EuGH: Bargeldakteure – Zur Geltung der EZB/2010/14 / EZB/2012/19 (Prüfung der Echtheit und Umlauffähigkeit und über Wiederausgabe von Euro-Banknoten)
EuGH, Urteil vom 20.4.2023 – C-772/21, „Brink’s Lithuania“ UAB gegen Lietuvos bankas
ECLI:EU:C:2023:305
Volltext: BB-Online BBL2023-961-2
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Tenor
1. Art. 6 Abs. 2 des Beschlusses EZB/2010/14 der Europäischen Zentralbank vom 16. September 2010 über die Prüfung der Echtheit und Umlauffähigkeit und über die Wiederausgabe von Euro-Banknoten in der Fassung des Beschlusses EZB/2012/19 der Europäischen Zentralbank vom 7. September 2012 ist wie folgt auszulegen:
Die in dieser Bestimmung genannten Mindeststandards gelten nicht für Bargeldakteure, wenn diese eine automatisierte Umlauffähigkeitsprüfung von Euro-Banknoten vornehmen.
Art. 3 Abs. 1 und Art. 10 Abs. 1 des Beschlusses EZB/2010/14 in geänderter Fassung in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1338/2001 des Rates vom 28. Juni 2001 zur Festlegung von zum Schutz des Euro gegen Geldfälschung erforderlichen Maßnahmen in der durch die Verordnung (EG) Nr. 44/2009 des Rates vom 18. Dezember 2008 geänderten Fassung sind hingegen wie folgt auszulegen:
Die Bargeldakteure müssen die Maßnahmen ergreifen, die erforderlich sind, um Abhilfe zu schaffen, wenn sich bei einer Prüfung durch eine nationale Zentralbank eines Mitgliedstaats, dessen Währung der Euro ist, herausgestellt hat, dass die Banknotenbearbeitungsgeräte der Bargeldakteure nicht dazu in der Lage sind, unter Einhaltung einer Toleranzschwelle von bis zu 5 % zu erkennen, dass die Euro-Banknoten nicht zur Wiederausgabe geeignet sind.
2. Art. 6 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 5 des Beschlusses EZB/2010/14 in der durch den Beschluss EZB/2012/19 geänderten Fassung ist wie folgt auszulegen:
Er steht dem entgegen, dass ein Mitgliedstaat Bargeldakteure dazu verpflichtet, bei der automatisierten Prüfung der Umlauffähigkeit von Euro-Banknoten die in diesem Art. 6 Abs. 2 genannten Mindeststandards der Europäischen Zentralbank einzuhalten.
Aus den Gründen
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 6 Abs. 2 des Beschlusses EZB/2010/14 der Europäischen Zentralbank vom 16. September 2010 über die Prüfung der Echtheit und Umlauffähigkeit und über die Wiederausgabe von Euro-Banknoten (ABl. 2010, L 267, S. 1) in der Fassung des Beschlusses EZB/2012/19 der Europäischen Zentralbank vom 7. September 2012 (ABl. 2012, L 253, S. 19) (im Folgenden: Beschluss EZB/2010/14) sowie die Wirksamkeit des Rechtsakts mit dem Titel „Mindeststandards für die automatisierte Umlauffähigkeitsprüfung von Euro-Banknoten durch Banknotenbearbeitungsgeräte“ (im Folgenden: Mindeststandards für die automatisierte Überprüfung), der auf der Website der Europäischen Zentralbank (EZB) veröffentlicht ist.
2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der „Brink’s Lithuania“ UAB und der Lietuvos bankas (Litauische Nationalbank) wegen einer Entscheidung, mit der diese nationale Zentralbank Brink’s Lithuania aufgegeben hat, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die Toleranzschwelle ihrer Banknotenbearbeitungsgeräte, die bei der automatisierten Prüfung der Umlauffähigkeit von zur Wiederausgabe bestimmten Euro-Banknoten eingesetzt werden, auf höchstens 5 % zu reduzieren.
Rechtlicher Rahmen
Verordnung Nr. 1338/2001
3 Der Gegenstand der Verordnung (EG) Nr. 1338/2001 des Rates vom 28. Juni 2001 zur Festlegung von zum Schutz des Euro gegen Geldfälschung erforderlichen Maßnahmen (ABl. 2001, L 181, S. 6) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 44/2009 des Rates vom 18. Dezember 2008 (ABl. 2009, L 17, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 1338/2001) ist gemäß ihrem Art. 1 Abs. 1 die Festlegung von Maßnahmen, die im Hinblick auf den Umlauf von Euro-Banknoten und -Münzen unter Bedingungen, die diese gegen Geldfälschung schützen, notwendig sind.
4 Der vierte Erwägungsgrund der Verordnung lautet:
„Die Maßnahmen gegen Euro-Fälschungen betreffen die Gemeinschaft aufgrund ihrer Zuständigkeiten für die einheitliche Währung. Der rechtliche Schutz des Euro lässt sich durch die einzelnen Mitgliedstaaten nicht zufrieden stellend sicherstellen, da die Euro-Banknoten und -Münzen auch außerhalb der Hoheitsgebiete der teilnehmenden Mitgliedstaaten in Umlauf gebracht werden. Daher sind gemeinschaftliche Rechtsvorschriften zur Festlegung von Maßnahmen anzunehmen, die im Hinblick auf den Umlauf von Euro-Banknoten und -Münzen unter Bedingungen notwendig sind, die ihren globalen, wirksamen und homogenen Schutz vor Tätigkeiten gewährleisten, die der Glaubwürdigkeit des Euro schaden könnten; es sind ferner die geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, damit das Instrumentarium rechtzeitig vor dem 1. Januar 2002 zur Verfügung steht.“
5 In Art. 6 („Pflichten der Institute, zu deren Aufgaben die Bearbeitung und Ausgabe von Banknoten und Münzen gehört“) der Verordnung heißt es:
„(1) Die Kreditinstitute und – im Rahmen ihrer Zahlungstätigkeit – die anderen Zahlungsdienstleister sowie alle anderen Wirtschaftssubjekte, zu deren Aufgaben die Bearbeitung und Ausgabe von Banknoten und Münzen gehört, einschließlich
…
– Geldtransportunternehmen,
…
sind verpflichtet, sicherzustellen, dass die Euro-Banknoten und ‑Münzen, die sie erhalten haben und wieder in Umlauf geben wollen, auf ihre Echtheit geprüft werden, und dafür Sorge zu tragen, dass Fälschungen aufgedeckt werden.
Bei den Euro-Banknoten erfolgt diese Prüfung entsprechend den von der EZB festgelegten Verfahren.
