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Wirtschaftsrecht
22.11.2023
Wirtschaftsrecht
EuGH: Begriff „Kreditinstitut“ i. S. d. Art. 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a VO (EU) Nr. 575/2013

EuGH, Urteil vom 16.11.2023 – C-427/22; BG, Beteiligte: Varhovna kasatsionna prokuratura

ECLI:EU:C:2023:877

Volltext: BB-Online BBL2023-2753-1 

Tenor

Art. 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 in der durch die Verordnung (EU) 2019/2033 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. November 2019 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass ein Unternehmen nur dann unter den Begriff „Kreditinstitut“ im Sinne dieses Art. 4 Abs. 1 Nr. 1 fällt, wenn seine Tätigkeit kumulativ darin besteht, Einlagen oder andere rückzahlbare Gelder des Publikums entgegenzunehmen und Kredite für eigene Rechnung zu gewähren, wobei diese Einlagen oder anderen Gelder des Publikums zur Kreditgewährung bestimmt sind, ohne dass es ausgeschlossen ist, Kredite auch mit Mitteln aus anderen Quellen zu gewähren.

 

Aus den Gründen

1          Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 Abs. 1 Nrn. 1 und 42 der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 (ABl. 2013, L 176, S. 1).

2          Es ergeht im Rahmen eines Strafverfahrens gegen BG, der für schuldig befunden wurde, zwei natürlichen Personen verzinsliche Darlehen gewährt zu haben, ohne über die dafür erforderliche Genehmigung zu verfügen.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Verordnung Nr. 575/2013

3          Der fünfte Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 575/2013 lautet:

„Diese Verordnung und die Richtlinie 2013/36/EU [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen, zur Änderung der Richtlinie 2002/87/EG und zur Aufhebung der Richtlinien 2006/48/EG und 2006/49/EG (ABl. 2013, L 176, S. 338)] sollten zusammen den Rechtsrahmen für den Zugang zur Tätigkeit, den Aufsichtsrahmen und die Aufsichtsvorschriften für Kreditinstitute und Wertpapierfirmen (im Folgenden ‚Institute‘) bilden. Daher sollte diese Verordnung zusammen mit jener Richtlinie gelesen werden.“

4          Art. 1 („Anwendungsbereich“) Abs. 1 der Verordnung Nr. 575/2013 bestimmt:

„Diese Verordnung legt einheitliche Regeln für allgemeine Aufsichtsanforderungen fest, die im Rahmen der Richtlinie 2013/36/EU beaufsichtigte Institute im Hinblick auf folgende Punkte erfüllen müssen:

a)         Eigenmittelanforderungen im Hinblick auf vollständig quantifizierbare, einheitliche und standardisierte Komponenten von Kreditausfall-, Markt-, operationellem und Abwicklungsrisiko,

b)         Vorschriften zur Begrenzung von Großkrediten,

c)         nach Inkrafttreten des in Artikel 460 genannten delegierten Rechtsakts Liquiditätsanforderungen im Hinblick auf vollständig quantifizierbare, einheitliche und standardisierte Komponenten des Liquiditätsrisikos,

d)         Berichtspflichten hinsichtlich der Buchstaben a bis c und hinsichtlich der Verschuldung,

e)         Offenlegungspflichten.“

5          In Art. 4 („Begriffsbestimmungen“) Abs. 1 der Verordnung Nr. 575/2013 heißt es:

„Für die Zwecke dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck

1.         ‚Kreditinstitut‘ ein Unternehmen, dessen Tätigkeit darin besteht, Einlagen oder andere rückzahlbare Gelder des Publikums entgegenzunehmen und Kredite für eigene Rechnung zu gewähren; …

3.         ‚Institut‘ ein Kreditinstitut oder eine Wertpapierfirma; …

26.       ‚Finanzinstitut‘ ein Unternehmen, das kein Institut ist und dessen Haupttätigkeit darin besteht, Beteiligungen zu erwerben oder eines oder mehrere der in Anhang I Nummern 2 bis 12 und 15 der Richtlinie 2013/36/EU aufgelisteten Geschäfte zu betreiben. …

42.       ‚Zulassung‘ einen Hoheitsakt gleich welcher Form, mit dem die Behörden das Recht zur Ausübung der Geschäftstätigkeit erteilen; …“

6          Art. 4 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung Nr. 575/2013 in der durch die Verordnung (EU) 2019/2033 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. November 2019 (ABl. 2019, L 314, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: geänderte Verordnung Nr. 575/2013) bestimmt:

