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Wirtschaftsrecht
28.11.2013
Wirtschaftsrecht
EuGH: Bestätigung der Geldbußen wegen eines Kartells auf dem Markt für Industriesäcke aus Kunststoff - Schadensersatz wegen überlanger Verfahrensdauer

EuGH, Urteil vom 26.11.2013 - Rs. C‑58/12 P


Urteil



1 Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Groupe Gascogne SA (im Folgenden: Rechtsmittelführerin) die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 16. November 2011, Groupe Gascogne/Kommission (T‑72/06, im Folgenden: angefochtenes Urteil), mit dem ihre Klage auf Teilnichtigerklärung und Abänderung der Entscheidung K(2005) 4634 endg. der Kommission vom 30. November 2005 in einem Verfahren nach Artikel 81 [EG] (Sache COMP/F/38.354 - Industrielle Sackverpackungen) (im Folgenden: streitige Entscheidung) abgewiesen worden ist, oder, hilfsweise, die Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit damit die mit der streitigen Entscheidung gegen sie verhängte Geldbuße bestätigt worden ist.



 Rechtlicher Rahmen



 Verordnung (EG) Nr. 1/2003



2 Die Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 [EG] und 82 [EG] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1), die die Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln [81 EG] und [82 EG] (ABl. 1962, Nr. 13, S. 204), ersetzt hat, bestimmt in Art. 23 Abs. 2, der an die Stelle von Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 getreten ist:



„Die Kommission kann gegen Unternehmen und Unternehmensvereinigungen durch Entscheidung Geldbußen verhängen, wenn sie vorsätzlich oder fahrlässig



a)  gegen Artikel 81 [EG] oder Artikel 82 [EG] verstoßen ...



...



Die Geldbuße für jedes an der Zuwiderhandlung beteiligte Unternehmen oder jede beteiligte Unternehmensvereinigung darf 10 % seines bzw. ihres jeweiligen im vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatzes nicht übersteigen.



..."



 Richtlinie 83/349/EWG



3 Nach ihrem ersten Erwägungsgrund sollen mit der Siebenten Richtlinie 83/349/EWG des Rates vom 13. Juni 1983 aufgrund von Artikel [44 Abs. 2 Buchst. g EG] über den konsolidierten Abschluss (ABl. L 193, S. 1) in der durch die Richtlinie 2003/51/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2003 (ABl. L 178, S. 16) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 83/349) die einzelstaatlichen Vorschriften über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen, insbesondere von Gesellschaften, die Unternehmenszusammenschlüssen angehören, koordiniert werden.



4 Die Unternehmen, die zur Aufstellung des konsolidierten Abschlusses verpflichtet sind, sind in Art. 1 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 83/349 definiert. Nach diesem Abs. 1 handelt es sich dabei insbesondere um jedes Mutterunternehmen, das



„a)  die Mehrheit der Stimmrechte der Aktionäre oder Gesellschafter eines Unternehmens (Tochterunternehmens) hat



oder



b)  das Recht hat, die Mehrheit der Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans eines Unternehmens (Tochterunternehmens) zu bestellen oder abzuberufen und gleichzeitig Aktionär oder Gesellschafter dieses Unternehmens ist



oder



c)  das Recht hat, auf ein Unternehmen (Tochterunternehmen), dessen Aktionär oder Gesellschafter es ist, einen beherrschenden Einfluss ... auszuüben".



5 Nach Art. 16 Abs. 3 dieser Richtlinie hat „[d]er konsolidierte Abschluss ... ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Gesamtheit der in die Konsolidierung einbezogenen Unternehmen zu vermitteln".



 Vorgeschichte des Rechtsstreits und streitige Entscheidung



6 Die Rechtsmittelführerin ist eine Aktiengesellschaft französischen Rechts, die seit 1994 die Gascogne Sack Deutschland GmbH, vormals Sachsa Verpackung GmbH (im Folgenden: Sachsa), kontrolliert.



7 Die Rechtsmittelführerin hält 10 % der Geschäftsanteile von Sachsa unmittelbar. Ihre 100%ige Tochtergesellschaft, die Gascogne Deutschland GmbH, hält die übrigen 90 % der Geschäftsanteile von Sachsa.



8 Im Jahr 2001 unterrichtete die British Polythene Industries plc die Kommission von der Existenz eines Kartells im Industriesacksektor.



9 Nachdem die Kommission im Juni 2002 Nachprüfungen vorgenommen hatte, leitete sie am 29. April 2004 das Verwaltungsverfahren ein und erließ gegen mehrere Unternehmen, u. a. gegen die Rechtsmittelführerin, eine Mitteilung der Beschwerdepunkte.



10  Am 30. November 2005 erließ die Kommission die streitige Entscheidung, nach deren Art. 1 Abs. 1 Buchst. k Sachsa und die Rechtsmittelführerin dadurch gegen Art. 81 EG verstoßen haben, dass sie vom 9. Februar 1988 bis zum 26. Juni 2002, was Sachsa angeht, und vom 1. Januar 1994 bis zum 26. Juni 2002, was die Rechtsmittelführerin betrifft, an einem System aus Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen im Industriesacksektor in Belgien, Deutschland, Spanien, Frankreich, Luxemburg und den Niederlanden zur Festsetzung von Preisen, Erarbeitung gemeinsamer Preisberechnungsmethoden, Aufteilung von Märkten, Zuweisung von Verkaufskontingenten, Kunden und Aufträgen, Abstimmungen von Angeboten auf Ausschreibungen und zum Austausch sensibler Informationen über einzelne Verkäufe mitgewirkt haben.



11  Die Kommission hat daher in Art. 2 Abs. 1 Buchst. i der streitigen Entscheidung eine Geldbuße von 13,2 Mio. Euro gegen Sachsa verhängt und festgelegt, dass davon 9,9 Mio. Euro im Rahmen der gesamtschuldnerischen Haftung auf die Rechtsmittelführerin Groupe Gascogne entfallen.



 Angefochtenes Urteil



12  Die Rechtsmittelführerin erhob mit am 23. Februar 2006 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangener Klageschrift Klage gegen die streitige Entscheidung. Sie beantragte im Wesentlichen, diese Entscheidung, soweit diese sie betrifft, für nichtig zu erklären, die Entscheidung abzuändern, soweit gegen Sachsa eine Geldbuße festgesetzt wurde, die mehr als 10 % ihres Umsatzes beträgt, oder, hilfsweise, die gegen Sachsa und sie selbst gesamtschuldnerisch verhängte Geldbuße herabzusetzen.



13  Die Rechtsmittelführerin machte drei Klagegründe geltend. Mit dem ersten Klagegrund wurde gerügt, dass die Kommission gegen Art. 81 EG verstoßen habe, indem sie ihr fälschlicherweise die Praktiken von Sachsa ab dem 1. Januar 1994 zugerechnet und sie damit zu Unrecht als Gesamtschuldnerin zur Zahlung eines Teils der gegen Sachsa verhängten Geldbuße herangezogen habe. Mit ihrem zweiten, hilfsweise geltend gemachten Klagegrund trug die Rechtsmittelführerin vor, die Kommission habe dadurch gegen Art. 81 EG verstoßen, dass sie den Begriff des Unternehmens im Sinne dieses Artikels falsch ausgelegt habe, und zugleich Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 verkannt, indem sie sich bei der Ermittlung der Obergrenze der Geldbuße auf die konsolidierten Umsätze der Gruppe, an deren Spitze die Rechtsmittelführerin stehe, gestützt habe. Mit dem nachrangig hilfsweise geltend gemachten dritten Klagegrund wurde gerügt, dass die Kommission gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen habe, da sie der Rechtsmittelführerin eine überhöhte Geldbuße auferlegt habe.



