EuGH: Banco Popular – Vor Abwicklung dieser Bank erhobene Ansprüche aus Nichtigkeits- und Haftungsklagen können Banco Santander entgegenhalten werden
EuGH, Urteil vom 11.9.2025 – C-687/23, D. E. gegen Banco Santander SA
ECLI:EU:C:2025:687
Volltext: BB-Online BBL2025-2177-1
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Tenor
Art. 34 Abs. 1 Buchst. a und b, Art. 53 Abs. 1 und 3 sowie Art. 60 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. b und c der Richtlinie 2014/59/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Festlegung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Richtlinie 82/891/EWG des Rates, der Richtlinien 2001/24/EG, 2002/47/EG, 2004/25/EG, 2005/56/EG, 2007/36/EG, 2011/35/EU, 2012/30/EU und 2013/36/EU sowie der Verordnungen (EU) Nr. 1093/2010 und (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates sind dahin auszulegen, dass sie dem nicht entgegenstehen, dass die Ansprüche, die sich aus einer Klage auf Nichtigerklärung eines Vertrags über die Zeichnung in Aktien umgewandelter nachrangiger Schuldverschreibungen sowie aus einer Haftungsklage ergeben, die auf einen Verstoß gegen die Informationspflichten der Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Märkte für Finanzinstrumente, zur Änderung der Richtlinien 85/611/EWG und 93/6/EWG des Rates und der Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 93/22/EWG des Rates gestützt werden, in die Kategorie der zum Zeitpunkt der Abwicklung des betreffenden Kreditinstituts „angefallenen“ Verpflichtungen oder Ansprüche bzw. Verbindlichkeiten im Sinne von Art. 53 Abs. 3 und Art. 60 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2014/59 fallen, wenn diese Klagen vor der vollständigen Herabschreibung der Aktien des Stammkapitals dieses Kreditinstituts im Rahmen der Abwicklung erhoben wurden.
Aus den Gründen
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 34 Abs. 1 Buchst. a, Art. 53 Abs. 1 und 3 sowie Art. 60 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. b und c der Richtlinie 2014/59/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Festlegung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Richtlinie 82/891/EWG des Rates, der Richtlinien 2001/24/EG, 2002/47/EG, 2004/25/EG, 2005/56/EG, 2007/36/EG, 2011/35/EU, 2012/30/EU und 2013/36/EU sowie der Verordnungen (EU) Nr. 1093/2010 und (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. 2014, L 173, S. 190).
2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen D. E. und der Banco Santander SA als Rechtsnachfolgerin der Banco Popular Español SA (im Folgenden: Banco Popular) wegen Nichtigkeits- und Haftungsklagen, die D. E. erhoben hat, weil ihm beim Erwerb von Kapitalinstrumenten, die später in Aktien von Banco Popular umgewandelt wurden, in dem Prospekt, der u. a. beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren zu veröffentlichen ist, mangelhafte und falsche Informationen zur Verfügung gestellt worden sein sollen.
Rechtlicher Rahmen
Richtlinie 2004/39/EG
3 In den Erwägungsgründen 31, 44 und 46 der Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Märkte für Finanzinstrumente, zur Änderung der Richtlinien 85/611/EWG und 93/6/EWG des Rates und der Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 93/22/EWG des Rates (ABl. 2004, L 145, S. 1) hieß es:
„(31) Ein Ziel dieser Richtlinie ist der Anlegerschutz. Die Vorkehrungen zum Schutz der Anleger sollten den Eigenheiten jeder Anlegerkategorie (Kleinanleger, professionelle Kunden, Gegenparteien) angepasst sein.
…
(44) In Anbetracht des zweifachen Ziels, die Anleger zu schützen und gleichzeitig ein reibungsloses Funktionieren der Wertpapiermärkte zu gewährleisten, muss für die Transparenz der Geschäfte gesorgt werden sowie dafür, dass die zu diesem Zweck festgelegten Regeln für Wertpapierfirmen gelten, wenn sie auf den Märkten tätig sind. Um Anleger und Marktteilnehmer in die Lage zu versetzen, jederzeit die Konditionen eines von ihnen ins Auge gefassten Aktiengeschäfts zu beurteilen und die Bedingungen, zu denen es ausgeführt wurde, im Nachhinein zu überprüfen, sollten allgemeine Regeln für die Veröffentlichung von Angaben zu abgeschlossenen Aktiengeschäften sowie für die Bekanntmachung von Einzelheiten zu aktuellen Möglichkeiten des Handels mit Aktien festgelegt werden. Solche Regeln sind erforderlich, um eine effektive Integration der Aktienmärkte der Mitgliedstaaten sicherzustellen, die Effizienz des globalen Kursbildungsprozesses bei Eigenkapitalinstrumenten zu steigern und die effektive Einhaltung der Pflicht zur ‚bestmöglichen Ausführung‘ zu fördern. Dies erfordert eine umfassende Transparenzregelung für alle Aktiengeschäfte … Die sich aus dieser Richtlinie ergebenden Verpflichtungen von Wertpapierfirmen zur Offenlegung eines Geld- und Briefkurses und zur Ausführung eines Auftrags zu dem gebotenen Kurs befreit eine Wertpapierfirma nicht von der Verpflichtung, einen Auftrag an einen anderen Handelsplatz weiterzuleiten, wenn eine solche Internalisierung die Firma daran hindern könnte, den Verpflichtungen zur ‚bestmöglichen Ausführung‘ nachzukommen.
…
(46) Ein Mitgliedstaat kann beschließen, die in dieser Richtlinie festgelegten Transparenzvorschriften für den Vor- und Nachhandel auf andere Finanzinstrumente als Aktien auszudehnen. …“
4 Art. 19 („Wohlverhaltensregeln bei der Erbringung von Wertpapierdienstleistungen für Kunden“) Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2004/39 lautete:
„(2) Alle Informationen, einschließlich Marketing-Mitteilungen, die die Wertpapierfirma an Kunden oder potenzielle Kunden richtet, müssen redlich, eindeutig und nicht irreführend sein. Marketing-Mitteilungen müssen eindeutig als solche erkennbar sein.