„Für die Zwecke dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck

1.         ‚Kreditinstitut‘ ein Unternehmen, dessen Tätigkeit in einer der folgenden Aktivitäten besteht:

a)         Einlagen oder andere rückzahlbare Gelder des Publikums entgegenzunehmen und Kredite für eigene Rechnung zu gewähren;

b)         eine der in Anhang I Abschnitt A Nummern 3 und 6 der Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates [vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente sowie zur Änderung der Richtlinien 2002/92/EG und 2011/61/EU (ABl. 2014, L 173, S. 349)] genannten Tätigkeiten auszuüben, sofern das Unternehmen kein Waren- und Emissionszertifikatehändler, Organismus für gemeinsame Anlagen oder Versicherungsunternehmen ist und einer der folgenden Sachverhalte zutrifft:

i)          der Gesamtwert der konsolidierten Bilanzsumme des Unternehmens beträgt 30 Mrd. EUR oder mehr;

ii)         der Gesamtwert der Vermögenswerte des Unternehmens liegt unter 30 Mrd. EUR und das Unternehmen gehört einer Gruppe an, in der der Gesamtwert der konsolidierten Bilanzsumme aller Unternehmen der Gruppe, die einzeln über Gesamtvermögenswerte von weniger als 30 Mrd. EUR verfügen und eine der in Anhang I Abschnitt A Nummern 3 und 6 der Richtlinie 2014/65/EU genannten Tätigkeiten ausüben, 30 Mrd. EUR oder mehr beträgt, oder

iii)         der Gesamtwert der Vermögenswerte des Unternehmens liegt unter 30 Mrd. EUR und das Unternehmen gehört einer Gruppe an, in der der Gesamtwert der konsolidierten Bilanzsumme aller Unternehmen der Gruppe, die eine der in Anhang I Abschnitt A Nummern 3 und 6 der Richtlinie 2014/65/EU genannten Tätigkeiten ausüben, 30 Mrd. EUR oder mehr beträgt, wobei die konsolidierende Aufsichtsbehörde in Abstimmung mit dem Aufsichtskollegium eine entsprechende Entscheidung trifft, um möglichen Umgehungsrisiken und potenziellen Risiken für die Finanzstabilität der [Europäischen] Union entgegenzuwirken.

Für den Zweck des Buchstaben b Ziffern ii und iii werden in dem Fall, dass das Unternehmen einer Drittlandgruppe angehört, die gesamten Vermögenswerte jeder Zweigstelle der Drittlandgruppe, die in der Union zugelassen ist, in den kombinierten Gesamtwert der Vermögenswerte aller Unternehmen der Gruppe eingerechnet“.

7          Gemäß Art. 62 Nr. 1 der Verordnung 2019/2033 hat der Titel der Verordnung Nr. 575/2013 folgende Fassung erhalten:

„Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012“.

Richtlinie 2013/36

8          In den Erwägungsgründen 2 und 42 der Richtlinie 2013/36 heißt es:

„(2)       Diese Richtlinie sollte unter anderem Bestimmungen über die Zulassung der betreffenden Institute, den Erwerb qualifizierter Beteiligungen, die Wahrnehmung der Niederlassungsfreiheit und den freien Dienstleistungsverkehr, die diesbezüglichen Befugnisse der Aufsichtsbehörden der Herkunfts- und der Aufnahmemitgliedstaaten sowie Bestimmungen über das Anfangskapital und die aufsichtliche Überprüfung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen enthalten. … [D]iese Richtlinie [sollte] zusammen mit der Verordnung … Nr. 575/2013 gelesen werden und sollte zusammen mit jener Verordnung den Rechtsrahmen für die Regelung des Bankgeschäfts, den Aufsichtsrahmen und die Aufsichtsvorschriften für Kreditinstitute und Wertpapierfirmen bilden. …

(42)      Etwaige gesetzliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten über strafrechtliche Sanktionen sollten von dieser Richtlinie unberührt bleiben.“

9          Art. 1 der Richtlinie 2013/36 bestimmt:

„Diese Richtlinie legt Vorschriften für folgende Bereiche fest:

a)         Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen (im Folgenden ‚Institute‘), …“

10        In Art. 3 („Begriffsbestimmungen“) Abs. 1 der Richtlinie 2013/36 heißt es:

„Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

1.         ‚Kreditinstitut‘ ein Kreditinstitut im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 Nummer 1 der Verordnung … Nr. 575/2013, …

22.       ‚Finanzinstitut‘ ein Finanzinstitut im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 Nummer 26 der Verordnung … Nr. 575/2013, …

38.       ‚Zulassung‘ eine Zulassung im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 Nummer 42 der Verordnung … Nr. 575/2013, …“

11         Titel III Kapitel 1 („Allgemeine Voraussetzungen für den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten“) der Richtlinie 2013/36 enthält u. a. die Art. 8 und 9.

12        In Art. 8 („Zulassung“) Abs. 1 dieser Richtlinie heißt es:

„Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass Kreditinstitute vor Aufnahme ihrer Tätigkeit eine Zulassung erhalten müssen. …“

13        Art. 9 („Verbot der Entgegennahme von Einlagen oder anderen rückzahlbaren Geldern des Publikums durch Personen oder Unternehmen, die keine Kreditinstitute sind“) Abs. 1 der Richtlinie 2013/36 bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten untersagen Personen oder Unternehmen, die keine Kreditinstitute sind, die Tätigkeit der Entgegennahme von Einlagen oder anderen rückzahlbaren Geldern des Publikums gewerbsmäßig zu betreiben.“

14        Die Richtlinie 2013/36 enthält einen Titel V („Bestimmungen über die freie Niederlassung und den freien Dienstleistungsverkehr“), dessen Kapitel 1 („Allgemeine Grundsätze“) u. a. Art. 34 umfasst.

