OLG Köln: CO2-neutral reisen
OLG Köln, Urteil vom 13.12.2024 – 6 U 45/24
ECLI:DE:OLGK:2024:1213.6U45.24.00
Volltext: BB-Online BBL2025-130-3
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Amtlicher Leitsatz
Die Bewerbung einer Flugreise mit "CO2-neutral reisen (...) jetzt ausgleichen und abheben" ist irreführend, wenn die Kompensation unter Umständen erst in der Zukunft erfolgen wird und das genaue Ausmaß von einer Prognose abhängen kann.
Sachverhalt
I. Der Kläger ist ein nach dem UWG klagebefugter Umwelt- und Verbraucherschutzverband, die Beklagte ein Luftfahrtunternehmen. Die Beklagte warb 2022 auf der Startseite ihres Webauftritts mit einem anklickbaren Feld und der Überschrift „CO2-neutral reisen“ (wie näher aus Anlage K1 ersichtlich) und dem daneben formulierten Text „Zusammen machen wir Fliegen nachhaltiger. CO2-Emissionen ausgleichen und abheben“.
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Beim Anklicken der hervorgehobenen Schaltfläche „So geht’s“ wurde dem Verbraucher die Möglichkeit geboten, entweder im Vorhinein oder im Nachhinein CO2-Kompensationen vorzunehmen. Bei Wahl der Option „Kompensation während der Flugbuchung“ erfolgte eine Investition in von der Beklagten unterstützte insgesamt 13 deutsche, europäische und weltweite Klimaschutzprojekte. Bei nachträglicher Kompensation erfolgte ein Erwerb von sog. SAF–(Sustainable Aviation Fuels) Kraftstoffen über eine von der Muttergesellschaft der Beklagten betriebene Kompensationsplattform („Y.“). SAF werden aus biogenen Reststoffen hergestellt, wie z.B. Altölen, einem Nebenprodukt der Zellstoffindustrie, das zumeist chemisch weiterverarbeitet wird.
Zwischen den Parteien ist nicht umstritten, dass der Abbau von in der Atmosphäre vorhandenem CO2 überwiegend bis zu 100 Jahre, teilweise auch wesentlich länger dauert. Die Projekte arbeiten nach selbstgesetzten und durch private Organisationen, wie der V. Stiftung oder S., vergebenen Standards, die keine zeitliche Permanenz garantieren.
Der Kläger hat gemeint, dass die Werbung der Beklagten mit dem Begriff „CO2-neutral“ irreführend sei, zudem den Verbrauchern für die Kaufentscheidung wesentliche Informationen vorenthalte. Er hat die Beklagte mit Schreiben vom 17.1.2023 erfolglos aufgefordert, eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben und die Kosten der vorgerichtlichen Abmahnung zu tragen. Er hat gemeint, die Beklagte verspreche mit den zur Kompensation verwendeten Sustainable Aviation Fuels, eine Kompensation, die allenfalls zu 80% gewährleistet sei und verstoße dadurch gegen § 5 Abs. 1, 2 Satz 2 Nr. 1 UWG. Dieses Versprechen sei auch dann für geschäftliche Entscheidungen relevant, wenn Verbraucher erkennen, dass es sich bei den Kompensationsleistungen um Zusatzangebote handele. Bei SAF-Kraftstoffen könne die Umleitung der Rohstoffe zur Kraftstoffproduktion hohe indirekte Emissionen verursachen, die erforderlichen Reststoffe seien nur begrenzt verfügbar, der Entzug von Waldrestholz schädige sogar Wälder. Verbraucher erwarteten eine ausgeglichene CO2-Bilanz, die – auch unabhängig davon, dass die Beklagte auf Naturereignisse keinen Einfluss habe – nicht gewährleistet werden könne. Einerseits bleibe unklar, in welches konkrete Projekt der Kunde investiere, andererseits seien einige Projekte zeitlich eng begrenzt, überdies sei unklar, was nach Ende der Projektzeit geschehe. Die Zertifizierung garantiere ebenfalls keine dauerhafte CO2-Neutralität. Insgesamt fehle es an ausreichenden Angaben darüber, wie die von der Beklagten behauptete CO2-Neutralisierung tatsächlich erreicht werde. Daher liege auch ein Verstoß gegen §§ 3, 5a Abs. 1, 2 und 3 UWG vor.