14  Mit Schreiben vom 19. Oktober 2010 beantragte die Rechtsmittelführerin die Wiedereröffnung des schriftlichen Verfahrens, weil sich während des Verfahrens ein neuer rechtlicher Grund ergeben habe, nämlich das Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon, insbesondere des Art. 6 EUV, mit dem die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) in den Rang von Primärrecht erhoben worden sei.



15  In der mündlichen Verhandlung vom 2. Februar 2011 machte die Rechtsmittelführerin über die in ihrer Klageschrift enthaltenen Klagegründe hinaus mehrere auf die Charta gestützte Rügen und insbesondere eine Verletzung der in Art. 48 der Charta niedergelegten Unschuldsvermutung geltend. Hierzu hat das Gericht in den Randnrn. 27, 28 und 30 des angefochtenen Urteils ausgeführt:



„27  ... [D]ie Rügen der Klägerin, mit der sie eine Verletzung des Grundsatzes der Unschuldsvermutung und der Verteidigungsrechte, die in Art. 48 der Charta verbürgt sind, geltend macht, [werden] zusätzlich zu den Argumenten vorgebracht, die im Rahmen der in der Klageschrift enthaltenen Klagegründe angeführt worden sind, und weisen mit diesen ursprünglichen Argumenten keinen so engen Zusammenhang auf, dass sie als Bestandteil der üblichen sich in einem streitigen Verfahren entwickelnden Erörterung angesehen werden könnten. Diese Rügen sind daher als neu anzusehen.



28  Folglich ist zu prüfen, ob das Inkrafttreten des Vertrags über die Europäische Union am 1. Dezember 2009, insbesondere des Art. 6, wonach die Charta und die Verträge rechtlich gleichrangig sind, eine neue Tatsache darstellt, die die Erhebung neuer Rügen rechtfertigt. Hierzu ist festzustellen, dass die von der Rechtsmittelführerin geltend gemachten Grundsätze zum Zeitpunkt des Erlasses der [streitigen] Entscheidung als allgemeine Grundsätze des Unionsrechts ... Bestandteil der Unionsrechtsordnung und durch diese verbürgt waren ...



...



30  Daher ist festzustellen, dass sich die Klägerin nicht auf die mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon eingetretenen Änderungen der Unionsrechtsordnung berufen kann, um in der mündlichen Verhandlung die Verletzung des Art. 48 der Charta zu rügen ..."



16  Die drei von der Klägerin in der Klageschrift angeführten Nichtigkeitsgründe hat das Gericht als unbegründet zurückgewiesen.



17  Zum ersten Klagegrund, mit dem geltend gemacht wurde, die Praktiken von Sachsa seien zu Unrecht der Rechtsmittelführerin zugerechnet worden, hat das Gericht zunächst in den Randnrn. 69 und 70 des angefochtenen Urteils auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs hingewiesen, nach der in Fällen, in denen eine Muttergesellschaft 100 % des Kapitals ihrer Tochtergesellschaft halte, die gegen die Wettbewerbsregeln verstoßen habe, eine widerlegliche Vermutung bestehe, dass die Muttergesellschaft tatsächlich einen bestimmenden Einfluss auf das Verhalten ihrer Tochtergesellschaft ausübe. Das Gericht hat sodann in Randnr. 72 des Urteils ausgeführt, es stehe fest, dass „die Rechtsmittelführerin unmittelbar oder mittelbar 100 % der Geschäftsanteile von Sachsa hielt und daher die Möglichkeit hatte, das Marktverhalten von Sachsa zu kontrollieren". Schließlich hat das Gericht in den Randnrn. 73 bis 93 des angefochtenen Urteils das Vorbringen der Rechtsmittelführerin geprüft, wonach Sachsa ihr Vorgehen selbst habe bestimmen können und somit eigenständig gewesen sei. In Randnr. 74 des angefochtenen Urteils heißt es dazu: „Auch wenn einige Gesichtspunkte, die die Klägerin vorgebracht hat, darauf hindeuten, dass Sachsa weitgehende Selbstständigkeit genoss, bleibt doch die Tatsache bestehen, dass die Klägerin tatsächlich in die Betriebsführung ihrer Tochtergesellschaft eingriff, dass sie der Ausrichtung ihres Marktverhaltens wesentliche Grenzen setzte und dass sie somit die tatsächliche Kontrolle über ihre Tochtergesellschaft ausübte."



18  In Randnr. 93 des angefochtenen Urteils hat das Gericht weiter ausgeführt:



„Die Prüfung aller von der Klägerin und der Kommission vorgebrachten Beweismittel und Argumente ergibt, dass die Kommission keinen Beurteilungsfehler beging, als sie zu der Auffassung gelangte, dass die Klägerin die Geschäftsleitung ihrer Tochtergesellschaft regelmäßig überwachte, und der Klägerin die Verantwortung für die von ihrer Tochtergesellschaft begangene Zuwiderhandlung zuwies. Auch ohne sich auf die Vermutung einer tatsächlichen Kontrolle - aufgrund des Alleineigentums der Klägerin an Sachsa - stützen zu müssen, konnte die Kommission aufgrund der Gesamtheit der ihr vorliegenden Beweismittel zu dem Ergebnis gelangen, dass die Muttergesellschaft ihre Tochtergesellschaft im vorliegenden Fall tatsächlich kontrollierte."



19  Zum zweiten Klagegrund, mit dem die Klägerin einen Verstoß gegen Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 rügte, hat das Gericht in den Randnrn. 110 bis 113 des angefochtenen Urteils entschieden:



„110  ... [D]ie Obergrenze der Geldbuße nach Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 [ist] auf der Grundlage des Umsatzes des Unternehmens im wettbewerbsrechtlichen Sinne zu berechnen, d. h. des Gesamtumsatzes aller Gesellschaften, die zu der Gruppe gehören, deren Holdinggesellschaft die Klägerin ist.



111  ... [B]ei der Berücksichtigung des konsolidierten Umsatzwertes der Muttergesellschaft im Rahmen der Anwendung der Obergrenze von 10 % des Umsatzes des fraglichen Unternehmens [muss] nicht nachgewiesen werden, dass jede einzelne Tochtergesellschaft in der Gruppe ihr Marktverhalten nicht autonom bestimmt.



112  Die Berücksichtigung des konsolidierten Umsatzes der Muttergesellschaft ... bedeutet nicht, dass die Tochtergesellschaften, die die Gruppe bilden, an deren Spitze diese Muttergesellschaft steht, für die festgestellte Zuwiderhandlung haftbar gemacht werden. Denn die in der genannten Bestimmung bezeichnete Obergrenze dient allein dazu, die Festsetzung einer Geldbuße zu verhindern, die unter Berücksichtigung der Gesamtgröße der wirtschaftlichen Einheit zum Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung überhöht ist, wobei diese Gesamtgröße anhand des Umsatzes der die Unternehmensgruppe bildenden Gesellschaften zu beurteilen ist ...



113  Daher erfordert die Berücksichtigung des konsolidierten Umsatzes der Muttergesellschaft zur Berechnung der Obergrenze von 10 % des Umsatzes des betreffenden Unternehmens nicht, dass die die Gruppe bildenden Tochtergesellschaften alle auf demselben Markt tätig sind oder dass ein Zusammenhang zwischen diesen Tochtergesellschaften und der Zuwiderhandlung besteht."



