EuGH: Booking.com – Gerichtsstand bei Klage auf Unterlassung des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung
EuGH, Urteil vom 24. 11. 2020 – Rs. C-59/19; Wikingerhof GmbH & Co. KG gegen Booking.com BV, ECLI:EU:C:2020:950
Volltext: BB-Online BBL2020-2817-2
Tenor
Art. 7 Nr. 2 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass er für eine Klage gilt, die auf die Unterlassung bestimmter Verhaltensweisen im Rahmen einer Vertragsbeziehung zwischen dem Kläger und dem Beklagten gerichtet ist und die darauf gestützt wird, dass der Beklagte unter Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht seine marktbeherrschende Stellung missbräuchlich ausnutze.
Aus den Gründen
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 7 Nr. 2 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2012, L 351, S. 1).
2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Wikingerhof GmbH & Co. KG, einer Gesellschaft deutschen Rechts, die ein Hotel im Land Schleswig-Holstein (Deutschland) betreibt, und der Booking.com BV, einer Gesellschaft niederländischen Rechts mit Sitz in den Niederlanden, die eine Buchungsplattform für Unterkünfte betreibt. Der Gegenstand dieses Rechtsstreits sind bestimmte Praktiken der Booking.com BV, mit denen nach dem Vorbringen von Wikingerhof eine beherrschende Stellung missbraucht wird.
Rechtlicher Rahmen
3 Die Erwägungsgründe 15, 16 und 34 der Verordnung Nr. 1215/2012 lauten:
„(15) Die Zuständigkeitsvorschriften sollten in hohem Maße vorhersehbar sein und sich grundsätzlich nach dem Wohnsitz des Beklagten richten. Diese Zuständigkeit sollte stets gegeben sein außer in einigen genau festgelegten Fällen, in denen aufgrund des Streitgegenstands oder der Vertragsfreiheit der Parteien ein anderes Anknüpfungskriterium gerechtfertigt ist. Der Sitz juristischer Personen muss in der Verordnung selbst definiert sein, um die Transparenz der gemeinsamen Vorschriften zu stärken und Kompetenzkonflikte zu vermeiden.
(16) Der Gerichtsstand des Wohnsitzes des Beklagten sollte durch alternative Gerichtsstände ergänzt werden, die entweder aufgrund der engen Verbindung zwischen Gericht und Rechtsstreit oder im Interesse einer geordneten Rechtspflege zuzulassen sind. Das Erfordernis der engen Verbindung soll Rechtssicherheit schaffen und verhindern, dass die Gegenpartei vor einem Gericht eines Mitgliedstaats verklagt werden kann, mit dem sie vernünftigerweise nicht rechnen konnte. Dies ist besonders wichtig bei Rechtsstreitigkeiten, die außervertragliche Schuldverhältnisse infolge der Verletzung der Privatsphäre oder der Persönlichkeitsrechte einschließlich Verleumdung betreffen. …
(34) Um die Kontinuität zwischen dem … Übereinkommen [vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 1972, L 299, S. 32) in der durch die nachfolgenden Übereinkommen über den Beitritt neuer Mitgliedstaaten zu diesem Übereinkommen geänderten Fassung], der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 [des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1)] und dieser Verordnung zu wahren, sollten Übergangsvorschriften vorgesehen werden. Dies gilt auch für die Auslegung [dieses] Übereinkommens … und der es ersetzenden Verordnungen durch den Gerichtshof der Europäischen Union.“
4 Kapitel II („Zuständigkeit“) der Verordnung Nr. 1215/2012 enthält u. a. einen Abschnitt 1 („Allgemeine Bestimmungen“) und einen Abschnitt 2 („Besondere Zuständigkeiten“). Art. 4 Abs. 1 der Verordnung, der in dem genannten Abschnitt 1 enthalten ist, bestimmt: „Vorbehaltlich der Vorschriften dieser Verordnung sind Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats zu verklagen.“
