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Wirtschaftsrecht
03.12.2020
Wirtschaftsrecht
BGH: Befugnis der GmbH zur Einziehung eines Geschäftsanteils trotz negativer Legitimationswirkung des § 16 Abs. 1 S. 1 GmbHG

BGH, Urteil vom 10.11.2020 – II ZR 211/19

ECLI:DE:BGH:2020:101120UIIZR211.19.0

Volltext: BB-Online BBL2020-2690-3

Leitsatz

Eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung ist durch die negative Legitimationswirkung des § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG nicht gehindert, einen nach einem möglicherweise fehlgeschlagenen Einziehungsversuch aus der Gesellschafterliste entfernten, aber materiell bestehenden Geschäftsanteil aus einem in der Person des materiell berechtigten Gesellschafters liegenden wichtigen Grund einzuziehen.

GmbHG § 16 Abs. 1 Satz 1

Sachverhalt

Der Kläger gründete am 9. Juni 2011 mit         L.        die beklagte GmbH mit einem Stammkapital von 25.000 €. Jeder Gesellschafter hielt einen Geschäftsanteil von 12.500 €, in der Gesellschafterliste eingetragen mit den laufenden Nummern 1 und 2. In der Gesellschafterversammlung vom 17. April 2015 beschloss L.       die Einziehung des Geschäftsanteils des Klägers. Am 26. Mai 2015 wurde            R.       anstelle von L.        als Inhaber des Geschäftsanteils mit der laufenden Nummer 1 in die Gesellschafterliste eingetragen. Am 4. Juni 2015 wurde eine neue Gesellschafterliste in den Registerordner eingestellt, nach deren Inhalt lediglich R.     als Inhaber eines Geschäftsanteils mit dem Nennbetrag von 12.500 € eingetragen war, während der Anteil des Klägers mit der laufenden Nummer 2 durchgestrichen und als "nach Einziehung erloschen" gekennzeichnet war. Am 30. August 2016 beschloss R.      erneut die Einziehung des Geschäftsanteils des Klägers. Der Kläger klagte erfolgreich auf Feststellung der Nichtigkeit der Beschlüsse über die Einziehung seines Geschäftsanteils. Die Berufung der Beklagten wurde mit Urteil vom 20. Juni 2019 zurückgewiesen (OLG Brandenburg, GmbHR 2019, 830).

Mit Vertrag vom 20. September 2016 übertrug R.      seinen Geschäftsanteil auf die N.    GmbH. Am 18. Oktober 2016 wurde eine Gesellschafterliste in den Registerordner eingestellt, in der die N. GmbH mit einem Geschäftsanteil von 12.500 € mit der laufenden Nummer 1 ausgewiesen war. Der Geschäftsanteil mit der laufenden Nummer 2 wurde weiterhin als "nach Einziehung erloschen" geführt.

Am 20. Oktober 2017 wurde eine "Zwischenliste" in den Registerordner eingestellt, die die N.     GmbH als Inhaberin eines einzigen Geschäftsanteils mit einem Nennbetrag von 25.000 € und der laufenden Nummer 1 auswies. Der Geschäftsanteil mit der laufenden Nummer 2 war in der Liste nicht mehr enthalten. Auf einer Gesellschafterversammlung vom selben Tag, zu der der Kläger eingeladen war, beschlossen die N.     GmbH und die H.     GmbH die Einziehung des Geschäftsanteils des Klägers, weil dieser gepfändet worden war. Der Einziehungsbeschluss wurde dem Kläger am Tag der Versammlung bekannt gegeben.

Am 23. Oktober 2017 wurde eine "2. Zwischenliste" in den Registerordner eingestellt, die die Bildung von 25.000 Geschäftsanteilen mit einem Nennwert von jeweils 1 € und den laufenden Nummern 1 bis 25.000 auswies, die von der N.     GmbH gehalten wurden. Am 24. Oktober 2017 wurde eine Gesellschafterliste in den Registerordner eingestellt, nach der die N.     GmbH 80 % der Anteile (20.000 €, laufende Nummern 1 bis 20.000) und die H. … GmbH 20 % der Anteile (5.000 €, laufende Nummern 20.001 bis 25.000) hielten.