Die in Absatz 1 genannten Institute und Wirtschaftssubjekte sind verpflichtet, alle Euro-Banknoten und -Münzen, die sie erhalten haben und bei denen sie wissen oder ausreichende Gründe zu der Annahme haben, dass es sich um Fälschungen handelt, aus dem Verkehr zu ziehen. Sie übermitteln die betreffenden Banknoten und Münzen unverzüglich den zuständigen nationalen Behörden.
…
(2) Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die in Absatz 1 genannten Institute, die die ihnen nach Absatz 1 obliegenden Pflichten missachten, mit Sanktionen belegt werden, die wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sind.
(3) Unbeschadet der von der EZB vorgesehenen Fristen für die Anwendung der von ihr festgelegten Verfahren erlassen die Mitgliedstaaten spätestens bis zum 31. Dezember 2011 die Rechts- und Verwaltungsvorschriften zur Durchführung von Absatz 1 Unterabsatz 1 dieses Artikels. Sie setzen die [Europäische] Kommission und die EZB unverzüglich hiervon in Kenntnis.“
Beschluss EZB/2010/14
6 Der zweite Erwägungsgrund des Beschlusses EZB/2010/14 lautet:
„Zum Schutz der Integrität der Euro-Banknoten und um eine ordnungsgemäße Erkennung von Fälschungen zu ermöglichen, müssen die in Umlauf befindlichen Euro-Banknoten in gutem Zustand erhalten bleiben, damit sie einfach und zuverlässig auf Echtheit geprüft werden können; daher müssen Euro-Banknoten auf ihre Umlauffähigkeit geprüft werden. Darüber hinaus müssen fälschungsverdächtige Banknoten rasch erkannt und den zuständigen nationalen Behörden übergeben werden.“
7 Art. 1 („Anwendungsbereich“) des Beschlusses bestimmt:
„Dieser Beschluss legt einheitliche Regeln und Verfahren für die Prüfung der Echtheit und Umlauffähigkeit und für die Wiederausgabe von Euro-Banknoten gemäß Artikel 6 Absatz 1 der Verordnung … Nr. 1338/2001 fest.“
8 In Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) des Beschlusses heißt es:
„Für die Zwecke dieses Beschlusses bezeichnet der Ausdruck
1. ‚NZB‘ die nationale Zentralbank eines Mitgliedstaats, dessen Währung der Euro ist;
2. ‚Bargeldakteure‘ die in Artikel 6 Absatz 1 der Verordnung … Nr. 1338/2001 erwähnten Institute und Wirtschaftssubjekte;
3. ‚Wiederausgabe‘ den Vorgang, durch den Bargeldakteure Euro-Banknoten, die sie entweder aus der Öffentlichkeit als Zahlung oder als Gutschrift auf ein Bankkonto oder von einem anderen Bargeldakteur erhalten haben, unmittelbar oder mittelbar wieder in Umlauf bringen;
4. ‚Banknotenbearbeitungsgerät‘ ein in Anhang I definiertes kunden- oder beschäftigtenbedientes Gerät;
5. ‚Banknotenbearbeitungsgerätetyp‘ ein Banknotenbearbeitungsgerät, das gemäß Anhang I von anderen Banknotenbearbeitungsgeräten unterschieden werden kann;
6. ‚einheitliche Testverfahren‘ die von der EZB festgelegten Testverfahren, die die NZBen anzuwenden haben, um Typen von Banknotenbearbeitungsgeräten zu testen;
…
11. ‚nicht umlauffähige Euro-Banknoten‘ Euro-Banknoten, die nach der in Artikel 6 erwähnten Überprüfung der Umlauffähigkeit als zur Wiederausgabe nicht geeignet beurteilt werden;
…“
9 Art. 3 („Allgemeine Grundsätze“) Abs. 1 und Abs. 3 bis 5 des Beschlusses EZB/2010/14 sieht vor:
„(1) Die Bargeldakteure kommen ihrer Verpflichtung, Euro-Banknoten auf Echtheit und Umlauffähigkeit zu prüfen, entsprechend der in diesem Beschluss festgelegten Verfahren nach.
…
(3) Die Prüfung der Echtheit und Umlauffähigkeit wird entweder durch einen Banknotenbearbeitungsgerätetyp, der von einer NZB erfolgreich getestet wurde, oder manuell durch einen geschulten Mitarbeiter durchgeführt.
(4) Euro-Banknoten können nur dann durch kundenbediente Automaten oder Geldautomaten wieder ausgegeben werden, wenn sie auf Echtheit und Umlauffähigkeit durch einen Banknotenbearbeitungsgerätetyp, der von einer NZB erfolgreich getestet wurde, geprüft und als echt und umlauffähig eingestuft wurden. Diese Anforderung gilt jedoch nicht für Euro-Banknoten, die einem Bargeldakteur unmittelbar durch eine NZB oder durch einen Bargeldakteur überbracht worden sind, der die Euro-Banknoten bereits auf diese Weise auf Echtheit und Umlauffähigkeit geprüft hat.
(5) Beschäftigtenbediente Automaten, die zum Zwecke der Prüfung der Echtheit und Umlauffähigkeit verwendet werden, … können von Bargeldakteuren nur dann in Betrieb genommen werden, wenn diese erfolgreich durch eine NZB getestet und auf der Webseite der EZB gemäß Artikel 9 Absatz 2 aufgeführt wurden. Die Automaten werden nur für jene auf der Webseite der EZB für die entsprechenden Automaten aufgelisteten Euro-Banknotenstückelungen und ‑serien in ihren erfolgreich getesteten Werkseinstellungen einschließlich aller etwaigen Aktualisierungen verwendet, sofern sich die NZB und der Bargeldakteur nicht auf strengere Einstellungen geeinigt haben.“
10 Art. 6 („Erkennung von nicht umlauffähigen Euro-Banknoten“) Abs. 2 und 3 des Beschlusses bestimmt:
„(2) Die automatisierte Umlauffähigkeitsprüfung wird mittels eines erfolgreich getesteten Banknotenbearbeitungsgeräts gemäß den auf der Webseite der EZB veröffentlichten Mindeststandards in ihrer jeweils gültigen Fassung durchgeführt.
(3) Eine NZB kann nach Unterrichtung der EZB strengere Standards für eine oder mehrere Stückelungen oder Serien von Euro-Banknoten festlegen, sofern dies zum Beispiel wegen einer Verschlechterung der Qualität der in ihrem Mitgliedstaat in Umlauf befindlichen Euro-Banknoten gerechtfertigt ist. Diese strengeren Standards werden auf der Webseite dieser NZB veröffentlicht.“
11 Art. 9 („Einheitliche Testverfahren des Eurosystems für Banknotenbearbeitungsgeräte“) des Beschlusses lautet:
„(1) Die NZBen testen die Banknotenbearbeitungsgerätetypen im Einklang mit den einheitlichen Testverfahren.
