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Wirtschaftsrecht
11.01.2018
Wirtschaftsrecht
EuGH: Befugnis der nationalen Aufsichtsstelle zur Änderung des Preises eines Übernahmeangebots bei Kollusion

EuGH, Urteil vom 20.7.2017C206/16, Marco Tronchetti Provera SpA u. a.

gegen Commissione Nazionale per le Società e la Borsa (Consob)

ECLI:EU:C:2017:572

Volltext des Urteils: BB-ONLINE BBL2018-75-1

unter www.betriebs-berater.de

Tenor

Art. 5 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung wie der in den Ausgangsverfahren fraglichen nicht entgegensteht, die es der nationalen Aufsichtsstelle erlaubt, im Fall der Kollusion den Preis eines Übernahmeangebots zu erhöhen, ohne die einzelnen Verhaltensweisen aufzuführen, die diesen Begriff kennzeichnen, sofern sich die Auslegung des Begriffs anhand der vom innerstaatlichen Recht anerkannten Auslegungsmethoden hinreichend klar, bestimmt und voraussehbar aus der Regelung ableiten lässt.

Aus den Gründen

1          Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 5 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote (ABl. 2004, L 142, S. 12).

2          Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen von vier Rechtsstreitigkeiten zwischen mehreren italienischen Handelsgesellschaften und der Commissione Nazionale per le Società e la Borsa (Consob) (nationale Börsenaufsichtsbehörde, Italien) über die Rechtmäßigkeit einer Entscheidung der Consob, den Preis eines Übernahmeangebots nach oben zu korrigieren.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3          Die Erwägungsgründe 1 bis 3 und 9 der Richtlinie 2004/25 lauten:

„(1)      Gewisse Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften, die dem Recht eines Mitgliedstaats unterliegen und deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt eines Mitgliedstaats zugelassen sind, im Interesse der Gesellschafter und Dritter vorgeschrieben sind, bedürfen gemäß Artikel [50] Absatz 2 Buchstabe g) des [AEU-Vertrags] der Koordinierung, um sie [unionsweit] gleichwertig zu gestalten.

(2)      Wenn Gesellschaften, die dem Recht eines Mitgliedstaats unterliegen, Gegenstand eines Übernahmeangebots oder eines Kontrollwechsels sind und zumindest ein Teil der Wertpapiere dieser Gesellschaften zum Handel auf einem geregelten Markt eines Mitgliedstaats zugelassen sind, ist es notwendig, die Interessen der Inhaber dieser Wertpapiere zu schützen.

(3)      Es ist erforderlich, [unionsweit] Klarheit und Transparenz in Bezug auf die Rechtsfragen zu schaffen, die bei Übernahmeangeboten zu regeln sind, und zu vermeiden, dass die Formen der Umstrukturierung von Unternehmen in der [Union] durch willkürliche Unterschiede in der Führungs- und Managementkultur verzerrt werden.

(9)      Die Mitgliedstaaten sollten die notwendigen Schritte unternehmen, um Wertpapierinhaber, insbesondere Wertpapierinhaber mit Minderheitsbeteiligungen, nach einem Kontrollwechsel in ihren Gesellschaften zu schützen. Diesen Schutz sollten die Mitgliedstaaten dadurch gewährleisten, dass die Person, die die Kontrolle über die Gesellschaft erlangt hat, verpflichtet wird, allen Wertpapierinhabern dieser Gesellschaft zu einem angemessenen Preis, der einheitlich definiert ist, ein Angebot zur Übernahme aller ihrer Wertpapiere zu machen. Die Mitgliedstaaten müssen weitere Vorkehrungen zum Schutz der Interessen der Wertpapierinhaber vorsehen können, wie etwa die Verpflichtung, ein Teilangebot zu unterbreiten, wenn der Bieter nicht die Kontrolle über die Gesellschaft erwirbt, oder die Verpflichtung, zugleich mit dem Erwerb der Kontrolle über die Gesellschaft ein Angebot zu unterbreiten.“

4          Art. 3 („Allgemeine Grundsätze“) der Richtlinie lautet:

„(1)      Die Mitgliedstaaten stellen zur Umsetzung dieser Richtlinie sicher, dass die folgenden Grundsätze beachtet werden:

a)      Alle Inhaber von Wertpapieren einer Zielgesellschaft, die der gleichen Gattung angehören, sind gleich zu behandeln; darüber hinaus müssen die anderen Inhaber von Wertpapieren geschützt werden, wenn eine Person die Kontrolle über eine Gesellschaft erwirbt.

b)      Die Inhaber von Wertpapieren einer Zielgesellschaft müssen über genügend Zeit und ausreichende Informationen verfügen, um in ausreichender Kenntnis der Sachlage über das Angebot entscheiden zu können; das Leitungs- bzw. Verwaltungsorgan einer Zielgesellschaft muss bei der Beratung der Inhaber von Wertpapieren auf die Auswirkungen der Durchführung des Angebots auf die Beschäftigung, die Beschäftigungsbedingungen und die Standorte der Gesellschaft eingehen.

c)      Das Leitungs- bzw. Verwaltungsorgan einer Zielgesellschaft muss im Interesse der gesamten Gesellschaft handeln und darf den Inhabern von Wertpapieren nicht die Möglichkeit vorenthalten, das Angebot selbst zu beurteilen.

