EuGH: Begriff des selbständigen Handelsvertreters – Modalitäten einer Handelsvertretertätigkeit
EuGH, Urteil vom 21.11.2018 – C‑452/17, Zako SPRL gegen Sanidel SA
ECLI:EU:C:2018:935
Volltext: BB-ONLINE BBL2019-1226-1
Tenor
1. Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom 18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter ist dahin auszulegen, dass der Umstand, dass eine Person, die ständig damit betraut ist, für eine andere Person den Verkauf oder den Ankauf von Waren zu vermitteln oder diese Geschäfte in deren Namen und für deren Rechnung abzuschließen, ihre Tätigkeit von den Geschäftsräumen dieser anderen Person aus verrichtet, nicht dem entgegensteht, sie als „Handelsvertreter“ im Sinne dieser Bestimmung einstufen zu können, vorausgesetzt, dieser Umstand hindert diese Person nicht daran, ihre Tätigkeit unabhängig auszuüben, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.
2. Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 86/653 ist dahin auszulegen, dass der Umstand, dass eine Person nicht nur Tätigkeiten ausübt, die in der Vermittlung des Verkaufs und des Ankaufs von Waren für eine andere Person oder dem Abschluss dieser Geschäfte in deren Namen und für deren Rechnung bestehen, sondern für diese andere Person auch Tätigkeiten anderer Art wahrnimmt, ohne dass die Letzteren im Verhältnis zu den Ersteren nebenberufliche Tätigkeiten wären, nicht dem entgegensteht, sie als „Handelsvertreter“ im Sinne dieser Richtlinie einstufen zu können, sofern dieser Umstand sie nicht daran hindert, die ersteren Tätigkeiten unabhängig auszuüben, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.
Urteil
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom 18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter (ABl. 1986, L 382, S. 17).
2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Zako SPRL und der Sanidel SA wegen Erfüllung von Leistungen und Zahlung von Provisionen nach dem Ende der zwischen diesen beiden Gesellschaften bestehenden Vereinbarung.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
3 In den Erwägungsgründen 2 und 3 der Richtlinie 86/653 heißt es:
„Die Unterschiede zwischen den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der Handelsvertretungen beeinflussen die Wettbewerbsbedingungen und die Berufsausübung innerhalb der [Europäischen Union] spürbar und beeinträchtigen den Umfang des Schutzes der Handelsvertreter in ihren Beziehungen zu ihren Unternehmen sowie die Sicherheit im Handelsverkehr. Diese Unterschiede erschweren im Übrigen auch erheblich den Abschluss und die Durchführung von Handelsvertreterverträgen zwischen einem Unternehmer und einem Handelsvertreter, die in verschiedenen Mitgliedstaaten niedergelassen sind.
Der Warenaustausch zwischen den Mitgliedstaaten muss unter Bedingungen erfolgen, die denen eines Binnenmarktes entsprechen, weswegen die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten in dem zum guten Funktionieren des Gemeinsamen Marktes erforderlichen Umfang angeglichen werden müssen. Selbst vereinheitlichte Kollisionsnormen auf dem Gebiet der Handelsvertretung können die erwähnten Nachteile nicht beseitigen und lassen daher einen Verzicht auf die vorgeschlagene Harmonisierung nicht zu.“
4 Art. 1 der Richtlinie 86/653 sieht vor:
„(1) Die durch diese Richtlinie vorgeschriebenen Harmonisierungsmaßnahmen gelten für die Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, die die Rechtsbeziehungen zwischen Handelsvertretern und ihren Unternehmern regeln.
(2) Handelsvertreter im Sinne dieser Richtlinie ist, wer als selbständiger Gewerbetreibender ständig damit betraut ist, für eine andere Person (im Folgenden Unternehmer genannt) den Verkauf oder den Ankauf von Waren zu vermitteln oder diese Geschäfte im Namen und für Rechnung des Unternehmers abzuschließen.
