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Wirtschaftsrecht
22.11.2012
Wirtschaftsrecht
AG München: Bescheinigung zum Schutzschirmverfahren ist von unabhängigem Berater auszustellen

AG München, Beschluss vom 27.6.2012 - 1506 IN 1851/12


Aus den Gründen


Im vorliegenden Verfahren wurde am 31.12.2005 von der Schuldnerin, einem Straßenbauunternehmen mit derzeit 64 Mitarbeitern, u.a. die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen, die Anordnung der Eigenverwaltung und ein sog. "Schutzschirmverfahren" nach §§ 270, 270a, 270b InsO beantragt. Der Antrag auf ein Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO wurde durch Beschluss vom 14.06.2012 zurückgewiesen. Da aber der Antrag auf Eigenverwaltung nicht offensichtlich aussichtslos ist, wurde trotz laufendem Geschäftsbetrieb kein vorläufiger Insolvenzverwalter sondern gem. § 270a Abs. 1 ein vorläufiger Sachwalter bestellt.


Vom anwaltlichen Vertreter der Schuldnerin wurde am 26.06.2012 beantragt, die Schuldnerin zur Eingehung von Masseverbindlichkeiten im Zusammenhang mit der Vorfinanzierung von Insolvenzgeld zu ermächtigen. Der vorläufige Sachwalter hatte keine Einwände gegen den Antrag.


Im Hinblick auf die neue Rechtslage durch das ESUG seit dem 01.03.2012 und verschiedene seitdem ergangene divergierende Entscheidungen besteht derzeit erhebliche Unsicherheit, ob bei bloßer Bestellung eines vorläufigen Sachwalters Einzelermächtigungen zum Eingehen von Masseverbindlichkeiten überhaupt möglich sind und wenn ja ob der Schuldner selbst oder der vorläufige Sachwalter ermächtigt werden kann. Aufgrund folgender Überlegungen war dem Antrag des anwaltlichen Vertreters der Schuldnerin stattzugeben.


1. Einzelermächtigungen zur Eingehung von Masseverbindlichkeiten sind im Eröffnungsverfahren auch dann möglich, wenn keine vorläufige Insolvenzverwaltung angeordnet wurde und ein Sachwalter nach §§ 270, 270a InsO bestellt ist. Zwar enthalten die §§ 270, 270a InsO für die "normale" Eigenverwaltung anders als § 270b Abs. 3 InsO für das Schutzschirmverfahren keine ausdrückliche Regelung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten, daraus kann aber nicht geschlossen werden, dass eine solche nicht möglich sein soll (so aber wohl AG Fulda vom 28.03.12, 91 IN 9/12). Denn § 270b Abs. 3 InsO enthält eine über den Regelfall der Einzelermächtigung weit hinausgehende generelle Befugnis des Schuldners zur Eingehung von Masseverbindlichkeiten, die ihn insoweit dem starken vorläufigen Verwalter gleichstellt und die vom Gericht auf Antrag des Schuldners ohne Einzelprüfung anzuordnen ist. Eine derart weitgehende Ermächtigung des Schuldners im Schutzschirmverfahren wäre ohne ausdrückliche gesetzliche Grundlage kaum denkbar. Daraus kann aber nicht im Umkehrschluss geschlossen werden, dass der Gesetzgeber mangels ausdrücklicher Regelung bei der "normalen" Eigenverwaltung eine Einzelermächtigung ausschließen wollte. Dies stünde im Widerspruch zum eindeutigen Willen des Gesetzgebers, die Sanierungsmöglichkeiten für Unternehmen auch bei einer Eigenverwaltung ohne "Schutzschirm" zu verbessern, da gerade dann, wenn ein Schutzschirmverfahren aufgrund bereits vorliegender Zahlungsunfähigkeit nicht in Betracht kommt, die Liquiditätssituation besonders schlecht und das Bedürfnis für eine Möglichkeit zur Begründung von Masseverbindlichkeiten besonders groß sein kann. Es ist daher davon auszugehen, dass der Gesetzgeber durch den Generalverweis auf die allgemeinen Vorschriften in § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO auch die Möglichkeit zur Erteilung von Einzelermächtigungen im Rahmen von § 21 Abs. 1 InsO als gegeben angesehen hat.