(2) Alle erfolgreich getesteten Banknotenbearbeitungsgerätetypen werden für die Dauer der Gültigkeit der Testergebnisse gemäß Absatz 3 auf der Webseite der EZB aufgeführt. Ein Banknotenbearbeitungsgerätetyp, der während dieses Zeitraums nicht mehr imstande ist, alle falschen Euro-Banknoten zu erkennen, wird im Einklang mit einem durch die EZB festgelegten Verfahren von der Liste gestrichen.
(3) Die Testergebnisse eines erfolgreich getesteten Banknotenbearbeitungsgerätetypen bleiben im gesamten Euro-Währungsgebiet für ein Jahr ab dem Ende des Monats, in welchem der Test durchgeführt wurde, gültig, sofern das Gerät in dem jeweiligen Zeitraum imstande bleibt, sämtliche dem Eurosystem bekannten falschen Euro-Banknoten zu erkennen.
(4) Das Eurosystem haftet nicht, wenn ein erfolgreich getesteter Banknotenbearbeitungsgerätetyp nicht imstande ist, Euro-Banknoten im Einklang mit Anhang IIa oder IIb einzustufen und zu behandeln.“
12 Art. 10 („Überwachungstätigkeiten und Korrekturmaßnahmen des Eurosystems“) des Beschlusses bestimmt:
„(1) Die NZBen sind gemäß den Anforderungen des nationalen Rechts berechtigt, i) in den Geschäftsräumen der Bargeldakteure Prüfungen vor Ort – auch unangekündigt – durchzuführen, um deren Banknotenbearbeitungsgeräte zu überwachen, insbesondere im Hinblick auf die Fähigkeit der Automaten, Prüfungen der Echtheit und Umlauffähigkeit vorzunehmen und fälschungsverdächtige Euro-Banknoten sowie Euro-Banknoten, deren Echtheit nicht eindeutig festgestellt werden kann, auf den Kontoinhaber zurückzuverfolgen, und ii) die für den Betrieb und die Kontrolle des Banknotenbearbeitungsgeräts geltenden Verfahren, die Behandlung der überprüften Euro-Banknoten und manuelle Prüfungen der Echtheit und Umlauffähigkeit zu verifizieren.
…
(3) Erkennt eine NZB einen Verstoß eines Bargeldakteurs gegen Bestimmungen dieses Beschlusses, so verpflichtet sie den Bargeldakteur, innerhalb einer bestimmten Frist Korrekturmaßnahmen durchzuführen. Die NZB, die die Verpflichtung ausspricht, kann im Namen der EZB dem Bargeldakteur die Wiederausgabe der Euro-Banknotenstückelung(en) der betreffenden Serien untersagen, bis der Verstoß behoben ist. Ist der Verstoß auf ein Versagen eines Banknotenbearbeitungsgerätetyps zurückzuführen, kann dies zu dessen Entfernung von der Liste gemäß Artikel 9 Absatz 2 führen.
(4) Arbeitet ein Bargeldakteur in Bezug auf eine Prüfung nicht mit der entsprechenden NZB zusammen, wird dies als Verstoß angesehen.“
Beschluss EZB/2012/19
13 Der dritte Erwägungsgrund des Beschlusses EZB/2012/19 lautet:
„Die in Anhang IIIa des Beschlusses EZB/2010/14 festgelegten Mindeststandards für die automatisierte Überprüfung der Umlauffähigkeit von Euro-Banknoten stellen Anforderungen an die Funktionalitäten der Banknotenbearbeitungsgeräte dar. Diese betreffen daher nur Hersteller von Banknotenbearbeitungsgeräten und haben keine Auswirkungen auf die Prüfungsverfahren der Echtheit und Umlauffähigkeit gemäß dem Beschluss EZB/2010/14, die von Bargeldakteuren einzuhalten sind. Da sie nicht in den Anwendungsbereich des Beschlusses EZB/2010/14 fallen, sollten die Mindeststandards für die automatisierte Überprüfung der Umlauffähigkeit in die Regeln und Verfahren für Tests der Banknotenbearbeitungsgeräte, Datenerhebung und Überwachung aufgenommen werden.“
Mindeststandards für die automatisierte Überprüfung
14 Art. 6 des Beschlusses EZB/2010/14 in seiner ursprünglichen Fassung verwies auf seinen Anhang IIIa („Mindeststandards für die automatisierte Überprüfung der Umlauffähigkeit von Euro-Banknoten“). Dieser Anhang wurde durch den Beschluss EZB/2012/19 aufgehoben. Seit dem Inkrafttreten dieses Beschlusses werden diese Mindeststandards für die automatisierte Überprüfung gemäß Art. 6 Abs. 2 des Beschlusses EZB/2010/14 auf der Website der EZB veröffentlicht. In ihrer auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung sahen die Mindeststandards für die automatisierte Überprüfung u. a. vor:
„Die zulässige Toleranzschwelle bei der Prüfung der Umlauffähigkeit durch Banknotenbearbeitungsgeräte liegt bei 5 %. Das bedeutet, dass höchstens 5 % der Euro-Geldscheine, die den Umlauffähigkeitskriterien nicht entsprechen, von den Geräten falsch eingestuft und als umlauffähig sortiert werden dürfen.“
Leitlinie EZB/2010/NP16
15 Die Leitlinie EZB/2010/NP16 der Europäischen Zentralbank vom 16. September 2010 über Regeln und Verfahren für Tests der Banknotenbearbeitungsgeräte, Datenerhebung und Überwachung in der durch die Leitlinie EZB/2012/NP20 vom 7. September 2012 geänderten Fassung (im Folgenden: Leitlinie EZB/2010/NP16) ist ein vertrauliches Dokument, zu dem nur die EZB und die NZBen Zugang haben. Auf Ersuchen des Gerichtshofs in der mündlichen Verhandlung hat die EZB eine nicht vertrauliche Fassung der Leitlinie EZB/2010/NP16 zu den Akten gereicht.
