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Wirtschaftsrecht
13.07.2023
Wirtschaftsrecht
EuGH: Begriff „Verkaufspreis“ in Art. 2 Buchst. a der RL 98/6/EG (PAng-RL) enthält nicht den Pfandbetrag

EuGH, Urteil vom 29.6.2023 – C-543/21, Verband Sozialer Wettbewerb e. V. gegen famila-Handelsmarkt Kiel GmbH & Co. KG

ECLI:EU:C:2023:527

Volltext: BB-Online BBL2023-1665-1

unter www.betriebs-berater.de

Tenor

Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 98/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 über den Schutz der Verbraucher bei der Angabe der Preise der ihnen angebotenen Erzeugnisse ist dahin auszulegen, dass der dort vorgesehene Begriff des Verkaufspreises nicht den Pfandbetrag enthält, den der Verbraucher beim Kauf von Waren in Pfandbehältern zu entrichten hat.

 

Aus den Gründen

1          Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Buchst. a und Art. 10 der Richtlinie 98/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 über den Schutz der Verbraucher bei der Angabe der Preise der ihnen angebotenen Erzeugnisse (ABl. 1998, L 80, S. 27) sowie der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern im Binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) (ABl. 2005, L 149, S. 22).

 

2          Das Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Verband Sozialer Wettbewerb e. V. (im Folgenden: VSW), einem Verein deutschen Rechts, der zum Ziel hat, die Einhaltung des Wettbewerbsrechts zu überwachen, und der famila-Handelsmarkt Kiel GmbH & Co. KG (im Folgenden: famila), einer Handelsgesellschaft, die Lebensmittel vertreibt, über die Frage, ob der von den Verbrauchern zu zahlende Pfandbetrag in den Verkaufspreis von Waren in Pfandbehältern einzubeziehen ist.

 

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

 

3          In den Erwägungsgründen 2, 6 und 12 der Richtlinie 98/6 heißt es:

„(2) Es gilt, ein hohes Verbraucherschutzniveau zu gewährleisten. Die [Europäische] Gemeinschaft sollte dazu mit spezifischen Aktionen beitragen, die die Politik der Mitgliedstaaten betreffend eine genaue, transparente und unmissverständliche Information der Verbraucher über die Preise der ihnen angebotenen Erzeugnisse unterstützen und ergänzen.

 

 

(6) Die Verpflichtung, den Verkaufspreis … anzugeben, trägt merklich zur Verbesserung der Verbraucherinformation bei, da sie den Verbrauchern auf einfachste Weise optimale Möglichkeiten bietet, die Preise von Erzeugnissen zu beurteilen und miteinander zu vergleichen und somit anhand einfacher Vergleiche fundierte Entscheidungen zu treffen.

(12) Eine Regelung auf Gemeinschaftsebene stellt eine einheitliche und transparente Information zugunsten sämtlicher Verbraucher im Rahmen des Binnenmarkts sicher. …“

 

4          Die Richtlinie 98/6 regelt nach ihrem Art. 1 „die Angabe des Verkaufspreises und des Preises je Maßeinheit bei Erzeugnissen, die Verbrauchern von Händlern angeboten werden; dadurch soll für eine bessere Unterrichtung der Verbraucher gesorgt und ein Preisvergleich erleichtert werden“.

 

5          Art. 2 der Richtlinie 98/6 sieht vor:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

a) ‚Verkaufspreis‘ den Endpreis für eine Produkteinheit oder eine bestimmte Erzeugnismenge, der die Mehrwertsteuer und alle sonstigen Steuern einschließt;

…“

 

6          Art. 3 Abs. 1 und 4 der Richtlinie 98/6 bestimmt:

„(1) Bei den in Artikel 1 bezeichneten Erzeugnissen sind der Verkaufspreis und der Preis je Maßeinheit anzugeben …

(4) Bei jeglicher Werbung, bei der der Verkaufspreis der Erzeugnisse gemäß Artikel 1 genannt wird, ist vorbehaltlich des Artikels 5 auch der Preis je Maßeinheit anzugeben.“

 

7          Nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 98/6 muss der Verkaufspreis unmissverständlich, klar erkennbar und gut lesbar sein.