Das Landgericht hat die Nichtigkeit des Einziehungsbeschlusses vom 20. Oktober 2017 festgestellt. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten wurde zurückgewiesen. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter.

Aus den Gründen

6          Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

7          I. Das Berufungsgericht (OLG Brandenburg, GmbHR 2020, 98) hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

8          Bis zum Tag der Beschlussfassung am 20. Oktober 2017 sei allein die N.     GmbH als Anteilsinhaberin mit einem Anteil von 12.500 € eingetragen gewesen. Die Mitteilung über die Aufstockung des Geschäftsanteils auf 25.000 € sei am 20. Oktober 2017, die in die Liste eingetragene Bildung der Geschäftsanteile zu je 1 € am 23. Oktober 2017 und die Liste nach Anteilsübertragung von Geschäftsanteilen mit einem Nennbetrag von insgesamt 5.000 € an die H.                     GmbH am 24. Oktober 2017 in das Handelsregister aufgenommen worden. Gemäß § 16 Abs. 1 Satz 2 GmbHG gelte eine vom Erwerber in Bezug auf das Gesellschaftsverhältnis vorgenommene Rechtshandlung als von Anfang an wirksam, wenn die Liste unverzüglich nach Vornahme der Rechtshandlung in das Handelsregister aufgenommen werde. ln der Gesellschafterversammlung hätten die Gesellschafter N.      GmbH und H.                     GmbH ausdrücklich auf diese bereits angemeldete Anteilsübertragung abgestellt. Sie hätten festgestellt, dass das "Stammkapital von 25.000 € in Höhe von 25.000 € vertreten" sei, zugleich aber auch, dass der Kläger mit einem Anteil von 12.500 € nicht erschienen sei. Sie hätten beschlossen, dass der Geschäftsanteil des Klägers eingezogen werde. Da weder die zum Zeitpunkt der Beschlussfassung gültige, noch die geänderte Gesellschafterliste, deren Einstellung in den Registerordner veranlasst worden sei, den Kläger als Gesellschafter ausgewiesen habe, habe die Beklagte eine wirksame Einziehung seines Geschäftsanteils am 20. Oktober 2017 nicht beschließen können.

9          II. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht angenommen, der Einziehungsbeschluss vom 20. Oktober 2017 sei ins Leere gegangen, weil die Einziehung einen nach der Gesellschafterliste nicht existenten Geschäftsanteil betroffen habe. Eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung ist durch die negative Legitimationswirkung des § 16 Abs. 1 GmbHG nicht gehindert, einen nach einem möglicherweise fehlgeschlagenen Einziehungsversuch aus der Gesellschafterliste entfernten, aber materiell bestehenden Geschäftsanteil aus einem in der Person des materiell berechtigten Gesellschafters liegenden wichtigen Grund einzuziehen.

10        1. Der Einziehungsbeschluss vom 20. Oktober 2017 ging nicht deshalb ins Leere, weil der Geschäftsanteil des Klägers bereits am 17. April 2015 und am 30. August 2016 eingezogen worden war. Aufgrund der Entscheidung des Berufungsgerichts vom 8. Mai 2019 steht rechtskräftig fest, dass diese Einziehungsbeschlüsse nichtig waren (vgl. BGH, Urteil vom 17. Februar 1997 - II ZR 41/96, BGHZ 134, 364, 366; Urteil vom 13. Oktober 2008 - II ZR 112/07, ZIP 2008, 2215 Rn. 8).