16 In Art. 2 („Tests für Banknotenbearbeitungsgeräte“) Abs. 1 und 4 der Leitlinie EZB/2010/NP16 heißt es:
„(1) Auf Antrag der Hersteller testen die NZBen die Banknotenbearbeitungsgerätetypen vor und nach deren Installation durch Bargeldakteure …
…
(4) Die NZBen führen die Prüftests, die jährlichen Tests, die neuen Tests … nach dem in Anhang I festgelegten einheitlichen Testverfahren durch.“
17 Art. 2a („Mindeststandards für die automatisierte Umlauffähigkeitsprüfung“) der Leitlinie bestimmt:
„Die in Art. 6 des Beschlusses EZB/2010/14 genannten Mindeststandards für die automatisierte Umlauffähigkeitsprüfung von Banknotenbearbeitungsgeräten werden vom Eurosystem definiert, in Anhang IV dieser Leitlinie aufgeführt und auf der Website der EZB veröffentlicht.“
18 In Nr. 3.1.1 von Anhang I dieser Leitlinie heißt es:
„Die Qualitätsprüfung erfolgt unter Verwendung des neuesten Testsystems. … Der Testsatz für die Qualitätsprüfung besteht aus Euro-Banknoten, die Mängel der in Anhang IV definierten Art aufweisen. …“
19 Anhang IV der Leitlinie EZB/2010/NP16 bestimmt u. a.:
„Dieser Anhang legt Mindeststandards für die automatisierte Überprüfung der Umlauffähigkeit von Euro-Banknoten durch Banknotenbearbeitungsgeräte fest.
Euro-Banknoten, die im Laufe der Überprüfungen der Umlauffähigkeit einen Mangel aufweisen, für den eine im Folgenden festgelegte zwingende Anforderung definiert worden ist, sind nicht umlauffähig.
Die zulässige Toleranzschwelle bei der Prüfung der Umlauffähigkeit durch Banknotenbearbeitungsgeräte liegt bei 5 %. Das bedeutet, dass höchstens 5 % der Euro-Geldscheine, die den Umlauffähigkeitskriterien nicht entsprechen, von den Geräten falsch eingestuft und als umlauffähig sortiert werden dürfen.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
20 Am 18. Dezember 2018 führten Beamte der litauischen Nationalbank eine Prüfung in der Zweigstelle von Brink’s Lithuania in Panevėžys (Litauen) durch. Bei dieser Prüfung kontrollierten die Beamten, ob die Banknotenbearbeitungsgeräte dieser Zweigstelle die Anforderungen an den Umgang mit von zur Wiederausgabe bestimmten Bargeld erfüllten. Insbesondere prüften sie die Fähigkeit dieser Geräte, Euro-Banknoten auf ihre Echtheit und Umlauffähigkeit zu prüfen. Diese Prüfungen deckten jedoch auf, dass eines der Bearbeitungsgeräte 18,26 % der nicht umlauffähigen Euro-Banknoten, die in dem Testbündel enthalten waren, als umlauffähig sortiert hatte. Bei einem zweiten Gerät lag dieser Anteil bei 13,91 %. Diese Ergebnisse wurden in einem Prüfbericht festgehalten, dem zufolge es sich bei den fraglichen Geräten dennoch um einen Typ handelte, der auf der EZB-Website auf der Liste der als erfolgreich getesteten Banknotenbearbeitungsgeräte stand.
21 Der Direktor der Bargeldabteilung der Bank von Litauen gab, nachdem er festgestellt hatte, dass Brink’s Lithuania gegen die Mindeststandards für die automatisierte Überprüfung verstoßen habe, wonach die Toleranzschwelle für die Prüfung der Umlauffähigkeit von Euro-Banknoten 5 % nicht überschreiten dürfe, dieser Gesellschaft mit Beschluss vom 28. Februar 2019 auf, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um diesen Verstoß innerhalb von fünf Arbeitstagen abzustellen.
22 Nach diesem Beschluss hängt die Fähigkeit von Banknotenbearbeitungsgeräten, Euro-Banknoten auf Echtheit und Umlauffähigkeit zu prüfen, nicht nur vom Hersteller dieser Geräte ab, sondern auch von den Benutzern dieser Geräte, d. h. den Bargeldakteuren, und insbesondere von der Wartung dieser Geräte, die die Bargeldakteure durchführen. Die bloße Tatsache, dass diese Geräte wie nach Art. 3 Abs. 5 des Beschlusses EZB/2010/14 erforderlich mit Werkseinstellungen verwendet würden, könne nicht als Beweis dafür dienen, dass der Bargeldakteur diesen Verpflichtungen nachgekommen sei. Ob die Geräte ordnungsgemäß verwendet und gewartet worden seien, ob die Vorschriften für die Bargeldbearbeitung ordnungsgemäß eingehalten worden seien und ob geeignete Verfahren angewendet worden seien, um diese Geräte zu testen, sei nur durch Prüfungen in den Geschäftsräumen des Bargeldakteurs festzustellen.
23 Am 29. März 2019 ersuchte die Klägerin die EZB im Wesentlichen darum, klarzustellen, ob die Mindeststandards für die automatisierte Überprüfung von den Bargeldakteuren oder nur von den Herstellern eingehalten werden müssen, die möchten, dass ihre Geräte in die Liste der als erfolgreich getesteten Geräte aufgenommen werden.
24 Am 17. April 2019 beantwortete die EZB dieses Ersuchen dahin gehend, dass sich die Mindeststandards für die automatisierte Überprüfung an die Hersteller von Banknotenverarbeitungsgeräten richteten. Bargeldakteure seien hingegen nur dazu verpflichtet, wenn sie sich für eine automatisierte Falschgelderkennung und Überprüfung der Umlauffähigkeit von Banknoten entschieden, Banknotenbearbeitungsgeräte zu verwenden, die nach diesen Mindeststandards für die automatisierte Überprüfung anerkannt seien, und zwar in ihren Werkseinstellungen, müssten aber nicht selbst prüfen, ob diese Geräte den genannten Mindeststandards entsprächen.
25 Nachdem ihre Klage auf Nichtigerklärung des Beschlusses vom 28. Februar 2019 vom Vilniaus apygardos administracinis teismas (Regionalverwaltungsgericht Vilnius, Litauen) abgewiesen worden war, legte Brink’s Lithuania beim Lietuvos vyriausiasis administracinis teismas (Oberstes Verwaltungsgericht Litauens), dem vorlegenden Gericht in der vorliegenden Rechtssache, ein Rechtsmittel ein.
26 Nach den Ausführungen des vorlegenden Gerichts ist unstreitig, dass Brink’s Lithuania als Geldtransportunternehmen als Bargeldakteur im Sinne von Art. 2 Abs. 2 des Beschlusses EZB/2010/14 anzusehen ist. Das vorlegende Gericht äußert jedoch Zweifel hinsichtlich der Auslegung und der Gültigkeit von Art. 6 Abs. 2 des Beschlusses.