15        Dieser Art. 34 („Finanzinstitute“) sieht in Abs. 1 vor:

„Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass die in der Liste in Anhang I genannten Tätigkeiten in ihrem Hoheitsgebiet gemäß Artikel 35, Artikel 36 Absätze 1, 2 und 3, Artikel 39 Absätze 1 und 2 sowie Artikel 40 bis 46 sowohl über eine Zweigstelle als auch im Wege der Erbringung von Dienstleistungen von jedem Finanzinstitut eines anderen Mitgliedstaats ausgeübt werden können, das ein Tochterunternehmen eines Kreditinstituts oder ein gemeinsames Tochterunternehmen mehrerer Kreditinstitute ist, dessen Satzung die Ausübung dieser Tätigkeiten gestattet und das alle nachfolgenden Voraussetzungen erfüllt: …“

16        Die Nrn. 1 und 2 des Anhangs I („Liste der Tätigkeiten, für die die gegenseitige Anerkennung gilt“) der Richtlinie 2013/36 lauten:

„1.        Entgegennahme von Einlagen und sonstigen rückzahlbaren Geldern

2.         Darlehensgeschäfte, insbesondere Konsumentenkredite, Kreditverträge im Zusammenhang mit Immobilien, Factoring mit und ohne Rückgriff, Handelsfinanzierung (einschließlich Forfaitierung)“.

 Richtlinie 2014/65

17        Anhang I der Richtlinie 2014/65 trägt den Titel „Liste der Dienstleistungen und Tätigkeiten und Finanzinstrumente“. In Abschnitt A („Wertpapierdienstleistungen und Anlagetätigkeiten“) Nrn. 3 und 6 dieses Anhangs I heißt es:

„3.        Handel für eigene Rechnung; …

6.         Übernahme der Emission von Finanzinstrumenten und/oder Platzierung von Finanzinstrumenten mit fester Übernahmeverpflichtung“.

Bulgarisches Recht

Strafgesetzbuch

18        Art. 252 Abs. 1 des Nakazatelen kodeks (Strafgesetzbuch) bestimmt:

„Wer ohne entsprechende Genehmigung gewerbsmäßig Bank-, Versicherungs- oder sonstige Finanzgeschäfte betreibt, Zahlungsdienste erbringt oder elektronisches Geld ausgibt, wofür eine solche Genehmigung erforderlich ist, wird mit Freiheitsstrafe von drei bis fünf Jahren und Einziehung bis zur Hälfte des Tätervermögens bestraft.“

Gesetz über Kreditinstitute

19        Art. 2 Abs. 1 des Zakon za kreditnite institutsii (Gesetz über Kreditinstitute) (DV Nr. 59 vom 21. Juli 2006) in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: Gesetz über Kreditinstitute) definiert den Begriff „Bank“ (Kreditinstitut) wie folgt:

„Eine juristische Person, die Einlagen oder andere rückzahlbare Gelder des Publikums entgegennimmt und Kredite oder andere Finanzierungen für eigene Rechnung und auf eigenes Risiko gewährt.“

20        Art. 3 Abs. 1 Nr. 3 dieses Gesetzes definiert den Begriff „Finanzinstitut“ als eine Person, die kein Institut und keine Industrieholdinggesellschaft ist und deren Haupttätigkeit u. a. in der Gewährung von Krediten mit Mitteln besteht, die nicht als Einlagen oder andere rückzahlbare Gelder des Publikums entgegengenommen wurden.

21        Art. 3a Abs. 1 dieses Gesetzes bestimmt:

„Für die gewerbsmäßige Ausübung der in Art. 2 Abs. 2 Nrn. 6, 7 und 12 sowie in Art. 3 Abs. 1 Nrn. 2 und 3 genannten Tätigkeiten muss die Person in ein öffentliches Register der [Balgarska narodna banka (Bulgarische Nationalbank) (BNB)] eingetragen sein, wenn eine oder mehrere dieser Tätigkeiten für sie wesentlich sind. Die Kriterien für die Definition einer wesentlichen Tätigkeit werden durch Verordnung der BNB festgelegt.“

22        Nach Art. 13 Abs. 1 dieses Gesetzes ist für die Ausübung von Banktätigkeiten eine von der BNB erteilte Zulassung erforderlich.

23        Nach § 4 der ergänzenden Bestimmungen des Gesetzes über Kreditinstitute werden mit diesem Gesetz u. a. die Bestimmungen der Richtlinie 2013/36 umgesetzt.

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

24        Zwischen April 2016 und September 2017 gewährte BG, ein bulgarischer Staatsangehöriger, der in diesem Zeitraum Gemeinderatsmitglied war, zwei natürlichen Personen verzinsliche Darlehen in bar.

