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Wirtschaftsrecht
08.05.2025
Wirtschaftsrecht
EuGH: Botanicals – Werbung mit gesundheitsbezogenen Angaben über pflanzliche Stoffe ist derzeit verboten

EuGH, Urteil vom 30.4.2025 – C-386/23, Novel Nutriology GmbH gegen Verband Sozialer Wettbewerb e. V.

ECLI:EU:C:2025:304

Volltext: BB-Online BBL2025-1089-1

unter www.betriebs-berater.de

 

Tenor

Art. 10 Abs. 1 und 3 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel in der durch die Verordnung (EG) Nr. 109/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Januar 2008 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er dem entgegensteht, im Rahmen der kommerziellen Werbung für ein aus „Botanicals“ bestehendes Nahrungsergänzungsmittel im Sinne der Verordnung (EU) Nr. 432/2012 der Kommission vom 16. Mai 2012 zur Festlegung einer Liste zulässiger anderer gesundheitsbezogener Angaben über Lebensmittel als Angaben über die Reduzierung eines Krankheitsrisikos sowie die Entwicklung und die Gesundheit von Kindern spezielle gesundheitsbezogene Angaben über solche Stoffe zu verwenden, die psychische Funktionen oder Verhaltensfunktionen beschreiben oder darauf verweisen, oder auf allgemeine, nicht spezifische Vorteile solcher Stoffe für die Gesundheit im All-gemeinen und das gesundheitsbezogene Wohlbefinden zu verweisen, solange die Europäische Kommission die Prüfung der gesundheitsbezogenen Angaben über pflanzliche Stoffe im Hinblick auf ihre Aufnahme in eine der Listen der zugelassenen gesundheitsbezogenen Angaben nach den Art. 13 und 14 der Verordnung Nr. 1924/2006 nicht abgeschlossen hat, wenn den Verweisen keine in diesen Listen enthaltene spezielle gesundheitsbezogene Angabe beigefügt ist, es sei denn, die Verwendung solcher An-gaben ist nach Art. 28 Abs. 6 dieser Verordnung zulässig.

 

Aus den Gründen

1          Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 10 Abs. 1 und 3 sowie von Art. 28 Abs. 5 und 6 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel (ABl. 2006, L 404, S. 9, berichtigt in ABl. 2007, L 12, S. 3) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 109/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Januar 2008 (ABl. 2008, L 39, S. 14) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 1924/2006).

 

2          Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Novel Nutriology GmbH und dem Verband Sozialer Wettbewerb e. V. (im Folgenden: VSW) über die kommerzielle Werbung von Novel Nutriology für ein Nahrungsergänzungsmittel, in der gesundheitsbezogene Angaben über darin enthaltene pflanzliche Stoffe verwendet werden.

 

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 2002/46/EG

3          Art. 2 der Richtlinie 2002/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. Juni 2002 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Nahrungsergänzungsmittel (ABl. 2002, L 183, S. 51) bestimmt:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

a) ‚Nahrungsergänzungsmittel‘ Lebensmittel, die dazu bestimmt sind, die normale Ernährung zu ergänzen und die aus Einfach- oder Mehrfachkonzentraten von Nährstoffen oder sonstigen Stoffen mit ernährungsspezifischer oder physiologischer Wirkung bestehen und in dosierter Form in den Verkehr gebracht werden, d. h. in Form von z. B. Kapseln, Pastillen, Tabletten, Pillen und anderen ähnlichen Darreichungsformen, Pulverbeuteln, Flüssigampullen, Flaschen mit Tropfeinsätzen und ähnlichen Darreichungsformen von Flüssigkeiten und Pulvern zur Aufnahme in abgemessenen kleinen Mengen;

…“

 

Verordnung Nr. 1924/2006

4          In den Erwägungsgründen 1, 9, 14, 16, 17, 23, 24 und 35 der Verordnung Nr. 1924/2006 heißt es:

„(1) Zunehmend werden Lebensmittel in der Gemeinschaft mit nährwert- und gesundheitsbezogenen Angaben gekennzeichnet, und es wird mit diesen Angaben für sie Werbung gemacht. Um dem Verbraucher ein hohes Schutzniveau zu gewährleisten und ihm die Wahl zu erleichtern, sollten die im Handel befindlichen Produkte … sicher sein und eine angemessene Kennzeichnung aufweisen. …

(9) Es gibt eine Vielzahl von Nährstoffen und anderen Substanzen – unter anderem Vitamine, Mineralstoffe einschließlich Spurenelementen, Aminosäuren, essenzielle Fettsäuren, Ballaststoffe, verschiedene Pflanzen- und Kräuterextrakte und andere – mit ernährungsbezogener oder physiologischer Wirkung, die in Lebensmitteln vorhanden und Gegenstand entsprechender Angaben sein können. Daher sollten allgemeine Grundsätze für alle Angaben über Lebensmittel festgesetzt werden, um ein hohes Verbraucherschutzniveau zu gewährleisten, dem Verbraucher die notwendigen Informationen für eine sachkundige Entscheidung zu liefern und gleiche Wettbewerbsbedingungen für die Lebensmittelindustrie zu schaffen.

(14) Es gibt eine Vielzahl von Angaben, die derzeit bei der Kennzeichnung von Lebensmitteln und der Werbung hierfür in manchen Mitgliedstaaten gemacht werden und sich auf Stoffe beziehen, deren positive Wirkung nicht nachgewiesen wurde bzw. zu denen derzeit noch keine ausreichende Einigkeit in der Wissenschaft besteht. Es muss sichergestellt werden, dass für Stoffe, auf die sich eine Angabe bezieht, der Nachweis einer positiven ernährungsbezogenen Wirkung oder physiologischen Wirkung erbracht wird.

(16) Es ist wichtig, dass Angaben über Lebensmittel vom Verbraucher verstanden werden können und es ist angezeigt, alle Verbraucher vor irreführenden Angaben zu schützen. …

(17) Eine wissenschaftliche Absicherung sollte der Hauptaspekt sein, der bei der Verwendung nährwert- und gesundheitsbezogener Angaben berücksichtigt wird, und die Lebensmittelunternehmer, die derartige Angaben verwenden, sollten diese auch begründen. Eine Angabe sollte wissenschaftlich abgesichert sein, wobei alle verfügbaren wissenschaftlichen Daten berücksichtigt und die Nachweise abgewogen werden sollten.

(23) Gesundheitsbezogene Angaben sollten für die Verwendung in der Gemeinschaft nur nach einer wissenschaftlichen Bewertung auf höchstmöglichem Niveau zugelassen werden. Damit eine einheitliche wissenschaftliche Bewertung dieser Angaben gewährleistet ist, sollte die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit [(European Food Safety Authority, im Folgenden: EFSA)] solche Bewertungen vornehmen. Der Antragsteller sollte auf Antrag Zugang zu seinem Dossier erhalten, um sich über den jeweiligen Stand des Verfahrens zu informieren.