Hier war die Einzelermächtigung zu erteilen, da ohne eine Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes eine Fortführung des Betriebes nicht möglich wäre. Da derzeit Aussichten für eine erfolgreiche Sanierung bestehen, ist die Fortführung auch im Interesse der Gesamtgläubigerschaft.


2. Die Einzelermächtigung ist dem Schuldner und nicht dem vorläufigen Sachwalter zu erteilen (so auch AG Köln v. 26.03.12, ZIP 2012, S. 788 und Fiebig in HK, 4. Aufl., Rz. 10 zu § 270 InsO; a.A: AG Hamburg v. 4.4.12, ZIP 2012, S. 787).


Der vorläufige Sachwalter ist vom Gesetz anders als der vorläufige Insolvenzverwalter primär mit Kontroll- und nicht mit Handlungsbefugnissen ausgestattet. Die Entscheidung, auf welche Art und Weise der Geschäftsbetrieb in der Eröffnungsphase fortgeführt wird, bleibt beim Schuldner. Die Eingehung von Masseverbindlichkeiten ist Teil der Fortführung. Würde man dazu den vorläufigen Sachwalter ermächtigen, so würde man diesen zu stark in die Fortführung einbinden und damit eine nicht wünschenswerte Vermischung von Kontroll- und Fortführungsaufgabe erreichen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Gesetz. Soweit aus der Formulierung in § 270a Abs. 1 Satz 2 InsO, dass "anstelle des vorläufigen Insolvenzverwalters" ein vorläufiger Sachwalter bestellt wird, gefolgert wird, das Gericht könne den vorläufigen Sachwalter wie den vorläufigen Insolvenzverwalter mit einzelnen Befugnissen ausstatten (so AG Hamburg a.a.O) überzeugt dies nicht, da ein Sachwalter eine andere Funktion hat, als der vorläufige Insolvenzverwalter und der Unterschied nicht nur darin liegt, dass kein Verfügungsverbot und kein Zustimmungsvorbehalt angeordnet werden sollen. Vielmehr spricht der Umstand, dass gem. § 270b Abs. 3 InsO beim Schutzschirmverfahren ausdrücklich der Schuldner und nicht der vorläufige Sachwalter ermächtigt werden soll, sowie die Regelung im eröffneten Verfahren, in dem Masseverbindlichkeiten ebenfalls nicht vom Sachwalter sondern vom Schuldner begründet werden, grundsätzlich dagegen, den vorläufigen Sachwalter im Eröffnungsverfahren mit einer solchen Befugnis auszustatten. Zwar ist es sicher zutreffend, dass Banken und andere Gläubiger möglicherweise den vorläufigen Sachwalter als Ansprechpartner dem Schuldner selbst vorziehen (so AG Hamburg, a.a.O). Dies kann insbesondere bei der Frage der Insolvenzgeldvorfinanzierung zur Zurückhaltung auf Seiten der Banken führen. Diese Schwierigkeiten bei der Umsetzung ändern aber nichts an der Entscheidung des Gesetzgebers, dem Schuldner in einem der Eigenverwaltung vorausgehenden Eröffnungsverfahren die Handlungsbefugnis zu belassen, die grundsätzlich auch von den Gläubigern zu berücksichtigen ist. Dass den Gläubigern daraus keine Nachteile entstehen, ist durch Wahrnehmung der Kontrollaufgaben des vorläufigen Sachwalters und der Gerichte zu gewährleisten.


3. Ein Zustimmungsvorbehalt für den vorliegenden Sachwalter ist hier nicht erforderlich. Grundsätzlich steht es im Ermessen des Gerichts, ob es eine Einzelermächtigung an die Zustimmung des vorläufigen Sachwalters knüpft oder nicht.