(3) Handelsvertreter im Sinne dieser Richtlinie ist insbesondere nicht
– eine Person, die als Organ befugt ist, für eine Gesellschaft oder Vereinigung verbindlich zu handeln;
– ein Gesellschafter, der rechtlich befugt ist, für die anderen Gesellschafter verbindlich zu handeln;
– ein Zwangsverwalter (receiver), ein gerichtlich bestellter Vermögensverwalter (receiver and manager), ein Liquidator (liquidator) oder ein Konkursverwalter (trustee in bankruptcy).“
5 Art. 2 der Richtlinie bestimmt:
„(1) Diese Richtlinie ist nicht anzuwenden
– auf Handelsvertreter, die für ihre Tätigkeit kein Entgelt erhalten;
– auf Handelsvertreter, soweit sie an Handelsbörsen oder auf Rohstoffmärkten tätig sind;
– auf die unter der Bezeichnung ‚Crown Agents for Overseas Governments and Administrations‘ bekannte Körperschaft, wie sie im Vereinigten Königreich nach dem Gesetz von 1979 über die ‚Crown Agents‘ eingeführt worden ist, oder deren Tochterunternehmen.
(2) Jeder Mitgliedstaat kann vorsehen, dass die Richtlinie nicht auf Personen anwendbar ist, die Handelsvertretertätigkeiten ausüben, welche nach dem Recht dieses Mitgliedstaat[s] als nebenberufliche Tätigkeiten angesehen werden.“
6 Art. 3 dieser Richtlinie sieht vor:
„(1) Bei der Ausübung seiner Tätigkeit hat der Handelsvertreter die Interessen des Unternehmers wahrzunehmen und sich nach den Geboten von Treu und Glauben zu verhalten.
(2) Im Besonderen muss der Handelsvertreter
a) sich in angemessener Weise für die Vermittlung und gegebenenfalls den Abschluss der ihm anvertrauten Geschäfte einsetzen;
b) dem Unternehmer die erforderlichen ihm zur Verfügung stehenden Informationen übermitteln;
c) den vom Unternehmer erteilten angemessenen Weisungen nachkommen.“
Belgisches Recht
7 Die Richtlinie 86/653 wurde durch die Loi relative aux contrats d’agence commerciale, du 13 avril 1995 (Gesetz vom 13. April 1995 über die Handelsvertreterverträge, Moniteur belge vom 2. Juni 1995, S. 15621, im Folgenden: Gesetz von 1995), in belgisches Recht umgesetzt. Das zum für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeitpunkt geltende Gesetz von 1995 definierte in seinem Art. 1 den Handelsvertretervertrag wie folgt:
„Der Handelsvertretervertrag ist ein Vertrag, durch den die eine Partei, der Handelsvertreter, von der anderen Partei, dem Unternehmer, ohne diesem unterstellt zu sein, ständig und gegen Vergütung damit beauftragt wird, in dessen Namen und für dessen Rechnung Geschäfte zu vermitteln und gegebenenfalls abzuschließen. Der Handelsvertreter gestaltet seine Tätigkeit frei und bestimmt selbst über seine Zeit.“
8 Art. 26 des Gesetzes von 1995 bestimmte:
„Ansprüche aus dem Handelsvertretervertrag verjähren in einem Jahr ab Beendigung dieses Vertrags oder in fünf Jahren ab dem Ereignis, auf das die Ansprüche zurückzuführen sind, wobei letztgenannte Frist ein Jahr ab Beendigung des Vertrags nicht überschreiten darf.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
9 Zwischen Zako, deren Gesellschaftszweck im An- und Verkauf von Möbeln, Maschinen, Ausrüstung, Material zur Datenverarbeitung und Haushaltsgeräten besteht, und Sanidel, die ein Geschäft für Sanitäreinrichtungen und Einbauküchen betreibt, bestand seit Ende 2007 eine nicht schriftliche Vereinbarung. Der Geschäftsführer von Zako war seitdem für den Bereich Einbauküchen von Sanidel verantwortlich.