(24) Neben die Ernährung betreffenden gibt es zahlreiche andere Faktoren, die den psychischen Zustand und die Verhaltensfunktion beeinflussen können. Die Kommunikation über diese Funktionen ist somit sehr komplex, und es ist schwer, in einer kurzen Angabe bei der Kennzeichnung von Lebensmitteln und in der Werbung hierfür eine umfassende, wahrheitsgemäße und bedeutungsvolle Aussage zu vermitteln. Daher ist es angebracht, bei der Verwendung von Angaben, die sich auf psychische oder verhaltenspsychologische Wirkungen beziehen, einen wissenschaftlichen Nachweis zu verlangen.

(35) Es sind angemessene Übergangsmaßnahmen erforderlich, damit sich die Lebensmittelunternehmer an die Bestimmungen dieser Verordnung anpassen können.“

 

5          Art. 1 („Gegenstand und Anwendungsbereich“) Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 1924/2006 bestimmt:

„(1) Mit dieser Verordnung werden die Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben harmonisiert, um das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarkts zu gewährleisten und gleichzeitig ein hohes Verbraucherschutzniveau zu bieten.

(2) Diese Verordnung gilt für nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben, die in kommerziellen Mitteilungen bei der Kennzeichnung und Aufmachung von oder bei der Werbung für Lebensmittel gemacht werden, die als solche an den Endverbraucher abgegeben werden sollen.

…“

 

6          Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) der Verordnung Nr. 1924/2006 sieht vor:

„(1) Für die Zwecke dieser Verordnung

b) gilt für ‚Nahrungsergänzungsmittel‘ die Begriffsbestimmung der Richtlinie [2002/46];

(2) Ferner bezeichnet der Ausdruck

5.         ‚gesundheitsbezogene Angabe‘ jede Angabe, mit der erklärt, suggeriert oder auch nur mittelbar zum Ausdruck gebracht wird, dass ein Zusammenhang zwischen einer Lebensmittelkategorie, einem Lebensmittel oder einem seiner Bestandteile einerseits und der Gesundheit andererseits besteht;

…“

 

7          Kapitel II („Allgemeine Grundsätze“) der Verordnung Nr. 1924/2006 enthält deren Art. 3 bis 7.

 

8          In Art. 3 („Allgemeine Grundsätze für alle Angaben“) der Verordnung Nr. 1924/2006 heißt es:

„Nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben dürfen bei der Kennzeichnung und Aufmachung von Lebensmitteln, die in der Gemeinschaft in Verkehr gebracht werden, bzw. bei der Werbung hierfür nur verwendet werden, wenn sie der vorliegenden Verordnung entsprechen.

Unbeschadet [der Richtlinie 2000/13/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. März 2000 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür (ABl. 2000, L 109, S. 29) und der Richtlinie 84/450/EWG des Rates vom 10. September 1984 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über irreführende Werbung (ABl. 1984, L 250, S. 17)] dürfen die verwendeten nährwert- und gesundheitsbezogenen Angaben

a) nicht falsch, mehrdeutig oder irreführend sein;

…“

 

9          In Art. 5 („Allgemeine Bedingungen“) der Verordnung Nr. 1924/2006 heißt es:

„(1) Die Verwendung nährwert- und gesundheitsbezogener Angaben ist nur zulässig, wenn die nachstehenden Bedingungen erfüllt sind:

a) Es ist anhand allgemein anerkannter wissenschaftlicher Nachweise nachgewiesen, dass das Vorhandensein, das Fehlen oder der verringerte Gehalt des Nährstoffs oder der anderen Substanz, auf die sich die Angabe bezieht, in einem Lebensmittel oder einer Kategorie von Lebensmitteln eine positive ernährungsbezogene Wirkung oder physiologische Wirkung hat.

(2) Die Verwendung nährwert- oder gesundheitsbezogener Angaben ist nur zulässig, wenn vom durchschnittlichen Verbraucher erwartet werden kann, dass er die positive Wirkung, wie sie in der Angabe dargestellt wird, versteht.

…“

 

10        Art. 6 („Wissenschaftliche Absicherung von Angaben“) Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 1924/2006 bestimmt:

„(1) Nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben müssen sich auf allgemein anerkannte wissenschaftliche Nachweise stützen und durch diese abgesichert sein.

(2) Ein Lebensmittelunternehmer, der eine nährwert- oder gesundheitsbezogene Angabe macht, muss die Verwendung dieser Angabe begründen.“

 

11        Kapitel IV („Gesundheitsbezogene Angaben“) der Verordnung Nr. 1924/2006 enthält deren Art. 10 bis 19.

 

12        In Art. 10 („Spezielle Bedingungen“) der Verordnung Nr. 1924/2006 heißt es:

„(1) Gesundheitsbezogene Angaben sind verboten, sofern sie nicht den allgemeinen Anforderungen in Kapitel II und den speziellen Anforderungen im vorliegenden Kapitel entsprechen, gemäß dieser Verordnung zugelassen und in die Liste der zugelassenen Angaben gemäß den Artikeln 13 und 14 aufgenommen sind.

(3) Verweise auf allgemeine, nichtspezifische Vorteile des Nährstoffs oder Lebensmittels für die Gesundheit im Allgemeinen oder das gesundheitsbezogene Wohlbefinden sind nur zulässig, wenn ihnen eine in einer der Listen nach Artikel 13 oder 14 enthaltene spezielle gesundheitsbezogene Angabe beigefügt ist.

…“

 

13        Art. 13 („Andere gesundheitsbezogene Angaben als Angaben über die Reduzierung eines Krankheitsrisikos sowie die Entwicklung und die Gesundheit von Kindern“) der Verordnung Nr. 1924/2006 bestimmt:

„(1) In der in Absatz 3 vorgesehenen Liste genannte gesundheitsbezogene Angaben, die

a) die Bedeutung eines Nährstoffs oder einer anderen Substanz für Wachstum, Entwicklung und Körperfunktionen,

b) die psychischen Funktionen oder Verhaltensfunktionen …

beschreiben oder darauf verweisen, dürfen gemacht werden, ohne den Verfahren der Artikel 15 bis 19 zu unterliegen, wenn sie

i) sich auf allgemein anerkannte wissenschaftliche Nachweise stützen und

ii) vom durchschnittlichen Verbraucher richtig verstanden werden.

(2) Die Mitgliedstaaten übermitteln der [Europäischen] Kommission spätestens am 31. Januar 2008 Listen von Angaben gemäß Absatz 1 zusammen mit den für sie geltenden Bedingungen und mit Hinweisen auf die entsprechende wissenschaftliche Absicherung.

(3) Nach Anhörung der [EFSA] verabschiedet die Kommission nach dem in Artikel 25 Absatz 3 genannten Regelungsverfahren mit Kontrolle spätestens am 31. Januar 2010 als Änderung nicht wesentlicher Bestimmungen dieser Verordnung durch Ergänzung eine Gemeinschaftsliste zulässiger Angaben gemäß Absatz 1 sowie alle für die Verwendung dieser Angaben notwendigen Bedingungen.

(4) Änderungen an der in Absatz 3 genannten Liste, die auf allgemein anerkannten wissenschaftlichen Nachweisen beruhen, und zur Änderung nicht wesentlicher Elemente dieser Verordnung durch Ergänzung werden nach Anhörung der [EFSA] auf eigene Initiative der Kommission oder auf Antrag eines Mitgliedstaats nach dem in Artikel 25 Absatz 3 genannten Regelungsverfahren mit Kontrolle erlassen.

