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Wirtschaftsrecht
25.08.2016
Wirtschaftsrecht
BGH: Befugnis der Regulierungsbehörde zur Änderung erteilter Genehmigungen – Unbefristete Genehmigung

BGH, Beschluss vom 12.7.2016 – EnVR 15/15

ECLI:DE:BGH:2016:120716BENVR15.15.0

Volltext: BB-Online BBL2016-2050-4

unter www.betriebs-berater.de

Amtliche Leitsätze

a) § 29 Abs. 2 Satz 1 EnWG ermächtigt nicht nur zu einer "substitutiven" Änderung, sondern auch zur ersatzlosen Aufhebung einer vorangegangenen Entscheidung.

b) Eine Änderung nach § 29 Abs. 2 Satz 1 EnWG setzt nicht voraus, dass zugleich der Tatbestand von § 48 oder § 49 VwVfG erfüllt ist.

c) Eine Änderung gemäß § 29 Abs. 2 Satz 1 EnWG ist auch dann zulässig, wenn die einschlägigen Rechtsvorschriften unverändert geblieben sind, sich nach dem Erlass der betroffenen Regelung aber neue Erkenntnisse ergeben haben, die zu der Beurteilung führen, dass die bisherige Regelung den Anforderungen dieser Rechtsvorschriften nicht genügt.

EnWG § 29 Abs. 2; StromNEV § 19 Abs. 2

Sachverhalt

A. Der Betroffene betreibt Einrichtungen zur Wasserversorgung, die über das von der Beteiligten betriebene Netz mit Elektrizität versorgt werden.

Im Oktober und November 2012 erteilte die Bundesnetzagentur auf Antrag des Betroffenen drei Genehmigungen zur Vereinbarung reduzierter Netzentgelte für ein Wasserwerk, ein Haupt- und ein Zwischenpumpwerk. Die Prüfung der Vereinbarungen erfolgte auf der Grundlage des von der Bundesnetzagentur herausgegebenen Leitfadens zur Genehmigung von individuellen Netzentgelten mit Stand von September 2011 (nachfolgend: Leitfaden 2011).

Im Jahr 2013 hob die Bundesnetzagentur im Hinblick auf die am 5. Dezember 2012 getroffene Festlegung zur sachgerechten Ermittlung individueller Entgelte nach § 19 Abs. 2 Satz 1 StromNEV (BK4-12-1656) alle auf der Grundlage des Leitfadens 2011 erteilten Genehmigungen für die Zeit ab 1. Januar 2015 auf. Die Beschwerde des Betroffenen gegen die mit drei Bescheiden vom 13. September 2013 verfügte Aufhebung der ihm erteilten Genehmigungen ist erfolglos geblieben. Dagegen wendet sich der Betroffene mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde, der die Bundesnetzagentur entgegentritt.

Aus den Gründen

4          B. Das zulässige Rechtsmittel ist unbegründet.

5          I. Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung (OLG Düsseldorf, RdE 2015, 200) im Wesentlichen wie folgt begründet:

6          Die Bundesnetzagentur sei nach § 29 Abs. 2 Satz 1 EnWG zur Aufhebung der Genehmigungen befugt gewesen.

7          Nach § 29 Abs. 2 Satz 1 EnWG sei die Änderung einer Genehmigung auch dann zulässig, wenn sich die Einschätzung der Regulierungsbehörde geändert habe, etwa weil neue Erkenntnisse über die Möglichkeiten eines effizienten Netzbetriebs vorlägen. Dies ergebe sich auch aus dem Zweck der Norm. Diese solle der Regulierungsbehörde in Umsetzung der Vorgaben aus Art. 23 Abs. 4 der Richtlinien 2003/54/EG und 2003/55/EG ausreichende Flexibilität einräumen, um die Effektivität der Regulierung zu sichern. Die Änderungsbefugnis ermögliche nicht nur eine substitutive Änderung, sondern auch eine Aufhebung. Sie erfasse bestandskräftige Entscheidungen, und zwar unabhängig davon, ob die Voraussetzungen der §§ 48, 49 VwVfG vorlägen.