27 Erstens deuteten einige Bestandteile des Wortlauts dieser Bestimmung darauf hin, dass die automatisierte Prüfung der Umlauffähigkeit von Euro-Banknoten gemäß den Mindeststandards für die automatisierte Überprüfung vorzunehmen sei, was bedeuten würde, dass die Akteure, da für die automatisierte Überprüfung Mindeststandards gälten, sich vergewissern müssten, dass bei dieser Überprüfung diese Standards eigehalten würden, und sie gegebenenfalls von sich aus alle hierfür zweckdienlichen Maßnahmen ergreifen müssten. Diese Auslegung werde durch das mit dem genannten Beschluss verfolgte Ziel, Euro-Banknoten in gutem Zustand zu erhalten, gestützt, da ein solches Ergebnis nicht dadurch gewährleistet werden könne, wie nach dieser Bestimmung erforderlich bestimmte Banknotenbearbeitungsgeräte mit ihren Werkseinstellungen einzusetzen.
28 Das vorlegende Gericht ist gleichwohl der Ansicht, dass eine Auslegung von Art. 6 Abs. 2 des Beschlusses EZB/2010/14 dahin gehend, dass Bargeldakteure dafür sorgen müssen, dass die automatisierte Überprüfung unter Einhaltung der Mindeststandards für die automatisierte Überprüfung erfolgt, im Widerspruch zu Art. 3 Abs. 5 des Beschlusses stehen könnte, wonach Bargeldakteure ihren Automaten in seinen Werkseinstellungen verwenden müssen. Müssten diese Bargeldakteure dafür sorgen, dass die automatisierte Überprüfung unter Einhaltung der genannten Mindeststandards erfolge, würde dies bedeuten, dass sie im Fall eines Automatendefekts möglicherweise auf andere Einstellungen als die Werkseinstellungen zurückgriffen. Des Weiteren sei eine solche Auslegung eine Quelle der Rechtsunsicherheit, da es für diese Bargeldakteure schwierig wäre, zu bestimmen, auf welche Weise sie dieser Verpflichtung nachkommen könnten. Schließlich stehe diese Auslegung im Widerspruch zum dritten Erwägungsgrund des Beschlusses EZB/2012/19, wonach die Mindeststandards für die automatisierte Überprüfung nur Hersteller von Banknotenbearbeitungsgeräten beträfen und keine Auswirkungen auf die automatisierten Prüfungsverfahren der Umlauffähigkeit hätten, die die Bargeldakteure anwenden müssten.
29 Zweitens ist das vorlegende Gericht der Ansicht, dass, selbst wenn Art. 6 Abs. 2 des Beschlusses EZB/2010/14 dahin auszulegen sein sollte, dass er Bargeldakteure nicht dazu verpflichtet, ihre Banknotenbearbeitungsgeräte gemäß den Mindeststandards für die automatisierte Überprüfung zu testen, dies nicht notwendigerweise ausschlösse, dass die Mitgliedstaaten außerhalb des von der Europäischen Union festgelegten normativen Rahmens eine solche Verpflichtung festlegen könnten.
30 Drittens weist das vorlegende Gericht für den Fall, dass Bargeldakteure verpflichtet sein sollten, die Mindeststandards für die automatisierte Überprüfung einzuhalten, darauf hin, dass diese Mindeststandards gemäß Art. 6 Abs. 2 des Beschlusses EZB/2010/14 nur auf der Website der EZB veröffentlicht werden und in regelmäßigen Abständen geändert werden können. Es stelle sich die Frage, ob diese Mindeststandards angesichts dessen, dass sie nicht im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht würden, als verbindlich anzusehen seien und die Grundlage für den Erlass einer Anordnung gegenüber einem Bargeldakteur bilden könnten, und sogar die Frage, ob aus diesen Gründen Art. 6 Abs. 2 des Beschlusses EZB/2010/14 mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit und mit Art. 297 Abs. 2 AEUV vereinbar und somit gültig sei.
31 Unter diesen Umständen hat das Lietuvos vyriausiasis administracinis teismas (Oberstes Verwaltungsgericht Litauens) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Ist Art. 6 Abs. 2 des Beschlusses EZB/2010/14 dahin auszulegen, dass die in dieser Vorschrift genannten Mindeststandards für die automatisierte Überprüfung von einem Bargeldakteur, der die automatisierte Prüfung der Umlauffähigkeit von Euro-Banknoten durchführt, eingehalten werden müssen?
2. Wenn im Einklang mit Art. 6 Abs. 2 des Beschlusses EZB/2010/14 die darin genannten Mindeststandards für die automatisierte Überprüfung nur für die Hersteller von Banknotenbearbeitungsgeräten (nicht aber für Bargeldakteure) gelten, ist dann Art. 6 Abs. 2 des Beschlusses EZB/2010/14 in Verbindung mit dessen Art. 3 Abs. 5 dahin auszulegen, dass er einer nationalen Rechtsvorschrift entgegensteht, nach der die Verpflichtung zur Einhaltung dieser Mindeststandards für einen Bargeldakteur gilt?
3. Stehen die Mindeststandards für die automatisierte Prüfung der Umlauffähigkeit von Euro-Banknoten durch Banknotenbearbeitungsgeräte in Anbetracht der Tatsache, dass sie auf der Website der EZB veröffentlicht werden, im Einklang mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit sowie mit Art. 297 Abs. 2 AEUV, und sind sie für die Bargeldakteure verbindlich und gegen sie durchsetzbar?
4. Verstößt Art. 6 Abs. 2 des Beschlusses EZB/2010/14, soweit er vorsieht, dass die Mindeststandards für die automatisierte Prüfung der Umlauffähigkeit von Euro-Banknoten auf der Website der EZB veröffentlicht und von Zeit zu Zeit geändert werden, gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit sowie gegen Art. 297 Abs. 2 AEUV und ist daher ungültig?
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
32 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 6 Abs. 2 des Beschlusses EZB/2010/14 dahin auszulegen ist, dass ein Bargeldakteur, der die automatisierte Prüfung der Umlauffähigkeit von Euro-Banknoten durchführt, die Mindeststandards für die automatisierte Überprüfung einhalten muss.
33 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass mit dem Beschluss EZB/2010/14, wie aus seinem Art. 1 hervorgeht, Art. 6 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1338/2001 umgesetzt wird, der den Grundsatz aufstellt, dass Euro-Banknoten und ‑Münzen zum Zweck der Bekämpfung von Geldfälschung auf ihre Echtheit geprüft werden, und zu diesem Zweck Institute, zu deren geschäftlichen Aufgaben der Umgang mit und die Ausgabe von Banknoten an die Öffentlichkeit einschließlich Bargeldakteuren gehört, dazu verpflichtet, gemäß den von der EZB festgelegten Verfahren dafür Sorge zu tragen, dass Fälschungen aufgedeckt werden, und alle Euro-Banknoten, die sie erhalten haben und bei denen sie wissen oder ausreichende Gründe zu der Annahme haben, dass es sich um Fälschungen handelt, aus dem Verkehr zu ziehen sowie sie unverzüglich den zuständigen nationalen Behörden zu übermitteln.