20  Nach Prüfung aller Klagegründe hat das Gericht die Klage in vollem Umfang abgewiesen.



 Anträge der Parteien und Verfahren vor dem Gerichtshof



21  Die Rechtsmittelführerin beantragt,



- das angefochtene Urteil aufzuheben;



- hilfsweise, das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben, als damit die mit der streitigen Entscheidung gegen sie verhängte Sanktion bestätigt wurde, und die Rechtssache an das Gericht zurückzuverweisen oder die Geldbuße unmittelbar auf einen Betrag festzusetzen, der 10 % des kumulierten Umsatzes von ihr und Sachsa nicht übersteigt, und zwar unter weiterer Berücksichtigung der überlangen Dauer des Verfahrens vor dem Gericht;



- der Kommission die Kosten aufzuerlegen.



22  Die Kommission beantragt,



- das Rechtsmittel zurückzuweisen und



- der Rechtsmittelführerin die Kosten aufzuerlegen.



23  Mit Schreiben vom 11. September 2012 hat die Rechtsmittelführerin unter Berufung auf Art. 42 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs in der damals geltenden Fassung beantragt, das schriftliche Verfahren wegen des Auftretens eines neuen Gesichtspunkts, nämlich ihrer äußerst schlechten Finanzlage, wiederzueröffnen.



24  Gemäß Art. 24 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union und Art. 61 seiner Verfahrensordnung hat der Gerichtshof die Parteien, das Europäische Parlament und den Rat der Europäischen Union sowie die Mitgliedstaaten zu der Beantwortung von Fragen aufgefordert, die die maßgeblichen Kriterien für die Beurteilung einer angemessenen Verfahrensdauer vor dem Gericht und die Maßnahmen betreffen, die den Folgen einer überlangen Verfahrensdauer abzuhelfen geeignet sind.



 Zum Rechtsmittel



 Zum ersten und zweiten Rechtsmittelgrund



 Vorbringen der Parteien



25  Mit ihrem ersten Rechtsmittelgrund beanstandet die Rechtsmittelführerin, dass das Gericht die Rügen einer Verletzung der Unschuldsvermutung und der Verteidigungsrechte, die sie in der mündlichen Verhandlung auf der Grundlage der Charta erhoben habe, als verspätet und damit unzulässig zurückgewiesen habe. Das Gericht habe zum einen verkannt, dass diese Rügen einen hinreichenden Zusammenhang mit den in der Klageschrift ursprünglich angeführten Argumenten aufwiesen, und zum anderen, dass das Inkrafttreten des EU-Vertrags eine neue Tatsache darstelle, die es rechtfertige, dass solche Rügen nach Einreichung der Klageschrift geltend gemacht würden.



26  Mit ihrem zweiten Rechtsmittelgrund beanstandet die Rechtsmittelführerin, dass sie nach dem angefochtenen Urteil allein deshalb, weil sie das gesamte Kapital ihrer Tochtergesellschaft Sachsa halte, für deren wettbewerbswidriges Verhalten haftbar gemacht werden dürfe. Damit habe das Gericht die in Art. 48 der Charta verbürgte Unschuldsvermutung missachtet und gegen seine Pflicht zur Begründung seiner Urteile verstoßen.



27  Die Kommission macht geltend, dass der erste Rechtsmittelgrund offensichtlich unbegründet sei.



28  Den zweiten Rechtsmittelgrund hält sie für unzulässig, da er im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht worden sei. Er gehe außerdem ins Leere, weil sie die gesamtschuldnerische Haftung der Rechtsmittelführerin für die von Sachsa begangene Zuwiderhandlung nicht allein auf die Vermutung gestützt habe, dass mit dem vollständigen Eigentum an Sachsa die Ausübung eines bestimmenden Einflusses einhergehe. Jedenfalls sei der Rechtsmittelgrund unbegründet.



 Würdigung durch den Gerichtshof



29  Der erste und der zweite Rechtsmittelgrund, die Fragen nach der Wahrung der Unschuldsvermutung und der Verteidigungsrechte aufwerfen, sind zusammen zu prüfen.



30  Soweit sich die Rechtsmittelführerin im Rahmen ihres ersten Rechtsmittelgrundes gegen die Feststellung des Gerichts wendet, dass die in der mündlichen Verhandlung auf der Grundlage der Charta erhobenen Rügen keine bloße Erweiterung der ursprünglich in der Klageschrift dargelegten Gründe darstellten, genügt der Hinweis, dass sie in ihrer Rechtsmittelschrift ausdrücklich einräumt, sie habe in ihrer Klageschrift nicht ausdrücklich auf die Charta Bezug genommen, sondern in diesem Stadium des schriftlichen Verfahrens nur vorgebracht, dass der Beweis einer inexistenten Tatsache, wie des Fehlens von Weisungen einer Muttergesellschaft an ihre Tochtergesellschaft, praktisch unmöglich sei. Die Rechtsmittelführerin räumt auch ein, dass sie die Charta erst in einem späteren Verfahrensstadium, nämlich dem der Erwiderung, erwähnt habe, und zwar unter Berufung auf den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Straftatbestände und der Strafen, wie er in Art. 49 der Charta vorgesehen sei.



31  Unter diesen Umständen kann das Vorbringen der Rechtsmittelführerin gegen die in Randnr. 27 des angefochtenen Urteils enthaltene Beurteilung keinen Erfolg haben. Das Gericht hat in dieser Randnummer zu Recht festgestellt, dass die von der Rechtsmittelführerin in der mündlichen Verhandlung erhobene Rüge, es seien die Unschuldsvermutung und die Verteidigungsrechte gemäß Art. 48 der Charta verletzt worden, mit den ursprünglich in der Klageschrift angeführten Argumenten keinen so engen Zusammenhang aufwiesen, dass sie als Bestandteil der üblichen sich in einem streitigen Verfahren entwickelnden Erörterung angesehen werden könnten. Das Gericht hat diese Argumente damit zutreffend als neu angesehen.



32  Zu der Frage, ob das Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon, wie die Rechtsmittelführerin weiter vorträgt, als ein Grund anzusehen gewesen wäre, der während des Verfahrens vor dem Gericht zutage getreten ist, und es deshalb nach Art. 48 § 2 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts gerechtfertigt hätte, dass neue Angriffs- und Verteidigungsmittel vorgebracht werden, hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass dieses Inkrafttreten, mit dem die Charta in das Primärrecht der Union einbezogen wurde, nicht als ein neuer rechtlicher Grund im Sinne von Art. 42 Abs. 2 Unterabs. 1 seiner Verfahrensordnung angesehen werden kann. In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof hervorgehoben, dass er bereits vor dem Inkrafttreten dieses Vertrags wiederholt festgestellt hatte, dass das Recht auf ein faires Verfahren, wie es sich u. a. aus Art. 6 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten ergibt, ein Grundrecht ist, das die Europäische Union als allgemeinen Grundsatz nach Art. 6 Abs. 2 EU achtet (vgl. u. a. Urteil vom 3. Mai 2012, Legris Industries/Kommission, C‑289/11 P, Randnr. 36).



33  Diese vom Gerichtshof für die Anwendung seiner Verfahrensordnung gegebene Auslegung gilt auch für die Anwendung der entsprechenden Bestimmungen der Verfahrensordnung des Gerichts.