8          Den angegriffenen Bescheiden liege eine Änderung der Einschätzung zugrunde. Durch die Aufhebung werde die Möglichkeit geschaffen, die den Genehmigungen zugrunde liegende Methodik an die in der Festlegung vom 5. Dezember 2012 erfolgte Neubestimmung anzupassen. Dass diese Festlegung nur Genehmigungsanträge für Vereinbarungen mit einer Laufzeit ab 1. Januar 2013 betreffe, führe nicht zu einer abweichenden Beurteilung.

9          Die Bundesnetzagentur habe das ihr eingeräumte Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Sie sei nicht gehalten gewesen, erteilte Genehmigungen nur in Fällen aufzuheben, in denen eine erneute Genehmigung auf der Grundlage der neuen Festlegung nicht in Betracht komme. Die Rechtmäßigkeit der Aufhebung hänge auch nicht davon ab, ob diese Festlegung rechtmäßig sei.

10        II. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung stand.

11        1. Das Beschwerdegericht hat § 29 Abs. 2 Satz 1 EnWG zutreffend ausgelegt.

12        a) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist die in § 29 Abs. 2 Satz 1 EnWG vorgesehene Befugnis der Regulierungsbehörde nicht auf die Änderung von "nachrangigen" Bedingungen oder Methoden innerhalb des durch eine Festlegung oder Genehmigung vorgegebenen Rahmens beschränkt. Soweit die Voraussetzungen der Vorschrift erfüllt sind, ist die Regulierungsbehörde vielmehr befugt, getroffene Festlegungen und erteilte Genehmigungen zu ändern (im Ergebnis ebenso Britz/Herzmann in Britz/Hellermann/Hermes, 3. Auflage, § 29 EnWG Rn. 18; Wahlhäuser in Kment, § 29 EnWG Rn. 33; für substitutive Änderungen auch Schmidt-Preuß in Berliner Kommentar zum Energierecht, 3. Auflage, § 29 EnWG Rn. 69 f.).

13        aa) Schon aus dem Wortlaut und dem systematischen Zusammenhang von § 29 Abs. 1 und 2 EnWG ergibt sich, dass eine Änderung in der Form der Festlegung oder Genehmigung zu erfolgen hat und dass hierbei bereits erfolgte Festlegungen oder erteilte Genehmigungen geändert werden dürfen.

14        Gemäß § 29 Abs. 1 EnWG trifft die Regulierungsbehörde unter anderem Entscheidungen über die Bedingungen und Methoden für den Netzanschluss oder den Netzzugang nach bestimmten Rechtsverordnungen durch Festlegung oder durch Genehmigung. § 29 Abs. 2 Satz 1 EnWG sieht insoweit nichts Abweichendes vor. Hieraus ist zu folgern, dass auch eine Änderungsentscheidung in der in § 29 Abs. 1 EnWG vorgesehenen Form zu treffen ist, also durch Festlegung oder Genehmigung.

15        Gemäß § 29 Abs. 2 Satz 1 EnWG darf die Regulierungsbehörde festgelegte oder genehmigte Bedingungen oder Methoden ändern, also solche, die bereits Gegenstand einer vorangegangenen Entscheidung waren. Daraus ergibt sich, dass die Änderungsentscheidung nicht nur "nachrangige" Fragen regeln darf, sondern auch - und gerade - solche Fragen, die bereits in der vorangegangenen Entscheidung eine Regelung gefunden haben.

16        bb) Dies steht mit dem Zweck der Vorschrift in Einklang.

17        § 29 Abs. 2 Satz 1 EnWG soll sicherstellen, dass die festgelegten oder genehmigten Bedingungen angemessen sind und nichtdiskriminierend angewendet werden (BT-Drucks. 15/3917 S. 62). Um diesen Zweck zu erreichen, kann es erforderlich sein, bereits getroffene Regelungen zu ändern.

18        b) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ermächtigt § 29 Abs. 2 Satz 1 EnWG nicht nur zu einer "substitutiven" Änderung, d.h. zum vollständigen oder teilweisen Ersatz einer ergangenen Regelung durch eine neue Regelung, sondern auch zur ersatzlosen Aufhebung einer vorangegangenen Entscheidung (im Ergebnis ebenso Wahlhäuser in Kment, § 29 EnWG Rn. 32 und wohl auch Britz/Herzmann in Britz/Hellermann/Hermes, 3. Auflage, § 29 EnWG Rn. 18 und 24; abweichend Schmidt-Preuß in Berliner Kommentar zum Energierecht, 3. Auflage, § 29 EnWG Rn. 65).

