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Wirtschaftsrecht
02.11.2023
Wirtschaftsrecht
EuGH: Begriff „Finanzinstitut“ i. S. v. Art. 3 Abs. 1 Nr. 22 RL 2013/36/EU sowie Art. 4 Abs. 1 Nr. 26 VO (EU) Nr. 575/2013

EuGH, Urteil vom 26.10.2023 – C-207/22, C-267/22, C-290/22, Lineas – Concessões de Transportes SGPS SA (C‑207/22), Global Roads Investimentos SGPS Lda (C‑267/22), NOS-SGPS SA (C‑290/22) gegen Autoridade Tributária e Aduaneira

ECLI:EU:C:2023:810

Volltext: BB-Online BBL2023-2562-1

unter www.betriebs-berater.de

Tenor

Art. 3 Abs. 1 Nr. 22 der Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen, zur Änderung der Richtlinie 2002/87/EG und zur Aufhebung der Richtlinien 2006/48/EG und 2006/49/EG sowie Art. 4 Abs. 1 Nr. 26 der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 sind dahin auszulegen, dass ein Unternehmen, dessen Tätigkeit im Erwerb von Beteiligungen an Gesellschaften besteht, die keine Tätigkeiten im Finanzsektor ausüben, nicht unter den Begriff „Finanzinstitut“ im Sinne dieser Richtlinie und dieser Verordnung fällt.

 

 

Aus den Gründen

1          Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Art. 3 Abs. 1 Nr. 22 der Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen, zur Änderung der Richtlinie 2002/87/EG und zur Aufhebung der Richtlinien 2006/48/EG und 2006/49/EG (ABl. 2013, L 176, S. 338) und Art. 4 Abs. 1 Nr. 26 der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 (ABl. 2013, L 176, S. 1, berichtigt in ABl. 2013, L 321, S. 6).

 

2          Sie ergehen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen der Lineas – Concessões de Transportes SGPS SA, der Global Roads Investimentos SGPS Lda und der NOS-SGPS SA auf der einen und der Autoridade Tributária e Aduaneira (Steuer- und Zollbehörde, Portugal) auf der anderen Seite über die Erhebung einer Stempelsteuer auf Kreditgeschäfte.

 

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 2002/87/EG

3          In Art. 2 Nr. 15 der Richtlinie 2002/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2002 über die zusätzliche Beaufsichtigung der Kreditinstitute, Versicherungsunternehmen und Wertpapierfirmen eines Finanzkonglomerats und zur Änderung der Richtlinien 73/239/EWG, 79/267/EWG, 92/49/EWG, 92/96/EWG, 93/6/EWG und 93/22/EWG des Rates und der Richtlinien 98/78/EG und 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. 2003, L 35, S. 1) heißt es:

„Für die Zwecke dieser Richtlinie gelten folgende Begriffsbestimmungen:

15. ,Gemischte Finanzholdinggesellschaft‘ ist ein nicht der Aufsicht unterliegendes Mutterunternehmen, das zusammen mit seinen Tochterunternehmen, von denen mindestens eines ein beaufsichtigtes Unternehmen mit Sitz in der Gemeinschaft ist, und anderen Unternehmen ein Finanzkonglomerat bildet“.

 

Richtlinie 2013/36

4          Die Erwägungsgründe 5 und 20 der Richtlinie 2013/36 lauten:

„(5) Diese Richtlinie sollte sowohl hinsichtlich der Niederlassungsfreiheit als auch des freien Dienstleistungsverkehrs im Finanzdienstleistungssektor das wesentliche Instrument für die Verwirklichung des Binnenmarkts im Bereich der Kreditinstitute darstellen.

(20) Die gegenseitige Anerkennung sollte auf diese Tätigkeiten ausgedehnt werden, wenn diese Tätigkeiten von einem Finanzinstitut, das ein Tochterunternehmen eines Kreditinstituts ist, ausgeübt werden, sofern das Tochterunternehmen in die auf konsolidierter Basis erfolgende Beaufsichtigung des Mutterunternehmens einbezogen ist und bestimmten strengen Anforderungen genügt.“

 

5          Art. 1 dieser Richtlinie bestimmt:

„Diese Richtlinie legt Vorschriften für folgende Bereiche fest:

a) Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen (im Folgenden ‚Institute‘),

b) Aufsichtsbefugnisse und Instrumente für die Beaufsichtigung von Instituten durch die zuständigen Behörden,

c) Beaufsichtigung von Instituten durch die zuständigen Behörden in einer Weise, die mit den Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 vereinbar ist,

d) Veröffentlichungspflichten für die im Bereich der Aufsichtsvorschriften und der Beaufsichtigung von Instituten zuständigen Behörden.“

 

6          In Art. 3 Abs. 1 Nr. 22 dieser Richtlinie heißt es:

„Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

22. ,Finanzinstitut‘ ein Finanzinstitut im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 Nummer 26 der Verordnung (EU) Nr. 575/2013“.

 

7          Art. 5 dieser Richtlinie lautet:

„Gibt es in den Mitgliedstaaten mehr als eine für die Beaufsichtigung der Kreditinstitute, Wertpapierfirmen und Finanzinstitute zuständige Behörde, so ergreifen die Mitgliedstaaten die für die Koordinierung dieser Behörden erforderlichen Maßnahmen.“

 