25        Mit Urteil vom 1. Oktober 2020 wurde BG für schuldig befunden, gewerbsmäßig Bankgeschäfte getätigt zu haben, ohne über die nach dem Gesetz über Kreditinstitute hierfür erforderliche Genehmigung zu verfügen. Daher wurde er insbesondere auf der Grundlage von Art. 252 Abs. 1 des Strafgesetzbuchs zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren, deren Verbüßung für vier Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilt und die Einziehung bestimmter Gegenstände, die sich in seinem Eigentum befanden, angeordnet.

26        Dieses Urteil wurde im Berufungsverfahren mit Urteil vom 15. April 2021 bestätigt. BG legte gegen dieses Urteil Kassationsbeschwerde beim Varhoven kasatsionen sad (Oberstes Kassationsgericht, Bulgarien), dem vorlegenden Gericht, ein.

27        Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass es nach den einschlägigen Bestimmungen des Nakazatelno-protsesualen kodeks (Strafprozessordnung) u. a. befugt sei, den Angeklagten freizusprechen – wenn der Sachverhalt den Schluss zulasse, dass er die ihm zur Last gelegte Handlung nicht begangen habe, oder wenn diese Handlung nicht strafbar sei – oder das Berufungsurteil dahin abzuändern, dass es die Handlung als eine andere Straftat einstufe, die mit einer gleich hohen Strafe wie die Straftat, deren er für schuldig befunden worden sei, oder einer milderen Strafe bedroht sei.

28        Um zu beurteilen, ob es eine dieser Befugnisse ausüben könne, müsse das vorlegende Gericht jedoch zunächst die Bedeutung der Definitionen in Art. 4 Abs. 1 Nrn. 1 und 42 der Verordnung Nr. 575/2013 in Verbindung mit Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2013/36 sowie mit Anhang I Nrn. 1 und 2 dieser Richtlinie klären. Die Auslegung dieser Bestimmungen des Unionsrechts sei nämlich relevant für die Ermittlung der tatsächlichen Bedeutung der verschiedenen Tatbestandsmerkmale der Straftat nach Art. 252 Abs. 1 des Strafgesetzbuchs, insbesondere des darin enthaltenen Begriffs „Bankgeschäft“.

29        Hierzu führt das vorlegende Gericht erstens aus, dass nach der Praxis der bulgarischen Gerichte und der bulgarischen Lehre die Bedeutung dieser Merkmale im nationalen Recht durch nicht strafrechtliche Gesetze – insbesondere durch das Gesetz über Kreditinstitute – geklärt werde, die die Tätigkeiten der Banken regelten und Begriffe wie „Bank“, „Bankgeschäft“, „Banktätigkeit“ und „Bankkredit“ definierten. Ferner lässt sich der Vorlageentscheidung entnehmen, dass dieses Gesetz insbesondere die Bestimmungen der Richtlinie 2013/36 umsetzt.

30        Was die Bedeutung des Begriffs „Banktätigkeit“ anbelange, bestehe diese Tätigkeit eines Kreditinstituts nach dem Gesetz über Kreditinstitute darin, Einlagen oder andere rückzahlbare Gelder des Publikums entgegenzunehmen und Kredite oder andere Finanzierungen für eigene Rechnung und auf eigenes Risiko zu gewähren. Daher stehe die Definition dieses Begriffs im Einklang mit der Definition in Art. 4 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung Nr. 575/2013.

31        Zweitens stellt das vorlegende Gericht klar, dass nach Art. 252 Abs. 1 des Strafgesetzbuchs in Verbindung mit Art. 13 Abs. 1 des Gesetzes über Kreditinstitute die Durchführung von Banktätigkeiten, insbesondere die Gewährung von Bankkrediten, ohne Genehmigung in Form der Zulassung durch die BNB eine Straftat darstelle.

32        Drittens weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass in mehreren seiner jüngeren Entscheidungen der Begriff „Bankgeschäft“ im Sinne von Art. 252 Abs. 1 des Strafgesetzbuchs präzisiert worden sei. So sei in diesen Entscheidungen festgestellt worden, dass die gewerbsmäßige Gewährung verzinslicher Darlehen mit Mitteln, die nicht als Einlagen des Publikums entgegengenommen worden seien, nicht als ein solches Geschäft definiert werden könne. Im Rahmen der Rechtssachen, in denen diese Entscheidungen ergangen seien, seien die Angeklagten freigesprochen worden, weil diese Bestimmung nur auf Banktätigkeiten anwendbar sei, für die eine genehmigende Zulassungsregelung vorgesehen sei.

33        Viertens führt das vorlegende Gericht aus, dass die Gewährung von Krediten mit Mitteln, die nicht aus der Tätigkeit der Entgegennahme von Einlagen oder anderen rückzahlbaren Geldern des Publikums stammten, ein Finanzgeschäft sei, für das Art. 3a Abs. 1 des Gesetzes über Kreditinstitute eine Registrierungsregelung und keine Zulassungsregelung vorsehe. Die gewerbsmäßige Ausübung dieser Tätigkeit ohne eine solche Registrierung stelle keine Straftat dar.