(3) Kunden und potenziellen Kunden sind in verständlicher Form angemessene Informationen zur Verfügung zu stellen über
– die Wertpapierfirma und ihre Dienstleistungen,
– Finanzinstrumente und vorgeschlagene Anlagestrategien; dies sollte auch geeignete Leitlinien und Warnhinweise zu den mit einer Anlage in diese Finanzinstrumente oder mit diesen Anlagestrategien verbundenen Risiken umfassen,
– Ausführungsplätze und
– Kosten und Nebenkosten,
so dass sie nach vernünftigem Ermessen die genaue Art und die Risiken der Wertpapierdienstleistungen und des speziellen Typs von Finanzinstrument, der ihnen angeboten wird, verstehen können und somit auf informierter Grundlage Anlageentscheidungen treffen können. Diese Informationen können in standardisierter Form zur Verfügung gestellt werden.“
Richtlinie 2014/59
5 In den Erwägungsgründen 45, 49 und 120 der Richtlinie 2014/59 heißt es:
„(45) Um eine übermäßige Risikobereitschaft aufgrund von Fehlanreizen zu vermeiden, sollte der Marktaustritt eines ausfallenden Instituts unabhängig von dessen Größe und Vernetzung ohne eine systemische Verwerfung möglich sein. Ein ausfallendes Institut sollte in der Regel nach den regulären Insolvenzverfahren abgewickelt werden. Allerdings könnte eine Liquidation nach diesen regulären Insolvenzverfahren die Finanzstabilität gefährden, die Bereitstellung kritischer Funktionen unterbrechen und den Einlegerschutz beeinträchtigen. In einem solchen Fall ist es sehr wahrscheinlich, dass ein öffentliches Interesse daran besteht, das Institut abzuwickeln und Abwicklungsinstrumente anstelle regulärer Insolvenzverfahren anzuwenden. …
…
(49) Die Einschränkungen der Anteilseigner- und Gläubigerrechte sollten in Übereinstimmung mit Artikel 52 der Charta [der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta)] erfolgen. Die Abwicklungsinstrumente sollten folglich nur auf jene Institute angewandt werden, die ausfallen oder wahrscheinlich ausfallen, und auch nur dann, wenn dies dem Ziel der Wahrung der Finanzstabilität im Allgemeininteresse dient. Insbesondere sollten die Abwicklungsinstrumente dann angewandt werden, wenn das Institut nicht gemäß einem regulären Insolvenzverfahren liquidiert werden kann, ohne das Finanzsystem zu destabilisieren, und die Maßnahmen erforderlich sind, um für den raschen Transfer und die Fortführung systemisch wichtiger Funktionen zu sorgen und keine vernünftige Aussicht auf eine etwaige alternative Privatlösung besteht, einschließlich einer Kapitalerhöhung seitens der vorhandenen Anteilseigner oder eines Dritten, die ausreichen würde, um die vollständige Existenzfähigkeit des Instituts wiederherzustellen. …
…
(120) Die Gesellschaftsrechtsrichtlinien der [Europäischen] Union enthalten bindende Vorschriften für den Schutz von Anteilseignern und Gläubigern von Instituten, die in den Anwendungsbereich dieser Richtlinien fallen. In Fällen, in denen die Abwicklungsbehörden rasch handeln müssen, können diese Bestimmungen ein wirksames Eingreifen der Abwicklungsbehörden sowie ihren Rückgriff auf Abwicklungsinstrumente und ‑befugnisse behindern. Deshalb sollten in dieser Richtlinie geeignete Ausnahmen vorgesehen werden. Um größtmögliche Rechtssicherheit für die Interessenträger herbeizuführen, sollten derlei Ausnahmen klar und eng definiert und lediglich im öffentlichen Interesse verwendet werden, sofern die Auslöseereignisse für eine Abwicklung gegeben sind. …“
6 Art. 1 Abs. 1 dieser Richtlinie sieht vor:
„Diese Richtlinie legt Vorschriften und Verfahren für die Sanierung und Abwicklung folgender Unternehmen fest:
…
b) Finanzinstitute, die in der Union niedergelassen und Tochterunternehmen eines Kreditinstituts oder einer Wertpapierfirma oder einer Gesellschaft im Sinne von Buchstabe c oder d sind …;
c) Finanzholdinggesellschaften, gemischte Finanzholdinggesellschaften und gemischte Holdinggesellschaften, die in der Union niedergelassen sind;
d) Mutterfinanzholdinggesellschaften in einem Mitgliedstaat, Unions-Mutterfinanzholdinggesellschaften, gemischte Mutterfinanzholdinggesellschaften in einem Mitgliedstaat, gemischte Unions-Mutterfinanzholdinggesellschaften;
…“
7 Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie bestimmt:
„Für die Zwecke dieser Richtlinie gelten folgende Begriffsbestimmungen:
…
57.,Bail-in‑Instrument‘: der Mechanismus für die Ausübung der Herabschreibungs- und Umwandlungsbefugnisse gemäß Artikel 43 durch eine Abwicklungsbehörde in Bezug auf Verbindlichkeiten eines in Abwicklung befindlichen Instituts;
…“
8 In Art. 34 („Allgemeine Grundsätze für eine Abwicklung“) Abs. 1 der Richtlinie heißt es:
„Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Abwicklungsbehörden bei der Anwendung der Abwicklungsinstrumente und Ausübung der Abwicklungsbefugnisse alle geeigneten Maßnahmen treffen, damit die Abwicklung im Einklang mit nachstehenden Grundsätzen erfolgt:
a) Verluste werden zuerst von den Anteilseignern des in Abwicklung befindlichen Instituts getragen.
b) Nach den Anteilseignern tragen die Gläubiger des in Abwicklung befindlichen Instituts die Verluste in der Rangfolge der Forderungen im regulären Insolvenzverfahren, sofern in dieser Richtlinie nicht ausdrücklich etwas anderes vorgesehen ist.
…
f) Gläubiger derselben Klasse werden – vorbehaltlich anders lautender Bestimmungen dieser Richtlinie – in gleicher Weise behandelt.
g) Kein Gläubiger hat größere Verluste zu tragen, als er im Fall einer Liquidation des Instituts oder des Unternehmens im Sinne des Artikels 1 Absatz 1 Buchstabe b, c oder d im Wege eines regulären Insolvenzverfahrens nach Maßgabe der Schutzbestimmungen der Artikel 73 bis 75 zu tragen gehabt hätte.
…“
9 Art. 36 („Bewertung für Abwicklungszwecke“) der Richtlinie 2014/59 sieht vor:
„(1) Bevor Abwicklungsmaßnahmen getroffen werden oder die Befugnis zur Herabschreibung oder Umwandlung von relevanten Kapitalinstrumenten ausgeübt wird, stellen die Abwicklungsbehörden sicher, dass eine faire, vorsichtige und realistische Bewertung der Vermögenswerte und Verbindlichkeiten des Instituts oder des Unternehmens im Sinne von Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe b, c oder d durch eine von staatlichen Stellen – einschließlich der Abwicklungsbehörde – und dem Institut oder dem Unternehmen im Sinne von Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe b, c oder d unabhängige Person vorgenommen wird. Vorbehaltlich des Absatzes 13 und des Artikels 85 gilt die Bewertung als endgültig, wenn alle im vorliegenden Artikel festgelegten Anforderungen erfüllt sind.
(2) Ist eine unabhängige Bewertung gemäß Absatz 1 nicht möglich, können die Abwicklungsbehörden eine vorläufige Bewertung der Vermögenswerte und Verbindlichkeiten des Instituts oder des Unternehmens im Sinne von Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe b, c oder d nach Maßgabe von Absatz 9 vornehmen.
(3) Das Ziel der Bewertung ist, den Wert der Vermögenswerte und Verbindlichkeiten des Instituts oder des Unternehmens im Sinne von Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe b, c oder d zu ermitteln, das die Abwicklungsvoraussetzungen nach Artikel 32 und 33 erfüllt.
…
(6) Die Bewertung wird durch folgende in den Büchern und Aufzeichnungen des Instituts oder des Unternehmens im Sinne von Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe b, c oder d enthaltenen Unterlagen ergänzt:
a) eine aktualisierte Bilanz und einen Bericht über die Finanzlage des Instituts oder des Unternehmens im Sinne von Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe b, c oder d;
b) eine Analyse und eine Schätzung des Buchwerts der Vermögenswerte;
c) eine Aufstellung der in den Büchern und Aufzeichnungen ausgewiesenen bilanziellen und außerbilanziellen offenen Verbindlichkeiten des Instituts oder des Unternehmens im Sinne von Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe b, c oder d mit Angaben zu den jeweiligen Krediten und zu ihrem Rang nach dem anwendbaren Insolvenzrecht.
…
(9) Ist es aufgrund der gebotenen Dringlichkeit entweder nicht möglich, die Anforderungen der Absätze 6 und 8 zu erfüllen, oder gilt Absatz 2, wird eine vorläufige Bewertung vorgenommen. Bei der vorläufigen Bewertung müssen die Anforderungen des Absatzes 3 und – insoweit dies unter den gegebenen Umständen angemessen und durchführbar ist – die Anforderungen der Absätze 1, 6 und 8 erfüllt werden.
Die vorläufige Bewertung gemäß diesem Absatz umfasst einen Puffer für zusätzliche Verluste mit einer angemessenen Begründung.
…“
10 Art. 48 („Abfolge der Herabschreibung und Umwandlung“) dieser Richtlinie bestimmt:
„(1) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die Abwicklungsbehörden bei Anwendung des Bail-in‑Instruments unter Einhaltung der folgenden Anforderungen vorbehaltlich der Ausnahmen gemäß Artikel 44 Absätze 2 und 3 von ihren Herabschreibungs- und Umwandlungsbefugnissen Gebrauch machen:
a) Die Posten des harten Kernkapitals werden im Einklang mit Artikel 60 Absatz 1 Buchstabe a verringert.
b) Dann, und nur dann, wenn die Herabsetzung nach Buchstabe a insgesamt die Summe der Beträge nach Artikel 47 Absatz 3 Buchstaben b und c unterschreitet, setzen die Behörden den Nennwert der Instrumente des zusätzlichen Kernkapitals in dem erforderlichen Umfang und in den Grenzen ihrer Kapazität herab.
c) Dann, und nur dann, wenn die Wertminderung nach den Buchstaben a und b insgesamt die Summe der Beträge nach Artikel 47 Absatz 3 Buchstaben b und c unterschreitet, setzen die Behörden den Nennwert der Instrumente des Ergänzungskapitals in dem erforderlichen Umfang und in den Grenzen ihrer Kapazität herab.