11        Dass bei der Beschlussfassung am 20. Oktober 2017 unklar war, ob die vorangehenden Einziehungsbeschlüsse wirksam waren und der Geschäftsanteil noch bestand, steht der erneuten Einziehung nicht entgegen. Der neue Beschluss ist erkennbar für den Fall gefasst, dass die Unwirksamkeit der früheren Einziehungsbeschlüsse festgestellt wird und der Kläger damit entgegen der im Vorprozess vertretenen Auffassung der Beklagten noch Inhaber der Geschäftsanteile ist. In der neuerlichen Beschlussfassung liegt kein widersprüchliches Verhalten der Beklagten; vielmehr hat sie ein anerkennenswertes Interesse, Zweifel an der Wirksamkeit eines Einziehungsbeschlusses durch die Neuvornahme des Beschlusses auszuräumen oder für den Fall des Fehlschlagens eines Einziehungsversuchs wegen neu aufgetretener oder bekannt gewordener Einziehungsgründe den Geschäftsanteil vorsorglich noch einmal einzuziehen.

12        2. Der Einziehungsbeschluss vom 20. Oktober 2017 ging auch nicht deshalb ins Leere, weil der eingezogene Geschäftsanteil mit der Nummer 2 in der Gesellschafterliste nicht mehr einem Inhaber zugeordnet war. Es war nicht erforderlich, dass die Gesellschaft vor der Einziehung eine korrigierte Gesellschafterliste zum Handelsregister einreichte, in der der materiell berechtigte Gesellschafter wieder als Inhaber des einzuziehenden Geschäftsanteils eingetragen war. Da die im Geschäftsanteil verkörperte materiell-rechtliche Gesellschafterstellung nicht von der Eintragung des einzuziehenden Geschäftsanteils in die Gesellschafterliste abhängt, war auch die Wirksamkeit der Einziehung allein vom materiellen Bestehen des Geschäftsanteils abhängig.

13        a) Durch die Löschung des Geschäftsanteils des Klägers aus der Gesellschafterliste der Beklagten wurde dessen durch § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG vermittelte formale Gesellschafterstellung unabhängig von der Wirksamkeit der ersten Einziehungsversuche beendet, so dass er der Beklagten gegenüber keine Mitgliedschaftsrechte mehr geltend machen konnte.

14        Nach § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG gilt im Verhältnis zur Gesellschaft im Fall einer Veränderung in den Personen der Gesellschafter oder des Umfangs ihrer Beteiligung als Inhaber eines Geschäftsanteils nur, wer als solcher in der im Handelsregister aufgenommenen Gesellschafterliste eingetragen ist. Greift diese Vermutung, stehen dem als Inhaber eines Geschäftsanteils in die Gesellschafterliste Eingetragenen sämtliche Mitgliedschaftsrechte zu, ohne dass es auf seine wahre Berechtigung ankommt (vgl. BGH, Urteil vom 20. November 2018 - II ZR 12/17, BGHZ 220, 207 Rn. 23; Urteil vom 2. Juli 2019 - II ZR 406/17, BGHZ 222, 323 Rn. 35). Diese Legitimationswirkung greift auch bei einem eingezogenen Geschäftsanteil (BGH, Urteil vom 20. November 2018 - II ZR 12/17, BGHZ 220, 207 Rn. 25 ff., 45; Urteil vom 2. Juli 2019 - II ZR 406/17, BGHZ 222, 323 Rn. 38). Wird der Inhaber eines Geschäftsanteils nach dessen Einziehung in der Gesellschafterliste gestrichen, kann der Gesellschafter ab dem Zeitpunkt der Aufnahme einer ihn nicht mehr aufführenden Gesellschafterliste zum Handelsregister seine mitgliedschaftlichen Rechte nicht länger ausüben (BGH, Urteil vom 2. Juli 2019 - II ZR 406/17, BGHZ 222, 323 Rn. 35).

