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Wirtschaftsrecht
18.06.2015
Wirtschaftsrecht
SG Augsburg: Befreiung eines bei einer Steuerberatungsgesellschaft angestellten Rechtsanwalts von der Versicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI

SG Augsburg, Urteil vom 22.1.2015 – S 17 R 620/14, Berufung eingelegt (Az. Bayerisches LSG L 6 R 104/15)

Nicht amtliche LeitsÄtze

  1. 1.      Entscheidend für die Frage, ob bei Steuerberatungsgesellschaften angestellte Rechtsanwälte von der Versicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI befreit werden können, ist im Ergebnis nicht die Frage, auf wessen Rechnung der Anwalt seine Tätigkeit ausübt, sondern, ob die Tätigkeit selbst die Kriterien einer freien Berufsausübung in unreglementierter Selbstbestimmung erfüllt und sich damit als Tätigkeit eines Organs der Rechtspflege nach § 1 BRAO darstellt.
  2. 2.      Eine bedeutsame Einschränkung der freien Rechtspflegetätigkeit des angestellten Anwalts durch standeswidrige Weisungen kommt bei einem Arbeitgeber, der den gleichen Standesgrundsätzen unterliegt, nicht in Betracht.

SGB VI § 6 Abs. 1 Nr. 1

Sachverhalt

Zwischen den Beteiligten streitig ist, ob der Kläger antragsgemäß von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu befreien ist.

Der am 1973 geborene Kläger stellte am 8.11.2013 bei der Bayerischen Versorgungskammer, Rechtsanwalts- und Steuerberaterversorgung, Antrag auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch, Sechstes Buch (SGB VI). Im entsprechenden Formblattantrag bestätigte der Arbeitgeber des Klägers, die Steuerberatungsgesellschaft D. und Partner, eine Tätigkeit des Klägers in sämtlichen Bereichen der Steuerrechtspflege als Teilbereich der allgemeinen anwaltlichen Beratung. Der Kläger werde für die Mandantschaft selbstständig beratend, gestaltend und rechtsentscheidend tätig. Dem Antrag beigefügt war eine Durchschrift des Anstellungsvertrages mit Tätigkeitsbeginn zum 01.11.2013.

Die Bayerische Versorgungskammer, Rechtsanwalts- und Steuerberaterversorgung, leitete den Antrag an die Beklagte weiter und bestätigte eine seit 23.8.2007 bestehende Pflichtmitgliedschaft in der Rechtsanwaltskammer München.

Auf das Schreiben der Beklagten vom 8.11.2013, wonach die Kriterien der Rechtsentscheidung und Rechtsgestaltung nicht hinreichend erläutert seien, verwies der Kläger mit Schreiben vom 13.12.2013 darauf, dass er in einer klassischen Kanzlei für Steuerberatung und Wirtschaftsprüfung arbeite, wogegen die ergänzenden Fragestellungen der Beklagten ausschließlich an ein Wirtschafts- oder Industrieunternehmen gerichtet seien. Die Tätigkeit sei geprägt von Eigenverantwortung und Zeichnungsrecht, es werde ein eigener Mandantenstamm betreut mit sämtlichen Elementen der Vertragsgestaltung, Rechtsberatung/Steuerberatung und verfahrensrechtlicher Begleitung mit selbstständiger Durchführung von Klagen vor dem Finanzgericht oder Bundesfinanzhof.

Mit Bescheid vom 16.01.2014 lehnte die Beklagte die beantragte Befreiung von der Rentenversicherung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI ab.

Mit Widerspruchsbescheid vom 21.5.2014 wies die Beklagte den klägerischen Widerspruch als unbegründet zurück. Die Voraussetzungen einer Befreiung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI lägen nicht vor, da die Tätigkeit in der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft/Steuerberatungsgesellschaft D. & Partner nach der 4-Kriterien-Theorie keine berufsspezifische Anwaltstätigkeit darstelle. Die zum SG Augsburg erhobene Klage des Klägers hatte Erfolg.