 

Deutsches Recht

8          § 1 („Grundvorschriften“) der Preisangabenverordnung vom 18. Oktober 2002 (BGBl. 2002 I S. 4197) in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: PAngV) lautet:

„(1) Wer Verbrauchern … gewerbs- oder geschäftsmäßig oder wer ihnen regelmäßig in sonstiger Weise Waren oder Leistungen anbietet oder als Anbieter von Waren oder Leistungen gegenüber Verbrauchern unter Angabe von Preisen wirbt, hat die Preise anzugeben, die einschließlich der Umsatzsteuer und sonstiger Preisbestandteile zu zahlen sind (Gesamtpreise). …

(4) Wird außer dem Entgelt für eine Ware oder Leistung eine rückerstattbare Sicherheit gefordert, so ist deren Höhe neben dem Preis für die Ware oder Leistung anzugeben und kein Gesamtbetrag zu bilden.

…“

 

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

9          famila startete eine Werbekampagne für Getränke in Pfandflaschen und Joghurt in Pfandgläsern mit einem Faltblatt, in dem der Pfandbetrag für diese Behälter mit dem Zusatz „zzgl. … € Pfand“ ausgewiesen war.

 

10        Da der VSW diese Werbung für unzulässig hielt, weil darin kein Gesamtpreis – einschließlich des Pfands – der beworbenen Waren angegeben war, erhob er beim Landgericht Kiel (Deutschland) Klage u. a. auf Unterlassung dieser Werbung. Nachdem dieses Gericht der Klage stattgegeben hatte, legte famila Berufung beim Oberlandesgericht Schleswig (Deutschland) ein, das der Berufung stattgab und das angefochtene Urteil abänderte.

 

11        Der VSW legte daraufhin Revision beim Bundesgerichtshof (Deutschland) ein, der das vorlegende Gericht ist. Nach dessen Auffassung hängt der Ausgang des Rechtsstreits von der Auslegung u. a. von Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 98/6 ab.

 

12        Es weist darauf hin, dass mit § 1 Abs. 1 Satz 1 PAngV, soweit er die Unternehmer beim Warenhandel zur Angabe der Gesamtpreise der zum Verkauf gestellten Waren einschließlich der Umsatzsteuer verpflichte, Art. 1, Art. 2 Buchst. a, Art. 3 und Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 98/6 in das deutsche Recht umgesetzt werden sollten. Aus dieser Richtlinie ergebe sich jedoch nicht zweifelsfrei, ob der Verkaufspreis im Sinne von Art. 2 Buchst. a der Richtlinie den Pfandbetrag enthalten müsse, den Verbraucher beim Kauf von Waren in Pfandflaschen oder Pfandgläsern zu zahlen hätten.

 

13        Das vorlegende Gericht führt aus, dass diese Bestimmung in der gesamten Europäischen Union einheitlich und somit unabhängig davon ausgelegt werden müsse, dass die deutschen Verbraucher aufgrund von § 1 Abs. 4 PAngV daran gewöhnt seien, dass das Flaschen- und Gläserpfand gesondert angegeben werde. Unter Berufung auf das Urteil vom 7. Juli 2016, Citroën Commerce (C‑476/14, EU:C:2016:527, Rn. 37), stellt es fest, dass der Pfandbetrag einen unvermeidbaren und vorhersehbaren Bestandteil des Verkaufspreises im Sinne von Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 98/6 darstelle, der obligatorisch vom Verbraucher zu tragen sei und einen Teil der Gegenleistung in Geld für den Erwerb des betreffenden Erzeugnisses bilde. Dabei könne der Verbraucher das Getränk in dem Mehrweggebinde nur zusammen mit diesem Gebinde erwerben und müsse – auch zu Zwecken des Preisvergleichs – wissen, was ihn dieser Einkauf insgesamt koste.