15        Die Legitimationswirkung des § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG greift nicht nur bei der Ausübung der Mitgliedschaftsrechte. Der in die im Handelsregister aufgenommene Gesellschafterliste eingetragene Inhaber eines Geschäftsanteils darf auch für mitgliedschaftliche Pflichten herangezogen werden (vgl. BGH, Urteil vom 20. November 2018 - II ZR 12/17, BGHZ 220, 207 Rn. 35; zu § 16 Abs. 1 GmbHG aF BGH, Urteil vom 27. Januar 2015 - KZR 90/13, ZIP 2015, 678 Rn. 19 ff. mwN - Dentalartikel; Urteil vom 18. September 2018 - II ZR 312/16, BGHZ 219, 327 Rn. 19 ff.). Der Senat hat bisher offengelassen, ob die Gesellschaft bei der Einziehung statt auf den Listengesellschafter auch auf die Person des materiell berechtigten Gesellschafters abstellen darf, weil § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG seinem Wortlaut nach nur das Verhältnis des Gesellschafters zur Gesellschaft (d.h. für die Geltendmachung von Mitgliedschaftsrechten) regelt und daher im Verhältnis der Gesellschaft zum Gesellschafter (d.h. bei Mitgliedschaftspflichten, Kaduzierung, Einziehung u.a.) die Gesellschaft neben einem in der Liste eingetragenen den wahren Anteilsinhaber in Anspruch nehmen kann (vgl. BGH, Urteil vom 20. November 2018 - II ZR 12/17, BGHZ 222, 323 Rn. 71; kritisch Lieder/Becker, GmbHR 2020, 441, 447 f.; Miller, ZIP 2020, 62, 64). Nicht entschieden ist auch, ob aus diesen Gründen die sogenannte negative Legitimationswirkung infolge des Streichens in der Gesellschafterliste nur bedeutet, dass die Gesellschaft dem Gesellschafter keine Mitgliedschaftsrechte gewähren muss, oder ob sie ihn nicht mehr als Gesellschafter behandeln darf.

16        b) Der Einziehungsbeschluss vom 20. Oktober 2017 ging aber nicht schon deshalb ins Leere, weil der Geschäftsanteil infolge der Streichung in der Gesellschaferliste nicht mehr existent und der Kläger nicht mehr Inhaber des Geschäftsanteils war. Zwar ist die formale Gesellschafterstellung des von der Einziehung Betroffenen nach Streichung des Geschäftsanteils aus der Liste beendet. Dies wirkt sich jedoch nicht auf die materielle Berechtigung des Gesellschafters aus, auf die sich die Einziehung bezieht.

17        Materielle und formale Gesellschafterstellung können entkoppelt sein. Der materiell Berechtigte, aber nicht mehr in der Gesellschafterliste Aufgeführte ist zwar in der Ausübung seiner Rechte gegenüber der Gesellschaft gehindert, verliert aber nicht seine materiell-rechtliche Gesellschafterstellung. Die materiellrechtliche Gesellschafterstellung ist unabhängig von der Eintragung in der Gesellschafterliste (BGH, Urteil vom 18. Oktober 2016 - II ZR 314/15, ZIP 2017, 14 Rn. 10; Urteil vom 20. November 2018 - II ZR 12/17, BGHZ 220, 207 Rn. 35; Urteil vom 15. Januar 2019 - II ZR 392/17, BGHZ 220, 377 Rn. 3, 38; Urteil vom 2. Juli 2019 - II ZR 406/17, BGHZ 222, 323 Rn. 39, 43; zu § 16 Abs. 1 GmbHG aF BGH, Urteil vom 18. September 2018 - II ZR 312/16, BGHZ 219, 327 Rn. 38 mwN; Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen [MoMiG], BT-Drucks. 16/6140, S. 37). Auch wenn der Gesellschafter im Hinblick auf die negative Legitimationswirkung keine Mitgliedschaftsrechte gegenüber der Gesellschaft mehr geltend machen kann, ist er als materiell Berechtigter Inhaber des Geschäftsanteils, so dass er ihn beispielsweise wirksam abtreten und verpfänden kann und auch seine Gläubiger den Geschäftsanteil pfänden können (vgl. BT-Drucks. 16/6140, S. 37; BeckOK GmbHG/Wilhelmi, Stand: 1. Februar 2020, § 16 Rn. 25, 26; Verse in Henssler/Strohn, GesR, 4. Aufl., § 16 GmbHG Rn. 10; Servatius in Baumbach/Hueck, 22. Aufl., § 16 Rn. 14; Ebbing in Michalski/Heidinger/Leible/ J. Schmidt, GmbHG, 3. Aufl., § 16 Rn. 50, 92; Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 20. Aufl., § 16 Rn. 30; MünchKommGmbHG/Heidinger, 3. Aufl., § 16 Rn. 172).