19        aa) Aus dem Wortlaut der Vorschrift lassen sich insoweit keine zwingenden Schlussfolgerungen ziehen.

20        Im allgemeinen Verwaltungsrecht wird allerdings verschiedentlich zwischen der Aufhebung und der Änderung von Verwaltungsakten unterschieden. So stellt § 51 Abs. 1 VwVfG die beiden Begriffe als mögliche Ziele eines Antrags auf Wiederaufgreifen eines Verfahrens nebeneinander. Im Verwaltungsprozessrecht ist die Unterscheidung von Bedeutung, weil ein Gericht einen Verwaltungsakt auf eine Anfechtungsklage oder -beschwerde hin grundsätzlich nur aufheben, nicht aber durch eine eigene Verfügung ersetzen darf. Selbst die teilweise Aufhebung eines Verwaltungsakts ist unzulässig, wenn die angefochtene Verfügung dadurch in ihrem Wesen verändert würde (vgl. nur BGH, Beschluss vom 14. Juli 2015 - KVR 77/13, WuW/E DE-R 4871 Rn. 11 - Wasserpreise Calw II).

21        Hieraus ergeben sich im vorliegenden Zusammenhang indes keine zwingenden Schlussfolgerungen. Aus der aufgezeigten Unterscheidung ist lediglich zu entnehmen, dass eine Befugnis zur Aufhebung einer Entscheidung weniger weit reicht als eine Befugnis zu deren inhaltlicher Änderung. § 29 Abs. 2 Satz 1 EnWG sieht zugunsten der Regulierungsbehörde insoweit aber die weiter reichende Befugnis vor.

22        bb) Dem bereits oben aufgezeigten Zweck der Vorschrift ist zu entnehmen, dass § 29 Abs. 2 Satz 1 EnWG die Befugnis zur ersatzlosen Aufhebung einer vorangegangenen Entscheidung umfasst.

23        Um zu gewährleisten, dass Bedingungen und Methoden für den Netzanschluss oder den Netzzugang weiterhin angemessen sind und nichtdiskriminierend angewendet werden, mag es zwar häufig geboten sein, eine getroffene Regelung ganz oder teilweise durch eine neue Regelung zu ersetzen. Je nach Konstellation kann es aber ausreichen, eine getroffene Regelung aufzuheben, etwa deswegen, weil die einschlägigen Gesetze und Verordnungen sowie eventuell bereits erlassene andere Festlegungen hinreichende Vorgaben für das zu regelnde Sachgebiet enthalten. Angesichts dessen erscheint es im vorliegenden Zusammenhang folgerichtig, nicht zwischen den beiden Konstellationen zu unterscheiden, sondern beide unter den seinem Wortlaut nach offenen Begriff der Änderung zu subsumieren.

24        c) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ergibt sich aus der Regelung in § 29 Abs. 2 Satz 2 EnWG, wonach die allgemeinen Vorschriften in §§ 48 und 49 VwVfG unberührt bleiben, nicht die Schlussfolgerung, dass eine Änderung nach § 29 Abs. 2 Satz 1 EnWG nur dann zulässig ist, wenn zugleich der Tatbestand von § 48 oder § 49 VwVfG erfüllt ist. § 29 Abs. 2 Satz 1 EnWG normiert vielmehr einen eigenständigen Tatbestand (im Ergebnis ebenso Britz/Herzmann in Britz/Hellermann/Hermes, 3. Auflage, § 29 EnWG Rn. 18; Britz N&R 2006, 6, 8; Wahlhäuser in Kment, § 29 EnWG Rn. 38; für substitutive Änderungen auch Schmidt-Preuß in Berliner Kommentar zum Energierecht, 3. Auflage, § 29 EnWG Rn. 70).

25        aa) Der Wortlaut des § 29 Abs. 2 Satz 2 EnWG, wonach die §§ 48 und 49 VwVfG unberührt bleiben, lässt allerdings offen, ob die Voraussetzungen einer dieser Vorschriften zusätzlich zu denjenigen der Sondervorschrift erfüllt sein müssen.