10 Sanidel teilte Zako am 30. Oktober 2012 mit, dass sie die Vertragsbeziehung ohne Entschädigung oder Vorankündigung beende.
11 Auf der Grundlage des Gesetzes von 1995 forderte Zako Sanidel zur Zahlung einer Kündigungsentschädigung, einer Ausgleichsabfindung, von zwei Rechnungen und von Provisionen auf. Sanidel verweigerte die Zahlung mit der Begründung, dass die Vertragsbeziehung, die sie an Zako binde, kein Handelsvertretervertrag, sondern ein Werkvertrag sei.
12 Der Geschäftsführer von Zako verklagte Sanidel vor dem Tribunal du travail de Marche-en-Famenne (Arbeitsgericht Marche-en-Famenne, Belgien) auf Zahlung von Entschädigungen und ausstehenden Provisionen. Dieses Gericht erklärte mit Urteil vom 21. Februar 2014 die Klage für zulässig, aber unbegründet, da die Vereinbarung zwischen den Parteien nicht als Handelsvertretervertrag einzustufen sei, sondern als Werkvertrag. Dieses Urteil wurde auf Berufung durch Urteil der Cour du travail de Liège (Arbeitsgericht zweiter Instanz Lüttich, Belgien) vom 9. September 2015 bestätigt.
13 Zako befasste daraufhin das vorlegende Gericht und machte nunmehr zur Begründung ihrer Klage geltend, dass ein Werkvertrag vorliege. Vor diesem Gericht machte Sanidel ihrerseits geltend, dass die Vereinbarung zwischen den Parteien als Handelsvertretervertrag einzustufen sei; folglich sei die Klage unzulässig, weil sie nach Ablauf der im nationalen Recht vorgesehenen einjährigen Frist erhoben worden sei.
14 Das vorlegende Gericht hegt jedoch Zweifel an der rechtlichen Einordnung der von den Parteien des Ausgangsverfahrens getroffenen Vereinbarung. Es führt aus, dass Zako die folgenden unterschiedlichen Aufgaben für Sanidel wahrgenommen habe: Auswahl der Waren und der Lieferanten sowie Bestimmung der Geschäftspolitik, insbesondere Empfang der Kunden, Erstellung von Küchenplänen und Kostenvoranschlägen, Preisverhandlungen, Unterzeichnung der Bestellungen, Ausmessungen vor Ort, Streitbeilegung, Führung des Personals der Abteilung (Sekretäre/innen, Verkäufer und Monteure), Erstellung und Betreuung der Website für den Onlineverkauf, Weiterentwicklung des Verkaufs sowie Aushandeln und Abschluss von Verträgen mit Subunternehmern für Rechnung von Sanidel. Zako erhielt eine monatliche Pauschale in Höhe von 5 500 Euro, eine Fahrtkostenentschädigung sowie eine jährliche Provision, deren Höhe in der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Zeit zwischen 5 197,53 Euro und 30 574,19 Euro lag. Der Vertreter von Zako verfügte in den Geschäftsräumen von Sanidel über einen festen Arbeitsplatz mit eigenem Telefonanschluss und eigener E‑Mail-Adresse. Es steht fest, dass dieser Vertreter seine Aufgaben völlig unabhängig erfüllte.
15 Das vorlegende Gericht hebt jedoch hervor, dass die Verhandlungen und Vertragsabschlüsse ausschließlich in den Geschäftsräumen von Sanidel stattgefunden hätten. Außerdem sei Zako auch mit anderen Aufgaben als der Verhandlung und dem Abschluss von Verträgen für Rechnung von Sanidel betraut gewesen, nämlich mit der Führung des Personals der Abteilung Einbauküchen, mit Kontakten zu allen Lieferanten und Unternehmen – und nicht nur den Kunden, sowie mit der Erstellung von Plänen und Kostenvoranschlägen und dem Ausmessen der Küchen – und nicht nur der Ausfertigung von Bestellscheinen.