Der Kläger hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, es (bei Meidung von Ordnungsmitteln) zu unterlassen, Flüge mit der Aussage „CO2-neutral reisen. Zusammen machen wir das Fliegen nachhaltiger: CO2-Emissionen ausgleichen und abheben“ zu bewerben, wenn dies geschieht wie in der Anlage K1;
2. an den Kläger 280,78 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 1.6.2024 (Rechtshängigkeit) zu zahlen;
hilfsweise
zu unterlassen, Flüge mit der Aussage „CO2-neutral reisen. Zusammen machen wir das Fliegen nachhaltiger: CO2-Emissionen ausgleichen und abheben“ zu bewerben, wenn dies geschieht wie in der Anlage K1,
sofern die CO2-Neutralität
a) durch sog. „Sustainable Aviation Fuels” mit einem CO2-Minderungseffekt von 80% oder
b) durch die in der Anlage K2 dokumentierten und als „aktiv“ beschriebenen Waldschutz- und Kocherprojekte sowie Projekte innerhalb der Europäischen Union erreicht werden soll.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat gemeint, dass es an einer Irreführung fehle, weil den Durchschnittsverbrauchern bewusst sei, dass Waldschutzprojekte lange in die Zukunft reichen müssten und jede Aussage über den dadurch erfolgten Emissionsausgleich eine Prognose, aber keine Garantie darstelle. Die Verbraucher verstünden, dass das Unternehmen Anbieter so sorgfältig auswähle, dass die Prognose mit hoher Wahrscheinlichkeit eintreten und dies durch die Zertifizierung auch berücksichtigt werde. Mit der Werbeaussage würde erkennbar nur eine Zusatzleistung zum normalen Flug angeboten. Der Verbraucher habe keine feste Vorstellung von Kompensationswirkungen, daher dürfe man Unternehmen keine vollständigen und lückenlosen Informationen hierzu abverlangen. Verbraucher erwarteten lediglich, dass der Anbieter eines CO2-neutralen Produkts die Emissionen nach anerkannten Standards ermittele und kompensiere. Das sei bei der Beklagten der Fall. Eine weitergehende Inpflichtnahme erzeuge das Risiko, das Umweltaussagen unterblieben, also auch sinnvolles Umweltengagement verschweigen werde („Greenhushing“). Bei der Kompensation mit SAF bestimme die Beklagte zunächst, wie viel CO2 auszugleichen sei. Dann beschaffe die Beklagte SAF in einem Volumen, das dieser Menge an CO2-Einsparung entspreche, so dass statt Kerosin ausreichend SAF beschafft werde, um den Flug gänzlich CO2-neutral zu gestalten. Eine doppelte Berücksichtigung von Klimaschutzzertifikaten aus europäischen Projekten finde nicht statt. Auf eine Projektdauer komme es bei den Klimaschutzinitiativen nicht an, weil entweder schon vor dem Zertifikatserwerb CO2-Einsparungen stattgefunden haben oder Puffer-Regelungen getroffen würden.
