser Richtlinie vorgesehenen Absicherung gegen die Insolvenz des Veranstalters kommen kann.

 

59        Wie mehrere Beteiligte des Verfahrens vor dem Gerichtshof ausgeführt haben, bezieht sich Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302 allerdings im Gegensatz zu zahlreichen anderen Bestimmungen dieser Richtlinie nicht auf die „Reiseleistungen“, sondern auf die „betreffenden Leistungen“, weshalb dieser letztgenannte Ausdruck so verstanden werden kann, dass er eine weitere Tragweite hat als der erstgenannte und weitere von Reiseveranstaltern erbrachte Leistungen erfasst wie die Erstattungen, die Reisenden infolge des Rücktritts von ihrem Pauschalreisevertrag geschuldet werden.

 

60        Daraus folgt, dass der Sinn von Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302 aus seinem Wortlaut nicht eindeutig hervorgeht. Gemäß der in Rn. 56 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung sind daher der Kontext dieser Bestimmung, die Ziele dieser Richtlinie sowie gegebenenfalls ihre Entstehungsgeschichte zu untersuchen.

 

61        Was erstens den Kontext von Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302 betrifft, stellt zunächst Art. 17 Abs. 4 dieser Richtlinie klar, dass die Sicherheit kostenlos zur Verfügung steht, um Rückbeförderungen und, falls erforderlich, die Finanzierung von Unterkünften vor der Rückbeförderung sicherzustellen, wenn die Erbringung der vertraglichen Pauschalreiseleistungen durch die Insolvenz des Veranstalters beeinträchtigt wird.

 

62        Art. 17 Abs. 5 dieser Richtlinie sieht seinerseits vor, dass für nicht erbrachte Reiseleistungen die Erstattung unverzüglich nach der Beantragung durch den Reisenden vorgenommen wird.

 

63        In Anbetracht ihres Wortlauts, insbesondere der Wendungen „[w]ird die Erbringung der vertraglichen Pauschalreiseleistungen durch die Insolvenz des Veranstalters beeinträchtigt“ und „nicht erbrachte Reiseleistungen“ in Art. 17 Abs. 4 bzw. Abs. 5 der Richtlinie 2015/2302 können diese Bestimmungen eine Auslegung von Art. 17 Abs. 1 dieser Richtlinie stützen, wonach der Begriff der „betreffenden Leistungen“ nur Reiseleistungen erfasst, so dass die in diesem Artikel vorgesehene Absicherung nur dann gilt, wenn zwischen der Nichterbringung dieser Leistungen und der Insolvenz des Reiseveranstalters ein Kausalzusammenhang besteht.

 

64        Sodann sieht Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie 2015/2302 vor, dass die Sicherheit gemäß Abs. 1 dieses Artikels wirksam sein und die nach vernünftigem Ermessen vorhersehbaren Kosten abdecken muss. Sie muss somit die Beträge der Zahlungen abdecken, die von Reisenden oder in ihrem Namen in Bezug auf Pauschalreisen geleistet wurden, unter Berücksichtigung der Dauer des Zeitraums zwischen den Anzahlungen und endgültigen Zahlungen und der Beendigung der Pauschalreisen sowie der geschätzten Kosten einer Rückbeförderung im Fall der Insolvenz des Veranstalters.

 

65        Was das in dieser Bestimmung verankerte Erfordernis der Wirksamkeit der Absicherung gegen die Insolvenz des Reiseveranstalters betrifft, sieht der 39. Erwägungsgrund der Richtlinie 2015/2302 vor, dass der Schutz vor der Insolvenz des Reiseveranstalters, damit er wirksam ist, verfügbar sein muss, sobald infolge der Liquiditätsprobleme des Reiseveranstalters Reiseleistungen nicht durchgeführt werden, nicht oder nur zum Teil durchgeführt werden sollen oder Leistungserbringer von Reisenden deren Bezahlung verlangen, was zu der Annahme verleiten könnte, dass Art. 17 Abs. 2 dieser Richtlinie im Licht dieser Gesichtspunkte ihres 39. Erwägungsgrundes die in Rn. 58 des vorliegenden Urteils dargestellte Auslegung ebenfalls stützen kann.