16 In diesem Zusammenhang stellt das vorlegende Gericht klar, dass die Aufgaben, die zur Tätigkeit der Vermittlung des Verkaufs oder des Ankaufs von Waren für den Unternehmer sowie des Abschlusses dieser Geschäfte im Namen und für Rechnung des Unternehmers gehört hätten, und die übrigen Aufgaben, die mit dieser Tätigkeit nichts zu tun gehabt hätten, gleich wichtig gewesen seien. Die Vergütungen und Provisionen von Zako seien für alle diese Leistungen berechnet worden, ohne dass zwischen diesen beiden Arten von Tätigkeiten unterschieden worden sei.
17 Unter diesen Umständen hat das Tribunal de commerce de Liège (Handelsgericht Lüttich, Belgien) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Ist Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 86/653 dahin auszulegen, dass er verlangt, dass der Handelsvertreter außerhalb der Geschäftsräume des Unternehmers um Kunden oder Lieferanten wirbt und diese besucht?
2. Ist Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 86/653 dahin auszulegen, dass er verlangt, dass der Handelsvertreter keine anderen Tätigkeiten ausüben darf als die, die mit der Vermittlung des Verkaufs oder des Ankaufs von Waren für den Unternehmer oder mit dem Abschluss dieser Geschäfte im Namen und für Rechnung des Unternehmers in Zusammenhang stehen?
3. Falls die zweite Frage verneint wird: Ist Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 86/653 dahin auszulegen, dass er verlangt, dass der Handelsvertreter andere Tätigkeiten als die, die mit der Vermittlung des Verkaufs oder des Ankaufs von Waren für den Unternehmer oder mit dem Abschluss dieser Geschäfte im Namen und für Rechnung des Unternehmers in Zusammenhang stehen, nur nebenberuflich ausüben darf?
Zu den Vorlagefragen
Vorbemerkungen
18 Das vorlegende Gericht fragt sich, wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Vereinbarung nach nationalem Recht einzuordnen ist, und insbesondere, ob diese Vereinbarung unter den Begriff des Handelsvertretervertrags oder den des Werkvertrags im Sinne dieses Rechts fällt.
19 Insoweit ist es allein Sache des vorlegenden Gerichts, über diese Einordnung anhand der tatsächlichen und rechtlichen Umstände des Ausgangsverfahrens zu entscheiden. Der Gerichtshof ist jedoch für die Auslegung der einschlägigen Bestimmungen der Richtlinie 86/653, hier ihres Art. 1 Abs. 2, und daher dafür zuständig, dem Gericht die sachdienlichen Hinweise zu geben, die ihm eine Einordnung dieser Vereinbarung mit Bezug auf diese Richtlinie ermöglichen.
Zur ersten Frage
20 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 86/653 dahin auszulegen ist, dass der Umstand, dass eine Person, die ständig damit betraut ist, für eine andere Person den Verkauf oder den Ankauf von Waren zu vermitteln oder diese Geschäfte in deren Namen und für deren Rechnung abzuschließen, ihre Tätigkeit von den Geschäftsräumen dieser anderen Person aus verrichtet, nicht dem entgegensteht, sie als „Handelsvertreter“ im Sinne dieser Bestimmung einstufen zu können.
21 Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 86/653 bestimmt, dass Handelsvertreter im Sinne dieser Richtlinie ist, „wer als selbständiger Gewerbetreibender ständig damit betraut ist, für eine andere Person (im Folgenden Unternehmer genannt) den Verkauf oder den Ankauf von Waren zu vermitteln oder diese Geschäfte im Namen und für Rechnung des Unternehmers abzuschließen“.
22 Als Erstes ist mit allen Verfahrensbeteiligten, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, darauf hinzuweisen, dass weder diese Bestimmung noch irgendeine andere Bestimmung dieser Richtlinie die Einstufung als „Handelsvertreter“ ausdrücklich davon abhängig macht, dass der Betreffende seine wirtschaftliche Tätigkeit außerhalb der Geschäftsräume des Unternehmers ausübt.
