OLG Frankfurt a. M.: Begründungszwang bei ordentlicher Kündigung eines Kfz- Vertragshändler- und Werkstattservicevertrages
OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 8.4.2014 – 11 U 105/13
Leitsatz
Eine ausführliche Begründung der Kündigung eines Kfz-Händlervertrages im Sinne von Art. 3 Nr. 5 Kfz-GVO 2002, die transparent und objektiv ist, muss erkennen lassen, warum das Vertragsverhältnis mit dem konkret betroffenen Händler nicht fortgesetzt werden soll. Eine pauschale Begründung, die Verträge sollten europaweit vereinheitlicht werden, ist gegenüber einem Händler, mit dem ein neuer vereinheitlichter Vertrag nichtmehr abgeschlossen werden soll, nicht transparent.
Sachverhalt
Die Parteien streiten um die Unterlassung der Benutzung von X- und Y Signalisationen nach Kündigung von langjährigen Vertragshändler- und Werkstattserviceverträgen durch die Verfügungsklägerin.
Wegen der tatsächlichen Feststellungen im Einzelnen und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird gemäß § 540 Abs. 1 ZPO auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils Bezug genommen.
Das Landgericht Frankfurt hat dem Antrag der Verfügungsklägerin, die Verfügungsbeklagte im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu verurteilen, die Benutzung der Original X und Y Signalisationen auf ihrem Geschäftsgelände sowie entsprechender Bildmarken im Rahmen ihres Internetauftritts zu unterlassen, mit Urteil vom 21.8.2013 vollumfänglich stattgegeben.
Gegen das ihr am 28.08.2013 zugestellte Urteil hat die Verfügungsbeklagte am 23.09.2013 Berufung eingelegt und diese am 14.10.2013 begründet.
Die Verfügungsbeklagte beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.
Die Verfügungsklägerin verteidigt die einstweilige Verfügung und beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Aus den Gründen
II. Die Berufung ist zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie hat in der Sache auch Erfolg.
Die einstweilige Verfügung war schon deshalb aufzuheben, weil keine wirksame Vollziehung nach §§ 936, 929 Abs. 2 ZPO erfolgt ist.
Nach den §§ 936, 929 Abs. 2 ZPO muss der Gläubiger die Vollziehung einer einstweiligen Verfügung binnen eines Monats nach Zustellung des Urteils bewirken. Damit der Gläubiger die Vollziehungsfrist bei Wohlverhalten des Schuldners wahren kann, genügt bei Unterlassungsverfügungen als Vollziehung die Zustellung im Parteibetrieb, ohne dass noch Vollstreckungsmaßnahmen hinzutreten müssen. Der Senat kann vorliegend dahingestellt lassen, ob es sich - wie der Wortlaut des Tenors nahelegt - um eine bloße Unterlassungsverfügung handelt oder die Verfügungsbeklagte zu einem konkreten Handeln, nämlich der Beseitigung der Signalisationen verpflichtet wird und ob zur Vollziehung einer Beseitigungsverfügung auch eine bloße Parteizustellung ausreichen würde (vgl. zur Streitfrage Köhler in Bornkamm/Köhler, UWG, 30. Aufl., § 12 Rn. 362). Denn schon die Parteizustellung des Urteils weist formale Mängel auf.
Zu Recht rügt die Berufung eine mangelhafte Vollziehung im Hinblick auf die Qualität der im Parteibetrieb zugestellten Anlagen zum Urteilstenor. Bei einer zum Zwecke der Vollziehung vorgenommenen Zustellung muss die zugestellte Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift die Urschrift vollständig und richtig wiedergeben (vgl. OLG Köln, NJW-RR 2010, 864). Sind Anlagen zum Bestandteil der einstweiligen Verfügung gemacht geworden, müssen diese Urkunden grundsätzlich ebenfalls zugestellt werden (vgl. Zöller/Vollkommer, 30. Auflage, ZPO, § 923 Rn. 11; OLG Frankfurt am Main, GRUR-RR 2011, 340), vorliegend also die Lichtbilder aus den Anlagen Ast 9 und Ast 11. Liegt keine Identität zwischen der Urschrift und der dem Schuldner zugestellten Abschrift vor, was auch der Fall ist, wenn die Anlagen aufgrund schlechter Kopierqualität nur schwer erkennbar sind, so ist im Einzelfall zu prüfen, ob es sich um einen unbedenklichen, unwesentlichen Fehler handelt oder aber ein der Wirksamkeit der Zustellung entgegenstehender Mangel vorliegt. Maßgeblich im Rahmen der Prüfung der Wesentlichkeit der Abweichung ist, ob aus der tatsächlich zugestellten Form der Abschrift der Inhalt und der Umfang der Beschwer unmissverständlich erkennbar sind (vgl. BGH NJW-RR 2000, 1665; OLG Köln NJW-RR 2010, 864; OLG Hamburg NJW-RR 2007, 986; OLG Frankfurt am Main GRUR 2009, 995, 996).
