BGH: Begründung des Deliktsgerichtsstands der EuGVVO (hier: Gestattungsverfahren zur Bestandsdatenauskunft durch Telemedien-Anbieter)
BGH, Beschluss vom 28.9.2023 – III ZB 25/21
ECLI:DE:BGH:2023:280923BIIIZB25.21.0
Volltext: BB-Online BBL2023-2817-3
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Amtlicher Leitsatz
Die Geltendmachung deliktischer Ansprüche gegen einen Dritten genügt nicht, um im Gestattungsverfahren zur Bestandsdatenauskunft durch Anbieter von Telemedien den Deliktsgerichtsstand der EuGVVO zu begründen.
Sachverhalt
I.
Die Antragstellerin veräußert über die Internet-Verkaufsplattform "Amazon Marketplace" Neuwaren aus dem Bereich Matratzen/Matratzentopper. Sie begehrt eine gerichtliche Anordnung über die Zulässigkeit der Auskunftserteilung über Bestandsdaten durch die Beteiligte, die mit Sitz in Luxemburg diese Verkaufsplattform betreibt.
Über die Nutzung der Verkaufsplattform besteht zwischen der Antragstellerin und der Beteiligten ein Vertrag. Die Antragstellerin kann hiernach gegen Zahlung einer "Grundgebühr" sowie einer Verkaufsprovision die von ihr angebotenen Waren unter Verwendung eigener Produktbilder und -beschreibungen auf der Verkaufsplattform einstellen. Kunden, die über die Verkaufsplattform Waren der Antragstellerin bestellen, können über ihr Kundenkonto die Bestellungen einsehen, Waren retournieren und der Beteiligten unter Verwendung von Online-Formularen etwaige Probleme bei einer Bestellung melden. Daneben stellt die Beteiligte ein Onlinebewertungssystem bereit, über das Kundenrezensionen veröffentlicht werden können.
Die Beteiligte entfernte von September 2019 bis Januar 2021 mehrere Verkaufsangebote der Antragstellerin von der Verkaufsplattform. Sie begründete diese Maßnahmen mit unstreitig eingegangenen Kundenbeschwerden über den Zustand gelieferter Ware oder mit Verstößen gegen die von ihr aufgestellten Angebotsrichtlinien. Die Identität der sich beschwerenden Kunden legte sie der Antragstellerin nicht offen.
Die Antragstellerin macht geltend, die Kundenbeschwerden enthielten unwahre Behauptungen über den Warenzustand. Sie begehrt von der Beteiligten Auskunft über die Bestandsdaten der Beschwerdeführer und der Kunden, welche die zu einzelnen Verkaufsverboten führenden Verstöße der Antragstellerin gegen die Angebotsrichtlinien meldeten. Zu diesem Zweck hat sie beantragt, im Wege einer gerichtlichen Anordnung der Beteiligten die Erteilung entsprechender Auskünfte zu gestatten. Die Beteiligte hat die fehlende internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für diesen Antrag gerügt. Das Landgericht hat die internationale Zuständigkeit verneint und den Antrag zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete Beschwerde der Antragstellerin hat keinen Erfolg gehabt. Sie verfolgt mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde ihren Antrag weiter.
Aus den Gründen
II.
5 Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
6 1. Das Beschwerdegericht (IPRax 2022, 509) hat ausgeführt, für den hier gestellten Antrag fehle es an der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte. Bei dem Gestattungsverfahren gemäß § 14 Abs. 3 bis 5 TMG handele es sich um eine Zivilsache im Sinne von Art. 1 Abs. 1 Brüssel-Ia-VO. Aus den Vorschriften der Brüssel-Ia-VO lasse sich die internationale Zuständigkeit aber nicht begründen, und ein Fall der rügelosen Einlassung liege nicht vor.