…“
11 Art. 53 („Wirksamwerden des Bail-in“) der Richtlinie sieht vor:
„(1) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass in Fällen, in denen eine Abwicklungsbehörde von einer der in Artikel 59 Absatz 2 und Artikel 63 Absatz 1 Buchstaben e bis i genannten Befugnisse Gebrauch macht, die Herabsetzung des Nennwerts oder des ausstehenden Restbetrags, die Umwandlung oder die Löschung wirksam wird und für das in Abwicklung befindliche Institut sowie für die betroffenen Gläubiger und Anteilseigner unmittelbar bindend ist.
…
(3) Kürzt eine Abwicklungsbehörde den Nennwert oder den geschuldeten Restbetrag einer Verbindlichkeit unter Wahrnehmung der in Artikel 63 Absatz 1 Buchstabe e genannten Befugnis auf null, gelten die betreffende Verbindlichkeit und etwaige daraus resultierende Verpflichtungen oder Ansprüche, die zum Zeitpunkt der Ausübung der Befugnis noch nicht angefallen sind, als erfüllt und können in einem späteren, das in Abwicklung befindliche Institut oder ein etwaiges Nachfolgeunternehmen betreffenden Liquidationsverfahren nicht geltend gemacht werden.
(4) Kürzt eine Abwicklungsbehörde den Nennwert oder ausstehenden Restbetrag einer Verbindlichkeit unter Wahrnehmung der in Artikel 63 Absatz 1 Buchstabe e genannten Befugnis nur teilweise,
a) gilt die Schuld als in Höhe des gekürzten Betrags beglichen;
b) ist die Urkunde oder die Vereinbarung, durch die die ursprüngliche Verbindlichkeit begründet wurde, weiterhin auf den verbleibenden Nennwert oder den noch ausstehenden Restbetrag der Verbindlichkeit anwendbar, vorbehaltlich einer der Kürzung des Nennwerts entsprechenden Änderung des zahlbaren Zinsbetrags und etwaiger weiterer Änderungen der Bedingungen, die die Abwicklungsbehörde in Ausübung der in Artikel 63 Absatz 1 Buchstabe j genannten Befugnis vorsehen könnte.“
12 In Art. 60 („Bestimmungen für die Herabschreibung oder Umwandlung von Kapitalinstrumenten“) der Richtlinie heißt es:
„(1) Bei der Erfüllung der in Artikel 59 festgelegten Anforderung machen die Abwicklungsbehörden im Einklang mit der Rangfolge der Forderungen im Rahmen eines regulären Insolvenzverfahrens so von der Herabschreibungs- oder Umwandlungsbefugnis Gebrauch, dass folgende Ergebnisse erzielt werden:
a) die Posten des harten Kernkapitals werden als Erstes proportional zu den Verlusten bis zu ihrer Kapazitätsgrenze herabgesetzt und die Abwicklungsbehörde ergreift eine oder beide der in Artikel 47 Absatz 1 hinsichtlich der Inhaber der Instrumente des harten Kernkapitals angegebenen Maßnahmen;
b) der Nennwert der Instrumente des zusätzlichen Kernkapitals wird – je nachdem, welcher Wert niedriger ist – in dem zur Verwirklichung der Abwicklungsziele nach Artikel 31 erforderlichen Maß oder bis zur Kapazitätsgrenze der relevanten Kapitalinstrumente herabgeschrieben oder in Instrumente des harten Kernkapitals umgewandelt oder beides;
c) der Nennwert der Instrumente des Ergänzungskapitals wird – je nachdem, welcher Wert niedriger ist – in dem zur Verwirklichung der Abwicklungsziele nach Artikel 31 erforderlichen Maß oder bis zur Kapazitätsgrenze der relevanten Kapitalinstrumente herabgeschrieben oder in Instrumente des harten Kernkapitals umgewandelt oder beides[.]
(2) Wird der Nennwert eines relevanten Kapitalinstruments herabgeschrieben, so
…
b) besteht abgesehen von etwaigen bereits angefallenen Verbindlichkeiten und einer etwaigen Haftung für Schäden, die sich aus einem in Hinblick auf die Rechtmäßigkeit der Ausübung der Herabschreibungsbefugnis eingelegten Rechtsmittel ergeben kann, bei oder in Verbindung mit diesem Betrag des Instruments, der herabgeschrieben worden ist, gegenüber dem Inhaber des relevanten Kapitalinstruments keinerlei Verbindlichkeit mehr;
c) erhält kein Inhaber der relevanten Kapitalinstrumente eine andere Entschädigung als die in Absatz 3 vorgesehene.
…
(3) Um eine Umwandlung der relevanten Kapitalinstrumente gemäß Absatz 1 Buchstabe b dieses Artikels durchzuführen, können die Abwicklungsbehörden die Institute und die Unternehmen im Sinne von Artikel 1 Buchstaben b, c und d dazu verpflichten, an die Inhaber der relevanten Kapitalinstrumente Instrumente des harten Kernkapitals auszugeben. …
…“
Beschluss des Einheitlichen Abwicklungsausschusses
13 Mit Beschluss SRB/EES/2017/08 vom 7. Juni 2017 erließ der Einheitliche Abwicklungsausschuss das Abwicklungskonzept für Banco Popular, das die Kommission mit Beschluss (EU) 2017/1246 vom 7. Juni 2017 (ABl. 2017, L 178, S. 15) billigte.
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
14 Am 3. Oktober 2009 zeichnete D. E. als alleiniger Geschäftsführer der Lera Blava SLU nachrangige Schuldverschreibungen, die in von Banco Popular ausgegebene nachrangige Schuldverschreibungen umgewandelt werden konnten.
15 Im Mai 2012 wandelte D. E. im Namen von Lera Blava die Schuldverschreibungen in nachrangige Pflichtwandelanleihen um.
16 Am 14. Januar 2013 übertrug Lera Blava das Eigentum an diesen Wandelanleihen als Zahlung ausstehender Gehälter an D. E. Banco Popular genehmigte diese Eigentumsübertragung am 22. Februar 2013.
17 Am 25. November 2015 wurden diese Anleihen verpflichtend in Aktien von Banco Popular umgewandelt.
18 Im Oktober 2016 erhob D. E. beim Juzgado de Primera Instancia (Gericht erster Instanz, Spanien) Klage gegen Banco Popular auf Nichtigerklärung des Erwerbs der nachrangigen Wandelanleihen wegen eines Willensmangels und auf Rückerstattung des ursprünglich für den Erwerb dieser Anleihen investierten Betrags zuzüglich gesetzlicher Zinsen ab dem Zeitpunkt des Erwerbs. Hilfsweise beantragte er Ersatz des Schadens, der ihm dadurch entstanden sein soll, dass Banco Popular bei der Vermarktung dieser Anleihen im Jahr 2009 und ihrer späteren Umwandlung im Jahr 2012 gegen die sich aus den Unionsvorschriften über Märkte für Finanzinstrumente ergebenden Informationspflichten verstoßen habe.
19 Der Juzgado de Primera Instancia (Gericht erster Instanz) gab der Klage statt und erklärte die Zeichnung der nachrangigen Pflichtwandelanleihen für nichtig.
20 Banco Popular legte gegen das Urteil dieses Gerichts Berufung bei der Audiencia Provincial (Provinzgericht, Spanien) ein, die der Berufung mit der Begründung stattgab, dass D. E. nicht klagebefugt sei.
