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Wirtschaftsrecht
15.04.2021
Wirtschaftsrecht
LG Stuttgart: Berücksichtigung pandemiebedingter Reisebeschränkungen bei der Einberufung von GmbH- Gesellschafterversammlungen

LG Stuttgart, Urteil vom 10.2.2021 – 40 O 46/20 KfH

ECLI:DE:LGSTUTT:2021:0210.40O46.20KFH.01

Volltext: BB-Online BBL2021-914-1

Leitsatz

Eine außerordentliche Gesellschafterversammlung ist zu verschieben, wenn eine Einreise von Gesellschaftern aufgrund der Corona-Pandemie nicht rechtzeitig zu bewerkstelligen ist. Die gesellschafterliche Treuepflicht verpflichtet Gesellschafter, denen die Tagesordnung für die Gesellschafterversammlung erst 11 Tage vor der Versammlung mitgeteilt wird, nicht zu Anstrengungen zur Ermöglichung der Einreise nach Deutschland, die über eine (abschlägig beantwortete) Flugbuchungsanfrage hinausgehen.

Art 2 § 2 Z/Ins/StVfRCOVFoAbG, § 45 Abs 2 GmbHG vom 27.03.2020, § 48 Abs 2 GmbHG

Sachverhalt

Die Verfügungskläger verlangten mit ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung, dass die Verfügungsbeklagte die für den 14.09.2020 einberufene außerordentliche Gesellschafterversammlung absage. Gegen den Erlass einer einstweiligen Verfügung im beantragten Sinn mit Beschluss vom 09.09.2020 (Bl. 40 ff. d. A.) wendet sich die Verfügungsbeklagte mit ihrem aufgrund Zeitablaufs auf den Kostenpunkt beschränkten Widerspruch vom 22.09.2020 (Bl. 43 d.A.)

Die Verfügungsbeklagte ist die Holding-Gesellschaft einer operativ tätigen Ltd. mit Sitz in Israel, diese ist 100 %ige Tochtergesellschaft der Verfügungsbeklagten. Ob die Verfügungsbeklagte selbst operative Tätigkeiten ausübt, ist umstritten.

Die Verfügungskläger sind Gesellschafter der Verfügungsbeklagten, die ihren Wohnsitz in Israel (Verfügungskläger Ziff. 1-3) bzw. in Spanien (Verfügungskläger Ziff. 4) haben. Dabei hält der Verfügungskläger Ziff. 1 als einer von zwei Gründern der Gesellschaft 20,2 % der Geschäftsanteile, ebenso wie der Geschäftsführer der Verfügungsbeklagten. An der Beklagten sind insgesamt 23 oder 24 Gesellschafter beteiligt, mit Sitz in Israel, Deutschland, Spanien, Russland, England und der Schweiz (Anlage AST 2).

Der Gesellschaftsvertrag stammt vom 11.04.2018 (Anlage AST 1), die Gesellschaftervereinbarung zwischen den Gesellschaftern und der Beklagten vom 29.08.2019 (Anlage AST 4).

In Ziff. 9.3 des Gesellschaftervertrages heißt es:

„Mit Zustimmung aller Gesellschafter kann die Gesellschafterversammlung auch rechtswirksame Beschlüsse ohne Einhaltung der vorstehenden Fristen und Formen fassen, wenn sämtliche Gesellschafter anwesend oder vertreten sind und auf die Einhaltung der gesellschaftsvertraglich vorgesehenen Formen und Fristen verzichten. In gleicher Weise können Beschlüsse auf brieflichem, telegrafischem oder telefonischem Weg oder per Telefax oder E-Mail gefasst werden, wenn sich alle Gesellschafter an der Beschlussfassung beteiligen und kein Gesellschafter der Art der Beschlussfassung widerspricht.“

In Ziff. 23.5 der Gesellschaftervereinbarung ist hinsichtlich des „Board of Directors“ der Tochtergesellschaft festgehalten:

„Wenn physische Versammlungen nicht möglich oder angemessen sind, sind auch Versammlungen durch Video- und/oder Telefonkonferenz möglich.“ [Übersetzung durch Kläger]

Mit Schreiben vom 26.07.2020 berief der Geschäftsführer eine außerordentliche Gesellschafterversammlung für den 25.08.2020 ein (Anlage AST 5). Mit Schreiben vom 10.08.2020 wurde die Gesellschafterversammlung auf den 14.09.2020 verlegt (Anlage AST 6).