5 In Kapitel II Abschnitt 2 der genannten Verordnung heißt es in Art. 7:
„Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden:
…
1. a) wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre; …
2. wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht; …“
6 In Kapitel II Abschnitt 7 („Besondere Zuständigkeiten“) der Verordnung Nr. 1215/2012 lautet Art. 25 Nr. 1: „Haben die Parteien unabhängig von ihrem Wohnsitz vereinbart, dass ein Gericht oder die Gerichte eines Mitgliedstaats über eine bereits entstandene Rechtsstreitigkeit oder über eine künftige aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit entscheiden sollen, so sind dieses Gericht oder die Gerichte dieses Mitgliedstaats zuständig, es sei denn, die Vereinbarung ist nach dem Recht dieses Mitgliedstaats materiell nichtig …“
Ausgangsverfahren und Vorlagefrage
7 Im März 2009 schloss Wikingerhof mit Booking.com einen Vertrag unter Verwendung eines von Letzterer vorgelegten Vertragsformulars, das u. a. folgende Klausel enthielt:
„Allgemeine Geschäftsbedingungen
Das Hotel erklärt, eine Kopie der Version 0208 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen … von Booking.com erhalten zu haben. Diese liegen online auf Booking.com vor… Das Hotel bestätigt, dass es die Bedingungen gelesen und verstanden hat und ihnen zustimmt. Die Bedingungen sind ein grundlegender Bestandteil dieses Vertrages…“
8 In der Folge änderte Booking.com mehrfach ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die in ihrem Extranet, einem System, über das die Hotelinformationen aktualisiert und Angaben zu den Reservierungen abgerufen werden können, einsehbar waren.
9 Wikingerhof widersprach schriftlich der Einbeziehung einer neuen Version der Allgemeinen Geschäftsbedingungen in ihren Vertrag mit Booking.com, die Booking.com ihren Vertragspartnern am 25. Juni 2015 bekannt gegeben hatte. Wikingerhof war der Auffassung, dass sie wegen der starken Stellung von Booking.com auf dem Markt für Vermittlungsleistungen und für Buchungsportale für Unterkünfte keine andere Wahl gehabt habe, als den fraglichen Vertrag abzuschließen, selbst wenn bestimmte Praktiken von Booking.com unbillig seien und damit dem Wettbewerbsrecht zuwiderliefen.
10 Vor dem Landgericht Kiel (Deutschland) erhob Wikingerhof eine Klage, mit der sie beantragte, Booking.com zu verbieten, auf der Buchungsplattform für Unterkünfte einen von Wikingerhof ausgewiesenen Preis ohne deren Einwilligung mit der Bezeichnung „vergünstigter Preis“ oder „rabattierter Preis“ zu versehen, ihr den Zugang zu den von ihren Vertragspartnern über die Plattform überlassenen Kontaktdaten vorzuenthalten und schließlich die Platzierung des von ihr betriebenen Hotels bei Suchanfragen von der Gewährung einer 15 % übersteigenden Provision abhängig zu machen.
11 Booking.com wandte ein, das Landgericht Kiel sei örtlich und international nicht zuständig, da es in dem mit Wikingerhof geschlossenen Vertrag eine Gerichtsstandsvereinbarung gebe, nach der die Gerichte von Amsterdam (Niederlande) für Rechtsstreitigkeiten aus dem Vertrag örtlich zuständig seien.
12 Das Landgericht Kiel entschied, es könne wegen fehlender örtlicher und internationaler Zuständigkeit über die Klage von Wikingerhof nicht befinden. Dieses Urteil wurde in der Berufungsinstanz durch ein Urteil des Oberlandesgerichts Schleswig (Deutschland) bestätigt, wonach im vorliegenden Fall weder der Gerichtsstand des Erfüllungsorts der vertraglichen Verpflichtung nach Art. 7 Nr. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 noch der deliktische Gerichtsstand am Ort des schädigenden Ereignisses nach Art. 7 Nr. 2 der Verordnung gegeben sei.