34        Das vorlegende Gericht hat jedoch Zweifel hinsichtlich der genauen Bedeutung der Definition des „Kreditinstituts“ in Art. 4 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung Nr. 575/2013. Es möchte daher wissen, ob die in dieser Definition verwendete Konjunktion „und“, die die Tätigkeit der Entgegennahme von Einlagen oder anderen rückzahlbaren Geldern des Publikums mit der Tätigkeit der Kreditgewährung verbinde, bedeute, dass ein solches Kreditinstitut die Kreditvergabe nur mit entgegengenommenen Geldern des Publikums durchführen und Kredite nicht auch mit Mitteln gewähren dürfe, die es aus anderen Quellen, wie erhobenen Entgelten oder Zinsen, bezogen habe. Diese Zweifel beruhten auch auf dem in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2013/36 festgelegten ausdrücklichen Verbot für Personen oder Unternehmen, die keine Kreditinstitute seien, Einlagen oder andere rückzahlbare Gelder des Publikums entgegenzunehmen, sowie auf dem Umstand, dass die beiden Tätigkeiten in den Nrn. 1 und 2 des Anhangs I dieser Richtlinie getrennt voneinander aufgeführt seien.

35        Darüber hinaus hält das vorlegende Gericht Klarstellungen zur Auslegung der Definition des Begriffs „Zulassung“ in Art. 4 Abs. 1 Nr. 42 der Verordnung Nr. 575/2013 für erforderlich. Dieser Begriff bezeichne das Dokument, das das Recht zur Ausübung der im Rahmen dieser Verordnung und der Richtlinie 2013/36 vorgesehenen Tätigkeit verleihe. Konkret fragt sich das vorlegende Gericht, ob diese Definition durch die Bezugnahme auf einen „Hoheitsakt gleich welcher Form, mit dem die Behörden das Recht zur Ausübung der Geschäftstätigkeit erteilen“ sowohl die im nationalen Recht für Kreditinstitute vorgesehene Genehmigung durch Zulassung als auch die im nationalen Recht für Finanzinstitute vorgesehene Genehmigung durch Registrierung umfasse.

36        Unter diesen Umständen hat der Varhoven kasatsionen sad (Oberstes Kassationsgericht) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.         Ist die Definition eines Kreditinstituts in Art. 4 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung Nr. 575/2013 dahin auszulegen, dass die Kreditgewährung ausschließlich mit Mitteln zu erfolgen hat, die als Einlagen oder andere rückzahlbare Gelder des Publikums entgegengenommen wurden, oder darf ein Kreditinstitut auch mit Mitteln aus anderen Quellen Kredite gewähren?

2.         Wie ist der Inhalt des „Hoheitsakt[s] gleich welcher Form, mit dem die Behörden das Recht zur Ausübung der Geschäftstätigkeit erteilen“ im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Nr. 42 der Verordnung Nr. 575/2013 auszulegen, und umfasst er sowohl die genehmigende Zulassungsregelung als auch die genehmigende Registrierungsregelung für Kreditgeschäfte?

Verfahren vor dem Gerichtshof

37        Das vorlegende Gericht hat beantragt, das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen dem Eilvorabentscheidungsverfahren nach Art. 107 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs zu unterwerfen. Zur Stützung seines Antrags führt das vorlegende Gericht aus, dass die bei ihm anhängige Rechtssache dringlich sei, da die BG zur Last gelegten Handlungen 2016 begangen worden seien und die Dauer des Ausgangsverfahrens das Recht auf ein faires Verfahren zu beeinträchtigen drohe.

38        Am 14. Juli 2022 hat die Erste Kammer des Gerichtshofs auf Vorschlag des Berichterstatters und nach Anhörung des Generalanwalts entschieden, diesem Antrag nicht stattzugeben, da die in Art. 107 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs vorgesehene Voraussetzung der Dringlichkeit nicht erfüllt ist.

Zur Zuständigkeit des Gerichtshofs

39        Zunächst ist festzustellen, dass der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 575/2013 fällt, auf deren Auslegung sich das Vorabentscheidungsersuchen bezieht.

40        Nach ständiger Rechtsprechung ist der Gerichtshof jedoch für die Entscheidung über Vorabentscheidungsersuchen zuständig, die Vorschriften des Unionsrechts in Fällen betreffen, in denen der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens zwar nicht unmittelbar in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt, aber die genannten Vorschriften durch das nationale Recht aufgrund eines darin enthaltenen Verweises auf ihren Inhalt für anwendbar erklärt worden sind (Urteil vom 7. November 2018, C und A, C-257/17, EU:C:2018:876, Rn. 31 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

41        In solchen Fällen besteht nämlich ein klares Interesse der Union daran, dass die aus dem Unionsrecht übernommenen Bestimmungen einheitlich ausgelegt werden, um künftige Auslegungsunterschiede zu vermeiden (Urteil vom 7. November 2018, C und A, C-257/17, EU:C:2018:876, Rn. 32 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

42        Somit ist eine Auslegung von Vorschriften des Unionsrechts durch den Gerichtshof bei Sachverhalten, die nicht in den Anwendungsbereich dieser Vorschriften fallen, dann gerechtfertigt, wenn die Vorschriften vom nationalen Recht unmittelbar und unbedingt für auf diese Sachverhalte anwendbar erklärt worden sind, um zu gewährleisten, dass diese Sachverhalte und die durch die Vorschriften geregelten Sachverhalte gleich behandelt werden (Urteile vom 7. November 2018, C und A, C-257/17, EU:C:2018:876, Rn. 33, sowie vom 10. September 2020, Tax-Fin-Lex, C-367/19, EU:C:2020:685, Rn. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung).

