OLG Frankfurt: Beauftragtenhaftung für Call-Center
OLG Frankfurt, Urteil vom 11.8.2011 - 6 U 182/10
Leitsatz
Begeht ein Call-Center, das im Auftrag eines Versicherungsunternehmens Kunden telefonisch zum Abschluss eines Versicherungsvertrages mit diesem Unternehmen zu veranlassen sucht, anlässlich dieser Telefongespräche Wettbewerbsverstöße, hat das Versicherungsunternehmen hierfür nach den Vorschriften über die Beauftragtenhaftung wettbewerbsrechtlich auch dann einzustehen, wenn das Call-Center die Daten der anzurufenden Personen aus seinem eigenen Bestand entnimmt.
Sachverhalt
Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Das Landgericht hat die Beklagte unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel verurteilt, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr Verbraucher unter deren privaten Telefonanschlüssen anzurufen oder anrufen zu lassen, um diesen Versicherungsverträge anzubieten, sofern vorab eine Einwilligung des angerufenen Verbrauchers zu einem derartigen Werbeanruf nicht vorliegt. Zur Begründung hat es ausgeführt, die beanstandeten Werbeanrufe der A GmbH bei den Zeugen Z1 und Z2 am 17.11.2009, 02.02. und 09.09.2010 stellten eine unzumutbare Belästigung gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG dar, da nach dem Parteivortrag davon auszugehen sei, dass sie ohne die für einen derartigen Werbeanruf erforderliche vorherige ausdrückliche Einwilligung der angerufenen Verbraucher erfolgt seien. Hierfür trage der Werbende, mithin die Beklagte, die Beweislast.
Sie sei auch für das wettbewerbswidrige Verhalten der A GmbH gemäß § 8 Abs. 2 UWG verantwortlich, da es sich bei der A um eine Beauftragte der Beklagten im Sinne dieser Vorschrift handele.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Die Beklagte ist der Auffassung, das Verhalten der A GmbH könne ihr nicht zugerechnet werden, da sie keinen bestimmenden und durchsetzbaren Einfluss auf dieses selbständige Unternehmen habe. Die Beklagte argumentiert weiter, die Wiederholungsgefahr sei weggefallen, nachdem die A durch das Landgericht Offenburg rechtskräftig zur Unterlassung des auch hier beanstandeten Verhaltens verurteilt worden sei. Dass der Kläger dessen ungeachtet weiterhin auch gegen sie vorgehe, sei zudem rechtsmissbräuchlich.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil.
Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst ihren Anlagen Bezug genommen.
Aus den Gründen
II.
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
Die Klage ist zulässig, das Vorgehen des Klägers stellt sich insbesondere nicht als rechtsmissbräuchlich gemäß § 8 Abs. 4 UWG dar. Danach ist die Geltendmachung der in Abs. 1 bezeichneten Ansprüche unzulässig, wenn sie unter Berücksichtigung der gesamten Umstände missbräuchlich ist, insbesondere wenn sie vorwiegend dazu dient, gegen den Zuwiderhandelnden einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder Kosten der Rechtsverfolgung entstehen zu lassen. Dass den Kläger vorwiegend sachfremde Ziele in diesem Sinne zur Rechtsverfolgung bewogen hätten, ist nicht erkennbar. Der Kläger hat ein berechtigtes, schutzwürdiges Interesse daran, gegen jede Person vorzugehen, die Täterin der beanstandeten Verletzungshandlungen ist. Im Anwendungsbereich des § 8 Abs. 2 UWG, der nachfolgend noch erörtert werden wird, besteht gegen den Unternehmer ein eigenständiger Unterlassungsanspruch, der von dem Schicksal von Ansprüchen gegen den unmittelbar handelnden Beauftragten unabhängig ist. Daher berührt die Verurteilung des Beauftragten die Verpflichtung des Unternehmers nicht. Besondere Voraussetzungen gelten für den Kläger auch nicht etwa deshalb, weil er schon mit der Verfolgung der A GmbH seinen Satzungszweck erfüllen würde. Das ist nicht der Fall. Eine Verurteilung der A stellt den Kläger in Bezug auf die Beklagte nicht klaglos, weil diese jederzeit ein anderes, in gleicher Weise unlauter handelndes Unternehmen beauftragen könnte.
Die Klage ist gemäß §§ 8, 7 Abs.2 Nr. 2 UWG auch begründet.