8          Art. 34 der Richtlinie 2013/36 sieht vor:

„(1) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass die in der Liste in Anhang I genannten Tätigkeiten in ihrem Hoheitsgebiet … sowohl über eine Zweigstelle als auch im Wege der Erbringung von Dienstleistungen von jedem Finanzinstitut eines anderen Mitgliedstaats ausgeübt werden können, das ein Tochterunternehmen eines Kreditinstituts oder ein gemeinsames Tochterunternehmen mehrerer Kreditinstitute ist, dessen Satzung die Ausübung dieser Tätigkeiten gestattet und das alle nachfolgenden Voraussetzungen erfüllt:

a) Das (die) Mutterunternehmen ist (sind) in dem Mitgliedstaat, dessen Recht auf das Finanzinstitut Anwendung findet, als Kreditinstitut zugelassen,

b) die betreffenden Tätigkeiten werden tatsächlich im Hoheitsgebiet desselben Mitgliedstaats ausgeübt,

c) das (die) Mutterunternehmen hält (halten) mindestens 90 % der mit den Anteilen oder Aktien des Finanzinstituts verbundenen Stimmrechte,

d) das (die) Mutterunternehmen macht (machen) gegenüber den zuständigen Behörden die umsichtige Geschäftsführung des Finanzinstituts glaubhaft und verbürgt (verbürgen) sich mit Zustimmung der zuständigen Behörden ihres Herkunftsmitgliedstaats gesamtschuldnerisch für die von dem Finanzinstitut eingegangenen Verpflichtungen,

e) das Finanzinstitut ist … insbesondere für die betreffenden Tätigkeiten wirksam in die Beaufsichtigung des (der) Mutterunternehmen(s) auf konsolidierter Basis einbezogen …

Die zuständigen Behörden des Herkunftsmitgliedstaats kontrollieren, ob die Voraussetzungen des Unterabsatzes 1 erfüllt sind; in diesem Fall stellen sie dem Finanzinstitut eine Bescheinigung aus …

(2) Wenn ein Finanzinstitut im Sinne von Absatz 1 Unterabsatz 1 eine der festgelegten Voraussetzungen nicht mehr erfüllt, zeigen die zuständigen Behörden des Herkunftsmitgliedstaats dies den zuständigen Behörden des Aufnahmemitgliedstaats an; die Tätigkeiten des betreffenden Finanzinstituts im Aufnahmemitgliedstaat unterliegen ab dann dessen Rechtsvorschriften.

(3) Die Absätze 1 und 2 finden entsprechend auf Tochterunternehmen eines Finanzinstituts im Sinne von Absatz 1 Unterabsatz 1 Anwendung.“

 

9          In Art. 117 Abs. 1 dieser Richtlinie heißt es:

„Die zuständigen Behörden arbeiten eng zusammen. Sie übermitteln einander alle Informationen, die für die Wahrnehmung der ihnen durch diese Richtlinie und die Verordnung (EU) Nr. 575/2013 übertragenen Aufsichtsaufgaben wesentlich oder zweckdienlich sind. Zu diesem Zweck übermitteln die zuständigen Behörden auf Verlangen alle zweckdienlichen Informationen und legen von sich aus alle wesentlichen Informationen vor.

Informationen nach Unterabsatz 1 gelten als wesentlich, wenn sie die Beurteilung der finanziellen Solidität eines Instituts oder eines Finanzinstituts in einem anderen Mitgliedstaat erheblich beeinflussen könnten.

…“

 

10        In Art. 118 dieser Richtlinie heißt es:

 

„Falls die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats in Anwendung dieser Richtlinie und der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 in bestimmten Fällen die Informationen über ein Institut, eine Finanzholdinggesellschaft, eine gemischte Finanzholdinggesellschaft, ein Finanzinstitut, einen Anbieter von Nebendienstleistungen, eine gemischte Holdinggesellschaft … in einem anderen Mitgliedstaat nachprüfen wollen, ersuchen sie die zuständigen Behörden dieses anderen Mitgliedstaats um diese Nachprüfung. …“

 

11        Anhang I der Richtlinie 2013/36 enthält die Liste der Tätigkeiten, für die die gegenseitige Anerkennung gilt.

 

Verordnung Nr. 575/2013

12        Der 14. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 575/2013 bestimmt:

„… Das einheitliche Regelwerk gewährleistet einen soliden und einheitlichen Regelungsrahmen, der dem Binnenmarkt förderlich ist und Aufsichtsarbitrage verhindert. …“

 

13        In Art. 1 dieser Verordnung heißt es:

„Diese Verordnung legt einheitliche Regeln für allgemeine Aufsichtsanforderungen fest, die im Rahmen der Richtlinie 2013/36/EU beaufsichtigte Institute im Hinblick auf folgende Punkte erfüllen müssen:

a) Eigenmittelanforderungen im Hinblick auf vollständig quantifizierbare, einheitliche und standardisierte Komponenten von Kredit‑, Markt‑, operationellem und Abwicklungsrisiko,

b) Vorschriften zur Begrenzung von Großkrediten,

c) nach Inkrafttreten des in Artikel 460 genannten delegierten Rechtsakts Liquiditätsanforderungen im Hinblick auf vollständig quantifizierbare, einheitliche und standardisierte Komponenten des Liquiditätsrisikos,

d) Berichtspflichten hinsichtlich der Buchstaben a bis c und hinsichtlich der Verschuldung,

e) Offenlegungspflichten.

…“

 

14        Art. 4 Abs. 1 Nrn. 3, 20, 21, 26 und 27 dieser Verordnung bestimmt:

„Für die Zwecke dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck

3. ,Institut‘ ein Kreditinstitut oder eine Wertpapierfirma;

20. ,Finanzholdinggesellschaft‘ ein Finanzinstitut, das keine gemischte Finanzholdinggesellschaft ist und dessen Tochterunternehmen ausschließlich oder hauptsächlich Institute oder Finanzinstitute sind, wobei mindestens eines dieser Tochterunternehmen ein Institut ist;

21. ,gemischte Finanzholdinggesellschaft‘ eine gemischte Finanzholdinggesellschaft im Sinne des Artikels 2 Nummer 15 der Richtlinie 2002/87/EG;

26. ‚Finanzinstitut‘ ein Unternehmen, das kein Institut ist und dessen Haupttätigkeit darin besteht, Beteiligungen zu erwerben oder eines oder mehrere der in Anhang I Nummern 2 bis 12 und 15 der Richtlinie 2013/36/EU genannten Geschäfte zu betreiben; diese Definition schließt Finanzholdinggesellschaften, gemischte Finanzholdinggesellschaften, Zahlungsinstitute … und Vermögensverwaltungsgesellschaften ein, jedoch nicht Versicherungsholdinggesellschaften oder gemischte Versicherungsholdinggesellschaften …;