d)      Beim Handel mit den Wertpapieren der Zielgesellschaft, der Bietergesellschaft oder anderer durch das Angebot betroffener Gesellschaften dürfen keine Marktverzerrungen durch künstliche Beeinflussung der Wertpapierkurse und durch Verfälschung des normalen Funktionierens der Märkte herbeigeführt werden.

e)      Ein Bieter hat vor der Ankündigung eines Angebots sicherzustellen, dass er die gegebenenfalls als Gegenleistung gebotenen Geldleistungen in vollem Umfang leisten kann, und alle gebotenen Maßnahmen zu treffen, um die Erbringung aller sonstigen Arten von Gegenleistungen zu garantieren.

f)      Eine Zielgesellschaft darf in ihrer Geschäftstätigkeit nicht über einen angemessenen Zeitraum hinaus durch ein Angebot für ihre Wertpapiere behindert werden.

(2)      Um die Beachtung der in Absatz 1 aufgeführten Grundsätze sicherzustellen,

a)      sorgen die Mitgliedstaaten dafür, dass die in dieser Richtlinie vorgeschriebenen Mindestanforderungen eingehalten werden,

b)      können die Mitgliedstaaten für Angebote zusätzliche Bedingungen und strengere Bestimmungen als in dieser Richtlinie festlegen.“

5        Art. 5 („Schutz der Minderheitsaktionäre, Pflichtangebot und angemessener Preis“) der Richtlinie sieht in den Abs. 1 bis 4 vor:

„(1)      Hält eine natürliche oder juristische Person infolge ihres alleinigen Erwerbs oder des Erwerbs durch gemeinsam mit ihr handelnde Personen Wertpapiere einer Gesellschaft im Sinne des Artikels 1 Absatz 1, die ihr bei Hinzuzählung zu etwaigen von ihr bereits mittels solcher Wertpapiere gehaltenen Beteiligungen und den Beteiligungen der gemeinsam mit ihr handelnden Personen unmittelbar oder mittelbar einen bestimmten, die Kontrolle begründenden Anteil an den Stimmrechten dieser Gesellschaft verschaffen, so stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass diese Person zum Schutz der Minderheitsaktionäre dieser Gesellschaft zur Abgabe eines Angebots verpflichtet ist. Dieses Angebot wird unverzüglich allen Wertpapierinhabern für alle ihre Wertpapiere zu einem im Sinne des Absatzes 4 angemessenen Preis unterbreitet.

(2)      Die Verpflichtung zur Abgabe eines Angebots gemäß Absatz 1 besteht nicht mehr, wenn die Kontrolle aufgrund eines freiwilligen Angebots erlangt worden ist, das im Einklang mit dieser Richtlinie allen Wertpapierinhabern für alle ihre Wertpapiere unterbreitet worden ist.

(3)      Der prozentuale Anteil der Stimmrechte, der eine Kontrolle im Sinne des Absatzes 1 begründet, und die Art der Berechnung dieses Anteils bestimmen sich nach den Vorschriften des Mitgliedstaats, in dem die Gesellschaft ihren Sitz hat.

(4)      Als angemessener Preis gilt der höchste Preis, der vom Bieter oder einer mit ihm gemeinsam handelnden Person in einem von den Mitgliedstaaten festzulegenden Zeitraum von mindestens sechs und höchstens zwölf Monaten vor dem Angebot gemäß Absatz 1 für die gleichen Wertpapiere gezahlt worden ist. Erwirbt der Bieter oder eine mit ihm gemeinsam handelnde Person nach Bekanntmachung des Angebots und vor Ablauf der Annahmefrist Wertpapiere zu einem höheren als dem Angebotspreis, so muss der Bieter sein Angebot mindestens auf den höchsten Preis erhöhen, der für die dergestalt erworbenen Wertpapiere gezahlt wurde.

Sofern die allgemeinen Grundsätze nach Artikel 3 Absatz 1 eingehalten werden, können die Mitgliedstaaten ihre Aufsichtsstellen ermächtigen, den in Unterabsatz 1 genannten Preis unter ganz bestimmten Voraussetzungen und nach eindeutig festgelegten Kriterien abzuändern. Hierzu können sie in einer Liste festlegen, unter welchen Voraussetzungen der Höchstpreis nach oben oder nach unten korrigiert werden darf: wenn beispielsweise der Höchstpreis in einer Vereinbarung zwischen Käufer und Verkäufer gemeinsam festgelegt worden ist, wenn die Marktpreise der betreffenden Wertpapiere manipuliert worden sind, wenn die Marktpreise allgemein oder im Besonderen durch außergewöhnliche Umstände beeinflusst worden sind, oder um die Rettung eines Unternehmens in Schwierigkeiten zu ermöglichen. Sie können auch die in diesen Fällen heranzuziehenden Kriterien bestimmen: beispielsweise den durchschnittlichen Marktwert während eines bestimmten Zeitraums, den Liquidationswert der Gesellschaft oder andere objektive Bewertungskriterien, die allgemein in der Finanzanalyse verwendet werden.