Ausgehend von diesen Grundsätzen liegt hier eine wesentliche Abweichung zwischen der Urschrift und der zugestellten Abschrift vor. Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung vom 8.4.2014 die dem Prozessbevollmächtigten der Verfügungsbeklagten zugestellten Kopien der Lichtbilder in Augenschein genommen und festgestellt, dass deren Qualität durch große Anteile von Schwärzungen insgesamt schlecht ist. Insbesondere die Lichtbilder Bl. 250 bis Bl. 254 der Gerichtsakte lassen kaum erkennen, was hierauf überhaupt dargestellt wird. Die Beachtung des Unterlassungsgebots, die streitgegenständlichen Signalisationen in der auf den Fotografien der Anlagen Ast 9 und 11 dargestellten Weise zu verwenden, setzt jedoch voraus, dass die Lichtbilder erkennbar sind. Anderenfalls sind Art und Umfang der ihr gebotenen Unterlassung für die Verfügungsbeklagte nicht in ausreichendem Maße erkennbar. Infolge der Zustellung einer insoweit von der Urschrift in einem wesentlichen Punkt abweichenden Abschrift wurde die einstweilige Verfügung daher nicht wirksam vollzogen.
2. Der Verfügungsklägerin steht zudem weder hinsichtlich des Internetauftritts der Verfügungsbeklagten (Antrag zu Ziffer 2) ein Anspruch aus § 8 Abs. 1, 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 UWG zu, noch ein Anspruch auf Unterlassung des Gebrauchs der Original X/ Y Signalisationen auf dem Firmengelände der Verfügungsbeklagten gemäß Art. 7 Ziff. 2 i.V.m. § 19 und Anlage 6 C der Händlerverträge bzw. Art. 5 Ziff. 4 i.V.m. § 16 Nr. 7 und Anlage 5 C der Serviceverträge (Antrag zu Ziffer 1). Die zwischen den Parteien geschlossenen Händler- und Serviceverträge sind durch die ausgesprochenen Kündigungen nicht wirksam beendet worden. Die weitere Nutzung der Bildmarken auf den Internet-Seiten der Verfügungsbeklagten stellt insofern kein wettbewerbswidriges Verhalten im Sinne einer irreführenden Werbung nach § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 UWG dar, denn die Verfügungsbeklagte ist zu dieser Nutzung - sowie zur Verwendung der Signalisationen - aufgrund der fortbestehenden vertraglichen Bindung weiterhin befugt.
Dabei spielt die außerordentliche Kündigung und der dieser zugrunde liegende Sachverhalt keine streitentscheidende Rolle. Die Verfügungsklägerin hat ausdrücklich erklärt, dass sie aus der außerordentlichen Kündigung, die Gegenstand des Verfahrens 3-03 O 43/13 vor dem Landgericht Frankfurt war, im vorliegenden Verfahren keine Rechte herleitet.
Die ordentliche Kündigung entfaltet mangels ausreichender Begründung keine Wirksamkeit. Sie unterliegt gemäß Art. 18 Ziffer 6 des Händlervertrags einem Begründungszwang. Sie muss eine Begründung enthalten, die „objektiv und transparent ist, um sicherzustellen, dass die Kündigung durch die Gesellschaft nicht wegen Verhaltensweisen des Händlers erfolgt, die nach der EU-Verordnung Nr. 1400/02 nicht eingeschränkt werden dürfen“. Das Begründungserfordernis ist insofern zwar nach seiner Ratio so auszulegen, dass der Begründungszwang dem gekündigten Unternehmen im Wesentlichen Aufschluss darüber geben soll, ob die Kündigung auf Umständen beruht, die im Sinne der genannten EU-Verordnung relevant sind. Ausreichend zur Erfüllung dieser Anforderung war es aber nicht, im Kündigungsschreiben lediglich formelhaft festzustellen, dass die Kündigung nicht auf einem Verhalten der Verfügungsbeklagten beruhe, das nach der EU-Verordnung Nr. 1400/02 nicht eingeschränkt werden darf. Dabei handelt es sich nämlich nicht um eine Begründung, sondern lediglich um die Wiederholung der Vorgabe der Verordnung.