Aus den Gründen

Die Klage ist … begründet, da der Kläger durch die ergangenen streitgegenständlichen Ablehnungsbescheide rechtswidrig beschwert ist und Anspruch auf Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI besteht.

Der Kläger übt mit seiner Beschäftigung im Anstellungsverhältnis eine grundsätzlich gemäß § 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI versicherungspflichtige Beschäftigung aus, welche bei einem über der Geringfügigkeitsgrenze liegenden Entgelt auch nicht nach §§ 5 Abs. 2 SGB VI i.V.m. 8 Sozialgesetzbuch, Viertes Buch (SGB IV) versicherungsfrei ist. Gleichzeitig ist er als zugelassener Rechtsanwalt obligatorisch Pflichtmitglied der zulassenden Rechtsanwaltskammer, § 12 BRAO und damit nach § 15 der Satzung der Bayerischen Rechtsanwalts- und Steuerberaterversorgung zugleich auch Pflichtmitglied der Rechtsanwaltsversorgung.

Voraussetzungen einer Befreiung nach § 6 Abs. 1 S 1 Nr. 1 SGB VI in der Neufassung von Art 1 Nr. 3 Buchst. a des Gesetzes zur Änderung des SGB VI

Nach § 6 Abs. 1 S 1 Nr. 1 SGB VI in der Neufassung von Art 1 Nr. 3 Buchst. a des Gesetzes zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch werden von der Versicherungspflicht befreit Beschäftigte und selbstständig Tätige für die Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit, wegen der sie aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (berufsständische Versorgungseinrichtung) und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sind, wenn

a) am jeweiligen Ort der Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit für ihre Berufsgruppe bereits vor dem 01.01.1995 eine gesetzliche Verpflichtung zur Mitgliedschaft in der berufsständischen Kammer bestanden hat,

b) für sie nach näherer Maßgabe der Satzung einkommensbezogene Beiträge unter Berücksichtigung der Beitragsbemessungsgrenze zur berufsständischen Versorgungseinrichtung zu zahlen sind und

c) aufgrund dieser Beiträge Leistungen für den Fall verminderter Erwerbsfähigkeit und des Alters sowie für Hinterbliebene erbracht und angepasst werden, wobei auch die finanzielle Lage der berufsständischen Versorgungseinrichtung zu berücksichtigen ist.

Eine Tätigkeit, die eine Pflichtmitgliedschaft in der Bayerischen Rechtsanwaltskammer und Rechtsanwaltsversorgung bedingt, erfüllt regelmäßig die unter obenstehenden Ziffern a - c genannten besonderen Befreiungsvoraussetzungen, ohne dass hierauf näher eingegangen werden muss (vgl. im Einzelnen Dankelmann in: jurisPK-SGB VI, 2. Aufl. 2013, § 6 SGB VI, Rdnr. 43 ff m.w.Nw).

Im Streitfall erfüllt der Kläger die allgemeine Befreiungsvoraussetzung, dass gerade die zu befreiende Tätigkeit auch die Ursache für die bestehende Pflichtversicherung in der Rechtsanwaltskammer bildet

Streitentscheidend ist vorliegend deshalb, inwieweit der Kläger die allgemeine Befreiungsvoraussetzung erfüllt, dass gerade die zu befreiende Tätigkeit auch die Ursache für die bestehende Pflichtversicherung in der Rechtsanwaltskammer und Rechtsanwaltsversorgung bildet. Im Ergebnis ist dies für die vorliegende Tätigkeit des Klägers zu bejahen.

Dabei weist das Gericht zunächst darauf hin, dass den insbesondere von der Beklagten zitierten höchstrichterlichen und obergerichtlichen Entscheidungen betreffend der Tätigkeit zugelassener Anwälte im Angestelltenverhältnis für nicht anwaltliche Arbeitgeber (Syndikus-Anwalt) deutlich abweichende Sachverhalte zu Grunde lagen. So hat das BSG zuletzt mit Urteilen vom 03.04.2014 , Az: B 5 RE 13/14 R, B 5 RE 9/14 R und B 5 RE 3/14 über die Befreiungsanträge von zugelassenen Rechtsanwälten entschieden, welche in ihrem Angestelltenverhältnis wesentlich mit der Beratung und Vertretung der Rechtsangelegenheiten ihres Arbeitgebers selbst befasst sind und keine der Sache nach unabhängige Beratungstätigkeit gegenüber Dritten i.S. des § 3 BRAO ausüben.