27. ,Unternehmen der Finanzbranche‘:

a) ein Institut,

b) ein Finanzinstitut,

d) ein Versicherungsunternehmen,

…“

 

15        Art. 18 Abs. 1 dieser Verordnung sieht vor:

„Institute, die den in Abschnitt 1 genannten Anforderungen auf Basis der konsolidierten Lage unterliegen, nehmen eine Vollkonsolidierung aller Institute und Finanzinstitute vor, die ihre Tochterunternehmen oder, sofern relevant, Tochterunternehmen der gleichen Mutterfinanzholdinggesellschaft oder gemischten Mutterfinanzholdinggesellschaft sind. …“

 

16        In Art. 36 Abs. 1 Buchst. g, h, i und k der Verordnung Nr. 575/2013 heißt es:

„Die Institute ziehen von den Posten ihres harten Kernkapitals folgende Positionen ab:

g) direkte, indirekte und synthetische Positionen in Instrumenten des harten Kernkapitals von Unternehmen der Finanzbranche, die eine Überkreuzbeteiligung mit dem Institut eingegangen sind, die nach Ansicht der zuständigen Behörden dem Ziel dient, dessen Eigenmittel künstlich zu erhöhen,

h) den maßgeblichen Betrag der direkten, indirekten und synthetischen Positionen in Instrumenten des harten Kernkapitals von Unternehmen der Finanzbranche, an denen das Institut keine wesentliche Beteiligung hält,

i) den maßgeblichen Betrag der direkten, indirekten und synthetischen Positionen in Instrumenten des harten Kernkapitals von Unternehmen der Finanzbranche, an denen das Institut eine wesentliche Beteiligung hält,

k) den Risikopositionsbetrag aus folgenden Posten, denen ein Risikogewicht von 1 250 % zuzuordnen ist, wenn das Institut als Alternative zur Anwendung eines Risikogewichts von 1 250 % jenen Risikopositionsbetrag vom Betrag der Posten des harten Kernkapitals abzieht:

i) qualifizierte Beteiligungen außerhalb des Finanzsektors,

…“

 

17        Art. 56 Buchst. c und d dieser Verordnung bestimmt:

„Die Institute ziehen von ihrem zusätzlichen Kernkapital folgende Posten ab:

c) den … ermittelten Betrag der direkten, indirekten und synthetischen Positionen in Instrumenten des zusätzlichen Kernkapitals von Unternehmen der Finanzbranche, an denen das Institut keine wesentliche Beteiligung hält;

d) direkte, indirekte und synthetische Positionen des Instituts in Instrumenten des zusätzlichen Kernkapitals von Unternehmen der Finanzbranche, an denen das Institut eine wesentliche Beteiligung hält, ausgenommen mit Übernahmegarantie versehene Positionen, die das Institut seit höchstens fünf Arbeitstagen hält“.

 

18        Art. 66 Buchst. b bis d dieser Verordnung bestimmt:

„Von den Posten des Ergänzungskapitals werden folgende Elemente abgezogen:

b) direkte, indirekte und synthetische Positionen in Ergänzungskapitalinstrumenten von Unternehmen der Finanzbranche, mit denen das Institut gegenseitige Überkreuzbeteiligungen hält, die nach Ansicht der zuständigen Behörde dem Ziel dienen, die Eigenmittel des Instituts künstlich zu erhöhen,

c) den … ermittelten Betrag der direkten, indirekten und synthetischen Positionen in Ergänzungskapitalinstrumenten von Unternehmen der Finanzbranche, an denen das Institut keine wesentliche Beteiligung hält,

d) direkte, indirekte und synthetische Positionen des Instituts in Instrumenten des Ergänzungskapitals von Unternehmen der Finanzbranche, an denen das Institut eine wesentliche Beteiligung hält, ausgenommen mit einer Übernahmegarantie versehene Positionen, die das Institut seit weniger als fünf Arbeitstagen hält.“

 

19        Art. 89 Abs. 1 bis 3 der Verordnung lautet:

„(1) Qualifizierte Beteiligungen, deren Betrag 15 % der anrechenbaren Eigenmittel des Instituts überschreitet, unterliegen den Bestimmungen von Absatz 3, wenn sie an einem anderen als den nachstehend genannten Unternehmen gehalten werden:

a) einem Unternehmen der Finanzbranche,

b) einem Unternehmen, das kein Unternehmen der Finanzbranche ist und Tätigkeiten ausübt, die nach Ansicht der zuständigen Behörde eine der folgenden Tätigkeiten ist:

i) eine direkte Verlängerung der Banktätigkeit,

ii) eine Hilfstätigkeit zur Banktätigkeit,

iii) Leasing, Factoring, Verwaltung von Investmentfonds oder von Rechenzentren oder andere ähnliche Tätigkeiten.

(2) Der Gesamtbetrag der qualifizierten Beteiligungen eines Instituts an anderen als den unter Absatz 1 Buchstaben a und b genannten Unternehmen, der 60 % der anrechenbaren Eigenmittel des Instituts überschreitet, unterliegt den Bestimmungen von Absatz 3.

(3) Die zuständigen Behörden wenden auf die in den Absätzen 1 und 2 genannten qualifizierten Beteiligungen von Instituten die Bestimmungen der Buchstaben a oder b an:

a) Zur Berechnung der Mindestkapitalanforderung gemäß Teil 3 wenden die Institute auf den größeren der folgenden Beträge ein Risikogewicht von 1 250 % an:

i) den Betrag der in Absatz 1 genannten qualifizierten Beteiligungen, der 15 % der anrechenbaren Eigenmittel des Instituts überschreitet,

ii) den Gesamtbetrag der in Absatz 2 genannten qualifizierten Beteiligungen, der 60 % der anrechenbaren Eigenmittel des Instituts überschreitet,

b) die zuständigen Behörden untersagen Instituten das Halten der in den Absätzen 1 und 2 genannten qualifizierten Beteiligungen, deren Betrag den in diesen Absätzen festgelegten Prozentanteil an den anrechenbaren Eigenmitteln des Instituts überschreitet.