7 Wenn "ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag" den Gegenstand des Verfahrens bildeten, könne nach Art. 7 Nr. 1 lit. a Brüssel-Ia-VO eine juristische Person, die - wie die Beteiligte - ihren Geschäftssitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats habe, zwar wahlweise auch vor dem Gericht des Ortes verklagt werden, "an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre". Die Antragstellerin mache letztlich als Nebenpflicht aus dem mit der Beteiligten geschlossenen Vertrag über die Nutzung der Verkaufsplattform einen ungeschriebenen Auskunftsanspruch geltend. Darüber gelange man jedoch nicht zu einer internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte. Der Vertrag sei zumindest im eindeutigen Schwerpunkt als Dienstleistungsvertrag im Sinne von Art. 7 Nr. 1 lit. b Brüssel-Ia-VO zu erfassen. Ausgehend davon sei von einem einheitlichen Erfüllungsort in Luxemburg auszugehen, von wo aus die geschäftliche und technische Kontrolle über die Erbringung der vertraglich geschuldeten Dienstleistungen ausgeübt werde.
8 Auch Art. 7 Nr. 2 Brüssel-Ia-VO helfe der Antragstellerin nicht weiter. Eine "unerlaubte Handlung" im Sinne dieser Vorschrift, bei der eine Klage vor dem Gericht des Ortes möglich sei, an dem das schädigende Ereignis eingetreten sei oder einzutreten drohe, sei nicht feststellbar. Die Beteiligte habe nur ehrverletzende Mitteilungen Dritter als Empfänger erhalten, zur Kenntnis genommen und letztlich die hier im Kern begehrte Auskunft verweigert. Die Antragstellerin selbst betone, dass es nicht um eigene rechtsverletzende Handlungen der Beteiligten, sondern nur um solche ihrer Kunden gehe. Eine allgemeine "Annexzuständigkeit" für Auskunftsansprüche in Bezug auf die unerlaubte Handlung eines (unbekannten) Dritten könne sich schon zum Schutz des "Nicht-Störers" nicht allein aus Art. 7 Nr. 2 Brüssel-Ia-VO ableiten lassen.
9 Eine internationale Zuständigkeit könne ebenfalls nicht über § 14 Abs. 4 TMG i.V.m. Art. 35 Brüssel-Ia-VO als "im Recht eines Mitgliedstaats vorgesehene(n) einstweilige(n) Maßnahme(n) einschließlich Sicherungsmaßnahmen" begründet werden. Schließlich sei das Berufen der Beteiligten auf die fehlende internationale Zuständigkeit nicht nach dem auch im internationalen Privatrecht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben beziehungsweise dem ordre-public-Gedanken ausgeschlossen.
10 2. Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde ist gemäß § 21 Abs. 3 Satz 6 und 8 TTDSG, § 70 Abs. 1, § 71 FamFG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Der nationale Gesetzgeber hat nach Erlass der angefochtenen Entscheidung durch das Gesetz zur Regelung des Datenschutzes und des Schutzes der Privatsphäre in der Telekommunikation und bei Telemedien vom 23. Juni 2021 (BGBl. I S. 1982) die Bestimmungen zur Auskunft über Bestandsdaten und zum Gestattungsverfahren in § 14 Abs. 2 bis Abs. 5 TMG zum 1. Dezember 2021 übergangslos in § 21 Abs. 2 bis 4 TTDSG überführt (vgl. BT-Drucks. 19/27441, S. 37). Gemäß § 21 Abs. 3 Satz 6 TTDSG gelten - wie nach der Vorgängerregelung in § 14 Abs. 4 Satz 6 TMG - die Vorschriften des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit entsprechend. Die Rechtsbeschwerde ist daher auch im Gestattungsverfahren weiterhin statthaft, wenn sie das Beschwerdegericht - wie hier - in dem angefochtenen Beschluss zugelassen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 24. September 2019 - VI ZB 39/18, BGHZ 223, 168 Rn. 11 ff).
11 3. Die Rechtsbeschwerde ist jedoch unbegründet. Die Erwägungen des Beschwerdegerichts, mit der es die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte verneint hat, halten der rechtlichen Nachprüfung stand.
12 a) Die internationale Zuständigkeit richtet sich nach der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (auch Brüssel Ia-Verordnung, ABl. L 351 vom 20. Dezember 2012, S. 1; EuGVVO). Der sachliche Anwendungsbereich der Verordnung ist eröffnet. Bei dem nunmehr in § 21 Abs. 2 bis 4 TTDSG geregelten Gestattungsverfahren handelt es sich um eine Zivilsache gemäß Art. 1 Abs. 1 Satz 1 EuGVVO (vgl. BGH aaO Rn. 19 ff; BT-Drs. 18/13013, S. 24; jew. zu § 14 Abs. 3 bis 5 TMG). Das Gestattungsverfahren ist eine echte Parteistreitigkeit der freiwilligen Gerichtsbarkeit, bei der sich der Antragsteller und der nach § 21 Abs. 3 Satz 6, Abs. 4 Satz 1 TTDSG, § 7 Abs. 2 Nr. 2 FamFG zwingend am Verfahren zu beteiligende Anbieter von Telemedien gegenüberstehen (BGH aaO Rn. 21).