(5) Weitere Angaben, die auf neuen wissenschaftlichen Nachweisen beruhen und/oder einen Antrag auf den Schutz geschützter Daten enthalten, werden nach dem Verfahren des Artikels 18 in die in Absatz 3 genannte Liste aufgenommen, mit Ausnahme der Angaben über die Entwicklung und die Gesundheit von Kindern, die nach dem Verfahren der Artikel 15, 16, 17 und 19 zugelassen werden.“

 

14        Art. 14 („Angaben über die Verringerung eines Krankheitsrisikos sowie Angaben über die Entwicklung und die Gesundheit von Kindern“) der Verordnung Nr. 1924/2006 sieht vor:

„(1) Ungeachtet des Artikels 2 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie [2000/13] können die folgenden Angaben gemacht werden, wenn sie nach dem Verfahren der Artikel 15, 16, 17 und 19 der vorliegenden Verordnung zur Aufnahme in eine Gemeinschaftsliste zulässiger Angaben und aller erforderlichen Bedingungen für die Verwendung dieser Angaben zugelassen worden sind:

a) Angaben über die Verringerung eines Krankheitsrisikos,

b) Angaben über die Entwicklung und die Gesundheit von Kindern.

(2) Zusätzlich zu den allgemeinen Anforderungen dieser Verordnung und den spezifischen Anforderungen in Absatz 1 muss bei Angaben über die Verringerung eines Krankheitsrisikos die Kennzeichnung oder, falls diese Kennzeichnung fehlt, die Aufmachung der Lebensmittel und die Lebensmittelwerbung außerdem eine Erklärung dahin gehend enthalten, dass die Krankheit, auf die sich die Angabe bezieht, durch mehrere Risikofaktoren bedingt ist und dass die Veränderung eines dieser Risikofaktoren eine positive Wirkung haben kann oder auch nicht.“

 

15        Art. 15 („Beantragung der Zulassung“) Abs. 3 der Verordnung Nr. 1924/2006 bestimmt:

„Der Antrag muss Folgendes enthalten:

c) eine Kopie der Studien einschließlich – soweit verfügbar – unabhängiger und nach dem Peer-Review-Verfahren erstellter Studien zu der gesundheitsbezogenen Angabe sowie alle sonstigen verfügbaren Unterlagen, aus denen hervorgeht, dass die gesundheitsbezogene Angabe die Kriterien dieser Verordnung erfüllt;

e) eine Kopie anderer wissenschaftlicher Studien, die für die gesundheitsbezogene Angabe relevant sind;

f) einen Vorschlag für die Formulierung der gesundheitsbezogenen Angabe, deren Zulassung beantragt wird, gegebenenfalls einschließlich spezieller Bedingungen für die Verwendung;

…“

 

16        In Art. 16 („Stellungnahme der [EFSA]“) Abs. 3 und 5 der Verordnung Nr. 1924/2006 heißt es:

„(3) Zur Vorbereitung ihrer Stellungnahme überprüft die [EFSA], ob

a) die gesundheitsbezogene Angabe durch wissenschaftliche Nachweise abgesichert ist;

b) die Formulierung der gesundheitsbezogenen Angabe den Kriterien dieser Verordnung entspricht.

(5) Die Behörde übermittelt der Kommission, den Mitgliedstaaten und dem Antragsteller ihre Stellungnahme einschließlich eines Berichts mit der Beurteilung der gesundheitsbezogenen Angabe, einer Begründung ihrer Stellungnahme und über die Informationen, auf denen ihre Stellungnahme beruht.“

 

17        Art. 17 („Gemeinschaftszulassung“) Abs. 1 und 5 der Verordnung Nr. 1924/2006 sieht vor:

„(1) Innerhalb von zwei Monaten nach Erhalt der Stellungnahme der [EFSA] legt die Kommission dem in Artikel 23 Absatz 2 genannten Ausschuss einen Entwurf für eine Entscheidung über die Listen der zugelassenen gesundheitsbezogenen Angaben vor, wobei die Stellungnahme der [EFSA], alle einschlägigen Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts und andere für den jeweils zu prüfenden Sachverhalt relevante legitime Faktoren berücksichtigt werden. Stimmt der Entwurf der Entscheidung nicht mit der Stellungnahme der [EFSA] überein, so erläutert die Kommission die Gründe für die Abweichung.

(5) Gesundheitsbezogene Angaben, die in den Listen nach den Artikeln 13 und 14 enthalten sind, können von jedem Lebensmittelunternehmer unter den für sie geltenden Bedingungen verwendet werden, wenn ihre Verwendung nicht nach Artikel 21 eingeschränkt ist.

…“

 

18        In Art. 18 („Angaben gemäß Artikel 13 Absatz 5“) der Verordnung Nr. 1924/2006 heißt es:

„(1) Ein Lebensmittelunternehmer, der eine gesundheitsbezogene Angabe zu verwenden beabsichtigt, die nicht in der in Artikel 13 Absatz 3 vorgesehenen Liste aufgeführt ist, kann die Aufnahme der Angabe in diese Liste beantragen.

(3) Der gültige Antrag, der gemäß den in Artikel 15 Absatz 5 genannten Anweisungen erstellt wurde, sowie alle vom Antragsteller übermittelten Informationen werden unverzüglich der [EFSA] für eine wissenschaftliche Bewertung sowie der Kommission und den Mitgliedstaaten zur Kenntnisnahme übermittelt. …

…“

 

19        Art. 28 („Übergangsmaßnahmen“) der Verordnung Nr. 1924/2006 bestimmt:

„…

(5) Gesundheitsbezogene Angaben im Sinne des Artikels 13 Absatz 1 Buchstabe a dürfen ab Inkrafttreten dieser Verordnung bis zur Annahme der in Artikel 13 Absatz 3 genannten Liste unter der Verantwortung von Lebensmittelunternehmern verwendet werden, sofern die Angaben dieser Verordnung und den einschlägigen einzelstaatlichen Vorschriften entsprechen; dies gilt unbeschadet der Annahme von Schutzmaßnahmen gemäß Artikel 24.

(6) Für gesundheitsbezogene Angaben, die nicht unter Artikel 13 Absatz 1 Buchstabe a und Artikel 14 Absatz 1 Buchstabe a fallen und unter Beachtung der nationalen Rechtsvorschriften vor dem Inkrafttreten dieser Verordnung verwendet wurden, gilt Folgendes:

a) Gesundheitsbezogene Angaben, die in einem Mitgliedstaat einer Bewertung unterzogen und zugelassen wurden, werden nach folgendem Verfahren zugelassen:

i) Die Mitgliedstaaten übermitteln der Kommission spätestens bis zum 31. Januar 2008 die betreffenden Angaben sowie den Bericht mit der Bewertung der zur Absicherung der Angaben vorgelegten wissenschaftlichen Daten;

ii) nach Anhörung der [EFSA] fasst die Kommission nach dem in Artikel 25 Absatz 3 genannten Regelungsverfahren mit Kontrolle einen Beschluss über die gesundheitsbezogenen Angaben, die auf diese Weise zugelassen wurden, zur Änderung nicht wesentlicher Bestimmungen dieser Verordnung durch Ergänzung.