Das Landgericht hat die Klage im Hauptantrag für begründet gehalten und die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Es hat die im Klageantrag wiedergegebene Aussage für irreführend gehalten. Die Irreführung ergebe sich aus den ungenügenden Projektlaufzeiten. Der Referenzverbraucher verstehe die Äußerung dahingehend, dass durch die Teilnahme an dem Flug bilanziert kein CO2 anfalle. Die von der Beklagten angebotenen Klimaschutzprojekte könnten keinen vollständigen Ausgleich gewährleisten, weil die Projektlaufzeiten dafür unzureichend seien. Der Verbraucher habe die berechtigte Erwartung, dass jedenfalls für die natürliche Lebensdauer des von den Projekten geschützten Waldes eine Speicherung des CO2 erwartet werden könne. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Urteil des Landgerichts verwiesen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung der Beklagten. Sie wendet sich gegen das vom Landgericht angenommene Verbraucherverständnis, wonach die Erwartung bestehe, dass die Projektlaufzeiten der natürlichen Lebensdauer eines Waldes entsprechen müssen. Auch die Annahme einer Verbrauchererwartung, wonach Zahlungen in bestimmte Projekte oder gar in die Erhaltung einzelner Bäume fließen, sei unrichtig. Der Verbraucher erwarte lediglich, dass der Anbieter einer CO2-Kompensation die Emissionen nach anerkannten Standards ermittele und kompensiere. Eine Permanenzerwartung habe er nicht. Die Begründung des Landgerichts leide an weiteren Fehlern. Dazu gehöre die Annahme, ex-ante-Zertifikate könnten nur Prognosen angeben, was nicht zutreffe, denn je länger das Projekt laufe, desto mehr Klarheit bestehe über die Ausgleichswirkung. Zum anderen gehe das Landgericht zu Unrecht davon aus, dass der Verbraucher eine konkrete Projektförderung mit einer ebenso konkret kompensierenden Laufzeit erwarte. Tatsächlich erwarte er nur, dass die Kompensation durch die Verteilung von Beiträgen auf mehrere Projekte sowie durch andere Mittel erfolge, was auch geschehe. Ein Verstoß gegen § 5a Abs. 1 UWG fehle, weil der Verbraucher kein erhebliches Interesse an Detailinformationen der vom Kläger behaupteten Art habe.
Die Beklagte beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des Landgerichts Köln vom 28.03.2024, Az. 81 O 32/23, die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger verteidigt das angegriffene Urteil und ist insgesamt der Meinung, das Versprechen der Finanzierung von Klimaschutzprojekten im globalen Süden sei nicht geeignet, Klimaschutzziele wirksam zu erreichen. Insbesondere allgemeine Klimaschutzbehauptungen seien stets irreführend. Dem trage auch die Änderung der UGP-Richtlinie durch die Richtlinie (EU) 2024/825 Rechnung. Das Versprechen eines CO2-neutralen Fluges werde gegeben, sei aber durch zeitlich begrenzte Klimaschutzprojekte nicht gewährleistet. Zudem würden mittelbare Emissionen, etwa die Anreise der Mitarbeitenden, die Abfallbeseitigung nach einem Flug oder die Check-Ins, durch die Maßnahme nicht ausgeglichen. Die Angabe in der Werbung sei mehrdeutig und eine Einschränkung einer solchen Angabe müsse in einer unmittelbar an der Begrifflichkeit angehefteten Erklärung klargestellt werden, um nicht irreführend zu sein. Danach hätte die Beklagte klarstellen müssen, dass die Klimaneutralität äußerstenfalls für die nächsten 20 Jahre gewährleistet sei und Baumschutzprojekte mit kurzen Laufzeiten finanziert würden. Im Übrigen habe sie mit einem Begriff geworben, der erfordere, nur solche Projekte anzubieten, die eine dauerhaft ausgeglichene CO2-Bilanz bewirkten. Auch gegen § 5a werde verstoßen. Die genaue Berechnungsweise für die Kompensation werde nicht offenbart. Der Umstand, dass nur von CO2-, nicht aber von Klimaneutralität gesprochen werde, sei unschädlich, weil der angesprochene Verkehr die Begriffe CO2- und Klimaneutralität synonym verwende. Tatsächlich gingen die Klimaauswirkungen des Flugs erheblich über die CO2-Auswirkungen hinaus.
Aus den Gründen
II. Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet. Der Kläger kann von der Beklagten Unterlassung der streitgegenständlichen Werbung verlangen.
1. Der Unterlassungsantrag ist ausreichend bestimmt, weil er auf eine konkrete Werbung Bezug nimmt und diese auch in die Antragsformulierung einbezieht.
