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Wirtschaftsrecht
04.04.2012
Wirtschaftsrecht
BGH: Beweis der Voraussetzungen der Zahlungseinstellung

BGH, Versäumnisurteil vom 24.1.2012 - II ZR 119/10

Leitsatz


Die Voraussetzungen der Zahlungseinstellung gelten nach den Grundsätzen der Beweisver-eitelung als bewiesen, wenn der Geschäftsführer einer GmbH, der von einem Gesellschafts-gläubiger wegen Insolvenzverschleppung in Anspruch genommen wird, seine Pflicht zur Führung und Aufbewahrung von Büchern und Belegen verletzt hat und dem Gläubiger des-halb die Darlegung näherer Einzelheiten nicht möglich ist.


BGB § 823 Abs. 2 Bf, I; GmbHG § 64 Abs. 1 aF (jetzt InsO § 15a); GmbHG § 41; HGB §§ 238, 257


Sachverhalt


Die Klägerin schloss am 18. Mai 2005 einen Frachtvertrag mit der D. S. GmbH (im Folgenden: Schuldnerin), aus dem ihr - nach Abzug einer Teilzahlung von 2.500 € - ein am 26. Mai 2005 fällig gewordener Vergütungsanspruch in Höhe von 36.500 € zusteht. Ein am 14. Juli 2005 ge-stellter Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin wurde mit der Begründung abgelehnt, die Schuldnerin habe bei Verbindlichkeiten in Höhe von 452.000 € keinerlei Aktivvermögen, so dass die Kosten des Verfahrens nicht gedeckt seien.


Der Beklagte ist - neben seiner Ehefrau - Geschäftsführer der Schuldne-rin. Die Klägerin nimmt ihn wegen verspäteter Insolvenzantragstellung und Ein-gehungsbetrugs auf Schadensersatz in Anspruch. Das Landgericht hat den Be-klagten antragsgemäß zur Zahlung von 36.500 € nebst Zinsen und Anwaltskos-ten verurteilt, das Berufungsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der vom er-kennenden Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegeh-ren weiter.


Aus den Gründen


3          Über die Revision der Klägerin ist, da der Beklagte trotz ordnungsgemä-ßer Ladung im Termin nicht vertreten war, durch Versäumnisurteil zu entschei-den, das aber inhaltlich nicht auf der Säumnis, sondern auf einer sachlichen Prüfung des Revisionsantrags beruht (vgl. BGH, Urteil vom 4. April 1962 - V ZR 110/60, BGHZ 37, 79, 81 f.).


4          Die Revision ist erfolgreich und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.


5          I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im We-sentlichen ausgeführt:


6          Eine zur Ersatzpflicht gegenüber der Klägerin führende Insolvenzver-schleppung liege nur dann vor, wenn die Schuldnerin spätestens drei Wochen vor dem Vertragsschluss mit der Klägerin insolvenzreif gewesen sei, also am 27. April 2005. Denn dem Geschäftsführer stehe ein Zeitraum von drei Wochen für Sanierungsbemühungen zur Verfügung.


7          Die Klägerin habe nicht dargelegt, dass die Schuldnerin am 27. April 2005 zahlungsunfähig gewesen sei. Die von der Klägerin angeführten Verbind-lichkeiten der Schuldnerin seien dafür nicht aussagekräftig, weil die Klägerin - teilweise - nicht vorgetragen habe, wann diese entstanden und fällig geworden seien. Das vorzutragen, sei ihr zumutbar gewesen. Denn sie habe die anderen Gläubiger, die sich aus den polizeilichen Ermittlungsakten ergeben hätten, dazu befragen können. Zudem hätten noch zwei Kreditlinien offen gestanden, und die Schuldnerin habe aufgrund einer Geschäftsbeziehung mit dem Dauerkun-den G. mit monatlichen Einnahmen in Höhe von rund 90.000 € rechnen können.