Gesundheitsbezogene Angaben, die nicht nach diesem Verfahren zugelassen wurden, dürfen bis zu sechs Monate nach Erlass des Beschlusses weiterverwendet werden.

b) Gesundheitsbezogene Angaben, die keiner Bewertung in einem Mitgliedstaat unterzogen und nicht zugelassen wurden, dürfen weiterhin verwendet werden, sofern vor dem 19. Januar 2008 ein Antrag nach dieser Verordnung gestellt wird; gesundheitsbezogene Angaben, die nicht nach diesem Verfahren zugelassen wurden, dürfen bis zu sechs Monate nach einer Entscheidung im Sinne des Artikels 17 Absatz 3 weiterverwendet werden.“

 

Verordnung (EU) Nr. 432/2012

20        In den Erwägungsgründen 10 und 11 der Verordnung (EU) Nr. 432/2012 der Kommission vom 16. Mai 2012 zur Festlegung einer Liste zulässiger anderer gesundheitsbezogener Angaben über Lebensmittel als Angaben über die Reduzierung eines Krankheitsrisikos sowie die Entwicklung und die Gesundheit von Kindern (ABl. 2012, L 136, S. 1) heißt es:

„(10) Aus den zur Bewertung vorgelegten Angaben hat die Kommission eine Reihe von Angaben ermittelt, die sich auf die Wirkung pflanzlicher Stoffe beziehen und die gemeinhin als ‚Botanicals‘ bezeichnet werden; diese müssen von der [EFSA] erst noch wissenschaftlich bewertet werden. Bestimmte andere gesundheitsbezogene Angaben müssen ferner erneut bewertet werden, bevor die Kommission über ihre Aufnahme in die Liste zulässiger Angaben befinden kann, bzw. über andere bereits bewertete Angaben kann die Kommission aus anderen gerechtfertigten Gründen zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht abschließend befinden.

(11) Angaben, deren Bewertung durch die [EFSA] oder deren Prüfung durch die Kommission noch nicht abgeschlossen ist, werden auf der Kommissions-Website … veröffentlicht und dürfen gemäß Artikel 28 Absätze 5 und 6 der Verordnung [Nr. 1924/2006] weiterverwendet werden.“

 

Verordnung (EU) Nr. 536/2013

21        Im neunten Erwägungsgrund der Verordnung (EU) Nr. 536/2013 der Kommission vom 11. Juni 2013 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 432/2012 zur Festlegung einer Liste zulässiger anderer gesundheitsbezogener Angaben über Lebensmittel als Angaben über die Reduzierung eines Krankheitsrisikos sowie die Entwicklung und die Gesundheit von Kindern (ABl. 2013, L 160, S. 4) heißt es:

„Damit Transparenz und Rechtssicherheit für alle Beteiligten gewährleistet sind, bleiben Angaben, deren Prüfung noch nicht abgeschlossen ist, weiterhin auf der Website der Kommission veröffentlicht … und dürfen gemäß Artikel 28 Absätze 5 und 6 der Verordnung [Nr. 1924/2006] weiterverwendet werden.“

 

Deutsches Recht

22        § 3 („Verbot unlauterer geschäftlicher Handlungen“) des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb vom 3. Juli 2004 (UWG) (BGBl. I S. 1414) in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung bestimmt:

„(1) Unlautere geschäftliche Handlungen sind unzulässig.

(2) Geschäftliche Handlungen, die sich an Verbraucher richten oder diese erreichen, sind unlauter, wenn sie nicht der unternehmerischen Sorgfalt entsprechen und dazu geeignet sind, das wirtschaftliche Verhalten des Verbrauchers wesentlich zu beeinflussen.

…“

 

23        § 3a („Rechtsbruch“) UWG lautet:

„Unlauter handelt, wer einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln, und der Verstoß geeignet ist, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen.“

 

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

24        Novel Nutriology vertreibt ein Nahrungsergänzungsmittel (im Folgenden: betreffendes Produkt), für das sie unter Verwendung folgender Angaben über dessen Inhaltsstoffe „Safran-Extrakt“ und „Melonensaft-Extrakt“ auf ihrer Website warb:

„1. stimmungsaufhellendes Safranextrakt.

2. Das Safran-Extrakt Safr’Inside in [dem betreffenden Produkt] wurde an 50 Teilnehmern über einen Zeitraum von 30 Tagen in einer Open Study getestet. Mit einer Dosis von 30 mg Safr’Inside pro Tag erlebten 77 % der Probanden nach nur zwei Wochen Einnahme eine Verbesserung des emotionalen Gleichgewichts, fühlten sich optimistischer und glücklicher. 66 % fühlten sich auch entspannter und dynamischer. Nach 30 Tagen verbesserte sich bei 11 % der Probanden die Schlafqualität.

3. Melonensaft-Extrakt mit Superoxid-Dismutase-Aktivität hat in Studien unter Beweis gestellt, dass nach vier Wochen Stressgefühle und Erschöpfung abnahmen. Außerdem wurde die Reizbarkeit und Erschöpfung um 63 % reduziert, was zu einer deutlichen Verbesserung der Lebensqualität führte.“

 

25        VSW, ein Wirtschaftsverband nach deutschem Recht, zu dessen satzungsmäßigen Aufgaben u. a. die Wahrung der gewerblichen Interessen seiner Mitglieder gehört, vertrat die Auffassung, dass diese Angaben nach Art. 10 der Verordnung Nr. 1924/2006 unzulässig seien. Er forderte Novel Nutriology daher mit Schreiben vom 23. Oktober 2019 zur Abgabe einer Unterlassungserklärung auf.

 

26        Da Novel Nutriology dieser Aufforderung nicht nachkam, erhob VSW beim Landgericht Hamburg (Deutschland) Klage mit dem Antrag, Novel Nutriology unter Androhung von Ordnungsmitteln zu untersagen, für das betreffende Produkt im geschäftlichen Verkehr unter Verwendung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Angaben zu werben.

 

27        Nachdem das Landgericht Hamburg der Klage stattgegeben hatte, legte Novel Nutriology gegen dessen Urteil beim Oberlandesgericht Hamburg (Deutschland) Berufung ein, die zurückgewiesen wurde.

 

28        Gegen das Urteil dieses Gerichts legte Novel Nutriology beim Bundesgerichtshof (Deutschland), dem vorlegenden Gericht, Revision ein.

 

29        Das vorlegende Gericht weist zum einen darauf hin, dass gemäß Art. 10 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1924/2006 gesundheitsbezogene Angaben verboten seien, sofern sie nicht den allgemeinen Anforderungen in Kapitel II dieser Verordnung und den speziellen Anforderungen in Kapitel IV der Verordnung entsprächen, gemäß dieser Verordnung zugelassen seien und in die Liste der zugelassenen Angaben gemäß den Art. 13 und 14 der Verordnung aufgenommen seien.

 

30        Zum anderen seien gemäß Art. 10 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1924/2006 Verweise auf allgemeine, nicht spezifische Vorteile des Nährstoffs oder Lebensmittels für die Gesundheit im Allgemeinen oder das gesundheitsbezogene Wohlbefinden nur zulässig, wenn ihnen eine in einer der Listen nach Art. 13 oder 14 dieser Verordnung enthaltene spezielle gesundheitsbezogene Angabe beigefügt sei.