Die zuständigen Behörden machen ihre Entscheidung für den Buchstaben a oder den Buchstaben b bekannt.“

 

20        Art. 90 der Verordnung Nr. 575/2013 sieht vor:

„Alternativ zur Anwendung eines Risikogewichts von 1 250 % auf Beträge, die die Höchstgrenzen nach Artikel 89 Absätze 1 und 2 überschreiten, dürfen Institute diese Beträge gemäß Artikel 36 Absatz 1 Buchstabe k von den Posten des harten Kernkapitals abziehen.“

 

Verordnung (EU) 2019/876

21        Die Verordnung (EU) 2019/876 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2019 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 in Bezug auf die Verschuldungsquote, die strukturelle Liquiditätsquote, Anforderungen an Eigenmittel und berücksichtigungsfähige Verbindlichkeiten, das Gegenparteiausfallrisiko, das Marktrisiko, Risikopositionen gegenüber zentralen Gegenparteien, Risikopositionen gegenüber Organismen für gemeinsame Anlagen, Großkredite, Melde- und Offenlegungspflichten und der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 (ABl. 2019, L 150, S. 1) bestimmt in Art. 1 Nr. 2 Buchst. a Ziff. iii:

„Artikel 4 wird wie folgt geändert:

a) Absatz 1 wird wie folgt geändert:

iii) Nummer 26 erhält folgende Fassung:

‚26. 'Finanzinstitut' ein Unternehmen, das kein Institut und keine reine Industrieholdinggesellschaft ist und dessen Haupttätigkeit darin besteht, Beteiligungen zu erwerben oder eines oder mehrere der in Anhang I Nummern 2 bis 12 und 15 der Richtlinie 2013/36/EU genannten Geschäfte zu betreiben; diese Definition schließt Finanzholdinggesellschaften, gemischte Finanzholdinggesellschaften, Zahlungsinstitute … und Vermögensverwaltungsgesellschaften ein, jedoch nicht Versicherungsholdinggesellschaften oder gemischte Versicherungsholdinggesellschaften …‘“

 

22        Art. 3 Abs. 3 Buchst. b der Verordnung 2019/876 lautet wie folgt:

„Die folgenden Nummern des Artikels 1 dieser Verordnung gelten ab dem 27. Juni 2019:

b) Nummer 2, die die Begriffsbestimmungen enthält, es sei denn, diese beziehen sich ausschließlich auf Bestimmungen, die gemäß diesem Artikel ab einem anderen Datum gelten; in diesem Fall gelten sie ab diesem anderen Datum“.

 

Portugiesisches Recht

23        Art. 7 Abs. 1 Buchst. e des Código do Imposto do Selo (Stempelsteuergesetz) sieht vor:

„Ebenfalls von der Steuer befreit sind:

e) Zinsen und Provisionen, Sicherheiten und die Inanspruchnahme von Krediten, die von Kreditinstituten, Finanzgesellschaften und Finanzinstituten … an Gesellschaften oder Unternehmen berechnet bzw. gewährt werden, die in Form und Zweck den im Gemeinschaftsrecht vorgesehenen Arten von Kreditinstituten, Finanzgesellschaften und Finanzinstituten entsprechen, sofern diese Institute und Gesellschaften ihren Sitz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem anderen Staat … haben.“

 

Ausgangsrechtsstreitigkeiten und Vorlagefragen

Rechtssache C‑207/22

24        Die Lineas – Concessões de Transportes SGPS ist eine Holdinggesellschaft mit Sitz in Portugal, deren Gesellschaftszweck die Verwaltung von Beteiligungen an anderen Gesellschaften ist. Sie hält Beteiligungen an Gesellschaften, die Verkehrsinfrastrukturen verwalten.

 

25        Im Rahmen ihrer Tätigkeit nahm diese Holdinggesellschaft Finanzierungen bei Kreditinstituten in Anspruch. Diese Kreditinstitute entrichteten die Stempelsteuer auf Kreditgeschäfte und wälzten diese auf die Holdinggesellschaft ab.

 

26        Da diese mit der Zahlung der Stempelsteuer nicht einverstanden war, beantragte sie für den Zeitraum von April 2015 bis Januar 2016 die Überprüfung von Amts wegen und legte für den Zeitraum von Juni 2017 bis Dezember 2017 Einspruch ein.

 

27        Da dieser Einspruch und dieser Antrag mit Entscheidungen der Steuerverwaltung zurückgewiesen wurden, legte die Lineas – Concessões de Transportes SGPS Rechtsbehelfe ein, die mit Beschlüssen vom 17. Juli 2020 zurückgewiesen wurden.

 

28        Am 21. Oktober 2020 stellte diese Gesellschaft beim Centro de Arbitragem Administrativa – CAAD (Zentrum für Verwaltungsschiedsverfahren, Portugal) einen Antrag auf Durchführung eines Schiedsverfahrens und beantragte, diese Beschlüsse per Schiedsspruch aufzuheben.

 

29        Das Tribunal Arbitral Tributário (Centro de Arbitragem Administrativa – CAAD) (Schiedsgericht für Steuersachen [Zentrum für Verwaltungsschiedsverfahren], Portugal), das vorlegende Gericht in der Rechtssache C‑207/22, stellt fest, dass aus den portugiesischen Rechtsvorschriften hervorgehe, dass die Stempelsteuer auf Kreditgeschäfte nicht auf Finanzinstitute im Sinne der Unionsvorschriften anwendbar sei.

 

30        Es gebe jedoch Divergenzen in der nationalen Rechtsprechung hinsichtlich der Auslegung des Begriffs „Finanzinstitut“. In diesem Kontext muss nach Ansicht des vorlegenden Gerichts geklärt werden, ob dieser Begriff auf sämtliche Holdinggesellschaften, die nicht dem Versicherungssektor angehören, anwendbar ist oder ob er nur die Holdinggesellschaften erfasst, die Beteiligungen an Unternehmen halten, die der Aufsicht und den für Bankgeschäfte geltenden Aufsichtsanforderungen unterliegen.