8          Aus dem Vortrag der Klägerin ergebe sich auch nicht, dass die Schuld-nerin am 27. April 2005 überschuldet gewesen sei. Eine Überschuldung könne nur durch einen Überschuldungsstatus nachgewiesen werden. Diesen habe die Klägerin nicht vorgelegt. Auch die polizeilichen Ermittlungen hätten keinen Schriftverkehr zu Tage gefördert, aus dem sich die Vermögenssituation der Schuldnerin hätte ableiten lassen. Dass der Beklagte bereits am 14. Juli 2005 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt habe und zu diesem Zeitpunkt nur noch Verbindlichkeiten in Höhe von 452.000 € offen gestanden hätten, aber kein Aktivvermögen mehr vorhanden gewesen sei, belege angesichts des Ge-schäftszweigs der Schuldnerin als einer Frachtführerin im Seeschiffsverkehr nicht, dass die Schuldnerin auch schon am 27. April 2005 überschuldet gewe-sen sei.


9          Eine Haftung des Beklagten aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB scheide aus, weil jedenfalls ein Vorsatz des Beklagten nicht festge-stellt werden könne.


10        II. Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Kontrolle nicht stand. Nach dem festgestellten und dem im Revisionsverfahren als wahr zu unterstel-lenden Sachverhalt hat die Klägerin einen Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 64 Abs. 1 GmbHG aF (jetzt § 15a InsO). Die Schuldnerin war zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit der Klägerin zahlungsunfähig und damit insolvenzreif, und der Beklagte hat seine daraus folgende Pflicht zur rechtzeitigen Stellung des Insolvenzantrags schuldhaft verletzt.


11        1. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist der Antrag auf Er-öffnung des Insolvenzverfahrens nach § 64 Abs. 1 GmbHG aF bei Eintritt der Insolvenzreife grundsätzlich sofort zu stellen. Die höchstens dreiwöchige Frist des § 64 Abs. 1 GmbHG aF ist nur dann eröffnet, wenn eine rechtzeitige Sanie-rung „ernstlich zu erwarten ist" (BGH, Urteil vom 9. Juli 1979 - II ZR 118/77, BGHZ 75, 96, 111 f.). Die Voraussetzung dieser Ausnahme hat nach allgemei-nen Grundsätzen derjenige darzulegen, der sich darauf beruft (BGH, Urteil vom 26. Juni 1989 - II ZR 289/88, BGHZ 108, 134, 144 f.; Urteil vom 6. Juni 1994 - II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 200), hier der Beklagte. Dass der Beklagte da-zu Vortrag gehalten hätte, hat das Berufungsgericht - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - nicht festgestellt. Revisionsrechtlich ist daher davon auszuge-hen, dass eine rechtzeitige Sanierung der Schuldnerin nicht zu erwarten war.


12        2. Die Schuldnerin war jedenfalls am 18. Mai 2005, dem somit maßge-benden Tag des Vertragsschlusses mit der Klägerin, zahlungsunfähig.


13        Das ergibt sich schon aus § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO. Danach ist Zah-lungsunfähigkeit in der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlun-gen eingestellt hat. Dafür reicht ein nach außen hervortretendes Verhalten, in dem sich typischerweise ausdrückt, dass der Schuldner nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Die tatsächliche Nichtzahlung eines erheblichen Teils der fälligen Verbindlichkeiten reicht für eine Zahlungseinstel-lung aus, auch wenn noch geleistete Zahlungen beträchtlich sind, aber im Ver-hältnis zu den fälligen Gesamtschulden nicht den wesentlichen Teil ausmachen. Sogar die Nichtzahlung einer einzigen Verbindlichkeit kann eine Zahlungsein-stellung begründen, wenn die Forderung von insgesamt nicht unbeträchtlicher Höhe ist. Haben im fraglichen Zeitpunkt fällige Verbindlichkeiten bestanden, die bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht beglichen worden sind, ist re-gelmäßig von Zahlungseinstellung auszugehen (BGH, Urteil vom 30. Juni 2011 - IX ZR 134/10, ZIP 2011, 1416 Rn. 12; Urteil vom 11. Februar 2010 - IX ZR 104/07, ZIP 2010, 682 Rn. 42, jeweils m.w.N.).