34 Die EZB hat auf der Grundlage von Art. 6 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1338/2001 den Beschluss EZB/2010/14 erlassen, der nach seinem zweiten Erwägungsgrund darauf abzielt, die Integrität der Euro-Banknoten zu schützen und eine ordnungsgemäße Erkennung von Fälschungen zu ermöglichen, was voraussetzt, dafür zu sorgen, dass die in Umlauf befindlichen Euro-Banknoten in gutem Zustand erhalten bleiben, damit sie einfach und zuverlässig auf Echtheit geprüft werden können.
35 Wie die Generalanwältin in Nr. 62 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, beruht der Rechtsrahmen, der u. a. durch den Beschluss EZB/2010/14 geschaffen wurde, um sicherzustellen, dass nur Euro-Banknoten in gutem Zustand wieder an die Öffentlichkeit ausgegeben werden, im Wesentlichen auf drei Hauptpfeilern. Diese sind erstens die Herstellung und Konfiguration von Banknotenbearbeitungsgeräten, die den Mindeststandards für die automatisierte Überprüfung entsprechen und nach erfolgreichem Test durch eine NZB auf Antrag eines Herstellers auf der Website der EZB nach Typ aufgeführt werden, zweitens eine Reihe von Verpflichtungen für Bargeldakteure, insbesondere in Bezug auf die automatisierte Umlauffähigkeitsprüfung von Euro-Banknoten, und drittens die Zuweisung von Überwachungs- und Aufsichtsbefugnissen an die NZBen, um dafür zu sorgen, dass die jeweiligen Stellen ihre jeweiligen Verpflichtungen einhalten.
36 Zu den Pflichten von Bargeldakteuren gehört nach Art. 3 Abs. 1 des Beschlusses, dass sie entsprechend der in diesem Beschluss festgelegten Verfahren Euro-Banknoten auf Echtheit und Umlauffähigkeit prüfen.
37 Zu diesem Zweck bestimmt Art. 3 Abs. 3 des genannten Beschlusses, dass die Bargeldakteure diese Pflicht zur Prüfung der Echtheit und Umlauffähigkeit der Euro-Banknoten erfüllen können, indem sie entweder ein Verfahren zur manuellen Kontrolle durch einen geschulten Mitarbeiter oder ein automatisiertes Kontrollverfahren durch einen Banknotenbearbeitungsgerätetyp, der von einer NZB erfolgreich getestet wurde, einrichten. Gemäß Art. 3 Abs. 4 des Beschlusses ist die Anwendung eines automatisierten Kontrollverfahrens jedoch für Euro-Banknoten vorgeschrieben, die dazu bestimmt sind, durch kundenbediente Automaten oder Geldautomaten wieder ausgegeben zu werden, es sei denn, diese Banknoten sind einem Bargeldakteur unmittelbar durch eine NZB oder durch einen Bargeldakteur überbracht worden, der die Euro-Banknoten bereits auf diese Weise auf Echtheit und Umlauffähigkeit geprüft hat.
38 Was insbesondere die Modalitäten der Durchführung dieser automatisierten Umlauffähigkeitsprüfung betrifft, bestimmt Art. 6 Abs. 2 des Beschlusses EZB/2010/14, dass eine solche Prüfung „mittels eines erfolgreich getesteten Banknotenbearbeitungsgeräts gemäß den auf der Website der EZB veröffentlichten Mindeststandards in ihrer jeweils gültigen Fassung durchgeführt“ werden muss. Die Bestimmung lässt jedoch offen, ob die Mindeststandards, auf die sie sich bezieht, von Instituten, zu deren Aufgaben der Umgang mit und die Ausgabe von Banknoten an die Öffentlichkeit gehören, eingehalten werden müssen, oder ob sie nur für Hersteller gelten, die möchten, dass ihre Geräte in die Liste der als erfolgreich getesteten Geräte aufgenommen werden.
39 Allerdings sind nach ständiger Rechtsprechung bei der Auslegung einer Unionsvorschrift nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil vom 22. Dezember 2022, Les Entreprises du Médicament, C‑20/22, EU:C:2022:1028, Rn. 18 und die dort angeführte Rechtsprechung).
40 Was vorliegend den Wortlaut von Art. 6 Abs. 2 des Beschlusses EZB/2010/14 betrifft, so könnte zwar in einigen seiner Sprachfassungen die grammatikalische Struktur dieses Wortlauts nahelegen, dass sich die Worte „gemäß den … Mindeststandards“ auf das Verb „durchgeführt“ beziehen und somit die Art der vorzunehmenden Kontrolle näher bestimmen sollen.
41 Wie die Generalanwältin in Nr. 45 und Fn. 15 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, spricht jedoch die Struktur dieses Wortlauts in anderen Sprachfassungen – wie der englischen, der französischen, der italienischen, der portugiesischen und der spanischen – eher für die gegenteilige Auslegung, wonach sich dieser Satzteil auf die Tests bezieht, die Banknotenbearbeitungsgeräte bestehen müssen, bevor sie von Bargeldakteuren eingesetzt werden können, um ihre Pflichten aus dem Beschluss EZB/2010/14 zu erfüllen, wenn sie eine automatisierte Prüfung der Echtheit und Umlauffähigkeit der Euro-Banknoten einrichten müssen oder sich dafür entschieden haben, sie einzurichten.
42 Jedoch ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung die Worte oder die grammatikalische Struktur, die in bestimmten Sprachfassungen einer Vorschrift des Unionsrechts verwendet werden, nicht als alleinige Grundlage für die Auslegung dieser Vorschrift herangezogen werden oder Vorrang vor den anderen Sprachfassungen beanspruchen können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Januar 2021, Hessischer Rundfunk, C‑422/19 und C‑423/19, EU:C:2021:63, Rn. 65).
43 Demgegenüber ist festzustellen, dass unabhängig von der betrachteten Sprachfassung eine Auslegung von Art. 6 Abs. 2 des Beschlusses EZB/2010/14 dahin gehend, dass sich die Worte „gemäß den … Mindeststandards“ auf die durchgeführte automatisierte Echtheitsprüfung beziehen, der in dieser Bestimmung ebenfalls verwendeten Wendung „erfolgreich getesteten“ weitgehend ihre praktische Wirkung nehmen würde, da die Bestimmung dann nicht mehr klarstellen würde, anhand welcher Standards die Banknotenbearbeitungsgeräte erfolgreich getestet werden müssen.