 

31        Unter diesen Umständen hat das Tribunal Arbitral Tributário (Centro de Arbitragem Administrativa – CAAD) (Schiedsgericht für Steuersachen [Zentrum für Verwaltungsschiedsverfahren]) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Kann eine Holdinggesellschaft, für die als mittelbare Form der wirtschaftlichen Tätigkeit die Verwaltung von Beteiligungen an anderen Gesellschaften, die im Bereich des Verkehrsinfrastrukturmanagements, einschließlich der Planung, des Baus und der Verwaltung von Straßen und/oder Autobahnen, tätig sind, ausschließlicher Gesellschaftszweck ist und die in diesem Zusammenhang Beteiligungen erwirbt und dauerhaft hält, die im Allgemeinen mindestens 10 % des Kapitals dieser Gesellschaften ausmachen, als „Finanzinstitut“ im Sinne der Richtlinie 2013/36 und der Verordnung Nr. 575/2013 angesehen werden?

 

Rechtssache C‑267/22

32        Die Global Roads Investimentos SGPS ist eine Holdinggesellschaft mit Sitz in Portugal.

 

33        Im Rahmen ihrer Tätigkeit nahm diese Holdinggesellschaft Finanzierungen bei Kreditinstituten in Anspruch. Diese Kreditinstitute entrichteten die Stempelsteuer auf Kreditgeschäfte und wälzten diese auf die Holdinggesellschaft ab.

 

34        Diese beantragte am 28. Dezember 2018, die Stempelsteuer von Amts wegen zu überprüfen.

 

35        Dieser Antrag wurde von der Steuerverwaltung mit Entscheidung vom 21. November 2019 abgelehnt. Die Global Roads Investimentos SGPS legte gegen diese Entscheidung einen Rechtsbehelf ein, der mit Beschluss vom 5. August 2021 zurückgewiesen wurde.

 

36        Am 20. Januar 2022 stellte diese Gesellschaft beim Zentrum für Verwaltungsschiedsverfahren – CAAD einen Antrag auf Durchführung eines Schiedsverfahrens und beantragte, diese Beschlüsse per Schiedsspruch aufzuheben.

 

37        Das Tribunal Arbitral Tributário (Centro de Arbitragem Administrativa – CAAD) (Schiedsgericht für Steuersachen [Zentrum für Verwaltungsschiedsverfahren]), das vorlegende Gericht in der Rechtssache C‑267/22, ist aus den in den Rn. 29 und 30 des vorliegenden Urteils dargestellten Gründen der Ansicht, dass die Entscheidung des Rechtsstreits des Ausgangsverfahren davon abhänge, ob eine Holdinggesellschaft als „Finanzinstitut“ im Sinne der Richtlinie 2013/36 und der Verordnung Nr. 575/2013 eingestuft werden könne.

 

38        Unter diesen Umständen hat das Tribunal Arbitral Tributário (Centro de Arbitragem Administrativa – CAAD) (Schiedsgericht für Steuersachen [Zentrum für Verwaltungsschiedsverfahren]) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Fällt eine in Portugal ansässige Holdinggesellschaft, deren einziger Zweck die Verwaltung von Beteiligungen an anderen Gesellschaften als mittelbare Form der Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit ist und die in diesem Rahmen diese Beteiligungen erwirbt und dauerhaft hält, die in der Regel mindestens 10 % des Kapitals dieser Gesellschaften, die weder dem Versicherungs- noch dem Finanzsektor angehören, ausmachen, unter den Begriff „Finanzinstitut“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Nr. 22 der Richtlinie 2013/36 und Art. 4 Abs. 1 Nr. 26 der Verordnung Nr. 575/2013?

 

Rechtssache C‑290/22

39        Die NOS-SGPS ist eine Holdinggesellschaft mit Sitz in Portugal.

 

40        Im Rahmen ihrer Tätigkeit nahm diese Holdinggesellschaft Finanzierungen bei Kreditinstituten in Anspruch. Diese Kreditinstitute entrichteten die Stempelsteuer auf Kreditgeschäfte und wälzten diese auf die Holdinggesellschaft ab.

 

41        Da diese mit der Zahlung der Stempelsteuer nicht einverstanden war, beantragte sie am 22. Januar 2019 die Überprüfung von Amts wegen und legte am 23. Januar 2019 Einspruch ein für die Zeiträume von Januar 2015 bis Oktober 2016 bzw. von März 2017 bis Oktober 2018.

 

42        Diese Einsprüche wurden mit Entscheidung der Steuerverwaltung vom 27. September 2019 zurückgewiesen.

 

43        Die NOS-SGPS stellte beim Zentrum für Verwaltungsschiedsverfahren – CAAD einen Antrag auf Durchführung eines Schiedsverfahrens. Dieses Gericht wies ihre Ansprüche mit Entscheidung vom 6. Januar 2021 zurück.

 

44        Da sie der Auffassung war, dass dieser Schiedsspruch einem rechtskräftigen Schiedsspruch zu einer gleichen grundsätzlichen Rechtsfrage zuwiderlaufe, legte diese Holdinggesellschaft beim Supremo Tribunal Administrativo (Oberstes Verwaltungsgericht, Portugal), dem vorlegenden Gericht in der Rechtssache C‑290/22, einen Rechtsbehelf zur Vereinheitlichung der Rechtsprechung ein.

 

45        Dieses Gericht stellt fest, dass sich der portugiesische Gesetzgeber bei der Abgrenzung der Befreiung von der Stempelsteuer auf Kreditgeschäfte wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden dazu entschieden habe, ausdrücklich auf die Art und die Form des Finanzinstituts im Sinne des „Gemeinschaftsrechts“ zu verweisen.

 

46        Unter diesen Umständen hat das Supremo Tribunal Administrativo (Oberstes Verwaltungsgericht) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

 

Fällt eine in Portugal ansässige Holdinggesellschaft, deren einziger Zweck die Verwaltung von Beteiligungen an anderen Gesellschaften ist, die nicht dem Versicherungssektor angehören, unter den Begriff „Finanzinstitut“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Nr. 22 der Richtlinie 2013/36 und Art. 4 Abs. 1 Nr. 26 der Verordnung Nr. 575/2013?