Mit Anwaltsschreiben vom 26.08.2020 forderten die Verfügungskläger den Geschäftsführer der Verfügungsbeklagten zur Auskunft u.a. über die geplante Tagesordnung auf (AST 7). Nach diversem E-Mailverkehr und nach Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung, gerichtet auf Auskunftserteilung (Az. 41 O 47/20 KfH) durch die Verfügungskläger übermittelte die Verfügungsbeklagte mit E-Mail vom 03.09.2020 (AST 18) die Tagesordnung für die Gesellschafterversammlung, die unter anderem unter Ziff. 9 eine Beschlussfassung über die Abberufung des Verfügungsklägers Ziff. 1 oder des weiteren Geschäftsführers der Verfügungsbeklagten als Geschäftsführer vorsah (AST 25).

Die Verfügungskläger beantragten daraufhin Erlass einer einstweiligen Verfügung mit dem Ziel die Verfügungsbeklagte zu verpflichten, die für den 14.09.2020 einberufene Gesellschafterversammlung abzusagen.

Die Verfügungskläger machten geltend, dass ihnen die physische Teilnahme an der Gesellschafterversammlung derzeit aufgrund der Corona-Pandemie unmöglich sei.

Der Verfügungskläger 1 habe am 07.09.2020 versucht, für den Zeitraum der Gesellschafterversammlung Flüge von Israel nach Süddeutschland zu buchen, er habe jedoch die Auskunft erhalten, es sei ein europäischer Reisepass für die Einreise nach Deutschland erforderlich (AST 20). Dies habe der geltenden Rechtslage entsprochen. Die Auffassung des Widerspruchs, die Verfügungskläger hätten einen Ausnahmetatbestand für sich in Anspruch nehmen können, sei unzutreffend.

Auch die Einreise des Verfügungsklägers 4 aus Spanien nach Deutschland sei unmöglich gewesen, da ganz Spanien als Risikogebiet eingestuft gewesen sei und zwischen Mitteilung der Gründe der außerordentlichen Gesellschafterversammlung am 03.09.2020 und dem geplanten Termin am 14.09.2020 keine Zeit mehr geblieben sei, die geltende vierzehntägige Quarantänepflicht einzuhalten (AST 22). Er habe sich auch nicht auf die Möglichkeit einer „Freitestung“ mittels negativen Coronatests einlassen müssen. Dies sei bereits unzumutbar, jedenfalls sei es aber aufgrund der späten Übersendung der Tagesordnung erst am 03.09.2020 nicht möglich gewesen, ein solches Vorgehen und damit die Reise nach Deutschland sinnvoll zu planen.

Letztlich sollte mit der außerordentlichen Gesellschafterversammlung versucht werden, den Verfügungskläger Ziff. 1 aus der Gesellschaft zu drängen; dieser hätte daher die Möglichkeit haben müssen, persönlich an der Gesellschafterversammlung teilzunehmen und seinen Standpunkt zu vertreten. Ein Verweis auf die Möglichkeit einer Teilnahme per Videotelefonie bei gleichzeitiger Vertretung sei nicht behelflich.

Die Angelegenheiten, die Gegenstand der Beschlussvorlage seien, seien zudem nicht dringend.

Am 09.09.2020 erließ das Landgericht Stuttgart ohne mündliche Verhandlung im Beschlusswege die nunmehr beklagtenseits im Kostenpunkt angegriffene einstweilige Verfügung, mit der die Verfügungsbeklagte verpflichtet wurde, die Gesellschafterversammlung vom 14.09.2020 abzusagen. Mit E-Mail vom 13.09.2020 sagte die Verfügungsbeklagte die Versammlung in der Folge denn auch ab.

Die Verfügungskläger beantragen,

den gegen den Kostenpunkt gerichteten Widerspruch der Verfügungsbeklagten vom 22.09.2020 gegen die einstweilige Verfügung des Landgerichts Stuttgart vom 09.09.2020 (Az.: 40 O 46/20 KfH) zurückzuweisen.

Die Verfügungsbeklagte beantragt,

1. Die einstweilige Verfügung des Landgerichts Stuttgart vom 09.09.2020 (Az.: 40 O 46/20 KfH) wird hinsichtlich der Kostenentscheidung aufgehoben.

2. Die Antragsteller tragen gesamtschuldnerisch die Kosten des Rechtsstreits.

Die Verfügungsbeklagte behauptet,

    eine Entscheidung über die Führung der Gesellschaft sei nach eskalierenden Auseinandersetzungen nach einem Beschluss des Boards Ltd. vom 08.07.2020, einen Prozess zur Gewinnung eines qualifizierten CEO für diese Gesellschaft zu starten, nicht mehr aufschiebbar gewesen. Auch ein Mediationsverfahren zwischen vom 11. bis 20.08.2020 habe keinen Erfolg gehabt, es bestehe ein fortgesetztes Zerwürfnis.