Soweit die Verfügungsklägerin der Auffassung ist, eine weitergehende Begründung sei nicht erforderlich, da es sich nicht um eine individuelle Kündigung, sondern eine „Netzkündigung“ handele, enthebt dieser Gesichtspunkt die Verfügungsklägerin nicht von der Einhaltung der vertraglich vereinbarten Transparenz im Hinblick auf die Überprüfbarkeit des Kündigungsgrundes auf seine Verordnungskonformität. Eine Überprüfbarkeit setzt jedoch die Mitteilung der Beendigungsmotivation der Verfügungsklägerin zwingend voraus.
Hierzu hat die Verfügungsklägerin lediglich mitgeteilt, sie wolle ihr Vertriebssystem insgesamt neu ordnen - insoweit identisch mit den allen anderen Vertragshändlern zugegangenen Kündigungserklärungen.
Die Verfügungsklägerin hat in der mündlichen Verhandlung hierzu ergänzend mitgeteilt, es hätten europaweit derselbe Vertrag und einheitliche Standards eingeführt werden sollen. Soweit den Vertragshändlern im Anschluss an die Kündigung solche neuen Verträge angeboten wurden, mag die abgegebene Erklärung eine Änderung der vertraglichen Grundlage tragen. Für die Verfügungsbeklagte, die zu den - wenigen - Vertragshändlern gehört, mit denen keine neuen Verträge abgeschlossen werden sollen, setzt eine transparente Begründung darüber hinausgehend jedoch voraus, dass sie erkennen lässt, warum aus Gründen der strukturellen Veränderung mit ihr keine neuen Verträge geschlossen werden können. Anderenfalls kann die Verfügungsbeklagte nicht ersehen, ob hinter der Beendigung der Vertragsverhältnisse nicht unausgesprochen andere Motive als eine „Strukturveränderung“ stecken. Die Verfügungsklägerin hat indes weder in der Kündigungsbegründung noch in der Verhandlung zu erkennen gegeben, welche strukturellen Maßnahmen ein Ausscheiden der Verfügungsbeklagten aus dem Händlernetz erforderlich machen. Der in dem Kündigungsschreiben angegebene Grund, die Verträge europaweit zu vereinheitlichen, trägt dagegen nicht als Kündigungsgrund gegenüber denjenigen Händlern, denen gar kein neuer „vereinheitlichter“ Vertrag angeboten wird.
Entgegen der Auffassung der Verfügungsklägerin kommt das Erfordernis einer transparenten Kündigungsbegründung auch nicht faktisch einem Kontrahierungszwang gleich. Die Verfügungsbeklagte ist lediglich in Kenntnis darüber zu setzen, warum das mit ihr langjährige bestehende Vertragsverhältnis beendet wird, um auf dieser Grundlage auch die Konformität mit der EU-Verordnung Nr. 1400/02 überprüfen zu können. Dass der Mangel einer solchen Begründung im Wege der Unwirksamkeit der Kündigung im Ergebnis zu einer Fortsetzung des Vertragsverhältnisses führt, ist von der Verpflichtung des (Neu-)Kontrahierens zu unterscheiden, so dass es auf die Ausführungen der Verfügungsklägerin zur mangelnden kartellrechtlichen Kontrahierungspflicht nicht ankommt.
Während sich die Mitteilung einer geplanten Umstrukturierung des Händlernetzes angesichts der weitgehenden Neuvergabe von Verträgen an die bestehenden Händler im Ergebnis als bloße Änderungskündigung darstellt, erschöpft sich die Ausführung des Kündigungsschreibens hinsichtlich der Beendigung des Vertragsverhältnisses mit der Verfügungsbeklagten in der bloßen Feststellung, dass die Verfügungsbeklagte künftig als Vertragspartnerin nicht berücksichtigt werde. Eine Begründung hierfür erfolgt nicht, war jedoch im Hinblick auf die Überprüfung einer Konformität mit der EU-Verordnung Nr. 1400/02 vertraglich geboten.
Die entgegen der vertraglichen Vereinbarung nicht vorhandene transparente Begründung führt zur Unwirksamkeit der Kündigung. Die seitens der Verfügungsklägerin zitierte Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 18.6.1984 (II ZR 221/83, NJW 1984, 2689) steht dem nicht entgegen, da im dort entschiedenen Fall - anders als hier - eine Formvorschrift, dass die Kündigungsgründe schriftlich niederzulegen sind, gerade nicht bestand. Wäre der Verstoß gegen den Begründungszwang folgenlos, so wäre das Begründungserfordernis überflüssig.
Mangels Verfügungsanspruchs war der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung daher unter Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung zurückzuweisen.
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