Jede Entscheidung der Aufsichtsstellen zur Änderung des angemessenen Preises muss begründet und bekannt gemacht werden.“

Italienisches Recht

6          Art. 106 („Übernahmeangebot für alle Wertpapiere“) des Decreto legislativo n. 58 – Testo unico delle disposizioni in materia di intermediazione finanziaria, ai sensi degli articoli 8 e 21 della legge 6 febbraio 1996, n. 52, del 24 febbraio 1998 (Gesetzesdekret Nr. 58 vom 24. Februar 1998 – kodifizierte Fassung der Bestimmungen im Bereich der Finanzvermittlung gemäß den Art. 8 und 21 des Gesetzes Nr. 52 vom 6. Februar 1996) (Supplemento ordinario zur GURI Nr. 71 vom 26. März 1998) in seiner für die Ausgangsverfahren maßgeblichen Fassung (im Folgenden: TUF) bestimmt:

„1.      Wer infolge von Erwerben eine über der Schwelle von 30 % liegende Beteiligung hält, gibt gegenüber allen Wertpapierinhabern ein Übernahmeangebot für alle in ihrem Besitz befindlichen Wertpapiere ab, die zum Handel an einem geregelten Markt zugelassen sind.

2.      Für jede Kategorie von Wertpapieren wird das Angebot innerhalb von 20 Tagen zu mindestens dem höchsten Preis abgegeben, der vom Bieter und von den gemeinsam mit ihm handelnden Personen innerhalb der letzten zwölf Monate vor der Mitteilung nach Art. 102 [Abs. 1] für den Erwerb von Wertpapieren derselben Kategorie gezahlt wurde. Hat in diesem Zeitraum kein entgeltlicher Erwerb von Wertpapieren derselben Kategorie stattgefunden, wird das Angebot für diese Kategorie von Wertpapieren zu einem Preis abgegeben, der nicht unter dem gewogenen mittleren Marktpreis der letzten zwölf Monate oder des kürzeren verfügbaren Zeitraums liegt.

3.      Die Consob regelt durch Verordnung die Fälle, in denen

a)      die Beteiligung [nach Abs. 1] durch Erwerb von Anteilen an Gesellschaften erworben wird, deren Kapital überwiegend aus Wertpapieren anderer Gesellschaften nach Art. 105 Abs. 1 besteht;

b)      sich die Angebotspflicht aus Erwerben von über 5 % ergibt, die diejenigen getätigt haben, die bereits die Beteiligung nach Abs. 1 halten, ohne die Mehrheit der Stimmrechte in der ordentlichen Gesellschafterversammlung zu halten;

c)      das Angebot nach einem mit Gründen versehenen Bescheid der Consob zu einem niedrigeren Preis als dem höchsten gezahlten Preis abgegeben wird, wobei in der Verordnung die Kriterien zur Bestimmung dieses Preises festgelegt werden und eine der folgenden Situationen vorliegen muss:

1)      Die Marktpreise wurden durch außergewöhnliche Ereignisse beeinflusst, oder es besteht der begründete Verdacht, dass sie manipuliert wurden.

2)      Der höchste Preis, der vom Bieter oder von den gemeinsam mit ihm handelnden Personen innerhalb des Zeitraums nach Abs. 2 gezahlt wurde, entspricht dem Preis für die zu Marktbedingungen und im Rahmen der gewöhnlichen Führung der eigenen typischen Tätigkeit durchgeführten An- und Verkaufsgeschäfte über die von dem Angebot betroffenen Wertpapiere oder entspricht dem Preis für An- und Verkaufsgeschäfte, für die eine der Ausnahmen nach Abs. 5 anwendbar gewesen wäre;

d)      das Angebot nach einem mit Gründen versehenen Bescheid der Consob zu einem höheren als dem höchsten gezahlten Preis abgegeben wird, wenn dies zum Schutz der Investoren erforderlich ist und mindestens einer der folgenden Umstände vorliegt:

1)      Der Bieter und die gemeinsam mit ihm handelnden Personen haben für den Erwerb der Wertpapiere einen höheren Preis als den vereinbart, der für den Erwerb von Wertpapieren derselben Kategorie gezahlt wurde.

2)      Es ist zu einer Kollusion zwischen dem Bieter oder den gemeinsam mit ihm handelnden Personen und einem oder mehreren Verkäufern gekommen.

3)     

4)      Es besteht der begründete Verdacht, dass die Marktpreise manipuliert wurden.

3-bis.       Die Consob kann unter Berücksichtigung der Merkmale der emittierten Finanzinstrumente die Fälle im Verordnungswege regeln, in denen sich die Angebotspflicht aus Erwerben ergibt, die zur Folge haben, dass insgesamt so viele Wertpapiere und andere zur Abstimmung über die in Art. 105 genannten Themen berechtigende Finanzinstrumente gehalten werden, dass die Gesamtzahl der Stimmrechte der eines Inhabers der in Abs. 1 genannten Beteiligung entspricht.

3-ter. Die in Abs. 3 Buchst. c und d genannten Maßnahmen werden in der in Art. 103 Abs. 4 Buchst. f der Verordnung genannten Weise veröffentlicht.