43        In diesem Zusammenhang ist noch darauf hinzuweisen, dass sich die konkreten Merkmale, die es ermöglichen, festzustellen, dass die Vorschriften des Unionsrechts vom nationalen Recht unmittelbar und unbedingt für anwendbar erklärt worden sind, aus der Vorlageentscheidung ergeben müssen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. April 2023, Banca A [Anwendung der Fusionsrichtlinie auf einen innerstaatlichen Sachverhalt], C-827/21, EU:C:2023:355, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).

44        Im vorliegenden Fall hat das vorlegende Gericht, das im Rahmen des Systems der gerichtlichen Zusammenarbeit nach Art. 267 AEUV allein zuständig für die Auslegung des nationalen Rechts ist (Urteil vom 7. November 2018, C und A, C-257/17, EU:C:2018:876, Rn. 34 sowie die dort angeführte Rechtsprechung), die Gründe, aus denen es Zweifel hat, wie die Verordnung Nr. 575/2013 auszulegen ist, und den Zusammenhang zwischen dieser Verordnung und den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Vorschriften dargelegt. Aus den konkreten Angaben in der Vorlageentscheidung geht somit hervor, dass dieses Gericht verpflichtet ist, sich bei der Entscheidung in der Sache im Rahmen dieses Verfahrens auf die Definitionen in der Verordnung zu stützen.

45        Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass diese Definitionen vom bulgarischen Recht unmittelbar und unbedingt für auf Sachverhalte wie den des Ausgangsverfahrens anwendbar erklärt worden sind und deshalb ein klares Interesse der Union daran besteht, dass der Gerichtshof über das Vorabentscheidungsersuchen entscheidet.

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

46        Vorab ist darauf hinzuweisen, dass Art. 4 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung Nr. 575/2013, auf den sich die erste Frage bezieht und der eine Definition des Begriffs „Kreditinstitut“ enthält, durch die Verordnung 2019/2033 geändert wurde.

47        Vor dieser Änderung war dieser Begriff definiert als „ein Unternehmen, dessen Tätigkeit darin besteht, Einlagen oder andere rückzahlbare Gelder des Publikums entgegenzunehmen und Kredite für eigene Rechnung zu gewähren“.

48        Seit dieser Änderung gilt als „Kreditinstitut“ ein Unternehmen, dessen Tätigkeit in einer der in Art. 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a und b der geänderten Verordnung Nr. 575/2013 genannten Aktivitäten besteht.

49        Diese Aktivitäten bestehen nach Art. 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a der geänderten Verordnung Nr. 575/2013 darin, „Einlagen oder andere rückzahlbare Gelder des Publikums entgegenzunehmen und Kredite für eigene Rechnung zu gewähren“, und nach Art. 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b der geänderten Verordnung Nr. 575/2013 darin, „eine der in Anhang I Abschnitt A Nummern 3 und 6 der Richtlinie [2014/65] genannten Tätigkeiten auszuüben“, sofern bestimmte Sachverhalte zutreffen.

50        Im vorliegenden Fall ist zum einen nach den Erläuterungen des vorlegenden Gerichts die Definition des Begriffs „Kreditinstitut“ im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung Nr. 575/2013 für die Auslegung der Strafvorschrift relevant, auf deren Grundlage BG verurteilt wurde.

51        Zum anderen bezieht sich diese Verurteilung auf einen Sachverhalt, der sich zwischen April 2016 und September 2017, d. h. vor dem Inkrafttreten der Änderung von Art. 4 Abs. 1 Nr. 1 dieser Verordnung durch die Verordnung 2019/2033, ereignet hat.

52        Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass sich diese Änderung angesichts des Grundsatzes der rückwirkenden Anwendung des milderen Strafgesetzes (lex mitior) auswirkt. Die dem Gerichtshof vorliegende Akte enthält zwar keine Hinweise darauf, wie dieser Grundsatz im bulgarischen Recht verankert ist; er ist aber jedenfalls durch Art. 7 Abs. 1 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten garantiert (vgl. in diesem Sinne EGMR, 17. September 2009, Scoppola/Italien [Nr. 2], CE:ECHR:2009:0917JUD001024903, § 109), deren Vertragspartei die Republik Bulgarien ist.