 

Zur Zuständigkeit des Gerichtshofs

47        Aus den Vorlageentscheidungen geht hervor, dass es in den Rechtsstreitigkeiten der Ausgangsverfahren um die Anwendung einer nationalen Steuerregelung geht, die weder in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2013/36 noch in den der Verordnung Nr. 575/2013 fällt.

 

48        Nach Art. 267 AEUV entscheidet der Gerichtshof im Wege der Vorabentscheidung über die Auslegung der Verträge und der Handlungen der Unionsorgane. Im Rahmen der durch diesen Artikel geschaffenen Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten ist es allein Sache des nationalen Gerichts, im Hinblick auf die Besonderheiten der einzelnen Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung zum Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof von ihm vorgelegten Fragen zu beurteilen. Folglich ist der Gerichtshof grundsätzlich zu einer Entscheidung verpflichtet, wenn die von den nationalen Gerichten vorgelegten Fragen die Auslegung einer Bestimmung des Unionsrechts betreffen (Urteil vom 30. Januar 2020, I.G.I., C‑394/18, EU:C:2020:56, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

49        Der Gerichtshof hat unter Berufung auf diese Rechtsprechung wiederholt seine Zuständigkeit für die Entscheidung über Vorabentscheidungsersuchen bejaht, die Vorschriften des Unionsrechts in Fällen betrafen, in denen der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens zwar nicht in den Geltungsbereich des Unionsrechts fiel, die Vorschriften des Unionsrechts aber durch das nationale Recht, das sich zur Regelung von nicht unter das Unionsrecht fallenden Sachverhalten nach den im Unionsrecht getroffenen Regelungen richtete, für anwendbar erklärt worden waren (Urteile vom 19. Oktober 2017, Europamur Alimentación, C‑295/16, EU:C:2017:782, Rn. 29, und vom 30. Januar 2020, I.G.I., C‑394/18, EU:C:2020:56, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

50        Die vorlegenden Gerichte haben erklärt, dass gemäß der in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden portugiesischen Regelung die Anwendung der von den Klägerinnen der Ausgangsverfahren geltend gemachten Steuerbefreiung nur „Finanzinstituten“ vorbehalten sei und diese Regelung diesen Begriff durch einen unmittelbaren und unbedingten Verweis auf das Unionsrecht definiere.

 

51        Der Gerichtshof ist daher für die Beantwortung der Vorlagefragen zuständig.

 

Zu den Vorlagefragen

52        Mit ihren Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchten die vorlegenden Gerichte im Wesentlichen wissen, ob Art. 3 Abs. 1 Nr. 22 der Richtlinie 2013/36 und Art. 4 Abs. 1 Nr. 26 der Verordnung Nr. 575/2013 dahin auszulegen sind, dass ein Unternehmen, dessen Tätigkeit im Erwerb von Beteiligungen an Gesellschaften besteht, die keine Tätigkeiten im Finanzsektor ausüben, unter den Begriff „Finanzinstitut“ im Sinne dieser Richtlinie und dieser Verordnung fällt.

 

53        Nach ständiger Rechtsprechung folgt aus den Erfordernissen der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts und des Gleichheitssatzes, dass die Begriffe einer Bestimmung des Unionsrechts, die für die Ermittlung ihres Sinnes und ihrer Bedeutung nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in der Regel in der gesamten Union eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten müssen, die unter Berücksichtigung nicht nur ihres Wortlauts, sondern auch des Kontexts der Bestimmung und des mit der fraglichen Regelung verfolgten Ziels gefunden werden muss (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 30. März 2023, М. Ya. M. [Erbschaftsausschlagung eines Miterben], C‑651/21, EU:C:2023:277, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

54        Was erstens den Wortlaut von Art. 3 Abs. 1 Nr. 22 der Richtlinie 2013/36 betrifft, heißt es in dieser Bestimmung, dass für die Zwecke dieser Richtlinie „Finanzinstitut“ ein Finanzinstitut im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Nr. 26 der Verordnung Nr. 575/2013 bezeichnet.

 

55        Gemäß Art. 4 Abs. 1 Nr. 26 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 Nr. 3 dieser Verordnung bezeichnet für die Zwecke dieser Verordnung der Ausdruck „Finanzinstitut“ ein Unternehmen, das kein Kreditinstitut und keine Wertpapierfirma ist und dessen Haupttätigkeit darin besteht, Beteiligungen zu erwerben oder eines oder mehrere der in Anhang I Nrn. 2 bis 12 und 15 der Richtlinie 2013/36 genannten Geschäfte zu betreiben; diese Definition schließt Finanzholdinggesellschaften, gemischte Finanzholdinggesellschaften, Zahlungsinstitute und Vermögensverwaltungsgesellschaften ein. Gemäß diesem Art. 4 Abs. 1 Nr. 26 sind vom Begriff „Finanzinstitut“ Versicherungsholdinggesellschaften und gemischte Versicherungsholdinggesellschaften hingegen ausgeschlossen.

 

56        Gemäß dieser Bestimmung fallen somit allgemein Unternehmen, deren Haupttätigkeit darin besteht, Beteiligungen zu erwerben, unter den Begriff „Finanzinstitut“ im Sinne dieser Verordnung, und gemäß der Fassung, die zu den für die Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeitpunkten in Kraft war, sind von diesem Begriff nur Kreditinstitute, Wertpapierfirmen und bestimmte, zum Versicherungssektor gehörende Holdinggesellschaften ausgeschlossen.

 

57        In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass Art. 1 Nr. 2 Buchst. a Ziff. iii der Verordnung 2019/876 zwar eine Neufassung von Art. 4 Abs. 1 Nr. 26 der Verordnung Nr. 575/2013 vorsieht, die vom Begriff „Finanzinstitut“ im Sinne dieser Verordnung auch reine Industrieholdinggesellschaften ausschließt, aus der Vorlageentscheidung in der Rechtssache C‑290/22 jedoch hervorgeht, dass diese Neufassung auf die Ausgangsverfahren zeitlich nicht anwendbar ist.