 

66        Allerdings sieht zum einen dieser 39. Erwägungsgrund auch vor, dass die Mitgliedstaaten gewährleisten sollen, dass Reisende, die eine Pauschalreise erwerben, vor der Insolvenz des Reiseveranstalters „in vollem Umfang“ geschützt sind und dass der in Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302 vorgesehene Schutz im Fall einer solchen Insolvenz die Erstattung „aller“ von Reisenden oder in deren Namen „geleisteten Zahlungen“ abdeckt.

 

67        Zum anderen heißt es im 40. Erwägungsgrund dieser Richtlinie, dass das Erfordernis der Wirksamkeit der Absicherung gegen die Insolvenz des Reiseveranstalters verlangt, dass der Schutz vor dieser Insolvenz die „vorhersehbaren Zahlungsbeträge, die von der Insolvenz eines Reiseveranstalters betroffen sind“, abdeckt, was bedeutet, dass die Sicherheit, die diesen Schutz vermittelt, allgemein einen ausreichend hohen Prozentsatz des Umsatzes dieses Veranstalters abdecken muss. Gemäß diesem Erwägungsgrund sollten nur sehr unwahrscheinliche Risiken nicht berücksichtigt werden müssen, wie beispielsweise die gleichzeitige Insolvenz mehrerer der größten Reiseveranstalter. Solche Risiken stehen allerdings in keinem Zusammenhang damit, woraus sich die Pflicht des Reiseveranstalters zur Erstattung ergibt, egal ob es sich um eine Nichterfüllung des Reisevertrags oder einen Rücktritt von diesem Vertrag vor Beginn der Reise handelt.

 

68        Jede Erstattung, die der Reiseveranstalter infolge eines von ihm oder von dem Reisenden erklärten Rücktritts von dem Pauschalreisevertrag, u. a. auf der Grundlage von Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2015/2302, vornehmen muss, ist ein vorhersehbarer Zahlungsbetrag, der von der Insolvenz des Reiseveranstalters im Sinne des 40. Erwägungsgrundes dieser Richtlinie betroffen sein kann. Diese Erstattung betrifft Zahlungen, die der Reisende infolge des Abschlusses eines Pauschalreisevertrags getätigt hat, der nach Art. 17 Abs. 2 dieser Richtlinie grundsätzlich von der in Abs. 1 dieses Artikels genannten Sicherheit abgedeckt ist.

 

69        Wie auch die Generalanwältin in Nr. 89 ihrer Schlussanträge festgestellt hat, würde dem in Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2015/2302 verankerten Anspruch des Reisenden auf volle Erstattung aller getätigten Zahlungen im Fall des Rücktritts von seinem Vertrag aufgrund unvermeidbarer und außergewöhnlicher Umstände seine praktische Wirksamkeit genommen, wenn Art. 17 Abs. 1 dieser Richtlinie dahin ausgelegt würde, dass, wenn die Insolvenz des Reiseveranstalters nach dem Rücktritt eintritt, die Absicherung gegen eine solche Insolvenz nicht die entsprechenden Erstattungsforderungen erfassen würde. Diese Beurteilung gilt auch für die anderen Erstattungen, auf die der Reisende infolge eines von ihm oder vom Veranstalter erklärten Rücktritts vom Pauschalreisevertrag Anspruch hat und die in Art. 11 Abs. 5 und Art. 12 dieser Richtlinie genannt werden.

 

70        Darüber hinaus kann die Nichtanwendung der in Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302 vorgesehenen Sicherheit auf Erstattungsforderungen im Fall des vom Reisenden erklärten Rücktritts von seinem Pauschalreisevertrag ihn davon abhalten, das Rücktrittsrecht auszuüben, das ihm diese Richtlinie in bestimmten Situationen einräumt.

