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Wirtschaftsrecht
06.03.2009
Wirtschaftsrecht
LG München I: Beschränkung der Redezeit durch HV-Versammlungsleiter

LG München I, Urteil vom 11.12.2008 - 5 HK O 15201/08

Sachverhalt

Die Parteien streiten mittels Anfechtungsklagen um die Wirksamkeit von Beschlüssen einer Hauptversammlung der Beklagten.

I. Die Beklagte - eine börsennotierte, in den Bereichen Elektromechanik und Elektronik tätige Aktiengesellschaft mit einem in 180.000 Stückaktien eingeteilten Grundkapital von € 4.680.000,-- - veröffentlichte am 17.06.2008 im elektronischen Bundesanzeiger die Einladung zu ihrer Hauptversammlung für den 29.07.2008 (Anlage II zu Anlage B 1). Dabei enthielt die Bekanntmachung Beschlussvorschläge zu folgenden Tagesordnungspunkten:

2.

„2. Beschlussfassung über die Entlastung des Vorstands für das Geschäftsjahr 2007.

Vorstand und Aufsichtsrat schlagen vor, dem Vorstand für das Geschäftsjahr 2007 Entlastung zu erteilen.

3. Beschlussfassung über die Entlastung der Mitglieder des Aufsichtsrats für das Geschäftsjahr 2007.

Vorstand und Aufsichtsrat schlagen vor, den Mitgliedern des Aufsichtsrats für das Geschäftsjahr 2007 Entlastung zu erteilen und zwar für die nachstehend genannten Zeiträume:

Prof. Dr. ... S..., Vorsitzender,

01.01.-31.12.2007

C... W..., stellv. Vorsitzender,

01.01.-31.12.2007

... B..., AN-Vertreter,

01.01.-31.12.2007"

Mehrere Aktionäre stellten einen Antrag auf Erweiterung der Tagesordnung um folgende Beschlussvorschläge, die im elektronischen Bundesanzeiger ohne Nennung der Namen der Aktionäre  und ohne Begründung veröffentlicht wurden:

„5.  Das Grundkapital der Gesellschaft von EUR 4.680.000, eingeteilt in 180.000 auf den Inhaber lautende Aktien ohne Nennbetrag (Stückaktien), wird um EUR 4.500.000,00 auf EUR 180.000,00, eingeteilt in 180.000 auf den Inhaber lautende Stückaktien dergestalt herabgesetzt, dass mit Wirksamwerden der Kapitalherabsetzung auf eine Stückaktie ein anteiliger Betrag am Grundkapital von EUR 1,00 entfällt. Die Herabsetzung erfolgt nach den Vorschriften über die vereinfachte Kapitalherabsetzung zu dem Zweck, Wertminderungen auszugleichen und sonstige Verluste zu decken (§§ 229 ff. AktG). Aufsichtsrat und Vorstand werden angewiesen § 4 Absatz 1 der Satzung entsprechend zu ändern und § 4 Absatz 2 entsprechend anzupassen.

6.   Das herabgesetzte Grundkapital von 180.000 Euro wird gegen Bareinlagen im Verhältnis 1:1 auf 360.000 Euro erhöht. Der Bezugspreis für eine Aktie beträgt 5 Euro. Jedem Aktionär wird ein Bezugsrecht eingeräumt. Ein Bezugsrechtshandel findet nicht statt, die Gesellschaft wird aber dafür sorgen, dass Bezugsrechte vermittelt werden. Aufsichtsrat und Vorstand werden angewiesen § 4 Absatz 1 der Satzung entsprechend zu ändern."

Die Satzung der Beklagten (Anlage B 2) enthielt u. a. folgende Regelungen:

„§ 15

...

Der Versammlungsleiter regelt den Ablauf der Hauptversammlung. Er bestimmt die

Reihenfolge der Redner, der Verhandlungsgegenstände sowie das Abstimmungsverfahren. Der Versammlungsleiter kann das Frage- und Rederecht der Aktionäre zeitlich angemessen beschränken. Er ist insbesondere berechtigt, zu Beginn der Hauptversammlung oder während ihres Verlaufs einen zeitlich angemessenen Rahmen  für den ganzen Hauptversammlungsverlauf, für einzelne Tagesordnungspunkte, für einzelne Frage- und Redebeiträge und für den einzelnen Redner zu setzen."