13 Wikingerhof legte gegen dieses Urteil beim Bundesgerichtshof (Deutschland) Revision ein.
14 Nach dessen Ausführungen stellt sich nicht die Frage, wie sich die von Booking.com geltend gemachte Gerichtsstandsvereinbarung auf die Zuständigkeit der von Wikingerhof angerufenen deutschen Gerichte möglicherweise auswirkt, da die Gerichtsstandsvereinbarung nach den Voraussetzungen von Art. 25 der Verordnung Nr. 1215/2012 nicht wirksam getroffen worden sei.
15 Vorliegend sei die Revision damit begründet worden, dass das Berufungsgericht zu Unrecht für die Klage einen deliktischen Gerichtsstand im Sinne von Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 verneint habe.
16 Nach den Ausführungen des vorlegenden Gerichts, das auf das Urteil vom 5. Juli 2018, flyLAL-Lithuanian Airlines (C-27/17, EU:C:2018:533) Bezug nimmt, liegt eine Klage aus unerlaubter Handlung oder einer ihr gleichgestellten Handlung im Sinne von Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 vor, wenn Gegenstand der Klage zivilrechtliche Schadensersatz- oder Unterlassungsansprüche sind, die darauf gestützt werden, dass mit dem beanstandeten Verhalten eine marktbeherrschende Stellung missbräuchlich ausgenutzt wird. Ein solcher Missbrauch einer beherrschenden Stellung könne darin liegen, dass die Aufnahme vertraglicher Beziehungen davon abhängig gemacht werde, dass dem Vertrag unangemessene Geschäftsbedingungen zugrunde gelegt würden.
17 Das vorlegende Gericht neigt zu der Auffassung, dass im Ausgangsverfahren eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens im Sinne von Art. 7 Nr. 2 der Verordnung 1215/2012 bilden, da Wikingerhof den fraglichen Vertragsbedingungen, die sie für unangemessen gehalten habe, nur infolge der marktbeherrschenden Stellung von Booking.com und somit nicht freiwillig zugestimmt habe. Mithin gehe es im Ausgangsrechtsstreit nicht nur um die Auslegung dieses Vertrags, sondern auch um die Frage, ob die Einforderung bestimmter Vertragskonditionen durch ein – unterstellt – marktbeherrschendes Unternehmen als missbräuchlich und damit als ein Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht anzusehen sei.
18 Vor diesem Hintergrund hat der Bundesgerichtshof das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Ist Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 dahin auszulegen, dass der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung für eine auf Unterlassung bestimmter Verhaltensweisen gerichtete Klage eröffnet ist, wenn in Betracht kommt, dass das beanstandete Verhalten durch vertragliche Regelungen gedeckt ist, der Kläger aber geltend macht, dass diese Regelungen auf der missbräuchlichen Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung des Beklagten beruhen?
Zur Vorlagefrage
19 Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 dahin auszulegen ist, dass er für eine Klage gilt, die auf die Unterlassung bestimmter Verhaltensweisen im Rahmen einer Vertragsbeziehung zwischen dem Kläger und dem Beklagten gerichtet ist und die darauf gestützt wird, dass der Beklagte unter Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht seine beherrschende Stellung missbräuchlich ausnutze.
20 Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass die Verordnung Nr. 1215/2012 gemäß ihrem 34. Erwägungsgrund die Verordnung Nr. 44/2001 aufhebt und ersetzt, die ihrerseits das Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen in der Fassung der aufeinanderfolgenden Übereinkommen über den Beitritt der neuen Mitgliedstaaten zu diesem Übereinkommen ersetzt hat. Somit gilt die vom Gerichtshof vorgenommene Auslegung der Bestimmungen der letztgenannten Rechtsinstrumente auch für die Bestimmungen der Verordnung Nr. 1215/2012, soweit die betreffenden Bestimmungen als „gleichwertig“ angesehen werden können. Dies ist bei Art. 5 Nr. 3 des Übereinkommens und bei der Verordnung Nr. 44/2001 einerseits sowie bei Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 andererseits der Fall (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. Juli 2020, Verein für Konsumenteninformation, C-343/19, EU:C:2020:534, Rn. 22).