34  Demnach ist der erste Rechtsmittelgrund als unbegründet zurückzuweisen.



35  Soweit die Rechtsmittelführerin im Rahmen ihres zweiten Rechtsmittelgrundes geltend macht, das Gericht habe unter Missachtung der in Art. 48 der Charta verbürgten Unschuldsvermutung ihre Haftung für die von ihrer Tochtergesellschaft Sachsa begangene Zuwiderhandlung allein deshalb bejaht, weil sie das gesamte Kapital von Sachsa halte, ist festzustellen, dass nach ständiger Rechtsprechung einer Partei, wenn sie vor dem Gerichtshof erstmals ein Angriffs- oder Verteidigungsmittel vorbringen könnte, das sie vor dem Gericht hätte vorbringen können, aber nicht vorgebracht hat, letztlich gestattet würde, den Gerichtshof mit einem weiter reichenden Rechtsstreit zu befassen, als ihn das Gericht zu entscheiden hatte. Im Rahmen eines Rechtsmittels kann der Gerichtshof grundsätzlich nur überprüfen, wie das Gericht die vor ihm erörterten Angriffs- und Verteidigungsmittel gewürdigt hat.



36  Soweit mit dem zweiten Rechtsmittelgrund ein Verstoß gegen Art. 48 der Charta gerügt wird, ist er daher als unzulässig zurückzuweisen.



37  Soweit die Rechtsmittelführerin mit diesem Rechtsmittelgrund geltend macht, dass das Gericht gegen seine Begründungspflicht verstoßen habe, weil es nicht auf ihr Vorbringen eingegangen sei, wonach die Vermutung der tatsächlichen Ausübung eines bestimmenden Einflusses sich in der Praxis wie eine unwiderlegbare Vermutung auswirke, ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs die dem Gericht gemäß Art. 36 und Art. 53 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs obliegende Pflicht zur Begründung der Urteile nicht bedeutet, dass das Gericht bei seinen Ausführungen alle von den Parteien des Rechtsstreits vorgetragenen Argumente nacheinander erschöpfend behandeln müsste. Die Begründung kann daher implizit erfolgen, sofern sie es den Betroffenen ermöglicht, die Gründe zu erkennen, auf denen das angefochtene Urteil beruht, und dem Gerichtshof ausreichende Angaben an die Hand gibt, damit er seine Kontrollaufgabe im Rahmen eines Rechtsmittels wahrnehmen kann.



38  Insoweit hat das Gericht zunächst in den Randnrn. 69 und 70 des angefochtenen Urteils zutreffend auf die einschlägige ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs hingewiesen, die dieser nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon bestätigt hat (vgl. u. a. Urteil vom 18. Juli 2013, Schindler Holding u. a./Kommission, C‑501/11 P, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnrn. 107 bis 111). Nach dieser Rechtsprechung besteht in Fällen, in denen eine Muttergesellschaft 100 % des Kapitals ihrer Tochtergesellschaft hält, die gegen die Wettbewerbsregeln verstoßen hat, eine widerlegliche Vermutung, dass die Muttergesellschaft tatsächlich einen bestimmenden Einfluss auf das Verhalten ihrer Tochtergesellschaft ausübt. Gemäß dieser Rechtsprechung kann die Kommission in der Folge dem Mutterunternehmen als Gesamtschuldner die Haftung für die Zahlung der gegen dessen Tochterunternehmen verhängten Geldbuße zuweisen, sofern die vom Mutterunternehmen, dem es obliegt, diese Vermutung zu widerlegen, vorgelegten Beweise nicht für den Nachweis ausreichen, dass sein Tochterunternehmen auf dem Markt eigenständig auftritt (vgl. u. a. Urteil vom 19. Juli 2012, Alliance One International und Standard Commercial Tobacco/Kommission und Kommission/Alliance One International u. a., C‑628/10 P und C‑14/11 P, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 47).



39  Das Gericht hat sodann in den Randnrn. 73 bis 93 des angefochtenen Urteils das Vorbringen der Rechtsmittelführerin geprüft, dass sie nicht in die Betriebsführung von Sachsa eingegriffen habe. Das Gericht hat in Randnr. 74 zwar eingeräumt, dass einige Argumente für eine große Eigenständigkeit von Sachsa sprächen. Dennoch ist es nach einer eingehenden Prüfung der von den Parteien vorgelegten Beweisstücke in Randnr. 93 zu dem Schluss gelangt, dass die Kommission insoweit keinen Beurteilungsfehler begangen habe. Nach Auffassung des Gerichts hatte die Kommission vielmehr fehlerfrei festgestellt, dass die Rechtsmittelführerin die Geschäftsleitung ihrer Tochtergesellschaft regelmäßig überwacht habe, und die Rechtsmittelführerin für die von ihrer Tochtergesellschaft begangene Zuwiderhandlung haftbar gemacht.



40  Anders als die Rechtsmittelführerin vorträgt, belegt der vom Gericht im angefochtenen Urteil gewählte Ansatz nicht, dass die Vermutung eines bestimmenden Einflusses der Muttergesellschaft auf eine ganz oder nahezu ganz in ihrem Eigentum stehende Tochtergesellschaft in Wirklichkeit unwiderlegbar wäre.



41  Wie der Gerichtshof nämlich bereits entschieden hat, bedeutet der Umstand allein, dass eine Einheit in einem bestimmten Fall keine Beweismittel vorlegt, die geeignet sind, die Vermutung, dass die Muttergesellschaft einen bestimmenden Einfluss auf ihre Tochtergesellschaft ausübt, zu widerlegen, insoweit nicht, dass diese Vermutung keinesfalls widerlegt werden könnte (Urteil vom 29. September 2011, Elf Aquitaine/Kommission, C-521/09 P, Slg. 2011, I-8947, Randnr. 66).



42  Unter diesen Umständen ist die Argumentation der Rechtsmittelführerin zurückzuweisen, soweit sie geltend macht, die Würdigung ihres Vorbringens durch das Gericht zeige allein aufgrund ihres - aus Sicht der Rechtsmittelführerin negativen - Ergebnisses, dass eine unwiderlegbare Vermutung vorliege (vgl. in diesem Sinne Urteil Elf Aquitaine/Kommission, Randnr. 67).



43  Nach alledem ist der zweite Rechtsmittelgrund als teils unzulässig, teils unbegründet zurückzuweisen.



 Zum dritten Rechtsmittelgrund



 Vorbringen der Verfahrensbeteiligten



44  Mit ihrem dritten Rechtsmittelgrund wirft die Rechtsmittelführerin dem Gericht vor, den Begriff des Unternehmens falsch ausgelegt zu haben. Es habe irrig die Auffassung vertreten, dass die Kommission zur Berechnung der Geldbußenobergrenze nach Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 den kumulierten Umsatz aller Gesellschaften habe berücksichtigen dürfen, die zu der von ihr geführten Gruppe gehörten. Diese kumulierten Umsätze hätten aber bei der Berechnung der Geldbuße, die wegen einer wettbewerbswidrigen Praxis einer ihrer Tochtergesellschaften festgesetzt worden sei, nur dann als Obergrenze gelten dürfen, wenn die gesamte Gruppe ein einheitliches Unternehmen gebildet hätte. Weder in der streitigen Entscheidung noch im angefochtenen Urteil sei indessen versucht worden, zu belegen, dass es sich um ein solches einheitliches Unternehmen gehandelt habe.



45  Über diesen Begründungsmangel hinaus habe das Gericht in Randnr. 108 des angefochtenen Urteils rechtsfehlerhaft entschieden, dass die Gesamtgröße einer wirtschaftlichen Einheit „anhand des gesamten Umsatzes aller Gesellschaften zu ermitteln ist, aus denen die Gruppe besteht, an deren Spitze letztlich die Holdinggesellschaft steht, da nur der Gesamtumsatz der zu dieser Gruppe gehörenden Gesellschaften die Größe und die Wirtschaftskraft des fraglichen Unternehmens widerspiegeln kann". Damit habe das Gericht die Begriffe der Gruppe und des Unternehmens verwechselt.