Im März 2008 brach ein Feuer auf dem Betriebsgelände aus; zu diesem Zeitpunkt hatte der Vorstand für die Beklagte noch keine Betriebsunterbrechungsversicherung abgeschlossen.

Am 29.7.2008 fand die Hauptversammlung der Beklagten statt, an der die Klägerinnen teilnahmen. Zu Beginn der Hauptversammlung beschränkte der Versammlungsleiter die Redezeit auf fünf Minuten, wobei er darauf hinwies, dass auf die fünf Minuten die auf Fragen des Aktionärs entfallende Zeit nicht angerechnet wurden. Während der Hauptversammlung meldeten sich Herr ... S... und Herr ... Sc... zu Wort. Dabei erläuterte Herr ... S... insbesondere auch seinen Antrag zu den Tagesordnungspunkten 5 und 6. Das Mitglied des Aufsichtsrates, Herr C... W..., hatte der Beklagten bereits im Juli 2006 mitgeteilt, dass er zusammen mit seiner Familie 72,42 % der Stimmrechte halte; davon entfielen 24,9 % auf ihn, der Rest auf die Familienmitglieder M... W..., E... W... und T... W.... Bei der Abstimmung über die Entlastung des Aufsichtsrates enthielt sich Herr C... W... mit seinem Stimmrechtsanteil von 24,9 %. Die Hauptversammlung fasste zu den Tagesordnungspunkten 2 und 3 Beschlüsse entsprechend den Beschlussvorschlägen der Verwaltung. Den Beschlussvorschlag zu Tagesordnungspunkt 5 lehnte die Hauptversammlung bei 145.032 stimmberechtigten Aktien mit 132.130 Nein-Stimmen bei 1.496 Stimmenthaltungen und 11.406,-- Ja-Stimmen ab. Für den Beschlussvorschlag zu Tagesordnungspunkt 6 gab es 132.265 Nein-Stimmen, 1.496 Stimmenthaltungen und 11.271 Ja-Stimmen. Die Klägerinnen erklärten Widerspruch zu Protokoll des beurkundeten Notars a.D. Dr. ... M....


II.


Zur Begründung ihrer Klagen machen die Klägerinnen im Wesentlichen geltend, die Anfechtbarkeit der Beschlüsse resultiere aus einer willkürlichen Sitzungsleitung durch den als Parteivertreter des Großaktionärs agierenden Versammlungsleiter, der diverse Wortmeldungen der Aktionäre S... und Sc... zur Geschäftsordnung und zu einem ordnungsgemäßen Verlauf missachtet, die Vertagung der Hauptversammlung vereitelt und damit insgesamt nicht die erforderliche Objektivität gewahrt habe. Die Maßnahme der Beschränkung der Redezeit ohne Not zu Beginn der Versammlung stelle sich als Gesetzesbruch dar. Dasselbe gelte für den Versuch des beurkundenden Notars, den Aktionär S... zur Rücknahme seines Widerspruchs zu überreden; dies hätte der Versammlungsleiter unterbinden müssen. Die Ausführungen des Vorstandes zu beabsichtigten Kapitalherabsetzungen seien ein Verstoß gegen die gesetzliche Treuepflicht. Ebenso liege eine Verletzung des Auskunftsrechts vor, nachdem aus dem Fragenkatalog des Aktionärs S... insgesamt 13 Fragen im Wesentlichen unbeantwortet geblieben seien. Das Unterlassen des Abschlusses einer Betriebsunterbrechungsversicherung beinhalte einen schwerwiegenden Verstoß gegen die Pflichten eines sorgfältigen Vorstandes, weshalb der Entlastungsbeschluss anfechtbar sei. Bezüglich der Erklärung über den Corporate Governance Kodex führe die Internetseite der Beklagten den Aktionär völlig in die Irre; sie beinhalte keine Erklärung. Auch fehle es an der Verfügbarmachung der fünf letzten Erklärungen der Beklagten. Die Anfechtbarkeit der Entlastung des Aufsichtsrates ergebe sich zudem aus der Enthaltung des Aufsichtsratsmitgliedes C... W... mit einem Stimmrechtsanteil von lediglich 24,9 % und nicht mit einem Stimmrechtsanteil von 72,42 %. Angesichts dessen müsse auch dem Aufsichtsratsvorsitzenden als Sitzungsleiter die Entlastung versagt werden. Die Aktionärsstellung der Klägerinnen zum maßgeblichen Zeitpunkt der Bekanntmachung der Einladung habe bestanden.