18        Der Einziehungsbeschluss vom 20. Oktober 2017 ging danach nicht ins Leere, weil der Geschäftsanteil in der Gesellschafterliste als eingezogen ge- strichen war, sondern betraf trotz Streichung in der Liste einen materiell-rechtlich existenten Geschäftsanteil. Die vorausgegangenen Einziehungsbeschlüsse vom 17. April 2015 und vom 30. August 2016 waren, wie das Berufungsgericht in seinem Urteil vom 8. Mai 2019 festgestellt hat, nichtig und konnten damit den Geschäftsanteil des Klägers nicht vernichten.

19        c) Der Einziehungsbeschluss vom 20. Oktober 2017 konnte gegenüber dem Kläger gefasst werden, obwohl dieser mit seinem Geschäftsanteil nicht mehr in der aktuellen Gesellschafterliste aufgenommen war. Dabei kann dahinstehen, ob die negative Legitimationswirkung von § 16 Abs. 1 GmbHG grundsätzlich bedeutet, dass die Gesellschaft einen zwar materiell berechtigten, aber nicht in der Gesellschafterliste eingetragenen Gesellschafter weder in Anspruch nehmen noch gegen ihn vorgehen darf. Jedenfalls nach einem möglicherweise gescheiterten Einziehungsversuch kann die Gesellschaft vorsorglich erneut die Einziehung eines Geschäftsanteils beschließen, auch wenn dieser Geschäftsanteil nicht mehr in der Gesellschafterliste eingetragen oder einem Gesellschafter zugeordnet ist.

20        aa) Die Gesellschaft muss einen materiell möglichen, vorsorglichen erneuten Einziehungsbeschluss fassen können. Jedenfalls in diesem Fall ist daher die vorherige Wiederaufnahme in die Gesellschafterliste entbehrlich.

21        Im Regelfall verursacht das Auseinanderfallen von formaler und materieller Gesellschafterstellung für die Gesellschaft keine Schwierigkeiten, weil ihr Geschäftsführer gemäß § 40 Abs. 1 GmbHG berechtigt und verpflichtet ist, eine unzutreffende Gesellschafterliste zu korrigieren, unabhängig davon, wer sie eingereicht hat (vgl. BGH, Urteil vom 17. Dezember 2013 - II ZR 21/12, ZIP 2014, 216 Rn. 33). Sie kann damit den Inhaber eines Geschäftsanteils, wenn der Geschäftsführer die Überzeugung gewinnt, dass er zu Unrecht gelöscht oder sonst nicht als Anteilsinhaber aufgenommen ist, vor einem Einziehungsbeschluss wieder in eine Gesellschafterliste aufnehmen und diese einreichen.

22        Wenn nach einem Einziehungsversuch vorsorglich erneut die Einziehung beschlossen werden soll, ist dies nicht ohne weiteres möglich. Denn die Wiederaufnahme des Anteilsinhabers in die Gesellschafterliste setzt voraus, dass die Gesellschaft durch ihren Geschäftsführer die Löschung für unrichtig hält. Solange nicht rechtskräftig über die Wirksamkeit des Einziehungsbeschlusses entschieden ist, darf sie diesen und die darauf beruhende Löschung in der Gesellschafterliste aber für zutreffend erachten. Damit liegen die Voraussetzungen für eine Änderung der Gesellschafterliste, ihre Unrichtigkeit, aus der Sicht des Geschäftsführers nicht vor. Bei einer Neueintragung müsste die Gesellschaft sich auch ein widersprüchliches Verhalten vorwerfen lassen. Bei einer vorsorglichen Beschlussfassung ist dagegen der Beschluss nur für den Fall gefasst, dass der Geschäftsanteil noch besteht, und steht nicht im Widerspruch dazu, dass der vorangehende Einziehungsbeschluss für wirksam erachtet wird. Eine lediglich vorsorgliche Wiederaufnahme in die Gesellschafterliste ist, anders als die vorsorgliche Annahme der materiellen Gesellschafterstellung als Voraussetzung des erneuten Einziehungsbeschlusses, nicht möglich.