Die Tagesordnung sei auch nicht verspätet mitgeteilt worden, ein Zeitraum von 11 Tagen habe nicht nur der 3-Tagesfrist von Ziff. 9.2 des Gesellschaftsvertrages entsprochen; er sei für eine angemessene Vorbereitung auch ausreichend gewesen.

Die Verfügungskläger seien nicht unverschuldet an einer Teilnahme an der Gesellschafterversammlung gehindert gewesen. Es sei den Verfügungsklägern Ziff. 1-3 (in Israel ansässig) erlaubt gewesen, nach Deutschland einzureisen; der Besitz eines Schengen-Reisepasses sei nicht erforderlich gewesen. Die Kläger hätten keinen ernsthaften Versuch zur Ermöglichung einer Einreise unternommen. So wäre es beispielsweise möglich gewesen, eine Erklärung zur unbedingten Erforderlichkeit einer kurzfristigen Geschäftsreise abzugeben und entsprechend von einem Ausnahmetatbestand zu profitieren.

Der Verfügungskläger Ziff. 4 habe bereits den Versuch unterlassen, sich mit einem negativen Corona-Test von der Quarantäneverpflichtung „freizutesten“.

Zudem hätten die Verfügungskläger ohne Weiteres online an der Gesellschafterversammlung teilnehmen können und sich gleichzeitig von einem Vertreter mit Vollmacht vor Ort vertreten lassen können; eine persönliche Teilnahme sei nicht unabdingbar.

Die einstweilige Verfügung nehme die Hauptsache vorweg; auch sei ein Erlass der einstweiligen Verfügung ohne Anhörung der Verfügungsbeklagten unzulässig gewesen.

Die mit Schriftsatz vom 06.11.2020 (Bl. 88 ff. d.A.) erklärte Nebenintervention ist mit Schriftsatz vom 29.12.2020 (Bl. 117 f. d.A.) zurückgenommen worden.

Hinsichtlich des weiteren Vortrages der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 11.11.2020 (Bl. 114 ff. d.A.) verwiesen.

Aus den Gründen

Auf den auf den Kostenausspruch beschränkten Widerspruch der Verfügungsbeklagten hin war die einstweilige Verfügung im Kostenpunkt auf ihre Rechtmäßigkeit zu prüfen. Dies führte zu ihrer Bestätigung.

Nachdem die einstweilige Verfügung zu Recht erlassen wurde, ist sie auch im Kostenpunkt zutreffend.

1. Auf die Begründung des Beschlusses wird zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst Bezug genommen (Beschluss vom 09.09.2020, Seiten 2-5, Bl. 41-44 d.A.).

2. Ergänzend ist anzufügen, dass Art. 2 § 2 Covid-19-Gesetz lediglich § 48 Abs. 2 GmbHG ändert, nicht jedoch in § 45 Abs. 2 GmbHG eingreift. Dieser regelt ausdrücklich, dass in Ermangelung besonderer Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages die Vorschriften der §§ 48 bis 51 GmbHG Anwendung finden. Der Vorrang der Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages vor den Regelungen in §§ 46 ff. GmbHG wird damit nicht angetastet. Dies erscheint auch verfassungsrechtlich geboten, da andernfalls in die Vertragsautonomie und in die durch Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG geschützten Rechte von Minderheitsgesellschaftern eingegriffen würde. Dass ein derartiger Grundrechtseingriff vom Gesetzgeber gewollt gewesen wäre, kann nicht festgestellt werden.

Vorliegend ist nach der Vertragslage der Gesellschaft eindeutig die Möglichkeit einer Versammlung auf Basis von Videotelefonie o.ä. lediglich für das Board of Directors der Tochtergesellschaft vorgesehen, nicht für Gesellschafterversammlungen der Verfügungsbeklagten. Die Verfügungskläger mussten sich auf diese - wie im angegriffenen Beschluss ausgeführt, nicht gleichwertige - Möglichkeit nicht verweisen lassen.

3. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gehört das Teilnahmerecht an der Gesellschafterversammlung zum grundsätzlich unentziehbaren Kernbereich der Mitgliedschaftsrechte eines Gesellschafters (BGH, Urteil vom 17.10.1988, II ZR 18/88; MüKoGmbHG/Liebscher, 3. Aufl. 2019, GmbHG § 48 Rn. 9).

a. Vorliegend war die Gesellschafterversammlung vom 14.09.2020 zwar form- und fristgerecht einberufen; auch die Mitteilung der Tagesordnung erfolgte vor der gesellschaftsvertraglich festgelegten 3-Tagesfrist. Gleichwohl waren die Verfügungskläger aufgrund der reiseerschwerenden Umstände der Coronapandemie unverschuldet verhindert, an der Versammlung teilzunehmen, so dass diese zu verschieben war, jedenfalls nicht am 14.09.2020 stattfinden konnte.