Die Klägerinnen haben mit Schriftsätzen jeweils vom 10.12.2008 (Bl. 51/52 bzw. Bl. 53 d.A.) ihre sich ursprünglich gegen die Beschlussfassungen zu den Tagesordnungspunkten 5 und 6 richtenden Klagen zurückgenommen.

Zuletzt haben die Klägerinnen daher Folgendes beantragt:

Die in der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom 29. Juli 2008 unter Tagesordnungspunkt 2 und 3 gefassten Beschlüsse mit nachfolgendem Inhalt:

Punkt 2 der Tagesordnung: Beschlussfassung über die Entlastung des Vorstands für das Geschäftsjahr 2007

Vorstand und Aufsichtsrat schlagen vor, dem Vorstand für das Geschäftsjahr 2007 Entlastung zu erteilen.

Punkt 3 der Tagesordnung: Beschlussfassung über die Entlastung der Mitglieder des Aufsichtsrates für das Geschäftsjahr 2007

Vorstand und Aufsichtsrat schlagen vor, den Mitgliedern des Aufsichtsrats für das Geschäftsjahr 2007 Entlastung zu erteilen und zwar für die nachstehend genannten Zeiträume

Prof. Dr. ... S..., Vorsitzender, 01.01.-31.12.2007

C... W..., stellv. Vorsitzender, 01.01-31.12.2007

werden für nichtig erklärt.

Hilfsweise habe die Klägerinnen Folgendes beantragt:

Es wird festgestellt, dass die in der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom 29. Juli 2008 unter TOP 2, teilweise 3 gefassten Beschlüsse mit dem im Hauptantrag wiedergegebenen Inhalt nichtig sind.

Äußerst hilfsweise haben die Kläger Folgendes beantragt:

Es wird festgestellt, dass die in der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom 29. Juli 2008 unter TOP 2 und teilweise 3 gefassten Beschlüsse mit dem im Hauptantrag wiedergegebenen Inhalt unwirksam sind.

III.


Die Beklagte beantragt demgegenüber:

Klageabweisung.

Zur Begründung beruft sie sich im Wesentlichen darauf, es fehle bereits an einem schlüssigen Vortrag zur Anfechtungsbefugnis der Klägerinnen, weil aus der Klageschrift angesichts der Formulierung im letzten Satz auf Seite 6 im Singular nicht klar werde, welche der Klägerinnen gegen die Beschlüsse gestimmt und Widerspruch eingelegt habe. Auch werde die Aktionärseigenschaft der Klägerinnen mit Nichtwissen bestritten. Zudem fehle jeder Vortrag zur Einhaltung der Monatsfrist. Wortmeldungen zur Geschäftsordnung oder Monita zu Missständen bereits zu Beginn der Debatte habe es nicht gegeben. Die Beschränkung der Redezeit beruhe auf den Regelungen in § 15 Nr. 2 Sätze 3 und 4 der Satzung; auch habe es keine Beschwerden diesbezüglich ergeben. Aus einer erfolgten rechtlichen Beratung durch den beurkundenden Notar bezüglich der Einladungen zur Hauptversammlung könne ein Gesetzesverstoß nicht abgeleitet werden, weil die Mitwirkung selbst eines ausgeschlossenen Notars nicht die Nichtigkeit der angefochtenen Beschlüsse begründe. Ebenso wenig habe der Notar versucht, Herrn S... zur Rücknahme seines Widerspruchs zu bewegen, sondern er habe ihm nur die Zeitungsveröffentlichungen über die Erfüllung der Mitteilungspflichten der Mitglieder der Familie W... übergeben. Die Verletzung der Treuepflicht der Aktionäre werde unzulässig mit den Berichtspflichten des Vorstandes vermengt. Zudem benenne keiner der Klägerinnen den Großaktionär. Die Ausführungen des Vorstandes zu den Folgen der Kapitalherabsetzung seien zutreffend. Auch könne von einer Verletzung des Auskunftsrechts der Aktionäre nicht ausgegangen werden. Zudem gehe aus der Niederschrift hervor, dass alle Fragen beantwortet seien, nachdem sich auf Nachfrage des Versammlungsleiters keiner der beiden Aktionäre gegenteilig geäußert habe. Demgemäß habe auch keine der Klägerinnen ein Verfahren nach § 132 AktG angestrengt. Es fehle zudem an hinreichendem Vortrag zur Kausalität. Eine Missachtung von Vorstandspflichten im Zusammenhang mit dem Brand liege nicht vor; insbesondere habe keine Produktionsunterbrechung stattgefunden, weshalb es auch zu keiner Beeinträchtigung von Umsatz und Gewinn gekommen sei. Auf der Internetseite der Beklagten finde sich unter der Rubrik „Investor Relations" der Unterpunkt „Corporate Governance Kodex", wo die Erklärung als PDF-Datei abrufbar sei. Dauerhaft zugänglich gemacht werden müsse nach dem Gesetz nur die aktuelle Erklärung, während es sich bei Nr. 3.10 Satz 4 DCGK um eine von der Beklagten nicht anerkannte Soll-Vorschrift handele. Die fehlende Begründung und Namensnennung bei der Bekanntmachung der Erweiterung ziehe wegen der Entbehrlichkeit nicht die Anfechtbarkeit von Beschlüssen nach sich. Ein Gegenantrag im Sinne des § 126 Abs. AktG liege nicht vor, weshalb diese Norm nicht beachtet werden müsse.