 

71        So kann Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie 2015/2302 angesichts der in Rn. 66 des vorliegenden Urteils genannten Gesichtspunkte des 39. Erwägungsgrundes dieser Richtlinie und ihres 40. Erwägungsgrundes für eine Auslegung von Abs. 1 dieses Artikels sprechen, wonach diese Sicherheit für jede Erstattung gilt, die der Reiseveranstalter dem Reisenden schuldet, wenn der Pauschalreisevertrag in einem der in dieser Richtlinie behandelten Fälle vor dem Eintritt der Insolvenz des Veranstalters beendet wurde.

 

72        Schließlich ist festzustellen, dass der Reiseveranstalter nach Art. 5, der auf die Teile A und B des Anhangs I der Richtlinie 2015/2302 verweist, verpflichtet ist, dem Reisenden, bevor er durch einen Pauschalreisevertrag gebunden ist, die wichtigsten nach dieser Richtlinie bestehenden Rechte mitzuteilen, und insbesondere, dass „[i]m Fall der Insolvenz des Reiseveranstalters … Zahlungen zurückerstattet [werden]“, ohne dass irgendeine Begrenzung dieses Anspruchs auf Erstattung im Fall der Insolvenz des Reiseveranstalters erwähnt wird.

 

73        Diese Bestimmungen bestätigen ebenfalls eine Auslegung des Umfangs der den Reisenden in Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302 gegen die Insolvenz des Reiseveranstalters eingeräumten Absicherung, der die Erstattungen einschließt, die dem Reisenden infolge eines Rücktritts vom Pauschalreisevertrag in einem der in dieser Richtlinie genannten Fälle vom Reiseveranstalter geschuldet werden. Eine Auslegung dieser Bestimmung, die diesen Umfang nur auf die Erstattungen begrenzt, die mit der durch die Insolvenz des Reiseveranstalters verursachten Nichterbringung der Reiseleistungen in Zusammenhang stehen, würde nämlich bedeuten, dass dieser Art. 5 den Reisenden in die Irre führt, was seine Ansprüche auf Erstattung im Fall einer solchen Insolvenz betrifft.

 

74        Was zweitens das Ziel der Richtlinie 2015/2302 betrifft, geht aus Art. 1 dieser Richtlinie in Verbindung mit ihren Erwägungsgründen 1 bis 3 hervor, dass sie sowohl Unklarheiten ausräumen, Regelungslücken schließen und den den Reisenden mit der Richtlinie 90/314 eingeräumten Schutz den Entwicklungen des Marktes anpassen als auch zur Erreichung eines hohen Verbraucherschutzniveaus, wie es in Art. 169 AEUV gefordert wird, beitragen soll. Die Richtlinie 2015/2302 trägt somit dazu bei, gemäß Art. 38 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ein hohes Verbraucherschutzniveau in der Politik der Union auf dem Gebiet von Pauschalreisen sicherzustellen.

 

75        Eine Auslegung von Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302, die von der Absicherung gegen die Insolvenz des Reiseveranstalters die Erstattungen ausschließt, die den Reisenden infolge eines in einer der in dieser Richtlinie genannten Situationen vor dem Eintritt dieser Insolvenz erklärten Rücktritts geschuldet werden, würde jedoch darauf hinauslaufen, den Schutz der Reisenden im Vergleich zu demjenigen, den ihnen die Richtlinie 90/314 vermittelte, zu schmälern.

 

76        Nach Art. 7 dieser letztgenannten Richtlinie musste der Reiseveranstalter nämlich über ausreichende Sicherheiten verfügen, um im Fall der Zahlungsunfähigkeit die Erstattung der vom Reisenden gezahlten Beträge sicherzustellen. Der Gerichtshof hat entschieden, dass dieser Artikel den vollständigen Schutz der in dieser Vorschrift genannten Rechte der Verbraucher und damit den Schutz der Verbraucher gegen sämtliche in diesem Artikel genannten Risiken, die sich aus der Zahlungsunfähigkeit des Reiseveranstalters ergeben, bezweckt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Juni 1999, Rechberger u. a., C‑140/97, EU:C:1999:306, Rn. 61). Dieser Artikel hatte damit zum wesentlichen Zweck, die Erstattung der vom Reisenden gezahlten Beträge für den Fall der Zahlungsunfähigkeit des Reiseveranstalters sicherzustellen, ohne dass diese Garantie an irgendeine bestimmte Voraussetzung in Bezug auf die Ursachen der Zahlungsunfähigkeit des Reiseveranstalters geknüpft war (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Februar 2012, Blödel-Pawlik, C‑134/11, EU:C:2012:98, Rn. 20 und 21).