46  Die Kommission hält diesen Rechtsmittelgrund für unbegründet. Nach ständiger Rechtsprechung sei der Gesamtumsatz eines Unternehmens ein Indiz für seine wirtschaftliche Bedeutung und seinen Markteinfluss. Daher habe sie sich zur Ermittlung der Obergrenze der Geldbuße auf den Gesamtumsatz der Gruppe, an deren Spitze die Rechtsmittelführerin stehe, stützen dürfen, wie er sich aus den geltenden unionsrechtlichen Vorschriften über die konsolidierte Rechnungslegung ergebe.



 Würdigung durch den Gerichtshof



47  Nach Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 kann die Kommission gegen Unternehmen, die gegen Art. 81 EG verstoßen, mit der Maßgabe Geldbußen verhängen, dass die Geldbuße für jedes an der Zuwiderhandlung beteiligte Unternehmen 10 % seines jeweiligen im vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatzes nicht übersteigt.



48  Durch diese Obergrenze der Geldbuße soll die Verhängung von Geldbußen verhindert werden, die die Unternehmen aufgrund ihrer Größe, wie sie, wenn auch nur annähernd und unvollständig, anhand ihres Gesamtumsatzes ermittelt wird, voraussichtlich nicht werden zahlen können. Es handelt sich somit um eine Grenze, die einheitlich für alle Unternehmen gilt, von deren jeweiliger Größe abhängt und überhöhte und unverhältnismäßige Geldbußen verhindern soll (vgl. u. a. Urteil vom 28. Juni 2005, Dansk Rørindustri u. a./Kommission, C‑189/02 P, C‑202/02 P, C‑205/02 P bis C‑208/02 P und C‑213/02 P, Slg. 2005, I‑5425, Randnrn. 280 und 281).



49  Diese Zielsetzung ist jedoch im Zusammenhang mit der Notwendigkeit, eine hinreichende Abschreckungswirkung der Geldbuße sicherzustellen, zu sehen, die die Berücksichtigung der Größe und der Wirtschaftskraft des betreffenden Unternehmens rechtfertigt, d. h. der Gesamtressourcen des Urhebers der Zuwiderhandlung (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Juni 2010, Lafarge/Kommission, C‑413/08 P, Slg. 2010, I‑5361, Randnr. 102 und die dort angeführte Rechtsprechung).



50  Es ist nämlich die angestrebte Wirkung auf das betreffende Unternehmen, die es rechtfertigt, dass die Größe und die Gesamtressourcen dieses Unternehmens berücksichtigt werden, um eine hinreichende Abschreckungswirkung der Geldbuße sicherzustellen, da die Sanktion insbesondere im Hinblick auf dessen Wirtschaftskraft nicht unerheblich sein darf (Urteil Lafarge/Kommission, Randnr. 104).



51  Unter diesen Umständen erscheint es berechtigt, bei der Bewertung der finanziellen Ressourcen eines Unternehmens, dem eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht der Union zugerechnet wird, den Umsatz aller Gesellschaften zu berücksichtigen, auf die das betreffende Unternehmen einen bestimmenden Einfluss ausüben kann.



52  Insbesondere ist, wenn das Unternehmen, dem die Zuwiderhandlung zugerechnet wird, an der Spitze einer Gruppe von Gesellschaften steht, die eine wirtschaftliche Einheit bilden, der für die Berechnung der Geldbußenobergrenze nach Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 zu berücksichtigende Umsatz derjenige der gesamten Gruppe.



53  Dieser Gesamtumsatz ist nämlich der beste Indikator für die Fähigkeit des betreffenden Unternehmens, die zur Zahlung der Geldbuße erforderlichen Mittel aufzubringen.



54  Insoweit sollen, wie die Kommission geltend gemacht hat, die geltenden unionsrechtlichen Vorschriften über die konsolidierte Rechnungslegung ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage aller Gesellschaften vermitteln, die einer Gruppe angehören. Zur Aufstellung des konsolidierten Abschlusses ist daher nach Art. 1 Abs. 1 Buchst. a bis c der Richtlinie 83/349 jedes Mutterunternehmen verpflichtet, das u. a. die Mehrheit der Stimmrechte in einem Tochterunternehmens hat oder das Recht hat, Mitglieder des Leitungs- oder Aufsichtsorgans eines solchen Unternehmens zu bestellen oder abzuberufen, oder aber das Recht hat, auf ein solches Unternehmen einen „beherrschenden Einfluss" auszuüben.



55  Daraus folgt, dass die Kommission, wenn sie in rechtlich hinreichender Weise dargetan hat, dass eine Zuwiderhandlung einer Gesellschaft zuzurechnen ist, die an der Spitze einer Gruppe steht, zur Bewertung der finanziellen Leistungsfähigkeit dieser Gesellschaft deren konsolidierten Abschluss berücksichtigen kann, da dieser einen relevanten Gesichtspunkt der Beurteilung bildet.



56  Das Gericht hat demnach keinen Rechtsfehler begangen, als es in den Randnrn. 108 bis 110 des angefochtenen Urteils entschieden hat, dass die Obergrenze der gegen die Rechtsmittelführerin verhängten Geldbuße zu Recht auf der Grundlage des kumulierten Umsatzes aller Gesellschaften berechnet worden war, die zu der Gruppe gehören, an deren Spitze die Rechtsmittelführerin steht.



57  Entgegen der Auffassung der Rechtsmittelführerin kann von der Kommission nicht verlangt werden, dass sie, nachdem sie dargetan hat, dass die Muttergesellschaft für die von ihrer Tochtergesellschaft begangene Zuwiderhandlung haftbar zu machen ist, für jede einzelne Tochtergesellschaft der Gruppe den Nachweis erbringt, dass sie ihr Marktverhalten nicht eigenständig bestimmt. Wie das Gericht in Randnr. 112 des angefochtenen Urteils entschieden hat, handelt es sich bei der Frage, ob die Zuwiderhandlung einer Tochtergesellschaft der Muttergesellschaft zuzurechnen ist, und dem Verbot, eine Geldbuße zu verhängen, die über 10 % des Umsatzes des betreffenden Unternehmens hinausgeht, um zwei verschiedene Fragen, die unterschiedlichen Zielsetzungen entsprechen. Es ist gegebenenfalls Sache der Gesellschaft, nach deren Meinung der konsolidierte Umsatz die tatsächliche Wirtschaftslage nicht widerspiegelt, Gesichtspunkte anzuführen, die geeignet sind, eine Kontrollbefugnis der Muttergesellschaft zu widerlegen.



58  Der dritte Rechtsmittelgrund, wonach das Gericht einen Rechtsfehler begangen und seine Begründungspflicht verletzt haben soll, ist daher als unbegründet zurückzuweisen.



 Zum vierten Rechtsmittelgrund



 Vorbringen der Parteien



59  Mit diesem Rechtsmittelgrund trägt die Rechtsmittelführerin vor, ihr in Art. 47 der Charta verbürgtes Grundrecht darauf, dass über ihre Sache innerhalb angemessener Frist entschieden werde, sei im vorliegenden Fall verletzt worden.



60  Die Rechtsmittelführerin erinnert daran, dass das Verfahren vor dem Gericht am 23. Februar 2006 begonnen habe und am 16. November 2011 beendet worden sei. Zwischen dem Abschluss des schriftlichen Verfahrens und der ersten Mitteilung, die sie zum Stand des Verfahrens erhalten habe, habe eine lange Zeit der Untätigkeit des Gerichts gelegen.