21 D. E. legte gegen das Berufungsurteil Kassationsbeschwerde beim Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof, Spanien), dem vorlegenden Gericht in der vorliegenden Rechtssache, ein. Vor diesem Gericht machte er geltend, die Audiencia Provincial (Provinzgericht) habe seine Klagebefugnis zu Unrecht verneint, da die Übertragung des Eigentums an den Anleihen von Lera Blava auf ihren Geschäftsführer und alleinigen Gesellschafter wirksam gewesen sei.
22 Am 7. Juni 2017 nahm der Einheitliche Abwicklungsausschuss das Abwicklungskonzept für Banco Popular an, das von der Kommission am selben Tag gebilligt wurde.
23 Dieses Abwicklungskonzept wurde mit ebenfalls am 7. Juni 2017 erlassenen Beschluss des Fondo de Reestructuración Ordenada Bancaria (Fonds zur geordneten Umstrukturierung von Kreditinstituten, Spanien) (im Folgenden: FROB) umgesetzt. Mit diesem Beschluss setzte der FROB u. a. das Stammkapital von Banco Popular durch die Herabschreibung aller im Umlauf befindlichen Aktien auf null herab. Dadurch verlor D. E. das Eigentum an den Aktien von Banco Popular, die er durch die Umwandlung der gezeichneten Anleihen erhalten hatte, erhielt jedoch keine Gegenleistung dafür.
24 Außerdem beschloss der FROB, die Instrumente des Ergänzungskapitals von Banco Popular umzuwandeln und die nach der Umwandlung neu ausgegebenen Aktien ohne Zustimmung der früheren Inhaber dieser Instrumente auf Banco Santander zu übertragen.
25 Im Jahr 2018 wurde Banco Santander durch eine Verschmelzung durch Aufnahme Gesamtrechtsnachfolgerin von Banco Popular, deren Rechtspersönlichkeit erloschen ist.
26 Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass in Spanien eine große Zahl von Rechtsstreitigkeiten geführt würden, in denen die Erwerber verschiedener Kapitalinstrumente von Banco Popular Klagen auf Nichtigerklärung der Verträge, mit denen diese Instrumente erworben worden seien, und Rückerstattung des gezahlten Kaufpreises und/oder Haftungsklagen aufgrund der Angaben in dem Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, erhoben hätten.
27 Im Urteil vom 5. Mai 2022, Banco Santander (Bankenabwicklung Banco Popular) (C‑410/20, im Folgenden: Urteil Banco Santander [Bankenabwicklung Banco Popular], EU:C:2022:351), hat der Gerichtshof entschieden, dass Art. 34 Abs. 1 Buchst. a, Art. 53 Abs. 1 und 3 sowie Art. 60 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. b und c der Richtlinie 2014/59 dem entgegenstehen, dass nach der im Rahmen der Abwicklung eines Finanzinstituts angeordneten vollständigen Herabschreibung der Aktien gegen dieses Institut oder seinen Rechtsnachfolger Haftungsklagen aufgrund der Angaben in dem Prospekt, der u. a. beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren zu veröffentlichen ist, und Klagen auf Nichtigerklärung des Aktienzeichnungsvertrags erhoben werden können.
28 Nach der Verkündung dieses Urteils fragt sich das vorlegende Gericht weiterhin nach der Tragweite des Verbots von Haftungs- und Nichtigkeitsklagen, das sich nach den in der vorstehenden Randnummer des vorliegenden Urteils genannten Bestimmungen in ihrer Auslegung durch den Gerichtshof aus einer Abwicklungsmaßnahme ergibt. In der Rechtssache, in der das Urteil Banco Santander (Bankenabwicklung Banco Popular) ergangen sei, hätten die Haftungs- und Nichtigkeitsklagen Verträge über die Zeichnung von Aktien von Banco Popular betroffen. In den Rechtssachen, in denen das Urteil vom 5. September 2024, Banco Santander (Bankenabwicklung Banco Popular II) (C‑775/22, C‑779/22 und C‑794/22, im Folgenden: Urteil Banco Santander [Bankenabwicklung Banco Popular II], EU:C:2024:679) ergangen sei, sei es hingegen um Verträge über die Zeichnung nachrangiger Schuldverschreibungen gegangen, die vor der Abwicklung von Banco Popular in Aktien dieser Bank umgewandelt worden seien.
29 Da die in dem bei ihm anhängigen Rechtsstreit in Rede stehenden Wandelanleihen ebenfalls vor dem Ergreifen von Maßnahmen zur Abwicklung von Banco Popular in Aktien dieser Bank umgewandelt wurden, fragt sich das vorlegende Gericht im Wesentlichen, ob sich D. E. im Rahmen dieses Rechtsstreits auf einen „angefallenen“ Anspruch im Sinne von Art. 53 Abs. 3 und Art. 60 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2014/59 berufen kann.
30 Zum einen stelle im spanischen Recht der Begriff „angefallen“ auf den Zeitpunkt ab, zu dem das Recht, die Erfüllung einer Verpflichtung zu fordern, entstehe, während der Begriff „Fälligkeitsdatum“ das Ende des Zeitraums bezeichne, der für die Erfüllung einer Verpflichtung festgelegt worden sei und nach dessen Ablauf diese fällig werde. Die in dem bei ihm anhängigen Rechtsstreit in Rede stehenden Wandelanleihen seien aber am Tag ihrer Umwandlung in Aktien, also vor der Einleitung des Verfahrens zur Abwicklung von Banco Popular, fällig geworden. Außerdem habe die gerichtliche Entscheidung, mit der die Haftung von Banco Popular für etwaige durch die Zeichnung dieser Anleihen entstandenen Schäden anerkannt werde, keinen konstitutiven Charakter, sondern stelle das Bestehen dieser Haftung fest und beziffere den insoweit geschuldeten Schadensersatz. Sollte es sich bei dieser Schadensersatzpflicht bis zu ihrer rechtskräftigen gerichtlichen Feststellung um einen „etwaigen Anspruch“ handeln, würde sie allerdings schon vor dieser Feststellung als angefallen angesehen.
31 Zum anderen unterscheide sich die bei ihm anhängige Rechtssache von den Rechtssachen, in denen die in den Rn. 27 und 28 des vorliegenden Urteils angeführten Urteile ergangen seien, dadurch, dass D. E. die Klage auf Nichtigerklärung des Vertrags über die Zeichnung der Wandelanleihen und die Haftungsklage vor der Abwicklung von Banco Popular erhoben habe.
32 Unter diesen Umständen hat das Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Sind die Bestimmungen in Art. 34 Abs. 1 Buchst. a und b in Verbindung mit Art. 53 Abs. 1 und 3 sowie Art. 60 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. b und c der Richtlinie 2014/59 dahin auszulegen, dass etwaige Forderungen oder Ansprüche, die sich aus einer Verurteilung des Nachfolgeunternehmens von Banco Popular zur Leistung von Schadensersatz infolge einer Haftungsklage aufgrund der Vermarktung von Finanzprodukten (in Aktien der Bank umwandelbare nachrangige Pflichtwandelanleihen), die nicht zu den Instrumenten des zusätzlichen Kapitals gehören, auf die sich die Maßnahmen zur Abwicklung von Banco Popular beziehen, und die vor Beschluss der Maßnahmen zur Abwicklung von Banco Popular (7. Juni 2017) in Aktien umgewandelt wurden, ergeben, als „nicht angefallene“ Verpflichtungen oder Ansprüche und damit als unter die Regelung über Herabschreibungen oder Löschungen in Art. 53 Abs. 3 der Richtlinie 2014/59 fallende Verbindlichkeiten eingestuft werden können, so dass sie als erfüllt gelten und gegen Banco Santander als Nachfolgeunternehmen von Banco Popular nicht geltend gemacht werden können, wenn die Klage, aus der sich die Verurteilung zu Schadensersatz ergeben würde, vor Abschluss des Abwicklungsverfahrens der Bank erhoben wurde?