 

31        Das Oberlandesgericht Hamburg habe rechtsfehlerfrei entschieden, dass es sich bei den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Angaben um „gesundheitsbezogene Angaben“ im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Nr. 5 und Art. 10 Abs. 1 und 3 der Verordnung Nr. 1924/2006 handele. Jedoch sei nicht geklärt, ob Art. 10 Abs. 1 und 3 dieser Verordnung auf gesundheitsbezogene Angaben über pflanzliche Stoffe anwendbar sei, bevor die EFSA und die Kommission die Prüfung dieser Angaben im Hinblick auf ihre etwaige Aufnahme in die Listen nach Art. 13 und 14 der Verordnung abgeschlossen hätten.

 

32        Von der Antwort auf diese Frage hänge die Entscheidung im Ausgangsverfahren ab, da, falls Art. 10 Abs. 1 und 3 der Verordnung Nr. 1924/2006 anwendbar sei, dem Antrag von VSW, Novel Nutriology die Werbung für das betreffende Produkt unter Verwendung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Angaben zu untersagen, aufgrund des Verbots dieser Angaben nach dieser Verordnung stattzugeben sei.

 

33        Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass Art. 10 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1924/2006 nach der von einem Teil der deutschen Gerichte vertretenen Auslegung unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens nicht anwendbar sei. Danach habe der Unionsgesetzgeber nur ein eingeschränktes Verbot allgemeiner, nicht spezifischer gesundheitsbezogener Angaben geregelt, wonach allgemeine gesundheitsbezogene Verweise nur untersagt seien, wenn sie ohne die Beifügung von in einer der Listen nach Art. 13 oder 14 dieser Verordnung enthaltenen speziellen Angaben erfolgten, was voraussetze, dass diese Listen erstellt würden.

 

34        Aufgrund der Aussetzung der Prüfung der Angaben über „Botanicals“ durch die EFSA und die Kommission sei es dem Lebensmittelunternehmer unmöglich, eine Entscheidung über spezifische gesundheitsbezogene Angaben zu erlangen; es könnten deshalb auch keine solchen gesundheitsbezogenen Angaben einem unspezifischen gesundheitsbezogenen Verweis beigefügt werden.

 

35        Die Unanwendbarkeit dieser Bestimmungen, solange die Untätigkeit der Kommission andauere, beziehe sich auch auf den Fall, dass die betroffene Person keinen Antrag auf Eintragung gesundheitsbezogener Angaben in die Listen nach Art. 13 oder 14 der Verordnung Nr. 1924/2006 gestellt habe, da wegen der Aussetzung der Prüfung von gesundheitsbezogenen Angaben über pflanzliche Stoffe ein solcher Antrag in absehbarer Zukunft ohne jede Aussicht auf Erfolg sei.

 

36        Für eine Unanwendbarkeit von Art. 10 Abs. 1 und 3 der Verordnung Nr. 1924/2006 spreche darüber hinaus, dass in der jahrelangen Untätigkeit der Kommission eine unverhältnismäßige Einschränkung der unternehmerischen Freiheit im Sinne von Art. 16 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) sowie eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung gegenüber den Werbemöglichkeiten von Wettbewerbern gesehen werden könnte, deren Anträge auf Aufnahme von gesundheitsbezogenen Angaben in die Listen nach Art. 13 oder 14 dieser Verordnung Stoffe beträfen, die von der EFSA bewertet und von der Kommission geprüft würden.

 

37        Nach einer zweiten Auslegung, die das vorlegende Gericht als von den deutschen Gerichten „überwiegend“ vertreten einstuft, sei Art. 10 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1924/2006 auf pflanzliche Stoffe anwendbar. Den Vorgaben dieser Bestimmung sei jedoch dann genügt, wenn Verweisen auf allgemeine, nicht spezifische Vorteile eines solchen Stoffs eine spezielle gesundheitsbezogene Angabe beigefügt werde, die nach den Voraussetzungen von Art. 28 Abs. 5 und 6 dieser Verordnung verwendet werden dürfe.

 

38        Für diese Ansicht spreche, dass der Wortlaut von Art. 10 Abs. 1 und 3 der Verordnung nicht danach differenziere, ob sich die Angaben auf „Botanicals“ bezögen oder nicht.

 

39        Außerdem spreche eine teleologische Auslegung dagegen, die Werbung mit unspezifischen gesundheitsbezogenen Angaben über „Botanicals“ ohne eine abgeschlossene wissenschaftliche Bewertung der beizufügenden speziellen gesundheitsbezogenen Angaben vollständig von den in Art. 10 Abs. 1 und 3 der Verordnung vorgesehenen Einschränkungen freizustellen. Es bestehe nämlich die Gefahr, dass Verbraucher Nahrungsergänzungsmittel und pflanzliche Arzneimittel nicht auseinanderhalten könnten und es so – entgegen der Intention des Unionsgesetzgebers – durch die Anwendung von Nahrungsergänzungsmitteln mit ungeprüften gesundheitsbezogenen Angaben weiterhin zu einer gesundheitlichen Gefährdung der Patienten kommen könne.

 

40        Überdies könnte dem berechtigten Interesse der Lebensmittelunternehmer an der Verwendung gesundheitsbezogener Angaben über „Botanicals“ dadurch hinreichend Rechnung getragen worden sein, dass die Kommission im elften Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 432/2012 und im neunten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 536/2013 darauf hingewiesen habe, dass gesundheitsbezogene Angaben, deren Prüfung noch nicht abgeschlossen sei, weiterhin auf der Website der Kommission veröffentlicht würden und gemäß Art. 28 Abs. 5 und 6 der Verordnung Nr. 1924/2006 weiter verwendet werden dürften.

 

41        Schließlich dürften die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden gesundheitsbezogenen Angaben, die sich auf psychische Funktionen im Sinne von Art. 13 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung bezögen, nicht gemäß Art. 28 Abs. 6 Buchst. b der Verordnung weiterverwendet werden, da Novel Nutriology für sie vor dem 19. Januar 2008 keinen Antrag auf Zulassung nach dieser Verordnung gestellt habe. Das Oberlandesgericht Hamburg habe – ohne dass dies im Rahmen der Revision angegriffen worden sei – festgestellt, dass Novel Nutriology für den in dem betreffenden Produkt enthaltenen Melonensaft-Extrakt keinen Antrag gestellt habe und dass ihr Antrag für den Inhaltsstoff Safran-Extrakt vom 13. Januar 2009 datiere.