26        bb) Eine Kumulation der Tatbestandsvoraussetzungen stünde indes in Widerspruch zum Sinn und Zweck der Regelung.

27        Die Beurteilung der Frage, ob Bedingungen und Methoden für den Netzanschluss oder den Netzzugang angemessen sind und nichtdiskriminierend angewendet werden, kann von zahlreichen Faktoren abhängen, die aufgrund der komplexen Strukturen des Netzbetriebs häufig schwer zu beurteilen sind und raschem zeitlichem Wandel unterliegen können. Angesichts dessen ist, wie das Beschwerdegericht zutreffend ausgeführt hat, ein möglichst flexibles Instrumentarium erforderlich, das es der Regulierungsbehörde ermöglicht, auch in Situationen angemessen zu reagieren, die mit den in §§ 48 und 49 VwVfG vorgesehenen Mitteln nur schwer zu bewältigen wären. Dieses Instrumentarium hat der Gesetzgeber mit § 29 Abs. 2 Satz 1 EnWG zur Verfügung gestellt.

28        Dieser Zielsetzung würde es widersprechen, wenn die Voraussetzungen für die Änderung einer getroffenen Festlegung oder einer erteilten Genehmigung im Vergleich zu den allgemeinen Vorschriften durch zusätzliche Tatbestandsmerkmale sogar noch verschärft würden. Aus dem Umstand, dass § 29 Abs. 2 Satz 1 EnWG eigenständige Tatbestandsmerkmale enthält, ist angesichts dessen zu folgern, dass eine Änderung schon dann zulässig ist, wenn diese Tatbestandsmerkmale erfüllt sind. Daneben bleiben eine Aufhebung nach § 48 VwVfG und ein Widerruf nach § 49 VwVfG zulässig, sofern die Voraussetzungen dieser Vorschriften vorliegen.

29        cc) Der Umstand, dass § 29 Abs. 2 Satz 1 EnWG - anders als § 48 Abs. 2 und 3 sowie § 49 Abs. 2 und 3 VwVfG - keine ausdrücklichen Regelungen zum Vertrauensschutz enthält, führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung.

30        (1) Aus dem Anwendungsbereich und dem Zweck von § 29 Abs. 2 Satz 1 EnWG ergibt sich, dass Änderungen nach dieser Vorschrift in der Regel nur mit Wirkung für die Zukunft angeordnet werden. Solche Anpassungen sind unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes grundsätzlich als weniger kritisch anzusehen.

31        Zwar kann auch von einer mit Wirkung für die Zukunft angeordneten Änderung eine "unechte" Rückwirkung ausgehen, die selbst bei Gesetzen und Verordnungen unter bestimmten Voraussetzungen mit den Grundsätzen grundrechtlichen und rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes nicht vereinbar ist (vgl. dazu BVerfGE 127, 1, 16 ff.; BGH, Beschluss vom 30. April 2013 - EnVR 22/12, RdE 2013, 321 Rn. 56 - Regionalwerk Bodensee GmbH & Co. KG). Um solche Belastungen zu vermeiden, bedarf es im Zusammenhang mit § 29 Abs. 2 Satz 1 EnWG jedoch keiner ausdrücklichen gesetzlichen Regelung. Die Voraussetzungen, unter denen eine "unechte" Rückwirkung unzulässig ist, sind verfassungsrechtlich hinreichend geklärt.