61  Weder die Komplexität oder der Umfang der Akten noch die Zahl der in Rede stehenden Unternehmen oder Verfahrenssprachen könnten es rechtfertigen, dass sich das Gericht in diesem Zeitraum überhaupt nicht mit der Rechtssache beschäftigt habe.



62  Als sie beim Gericht ihre Klage gegen die streitige Entscheidung erhoben habe, habe sie beschlossen, die festgesetzte Geldbuße nicht sofort zu entrichten. Dafür habe sie aber Zinsen auf den Geldbußenbetrag zahlen und eine Bankbürgschaft stellen müssen. Die überlange Verfahrensdauer habe eine Erhöhung der mit diesem Vorgehen verbundenen Kosten bewirkt.



63  Die Rechtsmittelführerin beantragt daher, das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben, als Sachsa damit eine Geldbuße auferlegt worden sei, für die sie gesamtschuldnerisch hafte, oder, hilfsweise, diese Geldbuße unter Berücksichtigung der finanziellen Belastung herabzusetzen, die sie wegen der Verletzung ihres Rechts auf Wahrung einer angemessenen Entscheidungsfrist habe tragen müssen.



64  Die Kommission rügt diesen Rechtsmittelgrund als unzulässig, denn er sei nicht in der mündlichen Verhandlung vor dem Gericht geltend gemacht worden.



65  In der Sache macht die Kommission geltend, dass die geeignete Abhilfe bei einer Überschreitung einer angemessenen Verfahrensdauer im Rahmen eines gerichtlichen Rechtsbehelfs gegen eine Entscheidung, mit der gegen ein Unternehmen eine Geldbuße wegen Verstoßes gegen das Wettbewerbsrecht verhängt worden sei, nicht in einer Herabsetzung der festgesetzten Geldbuße bestehe, sondern in einer Schadensersatzklage. Hilfsweise trägt die Kommission vor, dass diese Herabsetzung, wenn nach Auffassung des Gerichtshofs der Grundsatz der angemessenen Verfahrensdauer verletzt worden und diesem Verstoß durch eine Herabsetzung der Geldbuße abzuhelfen sei, allenfalls symbolisch sein dürfe.



 Würdigung durch den Gerichtshof



-   Zur Zulässigkeit



66  Wie aus Art. 58 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs und dessen Rechtsprechung hervorgeht, kann der Gerichtshof im Rahmen eines Rechtsmittels nachprüfen, ob das Gericht Verfahrensfehler begangen hat, durch die die Interessen des Rechtsmittelführers beeinträchtigt werden (vgl. u. a. Urteil vom 16. Juli 2009, Der Grüne Punkt - Duales System Deutschland/Kommission, C‑385/07 P, Slg. 2009, I‑6155, Randnr. 176).



67  Zu der mit dem vorliegenden Rechtsmittelgrund geltend gemachten Unregelmäßigkeit ist festzustellen, dass nach Art. 47 Abs. 2 der Charta „[j]ede Person ... ein Recht darauf [hat], dass ihre Sache von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird". Wie der Gerichtshof wiederholt entschieden hat, betrifft dieser Artikel den Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes (vgl. u. a. Urteil Der Grüne Punkt - Duales System Deutschland/Kommission, Randnr. 179 und die dort angeführte Rechtsprechung).



68  Damit gilt dieses Recht, das vor dem Inkrafttreten der Charta in seiner Geltung als allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts bestätigt worden war, auch im Rahmen einer Klage gegen eine Entscheidung der Kommission (vgl. u. a. Urteil Der Grüne Punkt - Duales System Deutschland/Kommission, Randnr. 178 und die dort angeführte Rechtsprechung).



69  Obwohl die Rechtsmittelführerin in erster Linie den Zeitraum der Untätigkeit des Gerichts zwischen dem Abschluss des schriftlichen Verfahrens und dem Beginn des mündlichen Verfahrens beanstandet, hat sie die Verletzung dieses Rechts in der mündlichen Verhandlung vor dem Gericht nicht geltend gemacht.



70  Entgegen dem Vorbringen der Kommission kann diese Unterlassung nicht dazu führen, dass der vierte Rechtsmittelgrund deshalb unzulässig ist, weil er erstmals im Rechtsmittelverfahren geltend gemacht worden ist. Denn eine Partei muss zwar einen Verfahrensfehler geltend machen können, wenn sie der Auffassung ist, dass ein Verstoß gegen die geltenden Vorschriften vorliegt, sie kann aber nicht verpflichtet sein, dies in einem Stadium zu tun, in dem die volle Auswirkung dieses Verstoßes noch nicht bekannt ist. Was speziell die Überschreitung einer angemessenen Entscheidungsfrist betrifft, muss die klägerische Partei, die meint, dass diese Überschreitung vor dem Gericht ihre Interessen beeinträchtigt, diesen Verstoß nicht unverzüglich geltend machen. Sie kann gegebenenfalls den Abschluss des Verfahrens abwarten, um dessen Gesamtdauer und somit sämtliche Umstände in Erfahrung zu bringen, deren Kenntnis es bedarf, um die nach ihrer Auffassung erlittene Rechtsverletzung zu benennen.



71  Mithin ist der vierte Rechtsmittelgrund zulässig.



-   Zur Begründetheit



72  Vorab ist darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte die Überschreitung einer angemessenen Entscheidungsfrist als ein Verfahrensfehler, der die Verletzung eines Grundrechts darstellt, der betreffenden Partei einen Rechtsbehelf eröffnen muss, der ihr eine angemessene Wiedergutmachung bietet (vgl. Urteil des EGMR vom 26. Oktober 2000, Kudla/Polen, Recueil des arrêts et décisions, 2000 XI, §§ 156 und 157).



73  Soweit die Rechtsmittelführerin die Aufhebung des angefochtenen Urteils und hilfsweise dessen Aufhebung, soweit damit die gegen sie verhängte Geldbuße bestätigt wurde, oder deren Herabsetzung beantragt, ist festzustellen, dass der Gerichtshof bereits entschieden hat, dass die Nichteinhaltung einer angemessenen Entscheidungsfrist in Ermangelung jeglicher Anhaltspunkte dafür, dass die überlange Verfahrensdauer Auswirkungen auf den Ausgang des Rechtsstreits gehabt hat, nicht zur Aufhebung des angefochtenen Urteils führen kann (vgl. in diesem Sinne Urteil Der Grüne Punkt - Duales System Deutschland/Kommission, Randnrn. 190 und 196 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).



74  Diese Rechtsprechung beruht insbesondere auf der Erwägung, dass die Aufhebung des angefochtenen Urteils, wenn die Nichteinhaltung einer angemessenen Entscheidungsfrist keine Auswirkungen auf den Ausgang des Rechtsstreits hat, dem vom Gericht begangenen Verstoß gegen den Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes nicht abhelfen kann (Urteil Der Grüne Punkt - Duales System Deutschland/Kommission, Randnr. 193).



75  Im vorliegenden Fall hat die Rechtsmittelführerin dem Gerichtshof keinen Anhaltspunkt dafür vorgetragen, dass sich die Nichteinhaltung einer angemessenen Entscheidungsfrist durch das Gericht auf den Ausgang des bei diesem anhängigen Rechtsstreits auswirken konnte.