21 Während Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 festlegt, dass die Gerichte des Mitgliedstaats des Beklagten allgemein zuständig sind, sehen Art. 7 Nr. 1 und Art. 7 Nr. 2 dieser Verordnung indessen besondere Zuständigkeiten vor, die es dem Kläger erlauben, seine Klage vor den Gerichten anderer Mitgliedstaaten zu erheben, wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden oder wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden.
22 So ist es bei der erstgenannten Kategorie zugehörigen Klagen dem Kläger nach Art. 7 Nr. 1 der Verordnung gestattet, das Gericht des Ortes, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre, anzurufen, wohingegen Klagen der zweiten Kategorie nach Art. 7 Nr. 2 der Verordnung vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht, erhoben werden können.
23 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs bezieht sich die Wendung „unerlaubte Handlung oder Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder Ansprüche aus einer solchen Handlung“ im Sinne von Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 auf jede Klage, mit der eine Schadenshaftung des Beklagten geltend gemacht werden soll und die nicht an einen „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ im Sinne von Art. 7 Nr. 1 Buchst. a der Verordnung anknüpft (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 27. September 1988, Kalfelis, 189/87, EU:C:1988:459, Rn. 18, und vom 12. September 2018, Löber, C-304/17, EU:C:2018:701, Rn. 19), d. h. nicht auf eine rechtliche Verpflichtung gestützt ist, die eine Person gegenüber einer anderen freiwillig eingegangen ist (Urteil vom 20. Januar 2005, Engler, C-27/02, EU:C:2005:33, Rn. 51).
24 Vorliegend hängt die Frage, ob das von Wikingerhof angerufene Gericht für die Entscheidung über die Rechtssache des Ausgangsverfahrens zuständig ist, gerade davon ab, wie zum einen zwischen einer unerlaubten Handlung oder einer Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder Ansprüchen aus einer solchen Handlung im Sinne von Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 und zum anderen einem Vertrag oder Ansprüchen aus einem Vertrag im Sinne von Art. 7 Nr. 1 Buchst. a der Verordnung zu unterscheiden ist. Aus der Vorlageentscheidung geht nämlich hervor, dass das angerufene Gericht für die Entscheidung über die Klage nicht zuständig wäre, wenn die von Wikingerhof erhobene Klage einen Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag zum Gegenstand haben sollte und somit an dem Ort erhoben werden könnte, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre.
25 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs sind die beiden in diesen Bestimmungen festgelegten besonderen Zuständigkeitsregeln autonom unter Berücksichtigung der Systematik und der Ziele der Verordnung Nr. 1215/2012 auszulegen, um ihre einheitliche Anwendung in allen Mitgliedstaaten zu sichern (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 27. September 1988, Kalfelis, 189/87, EU:C:1988:459, Rn. 16, vom 17. September 2002, Tacconi, C-334/00, EU:C:2002:499, Rn. 19, und vom 18. Juli 2013, ÖFAB, C-147/12, EU:C:2013:490, Rn. 27). Dieses Erfordernis, das insbesondere für die Abgrenzung des jeweiligen Anwendungsbereichs dieser beiden Regeln gilt, bedeutet, dass die Begriffe „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ und „unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder … Ansprüche aus einer solchen Handlung“ nicht als Verweisung darauf zu verstehen sind, wie das bei dem nationalen Gericht anhängige Rechtsverhältnis nach dem anwendbaren nationalen Recht zu qualifizieren ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. März 2014, Brogsitter, C-548/12, EU:C:2014:148, Rn. 18).