2. Oder sind die genannten Bestimmungen vielmehr dahin auszulegen, dass es sich bei diesen Forderungen oder Ansprüchen um zum Zeitpunkt der Abwicklung der Bank „angefallene“ Verpflichtungen oder Ansprüche (Art. 53 Abs. 3 der Richtlinie 2014/59) oder „bereits angefallene Verbindlichkeiten“ (Art. 60 Abs. 2 Buchst. b) handelt, die als solche von der Folge der Erfüllung oder Löschung dieser Verpflichtungen oder Ansprüche ausgeschlossen sind und folglich gegenüber Banco Santander als Nachfolgeunternehmen von Banco Popular geltend gemacht werden können, wenn die Klage, aus der sich die Verurteilung zu Schadensersatz ergeben würde, vor Abschluss des Abwicklungsverfahrens der Bank erhoben wurde?
Zur Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens
33 Banco Santander macht geltend, das Vorabentscheidungsersuchen sei unzulässig, da es vom Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof) eingereicht worden sei, ohne dass dieses zuvor die dem nationalen Recht unterfallende Frage der Klagebefugnis von D. E. geklärt habe. Sollte D. E. nicht befugt sein, im eigenen Namen Klage gegen Banco Popular zu erheben, sei die erbetene Auslegung der Bestimmungen der Richtlinie 2014/59 für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits unerheblich.
34 Hierzu ist festzustellen, dass nach ständiger Rechtsprechung für Fragen, die das Unionsrecht betreffen, eine Vermutung der Entscheidungserheblichkeit gilt. Der Gerichtshof kann die Beantwortung einer Vorlagefrage eines nationalen Gerichts nur dann ablehnen, wenn die erbetene Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn er nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (Urteil vom 6. März 2025, ONB u. a., C‑575/23, EU:C:2025:141, Rn. 51 und die dort angeführte Rechtsprechung).
35 Ferner besteht nach ebenfalls ständiger Rechtsprechung die Rechtfertigung des Vorabentscheidungsersuchens nicht in der Abgabe von Gutachten zu allgemeinen oder hypothetischen Fragen, sondern darin, dass das Ersuchen für die tatsächliche Entscheidung eines Rechtsstreits erforderlich ist (Urteil vom 6. März 2025, ONB u. a., C‑575/23, EU:C:2025:141, Rn. 52 und die dort angeführte Rechtsprechung).
36 Im vorliegenden Fall ist darauf hinzuweisen, dass das vorlegende Gericht, falls der Gerichtshof die Vorlagefragen dahin beantworten sollte, dass die Ansprüche, die sich aus einer Klage auf Nichtigerklärung eines Vertrags über den Erwerb in Aktien umgewandelter nachrangiger Schuldverschreibungen sowie aus einer Haftungsklage ergeben, die auf einen Verstoß gegen die Informationspflichten der Richtlinie 2004/39 gestützt werden und vor der Abwicklung des betreffenden Kreditinstituts erhoben wurden, keine „angefallenen“ Verpflichtungen bzw. Verbindlichkeiten im Sinne von Art. 53 Abs. 3 und Art. 60 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2014/59 darstellen, nach den Angaben der spanischen Regierung die Klage im Ausgangsverfahren abweisen müsste, ohne dass es erforderlich wäre, die Befugnis von D. E. zur Klageerhebung gegen Banco Popular im eigenen Namen zu prüfen.
37 Folglich ist nicht offensichtlich, dass die vom vorlegenden Gericht erbetene Auslegung der Bestimmungen der Richtlinie 2014/59 in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht oder das Problem hypothetischer Natur ist.
38 Das Vorabentscheidungsersuchen ist demnach zulässig.
Zu den Vorlagefragen
39 Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Bestimmungen von Art. 34 Abs. 1 Buchst. a und b, Art. 53 Abs. 1 und 3 sowie Art. 60 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. b und c der Richtlinie 2014/59 dahin auszulegen sind, dass sie dem entgegenstehen, dass die Ansprüche, die sich aus einer Klage auf Nichtigerklärung eines Vertrags über die Zeichnung in Aktien umgewandelter nachrangiger Schuldverschreibungen sowie aus einer Haftungsklage ergeben, die auf einen Verstoß gegen die Informationspflichten der Richtlinie 2004/39 gestützt werden, in die Kategorie der zum Zeitpunkt der Abwicklung des betreffenden Kreditinstituts „angefallenen“ Verpflichtungen oder Ansprüche bzw. Verbindlichkeiten im Sinne von Art. 53 Abs. 3 und Art. 60 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2014/59 fallen, wenn diese Klagen vor der vollständigen Herabschreibung der Aktien des Stammkapitals dieses Kreditinstituts im Rahmen der Abwicklung erhoben wurden.
40 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass in Art. 34 Abs. 1 Buchst. a und b der Richtlinie 2014/59 der Grundsatz festgelegt wird, dass die durch das Abwicklungsverfahren entstandenen Verluste vorrangig von den Anteilseignern und dann von den Gläubigern eines Kreditinstituts oder einer Wertpapierfirma, das bzw. die sich in Abwicklung befindet, zu tragen sind.
41 Gemäß Art. 53 Abs. 3 dieser Richtlinie gelten, wenn eine Abwicklungsbehörde den Nennwert oder den geschuldeten Restbetrag einer Verbindlichkeit auf null kürzt, die betreffende Verbindlichkeit und etwaige daraus resultierende Verpflichtungen oder Ansprüche, die zum Zeitpunkt der Abwicklung noch nicht angefallen sind, als erfüllt und können in einem späteren Liquidationsverfahren gegenüber dem Kreditinstitut oder der Wertpapierfirma, das bzw. die sich in Abwicklung befindet, oder einem etwaigen Nachfolgeunternehmen nicht geltend gemacht werden.
42 Art. 60 der Richtlinie 2014/59, der die Herabschreibung oder Umwandlung von Kapitalinstrumenten betrifft, bestimmt in Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. b, dass abgesehen von etwaigen bereits angefallenen Verbindlichkeiten und einer etwaigen Haftung für Schäden, die sich aus einem in Hinblick auf die Rechtmäßigkeit der Ausübung der Herabschreibungsbefugnis eingelegten Rechtsmittel ergeben kann, bei oder in Verbindung mit diesem Betrag des Instruments, der herabgeschrieben worden ist, gegenüber dem Inhaber des gemäß dem Abwicklungsbeschluss herabgeschriebenen Kapitalinstruments keinerlei Verbindlichkeit mehr besteht.
43 Daraus folgt, dass die Anteilseigner eines in Abwicklung befindlichen Kreditinstituts im Fall einer vollständigen Herabschreibung der Aktien des Stammkapitals dieses Kreditinstituts auf der Grundlage der Richtlinie 2014/59 dem Kreditinstitut oder seinem Nachfolgeunternehmen nur die Verpflichtungen oder Ansprüche bzw. Verbindlichkeiten aus herabgeschriebenen Kapitalinstrumenten entgegenhalten können, die zum Zeitpunkt der Abwicklung bereits „angefallen“ waren im Sinne von Art. 53 Abs. 3 und Art. 60 Abs. 2 Buchst. b dieser Richtlinie.
44 Zu den Ansprüchen aus insbesondere in Art. 6 der Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG (ABl. 2003, L 345, S. 64) vorgesehenen Haftungsklagen aufgrund mangelhafter und falscher Angaben in dem Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, sowie aus einer Klage auf Nichtigerklärung eines Vertrags über die Zeichnung von Aktien oder in Aktien umgewandelter nachrangiger Schuldverschreibungen, die nach dem Erlass des Abwicklungsbeschlusses auf der Grundlage der in der vorstehenden Randnummer des vorliegenden Urteils genannten Bestimmungen erhoben wurden, hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass aufgrund ihrer Rückwirkung nicht davon auszugehen ist, dass sie in die Kategorie der „angefallenen“ Verpflichtungen oder Ansprüche bzw. Verbindlichkeiten im Sinne dieser Bestimmungen fallen (vgl. in diesem Sinne Urteile Banco Santander [Bankenabwicklung Banco Popular], Rn. 41, 42 und 51, sowie Banco Santander [Bankenabwicklung Banco Popular II], Rn. 62 und 85).