23 Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 86/653 stellt nämlich drei notwendige und hinreichende Voraussetzungen dafür auf, dass eine Person als „Handelsvertreter“ eingestuft werden kann. Erstens muss diese Person die Eigenschaft des selbständigen Gewerbetreibenden haben. Zweitens muss sie vertraglich dauerhaft an den Unternehmer gebunden sein. Drittens muss sie eine Tätigkeit ausüben, die darin besteht, den Verkauf oder den Ankauf von Waren für den Unternehmer zu vermitteln oder diese Geschäfte in dessen Namen und für dessen Rechnung abzuschließen.
24 Daher genügt es, dass eine Person diese drei Voraussetzungen erfüllt, um sie als „Handelsvertreter“ im Sinne von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 86/653 einstufen zu können, unabhängig von den Modalitäten, unter denen sie ihre Tätigkeit verrichtet, soweit sie nicht unter die Ausschlusstatbestände in Art. 1 Abs. 3 und Art. 2 dieser Richtlinie fällt.
25 Als Zweites hat die Richtlinie die Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien eines Handelsvertretervertrags zum Ziel (Urteil vom 3. Dezember 2015, Quenon K., C‑338/14, EU:C:2015:795, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).
26 Wie sich aus den Erwägungsgründen 2 und 3 der Richtlinie ergibt, soll diese die Interessen der Handelsvertreter gegenüber den Unternehmern schützen, die Sicherheit des Handelsverkehrs fördern und den Warenaustausch zwischen den Mitgliedstaaten erleichtern, indem die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Handelsvertretungen angeglichen werden (Urteil vom 3. Dezember 2015, Quenon K., C‑338/14, EU:C:2015:795, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).
27 Wie der Generalanwalt in Nr. 23 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, würde es jedoch die Reichweite dieses Schutzes einschränken und somit das von dieser Richtlinie verfolgte Ziel beeinträchtigen, wenn die Einstufung als „Handelsvertreter“ und somit die Anwendbarkeit der Richtlinie 86/653 von im Verhältnis zu den Voraussetzungen, die in ihrem Art. 1 Abs. 2 vorgesehen sind, zusätzlichen Voraussetzungen wie solchen in Bezug auf die Modalitäten der Ausübung der Tätigkeit abhängig gemacht würde.
28 In diesem Zusammenhang ist in Anbetracht des Umstands, dass diese Richtlinie keine Bestimmung enthält, die es verlangt, dass der Handelsvertreter seine Tätigkeit ambulant oder außerhalb der Geschäftsräume des Unternehmers ausübt, festzustellen, dass sich der von dieser Richtlinie gewährte Schutz auch auf die Personen erstrecken muss, die ihre Tätigkeit, wie im Ausgangsverfahren, von diesen Geschäftsräumen aus ausüben (vgl. entsprechend Urteil vom 30. April 1998, Bellone, C‑215/97, EU:C:1998:189, Rn. 13).
29 Diese Auslegung ist umso mehr geboten, als, wie der Generalanwalt in Nr. 25 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, eine gegenteilige Auslegung des Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 86/653 Personen von ihrem Schutz ausschließen würde, die mit Hilfe moderner technologischer Mittel ähnliche Tätigkeiten ausüben wie die, die reisende Handelsvertreter verrichten, insbesondere die Werbung und Akquise von Kunden.
30 Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass der Anwendungsbereich der Richtlinie 86/653 nicht dahin ausgedehnt werden kann, dass er Personen erfasst, bei denen nicht die in Rn. 23 des vorliegenden Urteils genannten Voraussetzungen vorliegen, die eine Person erfüllen muss, um als „Handelsvertreter“ im Sinne von Art. 1 Abs. 2 dieser Richtlinie eingestuft werden zu können.