26 Was als Erstes die Systematik der Verordnung Nr. 1215/2012 betrifft, beruht diese auf der allgemeinen Regel der Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedstaats, in dem der Beklagte seinen Wohnsitz hat, wohingegen die u. a. in Art. 7 der Verordnung bestimmten besonderen Zuständigkeitsregeln Ausnahmen von dieser allgemeinen Regel darstellen, die als solche eng auszulegen sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. September 1988, Kalfelis, 189/87, EU:C:1988:459, Rn. 19) und sich bei der Anwendung der Verordnung gegenseitig ausschließen.
27 Zugleich ist, wie der Generalanwalt in Nr. 87 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, diese Systematik dadurch gekennzeichnet, dass sie dem Kläger die Möglichkeit einräumt, sich auf eine der in der Verordnung vorgesehenen besonderen Zuständigkeitsregeln zu berufen.
28 Was als Zweites die Ziele der Verordnung Nr. 1215/2012 betrifft, geht aus deren 16. Erwägungsgrund hervor, dass die besonderen Zuständigkeitsregeln, auf die sich der Kläger zum einen nach Art. 7 Nr. 1 der Verordnung und zum anderen nach Art. 7 Nr. 2 der Verordnung berufen kann, unter Berücksichtigung dessen eingeführt wurden, dass in den von diesen Bestimmungen erfassten Bereichen eine besonders enge Verknüpfung zwischen einer Klage und dem Gericht, das möglicherweise über diese zu entscheiden hat, besteht, oder im Interesse einer geordneten Rechtspflege (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Oktober 2018, Feniks, C-337/17, EU:C:2018:805, Rn. 36).
29 Daher ist davon auszugehen, dass die Anwendbarkeit von Art. 7 Nr. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 einerseits oder von Art. 7 Nr. 2 der Verordnung andererseits zum einen davon abhängt, ob der Kläger sich dafür entscheidet, sich auf eine der besonderen Zuständigkeitsregeln zu berufen, und zum anderen davon, dass das angerufene Gericht die besonderen Voraussetzungen dieser Bestimmungen prüft.
30 Insoweit ist es erforderlich, dass das angerufene Gericht, wenn sich ein Kläger auf eine dieser Regeln beruft, prüft, ob die Ansprüche des Klägers – unabhängig von ihrer Einordnung nach nationalem Recht – im Sinne der Verordnung vertraglicher Art sind oder vielmehr eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, zum Gegenstand haben.
31 Insbesondere hat das angerufene Gericht, wie der Generalanwalt in Nr. 90 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, eine unter Vertragspartnern erhobene Klage vertraglich im Sinne von Art. 7 Nr. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 oder deliktisch im Sinne von Art. 7 Nr. 2 der Verordnung anzuknüpfen und dabei darauf abzustellen, ob die Verpflichtung, die ihr als Grundlage dient, vertraglicher Art ist oder eine unerlaubte Handlung bzw. eine dieser gleichgestellte Handlung zum Gegenstand hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. März 2014, Brogsitter, C-548/12, EU:C:2014:148, Rn. 26).
32 Eine Klage hat somit einen „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ im Sinne von Art. 7 Nr. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1215/2012 zum Gegenstand, wenn eine Auslegung des Vertrags zwischen dem Kläger und dem Beklagten unerlässlich erscheint, um zu klären, ob das Verhalten, das der Kläger dem Beklagten vorwirft, rechtmäßig oder vielmehr widerrechtlich ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. März 2014, Brogsitter, C-548/12, EU:C:2014:148, Rn. 25). Dies ist u. a. der Fall bei einer Klage, die auf den Bestimmungen eines Vertrags oder auf Rechtsvorschriften beruht, die aufgrund dieses Vertrags anwendbar sind (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. September 2015, Holterman Ferho Exploitatie u. a., C-47/14, EU:C:2015:574, Rn. 53, sowie vom 15. Juni 2017, Kareda, C-249/16, EU:C:2017:472, Rn. 30 bis 33).