44 Folglich soll mit dem Wortlaut von Art. 6 Abs. 2 des Beschlusses EZB/2010/14 vielmehr verdeutlicht werden, dass die in dieser Bestimmung genannten Mindeststandards nicht für die automatisierte Umlauffähigkeitsprüfung gelten, die Bargeldakteure im Rahmen ihrer Tätigkeit durchführen, sondern für die Tests, die Banknotenbearbeitungsgeräte bestehen müssen, bevor sie von Bargeldakteuren verwendet werden können.
45 Eine solche Auslegung wird im Übrigen sowohl durch den Kontext, in den sich Art. 6 Abs. 2 des Beschlusses EZB/2010/14 einfügt, als auch durch die mit dieser Bestimmung verfolgten Ziele gestützt.
46 Zum einen geht, was den Kontext dieser Bestimmung betrifft, aus Art. 3 Abs. 3 bis 5 des Beschlusses hervor, dass Bargeldakteure bei automatisierten Prüfungen Banknotenbearbeitungsgeräte verwenden müssen, die erfolgreich durch eine NZB gemäß den Mindeststandards nach Art. 6 Abs. 2 des Beschlusses getestet wurden, und dass diese Geräte nur für jene auf der Website der EZB aufgelisteten Euro-Banknotenstückelungen und ‑serien in ihren Werkseinstellungen einschließlich aller etwaigen Aktualisierungen verwendet werden dürfen. Hätte die EZB jedoch beabsichtigt, Bargeldakteure dazu zu verpflichten, dafür zu sorgen, dass die automatisierte Prüfung gemäß diesen Mindeststandards erfolgt, wäre es weder erforderlich gewesen, vorzuschreiben, dass die Bargeldakteure zu diesem Zweck nur Banknotenbearbeitungsgeräte verwenden dürfen, die bestimmte Tests bestanden haben, noch die Bedingungen festzulegen, unter denen diese Geräte zur Durchführung einer solchen Prüfung verwendet werden müssen. Solche Anforderungen bedeuten vielmehr, dass der Einsatz dieser Geräte im Beschluss EZB/2010/14 als das Mittel angesehen wird, mit dem Bargeldakteure bei automatisierten Prüfungen ihre Verpflichtung erfüllen, die Umlauffähigkeit der Banknoten zu gewährleisten.
47 Zum anderen ist, wie die Generalanwältin in den Nrn. 48 bis 50 ihrer Schlussanträge dargelegt hat, in Bezug auf die mit Art. 6 Abs. 2 des Beschlusses EZB/2010/14 verfolgten Ziele festzustellen, dass diese Bestimmung vor ihrer Änderung durch den Beschluss EZB/2012/19 vorsah, dass die Prüfung der Umlauffähigkeit von Euro-Banknoten im Einklang mit den in den Anhängen IIIa und IIIb des Beschlusses festgelegten Mindeststandards durchgeführt wird. Insbesondere enthielt Anhang IIIa des Beschlusses EZB/2010/14 die „Mindeststandards für die automatisierte Überprüfung der Umlauffähigkeit durch Banknotenbearbeitungsgeräte“, während Anhang IIIb die „Mindeststandards für die manuelle Überprüfung der Umlauffähigkeit durch geschultes Personal“ festlegte. Wie jedoch aus seinem dritten Erwägungsgrund hervorgeht, wurde mit dem Beschluss EZB/2012/19 Anhang IIIa des Beschlusses EZB/2010/14 mit dem ausdrücklichen Ziel aufgehoben, die Mindeststandards für die automatisierte Überprüfung von Euro-Banknoten, die bis zum damaligen Zeitpunkt nicht in den Anwendungsbereich des Beschlusses EZB/2010/14 fielen, in die Regeln und Verfahren für Tests der Banknotenbearbeitungsgeräte, Datenerhebung und Überwachung aufzunehmen. Parallel hierzu wurde ein Verweis auf diese Standards in die Leitlinie EZB/2010/NP16 aufgenommen, in der die Regeln und Verfahren für die Überprüfung von Banknotenbearbeitungsgerätetypen festgelegt sind. Seitdem ergibt sich aus Art. 2 Abs. 1 und 4 dieser Leitlinie, in Verbindung mit Art. 2a, mit Nr. 3.1.1 von Anhang I und mit Anhang IV dieser Leitlinie, dass die genannten Standards für Tests gelten, die an diesen Gerätetypen durchgeführt werden.
48 Außerdem heißt es im dritten Erwägungsgrund des Beschlusses EZB/2012/19 eindeutig, dass die Mindeststandards für die automatisierte Überprüfung der Umlauffähigkeit von Euro-Banknoten „nur Hersteller von Banknotenbearbeitungsgeräten [betreffen] und … keine Auswirkungen auf die Prüfungsverfahren der Echtheit und Umlauffähigkeit gemäß dem Beschluss EZB/2010/14 [haben], die von Bargeldakteuren einzuhalten sind“.
49 Folglich geht aus dem Beschluss EZB/2012/19 hervor, dass Art. 6 Abs. 2 des Beschlusses EZB/2010/14 mit dem Ziel geändert wurde, klarzustellen, dass die in dieser Bestimmung genannten Mindeststandards ausschließlich für Tests gelten, die von Herstellern an ihren Banknotenbearbeitungsgerätetypen durchgeführt werden.
50 Daraus folgt, dass ein Bargeldakteur, der eine automatisierte Prüfung der Umlauffähigkeit von Euro-Banknoten durchführt, durch Art. 6 Abs. 2 des Beschlusses EZB/2010/14 nicht dazu verpflichtet wird, selbst dafür zu sorgen, dass die automatisierte Prüfung gemäß den in dieser Bestimmung angeführten Mindeststandards erfolgt. Solche Standards müssen hingegen von Herstellern eingehalten werden, wenn sie möchten, dass ein von ihnen hergestellter Gerätetyp auf der Website der EZB als geeignet für die Prüfung der Umlauffähigkeit und Echtheit von Banknoten einer bestimmten Stückelung und aus bestimmten Serien aufgenommen wird.
51 Dennoch ist, wie die Generalanwältin in den Nrn. 66 bis 68 ihrer Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, festzustellen, dass die betreffenden Bargeldakteure gleichwohl verpflichtet bleiben, ihre Verpflichtungen aus dem Beschluss EZB/2010/14 einzuhalten, darunter u. a. jene aus Art. 3 Abs. 1 und Art. 10 Abs. 1 des Beschlusses, automatisierte Umlauffähigkeitsprüfungen durchzuführen und Verfahren zur Prüfung der von ihnen verwendeten Banknotenbearbeitungsgeräte einzurichten.
