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Wirtschaftsrecht
29.10.2009
Wirtschaftsrecht
Besonderer Vertreter: Bestellung und Abberufung - Verfahrensaussetzung wegen Vorgreiflichkeit

LG München I, Beschluss vom 2.6.2009 - 5 HK O 2836/08

Sachverhalt

I. Am 26./27.6.2007 fasste eine Hauptversammlung der Beklagten unter Tagesordnungspunkt 10 folgenden Beschluss:

,,1. Die Hauptversammlung möge unabhängig vom Ausgang der nach TOP 9 beantragten Sonderprüfung gem. § 147 Abs. 1 Satz 1 AktG die Geltendmachung von Ersatzansprüchen der Gesellschaft aus der Geschäftsführung beschließen, und zwar insbesondere Schadensersatzansprüche gem. §§ 93 Abs. 2 und 3, § 116, § 117, § 317 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 318 Abs. 1 und 2 AktG gegen die gegenwärtigen und ehemaligen Mitgliedes des Vorstands und des Aufsichtsrats der ... sowie gegen die Großaktionärin U. sowie mit dieser im Sinne von §§ 15 ff. AktG verbundene Unternehmen, jeweils einschließlich der gesetzlichen Vertreter, insbesondere die folgenden Personen:

wegen der nachfolgenden Sachverhaltskomplexe:

a) Vermögensschäden der Gesellschaft durch die Veräußerung der Anteile an der Bank A.

(A.) vor dem Hintergrund der bisherigen und äußerst erfolgreichen Osteuropastrategie des ...-Konzerns;

b) Vermögensschäden der Gesellschaft durch eine nicht adäquate Ermittlung des Verkaufspreises für die Anteile der ... an der A. in Höhe von EUR 109,81 je Aktie angesichts des kurze Zeit später eingeleiteten Squeeze-out-Verfahrens zu einem Preis von EUR 129,40 je Aktie;

c) Vermögensschäden der Gesellschaft durch die Nicht-Durchführung eines Auktionsverfahrens bei der Veräußerung der A.-Beteiligung, welches in der aktuellen M&ASituation erhebliche Aufschläge auf den erzielten Verkaufspreis versprochen hätte und wegen

d) Vermögensschäden der Gesellschaft und der Minderheitsaktionäre durch das von der Gesellschaft am 12. Juni 2005 mit der U. abgeschlossene Business Combination Agreement, das nicht in seiner Vollständigkeit den Aktionären vorgelegt wurde -insbesondere im Hinblick auf die der U. durch jenen Vertrag eingeräumten Berechtigungen.

2. Es wird weiter beantragt, gem. § 147 Abs. 2 Satz 1 AktG als besonderen Vertreter Herrn Rechtsanwalt D., ..., zu bestellen. Der besondere Vertreter ist berechtigt, zu seiner Unterstützung qualifizierte Berufsträger heranzuziehen, die zur beruflichen Verschwiegenheit verpflichtet sind.

Soweit es zur Rechtsverfolgung von Ansprüchen der Gesellschaft durch den besonderen Vertreter genügt, kann sich dieser auch als Nebenintervenient an ggf. bereits anhängigen Schadensersatzklagen zu Gunsten der Gesellschaft beteiligen."