14        Diese Voraussetzungen waren hier am 18. Mai 2005 erfüllt.


15        a) Allerdings muss - wie das Berufungsgericht zutreffend gesehen hat - die Voraussetzungen der Zahlungseinstellung grundsätzlich derjenige darlegen und beweisen, der daraus Rechte für sich herleiten will (BGH, Urteil vom 6. Juni 1994 - II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 200; Urteil vom 25. Juli 2005 - II ZR 390/03, BGHZ 164, 50, 57). Das ist hier die Klägerin. Sie hat nach der Feststellung des Berufungsgerichts teilweise keine substanziierten Angaben zu den Entstehens- und Fälligkeitszeitpunkten der bei Eröffnung des Insolvenzver-fahrens offenen Verbindlichkeiten gemacht.


16        Dessen bedurfte es aber auch nicht. Denn nach der Rechtsprechung des Senats gelten die Voraussetzungen der Insolvenzreife nach den Grundsätzen der Beweisvereitelung als bewiesen, wenn der Geschäftsführer die ihm oblie-gende Pflicht zur Führung und Aufbewahrung von Büchern und Belegen nach §§ 238, 257 HGB, § 41 GmbHG verletzt hat und dem Gläubiger deshalb die Darlegung näherer Einzelheiten nicht möglich ist (BGH, Urteil vom 12. März 2007 - II ZR 315/05, ZIP 2007, 1060 Rn. 14 zur Überschuldung). So liegt der Fall hier.


17        aa) Bei der im Rahmen des gegen den Beklagten eingeleiteten Ermitt-lungsverfahrens erfolgten Durchsuchung wurden zu den folgenden vom Beklag-ten anlässlich des Insolvenzantrags als offen stehend bezeichneten Verbind-lichkeit der Schuldnerin keine Unterlagen aufgefunden:


18        M.


90.270,00 €


Do.


17.806,25 €


T.


41.666,00 €.


19        Damit ist davon auszugehen, dass der Beklagte jedenfalls insoweit seine Pflicht aus § 257 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 HGB verletzt hat, die empfangenen Han-delsbriefe und die Abschriften der abgesandten Handelsbriefe sowie Bu-chungsbelege - wie Rechnungen und Quittungen - aufzubewahren. Hätte er diese Unterlagen aufbewahrt, hätte die Klägerin nach Einsichtnahme in die Er-mittlungsakte entsprechenden Vortrag halten können. Das ist ihr aufgrund der Verletzung der Aufbewahrungspflicht durch den Beklagten unmöglich. Dagegen spricht - anders als das Berufungsgericht gemeint hat - nicht, dass die Klägerin die Möglichkeit hatte, die ihr aus der Ermittlungsakte bekannten Gläubiger hin-sichtlich der Fälligkeitszeitpunkte ihrer jeweiligen Forderungen und etwaiger Stundungen zu befragen. Denn das Interesse der Gläubiger ist vorrangig auf die Durchsetzung ihrer eigenen Forderungen gerichtet, und sie sind der Kläge-rin nicht zur Auskunft verpflichtet, wie die Revision zu Recht geltend macht.


20        bb) Weiter ist in dem Polizeivermerk vom 19. August 2008 die Forderung der B. Inc. in Höhe von 110.843,64 € aufgrund der insoweit vorgefundenen Unterlagen als am 15. April 2005 - also vor dem hier streitigen Vertragsschluss vom 18. Mai 2005 - fällig geworden bezeichnet. Auch insoweit hat das Berufungsgericht nicht festgestellt, dass der Beklagte zur Fälligkeit die-ser Forderung etwas Erhebliches vorgetragen hätte.


21        b) Die Behauptung des Beklagten, mit den Gläubigern M. und T. seien Stundungs- oder Ratenzahlungsvereinbarungen getroffen worden, führt nicht dazu, dass die Klägerin das Gegenteil darlegen und bewei-sen müsste. Der Vortrag des Beklagten ist schon nicht ausreichend substanzi-iert. Der Beklagte hat nicht vorgetragen, aus welchen Tatsachen sich die Stun-dungen oder Ratenzahlungsvereinbarungen ergeben sollen.