 

77        Die vorstehende Beurteilung wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Richtlinie 90/314 keinen Anspruch des Reisenden auf Rücktritt vom Pauschalreisevertrag und auf volle Erstattung der getätigten Zahlungen vorsah, der dem entspricht, der ihm nunmehr nach Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2015/2302 zusteht.

 

78        Wie auch die Generalanwältin in Nr. 82 ihrer Schlussanträge festgestellt hat, war nämlich ein Recht des Reisenden auf Rücktritt verbunden mit einem Anspruch auf Erstattung der vom Reisenden getätigten Zahlungen für bestimmte Fälle, die jetzt in der Richtlinie 2015/2302 geregelt werden, bereits in der Richtlinie 90/314 verankert. So entspricht das in Art. 11 Abs. 5 der Richtlinie 2015/2302 vorgesehene Recht des Reisenden, von seinem Pauschalreisevertrag zurückzutreten und die Erstattung aller Beträge zu erhalten, die er gemäß diesem Vertrag gezahlt hat, wenn sich der Reiseveranstalter gezwungen sieht, diesen Vertrag in wesentlichen Punkten zu ändern, dem Recht, das in Art. 4 Abs. 6 der Richtlinie 90/314 verankert war.

 

79        Wenn Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302 dahin ausgelegt werden sollte, dass er die Absicherung gegen die Insolvenz des Reiseveranstalters auf die Erstattungen begrenzt, die dem Reisenden aufgrund der durch diese Insolvenz verursachten Nichtdurchführung einer Pauschalreise geschuldet werden, würde dieser Schutz demnach alle Erstattungen ausschließen, die dem Reisenden infolge eines Rücktritts geschuldet werden, der vor dem Eintritt der Insolvenz erfolgte, einschließlich derjenigen, die dem Reisenden nach Art. 11 Abs. 5 dieser Richtlinie geschuldet wird, was einen Rückschritt gegenüber dem Verbraucherschutzniveau, das durch die Richtlinie 90/314 gewährleistet wurde, darstellen würde.

 

80        Was drittens die Entstehungsgeschichte der Richtlinie 2015/2302 anbelangt, lässt sich die genaue Tragweite ihres Art. 17 Abs. 1 nicht aus den Vorarbeiten zu dieser Richtlinie entnehmen. Wie die Generalanwältin in den Nrn. 62 bis 83 ihrer Schlussanträge erläutert, geht die Absicht des Unionsgesetzgebers, was den Anwendungsbereich des Schutzes vor der Insolvenz des Reiseveranstalters nach Art. 17 Abs. 1 dieser Richtlinie betrifft, aus diesen Vorarbeiten nicht eindeutig hervor. Die Kommission schließt aus der Entstehungsgeschichte dieser Richtlinie, dass der Unionsgesetzgeber beim Erlass dieser Bestimmung den Willen gehabt habe, vom früheren Niveau des Schutzes der Reisenden vor der Insolvenz des Reiseveranstalters abzuweichen und von der Absicherung gegen diese Insolvenz die Erstattungsforderungen von Reisenden auszuschließen, die vor dem Eintritt der Insolvenz entstanden seien, wohingegen das Europäische Parlament geltend macht, dass aus dieser Entstehungsgeschichte hervorgehe, dass der Unionsgesetzgeber die Absicht gehabt habe, das früher bestehende Niveau des Schutzes der Reisenden vor dieser Insolvenz beizubehalten, so dass die Absicherung gegen die Insolvenz die Erstattungsforderungen der Reisenden einschließe, die vor dem Eintritt der Insolvenz entstanden seien. Der Rat der Europäischen Union hat sich nicht zur Absicht des Unionsgesetzgebers beim Erlass von Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302 geäußert.