 

42        Vor diesem Hintergrund hat der Bundesgerichtshof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Darf für pflanzliche Stoffe („Botanicals“) mit gesundheitsbezogenen Angaben (Art. 10 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1924/2006) bzw. mit Verweisen auf allgemeine, nicht spezifische Vorteile des Nährstoffs oder Lebensmittels für die Gesundheit im Allgemeinen oder das gesundheitsbezogene Wohlbefinden (Art. 10 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1924/2006) geworben werden, ohne dass diese Angaben gemäß dieser Verordnung zugelassen und in die Liste der zugelassenen Angaben gemäß den Art. 13 und 14 der Verordnung aufgenommen sind (Art. 10 Abs. 1 der Verordnung) bzw. ohne dass diesen Verweisen eine in einer der Listen nach den Art. 13 oder 14 der Verordnung Nr. 1924/2006 enthaltene spezielle gesundheitsbezogene Angabe beigefügt ist (Art. 10 Abs. 3 dieser Verordnung), solange die Bewertung der EFSA und die Prüfung der Kommission über die Aufnahme der zu „Botanicals“ angemeldeten Angaben in die Gemeinschaftslisten gemäß den Art. 13 und 14 der Verordnung Nr. 1924/2006 noch nicht abgeschlossen sind?

 

Zur Vorlagefrage

43        Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 10 Abs. 1 und 3 der Verordnung Nr. 1924/2006 dahin auszulegen ist, dass er dem entgegensteht, im Rahmen der kommerziellen Werbung für ein aus „Botanicals“ bestehendes Nahrungsergänzungsmittel im Sinne der Verordnung Nr. 432/2012 spezielle gesundheitsbezogene Angaben über solche Stoffe zu verwenden oder auf allgemeine, nicht spezifische Vorteile solcher Stoffe für die Gesundheit im Allgemeinen und das gesundheitsbezogene Wohlbefinden zu verweisen, solange die Kommission die Prüfung der gesundheitsbezogenen Angaben über pflanzliche Stoffe im Hinblick auf ihre Aufnahme in eine der Listen der zugelassenen gesundheitsbezogenen Angaben nach den Art. 13 und 14 der Verordnung Nr. 1924/2006 nicht abgeschlossen hat, wenn den Verweisen keine in diesen Listen enthaltene spezielle gesundheitsbezogene Angabe beigefügt ist.

 

44        Nach ihrem Art. 1 Abs. 2 gilt die Verordnung Nr. 1924/2006 für nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben in kommerziellen Mitteilungen über Lebensmittel, die als solche an den Endverbraucher abgegeben werden sollen, und zwar, wie sich aus Art. 2 Abs. 1 Buchst. b in Verbindung mit Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2002/46 ergibt, unter Einschluss von Nahrungsergänzungsmitteln.

 

45        Gemäß Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1924/2006 dürfen solche Angaben bei der Kennzeichnung und Aufmachung von Lebensmitteln, die in der Europäischen Union in Verkehr gebracht werden, bzw. bei der Werbung hierfür nur verwendet werden, wenn sie dieser Verordnung entsprechen.

 

46        In diesem Zusammenhang ist als Erstes darauf hinzuweisen, dass die speziellen Anforderungen an gesundheitsbezogene Angaben in Kapitel IV der Verordnung Nr. 1924/2006 aufgeführt sind, zu dem deren Art. 10 Abs. 1 gehört, wonach gesundheitsbezogene Angaben verboten sind, sofern sie nicht zum einen den allgemeinen Anforderungen in Kapitel II dieser Verordnung und den speziellen Anforderungen in deren Kapitel IV entsprechen, und zum anderen gemäß dieser Verordnung zugelassen und in die Liste der zugelassenen Angaben gemäß Art. 13 oder Art. 14 der Verordnung aufgenommen sind.

 

47        Somit enthält Art. 10 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1924/2006 ein grundsätzliches Verbot gesundheitsbezogener Angaben, mit Ausnahme derjenigen, die in die Listen der zugelassenen Angaben gemäß Art. 13 oder Art. 14 dieser Verordnung aufgenommen sind (Urteil vom 30. Januar 2020, Dr. Willmar Schwabe, C‑524/18, EU:C:2020:60, Rn. 37).

 

48        Ferner bestimmt Art. 10 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1924/2006, dass Verweisen auf allgemeine, nicht spezifische Vorteile eines Nährstoffs oder Lebensmittels für die Gesundheit eine in einer der Listen nach Art. 13 oder Art. 14 dieser Verordnung enthaltene spezielle gesundheitsbezogene Angabe beigefügt ist.

 

49        Demnach wird in Art. 10 der Verordnung Nr. 1924/2006 zwischen zwei Kategorien gesundheitsbezogener Angaben unterschieden, nämlich zwischen speziellen gesundheitsbezogenen Angaben nach Art. 10 Abs. 1 der Verordnung zum einen und „allgemeinen“ gesundheitsbezogenen Angaben, die Verweise auf die allgemeinen, nicht spezifischen Vorteile für die Gesundheit im Allgemeinen im Sinne von Art. 10 Abs. 3 der Verordnung darstellen, zum anderen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 30. Januar 2020, Dr. Willmar Schwabe, C‑524/18, EU:C:2020:60, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

50        Mithin ist die Verwendung einer speziellen gesundheitsbezogenen Angabe nur zulässig, wenn diese in eine der Listen der zugelassenen gesundheitsbezogenen Angaben nach Art. 13 Abs. 3 oder Art. 14 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1924/2006 aufgenommen ist, und jeder allgemeinen gesundheitsbezogenen Angabe ist eine solche spezielle Angabe beizufügen.

 

51        Als Zweites ist festzustellen, dass die Aufnahme spezifischer gesundheitsbezogener Angaben in diese Listen verschiedenen Zulassungsverfahren unterliegt, mit denen u. a., wie sich aus Art. 6 der Verordnung Nr. 1924/2006 im Licht ihres 23. Erwägungsgrundes ergibt, sichergestellt werden soll, dass diese Angaben wissenschaftlich abgesichert sind.

 

52        Was insbesondere gesundheitsbezogene Angaben betrifft, die psychische Funktionen oder Verhaltensfunktionen beschreiben oder darauf verweisen, zu denen nach Ansicht des vorlegenden Gerichts die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Angaben gehören, erlaubt Art. 13 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1924/2006 im Licht des 24. Erwägungsgrundes dieser Verordnung die Verwendung solcher Angaben, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind, darunter zum einen, dass sie sich auf allgemein anerkannte wissenschaftliche Nachweise stützen, und zum anderen, dass sie vom durchschnittlichen Verbraucher richtig verstanden werden.

 

53        Das Erfordernis, dass zugelassene gesundheitsbezogene Angaben, die psychische Funktionen oder Verhaltensfunktionen beschreiben oder darauf verweisen, in die Liste nach Art. 13 der Verordnung Nr. 1924/2006 aufgenommen werden müssen, ist daher durch die Notwendigkeit gerechtfertigt, die wissenschaftliche Absicherung und ein richtiges Verständnis solcher Angaben zu gewährleisten, die in kommerziellen Mitteilungen über Lebensmittel gemacht werden, die als solche an den Endverbraucher abgegeben werden sollen.

 

54        Als Drittes war die Kommission nach Art. 13 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1924/2006 verpflichtet, die EFSA anzuhören, um spätestens am 31. Januar 2010 die Liste zulässiger gesundheitsbezogener Angaben gemäß Art. 13 Abs. 1 der Verordnung zu verabschieden.

 

55        Allerdings wurde, wie die Kommission in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof eingeräumt hat, die Bewertung der gesundheitsbezogenen Angaben über pflanzliche Stoffe ausgesetzt und die Liste dieser Angaben ist noch nicht erstellt worden.