23        Wird eine Einziehung vorsorglich wiederholt, weil Zweifel an der Wirksamkeit der ersten Einziehung bestehen, ein Einziehungsgrund indes fortbesteht, ist es der Gesellschaft auch nicht zumutbar, vor der Einziehung allein zur Schaffung einer formalen Einziehungsgrundlage eine neue Liste zum Handelsregister einzureichen, die den materiell Berechtigten als Inhaber des einzuziehenden Geschäftsanteils ausweist. Dem Gesellschafter würde in diesem Fall seine formale Gesellschafterstellung einschließlich der damit verbundenen Möglichkeit, seine Mitgliedschaftsrechte gegenüber der Gesellschaft auszuüben, wieder eingeräumt, obwohl ein wichtiger Grund in seiner Person zur Einziehung berechtigt. Damit würde ermöglicht, dass er den Betrieb der Gesellschaft durch obstruktive Ausübung seiner Mitgliedschaftsrechte stört (vgl. BGH, Urteil vom 20. November 2018 - II ZR 12/17, BGHZ 220, 207 Rn. 39). Die Begründung der formalen Gesellschafterstellung würde dem von der Einziehung betroffenen Gesellschafter zudem erleichtern, sich durch Übertragung seines Geschäftsanteils der Einziehung zu entziehen.

24        bb) Der Normzweck des § 16 Abs. 1 GmbHG steht der Einziehung eines nach unwirksamer Einziehung bestehenden, aber nicht mehr in der Gesellschafterliste eingetragenen Geschäftsanteils nicht entgegen.

25        (1) Die Regelung soll zum einen zur Missbrauchs- und Geldwäschebekämpfung Transparenz über die Anteilseigner bewirken und damit Vermögensverschiebungen mit kriminellem Hintergrund auf gesellschaftsrechtlicher Grundlage verhindern. Zum anderen dient sie der Rechtssicherheit und -klarheit, indem innerhalb der Gesellschaft eindeutige Verhältnisse geschaffen werden, wer im Verhältnis zur Gesellschaft berechtigt und verpflichtet ist (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Februar 2015 - II ZB 17/14, ZIP 2015, 732 Rn. 20; Beschluss vom 26. Juni 2018 - II ZB 12/16, ZIP 2018, 1591 Rn. 21; Urteil vom 20. November 2018 - II ZR 12/17, BGHZ 220, 207 Rn. 35, 41; BT-Drucks. 16/6140 S. 37; Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Vierten EU-Geldwäscherichtlinie, BT-Drucks. 18/11555, S. 173). Der Einziehung eines bestehenden, aber nicht mehr in der Gesellschafterliste eingetragenen Geschäftsanteils steht dieses Ziel nicht entgegen, weil die Liste nach erneuter wirksamer Einziehung der materiellen Rechtslage entspricht und damit sowohl eine zutreffende Darstellung der Anteilseigner nach außen als auch Rechtssicherheit nach innen herstellt.

26        (2) Dass die formale und die materielle Gesellschafterstellung bis zur Fassung eines wirksamen Einziehungsbeschlusses möglicherweise auseinanderfallen und damit eine korrekte Nachvollziehung der Entwicklung nicht möglich ist, ist auch unter Berücksichtigung des Normzwecks hinnehmbar.