Denn angesichts der Bedeutung des Teilnahmerechts ist in Einzelfallentscheidungen von Obergerichten bereits zutreffend anerkannt worden, dass bei der Terminsfindung für eine Gesellschaftsversammlung die Interessen der Gesellschafter mit berücksichtigt werden müssen (OLG Saarbrücken, Urt. v. 10.10.2006, 4 U 382/05; OLG Köln, Urt. v. 24.05.2016, Az. 2 U 506/14; OLG Jena, Urt. v. 10.08.2016, Az. 2 U 506/14). Dies hat die Verfügungsbeklagte vorliegend nicht hinreichend getan. Denn erst ab Mitteilung der Tagesordnung war für die Gesellschafter eine Willensbildung darüber möglich, ob eine persönliche Anwesenheit bei der Gesellschafterversammlung anzustreben war oder nicht. Dass es den Verfügungsklägern auf den Inhalt der beabsichtigten Beschlussfassung auch tatsächlich ankam, haben sie durch die Geltendmachung von Auskunftsansprüchen im Hinblick auf den Inhalt der Tagesordnung - bis hin zum Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung - hinreichend gegenüber der Verfügungsbeklagten dokumentiert. Für diese war gleichzeitig offensichtlich, dass eine Anreise zu einer Gesellschafterversammlung angesichts der pandemiebedingten Reiseeinschränkungen nicht in einer ähnlich kurzen Zeit geplant und erreicht werden konnte, wie dies in „gewöhnlichen Zeiten“ der Fall wäre. So war zum Beispiel der 14-tägige Zeitraum von Quarantäneverpflichtungen bei der Einreise nach Deutschland aus bestimmten Gebieten allgemein bekannt. Dass 9 Tage für eine Reiseplanung nicht ausreichten, lag also für die Verfügungsbeklagte auf der Hand.

b. Die Verfügungskläger 1.-3. haben durch Vorlage der E-Mail des Reisebüros (AST 20) auch hinreichend dargetan, dass vergebliche Anstrengungen zur Ermöglichung der Reise unternommen wurden. Dass es im Zeitraum ab Mitteilung der Tagesordnung aber möglich gewesen wäre, durch weitere Anstrengungen eine Einreisemöglichkeit nach Deutschland zu erreichen, steht nicht sicher fest. Die Verfügungsbeklagte hatte es ihrerseits dagegen in ihrer Hand, den Verfügungsklägern durch eine frühzeitigere Mitteilung der Tagesordnung rechtzeitig Gelegenheit zu geben, vertiefte Anstrengungen im Hinblick auf eine Ermöglichung der Einreise nach Deutschland zu entfalten.

c. Dass die Verfügungskläger für zukünftige Gesellschafterversammlungen (bei einer interessengerechten rechtzeitigen Ankündigung und Mitteilung von für den Wunsch nach einer Teilnahme relevanten Inhalten) möglicherweise - schon aus der gesellschafterlichen Treuepflicht heraus - dazu verpflichtet sein dürften, größere Anstrengungen zur Ermöglichung einer Teilnahme zu unternehmen und nachzuweisen, ändert nichts daran, dass dies im konkreten Fall der für 14.09.2020 geplanten Gesellschafterversammlung nicht der Fall war.

4. Bedenken wegen einer Vorwegnahme der Hauptsache bestehen nicht. Eine unberechtigte Ausschließung von der Teilnahme ist ein schwerwiegender Eingriff in die Mitgliedschaft, gegen die man sich effektiv zur Wehr setzen können muss. Hieran ändert die Möglichkeit, im Nachhinein eine Beschlussanfechtung zu betreiben, nichts (MüKoGmbHG/Liebscher, 3. Aufl. 2019, GmbHG § 48 Rn. 22). Auch bestehen keine Bedenken hinsichtlich einer möglichen Verletzung des rechtlichen Gehörs. Dem Gericht lag bei Erlass des Beschlusses vom 09.09.2020 die Schutzschrift der Verfügungsbeklagten vor. Angesichts der Eilbedürftigkeit war eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung angezeigt.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Der Streitwert hat sich nach Erhebung des Kostenwiderspruchs auf die angefallenen Kosten verringert (Zöller, ZPO, § 924 Rn. 4).

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