BGH: Benennung eines im Inland ansässigen Zustellungsbevollmächtigten
Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 05.05.2008
Aktenzeichen: X ZB 36/07
Rechtsgebiete: ZPO
Vorschriften:
ZPO § 184 Abs.1 |
Die Anordnung, einen im Inland ansässigen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen, darf nur bei Zustellungen getroffen werden, die gemäß § 183 Abs. 1 Nr. 2 u. Nr. 3 ZPO auf Ersuchen des Vorsitzenden des Prozessgerichts im Ausland erfolgen. Für Zustellungen im Inland - gleich in welcher Form - ist eine derartige Möglichkeit nicht eröffnet.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS
X ZB 36/07
vom 5. Mai 2008
Zustellungsbevollmächtigter
in dem Rechtsbeschwerdeverfahren
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 5. Mai 2008 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis, den Richter Keukenschrijver, die Richterin Mühlens und die Richter Prof. Dr. Meier-Beck und Gröning
beschlossen:
Tenor:
Der Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Frankfurt am Main vom 30. August 2007 und der Beschluss des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 6. November 2007 werden aufgehoben.
Gerichtskosten für das Rechtsbeschwerdeverfahren und das Verfahren der sofortigen Beschwerde werden nicht erhoben.
Gründe:
I. Die Klägerin nimmt die Beklagte, die ihren Geschäftssitz in Thailand hat, wegen Patentverletzung in Anspruch. Die Klageschrift ist der Beklagten auf einer in Frankfurt am Main stattfindenden Musikmesse an ihrem Messestand gemeinsam mit einer auf die rechtlichen Folgen des § 184 ZPO hinweisenden gerichtlichen Anordnung zugestellt worden, binnen vier Wochen einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen, der im Inland wohnt oder dort einen Geschäftsraum hat. Nach Fristablauf ist gegen die Beklagte im schriftlichen Verfahren Versäumnisurteil ergangen, mit welchem der Klägerin die Klageforderungen zugesprochen und der Beklagten die Kosten des Rechtsstreits auferlegt worden sind. Nach dem Zustellungsvermerk des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle ist eine Urteilsausfertigung an die Beklagte unter ihrer Anschrift in Thailand zur Post aufgegeben worden. In dem anschließend auf Antrag der Klägerin betriebenen Kostenfestsetzungsverfahren hat das Landgericht mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 30. August 2007 die der Klägerin von der Beklagten zu erstattenden Kosten festgesetzt (5.722,20 € nebst Zinsen), wobei es die beiden von der Klägerin auf Grundlage von Nr. 3100 VV RVG geltend gemachten 1,3-Verfahrensgebühren unter Hinweis auf Vorbemerkung 3 Abs. 4 zu Nr. 3100 VV RVG jeweils um die Hälfte gekürzt hat (insgesamt 1.760,20 €). Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Klägerin hat das Beschwerdegericht mit Beschluss vom 7. November 2007 zurückgewiesen. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter, zu ihren Gunsten einen weiteren Kostenerstattungsbetrag in Höhe von 1.760,20 € nebst Zinsen festzusetzen.
II. Die Rechtsbeschwerde der Klägerin ist gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig (§§ 575, 576 ZPO). Eine Sachentscheidung kann jedoch nicht ergehen, da der Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts wegen Fehlens eines zur Zwangsvollstreckung geeigneten Titels unwirksam ist. Damit ist auch der angefochtene Beschluss des Beschwerdegerichts gegenstandslos.
1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 32, 370, 371; BGH, Urt. v. 5.10.1994 - XII ZB 90/94, NJW 1994, 3359, 3360; Urt. v. 17.4.1995 - VIII ZR 108/95, NJW 1996, 1969, 1970) setzt die Wirksamkeit eines im schriftlichen Verfahren erlassenen Versäumnisurteils gemäß § 310 Abs. 3 ZPO die Zustellung an beide Parteien voraus. Hieran fehlt es, da das Versäumnisurteil der Beklagten durch die Aufgabe zur Post nicht in wirksamer Weise zugestellt worden ist.
Gemäß § 184 Abs. 1 S. 1 ZPO ist eine gerichtliche Anordnung, einen im Inland ansässigen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen, allein bei Zustellungen vorgesehen, die gemäß § 183 Abs. 1 Nr. 2 u. Nr. 3 ZPO auf Ersuchen des Vorsitzenden des Prozessgerichts im Ausland erfolgen. Für Zustellungen im Inland - gleich in welcher Form - hat der Gesetzgeber eine derartige Möglichkeit nicht eröffnet. Die Anordnung zur Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten ist hier jedoch im Rahmen einer Inlandszustellung erfolgt, nämlich der Zustellung der Klageschrift auf dem Messestand der Beklagten, der für die Dauer der Messe als Geschäftsraum im Sinne von § 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO anzusehen ist (vgl. Zöller/Stöber, ZPO, 26. Aufl., § 178 Rdn. 15). Auch wenn diese Zustellung auf einer nur zeitlich begrenzten Eröffnung eines Geschäftsraums im Inland beruht, ist es mit dem formalisiert geregelten Verfahren der Zustellung unvereinbar, den Anwendungsbereich des § 184 ZPO über seinen Wortlaut hinaus auf solche Fälle der Zustellung auszudehnen. Hierfür besteht auch kein zwingendes Bedürfnis. Denn entfällt im Laufe eines Verfahrens die Möglichkeit einer Inlandszustellung, kann die Anordnung zur Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten noch im Rahmen einer dann nach § 183 Abs. 1 Nr. 2 oder Nr. 3 ZPO vorzunehmenden Auslandszustellung ergehen (vgl. Stein/Jonas/Roth, ZPO, 22. Aufl., § 184 Rdn. 3; MünchKomm./Häublein, ZPO, 3. Aufl., § 184 Rdn. 5; Zöller/Stöber aaO § 184 Rdn. 2). Die Anordnung des Landgerichts, einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen, erfolgte nach alledem ohne gesetzliche Grundlage und entfaltet keine Wirkung zu Lasten der Beklagten.