…“

7          Mit Beschluss Nr. 11971 vom 14. Mai 1999 erließ die Consob das Regolamento di attuazione del decreto legislativo 24 febbraio 1998, n. 58, concernente la disciplina degli emittenti (Verordnung zur Durchführung des Decreto legislativo Nr. 58 vom 24. Februar 1998 betreffend Vorschriften für Emittenten), das mehrfach geändert wurde (im Folgenden: Emittentenverordnung). Art. 47octies („Erhöhung des Preises bei Kollusion“) Abs. 1 der Emittentenverordnung lautet:

„Die Consob erhöht den Preis des Angebots gemäß Art. 106 Abs. 3 Buchst. d Nr. 2 [TUF], wenn sich aus der festgestellten Kollusion zwischen dem Bieter oder den gemeinsam mit ihm handelnden Personen und einem oder mehreren Verkäufern ergibt, dass ein höherer Preis als der vom Bieter angegebene Preis vereinbart wurde. In diesem Fall entspricht der Angebotspreis dem festgestellten Preis.“

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

8          Die Marco Tronchetti Provera & C. SpA (im Folgenden: MTP) errichtete durch zwischengeschaltete Gesellschaften die Lauro Sessantuno SpA (im Folgenden: Lauro 61), um die Mehrheit der Aktien der Camfin SpA zu erwerben, einer Holdinggesellschaft, die nicht unmittelbar eine gewerbliche Tätigkeit ausübt, sondern ihre eigenen Ergebnisse durch die Unternehmen erzielt, deren Kapital sie hält. Zu diesen Unternehmen gehört die Pirelli & C. SpA (im Folgenden: Pirelli), von deren Stimmrechten Camfin 26,19 % hält.

9          Am 5. Juni 2013 machte Lauro 61 auf dem Markt ein Übernahmeangebot für sämtliche Stammaktien von Camfin zum Preis von 0,80 Euro pro Aktie bekannt, der gemäß Art. 106 Abs. 2 TUF der in den vorherigen zwölf Monaten gezahlte höchste Preis ist. Es bestand eine Pflicht zur Abgabe eines Übernahmeangebots, weil Lauro 61, nachdem sie mehrere unmittelbare Beteiligungen von anderen Aktionären von Camfin, darunter die Malacalza Investimenti Srl (im Folgenden: MCI), erworben hatte, eine 60,99%ige Beteiligung am Gesellschaftskapital von Camfin hielt.

10        Neben dem Übernahmeangebot machte Lauro 61 auch die Kündigung der u. a. Camfin betreffenden Vereinbarungen zwischen MTP und MCI auf dem Markt bekannt. MCI wiederum machte auf dem Markt bekannt, dass sie ihre Camfin-Aktien verkauft und eine davon unabhängige Transaktion vollzogen hatte, die im Erwerb einer 6,98%igen Beteiligung am Gesellschaftskapital der Pirelli von zwei Gesellschaften bestand, die zusammen mit Camfin und weiteren bedeutenden Aktionären von Camfin Unterzeichner einer Haltevereinbarung (im Folgenden: Pirelli-Vereinbarung) waren; nach dieser Vereinbarung waren die Veräußerer befugt, alle oder einen Teil ihrer blockierten Aktien aus dieser Vereinbarung herauszulösen.

11        Am 11. Oktober 2013 wurde das Übernahmeangebot erfolgreich abgeschlossen, und Lauro 61 wurde Inhaberin des gesamten Gesellschaftskapitals von Camfin.

12        In der Zwischenzeit hatte die Consob auf eine Eingabe mehrerer Minderheitsaktionäre von Camfin hin am 12. September 2013 ein Verfahren zur Erhöhung des Preises eingeleitet, das u. a. auf Art. 106 Abs. 3 Buchst. d Nr. 2 TUF und auf Art. 47octies der Emittentenverordnung gestützt war.

13        Mit Beschluss Nr. 18662 vom 25. September 2013 stellte die Consob fest, dass zwischen Lauro 61 und anderen gemeinsam mit ihr handelnden Personen auf der einen und MCI auf der anderen Seite eine Kollusion bestand, bei der MCI an Lauro 61 Camfin-Aktien zum Preis von 0,80 Euro pro Aktie verkauft und im Gegenzug von Unterzeichnern der Pirelli-Vereinbarung Pirelli-Aktien zum Preis von 7,80 Euro pro Aktie erworben hatte, ein niedrigerer Preis als der, der sich aus dem Marktwert von 8 Euro pro Aktie ergeben hätte. Aufgrund dieses von MCI erlangten Vorteils war die Consob der Ansicht, dass der Preis einer Camfin-Aktie auf 0,83 Euro festzusetzen sei (im Folgenden: Beschluss Nr. 18662).

14        Beim Tribunale amministrativo regionale per il Lazio (Verwaltungsgericht für die Region Latium, Italien) wurden mehrere Klagen auf Nichtigerklärung des Beschlusses Nr. 18662 erhoben. In einigen Klagen wurde geltend gemacht, dass Art. 106 Abs. 3 Buchst. d Nr. 2 TUF und Art. 47octies der Emittentenverordnung nicht anwendbar seien, weil sie gegen Art. 5 Abs. 4 der Richtlinie 2004/25 verstießen.