13 b) Die Beteiligte hat ihren Sitz in Luxemburg. Rechtsfehlerfrei hat das Beschwerdegericht angenommen, dass die von der Antragstellerin begehrte gerichtliche Anordnung über die Zulässigkeit der Auskunftserteilung keine im nationalen Recht vorgesehene einstweilige Maßnahme darstellt, die gemäß Art. 35 EuGVVO auch dann vor den nationalen Gerichten beantragt werden kann, wenn für die Entscheidung in der Hauptsache das Gericht eines anderen Mitgliedstaats zuständig ist. Bei der Anordnung nach § 21 Abs. 3 Satz 1 TTDSG handelt es sich um keine derartige Maßnahme, weil sie nicht darauf gerichtet ist, zur Sicherung von Rechten eine Sach- oder Rechtslage zu erhalten (vgl. EuGH, BeckRS 2004, 75788 Rn. 34; RIW 2020, 688 Rn. 50). Gegen diese Beurteilung des Beschwerdegerichts erhebt die Rechtsbeschwerde auch keine Einwände. Eine internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für den Antrag der Antragstellerin setzt demzufolge gemäß Art. 5 Abs. 1 EuGVVO voraus, dass sich eine solche Zuständigkeit aus den Vorschriften der Abschnitte 2 bis 7 des zweiten Kapitels der EuGVVO ergibt. Diese Voraussetzung hat das Beschwerdegericht zutreffend für nicht gegeben erachtet.
14 c) Ohne Erfolg wendet die Rechtsbeschwerde ein, streitgegenständlich sei ein deliktischer Anspruch im Sinne des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO, weil die Antragstellerin sich darauf berufe, durch unwahre Kundenbeschwerden kreditschädigenden Manipulationen ausgesetzt worden zu sein. Dies trifft nicht zu.
15 aa) Bei der Zuständigkeitsprüfung nach der EuGVVO ist zu berücksichtigen, dass für Zivilsachen im Sinne dieser Verordnung allgemein die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig sind, in dessen Hoheitsgebiet die Gegenpartei ihren Wohnsitz hat (Art. 4 Abs. 1 EuGVVO). Besondere oder ausschließliche Zuständigkeitsregeln sind in der Verordnung nur als Ausnahme von dieser Regel für abschließend aufgeführte Fälle vorgesehen. Sie sind deshalb eng auszulegen und erlauben keine Interpretation, die über die in der Verordnung ausdrücklich geregelten Fälle hinausgeht (EuGH, NJW 2019, 2991 Rn. 21 f; NJW 2021, 144 Rn. 26; jew. mwN).
16 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union bezieht sich die Wendung "unerlaubte Handlung oder Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder Ansprüche aus einer solchen Handlung" im Sinne von Art. 7 Nr. 2 EuGVVO auf jede Klage, mit der eine Schadenshaftung "des Beklagten" geltend gemacht werden soll und die nicht an einen "Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag" im Sinne von Art. 7 Nr. 1 lit. a EuGVVO anknüpft (zB EuGH, NJW 2005, 811 Rn. 29 zu den wortgleichen Art. 5 Nr. 1 und Nr. 3 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen [ABl. L 12, S. 1; EuGVVO aF]; NJW 2021, 144 Rn. 23; jew. mwN). Die beiden in Art. 7 Nr. 1 lit a und Nr. 2 EuGVVO festgelegten Zuständigkeitsnormen sind autonom unter Berücksichtigung der Systematik und Ziele der EuGVVO auszulegen, um deren einheitliche Anwendung in allen Mitgliedstaaten zu sichern. Dies bedeutet, dass die verwendeten Begriffe nicht als Verweisung darauf zu verstehen sind, wie das bei dem nationalen Gericht anhängige Rechtsverhältnis nach dem anwendbaren nationalen Recht zu qualifizieren ist (EuGH, EuZW 2014, 383 Rn. 18 zu Art. 5 Abs. 3 EuGVVO aF; NJW 2021, 144 Rn. 25 mwN).