 

58        Des Weiteren ist festzustellen, dass der Wortlaut von Art. 4 Abs. 1 Nr. 26 der Verordnung Nr. 575/2013 zwar die Unternehmen erfasst, deren Haupttätigkeit darin besteht, eines oder mehrere der in Anhang I Nrn. 2 bis 12 und 15 der Richtlinie 2013/36 genannten Geschäfte, die zum Finanzsektor gehören, zu betreiben, der Gebrauch der Konjunktion „oder“ aber darauf hinweist, dass der Unionsgesetzgeber nicht beabsichtigt hat, aus der direkten Ausübung einer oder mehrerer dieser Tätigkeiten ein Kriterium für die Definition des Begriffs „Finanzinstitut“ im Sinne der Verordnung Nr. 575/2013 zu machen.

 

59        Allerdings ist auch hervorzuheben, dass aus dem Wortlaut von Art. 4 Abs. 1 Nr. 26 der Verordnung Nr. 575/2013 hervorgeht, dass Finanzholdinggesellschaften und gemischte Finanzholdinggesellschaften als „Finanzinstitute“ im Sinne dieser Verordnung anzusehen sind.

 

60        Zum einen heißt es in Art. 4 Abs. 1 Nr. 20 dieser Verordnung, dass für die Zwecke dieser Verordnung der Ausdruck „Finanzholdinggesellschaft“ ein Finanzinstitut bezeichnet, das keine gemischte Finanzholdinggesellschaft ist und dessen Tochterunternehmen ausschließlich oder hauptsächlich Kreditinstitute, Wertpapierfirmen oder Finanzinstitute sind, wobei mindestens eines dieser Tochterunternehmen ein Kreditinstitut oder eine Wertpapierfirma ist.

 

61        Zum anderen geht aus Art. 4 Abs. 1 Nr. 21 der Verordnung Nr. 575/2013 in Verbindung mit Art. 2 Nr. 15 der Richtlinie 2002/87 hervor, dass für die Zwecke dieser Verordnung als „gemischte Finanzholdinggesellschaft“ ein Mutterunternehmen anzusehen ist, das kein Kreditinstitut, kein Versicherungsunternehmen und keine Wertpapierfirma ist und das zusammen mit seinen Tochterunternehmen, von denen mindestens eines ein Kreditinstitut, ein Versicherungsunternehmen oder eine Wertpapierfirma ist, und anderen Unternehmen ein Finanzkonglomerat bildet.

 

62        Es erweist sich daher, dass Finanzholdinggesellschaften und gemischte Finanzholdinggesellschaften genau definierte Gesellschaftsformen darstellen, die sich gleichzeitig dadurch auszeichnen, dass ihre Haupttätigkeit darin besteht, Beteiligungen zu erwerben, und durch das Vorliegen spezifischer Verbindungen mit einem Kreditinstitut, einem Versicherungsunternehmen oder einer Wertpapierfirma.

 

63        Daraus folgt, dass die explizite Erwähnung in Art. 4 Abs. 1 Nr. 26 der Verordnung Nr. 575/2013 von Finanzholdinggesellschaften und gemischten Finanzholdinggesellschaften ohne jeden Nutzen wäre, wenn diese Bestimmung allein deshalb, weil sie Unternehmen erfasst, deren Haupttätigkeit darin besteht, Beteiligungen zu erwerben, dahin zu verstehen wäre, dass sie in den Begriff „Finanzinstitut“ im Sinne dieser Verordnung systematisch alle Gesellschaften, die eine solche Haupttätigkeit ausüben, einschließt.

 

64        Wie die Generalanwältin in Nr. 41 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, geht jedoch aus dem Wortlaut von Art. 4 Abs. 1 Nr. 26 der Verordnung Nr. 575/2013 hervor, dass die in dieser Bestimmung genannte Aufzählung von Finanzinstituten nicht abschließend ist. Daher kann aus der Erwähnung von Finanzholdinggesellschaften und gemischten Finanzholdinggesellschaften in dieser Bestimmung nicht geschlossen werden, dass das Fehlen bestimmter spezifischer Verbindungen zu einem Kreditinstitut, einem Versicherungsunternehmen oder einer Wertpapierfirma zwangsläufig der Einstufung als „Finanzinstitut“ im Sinne dieser Verordnung entgegensteht.

 

65        Zweitens zeigt der Kontext, in dem Art. 3 Abs. 1 Nr. 22 der Richtlinie 2013/36 und Art. 4 Abs. 1 Nr. 26 der Verordnung Nr. 575/2013 stehen, dass der Unionsgesetzgeber die auf Finanzinstitute anwendbare Regelung unter Zugrundelegung des Bestehens einer Verbindung zwischen diesen und der Ausübung bestimmter unter den Finanzsektor fallender Tätigkeiten definiert hat.

 

66        Zunächst betrifft das von der Richtlinie 2013/36 definierte Hauptelement der auf Finanzinstitute anwendbaren Regelung die ihnen eingeräumte Möglichkeit, im Rahmen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs unter den Finanzsektor fallende Tätigkeiten in einem anderen Mitgliedstaat auszuüben.

 

67        Art. 34 („Finanzinstitute“) dieser Richtlinie, der als einziger Artikel dieser Richtlinie ausschließlich Finanzinstitute betrifft, erlaubt solchen Instituten unter bestimmten Bedingungen, die in Anhang I dieser Richtlinie genannten Tätigkeiten in einem anderen Mitgliedstaat auszuüben. Dieser Artikel konkretisiert somit den im 20. Erwägungsgrund dieser Richtlinie genannten Grundsatz, wonach die gegenseitige Anerkennung bestimmter finanzieller Tätigkeiten unter bestimmten Bedingungen ausgedehnt werden sollte, wenn diese Tätigkeiten von einem Finanzinstitut, das ein Tochterunternehmen eines Kreditinstituts ist, ausgeübt werden.