15        Das Tribunale amministrativo regionale per il Lazio (Verwaltungsgericht für die Region Latium) wies diese Klagen ab. Die Feststellung einer kollusiven Absprache stelle nur die tatsächliche Voraussetzung für die Ausübung der Befugnis der Consob zur Preisänderung dar, deren Zweck ausschließlich darin bestehe, gleiche Bedingungen wiederherzustellen, um die Minderheitsaktionäre von Camfin dadurch zu schützen, dass ihnen derselbe Vorteil ermöglicht werde, wie ihn der Inhaber einer wesentlichen Beteiligung oder einer Kontrollbeteiligung erhalten hätte. Die Voraussetzungen für eine Vorlagefrage an den Gerichtshof seien nicht erfüllt, da die Unionsregelung keinen Raum für vernünftige Zweifel hinsichtlich der Beantwortung lasse.

16        In Bezug auf die sachliche Richtigkeit des Beschlusses Nr. 18662 hielt das genannte Gericht einen Nachweis der Consob, dass das Verhalten der Parteien bewusst darauf gerichtet gewesen sei, die Regelung für Übernahmeangebote zu umgehen, für nicht erforderlich; es genüge, dass das Verhalten objektiv geeignet gewesen sei, eine solche Wirkung zu haben, weil MCI ein höheres Entgelt zuerkannt worden sei als das für das Übernahmeangebot angegebene Entgelt, d. h. der Erwerb der Pirelli-Aktien zu einem herabgesetzten Preis. Im Rahmen seiner umfassenden Beurteilung der beteiligten Interessen war das genannte Gericht der Ansicht, dass die Vereinbarung mit MCI ein Ziel sei, das nicht nur von den Unterzeichnern der Pirelli-Vereinbarung, die die Transaktion des Erwerbs der Camfin durchgeführt hätten, sondern auch von den übrigen Unterzeichnern der Vereinbarung verfolgt werde, bei denen es sich um Personen handele, die am Abschluss einer umfassenden Vereinbarung zwischen MTP und MCI objektiv interessiert gewesen seien.

17        Die im ersten Rechtszug unterlegenen Gesellschaften legten gegen die sie betreffenden Urteile beim Consiglio di Stato (Staatsrat, Italien) Rechtsmittel ein.

18        Das vorlegende Gericht verweist zunächst auf die Gründe für den Erlass der Vorschriften zur Bestimmung des Preises obligatorischer Übernahmeangebote und legt die tragenden Erwägungen der im ersten Rechtszug ergangenen Urteile dar. Anschließend stellt es das wesentliche Vorbringen der Klägerinnen der Ausgangsverfahren dar, wonach die Aufsichtsstelle bei der Beurteilung des Verhaltens des Bieters, des Verkäufers und dritter Marktteilnehmer über ein uneingeschränktes Ermessen verfüge, wenn keine Pflicht bestehe, das Vorliegen des subjektiven Tatbestands der Kollusion bei allen Beteiligten festzustellen. Die Klägerinnen der Ausgangsverfahren hielten ein solches Ermessen für nicht vereinbar mit dem Erfordernis bei der im Voraus vorzunehmenden Bestimmung der Verhaltensweisen, die zu einer Erhöhung des Übernahmeangebotspreises berechtigten, den Grundsatz der Rechtssicherheit zu beachten.

19        Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass in verschiedenen italienischen Rechtsgebieten Vorschriften bestünden, die bestimmte Verhaltensweisen als Kollusion einstuften und in denen dieser Begriff die Bedeutung „heimliche und betrügerische Vereinbarung zum Schaden Dritter unter Umgehung zwingender Gesetzesbestimmungen“ habe, was das Vorliegen eines Willens- und Absichtselements bei allen Teilnehmern der Vereinbarung voraussetze. Wende man diesen Begriff als solchen auf das in den Ausgangsverfahren betroffene Rechtsgebiet an, griffen die Rechtsmittelgründe durch, da die Gesellschaften, die ihre Pirelli-Anteile an MCI veräußert hätten, an keiner heimlichen und betrügerischen Vereinbarung beteiligt seien.

20        Das vorlegende Gericht verweist jedoch auf die Besonderheit des in den Ausgangsverfahren betroffenen Rechtsgebiets, die sich aus dem regulierenden und nicht sanktionierenden Charakter der Änderungsbefugnis der Consob ergebe und in diesem Rechtsgebiet einer schlichten Übernahme der Bedeutung des Begriffs der Kollision aus anderen italienischen Rechtsgebieten entgegenstehen könne. Des Weiteren könne im Wettbewerbsrecht und im damit verbundenen Marktregulierungsrecht der Begriff der verbotenen Vereinbarung auch aus offensichtlich eigenständigen Verhaltensweisen der Wirtschaftsteilnehmer abgeleitet werden, wenn solche Verhaltensweisen objektiv die vom Gesetz verbotene Wirkung hätten. Daraus folge, wie das Tribunale amministrativo regionale per il Lazio (Verwaltungsgericht für die Region Latium) entschieden habe, dass für die Feststellung der Kollusion nicht erforderlich sei, dass die Behörde nachweise, dass das Verhalten der Parteien darauf abgezielt habe, die Regelung für Übernahmeangebote zu umgehen.