 

81        Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass der Wortlaut von Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302 und bestimmte Gesichtspunkte des Kontexts dieser Bestimmung zwar zugunsten einer Auslegung sprechen können, die von ihrem Anwendungsbereich die Erstattungsforderungen ausnimmt, die aufgrund eines Rücktritts vom Pauschalreisevertrag entstanden sind, der in einer der in dieser Richtlinie genannten Situationen vor dem Eintritt der Insolvenz des Reiseveranstalters erklärt wurde, andere Gesichtspunkte des Kontexts dieser Bestimmung und das Ziel dieser Richtlinie hingegen für eine Auslegung sprechen, die diese Forderungen in den Anwendungsbereich einschließt.

 

82        Lässt eine Vorschrift des abgeleiteten Unionsrechts mehr als eine Auslegung zu, so ist die Auslegung, bei der die betreffende Bestimmung mit dem Primärrecht vereinbar ist, derjenigen vorzuziehen, die zur Feststellung ihrer Unvereinbarkeit mit dem Primärrecht führt. Ein Rechtsakt der Union ist nämlich nach einem allgemeinen Auslegungsgrundsatz so weit wie möglich in einer seine Gültigkeit nicht in Frage stellenden Weise und im Einklang mit dem gesamten Primärrecht, darunter auch mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung, auszulegen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 19. November 2009, Sturgeon u. a., C‑402/07 und C‑432/07, EU:C:2009:716, Rn. 47 und 48, sowie vom 16. November 2023, Ligue des droits humains [Prüfung der Datenverarbeitung durch die Aufsichtsbehörde], C‑333/22, EU:C:2023:874, Rn. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung). Genau dieser Grundsatz wird vom vorlegenden Gericht in der Rechtssache C‑45/23 angeführt, wie in Rn. 45 des vorliegenden Urteils festgestellt wurde.

 

83        Der Grundsatz der Gleichbehandlung, der einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts darstellt, verlangt, dass vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleichbehandelt werden, es sei denn, dass eine solche Behandlung objektiv gerechtfertigt ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 30. November 2023, MG/EIB, C‑173/22 P, EU:C:2023:932, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

84        Wie der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu entnehmen ist, ist für die Prüfung, ob dieser allgemeine Grundsatz beachtet wurde, die Vergleichbarkeit der Situationen anhand des Ziels zu beurteilen, das mit dem Rechtsakt verfolgt wird, zu dem die in Rede stehende Vorschrift gehört (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. November 2009, Sturgeon u. a., C‑402/07 und C‑432/07, EU:C:2009:716, Rn. 49).

 

85        Wie in Rn. 74 des vorliegenden Urteils ausgeführt wurde, wird mit der Richtlinie 2015/2302 das Ziel verfolgt, ein hohes Verbraucherschutzniveau zu verwirklichen. Art. 17 dieser Richtlinie trägt zur Erreichung dieses Ziels bei, indem der Reisende vor dem finanziellen Risiko geschützt werden soll, das die Insolvenz des Reiseveranstalters mit sich bringt. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Reisende einen Teil des Preises oder den gesamten Preis seiner Pauschalreise bezahlt, bevor er die Reiseleistungen des Reiseveranstalters in Anspruch nehmen kann, geht er nämlich das Risiko ein, den entsprechenden Betrag zu verlieren, wenn der Reiseveranstalter später insolvent wird.

 

86        In Anbetracht dieses Ziels muss der Maßstab für den Vergleich der Situation des Reisenden, der nach der vollständigen oder teilweisen Zahlung des Preises für seine Pauschalreise in einer der in dieser Richtlinie genannten Situationen von seinem Pauschalreisevertrag zurücktritt, aber keine Erstattung erhalten hat, weil der Reiseveranstalter nach diesem Rücktritt insolvent geworden ist, mit der Situation des Reisenden, dessen Reise nicht durchgeführt wurde und der wegen der Insolvenz des Reiseveranstalters keine Erstattung erhalten hat, das vom betreffenden Reisenden eingegangene Risiko finanzieller Verluste sein.