IV.

Der Aktionär A... M... ist mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 17.11.2008 (Bl. 44/ 45 d.A.) dem Rechtsstreit auf Seiten der Klägerinnen als Nebenintervenient beigetreten.

Die Aktionärin G... AG hat mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 20.10.2008 (Bl. 24/26 d.A.) den Beitritt zum Rechtsstreit als Nebenintervenientin auf Seiten der Beklagten erklärt.

V.


Zur Ergänzung des Tatbestandes wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 11.12.2008 (Bl. 56/60 d.A.).

Aus den Gründen

I. Die Anfechtungsklagen sind zulässig und begründet, weil die zu den Tagesordnungspunkten 2 und 3 gefassten Beschlüsse das Gesetz im Sinne des § 243 Abs. 1 AktG verletzen.

Die Klägerinnen sind anfechtungsbefugt gemäß § 245 Nr. 1 AktG. Nach dieser Vorschrift ist zur Anfechtung befugt jeder in der Hauptversammlung erschienene Aktionär, wenn er die Aktien schon vor der Bekanntmachung erworben hatte und gegen den Beschluss Widerspruch zur Niederschrift erklärt hat. Aufgrund der von den Klägerinnen vorgelegten Bescheinigungen der C... S.A. jeweils vom 10.12.2008 ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts, dass die Klägerinnen bereits zum Zeitpunkt der Bekanntmachung der Einladung am 17.6.2008 Aktionärinnen der Beklagten waren, nachdem in den Bescheinigungen aufgeführt ist, dass diese Bank seit dem 1.1.2008 bis einschließlich 9.12.2008 jeweils ununterbrochen Aktien für die beiden Klägerinnen verwahrt habe. Ebenso ergibt sich aus der Klageschrift mit hinreichender Deutlichkeit, dass beide Klägerinnen Widerspruch zur Niederschrift erklärt haben. Gerade auch mit Blick auf das von der Beklagten vorgelegte Protokoll der Hauptversammlung und das Teilnehmerverzeichnis ist die Verwendung des Singulars in der Klageschrift erkennbar aus Schreibversehen anzusehen.

Die Klagen wurden fristgerecht innerhalb der Monatsfrist des § 246 Abs. 1 AktG erhoben. Zwar ist eine Klage erst mit Zustellung an die Beklagte - hier also an ein Mitglied des Vorstandes sowie ein Mitglied des Aufsichtsrates - erhoben, was am 6.10. bzw. 1.10.2008 erfolgte. Ungeachtet dessen kann aber auf die Anhängigkeit bei Gericht abgestellt werden, weil die Vorschrift des § 167 ZPO auch im Anwendungsbereich von § 246 Abs. 1 AktG eingreift und die Zustellung „demnächst" erfolgte. Die Klage ging per Telefax und damit in hinreichender Form am 29.8.2009 bei Gericht ein, was sich unmittelbar aus den Gerichtsakten ergibt. Nachdem der Gerichtskostenvorschuss, zu dessen Zahlung bereits mit Einreichung der Klage keine Verpflichtung besteht, nach vorläufiger Festsetzung des Streitwertes mit Beschluss vom 2.9.2008 und Aufforderung durch das Gericht bereits am 15.9.2008 einbezahlt wurde, besteht kein Zweifel, dass dies als demnächst erfolgte Zustellung anzusehen ist. Die weiteren Verzögerungen bis zum 1. bzw. 6.10.2008 sind ausschließlich der Sphäre des Gerichts zuzuordnen. Da sich der Eingang der Klage bei Gericht unmittelbar aus den Gerichtsakten ergibt, muss in der Klageschrift hierzu nicht gesondert vorgetragen werden.