2. Der Unterlassungsanspruch folgt aus §§ 8 Abs. 1 Satz 1, 3 Abs. 1, 5 Abs. 1 UWG.
a) Die Klagebefugnis der Klägerin ergibt sich aus § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG.
b) Das Landgericht hat im Ergebnis zu Recht angenommen, dass eine Irreführung nach § 5 Abs. 1 UWG vorliegt.
aa) Sie folgt das daraus, dass über eine geschäftliche Handlung zur Täuschung geeignete Angaben über die in § 5 Abs. 2 UWG genannten Umstände, darunter die wesentlichen Eigenschaften von Dienstleistungen, wie Herstellung oder Vorteile dieser Leistungen, gemacht werden. Angaben über positive Umwelteigenschaften sind Angaben über Vorteile der Dienstleistung (BGH GRUR 2024, 1123 Rn. 15 – klimaneutral). CO2-Neutralität als Versprechen wird als konkreter Vorteil einer Dienstleistung wahrgenommen. Die Behauptung beschreibt aus Sicht des angesprochenen Verkehrskreises, zu dem auch die Mitglieder des entscheidenden Senats gehören, zweifelsfrei einen Vorzug. Angesichts der anhaltenden Berichterstattung über die konstante Erwärmung der Erdatmosphäre, als deren Ursache nach mittlerweile weitgehend geteilten Überzeugungen der Wissenschaft menschliches Verhalten in den Bereichen Reise, Wohnen und Industrie zählt, nehmen die Sorgen der Verbraucher über ihr eigenes Verhalten zu, so dass der Wunsch nach Verhaltensweisen, die schädliche Umwelteinwirkungen reduzieren, auch beim Konsumverhalten wichtiger wird.
bb) Das Landgericht hat eine relevante Irreführung darin gesehen, das die von der Beklagten geförderten Projekte überwiegend kurze Laufzeiten haben, jedenfalls nicht die Erwartung des Durchschnittsverbrauchers rechtfertigen, dass eine über mehrere 100 Jahre erforderliche CO2-Neutralisation durch diese Projekte gewährleistet werden könne.
(1) Maßgeblich ist dabei das Verständnis des angemessen gut unterrichteten und angemessen aufmerksamen und kritischen Durchschnittsverbrauchers (Erwägungsgrund 18 S. 2 Richtlinie 2005/29/EG (UGP-Richtlinie). Danach gilt folgendes:
(2) Eine Irreführung liegt nicht darin, dass das Werbesprechen nicht schon durch das Produkt, sondern erst durch Kompensationsmaßnahmen erreicht wird. Daran ändert sich nichts, wenn man mit dem BGH zugrunde legt, dass für eine Irreführung über Umwelteigenschaften „besonders strenge Anforderungen“ gelten (BGH GRUR 2024, 1123 Rn. 23 f.; erstmals BGHZ 105, 277 = GRUR 1991, 548 Juris Rn. 14 – Umweltengel). Denn stets kommt es auch auf den Gegenstand der Werbung, also das beworbene Produkt an. Zudem darf das Verkehrsverständnis bei allem Bemühen, möglichst strenge Maßstäbe für die Erzielung von Klimaneutralität zu erreichen, nicht außer Acht gelassen werden. Auch bei der Anlegung strenger Anforderungen an Klarheit und Richtigkeit ist nicht davon auszugehen, dass der Durchschnittsverbraucher annimmt, Flüge könnten emissionsfrei durchgeführt werden, weil ihm bewusst ist, dass Flugzeuge typischerweise mit fossilen Brennstoffen betankt werden. Auch der BGH hat darauf hingewiesen, dass eine Auslegung, wonach der Durchschnittsverbraucher ein Neutralitätsversprechen für auch durch Kompensationsmaßnahmen erreichbar hält, nicht erfahrungswidrig sei (BGH GRUR 2024, 1123 Rn. 31 – klimaneutral).
(3) Eine Irreführung liegt auch noch nicht in der Pauschalität der Aussage. Der Kläger, der allgemeine Umweltaussagen stets für irreführend hält, bezieht sich hier auf einen Maßstab, der zum Tatzeitpunkt noch nicht galt, sondern erst nach Umsetzung der Änderung der UGP-Richtlinie durch die Richtlinie (EU) 2024/825 hinsichtlich der Stärkung der Verbraucher für den ökologischen Wandel durch besseren Schutz gegen unlautere Praktiken und durch bessere Informationen vom 28.2.2024, EU-Abl. v. 06.03.2024 anzulegen sein wird.