Das Landgericht München I wies die Klage des Hauptaktionärs U., der hiesigen Beklagten zu  1) mit Endurteil vom 4.10.2007 ab. Die hiergegen eingelegte Berufung der hiesigen Beklagten  zu 1) hatte insoweit Erfolg, als der in der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom  26./27. Juni 2007 unter Tagesordnungspunkt 10 gefasste Beschluss über die Geltendmachung  von Schadensersatzansprüchen sowie Bestellung eines besonderen Vertreters für nichtig erklärt  wurde, soweit er unter Nr. 1., erster Absatz, die Wörter "sowie mit dieser im Sinne von §§ 15 ff.  AktG verbundene Unternehmen" enthält; zudem wurde Nr. 1 Buchst d) für nichtig erklärt. Im  Übrigen wurde die Berufung zurückgewiesen. Derzeit ist die Nichtzulassungsbeschwerde beim  Bundesgerichtshof anhängig und wird dort unter dem Aktenzeichen II ZR 255/08 geführt.  Mit Beschluss der Hauptversammlung der hiesigen Klägerin vom 10.11.2008 wurde der zu  Tagesordnungspunkt 10 der Hauptversammlung vom 26./27.6.2007 gefasste Beschluss mit  den Stimmen der nunmehrigen Alleinaktionärin U. vollumfänglich aufgehoben. Weiterhin  fasste diese Hauptversammlung den Beschluss, den zum besonderen Vertreter bestellten  Rechtsanwalt D. mit sofortiger Wirkung abzuberufen. Hiergegen erhob der besondere Vertreter  Klage zum Landgericht München I mit dem Hauptantrag, diese beiden Beschlüsse für nichtig  zu erklären; hilfsweise hat er beantragt, die Nichtigkeit dieser Beschlüsse festzustellen.  Weiterhin hat er beantragt, die Unwirksamkeit des Beschlusses festzustellen. Am 2.4.2009  hat eine mündliche Verhandlung stattgefunden; über die Klage ist noch nicht in erster Instanz  entschieden.

Mit Schriftsatz vom 20.2.2008 (BI. 17176 dA) erhob die Klägerin Klage gegen die hiesigen  Beklagten als Gesamtschuldner auf Herausgabe von 113.989.900 auf den Inhaber lautende  Stückaktien der Bank A., hilfsweise zu übertragen und der Klägerin Besitz und Inhaberschaft  an den vorgenannten Aktien zu verschaffen sowie festzustellen, dass die Beklagten als  Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin allen weiteren Schaden aus Abschluss,  Vollzug oder sonst aufgrund des Anteilskaufvertrages vom 12.9.2006 sowie des Vertrages  zur Übereignung der verkauften Anteile vom 9.1.2007 zwischen der Klägerin und der  Beklagten zu ersetzen, der schon entstanden ist und zukünftig noch entstehen wird. Hilfsweise  stellte die Klägerin den Antrag, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, der  Klägerin Schadensersatz in Geld in Höhe eines Betrages von mindestens € 13.900.000.000,-  - nebst Zinsen zu leisten. Mit Schriftsatz vom 10.7.2008 (BI. 192/217 dA) erweiterte die  Klägerin ihre Klage um einen Betrag von € 2.982.197.496,-- nebst Zinsen und einen  Feststellungsantrag, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin  allen weiteren vom Zahlungsantrag nicht umfassten Schaden zu ersetzen, der ihr durch die  am 3.4.2007 eingetragenen Kapitalerhöhung aus genehmigten Kapital sowie durch einen  Einbringungsvertrag über einen Teilbetrieb vom 30.3.2008 zwischen der U. entstanden ist und  noch entstehen wird.

Aus den Gründen

II. Die Entscheidung beruht auf § 148 ZPO. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht, wenn die  Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines  Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits  bildet, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits  auszusetzen ist. Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben.

Die Frage, ob Herr D. wirksam zum besonderen Vertreter bestellt und wirksam abberufen  wurde, ist noch nicht rechtskräftig entschieden und vorgreiflich für die Beurteilung der  Zulässigkeit der erhobenen Klage einschließlich der Klageerweiterung. Der Besondere Vertreter  ist entsprechend seiner Bezeichnung und Funktion dazu befugt, die Klägerin im Prozess zu  vertreten. Dies hat zur Folge, dass die Klägerin nur dann prozessfähig im Sinne der §§ 51  Abs. 1, 52 ZPO ist, wenn die Bestellung von Herrn D. wirksam ist und auch nicht wirksam  widerrufen wurde. Da es sich bei der Klägerin um eine juristische Person handelt, kann sie nur  durch ihre gesetzlichen Vertreter handeln - grundsätzlich also durch den Vorstand und/oder  den Aufsichtsrat gem. §§ 78, 112 AktG. Wenn indes die Hauptversammlung gem. § 147 Abs. 2  AktG einen besonderen Vertreter bestellt, so tritt dieser an die Stelle von Vorstand und/oder  Aufsichtsrat im Umfang des ihm von der Hauptversammlung zugewiesenen Wirkungskreises,  ohne dass es in dem hier maßgeblichen Zusammenhang entscheidend auf die Frage ankäme,  inwieweit der besondere Vertreter Organ der Gesellschaft wird oder nicht.