Die Beklagte ist gemäß § 8 Abs. 2 UWG passivlegitimiert, denn die Firma A GmbH ist als Beauftragte im Sinne dieser Vorschrift für die Beklagte tätig geworden. Beauftragter im Sinne des § 8 Abs. 2 UWG kann auch ein selbständiges Unternehmen sein, das in die betriebliche Organisation des Betriebsinhabers in einer Weise eingegliedert ist, dass der Erfolg seiner Geschäftstätigkeit den Betriebsinhaber zugute kommt und dieser auf das Unternehmen einen bestimmenden und durchsetzbaren Einfluss hat; ob der Betriebsinhaber von der Möglichkeit Gebrauch macht, diesen Einfluss auszuüben, spielt dabei keine Rolle (BGH GRUR 2011, 543, 544 - Änderung der Voreinstellung III). Erforderlich ist, dass sich - anders als bei den üblichen Lieferbeziehungen zwischen dem Großhandel und dem Einzelhandel - die Einflussmöglichkeiten des Betriebsinhabers auf alle das Vertriebssystem des Vertriebspartners kennzeichnenden wesentlichen Vorgänge erstrecken und dass auch die von den Kunden zu treffenden Maßnahmen zwangsläufig vom Willen des Betriebsinhabers abhängen (BGH, a.a.O.). Dies hat der BGH in der zitierten Entscheidung verneint im Falle eines Resellers als selbständigem „Absatzmittler", dessen wirtschaftliche Funktion dadurch gekennzeichnet ist, dass er Endkunden Telekommunikationsdienstleistungen anbietet, die er in Ermangelung eines dafür erforderlichen Netzes nicht selbst erbringen kann, sich vielmehr selbst hinsichtlich dieser Leistung bei Netzbetreibern „eindecken" muss. Dabei ist der BGH davon ausgegangen, dass sich das Vertragsverhältnis zwischen dem Reseller und den Netzbetreibern auf den Leistungsaustausch von Telekommunikationsdienstleistungen gegen Zahlung eines Entgelts beschränkt.
Der entscheidende Unterschied zu dem hier zu entscheidenden Fall liegt darin, dass der Endkunde vertragliche Beziehungen allein zu dem Reseller unterhält. Der Reseller vermittelt also keine Leistungen, sondern vertreibt eine selbst erworbene Leistung weiter. Demgegenüber vermittelt die A die Versicherungsprodukte der Beklagten. Während der Reseller also in Ausübung seiner Verfügungsgewalt über von ihm erworbene Produkte handelt, bewirbt die A ein fremden, ihr nicht gehörendes Produkt. Sie wird sozusagen als ausgelagerte Marketingabteilung der Beklagten tätig. Hieraus folgt ungeachtet der rechtlichen Selbständigkeit der A die Einflussnahmemöglichkeit der Beklagten.
Der Einwand des Justitiars der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, die Beklagte habe keine Einflussmöglichkeit auf den Datenbestand der Kunden, welcher der A gehöre, ist sicher richtig und der entscheidende Grund für die Zusammenarbeit mit der Firma A. Um Einflussnahmemöglichkeiten auf diesem Gebiet geht es jedoch bei der Frage einer Haftung nach § 8 Abs. 2 UWG auch nicht. Hier ist allein entscheidend, dass die Firma A fremde, nicht in ihrer eigenen Verfügungsgewalt, sondern in der der Beklagten befindliche Produkte vermittelt und die Beklagte mithin rechtlich die Möglichkeit hat, die Vertragsbeziehungen zu der Firma A, vergleichbar denen mit einem abhängig Beschäftigten, so auszugestalten, dass unlautere Wettbewerbshandlungen unterbleiben - beispielsweise durch strafbewehrte Verpflichtungserklärungen der Firma A bis hin zur fristlosen Kündigung im Falle der Nichtbeachtung der Vorgaben der Beklagten.
Anhaltspunkte dafür, dass die Vorschrift des § 8 Abs. 2 UWG oder eine ihrer gleichlautenden Vorgängervorschriften verfassungswidrig sein könnten, bestehen nicht. Es ist nicht erkennbar, inwieweit es die Beklagte in ihren Grundrechten verletzen könnte, für das Verhalten von in ihrer Absatzorganisation eingegliederte Personen verantwortlich zu sein, auf die sie einen entsprechenden Einfluss ausüben kann.
Der Tatbestand des § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG ist erfüllt. Die Darlegungs- und Beweislast für die vorherige ausdrückliche Einwilligung des Verbrauchers liegt nach dem Wortlaut dieser Norm bei dem Werbenden, hier also bei der Beklagten. Dem ist die Beklagte nicht nachgekommen.
Schließlich ist die Wiederholungsgefahr für diesen Unterlassungsanspruch nicht dadurch entfallen, dass die Firma A vor dem Landgericht Offenburg rechtskräftig zur Unterlassung verurteilt worden ist. Wie bereits dargelegt, statuiert die Vorschrift des § 8 Abs. 2 UWG eigene Ansprüche gegen den Unternehmer, deren Schicksal von denen gegen den unmittelbar Handelnden unabhängig ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor. Maßgebend für die getroffene Entscheidung waren die konkreten Umstände des vorliegenden Einzelfalles, die das Gericht auf der Grundlage anerkannter Rechtsgrundsätze bewertet hat.