 

56        Außerdem heißt es im neunten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 536/2013 im Wesentlichen, dass gesundheitsbezogene Angaben, deren Prüfung noch nicht abgeschlossen ist, weiterhin auf der Website der Kommission veröffentlicht bleiben und gemäß den in Art. 28 Abs. 5 und 6 der Verordnung Nr. 1924/2006 vorgesehenen Übergangsmaßnahmen weiterverwendet werden dürfen.

 

57        Die in Art. 13 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1924/2006 genannten gesundheitsbezogenen Angaben, die psychische Funktionen oder Verhaltensfunktionen beschreiben oder darauf verweisen, fallen unter Art. 28 Abs. 6 dieser Verordnung, sofern sie unter Beachtung der nationalen Rechtsvorschriften vor dem Inkrafttreten der Verordnung verwendet wurden.

 

58        Im vorliegenden Fall geht das vorlegende Gericht, wie sich oben aus Rn. 41 ergibt, von der Prämisse aus, dass für die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden speziellen gesundheitsbezogenen Angaben die Übergangsregelung nach Art. 28 Abs. 6 Buchst. b der Verordnung Nr. 1924/2006 gilt.

 

59        Nach dieser Bestimmung dürfen u. a. gesundheitsbezogene Angaben im Sinne von Art. 13 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1924/2006, die keiner Bewertung in einem Mitgliedstaat unterzogen und nicht zugelassen wurden, weiterhin verwendet werden, sofern vor dem 19. Januar 2008 ein Antrag nach dieser Verordnung gestellt wurde.

 

60        Wie sich allerdings oben aus Rn. 41 ergibt, führt das vorlegende Gericht im vorliegenden Fall aus, dass für die eine der beiden im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Angaben ein verspäteter Antrag nach Art. 28 Abs. 6 Buchst. b der Verordnung Nr. 1924/2006 und für die andere Angabe gar kein Antrag gestellt worden sei.

 

61        Folglich kann die Verwendung von Angaben wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht nach der in Art. 28 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1924/2006 vorgesehenen Übergangsregelung, sondern allenfalls nach Art. 10 Abs. 1 und 3 dieser Verordnung zulässig sein. Die Verwendung solcher Angaben ist also nicht zulässig, solange die Kommission ihre Bewertung nicht abgeschlossen hat.

 

62        Eine solche Auslegung ist umso mehr gerechtfertigt, als der Unionsgesetzgeber in Art. 28 der Verordnung Nr. 1924/2006 ausdrücklich Übergangsmaßnahmen vorgesehen hat, damit, wie es im 35. Erwägungsgrund dieser Verordnung heißt, sich die Lebensmittelunternehmer an die Bestimmungen der Verordnung anpassen können.

 

63        Diese Auslegung wird durch das Ziel der Verordnung Nr. 1924/2006 bestätigt, die, wie in ihrem Art. 1 Abs. 1 ausgeführt wird, das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarkts und gleichzeitig dem Verbraucher ein hohes Schutzniveau u. a. beim Schutz gegen irreführende Angaben gewährleisten soll, indem ihm die Wahl dadurch erleichtert wird, dass die im Handel befindlichen Produkte sicher sind und eine angemessene Kennzeichnung aufweisen. Außerdem gehört nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs auch der Schutz der Gesundheit zu den Hauptzielen der Verordnung (Urteil vom 30. Januar 2020, Dr. Willmar Schwabe, C‑524/18, EU:C:2020:60, Rn. 35 und 55 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

 

64        Um den Zielen der Gewährleistung eines hohen Verbraucherschutzniveaus und des Schutzes der menschlichen Gesundheit gerecht zu werden, sind u. a. dem Verbraucher die für eine sachkundige Entscheidung notwendigen Informationen zu liefern (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Juli 2016, Verband Sozialer Wettbewerb, C‑19/15, EU:C:2016:563, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

65        Daher sollten gesundheitsbezogene Angaben, wie es im 23. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1924/2006 heißt, für die Verwendung in der Union nur nach einer wissenschaftlichen Bewertung auf höchstmöglichem Niveau zugelassen werden, die, damit eine einheitliche Bewertung gewährleistet ist, die EFSA vornehmen sollte (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 30. Januar 2020, Dr. Willmar Schwabe, C‑524/18, EU:C:2020:60, Rn. 55).

 

66        Unter diesen Umständen ist Art. 10 Abs. 1 und 3 der Verordnung Nr. 1924/2006 dahin auszulegen, dass er dem entgegensteht, dass ein Lebensmittelunternehmer gesundheitsbezogene Angaben über pflanzliche Stoffe verwendet, solange die Kommission die Prüfung solcher Angaben zum Zweck ihrer Aufnahme in die Listen zugelassener gesundheitsbezogener Angaben nicht abgeschlossen hat, es sei denn, eine solche Verwendung ist nach den in dieser Verordnung vorgesehenen Übergangsmaßnahmen zulässig.

 

67        Diese Auslegung wird durch den in Art. 16 der Charta verankerten Grundsatz der unternehmerischen Freiheit nicht in Frage gestellt.

 

68        Dieser Grundsatz, der die Freiheit, eine Wirtschafts- oder Geschäftstätigkeit auszuüben, die Freiheit, in den Grenzen der unternehmerischen Verantwortlichkeit für das eigene Handeln über die unternehmenseigenen wirtschaftlichen, technischen und finanziellen Ressourcen verfügen zu können, und die Vertragsfreiheit schützt (Urteil vom 27. Juni 2024, Gestore dei Servizi Energetici, C‑148/23, EU:C:2024:555, Rn. 62 und die dort angeführte Rechtsprechung), wird nämlich nicht absolut gewährleistet, sondern ist im Zusammenhang mit seiner gesellschaftlichen Funktion zu sehen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. Februar 2024, cdVet Naturprodukte, C‑13/23, EU:C:2024:175, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

69        Außerdem lässt Art. 52 Abs. 1 der Charta bei der Ausübung der von ihr verbürgten Rechte und Freiheiten Einschränkungen zu, sofern sie gesetzlich vorgesehen sind, den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten, unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erforderlich sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.

 

70        Schließlich ist bei der Beurteilung dieser Einschränkungen, wenn sich mehrere durch die Unionsrechtsordnung geschützte Rechte gegenüberstehen, darauf zu achten, dass die Erfordernisse des Schutzes dieser verschiedenen Rechte miteinander in Einklang gebracht werden müssen und dass ein angemessenes Gleichgewicht zwischen ihnen besteht (Urteil vom 29. Februar 2024, cdVet Naturprodukte, C‑13/23, EU:C:2024:175, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

71        Im vorliegenden Fall ist erstens festzustellen, dass das Erfordernis, dass die speziellen gesundheitsbezogenen Angaben zuvor zugelassen und in eine der Listen nach den Art. 13 und 14 der Verordnung Nr. 1924/2006 aufgenommen wurden, den Lebensmittelunternehmern, die pflanzliche Stoffe enthaltende Lebensmittel vermarkten, nicht jede Möglichkeit nimmt, solche Lebensmittel in Verkehr zu bringen, sondern lediglich verbietet, für diese Lebensmittel mit gesundheitsbezogenen Angaben zu werben, die nicht zuvor gemäß dieser Verordnung bewertet und zugelassen wurden.