Die zu den Tagesordnungspunkten 2 und 3 gefassten Beschlüsse zur Entlastung des Vorstandes sowie von zwei Mitgliedern des Aufsichtsrates verstoßen gegen das Gesetz.

a.         Ein Entlastungsbeschluss ist dann anfechtbar, wenn Gegenstand der Entlastung ein Verhalten ist, das eindeutig einen schwerwiegenden Gesetzes- oder Satzungsverstoß darstellt. Dem kann auch nicht die Regelung in § 120 Abs. 2 Satz 2 AktG entgegengehalten werden. Die in § 243 Abs. 1 AktG getroffene Regelung, wonach jeder gesetzes- oder satzungswidrige Beschluss der Hauptversammlung angefochten werden kann, erfährt durch die Abtrennung des Verzichts auf Schadensersatzansprüche von der Entlastung keine Durchbrechung. Anderenfalls könnte eine zur Billigung rechtsbrechenden Verhaltens entschlossene Mehrheit gegen den Widerstand einer gesetzes- und satzungstreuen Minderheit eine Entlastung des Vorstandes jederzeit durchsetzen. Dies widerspricht indes nicht nur der Regelung in § 243 Abs. 1 AktG, sondern wäre auch mit dem Gesichtspunkt der Treuepflicht der Mehrheit gegenüber der Minderheit unvereinbar (vgl. BGH NJW 2003, 1032, 1033 - Macrotron; NZG 2005, 77, 78 - ThyssenKrupp; LG München I CR 2007, 423 f.; Hüffer, AktG, 8. Aufl., Rdn. 12 zu § 120; Henze BB 2005, 165, 168 f.). Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze muss vorliegend die Anfechtbarkeit bejaht werden.

(1)        Um darüber entscheiden zu können, ob ein derartiger Gesetzesverstoß vorliegt, benötigen die Aktionäre die entsprechenden Informationen. Entsprechend der Funktion des Auskunftsrechts, das auch zur Meinungs- und Urteilsbildung anderer Aktionäre, insbesondere der Minderheitsaktionäre beitragen soll, ist Maßstab für die Erforderlichkeit bzw. Beurteilungsrelevanz eines Auskunftsverlangens der Standpunkt des objektiv urteilenden Aktionärs, der die Gesellschaftsverhältnisse nur aufgrund allgemein bekannter Tatsachen kennt und daher die begehrte Auskunft als nicht nur unwesentliches Beurteilungselement benötigt. Für das Auskunftsrecht im Rahmen einer bevorstehenden Organentlastung gilt nichts anderes. Die Aktionäre haben hier darüber zu entscheiden, ob die Tätigkeit der Organmitglieder im abgelaufenen Geschäftsjahr zu billigen ist, sie in der Unternehmensführung eine „glückliche Hand" bewiesen haben und ihnen das Vertrauen auch für ihre künftige Tätigkeit auszusprechen ist. Daher kann ein Entlastungsbeschluss angefochten werden, wenn das Auskunftsrecht verletzt worden ist (vgl. BGHZ 94, 324, 326; BGH NZG 2005, 77, 78 - ThyssenKrupp m.w.N.).

(2)        Vorliegend ist das Auskunftsrecht der Aktionäre i. S. d. § 131 Abs. 1 AktG durch die Beschränkung der Redezeit auf fünf Minuten bereits zu Beginn der Hauptversammlung verletzt worden. Diese Beschränkung führt zur Anfechtbarkeit des Entlastungsbeschlusses.