17 Die besondere Zuständigkeitsregel in Art. 7 Nr. 2 EuGVVO beruht darauf, dass zwischen der Streitigkeit und den Gerichten des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht, eine besonders enge Beziehung besteht, die aus Gründen einer geordneten Rechtspflege und einer sachgerechten Gestaltung des Prozesses eine Zuständigkeit dieser Gerichte rechtfertigt. Das Erfordernis der engen Verbindung soll Rechtssicherheit schaffen und verhindern, dass "die Gegenpartei" vor einem Gericht eines Mitgliedstaats verklagt werden kann, mit dem sie vernünftigerweise nicht rechnen konnte, wobei dies besonders bei Rechtsstreitigkeiten wichtig ist, die außervertragliche Schuldverhältnisse infolge der Verletzung der Privatsphäre oder der Persönlichkeitsrechte betreffen (EuGH, NJW 2022, 765 Rn. 24 f mwN). Eine Vertragsbeziehung zwischen den Parteien schließt die Anwendbarkeit von Art. 7 Nr. 2 EuGVVO, worauf die Rechtsbeschwerde zutreffend hinweist, indessen nicht aus. Beruft sich der Kläger in einem solchen Fall auf die Regeln der Haftung aus unerlaubter Handlung oder einer Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, und erscheint es nicht unerlässlich, den Inhalt des mit dem Beklagten geschlossenen Vertrags zu prüfen, um zu beurteilen, ob das diesem vorgeworfene Verhalten rechtmäßig oder rechtswidrig ist, da diese Verpflichtung unabhängig von diesem Vertrag besteht, so bilden eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand der Klage im Sinne von Art. 7 Nr. 2 EuGVVO (EuGH, NJW 2021, 144 Rn. 33).
18 bb) Nach Maßgabe dieser vom Gerichtshof der Europäischen Union geklärten Grundsätze macht die Antragstellerin Ansprüche aus unerlaubter Handlung, die gemäß Art. 7 Nr. 2 EuGVVO die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte begründen könnten, nicht geltend. Dabei kann auf sich beruhen, inwieweit ihr Auskunftsverlangen vertraglicher Art ist und der Antrag deshalb vertraglich anzuknüpfen ist. Gleichermaßen kann der Senat offenlassen, ob der Deliktsgerichtsstand der EuGVVO für das Gestattungsverfahren nach § 21 Abs. 2 bis 4 TTDSG eröffnet wäre, wenn die Antragstellerin sich zur Begründung ihres Auskunftsverlangen auf eine unerlaubte Handlung (auch) der Beteiligten berufen würde. Die Antragstellerin stützt ihr Begehren ausdrücklich nicht auf eine unerlaubte Handlung der Beteiligten. Sie berühmt sich deliktischer Ansprüche ausschließlich gegen die Urheber der Kundenbeschwerden. Dies eröffnet den Deliktsgerichtsstand schon deshalb nicht, weil die Antragstellerin und die Urheber der Kundenbeschwerden sich im Gestattungsverfahren nicht gegenüberstehen. Anders als die Beteiligte (vgl. BGH aaO Rn. 21) sind die Kunden, über deren Bestandsdaten die Antragstellerin Auskunft verlangt, nicht zwingend am Gestattungsverfahren zu beteiligen (vgl. § 21 Abs. 4 TTDSG). Aus ihrem Verhalten gegenüber der Antragstellerin kann dementsprechend keine besonders enge Beziehung dieses Verfahrens zu den deutschen Gerichten abgeleitet werden, die es rechtfertigt, eine Zuständigkeit deutscher Gerichte anzunehmen, obwohl die der Antragstellerin in diesem Verfahren gegenüberstehende Beteiligte ihren Sitz in Luxemburg hat. Dies gilt erst recht unter Beachtung des unionsrechtlichen Gebots einer engen Auslegung der besonderen Zuständigkeitsregeln.