45 Im vorliegenden Fall wurden die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Nichtigkeits- und Haftungsklagen jedoch vor der Abwicklung von Banco Popular erhoben. Hierzu bringt die Kommission im Wesentlichen vor, die Erhebung dieser Klagen vor Abwicklung reiche aus, damit die sich daraus ergebenden Ansprüche als zum Zeitpunkt der Abwicklung „angefallen“ im Sinne von Art. 53 Abs. 3 und Art. 60 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2014/59 angesehen werden könnten. Nach Ansicht von Banco Santander sowie der spanischen, der italienischen und der portugiesischen Regierung muss über die Ansprüche aus diesen Klagen zudem vor dem Zeitpunkt der Abwicklung rechtskräftig entschieden worden sein.
46 Nach ständiger Rechtsprechung verlangen die einheitliche Anwendung des Unionsrechts und der Gleichheitssatz, dass die Begriffe einer unionsrechtlichen Vorschrift, die für die Ermittlung ihres Sinnes und ihrer Tragweite nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in der Regel in der gesamten Union autonom und einheitlich auszulegen sind, wobei bei dieser Auslegung nicht nur der Wortlaut dieser Bestimmung, sondern auch ihr Kontext und die Ziele, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden, zu berücksichtigen sind (Urteile vom 30. April 2024, M. N.[EncroChat], C‑670/22, EU:C:2024:372, Rn. 109 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie Banco Santander [Bankenabwicklung Banco Popular II], Rn. 48).
47 Was als Erstes den Wortlaut von Art. 53 Abs. 3 und Art. 60 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2014/59 betrifft, so ist darauf hinzuweisen, dass die Verwendung des Begriffs „bereits angefallene Verbindlichkeiten“ oder die Bezugnahme auf angefallene Verpflichtungen oder Ansprüche für sich genommen keinen Hinweis darauf geben, ob Nichtigkeits- und Haftungsklagen zum Zeitpunkt der Abwicklung nur erhoben oder bereits rechtskräftig entschieden worden sein müssen.
48 Allerdings wird in Art. 53 Abs. 3 dieser Richtlinie klargestellt, dass aus einer herabgeschriebenen Verbindlichkeit resultierende Verpflichtungen oder Ansprüche, die zum Zeitpunkt der Abwicklung noch nicht angefallen sind, als erfüllt gelten und „in einem späteren [Verfahren]“ gegenüber dem in Abwicklung befindlichen Kreditinstitut oder einem etwaigen Nachfolgeunternehmen nicht geltend gemacht werden können. Wie die Kommission in ihren beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen zu Recht ausführt, ist diese Klarstellung ein Indiz dafür, dass solche Verpflichtungen oder Ansprüche gegenüber einem solchen Institut oder Unternehmen geltend gemacht werden können, wenn sie Gegenstand eines vor der Abwicklung eingeleiteten gerichtlichen Verfahrens sind. Durch den Fokus dieser Bestimmung auf spätere Verfahren wird nämlich keineswegs ausgeschlossen, dass diese Verpflichtungen oder Ansprüche im Rahmen von zum Zeitpunkt der Abwicklung anhängigen Verfahren geltend gemacht werden können.
49 Was als Zweites den Kontext betrifft, in den sich Art. 53 Abs. 3 und Art. 60 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2014/59 einfügen, so ist es zum einen zwar zutreffend, dass nach Art. 34 Abs. 1 Buchst. a und b dieser Richtlinie die durch das Abwicklungsverfahren entstandenen Verluste vorrangig von den Anteilseignern und dann von den Gläubigern eines in Abwicklung befindlichen Kreditinstituts zu tragen sind.
50 Der Grundsatz der vorrangigen Haftung der Anteilseigner und Gläubiger für diese Verluste wird jedoch durch Art. 53 Abs. 3 und Art. 60 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2014/59 abgeschwächt, deren persönlicher Anwendungsbereich zwangsläufig derselbe ist wie der von Art. 34 Abs. 1 Buchst. a und b dieser Richtlinie. Da sich die ersten beiden Bestimmungen ausdrücklich auf Verpflichtungen und Ansprüche beziehen, die aus einer herabgeschriebenen „Verbindlichkeit“ resultieren, bzw. auf Verbindlichkeiten, die gegenüber dem Inhaber der herabgeschriebenen Kapitalinstrumente bestehen, gelten sie nämlich insbesondere für Verpflichtungen und Ansprüche bzw. Verbindlichkeiten von Personen, die Anteilseigner oder Gläubiger eines in Abwicklung befindlichen Kreditinstituts sind. Sofern diese Verpflichtungen oder Ansprüche bzw. Verbindlichkeiten zum Zeitpunkt der Abwicklung „angefallen“ sind, ergibt sich aus Art. 53 Abs. 3 und Art. 60 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. b der Richtlinie, dass sie gegenüber dem in Abwicklung befindlichen Kreditinstitut oder einem etwaigen Nachfolgeunternehmen geltend gemacht werden können.
51 Aus Art. 34 Abs. 1 Buchst. a und b der Richtlinie 2014/59 kann daher nicht abgeleitet werden, dass nur Personen, die infolge eines rechtskräftigen Urteils, mit dem die Nichtigerklärung des Vertrags über die Zeichnung der in Rede stehenden Kapitalinstrumente bestätigt wird, die Eigenschaft als Anteilseigner oder Gläubiger des in Abwicklung befindlichen Kreditinstituts verloren haben, die zum Zeitpunkt der Abwicklung „angefallenen“ Verpflichtungen oder Ansprüche bzw. Verbindlichkeiten im Sinne von Art. 53 Abs. 3 und Art. 60 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie geltend machen können.
52 Zum anderen sieht Art. 48 Abs. 1 der Richtlinie 2014/59 für den Fall, dass das Abwicklungsverfahren die Anwendung des „Bail-in‑Instruments“ im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Nr. 57 der Richtlinie umfasst, vor, dass die Abwicklungsbehörden in Ausübung der Herabschreibungs- und Umwandlungsbefugnisse in erster Linie die verschiedenen Kategorien von Kapitalinstrumenten herabsetzen. Nach Art. 53 Abs. 1 der Richtlinie sind die nach diesem Bail-in zulässigen Maßnahmen der Herabsetzung des Stammkapitals oder der Umwandlung oder Löschung dieser Instrumente für die betroffenen Aktionäre und Gläubiger unmittelbar bindend. Es zeigt sich somit, dass die Herabschreibung und Umwandlung von Kapitalinstrumenten im Rahmen eines Bail-in unmittelbar der Verwirklichung der Abwicklungsziele dienen (Urteil Banco Santander [Bankenabwicklung Banco Popular II], Rn. 52).
53 Vor diesem Hintergrund sieht Art. 60 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. c und Abs. 3 der Richtlinie 2014/59 vor, dass die Inhaber der relevanten Kapitalinstrumente außer in den Fällen, in denen die Instrumente nach diesem Abs. 3 umgewandelt werden, keine Entschädigung erhalten und dass die Entschädigung in diesen Fällen der Umwandlung in der Form geleistet wird, dass Kapitalinstrumente an diese Inhaber ausgegeben werden. Dadurch, dass die Entschädigung in diesen Bestimmungen auf eine solche Ausgabe von Kapitalinstrumenten beschränkt wird, lässt sich verhindern, dass der Betrag der für Abwicklungszwecke verwendeten Eigenmittel durch die Entschädigung rückwirkend verringert wird (Urteil Banco Santander [Bankenabwicklung Banco Popular II], Rn. 54).
54 So hat der Gerichtshof in Bezug auf Nichtigkeits- bzw. Haftungsklagen, die nach der Abwicklung erhoben werden, bereits entschieden, dass solche Klagen die Gefahr mit sich brächten, dass der Betrag der Kapitalinstrumente, die im Rahmen der Abwicklung einem Bail-in unterliegen, rückwirkend verringert wird, soweit sie auf Schadensersatz oder Rückgewähr in Höhe der vor der Abwicklung für den Erwerb dieser Kapitalinstrumente gezahlten Mittel gerichtet sind. Diese Klagen können daher die Erreichung der mit der Abwicklungsmaßnahme verfolgten Ziele in Frage stellen (Urteil Banco Santander [Bankenabwicklung Banco Popular II], Rn. 53).