(a)        Zwar lässt die Regelung des § 131 Abs. 2 Satz 2 AktG es zu, dass die Satzung einer Gesellschaft den Versammlungsleiter ermächtigt, das Frage- und Rederecht des Aktionärs zeitlich angemessen zu beschränken. Die in § 15 Nr. 2 Satz 3 der Satzung der Beklagten enthaltene Ermächtigung an den Versammlungsleiter, zu Beginn der Hauptversammlung einen zeitlich angemessenen Rahmen unter anderem für den ganzen Hauptversammlungsverlauf zu setzen, wovon er vorliegend Gebrauch machte, rechtfertigt im konkreten Fall jedenfalls keine zeitliche Begrenzung des Rederechts auf fünf Minuten bereits zu Beginn der Hauptversammlung.

(b)        Diese Beschränkung des Rederechts durch den Versammlungsleiter erfolgte nämlich unter Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Das Recht eines Aktionärs, während der Hauptversammlung reden zu können und Informationen zu erhalten, ist durch das Eigentumsgrundrecht des Art. 14 Abs. 1 GG geschützt, weil beide Rechte essentiell für die Ausübung der Mitgliedschaftsrechte eines Aktionärs sind (vgl. BVerfG NJW 2000, 349, 350 f. = AG 2000, 47). Demgemäß müssen sich Beschränkungen dieses Rechts am Maßstab der Verhältnismäßigkeit messen lassen, wobei dies sowohl für die Ermächtigung in der Satzung als solche als auch für die konkrete Maßnahme in der Hauptversammlung durch den Versammlungsleiter gelten muss. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist dabei nur gewahrt, wenn die Maßnahme auch im Einzelfall geeignet, erforderlich und dem Zweck angemessen ist (vgl. OLG Frankfurt AG 2008, 592, 593 f.; LG München I, Urteil vom 28.08.2008, Az. 5 HK O 12861/07, S. 170). Der Zweck der Regelung besteht in der Steigerung der Effektivität der Hauptversammlung, verwirklicht durch die Erreichung der Zwischenziele „Förderung der Diskussionskultur" und „Vorbeugung vor Missbrauch" (vgl. BT-Drucks. 15/5092 S. 17; auch OLG Frankfurt AG 2008, 592, 593). Zur Erreichung dieser Ziele war die Beschränkung bei der streitgegenständlichen Hauptversammlung nicht erforderlich. Auch nach dem Vortrag der Beklagten gab es lediglich Wortmeldungen von zwei Teilnehmern. Dann aber ist nicht erkennbar, warum die Hauptversammlung nicht auch ohne Beschränkung der Redezeit in einem zeitlich angemessenen Rahmen hätte abgewickelt werden können. Es ist zumutbar, den Verlauf der konkreten Hauptversammlung abzuwarten, bevor der Versammlungsleiter über Maßnahmen entscheidet, die tief in Mitgliedschaftsrechte der Aktionäre eingreifen. Vor allem sind zunächst auch mildere Maßnahmen denkbar, um das Ziel eines straffen Ablaufes der Hauptversammlung zu erreichen und diese - sofern keine schwerwiegenden Strukturmaßnahmen auf der Tagesordnung stehen - sogar innerhalb des vom Gesetzgeber als Leitbild genannten zeitlichen Rahmens von vier Stunden abzuwickeln. Zu denken ist beispielsweise an einen Appell an die Aktionäre zu Beginn der Hauptversammlung, sich bei den Redebeiträgen kurz zu fassen oder auch zunächst eine Beschränkung der Redezeit anzudrohen, wenn absehbar ist, dass ansonsten die Gefahr besteht, die Hauptversammlung nicht fristgerecht am selben Tag beenden zu können. Da vorliegend die Hauptversammlung nach dem Inhalt der notariellen Niederschrift nur wenig mehr als zwei Stunden dauerte, ist nicht erkennbar, warum mildere Mittel nicht ausgereicht hätten.