32        Diese Grundsätze sind bei Änderungsentscheidungen der Regulierungsbehörde in der Regel entsprechend heranzuziehen. Solche Entscheidungen beruhen - auch wenn es um die Änderung von Genehmigungen gegenüber einzelnen Antragstellern geht - schon wegen des damit verfolgten Zwecks, Diskriminierungen zu vermeiden, regelmäßig auf einem allgemeineren Regelungskonzept. Ihre Wirkungen kommen deshalb in ihrer Gesamtheit denjenigen einer Rechtsnorm häufig nahe. Angesichts dessen muss den Erfordernissen des Vertrauensschutzes bei der Ausübung des der Regulierungsbehörde in § 29 Abs. 2 Satz 1 EnWG eingeräumten Ermessens sorgfältig Rechnung getragen werden (im Ergebnis ebenso Britz/Herzmann in Britz/Hellermann/Hermes, 3. Auflage, § 29 EnWG Rn. 23; Britz N&R 2006, 6, 8; Wahlhäuser in Kment, § 29 EnWG Rn. 39). Für einen ergänzenden Rückgriff auf einzelne Regelungen aus § 48 oder § 49 VwVfG besteht vor diesem Hintergrund weder eine ausreichende Grundlage noch ein Bedürfnis (im Ergebnis ebenso Britz/Herzmann, aaO, § 29 EnWG Rn. 22; Britz N&R 2006, 6, 8; Wahlhäuser, aaO, § 29 EnWG Rn. 38).

33        (2) Ob § 29 Abs. 2 Satz 1 EnWG darüber hinaus Änderungen mit Wirkung für die Vergangenheit ermöglicht (verneinend Britz/Herzmann in Britz/Hellermann/Hermes, 3. Auflage, § 29 EnWG Rn. 24; Wahlhäuser in Kment, § 29 EnWG Rn. 40 und wohl auch Schmidt-Preuß in Berliner Kommentar zum Energierecht, 3. Auflage, § 29 EnWG Rn. 71 ff.), bedarf im Streitfall ebenfalls keiner Entscheidung. Die angefochtenen Verfügungen ordnen eine Änderung nur für Zeiträume nach deren Erlass an.

34        (3) Ebenfalls dahingestellt bleiben kann, ob es in Ausnahmefällen einer entsprechenden Anwendung der Entschädigungsregel in § 49 Abs. 6 VwVfG bedarf (dafür Schmidt-Preuß in Berliner Kommentar zum Energierecht, 3. Auflage, § 29 EnWG Rn. 76). Die angefochtenen Verfügungen begegnen, wie noch näher darzulegen sein wird, unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes keinen Bedenken.

35        d) Eine Änderung gemäß § 29 Abs. 2 Satz 1 EnWG ist auch dann zulässig, wenn die einschlägigen Rechtsvorschriften unverändert geblieben sind, sich nach dem Erlass der betroffenen Regelung aber neue Erkenntnisse ergeben haben, die zu der Beurteilung führen, dass die bisherige Regelung den Anforderungen dieser Rechtsvorschriften nicht genügt (im Ergebnis ebenso Britz/Herzmann in Britz/Hellermann/Hermes, 3. Auflage, § 29 EnWG Rn. 20; abweichend Schmidt-Preuß in Berliner Kommentar zum Energierecht, 3. Auflage, § 29 EnWG Rn. 64 und wohl auch Wahlhäuser in Kment, § 29 EnWG Rn. 33).

36        aa) Der Umstand, dass die Regulierungsbehörde in der Regel mit einem komplexen Sachverhalt konfrontiert ist und ihre Entscheidungen häufig auf Prognoseelemente stützen muss, kann es mit sich bringen, dass sich eine Einschätzung, auf deren Grundlage eine Festlegung oder Genehmigung ergangen ist, aufgrund späterer Entwicklungen oder aufgrund später gewonnener Erkenntnisse über technische, wirtschaftliche oder sonstige relevante Verhältnisse des Netzbetriebs nachträglich als unzutreffend erweist. Bei dieser Ausgangslage muss es angesichts der Zielsetzung von § 29 Abs. 2 Satz 1 EnWG möglich sein, zumindest für die Zukunft auch dann einen mit dem Gesetz in Einklang stehenden Zustand herbeizuführen, wenn die maßgeblichen Rechtsvorschriften unverändert geblieben sind.

37        Entgegen der vom Beschwerdegericht (im Anschluss an Britz/Herzmann, aaO, § 29 EnWG Rn. 20) verwendeten Formulierung dürfte eine Änderungsbefugnis allerdings nicht schon dann bestehen, wenn die Regulierungsbehörde auf der Grundlage der bisherigen Erkenntnisse nachträglich zu einer anderen Einschätzung oder Bewertung gelangt. Sie besteht aber jedenfalls dann, wenn die neue Einschätzung auf technischen, wirtschaftlichen oder sonstigen Gegebenheiten des Netzbetriebs beruht, die erst nachträglich zutage getreten sind und deshalb bei der ursprünglichen Entscheidung nicht berücksichtigt worden sind.