31 Daher ist es in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Sache des vorlegenden Gerichts, im Rahmen einer konkreten Würdigung aller die fraglichen Vertragsbeziehungen kennzeichnenden Elemente zu prüfen, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind.
32 Auch wenn im Rahmen dieser Würdigung der Umstand, dass die Tätigkeit des Vertreters von den Geschäftsräumen des Unternehmers aus ausgeübt wird, für sich allein den Ausschluss dieses Vertreters vom Begriff „Handelsvertreter“ im Sinne von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 86/653 nicht zu rechtfertigen vermag, so darf dieser Umstand doch nicht die Selbständigkeit des Vertreters gegenüber dem Unternehmer beeinträchtigen. Denn wie der Generalanwalt in Nr. 34 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, kann die Selbständigkeit des Handelsvertreters nicht allein durch seine Pflicht zur Befolgung der Weisungen des Unternehmers, sondern auch durch andere Modalitäten der Erfüllung seiner Aufgaben in Frage gestellt werden.
33 So kann dieser Vertreter zum einen, wenn er sich aufgrund seiner Anwesenheit in den Geschäftsräumen des Unternehmers in einem engen Näheverhältnis zu diesem befindet, dessen Weisungen unterliegen. Zum anderen ist nicht auszuschließen, dass sich der Vertreter durch die Inanspruchnahme der mit dieser Anwesenheit verbundenen materiellen Vorteile, wie die Zurverfügungstellung eines Arbeitsplatzes oder den Zugang zu organisatorischen Erleichterungen in den Geschäftsräumen, in einer Situation befindet, die ihn daran hindert, seine Tätigkeit selbständig auszuüben, sei es unter dem Gesichtspunkt der Organisation dieser Tätigkeit oder dem der mit dieser Tätigkeit verbundenen wirtschaftlichen Risiken. In Bezug auf Letzteres ist nämlich zu betonen, dass die Inanspruchnahme solcher Vorteile die Betriebskosten des betreffenden Vertreters verringern und entsprechend das mit der Ausübung seiner Tätigkeit verbundene wirtschaftliche Risiko vermindern kann, soweit sich diese Verringerung der Kosten nicht auf die Höhe der Provisionen auswirkt, die der Unternehmer dem Vertreter zahlt.
34 Im vorliegenden Fall hebt das vorlegende Gericht hervor, dass der Vertreter von Zako über einen festen Arbeitsplatz mit eigenem Telefonanschluss und eigener E‑Mailadresse verfügt habe. Es führt ferner aus, es stehe fest, dass dieser Vertreter völlig unabhängig gewesen sei und seinen Aufgaben u. a. gegenüber Kunden, Lieferanten und Unternehmern völlig eigenständig nachgegangen sei.
35 Unter diesen Umständen hat – vorbehaltlich einer Prüfung durch das vorlegende Gericht – der Umstand, dass Zako ihre Tätigkeit von den Geschäftsräumen von Sanidel aus ausübte, nicht zum Verlust der Selbständigkeit von Zako geführt.
36 Demnach ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 86/653 dahin auszulegen ist, dass der Umstand, dass eine Person, die ständig damit betraut ist, für eine andere Person den Verkauf oder den Ankauf von Waren zu vermitteln oder diese Geschäfte in deren Namen und für deren Rechnung abzuschließen, ihre Tätigkeit von den Geschäftsräumen dieser anderen Person aus verrichtet, nicht dem entgegensteht, sie als „Handelsvertreter“ im Sinne dieser Bestimmung einstufen zu können, vorausgesetzt, dieser Umstand hindert diese Person nicht daran, ihre Tätigkeit unabhängig auszuüben, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.