Die Kausalität des Gesetzesverstoßes für die Entlastung im Sinne des § 243 Abs. 1 Satz 1 AktG muss bejaht werden. Ein objektiv urteilender Aktionär hätte die Erteilung der Information als welche Voraussetzung für die Wahrnehmung seiner Teilnahme- und Mitgliedschaftsrechte angesehen. Wegen unrichtiger, unvollständiger oder verweigerter Erteilung von Informationen kann nach der Regelung in § 243 Abs. 4 Satz 1 AktG nur angefochten werden, wenn ein objektiv urteilender Aktionär die Erteilung der Information als wesentliche Voraussetzung für die sachgerechte Wahrnehmung seiner Teilnahme- und Mitgliedschaftsrechte angesehen hätte. Der Gesetzgeber knüpfte bei der Schaffung dieser Vorschrift bewusst an die in der Rechtsprechung entwickelte Formel des „objektiv urteilenden Aktionärs" an. Auf die Frage, ob der tatsächliche Inhalt der in der Hauptversammlung verweigerten Auskunft einen objektiv urteilenden Aktionär von der Zustimmung zur Beschlussvorlage abgehalten hätte, kann es entgegen einer Formulierung in der Begründung zum Regierungsentwurf (vgl. BT-Drucks. 15/5092, S. 28 li Sp.) nicht ankommen. Der Gesetzeswortlaut spricht nämlich von der Wesentlichkeit für die sachgerechte Wahrnehmung der Teilnahme- und Mitgliedschaftsrechte. Dem kann unter Berücksichtigung des hinter dem Fragerecht und dem Anfechtungsrecht stehenden Grundgedankens keine solche Bedeutung beigemessen werden, dass die Anfechtungsklage nur dann Erfolg haben kann, wenn der objektiv urteilende Aktionär ohne den Verfahrensverstoß bzw. in Kenntnis der ihm zu offenbarenden Umstände in der Hauptversammlung anders abgestimmt hätte als dies tatsächlich geschehen ist (so zwar noch BGHZ 122, 211, 238 f.; aufgegeben durch BGHZ 149, 158, 164 f. und auch BGHZ 153, 32, 36 f.). Die in diese Richtung gehende Formulierung aus dem Referentenentwurf vom Januar 2004 wurde gerade nicht Gesetz. Entscheidend für die hier vertretene Auffassung spricht vor allem auch der Normzweck des Frage- wie auch des Anfechtungsrechts bei der Gesetzesauslegung, auch wenn vom Wortlaut des Gesetzes auszugehen ist. Das Frage- wie auch das Anfechtungsrecht gehören zu den Kernbereichen des Schutzes der Minderheitsaktionäre. Wenn dieses nicht leer laufen oder sinnentleert sein soll, kann es nicht darauf ankommen, ob der Aktionär in Kenntnis der Information anders abgestimmt hätte als tatsächlich geschehen. Demgemäß stellt der Gesetzeswortlaut bereits auf die wesentliche Voraussetzung für die sachgerechte Wahrnehmung der Teilnahme- und Mitgliedschaftsrechte des Aktionärs ab. Darunter ist aber dann die Relevanz für das Mitwirkungs- bzw. Mitgliedschaftsrecht dergestalt zu verstehen, dass dem Beschluss ein Legitimationsdefizit anhaftet, das bei einer wertenden, am Schutzzweck der verletzten Norm orientierten Betrachtung die Rechtsfolge der Anfechtbarkeit gerechtfertigt ist (vgl. BGH NZG 2005, 77, 79 - ThyssenKrupp für die Rechtslage vor dem Inkrafttreten des UMAG; auch Göz/Holzborn WM 2006, 157, 160). Das UMAG hat an dieser Beurteilung aus den soeben genannten Gründen nichts geändert, so dass die Kammer die vom BGH in der zuletzt genannten Entscheidung aufgestellten Kriterien unverändert für maßgeblich erachtet.

Gerade auch weil Aktionäre einen Antrag auf Erweiterung der Tagesordnung im Sinne des § 122 AktG gestellt hatten, der eine Ursache in der Geschäftsentwicklung der Beklagten hatten, die gegebenenfalls auch bei der Frage nach der Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat Bedeutung gewinnen kann, muss ein derartiges Legitimationsdefizit vorliegend bejaht werden.