21        Ebenso wie den Parteien der Ausgangsverfahren stellt sich dem vorlegenden Gericht gleichwohl die Frage, ob der Begriff der Kollusion, so wie er im TUF und in der Emittentenverordnung festgelegt worden ist, durch seine Unbestimmtheit gegen den Grundsatz der Bestimmtheit der Voraussetzungen für die in Art. 5 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2004/25 vorgesehene Befugnis der nationalen Stellen zur Änderung des Preises des Übernahmeangebots verstößt. Die Marktteilnehmer einer börsennotierten Gesellschaft könnten nicht im Voraus beurteilen, welche Verhaltensweisen vor einem Übernahmeangebot angezeigt seien, was zur Folge habe, dass Verhaltensweisen, die aufgrund einer vorherigen Beurteilung als neutral und zulässig einzustufen seien, im Nachhinein aufgrund einer Neueinstufung, die sich ausschließlich an den objektiven Wirkungen einer den Marktteilnehmern und den beteiligten Personen unbekannten komplexeren Situation orientiere, als kollusive Verhaltensweisen eingestuft werden könnten, die eine Erhöhung des Preises des Übernahmeangebots rechtfertigten.

22        Unter diesen Umständen hat das vorlegende Gericht das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Stehen der richtigen Anwendung des Art. 5 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2004/25 in Verbindung mit den in deren Art. 3 Abs. 1 genannten allgemeinen Grundsätzen und der richtigen Anwendung der allgemeinen unionsrechtlichen Grundsätze der Rechtssicherheit, des Vertrauensschutzes, der Verhältnismäßigkeit, der Angemessenheit, der Transparenz und der Nichtdiskriminierung nationale Rechtsvorschriften wie Art. 106 Abs. 3 Buchst. d Nr. 2 TUF und Art. 47octies der Emittentenverordnung entgegen, soweit diese Rechtsvorschriften die Consob ermächtigen, das Übernahmeangebot gemäß dem genannten Art. 106 zu erhöhen, der darauf abstellt, dass eine „Kollusion zwischen dem Bieter oder den gemeinsam mit ihm handelnden Personen und einem oder mehreren Verkäufern“ festgestellt worden ist, ohne die einzelnen Verhaltensweisen aufzuführen, die diesen Tatbestand erfüllen, und damit ohne eindeutig die Voraussetzungen und Kriterien festzulegen, bei deren Vorliegen die Consob berechtigt ist, den Preis des Übernahmeangebots zu erhöhen?

Zur Vorlagefrage

23        Mit seiner Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 5 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2004/25 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung wie der in den Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, die es der nationalen Aufsichtsstelle erlaubt, im Fall der Kollusion den Preis eines Übernahmeangebots zu erhöhen, ohne die einzelnen Verhaltensweisen aufzuführen, die diesen Begriff kennzeichnen.

24        Wie aus ihren Erwägungsgründen 1 bis 3 und 9 hervorgeht, soll die Richtlinie 2004/25 die Interessen der Inhaber von Wertpapieren von Gesellschaften schützen, in denen eine natürliche oder juristische Person die Kontrolle übernommen hat, und zielt in dieser Hinsicht darauf ab, Klarheit und Transparenz in Bezug auf die Bestimmungen für Übernahmeangebote zu schaffen.

25        Zu diesem Zweck enthält die Richtlinie 2004/25 nach Art. 1 Abs. 1 Maßnahmen zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten für Übernahmeangebote für die Wertpapiere einer dem Recht eines dieser Staaten unterliegenden Gesellschaft, sofern alle oder ein Teil dieser Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind.

26        Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/25 legt die als allgemeine Grundsätze eingestuften Leitprinzipien fest, die bei der Umsetzung der Richtlinie zu beachten sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Oktober 2009, Audiolux u. a., C101/08, EU:C:2009:626, Rn. 51). Zu diesen Prinzipien gehört der Grundsatz, dass die anderen Inhaber von Wertpapieren geschützt werden müssen, wenn eine Person die Kontrolle über eine Gesellschaft erwirbt.

27        Um die Beachtung dieser Grundsätze sicherzustellen, bestimmt Art. 3 Abs. 2 Buchst. a und b der Richtlinie 2004/25 zum einen, dass die Mitgliedstaaten dafür sorgen müssen, dass die in dieser Richtlinie vorgeschriebenen Mindestanforderungen eingehalten werden, und zum anderen, dass die Mitgliedstaaten für Angebote zusätzliche Bedingungen und strengere Bestimmungen als in der Richtlinie festlegen können.

28        Art. 5 („Schutz der Minderheitsaktionäre, Pflichtangebot und angemessener Preis“) der Richtlinie 2004/25 sieht zum Schutz der Interessen der Inhaber von Wertpapieren von Gesellschaften im Wesentlichen zwei Regeln vor, die für die Mitgliedstaaten verbindlich sind, und eine Regel, deren Anwendung für die Mitgliedstaaten fakultativ ist.