 

87        Unter Berücksichtigung dieses Maßstabs ist die Situation der beiden oben genannten Reisenden vergleichbar. In beiden Fällen ist der Reisende nämlich dem finanziellen Risiko ausgesetzt, wegen der Insolvenz des Reiseveranstalters keine Erstattung der Beträge erhalten zu können, die er dem Reiseveranstalter gezahlt hat, obwohl er darauf nach der Richtlinie 2015/2302 Anspruch hätte.

 

88        Infolgedessen muss nach dem Grundsatz der Gleichbehandlung sowohl dem Reisenden, dessen Pauschalreise wegen der Insolvenz des Reiseveranstalters nicht durchgeführt werden kann, als auch dem Reisenden, der u. a. gemäß Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2015/2302 von seinem Pauschalreisevertrag zurückgetreten ist, die in Art. 17 Abs. 1 dieser Richtlinie vorgesehene Absicherung gegen die Insolvenz des Reiseveranstalters zugutekommen, was die ihnen geschuldeten Erstattungen betrifft, es sei denn, eine Ungleichbehandlung dieser beiden Kategorien von Reisenden ist objektiv gerechtfertigt.

 

89        Was den letztgenannten Aspekt anbelangt, scheint kein Gesichtspunkt eine solche Ungleichbehandlung zwischen diesen Kategorien von Reisenden rechtfertigen zu können. Insbesondere geht, was die von einigen Beteiligten vor dem Gerichtshof auf der Grundlage des 40. Erwägungsgrundes der Richtlinie 2015/2302 geltend gemachte Möglichkeit betrifft, sehr unwahrscheinliche Risiken vom Anwendungsbereich des Schutzes vor der Insolvenz des Reiseveranstalters auszuschließen, aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten nicht hervor, dass ein solcher Ausschluss in den in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelungen und Versicherungsverträgen vorgesehen wurde. Jedenfalls könnte ein solcher etwaiger Ausschluss eine solche Ungleichbehandlung nicht rechtfertigen. Wie es in diesem 40. Erwägungsgrund heißt, bezieht er sich auf Risiken wie die gleichzeitige Insolvenz mehrerer der größten Reiseveranstalter. Er steht in keinem Zusammenhang mit der Frage, ob die Erstattungsforderung des von der Insolvenz des Reiseveranstalters betroffenen Reisenden ihren Ursprung in der Nichtdurchführung der Pauschalreise oder darin hat, dass der Reisende von seinem Recht auf Rücktritt vom Pauschalreisevertrag in einer der in dieser Richtlinie genannten Situationen Gebrauch gemacht hat.

 

90        Unter Berücksichtigung der in Rn. 82 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung und des Grundsatzes der Gleichbehandlung ist Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302 deshalb dahin auszulegen, dass er in die Absicherung gegen die Insolvenz des Reiseveranstalters die Erstattungsforderungen der Reisenden einschließt, die infolge eines in einer der in dieser Richtlinie genannten Situationen erklärten Rücktritts von ihrem Pauschalreisevertrag entstanden sind, bevor der Reiseveranstalter insolvent geworden ist.

 

91        Nach alledem ist auf die erste Frage in der Rechtssache C‑771/22 und auf die einzige Frage in der Rechtssache C‑45/23 zu antworten, dass Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302 dahin auszulegen ist, dass die den Reisenden gewährte Absicherung gegen die Insolvenz des Pauschalreiseveranstalters anwendbar ist, wenn ein Reisender aufgrund unvermeidbarer und außergewöhnlicher Umstände gemäß Art. 12 Abs. 2 dieser Richtlinie von seinem Pauschalreisevertrag zurücktritt, der Reiseveranstalter nach diesem Rücktritt insolvent wird und dem Reisenden vor dem Eintritt der Insolvenz die getätigten Zahlungen nicht voll erstattet wurden, worauf er nach der letztgenannten Bestimmung Anspruch hat.

 

Zur zweiten und zur dritten Frage in der Rechtssache C‑771/22

92        Angesichts der Antwort auf die erste Frage in der Rechtssache C‑771/22 sind die zweite und die dritte Frage in dieser Rechtssache nicht mehr zu beantworten.

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