 

68        Der Umstand, dass ein Unternehmen als „Finanzinstitut“ im Sinne der Richtlinie 2013/36 eingestuft wird, ist daher für die Anwendung von Art. 34 dieser Richtlinie irrelevant, wenn dieses Unternehmen nicht beabsichtigt, unter den Finanzsektor fallende Tätigkeiten auszuüben.

 

69        Des Weiteren sieht die Verordnung Nr. 575/2013 für die Anwendung der von dieser Verordnung vorgeschriebenen Aufsichtsanforderungen eine Reihe von Konsequenzen vor, wenn ein bestimmtes Unternehmen als „Finanzinstitut“ eingestuft wird.

 

70        Konkret geht aus Art. 18 Abs. 1 dieser Verordnung hervor, dass Kreditinstitute und Wertpapierfirmen, die den Anforderungen dieser Verordnung auf Basis der konsolidierten Lage unterliegen, grundsätzlich eine Vollkonsolidierung u. a. aller Finanzinstitute vornehmen, die ihre Tochterunternehmen oder, sofern relevant, Tochterunternehmen der gleichen Mutterfinanzholdinggesellschaft oder gemischten Mutterfinanzholdinggesellschaft sind.

 

71        Diese Bestimmung verlangt aber nicht die Vornahme einer aufsichtlichen Konsolidierung, die sämtliche Tochterunternehmen der Institute und Wertpapierfirmen einschließt.

 

72        Zudem geht aus Art. 4 Abs. 1 Nr. 27 der Verordnung Nr. 575/2013 hervor, dass Finanzinstitute wie u. a. Kreditinstitute, Wertpapierfirmen und Versicherungsunternehmen „Unternehmen der Finanzbranche“ darstellen.

 

73        Aus Art. 36 Abs. 1 Buchst. g bis i, Art. 56 Buchst. c und d sowie Art. 66 Buchst. b bis d dieser Verordnung geht indes hervor, dass die von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen getätigten Investitionen in Unternehmen der Finanzbranche einer Sonderregelung unterliegen, die insbesondere bestimmte Abzüge bei der Berechnung der Eigenmittel von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen beinhalten.

 

74        Die qualifizierten Beteiligungen von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen außerhalb des Finanzsektors werden hingegen durch andere Vorschriften geregelt, die u. a. in Art. 36 Abs. 1 Buchst. k sowie in den Art. 89 und 90 dieser Verordnung vorgesehen sind und die insbesondere eine Gewichtung dieser Beteiligungen für die Berechnung der Eigenmittelanforderungen oder ein Verbot solcher Beteiligungen beinhalten können, wenn diese bestimmte Prozentanteile an den Eigenmitteln des betreffenden Kreditinstituts oder der betreffenden Wertpapierfirma überschreiten.

 

75        Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die Verordnung Nr. 575/2013 die Regeln für die Konsolidierung und die Aufsichtsanforderungen bei Kreditinstituten und Wertpapierfirmen definiert, die, soweit sie den Beteiligungen an Finanzinstituten oder an anderen Unternehmen der Finanzbranche eigen sind und von den auf Beteiligungen außerhalb der Finanzbranche anwendbaren Regeln abweichen, so angesehen werden können, dass sie auf die Berücksichtigung der Besonderheiten der Tätigkeiten dieses Sektors gestützt sind.

 

76        Diese Logik würde in Frage gestellt, wenn die den Beteiligungen an Unternehmen der Finanzbranche eigenen Regeln allein deshalb auf eine Beteiligung eines Kreditinstituts oder einer Wertpapierfirma außerhalb dieses Sektors angewendet würden, weil diese Beteiligung über eine Tochtergesellschaft des Kreditinstituts oder der Wertpapierfirma durchgeführt wird, deren Tätigkeit im Erwerb von Beteiligungen besteht.

 

77        Schließlich sieht Art. 5 der Richtlinie 2013/36 die interne Koordinierung der Tätigkeiten der Behörden vor, die für die Beaufsichtigung nicht nur von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen, sondern auch von Finanzinstituten zuständig sind, wodurch eine Verbindung zwischen der Aufsicht über den Finanzsektor und der Kontrolle der Finanzinstitute geschaffen wird.

 

78        Ebenso sehen Art. 117 Abs. 1 und Art. 118 dieser Richtlinie eine Pflicht zur Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten in Bezug auf Finanzinstitute vor, ohne diese Regelung auf nicht zum Finanzsektor gehörende Unternehmen, an denen ein Kreditinstitut oder eine Wertpapierfirma eine Beteiligung hält, auszudehnen.

 

79        Drittens geht aus Art. 1 der Richtlinie 2013/36 und Art. 1 der Verordnung Nr. 575/2013 hervor, dass diese Rechtsakte zum Ziel haben, Vorschriften für den Zugang zur Tätigkeit, für die Beaufsichtigung und für verschiedene Anforderungen festzulegen, die für Kreditinstitute und Wertpapierfirmen gelten. Aus dem fünften Erwägungsgrund dieser Richtlinie und dem 14. Erwägungsgrund dieser Verordnung geht ebenfalls hervor, dass diese Rechtsakte u. a. zum Ziel haben, zur Verwirklichung des Binnenmarkts im Sektor der Kreditinstitute beizutragen.

 

80        Nach alledem kann ein Unternehmen, dessen Haupttätigkeit keine Verbindung zum Finanzsektor aufweist, da es weder direkt noch über Beteiligungen eine oder mehrere der in Anhang I der Richtlinie 2013/36 genannten Tätigkeiten ausübt, nicht als Finanzinstitut im Sinne der Richtlinie 2013/36 und der Verordnung Nr. 575/2013 angesehen werden.

 

81        Infolgedessen ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 3 Abs. 1 Nr. 22 der Richtlinie 2013/36 und Art. 4 Abs. 1 Nr. 26 der Verordnung Nr. 575/2013 dahin auszulegen sind, dass ein Unternehmen, dessen Tätigkeit im Erwerb von Beteiligungen an Gesellschaften besteht, die keine Tätigkeiten im Finanzsektor ausüben, nicht unter den Begriff „Finanzinstitut“ im Sinne dieser Richtlinie und dieser Verordnung fällt.

 

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