(4) Die Irreführung folgt nicht allein daraus, dass eine Kompensationszahlung keine permanente Bindung von CO2 ermöglicht. Dass der Durchschnittsverbraucher dies annimmt, ist nach Auffassung des Senats nicht realistisch. Es ist bereits zweifelhaft, ob dem Verbraucher bewusst ist, wie langwierig der Abbau von CO2 ist. Auch wenn es ihm bewusst wäre, ist zu bezweifeln, dass er an eine Garantie glaubt, die weit über seine eigene Lebenszeit, jedenfalls auch über die Lebenszeit von Unternehmen hinausgehe. Auch der Kläger gesteht zu, dass es um eine Zeitdauer von hundert, möglicherweise aber auch mehreren hundert Jahren geht. Dass der Verbraucher eine Kompensationszahlung erwartet, die diesen Zeitraum abdeckt, ist auch mit dem Strengeprinzip nicht zu rechtfertigen. Dabei spielt auch eine Rolle, dass Umweltbewusstsein und Umweltverhalten sich nicht parallel entwickeln, Verbraucher fühlen sich gelegentlich gar überfordert, selbst die Ansprüche zu erfüllen, die sie nach den Behauptungen des Klägers an Unternehmen stellen sollen. Der Kläger erwartet hier eine Festlegung sehr genauer Kenntnisse über wissenschaftliche Zusammenhänge, die den Bereich der Werberegulierung verlassen und zu technisch genauen Informationsanforderungen werden. Solche Informationsanforderungen müsste der Gesetzgeber selbst regeln. Die Gerichte sollten sich hierbei schon deswegen zurückhalten, weil sie damit tief in das Wesen der Werbung eingreifen, die gerade nicht zur umfassenden Aufklärung über alle wesentlichen Eigenschaften eines Produktes verpflichtet (vgl. BGH GRUR 2007, 247 Rn. 25 – Regenwaldprojekt I; GRUR 1996, 367, 368 – Umweltfreundliches Bauen).
(5) Die Irreführung liegt allerdings darin, dass unklar bleibt, wie genau die Wendung „ausgleichen und abheben“ zu verstehen ist. Die Beklagte meint, der Fluggast erkenne, dass er einen Beitrag leiste, der mehreren Projekten und zum Teil auch dem Kauf von SAF zugutekomme. Der Kläger macht im Kern geltend, dass unklar bleibe, inwiefern durch den Beitrag des Reisenden die von ihm verursachten zusätzlichen Emissionen zuverlässig und dauerhaft ausgeglichen würden.
Der BGH geht im Urteil „klimaneutral“ davon aus, dass eine Werbung mit Umweltargumenten hohe Anforderungen an Klarheit, Richtigkeit und Eindeutigkeit stelle. Bezogen auf die konkrete Wahrnehmungssituation und den Gegenstand der Werbung würden ähnliche strenge Anforderungen wie bei der Gesundheitswerbung gelten (BGH GRUR 2024, 1122 Rn. 22 f. – klimaneutral).
Da die Werbeangabe im Zusammenhang mit der Flugbuchung (vorher oder nachher) erfolgt, ist die Formulierung, dass Emissionen „ausgeglichen“ werden, ebenso mehrdeutig wie der Begriff der Kompensation durch Unterstützung von Klimaprojekten. Für das Versprechen eines Ausgleichs ist unklar, wann und wie er erfolgt. Überdies ist unklar, durch welche Art des Zusammenwirkens von Maßnahmen eine vollständige Kompensation erfolgt. Ob sie erfolgt, ist zum Zeitpunkt von Flugbuchung oder nachträglichem Beitrag zum Erwerb von Zertifikaten dem Aufdruck des Buttons nicht zu entnehmen.
Nach Art der Werbung und bezogen auf das zu erwerbende Produkt muss aber jedenfalls über grundsätzliche Zusammenhänge Klarheit hergestellt werden. Die Werbeangabe erfolgt im Zusammenhang mit der Auswahl des Flugziels. Der Werbebutton enthält das Versprechen des „Ausgleichs“ und eine Weiterleitungsmöglichkeit unter „So geht’s“. Je nachdem, ob der Ausgleich schon vor der Buchung oder nachher erfolgen soll, werden unter diesem Klick nach dem vorgetragenen und insoweit unwidersprochenen Sachverhalt Kompensation durch Zahlung in Klimaprojekte und Reduktion durch Erwerb von SAF-Kraftstoffen, ggf. in Verbindung mit der Zahlung in Klimaprojekte angeboten.