22        c) Auch der Vortrag des Beklagten, der Forderung der B. Inc. über 110.843,64 € habe eine höhere Schadensersatzforderung wegen eines von B. zu verantwortenden Maschinenausfalls entgegengestan-den, reicht nicht aus, um diese Forderung als für die Feststellung der Zahlungs-einstellung unbeachtlich ansehen zu können. Das Berufungsgericht hat nicht festgestellt, dass der Beklagte erklärt hätte, wieso er die Forderung gegenüber dem Insolvenzgericht ohne diese Einschränkung als offen bezeichnet und keine Gegenforderung angegeben hat. Die Mutmaßung des Berufungsgerichts, die Forderung sei zunächst konkludent gestundet gewesen und dann habe man sich über den Gegenanspruch geeinigt, entbehrt jeder Grundlage im Parteivor-trag.


23        d) Aufgrund der Zahlungseinstellung jedenfalls zum 18. Mai 2005 wird gemäß § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO vermutet, dass die Schuldnerin zu diesem Ter-min zahlungsunfähig und damit insolvenzreif war. Es ist weder festgestellt noch sonst ersichtlich, dass der Beklagte Vortrag zur Widerlegung dieser Vermutung gehalten hätte. Insbesondere spricht nichts dafür, dass der Beklagte damit hätte rechnen können, die fälligen Forderungen jeweils in einem Zeitraum von längs-tens drei Wochen erfüllen zu können, so dass eine bloße Zahlungsstockung in Betracht käme (vgl. BGH, Urteil vom 24. Mai 2005 - IX ZR 123/04, BGHZ 163, 134, 139 f.). Die Geschäftsverbindung mit dem Kunden G. und die dar-aus zu erwartenden monatlichen Zahlungsansprüche in Höhe von jeweils 90.125 € reichen dafür ebenso wenig aus wie der Zahlungseingang in Höhe von 70.000 € am 13. Juli 2005 und die teilweise noch offenen Kreditlinien bei der D. Bank und der B. Bank. Denn der Beklagte hat nicht dargelegt, warum er die offenen Verbindlichkeiten der Schuldnerin trotz dieser Vermö-genswerte nicht beglichen hat.


24        3. Damit braucht nicht entschieden zu werden, ob die Schuldnerin am 18. Mai 2005 auch wegen Überschuldung im Sinne des § 19 Abs. 2 InsO insol-venzreif war.


25        4. Das für die Ersatzpflicht aus § 823 Abs. 2 BGB erforderliche Verschul-den des Geschäftsführers wird vermutet (BGH, Urteil vom 6. Juni 1994 - II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 200). Dass der Beklagte diese Vermutung wi-derlegt hätte, ist weder festgestellt noch sonst ersichtlich.


26        II. Die Sache ist danach an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit die noch erforderlichen Feststellungen getroffen werden können.


27        Das Berufungsgericht hat - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - nicht geprüft, ob die Klageforderung in voller Höhe begründet ist. Nach § 823 Abs. 2 BGB, § 64 Abs. 1 GmbHG aF ist nur das negative Interesse des Gläubi-gers zu ersetzen. Dazu gehört der entgangene Gewinn grundsätzlich nicht. Nach der Rechtsprechung des Senats ist aber auch dieser zu ersetzen, wenn dem Gläubiger wegen des mit dem Schuldner abgeschlossenen Geschäfts ein anderes Geschäft entgangen ist (BGH, Urteil vom 27. April 2009 - II ZR 253/07, ZIP 2009, 1220 Rn. 15 f.). Das Berufungsgericht wird zu prüfen haben, ob der - gegebenenfalls ergänzte - Vortrag der Klägerin insoweit ausreicht. Andern-falls wird es einen Abzug von der Klageforderung vornehmen müssen.

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