29        Zunächst stellt Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2004/25 den Grundsatz des Pflichtangebots für den Erwerb der Anteilsscheine einer gegebenen Gesellschaft auf. Danach müssen die Mitgliedstaaten, wenn eine natürliche oder juristische Person infolge ihres alleinigen Erwerbs oder des Erwerbs durch gemeinsam mit ihr handelnde Personen Wertpapiere einer unter die Richtlinie fallenden Gesellschaft hält, die ihr bei Hinzuzählung zu den von ihr und von den gemeinsam mit ihr handelnden Personen bereits gehaltenen Beteiligungen unmittelbar oder mittelbar einen bestimmten, die Kontrolle begründenden Anteil an den Stimmrechten dieser Gesellschaft verschaffen, sicherstellen, dass diese Person zum Schutz der Minderheitsaktionäre dieser Gesellschaft zur Abgabe eines Angebots für alle von den Wertpapierinhabern gehaltenen Wertpapiere zu einem im Sinne von Art. 5 Abs. 4 der Richtlinie angemessenen Preis verpflichtet ist.

30        Sodann gilt – ebenfalls zum Schutz der Minderheitsaktionäre der von dem Übernahmeangebot betroffenen Gesellschaft – nach Art. 5 Abs. 4 Unterabs. 1 der Richtlinie 2004/25 als angemessener Preis der höchste Preis, der vom Bieter oder einer mit ihm gemeinsam handelnden Person in einem von den Mitgliedstaaten festzulegenden Zeitraum von mindestens sechs und höchstens zwölf Monaten vor dem Angebot gemäß Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie für die gleichen Wertpapiere gezahlt worden ist.

31        Art. 5 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2004/25 sieht schließlich vor, dass die Mitgliedstaaten, sofern die allgemeinen Grundsätze nach Art. 3 Abs. 1 eingehalten werden, ihre in Art. 4 der Richtlinie genannten Aufsichtsstellen ermächtigen können, den angemessenen Preis unter bestimmten Voraussetzungen nach festgelegten Kriterien abzuändern. Hierzu können die Mitgliedstaaten zum einen in einer Liste festlegen, unter welchen Voraussetzungen dieser angemessene Preis nach oben oder nach unten korrigiert werden darf, und zum anderen die in diesen Fällen heranzuziehenden Kriterien bestimmen, wobei klargestellt wird, dass diese Voraussetzungen und Kriterien eindeutig festgelegt sein müssen. Art. 5 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie nennt Beispiele für solche Voraussetzungen und Kriterien.

32        Aus diesen Vorschriften geht hervor, dass, wenn ein Mitgliedstaat beschlossen hat, die Aufsichtsstelle zu ermächtigen, den in Art. 5 Abs. 4 Unterabs. 1 der Richtlinie 2004/25 definierten angemessenen Preis abzuändern, um den Preis festzulegen, zu dem ein Übernahmeangebot zu erfolgen hat, diese Änderungsbefugnis unter Beachtung der in Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie genannten Leitprinzipien auszuüben ist.

33        Dabei hat der Mitgliedstaat, wenn er gemäß Art. 5 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie die bestimmten Voraussetzungen, unter denen die Änderungsbefugnis ausgeübt werden kann, festlegt, insbesondere den in Art. 3 Abs. 1 aufgestellten Grundsatz des Schutzes der Interessen der Inhaber von Wertpapieren der Gesellschaft, in der eine natürliche oder juristische Person die Kontrolle übernommen hat, zu berücksichtigen.

34        Im Licht dieser Erwägungen ist die Vorlagefrage zu beantworten.

35        Aus der Vorlageentscheidung ergibt sich, dass die Frage zwei Gesichtspunkte betrifft. Zum einen fragt sich das vorlegende Gericht, ob ein abstrakter Rechtsbegriff, der nicht auf genau festgelegte Verhaltensweisen verweist, eine ganz bestimmte Voraussetzung im Sinne von Art. 5 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2004/25 sein kann. Zum anderen fragt es sich, ob sich der Umstand, dass derselbe Begriff in anderen Gebieten des nationalen Rechts als dem der in den Ausgangsverfahren fraglichen Regelung eine andere Bedeutung hat, auf die Antwort auswirken kann, die auf die erste Frage zu geben ist.

36        Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass die in den Ausgangsverfahren fragliche Regelung die „Kollusion zwischen dem Bieter oder den gemeinsam mit ihm handelnden Personen und einem oder mehreren Verkäufern“ als eine der bestimmten Voraussetzungen ansieht, unter denen die Aufsichtsstelle den angemessenen Preis eines Übernahmeangebots nach oben korrigieren darf.

37        Erstens ist festzustellen, dass Art. 5 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2004/25 den Mitgliedstaaten bei der Festlegung der Voraussetzungen, unter denen ihre Aufsichtsstellen den angemessenen Preis abändern dürfen, ein Ermessen einräumt, sofern es sich jedoch um genau bestimmte Voraussetzungen handelt.

38        Diese Vorschrift gestattet den Mitgliedstaaten, eine Liste mit solchen Voraussetzungen festzulegen, und nennt insoweit mehrere allgemein formulierte Beispiele, um die Voraussetzungen zu veranschaulichen, die eine Korrektur des angemessenen Preises nach oben oder nach unten rechtfertigen können, wie eine Vereinbarung zwischen Käufer und Verkäufer, außergewöhnliche Umstände oder eine Manipulation der Marktpreise der betreffenden Wertpapiere.