Zur zweiten und zur dritten Frage
37 Mit seiner zweiten und seiner dritten Frage, die gemeinsam zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 86/653 dahin auszulegen ist, dass der Umstand, dass eine Person nicht nur Tätigkeiten ausübt, die in der Vermittlung des Verkaufs und des Ankaufs von Waren für eine andere Person oder dem Abschluss dieser Geschäfte in deren Namen und für deren Rechnung bestehen, sondern für diese andere Person auch Tätigkeiten anderer Art wahrnimmt, ohne dass die Letzteren im Verhältnis zu den Ersteren nebenberufliche Tätigkeiten wären, dem entgegensteht, sie als „Handelsvertreter“ im Sinne dieser Richtlinie einstufen zu können.
38 Zunächst ist festzustellen, dass aus dem Wortlaut dieser Bestimmung, wie dieser in Rn. 21 des vorliegenden Urteils in Erinnerung gerufen wurde, nicht hervorgeht, dass eine Person, die neben den ausdrücklich in der Bestimmung genannten Tätigkeiten andere Aufgaben verrichtet, nicht die Eigenschaft des Handelsvertreters im Sinne dieser Bestimmung haben kann.
39 Deshalb sind Systematik sowie Sinn und Zweck der Richtlinie 86/653 zu berücksichtigen, um festzustellen, ob diese Richtlinie dem entgegensteht, dass ein Handelsvertreter andere Aufgaben als die ausdrücklich in Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie genannten verrichtet.
40 Erstens sehen Art. 1 Abs. 3 und Art. 2 der Richtlinie 86/653 bestimmte klar umgrenzte Ausnahmetatbestände vom Begriff „Handelsvertreter“ bzw. vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie vor. Abgesehen von Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie betrifft jedoch keine dieser Bestimmungen den Tatbestand, dass der Handelsvertreter für den Unternehmer andere Tätigkeiten als die in Art. 1 Abs. 2 dieser Richtlinie genannten verrichtet.
41 Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 86/653 gewährt den Mitgliedstaaten die Befugnis, vorzusehen, dass die Richtlinie nicht auf Personen anwendbar ist, die Handelsvertretertätigkeiten ausüben, welche nach dem Recht der Mitgliedstaaten als nebenberufliche Tätigkeiten angesehen werden.
42 Wie der Generalanwalt im Wesentlichen in den Nrn. 49 bis 51 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, steht diese Richtlinie grundsätzlich nicht dem entgegen, dass zusätzlich zu der Handelsvertretertätigkeit Tätigkeiten anderer Art ausgeübt werden, und zwar auch dann, wenn der Betroffene die Handelsvertretertätigkeit nur nebenberuflich ausüben würde oder, wie im vorliegenden Fall, diese Tätigkeit gleich wichtig wie die anderen von ihm verrichteten Tätigkeiten wären, denn die Möglichkeit einer solchen Kumulierung wird durch keine andere Bestimmung dieser Richtlinie ausgeschlossen.
43 Abgesehen von dem Fall also, in dem gemäß Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 86/653 ein Mitgliedstaat beschließt, vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie die Personen auszunehmen, die die Handelsvertretertätigkeit lediglich nebenberuflich ausüben, was im Übrigen im Ausgangsverfahren nicht gegeben zu sein scheint, muss bei den Personen, die eine solche Handelsvertretertätigkeit ausüben, davon ausgegangen werden, dass sie in diesen Anwendungsbereich fallen, selbst wenn diese Tätigkeit zu einer Tätigkeit anderer Art hinzutritt.
44 Zweitens würde eine Auslegung von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 86/653 in dem Sinne, dass diese Bestimmung solche Personen ausschlösse, die zusätzlich zu ihrer Handelsvertretertätigkeit einer Tätigkeit anderer Art nachgehen, dem in Rn. 26 des vorliegenden Urteils angeführten Sinn und Zweck dieser Richtlinie zuwiderlaufen, der darin besteht, die Interessen der Handelsvertreter gegenüber den Unternehmern zu schützen.