52 Diese Verpflichtungen beinhalten jedoch notwendigerweise, dass die Bargeldakteure verpflichtet sind, Banknotenbearbeitungsgeräte zu verwenden, die in der Lage sind, diese Prüfungen durchzuführen und insbesondere nicht umlauffähige oder beschädigte Banknoten zu erkennen, was voraussetzt, sich zu vergewissern, dass sich die verwendeten Geräte in einem Betriebs‑, Wartungs‑ und Einstellungszustand befinden, der für die Prüfung der Umlauffähigkeit von Euro-Banknoten geeignet ist. Andernfalls würden diese Bargeldakteure ihrer grundlegenden Pflicht gemäß Art. 6 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1338/2001, sich an der Bekämpfung der Geldfälschung zu beteiligen, nicht nachkommen.
53 Folglich kann ein Bargeldakteur, dessen Banknotenbearbeitungsgeräte die in den Mindeststandards für die automatisierte Überprüfung vorgesehene Toleranzschwelle von 5 % nicht einhalten, nicht die Befolgung der Anordnung, dieser Situation abzuhelfen, verweigern, die ihm gemäß Art. 10 Abs. 3 des Beschlusses EZB/2010/14 von einer NZB nach einer Prüfung in seinen Geschäftsräumen erteilt wird.
54 In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen ist Art. 6 Abs. 2 des Beschlusses EZB/2010/14 dahin auszulegen, dass die in dieser Bestimmung genannten Mindeststandards nicht für Bargeldakteure gelten, wenn diese eine automatisierte Umlauffähigkeitsprüfung von Euro-Banknoten vornehmen. Art. 3 Abs. 1 und Art. 10 Abs. 1 des Beschlusses EZB/2010/14 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1338/2001 sind jedoch dahin auszulegen, dass die Bargeldakteure die Maßnahmen ergreifen müssen, die erforderlich sind, um Abhilfe zu schaffen, wenn sich bei einer Prüfung durch eine NZB herausgestellt hat, dass die Banknotenbearbeitungsgeräte der Bargeldakteure nicht dazu in der Lage sind, unter Einhaltung einer Toleranzschwelle von bis zu 5 % zu erkennen, dass die Euro-Banknoten nicht zur Wiederausgabe geeignet sind.
Zur zweiten Frage
55 Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob für den Fall, dass sich aus der Antwort auf die erste Frage ergibt, dass die in Art. 6 Abs. 2 des Beschlusses EZB/2010/14 genannten Mindeststandards nur für die Hersteller von Banknotenbearbeitungsgeräten gelten, Art. 6 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 5 dieses Beschlusses dahin auszulegen ist, dass er dem entgegensteht, dass ein Mitgliedstaat Bargeldakteure dazu verpflichtet, bei der automatisierten Prüfung der Umlauffähigkeit von Euro-Banknoten diese Mindeststandards einzuhalten.
56 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die für die Verwendung des Euro als einheitliche Währung erforderlichen Maßnahmen gemäß Art. 133 AEUV zum Bereich der Währungspolitik gehören, für die die Union gemäß Art. 3 Abs. 1 Buchst. c AEUV die ausschließliche Zuständigkeit hat. Wie sich jedoch aus dem vierten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1338/2001 ergibt, handelt es sich bei den gemeinsamen Regeln und Verfahren zum Schutz gegen Euro-Fälschungen, zu denen diejenigen zur Prüfung der Umlauffähigkeit der Euro-Banknoten und ‑Münzen gehören, um Maßnahmen, die zur Verwendung dieser Währung erforderlich sind.
57 Da die Union folglich über die ausschließliche Zuständigkeit für die Echtheits- und Umlauffähigkeitsprüfungen der Banknoten verfügt, können die Mitgliedstaaten in diesem Bereich keine Vorschriften erlassen, ohne durch das Unionsrecht dazu ermächtigt worden zu sein. Der Beschluss EZB/2010/14 ermächtigt jedoch die Mitgliedstaaten keineswegs, von sich aus Bargeldakteure dazu zu verpflichten, bei der automatisierten Prüfung der Umlauffähigkeit von Euro-Banknoten die in Art. 6 Abs. 2 des Beschlusses EZB/2010/14 genannten Mindeststandards der EZB einzuhalten.
58 Zwar wird die jeweilige NZB durch Art. 6 Abs. 3 des Beschlusses EZB/2010/14 ermächtigt, strengere Standards für eine oder mehrere Stückelungen oder Serien von Euro-Banknoten festzulegen. Diese Möglichkeit ist jedoch, wie sich aus der Verwendung des Ausdrucks „strengere Standards“ ergibt, auf den Inhalt der Anforderungen beschränkt, die die Geräte erfüllen müssen, um eine oder mehrere Stückelungen oder Serien von Euro-Banknoten zu behandeln. Sie kann daher eine NZB nicht dazu ermächtigen, den persönlichen Anwendungsbereich der EZB-Mindeststandards gemäß Art. 6 Abs. 2 dieses Beschlusses auszuweiten, indem sie die Bargeldakteure dazu verpflichtet, dafür zu sorgen, dass bei einer automatisierten Prüfung, die mittels eines erfolgreich getesteten Banknotenbearbeitungsgerätetyps im Sinne von Art. 6 Abs. 2 des Beschlusses EZB/2010/14 durchgeführt wird, diese Mindeststandards eingehalten werden.
59 Infolgedessen ist Art. 6 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 5 des Beschlusses EZB/2010/14 dahin auszulegen, dass er dem entgegensteht, dass ein Mitgliedstaat Bargeldakteure dazu verpflichtet, bei der automatisierten Prüfung der Umlauffähigkeit von Euro-Banknoten die in diesem Art. 6 Abs. 2 genannten Mindeststandards der EZB einzuhalten.
Zur dritten und zur vierten Frage
60 Mit seiner dritten und seiner vierten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Mindeststandards für die automatisierte Überprüfung sowie Art. 6 Abs. 2 des Beschlusses EZB/2010/14 mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit soweit dieser Artikel Art. 6 Abs. 2 vorsieht, dass diese Standards auf der Website der EZB in ihrer jeweils gültigen Fassung veröffentlicht werden.
61 Insoweit steht fest, dass sich im Ausgangsrechtsstreit eine NZB und ein Bargeldakteur gegenüberstehen. Aus der Antwort auf die erste Frage geht jedoch hervor, dass die Mindeststandards für die automatisierte Überprüfung nicht für Bargeldakteure gelten, wenn sie eine automatisierte Umlauffähigkeitsprüfung von Euro-Banknoten vornehmen. Daher sind die dritte und die vierte Frage nicht zu beantworten.