38        bb) Wenn diese Voraussetzung vorliegt, besteht die Änderungsbefugnis unabhängig davon, ob sich im Lichte der neuen Erkenntnisse bereits die ursprüngliche Entscheidung nachträglich als rechtswidrig erweist (im Ergebnis ebenso Britz/Herzmann in Britz/Hellermann/Hermes, 3. Auflage, § 29 EnWG Rn. 21; Wahlhäuser in Kment, § 29 EnWG Rn. 35; abweichend auch insoweit Schmidt-Preuß in Berliner Kommentar zum Energierecht, 3. Auflage, § 29 EnWG Rn. 72).

39        Das in § 29 Abs. 2 Satz 1 EnWG normierte Erfordernis, wonach die Änderung erforderlich sein muss, damit die festgelegten oder genehmigten Bedingungen und Methoden "weiterhin" den einschlägigen Voraussetzungen entsprechen, könnte bei isolierter Betrachtung zwar dafür sprechen, dass nur anfänglich rechtmäßige Entscheidungen geändert werden dürfen. Die damit verbundene Privilegierung anfänglich rechtswidriger Entscheidungen wäre vor dem aufgezeigten Hintergrund aber mit dem Zweck von § 29 Abs. 2 Satz 1 EnWG nicht vereinbar.

40        § 29 Abs. 2 Satz 1 EnWG dient auch der Korrektur von früheren Einschätzungen, die sich im Lichte neuer Erkenntnisse als unzutreffend erwiesen haben. Angesichts dessen muss es ausreichen, wenn die Regulierungsbehörde beim Erlass der ursprünglichen Entscheidung von deren Rechtmäßigkeit ausgegangen ist und die Änderung dem Ziel dient, auch im Lichte der neu gewonnenen Erkenntnisse weiterhin rechtmäßige Verhältnisse zu gewährleisten.

41        2. Rechtsfehlerfrei ist das Beschwerdegericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Voraussetzungen von § 29 Abs. 2 Satz 1 EnWG im Streitfall erfüllt sind.

42        a) Die auf Antrag des Betroffenen im Jahr 2012 erteilten Genehmigungen sind Entscheidungen im Sinne von § 29 Abs. 1 EnWG.

43        Die Genehmigungen sind auf der Grundlage von § 19 Abs. 2 Satz 1 StromNEV ergangen. Die Stromnetzentgeltverordnung beruht auf § 24 EnWG und gehört damit zu den in § 29 Abs. 1 EnWG aufgeführten Verordnungen.

44        b) Zu Recht hat das Beschwerdegericht die Aufhebung der Genehmigungen als erforderlich angesehen, um sicherzustellen, dass die Bedingungen und Methoden zur Berechnung des vom Betroffenen zu zahlenden Netzentgelts weiterhin den einschlägigen rechtlichen Anforderungen genügen.

45        aa) Zu den Voraussetzungen für eine zulässige Vereinbarung individueller Netzentgelte gehörten seit dem Inkrafttreten der Festlegung vom 5. Dezember 2012 (BK4-12-1656) die darin normierten Anforderungen, die durch die Festlegung vom 11. Dezember 2013 (BK-4-739) mit Wirkung vom 1. Januar 2014 nochmals geändert worden sind.

46        Beide Regelungen sehen vor, dass ein individuelles Netzentgelt nur dann vereinbart werden darf, wenn die Differenz zwischen der vom Letztverbraucher in Anspruch genommenen Höchstlast und der höchsten Last innerhalb des relevanten Hochlastzeitfensters mindestens 100 Kilowatt beträgt. Der zuvor herangezogene Leitfaden 2011 sah demgegenüber nur vor, dass die genannte Differenz mindestens einen bestimmten Prozentwert der Jahreshöchstlast erreicht, der (insoweit unverändert) für die Umspannebene von Mittel- auf Niederspannung und für die Netzebene der Niederspannung jeweils 30 % beträgt.