Die Berufung auf das Anfechtungsrecht wegen der Beschränkung der Redezeit ist nicht unter dem Gesichtspunkt widersprüchlichen Verhaltens als verwirkt anzusehen. Es besteht nämlich keine Rechtspflicht oder auch nur Obliegenheit eines Aktionärs, von sich aus während der Hauptversammlung zu begründen, warum Widerspruch zur Niederschrift erklärt wird. Etwas anderes wird lediglich für die Fälle angenommen, in denen der Versammlungsleiter ausdrücklich nachfragt, ob alle Fragen beantwortet seien und sich dann von Seiten der an der Hauptversammlung teilnehmenden Aktionäre kein Widerspruch erhebt - insoweit verhält sich ein Aktionär dann widersprüchlich, wenn er auf die Frage hin einerseits schweigt, andererseits aber darauf gestützt Anfechtungsklage erhebt (vgl. LG Braunschweig BB 1991, 856, 858; LG Mainz WM 1987, 1129, 1130; LG München I AG 2007, 255, 257 = MittBayNot 2007, 142, 145; Beschluss vom 9.3.2006, Az. 5HK O 1971/06, S. 20 - n.v.; Kubis in: Münchener Kommentar zum AktG, 2. Aufl., Rdn. 71 zu § 131; Decher in: Großkommentar zum AktG, 4. Aufl., Rdn. 395 zu § 131). Allein der Hinweis des Versammlungsleiters, er gehe davon aus, dass eine Redezeitbeschränkung im Interesse aller anwesenden Aktionäre sei, begründet dagegen nicht die Obliegenheit, sich hiergegen auszusprechen, zumal insoweit die Vorschrift des § 131 Abs. 5 AktG nach ihrem klaren Wortlaut keine Anwendung findet.

Ebenso wenig waren die Klägerinnen verpflichtet gewesen, einen auf § 132 AktG gestützten Antrag zu stellen. Die verschiedenen Mittel zur Rechtsdurchsetzung des Anfechtungsrechts stehen nebeneinander, weil sie sich in ihren Voraussetzungen, Rechtsfolgen und Regelungszielen unterscheiden. Daher besteht kein Vorrang des § 132 AktG gegenüber der Anfechtungsklage (vgl. BGHZ 86, 1, 3 ff. = NJW 1983, 878; KG AG 2001, 355, 356; Decher In: Großkommentar zum AktG, a.a.O., Rdn. 10 zu § 132; Kubis in: Münchener Kommentar zum AktG, a.a.O., Rdn. 60 zu § 132; Siems in: Spindler/Stilz, AktG, Rdn. 87 zu § 131). Dies muss vorliegend umso mehr gelten, als es bei der hier durchgreifenden Rüge nicht um die mangelnde Beantwortung einzelner Fragen geht, sondern um die Beschränkung des Rederechts auf der Hauptversammlung.

Angesichts dessen waren die beiden Beschlüsse über die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat im angegriffenen Umfang für nichtig zu erklären. Inwieweit die weiteren erhobenen Rügen der Klägerinnen zum Tragen kommen, muss angesichts dessen nicht mehr abschließend entschieden werden. Ebenso wenig muss über die hilfsweise geltend gemachten Anträge entschieden werden, weil die Klagen bereits im Hauptantrag Erfolg hatten.

II.


Die Entscheidung über die Kosten hat ihre Grundlage in §§ 92 Abs. 1, 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO. Nachdem die Klägerinnen ihre Klagen teilweise zurückgenommen habe, musste unter Berücksichtigung der Wertung des § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO eine Kostenquotelung entsprechend der Relation der Wertansätze zu den Anträgen, bei denen die Klägerinnen obsiegt haben, einerseits zu denen, bei denen sie die Klagen (teilweise) zurückgenommen haben, andererseits erfolgen. Da es sich sowohl auf Seiten der Klägerinnen als auch der Beklagten jeweils um streitgenössische Nebeninterventionen handelte, mussten die Nebenintervenienten gemäß §§ 101 Abs. 2, 100 Abs. 1 ZPO an der Kostentragungspflicht in gleicher Weise wie die jeweiligen Hauptparteien beteiligt werden.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich jeweils aus §§ 708 Nr. 11, 711, 709 Satz 2 ZPO.

Die Entscheidung über den Streitwert resultiert aus §§ 247 Abs. 1 AktG, 5 ZPO. Dabei erachtet die Kammer angesichts der Bedeutung der gefassten Beschlüsse für die Klägerinnen einerseits und die Beklagte andererseits unter Berücksichtigung auch der Größe der Beklagten folgende Werte für angemessen:

Tagesordnungspunkte 2 und 3: je € 15.000,--

Tagesordnungspunkte 5 und 6: je € 30.000,--

Infolge der teilweisen Klagerücknahme musste der Streitwert gestaffelt festgesetzt werden.

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