55 Zudem hat der Gerichtshof klargestellt, dass Klagen, die nach der Abwicklung erhoben werden, darauf hinauslaufen, das Kreditinstitut oder die Wertpapierfirma, das bzw. die sich in Abwicklung befindet, oder ein Nachfolgeunternehmen zu verpflichten, die Anteilseigner für die Verluste zu entschädigen, die infolge der Ausübung der Befugnis zur Herabschreibung oder Umwandlung durch die Abwicklungsbehörde hinsichtlich der Verbindlichkeiten dieses Instituts oder dieser Firma entstanden sind, oder die bei Zeichnung der Aktien investierten Beträge, die aufgrund dieser Abwicklung herabgeschrieben wurden, vollständig zurückzuzahlen. Aufgrund ihrer Rückwirkung würden diese Klagen die gesamte Bewertung, auf der der Abwicklungsbeschluss beruht, in Frage stellen, da die Zusammensetzung des Kapitals zu den objektiven Daten dieser Bewertung gehört, und könnten daher die Abwicklung selbst und die mit der Richtlinie 2014/59 verfolgten Ziele vereiteln (vgl. in diesem Sinne Urteil Banco Santander [Bankenabwicklung Banco Popular II], Rn. 59 und 62).
56 Im Gegensatz zu nach der Abwicklung erhobenen Nichtigkeits- und/oder Haftungsklagen können solche Klagen, wenn sie vor der Abwicklung erhoben wurden, allerdings nicht als rückwirkend im Sinne der in der vorstehenden Randnummer des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung angesehen werden und sind nicht geeignet, die in Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie 2014/59 vorgesehene Bewertung und den darauf beruhenden Abwicklungsbeschluss in Frage zu stellen. Wie die Generalanwältin in Nr. 73 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, werden die finanziellen Risiken, die sich aus anhängigen Rechtsstreitigkeiten ergeben, nämlich zwingend in den Büchern von börsennotierten Banken erfasst.
57 Zu dem Umstand, dass bei der Bewertung gegebenenfalls nicht alle erhobenen Rechtsbehelfe berücksichtigt sind, hat die Generalanwältin in Nr. 72 ihrer Schlussanträge zu Recht darauf hingewiesen, dass ein solches Maß an Ungewissheit bei jeder „Bestandsaufnahme“ gegeben ist und als Teil des allgemeinen Risikos angesehen werden kann, das im Rahmen der Abwicklung gemäß der Richtlinie 2014/59 akzeptiert werden muss, insbesondere von dem Unternehmen, das das in Abwicklung befindliche Kreditinstitut erwirbt.
58 Art. 36 Abs. 1 dieser Richtlinie sieht nämlich eine „faire, vorsichtige und realistische“ Bewertung der Vermögenswerte und Verbindlichkeiten des Kreditinstituts vor, ohne vorauszusetzen, dass die Vermögenswerte und Verbindlichkeiten vollständig und in allen Einzelheiten bewertet werden. Insbesondere kann sich die Abwicklungsbehörde nach Art. 36 Abs. 9 in Verbindung mit Art. 36 Abs. 2, 3 und 6 der Richtlinie auf eine vorläufige Bewertung beschränken und Schätzungen der Vermögenswerte und Verbindlichkeiten vornehmen, wenn es aufgrund der gebotenen Dringlichkeit nicht möglich ist, die Aufstellung der bilanziellen und außerbilanziellen offenen Verbindlichkeiten zu erstellen.
59 Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass vor der Abwicklung erhobene Nichtigkeits- und/oder Haftungsklagen die in Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie 2014/59 vorgesehene Bewertung und den darauf beruhenden Abwicklungsbeschluss nicht in Frage stellen können.
60 Was als Drittes die mit der Richtlinie 2014/59 verfolgten Ziele betrifft, so geht aus dem 49. Erwägungsgrund der Richtlinie hervor, dass die Abwicklungsinstrumente nur auf jene Kreditinstitute und Wertpapierfirmen angewandt werden sollten, die ausfallen oder wahrscheinlich ausfallen, und auch nur dann, wenn dies dem Ziel der Wahrung der Finanzstabilität im Allgemeininteresse dient. Diese Abwicklungsinstrumente sollten somit nur in äußerst dringlichen Situationen angewandt werden, wenn das betreffende Kreditinstitut oder die betreffende Wertpapierfirma nicht gemäß einem regulären Insolvenzverfahren liquidiert werden kann, ohne das Finanzsystem zu destabilisieren.
61 Außerdem soll die Abwicklung, wie im 45. Erwägungsgrund der Richtlinie ausgeführt, die übermäßige Risikobereitschaft im Finanzsektor verringern, indem die Verluste aus der Liquidation eines Kreditinstituts oder einer Wertpapierfirma vorrangig von den Anteilseignern zu tragen sind, um zu vermeiden, dass für diese Liquidation öffentliche Mittel benötigt werden und der Schutz der Einleger beeinträchtigt wird (Urteil Banco Santander [Bankenabwicklung Banco Popular II], Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).
62 Die Richtlinie 2014/59 sieht daher vor, dass in einem außergewöhnlichen wirtschaftlichen Kontext auf ein Verfahren, das insbesondere die Rechte der Anteilseigner und der Gläubiger eines Kreditinstituts oder einer Wertpapierfirma beeinträchtigen kann, zurückgegriffen wird, um die finanzielle Stabilität der Mitgliedstaaten zu wahren, indem ein vom allgemeinen Insolvenzrecht abweichendes Insolvenzverfahren geschaffen wird, dessen Durchführung nur unter außergewöhnlichen Umständen zulässig ist und durch ein übergeordnetes öffentliches Interesse gerechtfertigt sein muss. Der Ausnahmecharakter dieses Verfahrens bedeutet, dass die Anwendung anderer Bestimmungen des Unionsrechts ausgeschlossen werden kann, wenn diese geeignet sind, der Abwicklung die praktische Wirksamkeit zu nehmen oder ihre Durchführung zu erschweren (Urteil Banco Santander [Bankenabwicklung Banco Popular II], Rn. 56 und die dort angeführte Rechtsprechung).
63 Darüber hinaus heißt es im 120. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/59, dass die in dieser Richtlinie vorgesehenen Ausnahmen von den bindenden Vorschriften für den Schutz von Anteilseignern und Gläubigern von in den Anwendungsbereich der Gesellschaftsrechtsrichtlinien der Union fallenden Instituten, die ein wirksames Eingreifen der zuständigen Behörden sowie ihren Rückgriff auf Abwicklungsinstrumente und ‑befugnisse behindern können, nicht nur geeignet, sondern auch klar und eng definiert sein müssen, um größtmögliche Rechtssicherheit für die Interessenträger herbeizuführen (Urteil Banco Santander [Bankenabwicklung Banco Popular II], Rn. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung).
64 Die Richtlinie 2004/39, die den Schutz potenzieller Anleger zu dem Zeitpunkt, zu dem sie Anlageentscheidungen treffen, bezweckte, zählt zu den im 120. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/59 angesprochenen „Gesellschaftsrechtsrichtlinien der Union“. Die Richtlinie 2014/59 lässt daher eine Abweichung von den Bestimmungen der Richtlinie 2004/39 zu, soweit deren Anwendung dazu führen kann, einer Abwicklung die praktische Wirksamkeit zu nehmen oder ihre Durchführung zu erschweren (vgl. entsprechend Urteil Banco Santander [Bankenabwicklung Banco Popular II], Rn. 58 und die dort angeführte Rechtsprechung).
65 In Anbetracht der Erwägungen in den Rn. 56 bis 59 des vorliegenden Urteils können Nichtigkeitsklagen und Haftungsklagen, die auf einen Verstoß gegen die Informationspflichten der Richtlinie 2004/39 gestützt werden, nicht dazu führen, einer Abwicklung die praktische Wirksamkeit zu nehmen oder ihre Durchführung zu erschweren, wenn diese Klagen vor der Abwicklung erhoben wurden.
66 Im Übrigen sind die Bestimmungen der Richtlinie 2014/59 im Licht der durch die Charta garantierten Grundrechte und insbesondere des in Art. 47 der Charta verankerten Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf auszulegen.