 

72        Der Umstand, dass gesundheitsbezogene Angaben über pflanzliche Stoffe nicht zugelassen werden können, solange die Kommission ihre Prüfung im Hinblick auf eine etwaige Aufnahme in die Listen zugelassener gesundheitsbezogener Angaben nicht abgeschlossen hat, stellt ferner kein Hindernis dafür dar, diese Angaben überhaupt verwenden zu können. Wie sich nämlich aus den Rn. 57 bis 59 des vorliegenden Urteils ergibt, hat der Unionsgesetzgeber Übergangsmaßnahmen vorgesehen, mit denen solchen Unternehmen die Möglichkeit eingeräumt werden soll, derartige Angaben zu verwenden. Dies gilt insbesondere für gesundheitsbezogene Angaben, die – wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden – psychische Funktionen oder Verhaltensfunktionen beschreiben oder darauf verweisen und die gemäß Art. 28 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1924/2006 weiterverwendet werden dürfen, sofern der betreffende Unternehmer die in dieser Bestimmung vorgesehenen Anforderungen erfüllt.

 

73        Unter diesen Umständen wird, wie der Generalanwalt in Nr. 43 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, durch die Anwendung von Art. 10 Abs. 1 und 3 der Verordnung Nr. 1924/2006 auf gesundheitsbezogene Angaben über pflanzliche Stoffe, die psychische Funktionen oder Verhaltensfunktionen beschreiben oder darauf verweisen, der Wesensgehalt der unternehmerischen Freiheit nicht angetastet.

 

74        Zweitens steht, wie in den Rn. 63 bis 66 des vorliegenden Urteils ausgeführt, das Verbot, für pflanzliche Stoffe enthaltende Lebensmittel mit gesundheitsbezogenen Angaben zu werben, die nicht zuvor gemäß dieser Verordnung bewertet und zugelassen wurden, mit dem Ziel des Schutzes der menschlichen Gesundheit und des Verbraucherschutzes in Einklang.

 

75        Nach ständiger Rechtsprechung ist dem Schutz der Gesundheit gegenüber wirtschaftlichen Erwägungen vorrangige Bedeutung beizumessen, die negative wirtschaftliche Folgen selbst beträchtlichen Ausmaßes rechtfertigen kann (Urteil vom 24. Februar 2022, Agenzia delle dogane e dei monopoli und Ministero dell’Economia e delle Finanze, C‑452/20, EU:C:2022:111, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

76        Wie der Generalanwalt in Nr. 44 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, ermöglicht im vorliegenden Fall das Verbot, für pflanzliche Stoffe enthaltende Lebensmittel mit gesundheitsbezogenen Angaben zu werben, die psychische Funktionen oder Verhaltensfunktionen beschreiben oder darauf verweisen und weder zuvor gemäß der Verordnung Nr. 1924/2006 bewertet und zugelassen wurden noch nach den in dieser Verordnung vorgesehenen Übergangsmaßnahmen zulässig sind, die Gewährleistung eines angemessenen Ausgleichs zwischen den miteinander in Einklang zu bringenden Grundrechten, ohne das legitime Recht der Wirtschaftsteilnehmer im Lebensmittelsektor auf Ausübung ihrer unternehmerischen Tätigkeit übermäßig zu beeinträchtigen.

 

77        Auch der Grundsatz der Gleichbehandlung bedingt keine andere als die in Rn. 66 des vorliegenden Urteils vorgenommene Auslegung.

 

78        Dieser in Art. 20 der Charta verankerte Grundsatz verlangt nämlich, dass vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleichbehandelt werden, es sei denn, dass eine solche Behandlung objektiv gerechtfertigt ist. Eine unterschiedliche Behandlung ist gerechtfertigt, wenn sie auf einem objektiven und angemessenen Kriterium beruht, d. h., wenn sie im Zusammenhang mit einem rechtlich zulässigen Ziel steht, das mit der betreffenden Regelung verfolgt wird, und wenn diese unterschiedliche Behandlung in angemessenem Verhältnis zu dem mit der betreffenden Behandlung verfolgten Ziel steht (Urteil vom 23. November 2023, Seven.One Entertainment Group, C‑260/22, EU:C:2023:900, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

79        Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist für die Prüfung, ob dieser allgemeine Grundsatz beachtet wurde, die Vergleichbarkeit der Situationen anhand des Ziels zu beurteilen, das mit dem Rechtsakt verfolgt wird, zu dem die in Rede stehende Vorschrift gehört (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. Juli 2024, HDI Global und MS Amlin Insurance, C‑771/22 und C‑45/23, EU:C:2024:644, Rn. 84 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

80        Wie in Rn. 63 des vorliegenden Urteils ausgeführt, hat die Verordnung Nr. 1924/2006 das Ziel, ein hohes Schutzniveau für die Verbraucher und die menschliche Gesundheit zu erreichen. Art. 10 Abs. 1 und 3 dieser Verordnung trägt zur Verwirklichung dieses Ziels bei, indem er den Verbrauchern garantiert, dass gesundheitsbezogene Angaben zur Werbung für Lebensmittel wissenschaftlich überprüft wurden, um ihnen eine fundierte Wahl zu ermöglichen.

 

81        In Anbetracht dieses Ziels hat der Vergleich der Lebensmittelunternehmer, die gesundheitsbezogene Angaben verwenden möchten, um für die von ihnen vermarkteten Lebensmittel zu werben, im Hinblick auf die wissenschaftliche Richtigkeit solcher Angaben zu erfolgen.

 

82        Daraus folgt, dass nach dem Grundsatz der Gleichbehandlung sämtliche Lebensmittelunternehmer die Bestimmungen von Art. 10 Abs. 1 und 3 der Verordnung Nr. 1924/2006 beachten müssen.

 

83        Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 10 Abs. 1 und 3 der Verordnung Nr. 1924/2006 dahin auszulegen ist, dass er dem entgegensteht, im Rahmen der kommerziellen Werbung für ein aus „Botanicals“ bestehendes Nahrungsergänzungsmittel im Sinne der Verordnung Nr. 432/2012 spezielle gesundheitsbezogene Angaben über solche Stoffe zu verwenden, die psychische Funktionen oder Verhaltensfunktionen beschreiben oder darauf verweisen, oder auf allgemeine, nicht spezifische Vorteile solcher Stoffe für die Gesundheit im Allgemeinen und das gesundheitsbezogene Wohlbefinden zu verweisen, solange die Kommission die Prüfung der gesundheitsbezogenen Angaben über pflanzliche Stoffe im Hinblick auf ihre Aufnahme in eine der Listen der zugelassenen gesundheitsbezogenen Angaben nach den Art. 13 und 14 der Verordnung Nr. 1924/2006 nicht abgeschlossen hat, wenn den Verweisen keine in diesen Listen enthaltene spezielle gesundheitsbezogene Angabe beigefügt ist, es sei denn, die Verwendung solcher Angaben ist nach Art. 28 Abs. 6 dieser Verordnung zulässig.

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