53        Unter diesen Umständen ist zur Beantwortung der ersten Frage die Änderung von Art. 4 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung Nr. 575/2013 durch die Verordnung 2019/2033 zu berücksichtigen.

54        Ferner ist vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht vorzunehmenden Prüfungen festzustellen, dass BG offenbar keine der in Art. 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b der geänderten Verordnung Nr. 575/2013 genannten Tätigkeiten ausgeübt hat.

55        Folglich ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seiner ersten Frage im Wesentlichen wissen möchte, ob Art. 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a der geänderten Verordnung Nr. 575/2013 dahin auszulegen ist, dass ein Unternehmen nur dann unter den Begriff „Kreditinstitut“ im Sinne dieses Art. 4 Abs. 1 Nr. 1 fällt, wenn seine Tätigkeit in der Gewährung von Krediten mit Mitteln besteht, die als Einlagen oder andere rückzahlbare Gelder des Publikums entgegengenommen wurden, und Mittel aus anderen Quellen ausgeschlossen sind.

56        Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung bei der Auslegung einer Bestimmung des Unionsrechts nicht nur deren Wortlaut, sondern auch der Zusammenhang, in den sie sich einfügt, und die Ziele zu berücksichtigen sind, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden. Die Entstehungsgeschichte einer Bestimmung des Unionsrechts kann ebenfalls relevante Anhaltspunkte für ihre Auslegung liefern (Urteil vom 16. März 2023, Towercast, C-449/21, EU:C:2023:207, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).

57        Zum Wortlaut von Art. 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a der geänderten Verordnung Nr. 575/2013 ist festzustellen, dass er zwei Merkmale umfasst, nämlich das Merkmal „Einlagen oder andere rückzahlbare Gelder des Publikums entgegenzunehmen“ und das Merkmal „Kredite für eigene Rechnung zu gewähren“. Diese beiden Merkmale sind durch die Konjunktion „und“ verbunden.

58        Daraus folgt, dass ein Unternehmen, das keine Tätigkeit im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b der geänderten Verordnung Nr. 575/2013 ausübt, nur dann unter den Begriff „Kreditinstitut“ im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Nr. 1 fällt, wenn seine Tätigkeit kumulativ darin besteht, Einlagen oder andere rückzahlbare Gelder des Publikums entgegenzunehmen und Kredite für eigene Rechnung zu gewähren.

59        Außerdem ist zwar nicht ausgeschlossen, dass Kredite mit Mitteln aus anderen Quellen als Einlagen oder andere rückzahlbare Gelder des Publikums gewährt werden, jedoch besteht in der Regel ein zwingender Zusammenhang zwischen der Entgegennahme von Einlagen und der Gewährung von Krediten.

60        Dies wird durch den Zweck von Art. 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a der geänderten Verordnung Nr. 575/2013 bestätigt, der darin besteht, eine funktionale Definition des Begriffs „Kreditinstitut“ zu geben.

61        Diese Bestimmung geht nämlich auf Art. 1 erster Gedankenstrich der Ersten Richtlinie 77/780/EWG des Rates vom 12. Dezember 1977 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute (ABl. 1977, L 322, S. 30) zurück.

62        Aus der Entstehungsgeschichte der letztgenannten Bestimmung geht hervor, dass die Definition des Begriffs „Kreditinstitut“ von der Funktion u. a. der Banken im volkswirtschaftlichen Geldkreislauf ausgeht, deren Hauptaufgabe darin besteht, die Verbindung zwischen Sparern und Investoren herzustellen, also Gelder anzusammeln und auszuleihen (Vorschlag einer Richtlinie des Rates zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute [KOM (74)2010 endg., S. 6]).

63        Daraus folgt, dass ein Unternehmen, das keine Einlagen oder anderen rückzahlbaren Gelder des Publikums entgegennimmt und sich somit darauf beschränkt, Kredite mit Mitteln aus anderen Quellen zu gewähren, nicht unter den Begriff „Kreditinstitut“ im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a der geänderten Verordnung Nr. 575/2013 fällt.

64        Diese Schlussfolgerung wird nicht dadurch entkräftet, dass Art. 4 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung Nr. 575/2013 infolge der Änderung dieser Verordnung durch die Verordnung 2019/2033 nunmehr auf ein Unternehmen Bezug nimmt, dessen Tätigkeit „in einer der folgenden Aktivitäten besteht“.

65        Der Unionsgesetzgeber hat bei dieser Änderung nämlich davon abgesehen, in Art. 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a die Tätigkeit der Entgegennahme von Einlagen oder anderen rückzahlbaren Geldern des Publikums von der Tätigkeit der Kreditgewährung zu trennen, was bestätigt, dass diese beiden Tätigkeiten als eine Einheit zu verstehen sind. Außerdem wird anders als in dieser Bestimmung in Art. 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b auf „eine der“ in Anhang I Abschnitt A Nrn. 3 und 6 der Richtlinie 2014/65 genannten „Tätigkeiten“ verwiesen.