47        Bei den drei Abnahmestellen des Betroffenen ist ausweislich der Genehmigungsbescheide lediglich die prozentuale Erheblichkeitsschwelle überschritten, nicht aber der Mindestwert von 100 Kilowatt. Damit liegen auf der Grundlage der damals getroffenen tatsächlichen Feststellungen die Voraussetzungen für die Vereinbarung eines individuellen Netzentgelts nicht mehr vor.

48        bb) Der Umstand, dass die Festlegung vom 5. Dezember 2012 nur für Genehmigungsanträge gilt, die Netzentgeltvereinbarungen mit einer Laufzeit ab dem 1. Januar 2013 oder später zum Gegenstand haben, führt entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht zu einer abweichenden Beurteilung.

49        Die vom Betroffenen im Jahr 2012 gestellten Anträge fallen damit zwar nicht in den Anwendungsbereich der Festlegung, denn nach deren Begründung (S. 10 unter 4) ist hierfür der Beginn der Vertragslaufzeit maßgeblich. Dies steht einer Aufhebung der auf Grundlage des früher herangezogenen Leitfadens erteilten Genehmigungen jedoch nicht entgegen. Mit der Aufhebung wird die Grundlage dafür geschaffen, dass die mit dem Betroffenen geschlossenen Entgeltvereinbarungen ab 1. Januar 2015 den neuen Kriterien unterfallen. Dies ermöglicht eine einheitliche Anwendung der neuen Kriterien für alle Netzbetreiber und Letztverbraucher und steht deshalb in Einklang mit dem Zweck des § 29 Abs. 2 Satz 1 EnWG.

50        cc) Zu Recht hat das Beschwerdegericht entschieden, dass die Bundesnetzagentur nicht gehalten war, vor einer Aufhebung der erteilten Genehmigungen zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Erteilung einer Genehmigung auf der Grundlage der Festlegung vom 5. Dezember 2012 weiterhin gegeben sind.

51        Wie bereits oben dargelegt wurde, umfasst die in § 29 Abs. 2 Satz 1 EnWG normierte Änderungsbefugnis die ersatzlose Aufhebung einer früher getroffenen Regelung, sofern eine solche Entscheidung geeignet und erforderlich ist, um sicherzustellen, dass die zur Prüfung stehenden Bedingungen oder Methoden für den Netzanschluss oder den Netzzugang weiterhin den einschlägigen rechtlichen Anforderungen genügen. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt.

52        (1) Die Aufhebung der erteilten Genehmigungen ist geeignet, die Konformität der mit dem Betroffenen geschlossenen Entgeltvereinbarungen auch für die Zukunft zu gewährleisten.

53        Sie eröffnet die Möglichkeit, die Vereinbarung einer erneuten inhaltlichen Überprüfung zu unterziehen, hierbei die neuen Anforderungen aus der Festlegung vom 5. Dezember 2012 - nunmehr einschließlich der Änderungen aus der nachfolgenden Festlegung vom 11. Dezember 2013 (BK-4-13-739) - zugrunde zu legen, und damit zu gewährleisten, dass auch in Zukunft alle Vereinbarungen über individuelle Netzentgelte nach einheitlichen Kriterien beurteilt werden.

54        (2) Ob dieses Ziel in gleicher Weise auch dadurch zu erreichen gewesen wäre, dass die Entscheidung über die Aufhebung der erteilten Genehmigungen und die Entscheidung über eine Genehmigung für die Folgezeit zusammengefasst werden, hat das Beschwerdegericht zu Recht offen gelassen. Eine solche Vorgehensweise wäre im Vergleich zu separaten Entscheidungen über die beiden Fragenkomplexe jedenfalls nicht als milderes Mittel anzusehen.