 

14        Für den Erlass von § 1 Abs. 4 PAngV sei die Auffassung des deutschen Verordnungsgebers entscheidend gewesen, wonach das Erfordernis, den Endpreis einer Ware als Summe von Warenpreis und Pfandbetrag anzugeben, zu einer optischen Benachteiligung von Mehrweg- gegenüber Einweggebinden führe. Diese Bestimmung bezwecke damit zum einen, es dem Verbraucher zu ermöglichen, ohne Schwierigkeiten den Warenpreis zu vergleichen, und zum anderen, die Verwendung von Mehrweggebinden als umweltpolitische Maßnahme zu fördern.

 

15        Unter diesen Umständen hat der Bundesgerichtshof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

 

1.         Ist der Begriff des Verkaufspreises im Sinne von Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 98/6 dahin auszulegen, dass er den Pfandbetrag enthalten muss, den der Verbraucher beim Kauf von Waren in Pfandflaschen oder Pfandgläsern zu zahlen hat?

 

2.         Für den Fall, dass Frage 1 bejaht wird:

 

Sind die Mitgliedstaaten nach Art. 10 der Richtlinie 98/6 berechtigt, eine von Art. 3 Abs. 1 und 4 in Verbindung mit Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 98/6 abweichende Regelung wie die in § 1 Abs. 4 PAngV beizubehalten, wonach für den Fall, dass außer dem Entgelt für eine Ware eine rückerstattbare Sicherheit gefordert wird, deren Höhe neben dem Preis für die Ware anzugeben und kein Gesamtbetrag zu bilden ist, oder steht dem der Ansatz der Vollharmonisierung der Richtlinie 2005/29 entgegen?

 

 Zu den Vorlagefragen

 

 Zur ersten Frage

 

16        Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 98/6 dahin auszulegen ist, dass der dort vorgesehene Begriff des Verkaufspreises den Pfandbetrag enthalten muss, den der Verbraucher beim Kauf von Waren in Pfandbehältern zu entrichten hat.

 

17        Was die wörtliche Auslegung dieser Bestimmung betrifft, definiert Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 98/6 den Begriff „Verkaufspreis“ als „den Endpreis für eine Produkteinheit oder eine bestimmte Erzeugnismenge, der die Mehrwertsteuer und alle sonstigen Steuern einschließt“.

 

18        Erstens kann das Pfand, wie der Generalanwalt in den Nrn. 31 bis 35 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, nicht einer „Steuer“ im Sinne von Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 98/6 gleichgestellt werden, da bei dem Pfandbetrag keines der Merkmale einer Steuer vorliegt, er also keine öffentliche Einnahmequelle ist und die Erbringung einer Gegenleistung impliziert.

 

19        Zweitens muss der Verkaufspreis als Endpreis notwendigerweise die unvermeidbaren und vorhersehbaren Bestandteile des Preises enthalten, die obligatorisch vom Verbraucher zu tragen sind und die Gegenleistung in Geld für den Erwerb des betreffenden Erzeugnisses bilden (Urteil vom 7. Juli 2016, Citroën Commerce, C‑476/14, EU:C:2016:527, Rn. 37).

 

20        Eine Ware in einem Pfandbehälter kann ohne diesen Behälter nicht erworben werden, und der Pfandbetrag stellt damit einen „unvermeidbaren Bestandteil des Verkaufspreises“ dar. Gibt der Verbraucher den Behälter aber bei einer Verkaufsstelle zurück, hat er einen Anspruch auf Erstattung des Pfandbetrags.

 

21        Da der Verbraucher Anspruch darauf hat, dass der Verkäufer oder ein anderer Händler den Pfandbehälter zurücknimmt und ihm den gezahlten Pfandbetrag erstattet, ist dieser Betrag daher nicht „obligatorisch“ vom Verbraucher zu tragen und kann demnach nicht als Teil des „Endpreises“ im Sinne von Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 98/6 angesehen werden.

 

22        Auch wenn der Verbraucher einen Pfandbehälter nicht von sich aus zurückgibt, so dass der gezahlte Pfandbetrag wirtschaftlich endgültig vom ihm getragen wird, ändert dies nichts daran, dass ein Pfandsystem, wie der Generalanwalt in den Nrn. 52 und 55 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, bedeutet, dass dieser Betrag grundsätzlich erstattet werden kann und soll.