Die Zulässigkeit eines solchen Zustimmungsvorbehaltes ergibt sich aus § 270a Abs. 1 Satz 2 iVm § 21 InsO. Durch die Verpflichtung der Masse im Rahmen einer Einzelermächtigung wird diese für die bereits vorhandenen Gläubiger vermindert. Masseverbindlichkeiten sollen daher nur begründet werden, wenn damit Vorteile einhergehen, die die Belastung für die Masse aufwiegen, wie z.B. bei einer die Sanierung ermöglichenden Betriebsfortführung, die oft ohne das Eingehen von Masseverbindlichkeiten nicht möglich ist. Um zu gewährleisten, dass die Masse nicht übermäßig belastet wird, kann das Gericht daher als Sicherungsmaßnahme gem. § 270 Abs. 1 Satz 2 iVm § 21 InsO grundsätzlich einen Zustimmungsvorbehalt des Sachwalters anordnen. Ein Rückgriff auf eine entsprechende Anwendung der § 275 oder § 277 InsO (vgl. dazu AG Hamburg, a.a.O; M. Hofmann in EWiR 2012, Nr. 11, S. 360) ist nicht erforderlich.


Ein Zustimmungsvorbehalt steht auch nicht im Widerspruch zur Funktion des Sachwalters, wie sich aus den § 275 und § 277 InsO ergibt, die in bestimmten Situationen einen Zustimmungsvorbehalt des Sachwalters ausdrücklich vorsehen. Zwar könnte man gegen den Zustimmungsvorbehalt einwenden, dass damit zu stark in die Rechts des Schuldners eingegriffen wird, dem die Verfügungs- und Verwaltungsbefugnis bei der Eigenverwaltung ja gerade nicht genommen werden soll. Hier ist aber zu berücksichtigen, dass der mit dem ESUG zum Ausdruck gekommene Wille des Gesetzgebers, die Eigenverwaltung zu stärken und zu häufigerer Anwendung zu bringen, nur umgesetzt werden kann, wenn ein ausreichender Schutz der Gläubigerinteressen gewährleistet ist. Außerdem kann auch im eröffneten Verfahren gem. § 277 InsO ein Zustimmungsvorbehalt angeordnet werden. Wenn dies im eröffneten Verfahren möglich ist, dann muss es aber erst recht auch im Eröffnungsverfahren möglich sein, da in dieser Phase noch nicht einmal abschließend geprüft ist, ob die Voraussetzungen für eine Eigenverwaltung überhaupt vorliegen.


Allerdings ist ein Zustimmungsvorbehalt nicht bei jeder Einzelermächtigung erforderlich. Denn häufig kann schon - wie hier - im Rahmen der Erteilung der Einzelermächtigung nach Anhörung des vorläufigen Sachwalters ausreichend geprüft werden, ob die Belastung der Masse im Interesse der Gläubiger ist oder nicht. Insoweit unterscheidet sich die Sachlage von den Fallgestaltungen der §§ 275 und 277 InsO, da in diesen Fällen keine gerichtliche Einzelanordnung vorausgeht. Um die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners möglichst unberührt zu lassen, sollte in diesen Fällen ein Zustimmungsvorbehalt unterbleiben. Ist zur Fortführung eines Geschäftsbetriebs aber die Anordnung von Einzelermächtigungen in einem so großen Ausmaß erforderlich, dass die Auswirkungen für die Masse für das Gericht nicht mehr überschaubar sind, so ist es ratsam einen Zustimmungsvorbehalt für den vorläufigen Sachwalter als weiteres Korrektiv vorzusehen. Dies ist eine Frage des Einzelfalls.


Vorliegend war ein Zustimmungsvorbehalt nicht erforderlich, da der Sachwalter mündlich angehört werden konnte und keine Einwände hatte. Die einzelnen Modalitäten der Verpflichtung (Zinssatz und Gebühren) sind auch schon bekannt, so dass auch insoweit eine nochmalige Kontrolle durch den Sachwalter überflüssig ist.

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