Der Kunde, dem versprochen wird, dass er seine Flugemissionen „ausgleichen“ kann, wird im Kern erwarten, dass dieses Versprechen jedenfalls dahingehend erfüllt wird, dass ein von ihm geleisteter Mehrbeitrag so viele Emissionen kompensiert, wie er durch den Flug verursacht hat. Die Formulierung „ausgleichen und abheben“ legt das Verständnis nahe, dass der Ausgleich erfolgt, bevor der Flug startet, bevor der Kunde „abhebt“. Ein relevanter Teil der Verbraucher wird erwarten, dass sie etwas erwerben, was eine sofortige Kompensation auslöst. Unter der Geltung des Strengeprinzips hätte die Beklagte – und zwar im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Button – darüber aufklären müssen, dass die Kompensation tatsächlich unter Umständen erst in der Zukunft erfolgen wird, wobei das genaue Ausmaß von einer Prognose abhängen kann.
Der Beklagten ist dabei zwar zuzugestehen, dass der Kunde in dieser Wahrnehmungssituation keine umfangreichen Detailinformationen erwartet. Allerdings bleibt der Begriff des Ausgleichs von Emissionen – wie der Rechtsstreit zeigt – mehrdeutig, weil die Art der Kompensation, die Frage, wann und wie sie erfolgt, verschiedene Deutungen zulassen, auch über die Frage, inwieweit Projektzuwendungen und SAF-Erwerb sich zu einer vollständigen Kompensation individueller Flugbeiträge der Kunden addieren. Zwar wird der Kunde über eine Kette von Verweisungen auf der Website möglicherweise Informationen zu diesen Zusammenhängen finden. Dies genügt aber nicht. Die Angaben müssen vielmehr unmittelbar im Zusammenhang mit der Werbung selbst erbracht werden (BGH GRUR 2024, 1122 Rn. 36). Dass der Kunde durch eigene Tätigkeit Informationen ermitteln kann, genügt nicht (BGH aaO). Auch der Einwand, dass der für die Werbung bestehende Raum begrenzt sei, führt nicht weiter, denn – anders als § 5a Abs. 3 Nr. 1 UWG – § 5 enthält keine Verweisung auf räumliche Beschränkungen des gewählten Kommunikationsmittels. Die Werbeangabe muss also für sich genommen vollständig und richtig sein. Ist sie mehrdeutig, muss diese Mehrdeutigkeit unmittelbar im Zusammenhang mit der Werbeangabe richtiggestellt werden.
Diese Anforderungen erfüllt die Werbeangabe der Beklagte nicht. Selbst bei Anklicken der Klimaschutzprojekte erhält der Kunde nach dem vorgetragenen Sachverhalt keine unmittelbare und präzise Klarstellung der Angabe dahingehend, dass die Projekte zusammengenommen die typische Menge an verursachten individuellen Emissionen ausgleichen wird. Diesen Zusammenhang muss der Kunde durch eigene Suchtätigkeit ermitteln.
cc) Die Irreführung ist relevant für geschäftliche Entscheidungen des Werbeadressaten. Es ist nicht zu bezweifeln, dass Angaben über Umweltvorteile das Buchungsverhalten des Kunden bestimmen können. Wenn diese Angaben mehrdeutig, im Ergebnis irreführend sind, wird der Verbraucher über den Sinn seiner geschäftlichen Entscheidung getäuscht.
dd) Auf die Frage, ob wesentliche Informationen vorenthalten werden, kommt es danach nicht mehr an.
ee) Die Wiederholungsgefahr ist indiziert.
3. Der Anspruch auf Erstattung der Abmahnkosten folgt aus § 13 Abs. 3 UWG.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1, Satz 2; 709 Satz 2 ZPO.
Das Urteil betrifft die tatrichterliche Übertragung allgemein anerkannter Auslegungs- und Rechtsanwendungsgrundsätze auf einen Einzelfall, so dass kein Anlass besteht, gemäß § 543 Abs. 2 ZPO die Revision zuzulassen.
Streitwert im Berufungsverfahren: 50.000,- €.