76  Daraus folgt, dass der vierte Rechtsmittelgrund entgegen dem Antrag der Rechtsmittelführerin als solcher nicht zur Aufhebung des angefochtenen Urteils führen kann.



77  Die Rechtsmittelführerin macht jedoch geltend, dass die überlange Dauer des Verfahrens vor dem Gericht für sie kostspielige Folgen gehabt habe, und beantragt deshalb, die Geldbuße, für die sie gesamtschuldnerisch hafte, aufzuheben.



78  Hierzu ist festzustellen, dass der Gerichtshof angesichts der Notwendigkeit, die Beachtung des Wettbewerbsrechts der Union durchzusetzen, der Rechtsmittelführerin nicht aus dem bloßen Grund der Nichteinhaltung einer angemessenen Entscheidungsfrist erlauben kann, eine Geldbuße dem Grund oder der Höhe nach in Frage zu stellen, obwohl sämtliche Rechtsmittelgründe, die sie gegen die Feststellungen des Gerichts zur Höhe dieser Geldbuße und zu den mit ihr geahndeten Verhaltensweisen vorgebracht hat, zurückgewiesen worden sind (vgl. in diesem Sinne Urteil Der Grüne Punkt - Duales System Deutschland/Kommission, Randnr. 194).



79  Daraus folgt, dass die Nichteinhaltung einer angemessenen Entscheidungsfrist im Rahmen der Prüfung einer Klage, die gegen eine Entscheidung der Kommission erhoben worden ist, mit der gegen ein Unternehmen eine Geldbuße wegen Verstoßes gegen das Wettbewerbsrecht der Union verhängt wurde, nicht dazu führen kann, dass die mit dieser Entscheidung verhängte Geldbuße ganz oder teilweise aufgehoben wird.



80  Soweit die Rechtsmittelführerin hilfsweise zur Wiedergutmachung des wirtschaftlichen Schadens, der ihr aus der überlangen Dauer des Verfahrens vor dem Gericht entstanden sein soll, eine Herabsetzung der Geldbuße beantragt, für die sie gesamtschuldnerisch haftet, ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof, als er mit einem ähnlichen Sachverhalt befasst war, einem solchen Antrag zunächst aus Gründen der Prozessökonomie und im Hinblick darauf, dass gegen einen solchen Verfahrensfehler ein unmittelbarer und effektiver Rechtsbehelf gegeben sein muss, stattgegeben und folglich die Geldbuße herabgesetzt hat (Urteil vom 17. Dezember 1998, Baustahlgewebe/Kommission, C‑185/95 P, Slg. 1998, I‑8417, Randnr. 48).



81  Später hat der Gerichtshof in einer Rechtssache, in der es um eine Entscheidung der Kommission ging, mit der ein Missbrauch einer beherrschenden Stellung festgestellt, aber keine Geldbuße verhängt wurde, entschieden, dass die Nichteinhaltung einer angemessenen Entscheidungsfrist durch das Gericht zu einer Schadensersatzklage führen kann (Urteil Der Grüne Punkt - Duales System Deutschland/Kommission, Randnr. 195).



82  Die vorliegende Rechtssache betrifft zwar einen Sachverhalt, der mit demjenigen vergleichbar ist, der dem Urteil Baustahlgewebe/Kommission zugrunde lag. Eine auf der Grundlage der Art. 268 AEUV und 340 Abs. 2 AEUV gegen die Union erhobene Schadensersatzklage stellt jedoch, da sie alle Fälle der Überschreitung einer angemessenen Verfahrensdauer abdecken kann, einen effektiven und allgemeinen Rechtsbehelf zur Geltendmachung und Ahndung eines solchen Verstoßes dar.



83  Der Gerichtshof gelangt daher zu dem Ergebnis, dass der Verstoß eines Unionsgerichts gegen seine Pflicht nach Art. 47 Abs. 2 der Charta, in den bei ihm anhängig gemachten Rechtssachen innerhalb einer angemessenen Frist zu entscheiden, mit einer Schadensersatzklage vor dem Gericht zu ahnden ist, da eine solche Schadensersatzklage einen effektiven Rechtsbehelf darstellt.



84  Daraus folgt, dass der Ersatz des Schadens, der durch die Nichteinhaltung einer angemessenen Verfahrensdauer durch das Gericht verursacht wurde, nicht unmittelbar im Rahmen eines Rechtsmittels beim Gerichtshof beantragt werden kann, sondern beim Gericht selbst eingeklagt werden muss.



85  Zu den Kriterien, anhand deren zu beurteilen ist, ob das Gericht den Grundsatz der angemessenen Entscheidungsfrist beachtet hat, ist festzustellen, dass die Angemessenheit der Entscheidungsfrist anhand der Umstände jeder einzelnen Rechtssache, etwa der Komplexität des Rechtsstreits und des Verhaltens der Parteien, zu beurteilen ist (vgl. u. a. Urteil Der Grüne Punkt - Duales System Deutschland/Kommission, Randnr. 181 und die dort angeführte Rechtsprechung).



86  Der Gerichtshof hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass die Liste der relevanten Kriterien nicht abschließend ist und dass die Beurteilung der Angemessenheit dieser Frist keine systematische Prüfung der Umstände des Falles anhand jedes Kriteriums erfordert, wenn die Dauer des Verfahrens anhand eines von ihnen gerechtfertigt erscheint. Die Komplexität der Sache oder vom Kläger herbeigeführte Verzögerungen können daher herangezogen werden, um eine auf den ersten Blick zu lange Dauer zu rechtfertigen (vgl. u. a. Urteil Der Grüne Punkt - Duales System Deutschland/Kommission, Randnr. 182 und die dort angeführte Rechtsprechung).



87  Bei der Prüfung dieser Kriterien ist zu berücksichtigen, dass bei einem Rechtsstreit über eine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln das grundlegende Gebot der für die Wirtschaftsteilnehmer unerlässlichen Rechtssicherheit und das Ziel, zu gewährleisten, dass der Wettbewerb im Binnenmarkt nicht verfälscht wird, nicht nur für den Rechtsmittelführer und seine Konkurrenten, sondern wegen der großen Zahl betroffener Personen und der berührten finanziellen Interessen auch für Dritte von erheblichem Interesse sind (vgl. u. a. Urteil Der Grüne Punkt - Duales System Deutschland/Kommission, Randnr. 186 und die dort angeführte Rechtsprechung).



88  Es ist ebenfalls Sache des Gerichts, unter Prüfung der hierzu vorgelegten Nachweise sowohl die Verwirklichung des geltend gemachten Schadens als auch den Kausalzusammenhang zwischen dem Schaden und der überlangen Dauer des streitigen Gerichtsverfahrens zu beurteilen.



89  Insoweit ist hervorzuheben, dass das Gericht im Fall einer Schadensersatzklage mit der Begründung, es habe die Anforderungen zur Wahrung einer angemessenen Entscheidungsfrist verkannt und dadurch Art. 47 Abs. 2 der Charta verletzt, gemäß Art. 340 Abs. 2 AEUV die allgemeinen Grundsätze zu berücksichtigen hat, die in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten für auf ähnliche Verstöße gestützte Klagen gelten. In diesem Zusammenhang muss das Gericht insbesondere untersuchen, ob sich feststellen lässt, dass die von der Fristüberschreitung betroffene Partei neben einem materiellen Schaden auch einen immateriellen Schaden erlitten hat, der gegebenenfalls angemessen zu entschädigen ist.