19 Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde kann der besondere Gerichtsstand gemäß Art. 7 Nr. 2 EuGVVO auch nicht damit begründet werden, dass der gegen die Beteiligte geltend gemachte Auskunftsanspruch als "Hilfsanspruch" und das darauf bezogene Gestattungsverfahren zur Durchsetzung eines deliktsrechtlichen "Hauptanspruchs" gegen die Verfasser unwahrer Kundenbeschwerden verhelfen sollen. Die durch einen materiellen Auskunftsanspruch vermittelte Anknüpfung an die unerlaubte Handlung eines Nutzers würde dazu führen, dass die internationale Zuständigkeit anhand von Beurteilungskriterien bestimmt wird, die dem nationalen Recht zu entnehmen sind. Es käme darauf an, ob das jeweils anzuwendende Sachrecht einen Anspruch des Antragstellers gegen den Anbieter von Telemedien auf Auskunft über bei ihm vorhandene Bestandsdaten vorsieht, falls der Antragsteller einen deliktischen Anspruch gegen einen Nutzer im Sinne von § 21 Abs. 2 Satz 1 TTDSG hat. Die damit verbundene Heranziehung nationaler Regelungskonzepte würde dem Grundsatz der autonomen Auslegung der unionsrechtlichen Zuständigkeitsvorschriften sowie den von der EuGVVO verfolgten Zielen der Vereinheitlichung der Vorschriften über die gerichtliche Zuständigkeit und der Rechtssicherheit zuwiderlaufen (vgl. EuGH, NJW 2013, 2099 Rn. 34 f; NZKart 2018, 357 Rn. 54 f; jew. zu Art. 5 Abs. 3 EuGVVO aF; NJW 2022, 2739 Rn. 37 f).
20 Aus dem Urteil des VI. Zivilsenats vom 25. Oktober 2011 (VI ZR 93/10, BGHZ 191, 219 ff) kann die Rechtsbeschwerde ebenfalls nichts zu ihren Gunsten herleiten. Die vor Inkrafttreten der EuGVVO zur Internationalen Zuständigkeit nach § 32 ZPO ergangene Entscheidung betraf die Inanspruchnahme eines Hostproviders unter dem Gesichtspunkt der Störerhaftung (vgl. BGH aaO Rn. 11, 23). Darum geht es hier indessen nicht. Die Beteiligte wird nicht selbst als Störer in Anspruch genommen.
21 d) Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte ergibt sich auch nicht aus anderen Vorschriften der Abschnitte 2 bis 7 des zweiten Kapitels der EuGVVO. Insbesondere ist sie nicht aus den besonderen Zuständigkeitsregeln in Art. 7 Nr. 1 EuGVVO für vertragliche Streitigkeiten herzuleiten. Dies gilt unabhängig davon, ob die Antragstellerin - wie das Beschwerdegericht meint - ihr Auskunftsbegehren "letztlich" auf eine vertragliche Nebenpflicht der Beteiligten stützt und der Antrag auf Gestattung der begehrten Auskunft deshalb vertraglich anzuknüpfen ist. Der besondere Vertragsgerichtsstand nach der EuGVVO ist auch dann nicht in Deutschland eröffnet.
22 aa) Nach Art. 7 Nr. 1 lit. b zweiter Gedankenstrich EuGVVO kann eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden, wenn Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden und in jenem Mitgliedstaat der Erfüllungsort liegt. Erfüllungsort für die Erbringung von Dienstleistungen ist - sofern nichts anderes vereinbart worden ist - der Ort in einem Mitgliedstaat, an dem sie nach dem Vertrag erbracht worden sind oder hätten erbracht werden müssen.
23 Rechtsfehlerfrei hat das Beschwerdegericht angenommen, dass es sich bei dem zwischen den Verfahrensbeteiligten geschlossenen Vertrag um einen Vertrag über die Erbringung von Dienstleistungen im Sinne dieser Vorschrift handelt, weil die Beteiligte der Antragstellerin gegen Entgelt den Verkauf von Waren über die Verkaufsplattform und die Inanspruchnahme der in diesem Zusammenhang bereitzustellenden Dienste zu ermöglichen hat (vgl. EuGH, EuZW 2014, 181 Rn. 37 ff mwN; NJW 2016, 3087 Rn. 37 ff; jew. zur Einordnung eines Vertriebsvertrags; Hornkohl, IPRax 2022, 469, 473; vgl. auch BGH, Urteil vom 26. April 2018 - VII ZR 139/17, WM 2018, 1332 Rn. 39 zur Erfassung auch werkvertraglicher Leistungen). Gegen die Würdigung des Beschwerdegerichts, die Vertragsbeziehung sei überwiegend auf eine Tätigkeit der Beteiligten gerichtet, Dienstleistungselemente ständen klar im Vordergrund, erhebt die Rechtsbeschwerde auch keine Einwände. Zugleich ist damit eine Anwendung der alternativen Zuständigkeitsregel in Art. 7 Nr. 1 lit. a EuGVVO ausgeschlossen (vgl. EuGH, ZIP 2018, 1754 Rn. 34).