33 Beruft sich der Kläger in seiner Klageschrift hingegen auf die Regeln über die Haftung aus unerlaubter Handlung oder einer Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, d. h. auf einen Verstoß gegen eine gesetzliche Verpflichtung, und erscheint es nicht unerlässlich, den Inhalt des mit dem Beklagten geschlossenen Vertrags zu prüfen, um zu beurteilen, ob das diesem vorgeworfene Verhalten rechtmäßig oder rechtswidrig ist, da diese Verpflichtung des Beklagten unabhängig von diesem Vertrag besteht, so bilden eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand der Klage im Sinne von Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012.
34 Im vorliegenden Fall beruft sich Wikingerhof in ihrer Klageschrift auf einen Verstoß gegen das deutsche Wettbewerbsrecht, das den Missbrauch einer beherrschenden Stellung unabhängig von einem Vertrag oder einer anderen freiwillig eingegangenen Verpflichtung allgemein verbiete. Konkret habe sie wegen der starken Stellung von Booking.com auf dem maßgeblichen Markt keine andere Wahl gehabt, als den fraglichen Vertrag abzuschließen und den Auswirkungen der späteren Änderungen der Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Booking.com zu unterliegen, auch wenn bestimmte Verhaltensweisen von Booking.com unbillig seien.
35 Somit besteht die Rechtsfrage, die dem Ausgangsverfahren im Kern zugrunde liegt, darin, ob Booking.com eine beherrschende Stellung im Sinne des genannten Wettbewerbsrechts missbraucht hat. Wie der Generalanwalt in den Nrn. 122 und 123 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, ist es für die Feststellung, ob die Booking.com vorgeworfenen Praktiken nach diesem Wettbewerbsrecht rechtmäßig oder rechtswidrig sind, nicht unerlässlich, den Vertrag zwischen den Parteien des Ausgangsverfahrens auszulegen, da eine solche Auslegung allenfalls erforderlich ist, um das Vorliegen dieser Praktiken festzustellen.
36 Folglich ist vorbehaltlich einer Prüfung durch das vorlegende Gericht davon auszugehen, dass die Klage von Wikingerhof, soweit sie auf die gesetzliche Verpflichtung gestützt ist, eine marktbeherrschende Stellung nicht zu missbrauchen, eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder Ansprüche aus einer solchen Handlung im Sinne von Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 zum Gegenstand hat.
37 Diese Auslegung steht im Einklang mit den von der Verordnung verfolgten Zielen der räumlichen Nähe und einer geordneten Rechtspflege, wie sie in ihrem 16. Erwägungsgrund und in Rn. 28 des vorliegenden Urteils dargelegt sind. Das nach Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 zuständige Gericht – unter den Umständen des Ausgangsverfahrens das des Marktes, der von dem geltend gemachten wettbewerbswidrigen Verhalten beeinträchtigt wird – ist nämlich am besten in der Lage, über die Hauptfrage der Begründetheit dieses Vorwurfs zu entscheiden, insbesondere im Hinblick auf die Erhebung und Würdigung der entsprechenden Beweise (vgl. entsprechend Urteile vom 29. Juli 2019, Tibor-Trans, C-451/18, EU:C:2019:635, Rn. 34, und vom 9. Juli 2020, Verein für Konsumenteninformation, C-343/19, EU:C:2020:534, Rn. 38).
38 Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 dahin auszulegen ist, dass er für eine Klage gilt, die auf die Unterlassung bestimmter Verhaltensweisen im Rahmen einer Vertragsbeziehung zwischen dem Kläger und dem Beklagten gerichtet ist und die darauf gestützt wird, dass der Beklagte unter Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht seine marktbeherrschende Stellung missbräuchlich ausnutze.