90  Es ist daher Sache des nach Art. 256 Abs. 1 AEUV zuständigen Gerichts, über solche Schadensersatzklagen in einer anderen Besetzung als derjenigen, in der es mit dem als überlang gerügten Verfahren befasst war, und unter Heranziehung der in den Randnrn. 85 bis 89 des vorliegenden Urteils angeführten Kriterien zu entscheiden.



91  Dies vorausgeschickt, ist festzustellen, dass sich die Dauer des Verfahrens vor dem Gericht, die sich auf fast fünf Jahre und neun Monate belief, durch keinen der Umstände der Rechtssache, die zum vorliegenden Rechtsstreit geführt hat, rechtfertigen lässt.



92  So ist insbesondere zu konstatieren, dass zwischen dem Abschluss des schriftlichen Verfahrens mit der Einreichung der Gegenerwiderung der Kommission im Februar 2007 und der Eröffnung der mündlichen Verhandlung im Dezember 2010 etwa drei Jahre und zehn Monate lagen. Die Länge dieser Zeitspanne lässt sich nicht mit den Umständen der Rechtssache erklären, ob es sich nun um die Komplexität des Rechtsstreits, das Verhalten der Parteien oder Zwischenstreitigkeiten handelt.



93  Was die Komplexität der Rechtssache angeht, so ergibt eine Überprüfung der in Randnr. 13 des vorliegenden Urteils zusammengefassten Klage der Rechtsmittelführerin, dass die geltend gemachten Klagegründe zwar eine eingehende Prüfung erforderlich machten, aber keinen besonders hohen Schwierigkeitsgrad aufwiesen. Auch dass 15 Adressaten der streitigen Entscheidung beim Gericht Klagen auf deren Nichtigerklärung erhoben hatten, kann das Gericht nicht daran gehindert haben, innerhalb von weniger als drei Jahren und zehn Monaten eine Zusammenfassung der Akten zu erstellen und die mündliche Verhandlung vorzubereiten.



94  Es ist hervorzuheben, dass das Gericht während dieser Zeitspanne das Verfahren weder unterbrochen noch verzögert hat, indem es irgendeine prozessleitende Maßnahme erlassen hätte.



95  Was das Verhalten der Parteien und das Auftreten von Zwischenstreitigkeiten anbelangt, kann der Umstand, dass die Rechtsmittelführerin im Oktober 2010 die Wiedereröffnung des schriftlichen Verfahrens beantragt hat, nicht die seit dessen Abschluss bereits abgelaufene Zeitspanne von drei Jahren und acht Monaten rechtfertigen. Dass der Rechtsmittelführerin im Dezember 2010 mitgeteilt wurde, die mündliche Verhandlung werde im Februar 2011 stattfinden, zeigt darüber hinaus, wie die Generalanwältin in Nr. 105 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, dass sich dieser Zwischenstreit auf die Gesamtdauer des Verfahrens allenfalls geringfügig oder gar nicht ausgewirkt hat.



96  Nach alledem ist festzustellen, dass das Verfahren vor dem Gericht gegen Art. 47 Abs. 2 der Charta verstoßen hat, da die Anforderungen zur Wahrung einer angemessenen Entscheidungsfrist verkannt wurden. Dies bildet einen hinreichend qualifizierten Verstoß gegen eine Rechtsnorm, die bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen (Urteil vom 4. Juli 2000, Bergaderm und Goupil/Kommission, C‑352/98 P, Slg. 2000, I‑5291, Randnr. 42).



97  Aus den in den Randnrn. 73 bis 84 des vorliegenden Urteils dargelegten Erwägungen ergibt sich jedoch, dass der vierte Rechtsmittelgrund zurückzuweisen ist.



 Zur Finanzlage der Rechtsmittelführerin



98  In der mündlichen Verhandlung hat die Rechtsmittelführerin dem Gerichtshof Angaben zu ihrer gegenwärtigen Finanzlage vorgelegt, aus denen sich ergeben soll, dass sie die in der streitigen Entscheidung festgesetzte Geldbuße nicht zahlen kann. Diese Ausführungen, die ihren Antrag auf vollständige Aufhebung oder, hilfsweise, Herabsetzung dieser Geldbuße stützen sollen, sind ihrer Ansicht nach zulässig, da sie zum einen im Zusammenhang mit einer neuen Tatsache im Sinne von Art. 127 der Verfahrensordnung stünden und zum anderen eine Erweiterung des vierten Rechtsmittelgrundes darstellten, mit dem ein Verstoß gegen den Grundsatz der angemessenen Entscheidungsfrist gerügt werde.



99  Die Kommission macht geltend, dass dieses Vorbringen neu und damit unzulässig, jedenfalls aber unbegründet sei, weil es nicht durch Beweise erhärtet werde.



100 Hierzu ist festzustellen, dass beim Gerichtshof eingelegte Rechtsmittel auf Rechtsfragen beschränkt sind. Um beurteilen zu können, ob die Rechtsmittelführerin in der Lage ist, die ihr von der Kommission auferlegte Geldbuße zu zahlen, müsste der Gerichtshof Tatsachenfragen prüfen, die im Rahmen eines Rechtsmittels nicht in seine Zuständigkeit fallen.



101 Ebenso wenig darf der Gerichtshof bei seiner Entscheidung über ein Rechtsmittel seine eigene Würdigung aus Gründen der Billigkeit an die Stelle der Würdigung des Gerichts setzen, das in Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung über die Höhe der wegen Verletzung des Unionsrechts gegen ein Unternehmen verhängte Geldbuße entscheidet (vgl. u. a. Urteil vom 10. Mai 2007, SGL Carbon/Kommission, C‑328/05 P, I‑3921, Randnr. 98 und die dort angeführte Rechtsprechung). Überdies ist die Kommission nach ständiger Rechtsprechung nicht verpflichtet, bei der Bemessung der Geldbuße die wirtschaftliche Lage des betroffenen Unternehmens zu berücksichtigen, da die Anerkennung einer solchen Verpflichtung darauf hinauslaufen würde, den am wenigsten den Marktbedingungen angepassten Unternehmen ungerechtfertigte Wettbewerbsvorteile zu verschaffen (vgl. u. a. Urteil SGL Carbon/Kommission, Randnr. 100 und die dort angeführte Rechtsprechung).



102 Das Vorbringen der Rechtsmittelführerin zu ihrer Finanzlage ist daher als unzulässig und jedenfalls unbegründet zurückzuweisen.



103 Es ist jedoch hinzuzufügen, dass es der Rechtsmittelführerin freisteht, ihre finanziellen Schwierigkeiten, soweit sie einen Kausalzusammenhang zwischen diesen und der Nichteinhaltung des Grundsatzes der angemessenen Entscheidungsfrist durch das Gericht für gegeben hält, im Rahmen einer beim Gericht nach den Art. 268 AEUV und 340 Abs. 2 AEUV erhobenen Klage geltend zu machen (vgl. Randnrn. 88 bis 90 des vorliegenden Urteils).



104 Nach alledem greift keiner der von der Rechtsmittelführerin geltend gemachten Rechtsmittelgründe durch, so dass das Rechtsmittel insgesamt zurückzuweisen ist.



 Kosten



105 Nach Art. 184 Abs. 2 der Verfahrensordnung entscheidet der Gerichtshof, wenn das Rechtsmittel unbegründet ist, über die Kosten.



106 Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung, der gemäß deren Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Rechtsmittelführerin mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr gemäß dem entsprechenden Antrag der Kommission ihre eigenen Kosten und die Kosten der Kommission aufzuerlegen.



Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt und entschieden:



1.  Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.



2.  Die Groupe Gascogne SA trägt die Kosten des Rechtsmittelverfahrens.



Unterschriften

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