24 bb) Für die Bestimmung des Erfüllungsorts knüpft Art. 7 Nr. 1 lit. b zweiter Gedankenstrich EuGVVO an die vertragscharakteristische Leistung - die Erbringung der Dienstleistung - an und legt einen einheitlichen Erfüllungsort für sämtliche Klagen aus dem Vertrag fest (BGH aaO Rn. 40 mwN; EuGH, NJW 2010, 1189 Rn. 43 zu Art. 5 Nr. 1 lit. b zweiter Gedankenstrich EuGVVO aF). Die Vorschrift ist auch dann anwendbar, wenn die nach dem Vertrag geschuldeten Dienstleistungen in mehreren Mitgliedstaaten erbracht werden. In diesem Fall ist zuständig das Gericht des Mitgliedstaats, in dem sich der Ort der hauptsächlichen Leistungserbringung befindet, wie er sich aus den Bestimmungen des Vertrags oder, mangels solcher Bestimmungen, aus dessen tatsächlicher Erfüllung ergibt (BGH aaO mwN; EuGH, NJW 2010, 1189 aaO; ZIP 2018, 1754 Rn. 44 f); kann der fragliche Ort nicht auf dieser Grundlage ermittelt werden, so ist auf den Wohnsitz des Leistungserbringers abzustellen (EuGH, ZIP 2018, 1754 Rn. 45).
25 cc) Daran gemessen steht einer internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte nach Art. 7 Nr. 1 lit. b zweiter Gedankenstrich EuGVVO jedenfalls entgegen, dass der den besonderen Vertragsgerichtsstand begründende Erfüllungsort in Luxemburg liegt. Vertragliche Bestimmungen, aus denen sich ein bestimmter Erfüllungsort für die von der Beteiligten zu erbringenden Leistungen ergibt, sind weder dargetan noch ersichtlich. Charakteristisch für den zwischen den Verfahrensbeteiligten geschlossenen Vertrag ist die Bereitstellung des Zugangs zur Verkaufsplattform und der weiter vereinbarten Dienste durch die Beteiligte. Die geschäftliche und technische Kontrolle darüber übt die Beteiligte nach den unangegriffenen Feststellungen des Beschwerdegerichts an ihrem Sitz in Luxemburg aus (vgl. auch Hornkohl, IPRax 2022, 469, 473 f). Damit ist, wovon auch das Beschwerdegericht ausgegangen ist, bei der Bestimmung des Erfüllungsorts im Sinne von Art. 7 Nr. 1 lit. b zweiter Gedankenstrich EuGVVO nach Maßgabe der unionsrechtlichen Auslegung zumindest deshalb auf den Sitz der Beteiligten abzustellen, weil kein anderer Ort als Ort für die hauptsächliche Leistungserbringung zu ermitteln ist.
26 4. Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 Abs. 3 AEUV ist nicht veranlasst (zum Maßstab hierfür vgl. zB Senat, Urteil vom 2. Februar 2023 - III ZR 63/22, GRUR 2023, 643 Rn. 40; EuGH, NJW 2021, 3303 Rn. 32 f; jew. mwN). Es stellt sich keine entscheidungserhebliche Frage zur Auslegung des Unionsrechts, die nicht bereits durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs geklärt oder nicht zweifelsfrei zu beantworten ist. Dies gilt insbesondere für die Voraussetzungen des besonderen Gerichtsstands der unerlaubten Handlung gemäß Art. 7 Nr. 2 EuGVVO, die wiederholt Gegenstand dieser Rechtsprechung gewesen sind. Auf die vorstehenden Ausführungen wird Bezug genommen.