45 Insoweit ist zum einen festzustellen, dass der Handelsvertreter nicht vom Schutz mit der Begründung ausgeschlossen werden kann, dass der Vertrag mit dem Unternehmer die Verrichtung anderer Tätigkeiten als der mit der Handelsvertretertätigkeit verbundenen Aufgaben vorsehe. Denn die gegenteilige Auslegung liefe darauf hinaus, es zuzulassen, dass sich der Unternehmer den zwingenden Bestimmungen der Richtlinie 86/653, insbesondere denen über seine Pflichten gegenüber dem Handelsvertreter, entzieht, indem er im Vertrag andere Tätigkeiten als die mit der Handelsvertretertätigkeit verbundenen Aufgaben vorsieht.
46 Zum anderen können zur Erfüllung der in Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 86/653 genannten Aufgaben, die in der Vermittlung des Verkaufs und des Ankaufs von Waren oder dem Abschluss dieser Geschäfte im Namen und für Rechnung des Unternehmers bestehen, je nach den Besonderheiten des betreffenden Sektors Dienstleistungen des Handelsvertreters gehören, die zwar streng genommen nicht unter die Tätigkeit der Vermittlung oder des Abschlusses von Verträgen für den Unternehmer fallen, jedoch mit ihr einhergehen.
47 Daher könnte eine Auslegung von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 86/653 in dem Sinne, dass die Eigenschaft des Handelsvertreters nicht für Personen gelten kann, die zusätzlich zu einer Handelsvertretertätigkeit eine oder mehrere Tätigkeiten anderer Art ausüben, letztlich dazu führen, dass eine große Zahl von Personen vom Anwendungsbereich dieser Bestimmung ausgeschlossen und der Richtlinie damit ihre praktische Wirksamkeit genommen würde.
48 Deshalb ist davon auszugehen, dass die Richtlinie 86/653 grundsätzlich nicht dem entgegensteht, dass ein Handelsvertreter im Sinne des Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 86/653 für den Unternehmer andere Tätigkeiten als die ausdrücklich in dieser Bestimmung genannten verrichtet.
49 Angesichts der in Rn. 23 des vorliegenden Urteils angeführten Voraussetzungen ist jedoch klarzustellen, dass diese von einer Person vorgenommene Kumulierung von Handelsvertretertätigkeiten und Tätigkeiten anderer Art nicht dazu führen darf, dass ihre Eigenschaft als selbständiger Gewerbetreibender beeinträchtigt ist.
50 Daher wird das vorlegende Gericht im vorliegenden Fall zu prüfen haben, ob die Tatsache, dass die Klägerin des Ausgangsverfahrens für diese Person ihre Vertretertätigkeit gemeinsam mit anderen Tätigkeiten von gleicher Wichtigkeit verrichtet hat, dazu geführt hat, dass sie unter Berücksichtigung aller konkreten Umstände wie der Natur der verrichteten Tätigkeiten, der Einzelheiten ihrer Ausübung, des Anteils, den diese Tätigkeiten an der Gesamttätigkeit der betreffenden Person hatten, der Modalitäten der Entgeltfestlegung oder des tatsächlich eingegangenen wirtschaftlichen Risikos daran gehindert war, die Vertretertätigkeit unabhängig auszuüben.
51 Nach alledem ist auf die zweite und die dritte Frage zu antworten, dass Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 86/653 dahin auszulegen ist, dass der Umstand, dass eine Person nicht nur Tätigkeiten ausübt, die in der Vermittlung des Verkaufs und des Ankaufs von Waren für eine andere Person oder dem Abschluss dieser Geschäfte in deren Namen und für deren Rechnung bestehen, sondern für diese andere Person auch Tätigkeiten anderer Art wahrnimmt, ohne dass die Letzteren im Verhältnis zu den Ersteren nebenberufliche Tätigkeiten wären, nicht dem entgegensteht, sie als „Handelsvertreter“ im Sinne dieser Richtlinie einstufen zu können, sofern dieser Umstand sie nicht daran hindert, die ersteren Tätigkeiten unabhängig auszuüben, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.