2. Grundlage der Kostenfestsetzung ist ein zur Zwangsvollstreckung geeigneter Titel (§ 103 Abs. 1 ZPO). Der im Kostenfestsetzungsverfahren nach § 104 ZPO zu treffende Kostenfestsetzungsbeschluss füllt lediglich die Kostengrundentscheidung hinsichtlich der Höhe des zu erstattenden Kostenbetrags aus (vgl. etwa OLG Hamm NJW 1972, 2047; OLG Köln JurBüro 2006, 598; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 66. Aufl., Einf. §§ 103-107 Rdn. 8). Der Kostenfestsetzungsbeschluss ist deshalb sowohl hinsichtlich seiner Entstehung als auch seines Bestandes von der Kostengrundentscheidung abhängig. Wird sie aufgehoben oder abgeändert, verliert ein auf ihrer Grundlage erlassener Kostenfestsetzungsbeschluss im Umfang der Aufhebung oder Abänderung seine Wirkung; ein gegen den Bestand des Kostenfestsetzungsbeschlusses gerichtetes Beschwerdeverfahren wird (zumindest insoweit) gegenstandslos mit der Konsequenz, dass eine Entscheidung in der Sache nicht mehr in Betracht kommt (vgl. BGH, Beschl. v. 23.1.2007 - VI ZB 61/06, VersR 2007, 519 m.w.N.). Nichts anderes gilt, wenn es, wie hier als Folge der bislang unterbliebenen wirksamen Zustellung des Versäumnisurteils an die Beklagte, überhaupt an einem zur Zwangsvollstreckung geeigneten Titel und damit an einer wirksamen Kostengrundentscheidung fehlt. Die Akzessorietät bewirkt auch in diesem Fall, dass der Kostenfestsetzungsbeschluss (hier allerdings von Beginn an) keine rechtlichen Wirkungen entfaltet (vgl. BAG NJW 1963, 1027, 1028; OLG Hamm NJW 1972, 2047; OLG München JurBüro 1982, 1563, 1566; MünchKomm./Giebel, ZPO, 3. Aufl., § 104 Rdn. 132; Stein/Jonas/Bork aaO § 104 Rdn. 66; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann aaO Einf. §§ 103-107 ZPO Rdn. 8).
3. Aus Gründen der Rechtsklarheit (vgl. BGH, VersR 2007, 519), nämlich um den von ihnen ausgehenden fehlerhaften Rechtsschein zu beseitigen, werden der Kostenfestsetzungsbeschluss und der mit ihm ebenfalls gegenstandslose Beschluss des Beschwerdegerichts aufgehoben. Das auch im (Rechts-)Beschwerdeverfahren gültige Verbot einer Schlechterstellung in der Sache (reformatio in peius; vgl. BGHZ 159, 122, 124) wird durch diesen klarstellenden Ausspruch nicht berührt (vgl. OLG Hamm NJW 1972, 2047; OLG München JurBüro 1982, 1563, 1566; MünchKomm./Giebel aaO § 104 Rdn. 104; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann aaO § 104 Rdn. 64).
Von der Aufhebung des Kostenfestsetzungsbeschlusses ist auch nicht deshalb abzusehen, weil dieser durch die Nachholung der Zustellung des Versäumnisurteils noch Wirksamkeit erlangen könnte. Zwar mag auch bei einem im schriftlichen Vorverfahren ergehenden Versäumnisurteil der Festsetzungsbeschluss nach § 105 Abs. 1 ZPO auf das Urteil und die Ausfertigungen gesetzt werden können (LG Stuttgart AnwBl. 1981, 197; MünchKomm./Giebel aaO § 105 Rdn. 2; Stein/Jonas/Bork aaO § 105 Rdn. 6), obwohl auch in diesem Fall das Urteil bei Erlass des Kostenfestsetzungsbeschlusses noch nicht wirksam ist. In diesem Fall gewährleistet jedoch die Verbindung zwischen Urteil und Festsetzungsbeschluss, dass dieser nicht ohne das Urteil zugestellt wird und dass für den Kostenschuldner ersichtlich ist, dass die Wirksamkeit des Festsetzungsbeschlusses von der Wirksamkeit des Urteils abhängt. Bei einem gesonderten Festsetzungsbeschluss ist dies nicht der Fall.
Wegen der durch die Rechtsbeschwerde und die sofortige Beschwerde angefallenen Gerichtskosten macht der Senat von der Möglichkeit des § 21 GKG Gebrauch. Im Übrigen ist eine Kostenentscheidung nicht veranlasst, da außergerichtliche Kosten auf Beklagtenseite nicht angefallen sind.
BGHR: | ja |
Nachschlagewerk: | ja |
Verfahrensgang: | LG Frankfurt/Main, 2/6 O 153/07 vom 30.08.2007 OLG Frankfurt/Main, 6 W 170/07 vom 06.11.2007 |