27        Es bestünde auch dann ein den Normzweck des § 16 Abs. 1 GmbHG beeinträchtigender Schwebezustand, wenn man verlangen würde, dass vor der Einziehung eine korrigierte Gesellschafterliste zum Handelsregister eingereicht werden muss, in der der Gesellschafter wieder als Inhaber des einzuziehenden Geschäftsanteils eingetragen ist (so Miller, ZIP 2020, 62, 64). Die materielle Berechtigung ist nach einer ersten, möglicherweise unwirksamen Einziehung unklar, so dass der Schwebezustand schon vorher besteht und ungewiss ist, ob die Eintragung des Gesellschafters in eine neu eingereichte Liste den materiellen Zustand richtig wiedergibt. Wenn der erste Einziehungsbeschluss wirksam war, würde eine Aufnahme in die Gesellschafterliste vor erneuter Einziehung unzutreffend einen nicht existenten Geschäftsanteil ausweisen.

28        Durch die erneute wirksame Einziehung fielen nach Voreintragung des materiell berechtigten Gesellschafters materielle und die formale Gesellschafterstellung zunächst wieder auseinander und müssten durch neuerliche Aufnahme einer geänderten Liste angepasst werden.

29        cc) Der Zulässigkeit eines vorsorglichen Einziehungsbeschlusses ohne Voreintragung des betroffenen Gesellschafters steht auch nicht entgegen, dass die Gesellschaft sich durch die vorschnelle Einreichung einer Gesellschafterliste ohne den betroffenen Gesellschafter nach den ersten Einziehungen selbst in die Lage gebracht hat, dass der vorsorglich einzuziehende Geschäftsanteil formell nicht mehr besteht.

30        Die Einreichung einer neuen Liste war verfrüht, weil sie nach § 40 Abs. 1 Satz 1 GmbHG das Wirksamwerden der Veränderung voraussetzt. Ein Einziehungsbeschluss wird mit der Mitteilung an den Betroffenen aber nur wirksam, wenn er nicht nichtig ist oder für nichtig erklärt wird (BGH, Urteil vom 24. Januar 2012 - II ZR 109/11, BGHZ 192, 236 Rn. 8). Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts im Vorprozess war der Einziehungsbeschluss nichtig. Vor Ablauf der Anfechtungsfrist und gegebenenfalls des Anfechtungsprozesses konnte der Geschäftsführer nicht sicher davon ausgehen, dass er nicht für nichtig erklärt wird.

31        Eine Pflichtverletzung des Geschäftsführers führt nach § 40 Abs. 3 GmbHG aber nur zur Schadensersatzverpflichtung des Geschäftsführers und hindert eine erneute Beschlussfassung der Gesellschafter nicht.

32        III. Das Berufungsurteil ist nicht aus anderen Gründen richtig.

33        1. Der Kläger war ausweislich der Feststellung des Berufungsgerichts zur Gesellschafterversammlung am 20. Oktober 2017 geladen worden, so dass insoweit kein Nichtigkeitsgrund besteht. Die Rechte des von der Einziehung betroffenen Gesellschafters müssen durch Ladung wie ein Gesellschafter gewahrt werden, wenn die Gesellschaft ihn hinsichtlich der Einziehung wieder als Gesellschafter behandeln will (vgl. OLG Brandenburg, GmbHR 1998, 1037, 1038; Scholz/Seibt, GmbHG, 12. Aufl., § 48 Rn. 14; Wagner, GmbHR 2016, 463, 468).

34        2. Der Kläger ist zur Erhebung der Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage gegen den Einziehungsbeschluss vom 20. Oktober 2017 befugt, obwohl er im Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Einziehung nicht mehr als Inhaber eines Geschäftsanteils in der Gesellschafterliste der Beklagten eingetragen war.