Die Stellung von Herrn D. als besonderer Vertreter hat folglich Auswirkungen auf die  Zulässigkeit der Klage, weil in dem Fall, dass die Bestellung für nichtig erklärt wird, die  Vorschrift des § 241 Nr. 5 AktG eingreift und der Beschluss mit Rechtskraft der Entscheidung  von Anfang an als nichtig angesehen wird. Wird die auf Nichtigerklärung gerichtete Klage  gegen die Beschlüsse der ... vom 10.11.2008 rechtskräftig abgewiesen, so ist Herr D. seit dem  10.10.2008 nicht mehr besonderer Vertreter. Dies hat zur Folge, dass die Prozessfähigkeit  der Klägerin entfällt, weil sie nicht mehr vom besonderen Vertreter im Prozess vertreten  werden kann. Hat die Klage der hiesigen Beklagten zu 1), die derzeit vom BGH behandelt wird  im Rahmen der erhobenen Nichtzulassungsbeschwerde keinen oder nur teilweisen Erfolg,  so ist die Klägerin in dem Verfahren zumindest teilweise ordnungsgemäß vertreten und in  diesem Umfang des Bestands des Beschlusses der Hauptversammlung vom 26./27.6.2007  prozessfähig. Demgemäß ist die Beurteilung der Prozessfähigkeit vorgreiflich, nachdem diese  zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung vorliegen muss (vgl. BGH NJW-RR 1986, 157;  Thomas-Putzo, ZPO, 29. Aufl., Rdn. 6 zu § 52).

Die hiergegen gerichteten Einwendungen der Klägerin greifen nicht durch. Die Frage der  Vorgreiflichkeit nach § 148 ZPO unterscheidet sich von derjenigen, ob das Verfahren aufgrund  der Vorschrift des § 246 Abs. 1 ZPO unterbrochen wird. Wenn die Prozessfähigkeit verloren  geht, so ist die Gesellschaft nicht mehr ordnungsgemäß vertreten. Vorliegend ist die Frage der  Wirksamkeit des Beschlusses der Hauptversammlung vom 10.11.2008 somit entscheidend für  die Beurteilung der Frage, wer die Klägerin in diesem Prozess vertritt. Hier besteht nämlich  die Besonderheit, dass im Falle des § 147 Abs. 2 AktG der besondere Vertreter die ansonsten  zur Vertretung befugten Organe der Aktiengesellschaft verdrängt -mithin kommt es dann für  die Fortführung des Prozesses gegebenenfalls auf deren Entscheidung an. Dann aber ist es  gerechtfertigt, das Ermessen dahingehend auszuüben, dass vorliegend eine Aussetzung erfolgt.  Soweit es um das Ausgangsverfahren vor dem Landgericht München I geht, das sich derzeit  beim BGH befindet, ist der Argumentation der Klägerin entgegenzuhalten, dass es nicht  darum geht, ob die Prozesshandlungen, die Herr D. für sie vorgenommen hat einschließlich  der Mandatierung der nunmehrigen Prozessbevollmächtigten der Klägerin, Wirksamkeit  beanspruchen oder nicht. Denn auch wenn davon auszugehen sein sollte, dass die Handlungen,  insbesondere die Klageerhebung und die Klageerweiterung wirksam waren, so ändert dies  nichts daran, dass die Prozessfähigkeit im Rahmen des Prozesses wegfallen könnte - dann  aber hätte sich der Rechtsstreit nach Eintritt der Rechtshängigkeit in der Hauptsache erledigt.  Abgesehen davon ist auch der besondere Vertreter durch ein Abwarten geschützt, weil ihm  dann nicht vorgeworfen werden kann, er habe trotz des Abberufungsbeschlusses das Verfahren  fortgeführt und dadurch seine Pflichten verletzt.

In dieser Situation macht das Gericht von dem ihm durch § 148 ZPO eingeräumten Ermessen dahingehend Gebrauch, dass der Rechtsstreit ausgesetzt wird.

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