Die auf den zitierten Entscheidungen gründende Auffassung der Beklagten, dass Syndikus-Anwälte generell keinen Anspruch auf Befreiung hätten, lässt die nach Auffassung des Gerichts wesentliche Unterscheidung außer Acht, ob Inhalt der Tätigkeit die rechtliche Beratung und Vertretung des Unternehmens selbst ist (dann keine Befreiung möglich), oder aber, ob eine anwaltsgleiche, eigenverantwortliche und in der Sache nicht weisungsgebundene Beratung und Vertretung von Mandaten des Unternehmens erfolgt.

Ob die ausgeübte Tätigkeit selbst die Pflichtmitgliedschaften in Rechtsanwaltskammer und Rechtsanwaltsversorgung im Sinne des § 6 Abs. 1 S 1 Nr. 1 SGB VI bedingt oder eine Pflichtversicherung nach der sog. Doppelberufstheorie nur aufgrund der für die streitgegenständliche Angestelltentätigkeit eigentlich nicht erforderlichen Rechtsanwaltszulassung eintritt, erfordert die Unterscheidung, ob überhaupt im Sinne der verwendeten Definition des Syndikusanwalts eine beratende und entscheidende Tätigkeit für die Belange des Unternehmens erfolgt (z.B. in der Rechtsabteilung/Steuerabteilung eines Großunternehmens), oder ob die Tätigkeit zwar im Anstellungsverhältnis auf Rechnung des Unternehmens ausgeübt wird, sich aber inhaltlich und standesrechtlich als anwaltliche Tätigkeit gleich einem Organ der Rechtspflege mit freier Entscheidungsbefugnis darstellt.

Stellt sich die Tätigkeit in diesem Sinne als freie, dem eigenen Gewissen unterworfene beratende und allgemein vertretende Tätigkeit dar, welche im Einklang mit den Einschränkungen der Vertretungsbefugnis für die Belange des eigenen Dienstherrn steht i.S. des § 46 BRAO, entspricht auch diese innerhalb einer Unternehmensgesellschaft erfolgende Tätigkeit in allen wesentlichen Punkten einer Rechtsanwaltstätigkeit nach §§ 1 ff BRAO. Die Möglichkeit, eine Anwaltstätigkeit auch im Angestelltenverhältnis der Sache nach frei und unabhängig auszuüben, ergibt sich dabei direkt aus § 46 BRAO (vgl. BayLSG, Urteil vom 18.12.2013, L 14 R 816/12, Rdnr. 43).

Dabei ist es bereits verfassungsrechtlich geklärt, dass die Zulässigkeit der Bildung einer Partnergesellschaft i.S. einer Gesellschaft von Rechtsanwälten nach § 59c BRAO oder einer beruflichen Zusammenarbeit von Mitgliedern einer Rechtsanwaltskammer mit Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern zur gemeinschaftlichen Berufsausübung i.S. des § 59a BRAO nicht davon abhängt, dass die Geschäftsführung der Gesellschaft mehrheitlich durch Rechtsanwälte erfolgt und diesen die Mehrheit der Geschäftsanteile und Stimmrechte zustehen muss, vgl. BVerfGE vom 14.01.2014 I 111 - 1 BvR 2998/11, 1 BvR 236/12.