67 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung das in Art. 47 der Charta garantierte Recht auf gerichtlichen Rechtsschutz kein absolutes Recht ist und seine Ausübung Einschränkungen unterliegen kann, die durch dem Gemeinwohl dienende Zielsetzungen der Union gerechtfertigt sind. Folglich kann dieses Grundrecht, wie sich aus Art. 52 Abs. 1 der Charta ergibt, eingeschränkt werden, sofern die Einschränkungen tatsächlich den dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen entsprechen und nicht einen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismäßigen und nicht tragbaren Eingriff darstellen, der das gewährleistete Recht in seinem Wesensgehalt antasten würde (Urteil Banco Santander [Bankenabwicklung Banco Popular II], Rn. 80 und die dort angeführte Rechtsprechung).
68 Ferner hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass zwar ein klares öffentliches Interesse daran besteht, in der gesamten Union einen wirksamen und einheitlichen Schutz der Investoren zu gewährleisten, dass aber nicht davon ausgegangen werden kann, dass dieses Interesse in jedem Fall Vorrang vor dem öffentlichen Interesse an der Gewährleistung der Stabilität des Finanzsystems hat (Urteil Banco Santander [Bankenabwicklung Banco Popular II], Rn. 81 und die dort angeführte Rechtsprechung).
69 Was Nichtigkeitsklagen und Haftungsklagen betrifft, die nach dem Erlass des Abwicklungsbeschlusses erhoben wurden, um die Rückzahlung der Beträge zu erwirken, die beim Erwerb der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Kapitalinstrumente gezahlt wurden, so ergibt sich aus der Rechtsprechung in den Urteilen Banco Santander (Bankenabwicklung Banco Popular) (Rn. 48 bis 50) und Banco Santander (Bankenabwicklung Banco Popular II) (Rn. 82 bis 84) im Wesentlichen, dass Art. 47 in Verbindung mit Art. 52 Abs. 1 der Charta einer Auslegung nicht entgegensteht, wonach die Bestimmungen der Richtlinie 2014/59 die Anteilseigner eines in Abwicklung befindlichen Kreditinstituts daran hindern, diese Klagen nach der Abwicklung zu erheben.
70 Die Situation, in der Personen diese Klagen vor der Abwicklung erhoben haben, unterscheidet sich jedoch wesentlich von der in der vorstehenden Randnummer genannten Situation.
71 Wie die Generalanwältin in Nr. 86 ihrer Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, hätte eine Auslegung, wonach die Ansprüche aus vor der Abwicklung erhobenen Nichtigkeits- und/oder Haftungsklagen keine „angefallenen“ Verpflichtungen oder Ansprüche bzw. Verbindlichkeiten im Sinne von Art. 53 Abs. 3 und Art. 60 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2014/59 darstellen, die gegenüber dem in Abwicklung befindlichen Kreditinstitut und einem etwaigen Nachfolgeunternehmen geltend gemacht werden können, zur Folge, dass der Abwicklungsbeschluss die anhängigen Gerichtsverfahren gegenstandslos machen würde und diese daher beendet werden müssten.
72 Der schwerwiegende Eingriff in das durch Art. 47 der Charta garantierte Recht, der aus dieser Auslegung resultiert, wird auch nicht durch die Möglichkeit gemildert, einen Rechtsbehelf gegen den Abwicklungsbeschluss einzulegen. Nach dieser Auslegung würde der Abwicklungsbeschluss nämlich den für die Entscheidung eines bereits vor dem Erlass dieses Beschlusses eingeleiteten Rechtsstreits maßgeblichen rechtlichen Rahmen oder sogar unmittelbar die dem Rechtsstreit zugrunde liegende Rechtslage rückwirkend ändern. Die Möglichkeit eines Rechtsbehelfs gegen den Abwicklungsbeschluss hätte somit keinen Einfluss auf die Wirkungen, die der Beschluss in diesem Fall ab seinem Erlass auf bereits anhängige Rechtsstreitigkeiten hätte (vgl. entsprechend Urteil vom 29. April 2021, Banco de Portugal u. a., C‑504/19, EU:C:2021:335, Rn. 63, 65 und 66).
73 Des Weiteren würde eine Auslegung, wonach über die Ansprüche aus Nichtigkeits- und/oder Haftungsklagen vor der Abwicklung rechtskräftig entschieden worden sein muss, damit sie gegenüber dem in Abwicklung befindlichen Kreditinstitut oder seinem Nachfolgeunternehmen geltend gemacht werden können, die Geltendmachung dieser Ansprüche nach Art. 53 Abs. 3 und Art. 60 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2014/59 von Umständen abhängig machen, die sich dem Einfluss der klagenden Person im Wesentlichen entziehen. Die Dauer des gerichtlichen Verfahrens hängt nämlich u. a. von der Arbeitsbelastung des angerufenen Gerichts und dem Verhalten der Gegenseite im Verfahren ab.
74 Außerdem hat diese Person dadurch, dass sie die Klagen vor Abwicklung bei den nationalen Gerichten erhoben hat, im Gegensatz zu Personen, die sie nach der Abwicklung erheben, grundsätzlich die gebotene Sorgfalt unter Beweis gestellt, um die Befriedigung der sich aus diesen Klagen ergebenden Forderungen vor der Abwicklung zu erreichen. Aus diesem Grund und in Anbetracht des Grundsatzes iura vigilantibus non dormientibus prosunt kann das Schicksal der vor der Abwicklung erhobenen Klagen nicht davon abhängen, ob sie zum Zeitpunkt der Abwicklung rechtskräftig entschieden worden sind.
75 Schließlich ergibt sich aus den Erwägungen in den Rn. 56 bis 59 des vorliegenden Urteils, dass die Ansprüche aus Nichtigkeits- und/oder Haftungsklagen, die vor der Abwicklung erhoben wurden, im Gegensatz zu Ansprüchen aus Klagen nach der Abwicklung bei der in Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie 2014/59 vorgesehenen Bewertung berücksichtigt werden können und daher nicht geeignet sind, diese Bewertung und den darauf beruhenden Abwicklungsbeschluss in Frage zu stellen. Eine Auslegung von Art. 53 Abs. 3 und Art. 60 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie, die es Anteilseignern und Gläubigern ermöglicht, Nichtigkeits- und/oder Haftungsklagen weiterzuverfolgen, die zum Zeitpunkt der Abwicklung bereits anhängig sind, ist nicht geeignet, die Finanzstabilität der Union zu gefährden.
76 Darüber hinaus beeinträchtigt diese Auslegung die Rechte etwaiger Erwerber eines in Abwicklung befindlichen Kreditinstituts sowie des Nachfolgeunternehmens nach Abwicklung nicht unverhältnismäßig. Angesichts der Erwägungen in den Rn. 56 bis 59 des vorliegenden Urteils können die Erwerber nämlich – bevor sie ihr Angebot zum Erwerb dieses Instituts abgeben – auch die Verbindlichkeiten des Instituts in Erfahrung bringen, die aus den Ansprüchen bestehen, die sich aus vor der Abwicklung erhobenen Nichtigkeits- und/oder Haftungsklagen ergeben.
77 Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass die Bestimmungen von Art. 34 Abs. 1 Buchst. a und b, Art. 53 Abs. 1 und 3 sowie Art. 60 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. b und c der Richtlinie 2014/59 dahin auszulegen sind, dass sie dem nicht entgegenstehen, dass die Ansprüche, die sich aus einer Klage auf Nichtigerklärung eines Vertrags über die Zeichnung in Aktien umgewandelter nachrangiger Schuldverschreibungen sowie aus einer Haftungsklage ergeben, die auf einen Verstoß gegen die Informationspflichten der Richtlinie 2004/39 gestützt werden, in die Kategorie der zum Zeitpunkt der Abwicklung des betreffenden Kreditinstituts „angefallenen“ Verpflichtungen oder Ansprüche bzw. Verbindlichkeiten im Sinne von Art. 53 Abs. 3 und Art. 60 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2014/59 fallen, wenn diese Klagen vor der vollständigen Herabschreibung der Aktien des Stammkapitals dieses Kreditinstituts im Rahmen der Abwicklung erhoben wurden.