39        In einem solchen Zusammenhang kann Art. 5 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2004/25, wie der Generalanwalt in den Nrn. 52 und 53 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, nicht dahin ausgelegt werden, dass er einen Mitgliedstaat daran hindert, in der von ihm zur Umsetzung dieser Vorschrift erlassenen Regelung einen abstrakten Rechtsbegriff wie hier den Begriff der Kollusion als ganz bestimmte Voraussetzung im Sinne dieser Vorschrift zu verwenden.

40        Im Übrigen kann die bloße Verwendung eines abstrakten Rechtsbegriffs nicht bedeuten, dass die ihn enthaltende nationale Rechtsvorschrift derart unklar ist, dass der betreffende Mitgliedstaat etwaige Zweifel in Bezug auf die Reichweite und den Sinn der Rechtsvorschrift nicht mit hinreichender Sicherheit ausräumen kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. April 2005, Belgien/Kommission, C110/03, EU:C:2005:223, Rn. 31).

41        Zwar verlangen sowohl der Grundsatz der Rechtssicherheit als auch die Notwendigkeit, die volle Anwendung der Richtlinien in rechtlicher und nicht nur in tatsächlicher Hinsicht zu gewährleisten, dass alle Mitgliedstaaten die Bestimmungen der betreffenden Richtlinie in einen eindeutigen, genauen und transparenten gesetzlichen Rahmen aufnehmen, der in dem von dieser Richtlinie betroffenen Bereich zwingende Bestimmungen vorsieht (Urteile vom 16. November 2000, Kommission/Griechenland, C214/98, EU:C:2000:624, Rn. 23, und vom 14. Januar 2010, Kommission/Tschechische Republik, C343/08, EU:C:2010:14, Rn. 40).

42        Diese Anforderungen können jedoch nicht so verstanden werden, dass eine einen abstrakten Rechtsbegriff verwendende Rechtsvorschrift die verschiedenen konkreten Fälle nennen muss, in denen sie Anwendung finden kann, da der Gesetzgeber nicht jeden dieser Fälle im Voraus bestimmen kann.

43        Daher kann Art. 5 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2004/25 nicht so verstanden werden, dass ein Mitgliedstaat, der in der von ihm zur Umsetzung dieser Vorschrift erlassenen Regelung – wie in den Ausgangsverfahren der Fall – die „Kollusion zwischen dem Bieter oder den gemeinsam mit ihm handelnden Personen und einem oder mehreren Verkäufern“ als eine der ganz bestimmten Voraussetzungen im Sinne der Vorschrift vorsieht, verlangt, dass er die einzelnen Verhaltensweisen angeben muss, die diese Kollusion kennzeichnen.

44        Zweitens fragt sich das vorlegende Gericht, ob Art. 5 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2004/25 einen Mitgliedstaat daran hindert, sich zur Festlegung einer der Voraussetzungen, unter denen der angemessene Preis geändert werden darf, auf den Begriff der Kollusion zu beziehen, der im Kontext der in den Ausgangsverfahren fraglichen Regelung eine andere Bedeutung hat als in anderen Gebieten des nationalen Rechts.

45        Da diese Vorschrift das in der Richtlinie 2004/25 verankerte und in den Rn. 24 bis 33 des vorliegenden Urteils angeführte Ziel verfolgt, die Inhaber von Wertpapieren der von einem Übernahmeangebot betroffenen Gesellschaft und insbesondere die Minderheitsaktionäre zu schützen, schließt der Umstand, dass ein Begriff wie der der Kollusion, den ein Mitgliedstaat zur Festlegung einer der Voraussetzungen für die Abänderung des angemessenen Preises verwendet, in anderen Gebieten des nationalen Rechts eine andere Bedeutung hat, nicht aus, dass er bei seiner Verwendung im Kontext der nationalen Regelung über Übernahmeangebote den Anforderungen von Art. 5 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie genügt.

46        Um dem Erfordernis der Rechtssicherheit zu genügen, müssen die Mitgliedstaaten jedoch dafür sorgen, dass sich die Auslegung eines solchen Begriffs im Bereich der Übernahmeangebote anhand der vom innerstaatlichen Recht anerkannten Auslegungsmethoden hinreichend klar, bestimmt und voraussehbar aus der in Rede stehenden nationalen Regelung ableiten lässt.

47        Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob dies beim Begriff der Kollusion im Kontext der in den Ausgangsverfahren fraglichen Regelung der Fall ist.

48        Aus diesen Erwägungen folgt, dass Art. 5 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2004/25 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung wie der in den Ausgangsverfahren fraglichen nicht entgegensteht, die es der nationalen Aufsichtsstelle erlaubt, im Fall der Kollusion den Preis eines Übernahmeangebots zu erhöhen, ohne die einzelnen Verhaltensweisen aufzuführen, die diesen Begriff kennzeichnen, sofern sich die Auslegung des Begriffs anhand der vom innerstaatlichen Recht anerkannten Auslegungsmethoden hinreichend klar, bestimmt und voraussehbar aus der Regelung ableiten lässt.

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