Dies bedeutet, dasseine anwaltliche Tätigkeit im Angestelltenverhältnis entgegen der Auffassung der Beklagten auch dann vorliegen kann, wenn es sich um einen nicht anwaltlichen Arbeitgeber handelt. Ob eine freie Anwaltstätigkeit vorliegt, welche dem Standesrecht unterliegt und als Organ der Rechtspflege ausgeübt wird, ist individuell nach dem jeweiligen zu Grunde liegenden Beschäftigungsverhältnis zu beurteilen. Dabei ist eine mit der erforderlichen institutionellen Unabhängigkeit des tätigen Anwalts vereinbare Anstellung auch bei einem nicht anwaltlichen Arbeitgeber zumindest dann möglich, wenn dieser selbst vergleichbaren standesrechtlichen Pflichten zur unabhängigen Wahrung der Belange des Mandanten unterläge, würde er die im Rahmen des Beschäftigungsverhältnisses übertragene Beratung und Vertretung des Mandanten selbst übernehmen (vgl. Singer, BRAK-Mitteilungen 6/2014, S. 287, Ziffer 4c). Vorliegend unterliegen die Gesellschafter der D. & Partner mbB als Steuerberater selbst vergleichbaren standesrechtlichen Pflichten, vgl. §§ 1 Abs. 1 BOStB, 33 StBerG. Auch § 58 StBerG regelt vergleichbar wie § 46 BRAO die Möglichkeit einer freien Ausübung des Berufes als Steuerberater im Angestelltenverhältnis. Der Kläger muss daher bei seiner Tätigkeit nicht befürchten, mit aus unternehmerischen Gesichtspunkten getroffenen Weisungen seines Arbeitgebers zulasten der Interessen der von ihm vertretenen Mandanten in Konflikt zu kommen.

Das BSG hat insoweit unter Verweis auf die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts und des BGH zum Bild des Anwaltsberufes betont, dass eine beratende Tätigkeit des Syndikus-Anwalts für seinen Dienstherrn nicht dem Berufsbild des Anwalts als unabhängiges Organ der Rechtspflege entspricht und typische Wesensmerkmale der freien Berufsausübung, die das Bild des Anwalts bestimmen, nicht gegeben sind (vgl. BSG, Urteil vom 03.04.2014, B 5 RE 13/14 R, Rdnr. 35 ff m.w.Nw.).

Damit hat das BSG zugleich den Rahmen einer Abgrenzung und Unterscheidung innerhalb der Gruppe der bei einem Dienstherren angestellten Anwälten gesteckt. Entscheidend ist im Ergebnis nicht die Frage, auf wessen Rechnung der Anwalt seine Tätigkeit ausübt, sondern, ob die Tätigkeit selbst die Kriterien einer freien Berufsausübung in unreglementierter Selbstbestimmung erfüllt und sich damit als Tätigkeit eines Organs der Rechtspflege nach § 1 BRAO darstellt.

Nach dem Anstellungsvertrag und den Angaben des Klägers und seines Arbeitgebers im Verwaltungsverfahren erfolgt die steuerrechtliche Beratung und Vertretung Dritter durch den Kläger eigenverantwortlich und inhaltlich weisungsfrei. Die Befragung des Klägers in der mündlichen Verhandlung hat ergeben, dass dieser insbesondere Rechtsangelegenheiten aus dem Steuerrecht mit fachübergreifenden Berührungen erbrechtlicher und gesellschaftsrechtlicher Fragen gleich einem Anwalt bearbeitet, in dem er beratend, kautelarjuristisch, vertretend und entscheidend tätig wird. Insbesondere gleicht auch die erfolgende Mandantenvertretung vor Finanzverwaltung und Finanzgericht in jeder Hinsicht einer freien Anwaltstätigkeit. Vorgaben und Entscheidungsvorbehalte werden vom Arbeitgeber nicht gemacht und sind auch nicht zu befürchten. Eine bedeutsame Einschränkung der freien Rechtspflegetätigkeit des Klägers durch standeswidrige Weisungen kommt bei einem Arbeitgeber, der den gleichen Standesgrundsätzen unterliegt, nicht in Betracht.Eine etwaige verbleibende allgemeine Weisungsbefugnis des klägerischen Arbeitgebers unterscheidet sich nicht von der für die Annahme einer freien Rechtspflege unschädlichen allgemeinen Weisungsbefugnis, wie sie arbeitsgebende Rechtsanwälte über angestellte Kollegen zur Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Betriebsablaufs ausüben.

Damit erfüllt die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit alle Kriterien für eine Befreiung nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI, so dass der Klage … stattzugeben war.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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