 

23        Folglich ist der Pfandbetrag, den der Verbraucher beim Kauf einer Ware in einem Pfandbehälter zu entrichten hat, kein Bestandteil des Verkaufspreises im Sinne von Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 98/6 in seiner Auslegung durch die in Rn. 19 des vorliegenden Urteils angeführte Rechtsprechung.

 

24        Diese Feststellung wird nicht durch Rn. 38 des Urteils vom 7. Juli 2016, Citroën Commerce (C‑476/14, EU:C:2016:527), in Frage gestellt, in der der Gerichtshof entschieden hat, dass die von einem Verbraucher obligatorisch getragenen Kosten der Überführung eines Kraftfahrzeugs vom Hersteller zum Händler einen Bestandteil des Verkaufspreises im Sinne von Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 98/6 darstellen. Diese Kosten, die zu dem Preis für das Fahrzeug hinzukommen und obligatorisch vom Verbraucher zu tragen sind, ohne dass er sie später zurückerhalten kann, sind nämlich von einem Pfandbetrag wie dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden zu unterscheiden, der, wie in Rn. 21 des vorliegenden Urteils ausgeführt, dem Verbraucher bei der Rückgabe des Pfandbehälters zu erstatten ist.

 

25        Die Feststellung in Rn. 23 des vorliegenden Urteils wird darüber hinaus durch die mit der Richtlinie 98/6 verfolgten und in deren Art. 1 in Verbindung mit dem sechsten Erwägungsgrund angeführten Ziele bestätigt, nämlich die Verbraucherinformation zu verbessern und den Vergleich der Verkaufspreise von Erzeugnissen, die Verbrauchern von Händlern angeboten werden, zu erleichtern, damit die Verbraucher fundierte Entscheidungen treffen können. Nach ihrem zwölften Erwägungsgrund soll die Richtlinie 98/6 insoweit eine einheitliche und transparente Information zugunsten sämtlicher Verbraucher im Rahmen des Binnenmarkts sicherstellen. Außerdem muss der Verkaufspreis der den Verbrauchern angebotenen Erzeugnisse gemäß Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie in Verbindung mit ihrem zweiten Erwägungsgrund unmissverständlich, klar erkennbar und gut lesbar sein, damit diese Information genau, transparent und unmissverständlich ist.

 

26        Da es sein kann, dass erstens für einige dieser Erzeugnisse ein Pfand erhoben wird, für andere aber nicht, und zweitens je nach Art des Behälters unterschiedliche Pfandbeträge gelten, birgt die Einbeziehung des Pfandbetrags in den Verkaufspreis des Erzeugnisses für die Verbraucher die Gefahr, insoweit unzutreffende Vergleiche anzustellen.

 

27        Dagegen bietet die Angabe des Pfandbetrags neben dem Verkaufspreis der in einem Pfandbehälter aufgemachten Ware den Verbrauchern entsprechend den in Rn. 25 des vorliegenden Urteils genannten Zielen der Richtlinie 98/6 und unter Beachtung des Erfordernisses der Transparenz und Unmissverständlichkeit der Preise gemäß dem zweiten Erwägungsgrund der Richtlinie die Möglichkeit, die Preise eines Erzeugnisses zu beurteilen und miteinander zu vergleichen und anhand einfacher Vergleiche fundierte Entscheidungen zu treffen.

 

28        Vor diesem Hintergrund ist ein durchschnittlich informierter, aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher in der Lage, den Preis des Erzeugnisses und den Pfandbetrag zu addieren, um den Gesamtbetrag zu ermitteln, den er zum Zeitpunkt des Kaufs zu entrichten hat (vgl. entsprechend Urteil vom 4. Oktober 2007, Schutzverband der Spirituosen‑Industrie, C‑457/05, EU:C:2007:576, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

29        Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 98/6 dahin auszulegen ist, dass der dort vorgesehene Begriff des Verkaufspreises nicht den Pfandbetrag enthält, den der Verbraucher beim Kauf von Waren in Pfandbehältern zu entrichten hat.

 

Zur zweiten Frage

30        In Anbetracht der Antwort auf die erste Frage ist die zweite Frage nicht zu beantworten.

 

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