66        Was im Übrigen die Fragen des vorlegenden Gerichts zu Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2013/36 und Anhang I dieser Richtlinie betrifft, ist zum einen festzustellen, dass Art. 9 Abs. 1 Personen oder Unternehmen, die keine Kreditinstitute sind, die Entgegennahme von Einlagen oder anderen rückzahlbaren Geldern des Publikums ausdrücklich verbietet, ohne auch die Tätigkeit der Kreditgewährung zu erwähnen, und zum anderen, dass die Nrn. 1 und 2 des Anhangs I die Entgegennahme von Einlagen und die Gewährung von Krediten getrennt nennen. Dies hat jedoch keine Auswirkung auf die vorgenommene Auslegung des Begriffs „Kreditinstitut“ im Sinne der Verordnung Nr. 575/2013.

67        Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a der geänderten Verordnung Nr. 575/2013 dahin auszulegen ist, dass ein Unternehmen nur dann unter den Begriff „Kreditinstitut“ im Sinne dieses Art. 4 Abs. 1 Nr. 1 fällt, wenn seine Tätigkeit kumulativ darin besteht, Einlagen oder andere rückzahlbare Gelder des Publikums entgegenzunehmen und Kredite für eigene Rechnung zu gewähren, wobei diese Einlagen oder anderen Gelder des Publikums zur Kreditgewährung bestimmt sind, ohne dass es ausgeschlossen ist, Kredite auch mit Mitteln aus anderen Quellen zu gewähren.

Zur zweiten Frage

68        Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob der Begriff „Zulassung“ im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Nr. 42 der Verordnung Nr. 575/2013 dahin auszulegen ist, dass er eine genehmigende Registrierungsregelung für Kreditgeschäfte umfasst.

69        Vorab ist der Kontext zu prüfen, in den sich diese Frage einfügt.

70        So ist zum einen nach der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Strafbestimmung, nämlich Art. 252 Abs. 1 des Strafgesetzbuchs, u. a. strafbar, „[w]er ohne entsprechende Genehmigung gewerbsmäßig Bank-, Versicherungs- oder sonstige Finanzgeschäfte betreibt“. Nach den Erläuterungen des vorlegenden Gerichts gilt diese Bestimmung nur für Tätigkeiten, für die eine Genehmigung in Form einer Zulassung vorgesehen ist.

71        Zum anderen ist nach diesen Erläuterungen die Gewährung von Krediten mit Mitteln, die nicht aus der Tätigkeit der Entgegennahme von Einlagen oder anderen rückzahlbaren Geldern des Publikums stammen, wenn nicht ein Bankgeschäft, dann zumindest ein Finanzgeschäft, für das das nationale Recht eine Registrierungsregelung und keine Zulassungsregelung vorsieht, so dass die gewerbsmäßige Ausübung einer solchen Tätigkeit ohne Registrierung keine Straftat darstellt.

72        Das vorlegende Gericht scheint jedoch die Ansicht zu vertreten, dass die Auslegung des Begriffs „Zulassung“ im Sinne der Verordnung Nr. 575/2013 für die Auslegung des Begriffs „Genehmigung“ im Sinne von Art. 252 Abs. 1 des Strafgesetzbuchs relevant sei, da, wenn auf der Grundlage einer weiten Auslegung auch eine Registrierungsregelung unter diese Begriffe fiele, die Durchführung von Finanzgeschäften – wie gewöhnlichen Darlehensgeschäften – ohne Registrierung ebenfalls unter den Straftatbestand dieser Bestimmung fallen müsste.

73        Insoweit ist mit der Europäischen Kommission darauf hinzuweisen, dass der Begriff „Zulassung“ im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Nr. 42 der Verordnung Nr. 575/2013 im Kontext dieser Verordnung zu verstehen ist, der die Richtlinie 2013/36 einschließt.

74        Diese Richtlinie regelt in Titel III Kapitel 1 die allgemeinen Voraussetzungen für den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten. Insbesondere müssen nach Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie die Mitgliedstaaten vorsehen, dass Kreditinstitute vor Aufnahme ihrer Tätigkeit eine Zulassung erhalten müssen.

75        Was hingegen Finanzinstitute betrifft, zu denen gemäß der Definition in Art. 4 Abs. 1 Nr. 26 der Verordnung Nr. 575/2013 Unternehmen gehören, die keine Kreditinstitute sind und deren Haupttätigkeit (ausschließlich oder u. a.) in der Gewährung von Darlehen besteht, enthält die Richtlinie 2013/36 in ihrem Titel V lediglich Bestimmungen über die freie Niederlassung und den freien Dienstleistungsverkehr.

76        Daraus folgt, dass die Voraussetzungen für die Genehmigung eines Finanzinstituts im Sinne der Verordnung Nr. 575/2013 nur auf nationaler Ebene geregelt sind, so dass hinsichtlich der Modalitäten solcher Genehmigungen die Reichweite des Begriffs „Zulassung“ im Sinne dieser Verordnung für das Ausgangsverfahren unerheblich ist.

77        Unter diesen Umständen erübrigt sich eine Beantwortung der zweiten Vorlagefrage.

Kosten

78        Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

 

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