35        Es ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannt, dass dem Gesellschafter die Anfechtungsbefugnis für die Klage gegen seinen Ausschluss oder die Einziehung seines Geschäftsanteils trotz sofortiger Wirksamkeit erhalten bleibt, um der verfassungsrechtlich gebotenen Rechtsschutzmöglichkeit Geltung zu verschaffen (BGH, Urteil vom 24. Januar 2012 - II ZR 109/11, BGHZ 192, 236 Rn. 24; Urteil vom 2. Juli 2019 - II ZR 406/17, BGHZ 222, 323 Rn. 41; beide mwN). Diese Rechtsschutzmöglichkeit hängt nicht von der Eintragung des materiell berechtigten, von einem Einziehungsbeschluss betroffenen Gesellschafters als Inhaber eines Geschäftsanteils in der Gesellschafterliste ab (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Januar 2019 - II ZR 234/18, juris; Urteil vom 2. Juli 2019 - II ZR 406/17, BGHZ 222, 323 Rn. 41). Das gilt nicht nur dann, wenn zwischen der Einziehung und der Erhebung der Anfechtungsklage eine von der Gesellschaft eingereichte geänderte Gesellschafterliste, in der der betroffene Gesellschafter nicht mehr eingetragen ist, im Handelsregister aufgenommen worden ist. Der Rechtsschutz muss auch dann gewährleistet werden, wenn der Geschäftsanteil bereits im Zeitpunkt der Einziehung in der Gesellschafterliste nicht mehr geführt wird, da der Gesellschafter in gleicher Weise in seiner materiellen Gesellschafterstellung betroffen ist, wie ein Gesellschafter, dessen Geschäftsanteil nach der Einziehung, aber vor Klageerhebung aus der Gesellschafterliste gestrichen wurde.

36        Dem steht nicht entgegen, dass, wie der Senat zur Rechtslage vor dem MoMiG bereits ausgeführt hat, die Anfechtungsbefugnis nur dem nach § 16 Abs. 1 GmbHG aF zu bestimmenden rechtlichen, nicht auch dem wirtschaftlichen Gesellschafter oder dem Treugeber zusteht (vgl. BGH, Urteil vom 13. Oktober 2008 - II ZR 112/07, ZIP 2008, 2215 Rn. 11), weil damit nicht die Frage beantwortet wird, wem die Anfechtungsbefugnis zusteht, wenn eine formale Gesellschafterstellung nicht mehr begründet ist.

37        IV. Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 ZPO), weil sie noch nicht zur Endentscheidung reif ist. Das Berufungsgericht wird zu prüfen haben, ob die Einziehung aus anderen Gründen unwirksam ist.

38        Das Landgericht hat die Nichtigkeit des Einziehungsbeschlusses vom 20. Oktober 2017 festgestellt, weil im Zeitpunkt der Einziehung festgestanden habe, dass die Beklagte das dem Kläger zustehende Einziehungsentgelt nicht aus freiem Vermögen habe begleichen können. Dies ist im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend. Auszahlungen an ausgeschiedene Gesellschafter dürfen nicht zur Entstehung oder Vertiefung einer Unterbilanz führen (BGH, Urteil vom 4. August 2020 - II ZR 171/19, ZIP 2020, 1757 Rn. 31 mwN). Nach der Rechtsprechung des Senats ist ein Einziehungsbeschluss entsprechend § 241 Nr. 3 AktG wegen eines Verstoßes gegen § 30 Abs. 1 Satz 1, § 34 Abs. 3 GmbHG nichtig, wenn bereits bei Beschlussfassung feststeht, dass das Einziehungsentgelt nicht aus freiem, die Stammkapitalziffer nicht beeinträchtigenden Vermögen der Gesellschaft gezahlt werden kann (BGH, Urteil vom 26. Juni 2018 - II ZR 65/16, ZIP 2018, 1540 Rn. 13 mwN). Dazu ist eine Entscheidung durch den Senat nicht möglich, weil die Parteien zu dieser Frage im Berufungsrechtszug umfangreich vorgetragen haben und das Berufungsgericht dazu, von seinem Standpunkt aus folgerichtig, keine Feststellungen getroffen hat.

39        Die Zurückverweisung gibt dem Berufungsgericht darüber hinaus Gelegenheit, gegebenenfalls auch von der Revisionserwiderung aufgeworfenen Nichtigkeitsgründen nachzugehen.

 

 

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