55        Dabei kann offen bleiben, ob diese Beurteilung auf den Umstand gestützt werden kann, dass die abweichende Vorgehensweise zu höherem Aufwand für die Bundesnetzagentur geführt hätte. Dem höheren Aufwand auf Verwaltungsseite hätte jedenfalls kein erkennbarer Vorteil für den Betroffenen gegenübergestanden. Hierbei ist unerheblich, ob bei Erlass der Aufhebungsverfügungen noch eine Genehmigung erforderlich war oder ob bereits damals die in der seit 22. August 2013 geltenden Fassung von § 19 Abs. 2 StromNEV (seit 1. Januar 2014: § 19 Abs. 2 Satz 7 StromNEV) normierten Voraussetzungen erfüllt waren, unter denen eine schriftliche Anzeige der getroffenen Vereinbarung genügt. Im einen wie im anderen Fall war die Bundesnetzagentur gehalten, die Rechtmäßigkeit der getroffenen Vereinbarung zu überprüfen. Hierzu durfte sie sich nicht damit begnügen, die im Jahr 2012 festgestellten Nutzungsdaten zugrunde zu legen. Vielmehr musste sie die im Zeitpunkt der erneuten Prüfung relevanten Daten ermitteln. Die damit verbundenen Belastungen für den Betroffenen wären im Falle einer kombinierten Entscheidung nicht geringer gewesen als bei der von der Bundesnetzagentur gewählten Vorgehensweise.

56        dd) Ebenfalls rechtsfehlerfrei hat das Beschwerdegericht nicht geprüft, ob die in der Festlegung vom 5. Dezember 2012 erstmals vorgenommene Normierung eines absoluten Schwellenwerts von 100 Kilowatt rechtmäßig ist.

57        Der Betroffene hat weder diese Festlegung noch die inhaltsgleiche Regelung in der Festlegung vom 11. Dezember 2013 mit Rechtsmitteln angegriffen. Die darin getroffene Entscheidung ist deshalb für ihn bindend, weil die Bestandskraft von Allgemeinverfügungen grundsätzlich für jeden Betroffenen gesondert zu beurteilen ist. Etwas anderes gälte nur dann, wenn die getroffenen Regelungen und Regelungsbestandteile einen untrennbaren Zusammenhang bildeten, so dass nicht einzelne Elemente von ihnen isoliert angefochten werden könnten (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Dezember 2014 - EnVR 54/13, RdE 2015, 183 Rn. 20 ff. - Festlegung Tagesneuwerte II). Diese Voraussetzung ist im Streitfall nicht erfüllt.

58        3. Zu Recht ist das Beschwerdegericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Bundesnetzagentur das ihr in § 29 Abs. 2 Satz 1 EnWG eingeräumte Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat.

59        a) Die Bundesnetzagentur hat ihre Entscheidung maßgeblich auf die Erwägung gestützt, die Aufhebung der erteilten Genehmigungen eröffne die Möglichkeit, die Vereinbarkeit der nach der bisherigen Ermittlungsmethode genehmigten Altfälle mit der zwischenzeitlich festgelegten neuen Ermittlungsmethode zu überprüfen.

60        Diese Erwägung steht in Einklang mit dem Zweck der Ermächtigungsgrundlage und lässt auch im Übrigen keinen Ermessensfehler erkennen.

61        b) Zutreffend hat das Berufungsgericht entschieden, dass die Bundesnetzagentur nicht aus Gründen des Vertrauensschutzes gehalten war, von der Aufhebung der Genehmigungen zum 31. Dezember 2014 abzusehen.

62        Wie bereits oben dargelegt wurde, kann dem Aspekt des Vertrauensschutzes bei der Ausübung des in § 29 Abs. 2 Satz 1 EnWG eröffneten Ermessens je nach Konstellation allerdings ausschlaggebende Bedeutung zukommen. Im Streitfall hat die Bundesnetzagentur dem Betroffenen jedoch eine Übergangsfrist von mehr als einem Jahr eingeräumt. Dieser Zeitraum gab dem Betroffenen ausreichend Gelegenheit, sich auf die geänderte Situation einzustellen und gegebenenfalls auf die Genehmigung oder Anzeige einer Entgeltvereinbarung für die Zeit ab 1. Januar 2015 hinzuwirken. Die ursprüngliche Genehmigung war zwar nicht befristet. Hieraus konnte der Betroffene aber nicht die berechtigte Erwartung ableiten, dass sie auf unabsehbare Zeit Bestand haben könnte. Gerade weil es an einer Befristung fehlte, musste er vielmehr damit rechnen, dass sie bei Änderung von maßgeblichen Umständen mit Wirkung für die Zukunft geändert wird.

63        III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 90 Satz 2 EnWG, die Festsetzung des Gegenstandswerts auf § 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GKG und § 3 ZPO.

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