EuGH: Ausschluss des Gesellschaftsrechts vom Anwendungsbereich der Rom-I-Verordnung – Treuhandvertrag über die Verwaltung einer Beteiligung an einer Kommanditgesellschaft
EuGH, Urteil vom 3.10.2019 – C-272/18, Verein für Konsumenteninformation gegen TVP Treuhand- und Verwaltungsgesellschaft für Publikumsfonds mbH & Co KG
ECLI:EU:C:2019:827
Volltext des Urteils://BB-ONLINE BBL2019-2447-1
Tenor
1. Art. 1 Abs. 2 Buchst. e des am 19. Juni 1980 in Rom zur Unterzeichnung aufgelegten Übereinkommens über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht und Art. 1 Abs. 2 Buchst. f der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) sind dahin auszulegen, dass vertragliche Pflichten wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die ihren Ursprung in einem Treuhandvertrag über die Verwaltung einer Beteiligung an einer Kommanditgesellschaft haben, nicht vom Anwendungsbereich des Übereinkommens und der Verordnung ausgenommen sind.
2. Art. 5 Abs. 4 Buchst. b des Übereinkommens über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht und Art. 6 Abs. 4 Buchst. a der Verordnung Nr. 593/2008 sind dahin auszulegen, dass ein Treuhandvertrag, aufgrund dessen die dem Verbraucher geschuldeten Dienstleistungen in dem Staat, in dem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, vom Gebiet eines anderen Staates aus, d. h. aus der Ferne, zu erbringen sind, nicht unter den in diesen Bestimmungen vorgesehenen Ausschluss fällt.
3. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen ist dahin auszulegen, dass eine in einem zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher abgeschlossenen Treuhandvertrag über die Verwaltung einer Kommanditbeteiligung, wie sie im Ausgangsverfahren in Rede stehen, enthaltene Klausel, die nicht im Einzelnen ausgehandelt wurde und nach der das Recht des Sitzmitgliedstaats der Kommanditgesellschaft anwendbar ist, missbräuchlich im Sinne der genannten Bestimmung ist, wenn sie den Verbraucher in die Irre führt, indem sie ihm den Eindruck vermittelt, auf den Vertrag sei nur das Recht dieses Mitgliedstaats anzuwenden, ohne ihn darüber zu unterrichten, dass er nach Art. 5 Abs. 2 des Übereinkommens über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht und Art. 6 Abs. 2 der Verordnung Nr. 593/2008 auch den Schutz der zwingenden Bestimmungen des nationalen Rechts genießt, das ohne diese Klausel anzuwenden wäre.
g§§
Sachverhalt
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 Abs. 2 Buchst. e und Art. 5 Abs. 4 Buchst. b des am 19. Juni 1980 in Rom zur Unterzeichnung aufgelegten Übereinkommens über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (ABl. 1980, L 266, S. 1, im Folgenden: Übereinkommen von Rom), von Art. 1 Abs. 2 Buchst. f und Art. 6 Abs. 4 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) (ABl. 2008, L 177, S. 6, im Folgenden: Rom-I-Verordnung) sowie von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. 1993, L 95, S. 29).
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Verein für Konsumenteninformation (Österreich, im Folgenden: VKI) und der TVP Treuhand- und Verwaltungsgesellschaft für Publikumsfonds mbH & Co KG (im Folgenden: TVP), einer Gesellschaft deutschen Rechts, über die Zulässigkeit einer von TVP in Verträgen mit privaten Anlegern verwendeten Rechtswahlklausel.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Übereinkommen von Rom
Art. 1 („Anwendungsbereich“) des Übereinkommens von Rom bestimmt:
„(1) Die Vorschriften dieses Übereinkommens sind auf vertragliche Schuldverhältnisse bei Sachverhalten, die eine Verbindung zum Recht verschiedener Staaten aufweisen, anzuwenden.
(2) Sie sind nicht anzuwenden auf
…
e) Fragen betreffend das Gesellschaftsrecht, das Vereinsrecht und das Recht der juristischen Personen, wie z. B. die Errichtung, die Rechts- und Handlungsfähigkeit, die innere Verfassung und die Auflösung von Gesellschaften, Vereinen und juristischen Personen sowie die persönliche gesetzliche Haftung der Gesellschafter und der Organe für die Schulden der Gesellschaft, des Vereins oder der juristischen Person;
…“
In Art. 5 („Verbraucherverträge“) des Übereinkommens heißt es:
„(1) Dieser Artikel gilt für Verträge über die Lieferung beweglicher Sachen oder die Erbringung von Dienstleistungen an eine Person, den Verbraucher, zu einem Zweck, der nicht der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit des Verbrauchers zugerechnet werden kann, sowie für Verträge zur Finanzierung eines solchen Geschäfts.
(2) Ungeachtet des Artikels 3 darf die Rechtswahl der Parteien nicht dazu führen, dass dem Verbraucher der durch die zwingenden Bestimmungen des Rechts des Staates, in dem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, gewährte Schutz entzogen wird:
– wenn dem Vertragsabschluss ein ausdrückliches Angebot oder eine Werbung in diesem Staat vorausgegangen ist und wenn der Verbraucher in diesem Staat die zum Abschluss des Vertrages erforderlichen Rechtshandlungen vorgenommen hat oder
– wenn der Vertragspartner des Verbrauchers oder sein Vertreter die Bestellung des Verbrauchers in diesem Staat entgegengenommen hat oder
– wenn der Vertrag den Verkauf von Waren betrifft und der Verbraucher von diesem Staat ins Ausland gereist ist und dort seine Bestellung aufgegeben hat, sofern diese Reise vom Verkäufer mit dem Ziel herbeigeführt worden ist, den Verbraucher zum Vertragsabschluss zu veranlassen.
(3) Abweichend von Artikel 4 ist mangels einer Rechtswahl nach Artikel 3 für Verträge, die unter den in Absatz 2 bezeichneten Umständen zustande gekommen sind, das Recht des Staates maßgebend, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.
(4) Dieser Artikel gilt nicht für
…
b) Verträge über die Erbringung von Dienstleistungen, wenn die dem Verbraucher geschuldeten Dienstleistungen ausschließlich in einem anderen als dem Staat erbracht werden müssen, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.
…“
Rom-I-Verordnung
In den Erwägungsgründen 7 und 25 der Rom-I-Verordnung heißt es:
„(7) Der materielle Anwendungsbereich und die Bestimmungen dieser Verordnung sollten mit der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (‚Brüssel I‘) [ABl. 2001, L 12, S. 1] und der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (‚Rom II‘) [ABl. 2007, L 199, S. 40] im Einklang stehen.
…
(25) Die Verbraucher sollten dann durch Regelungen des Staates ihres gewöhnlichen Aufenthalts geschützt werden, von denen nicht durch Vereinbarung abgewichen werden kann, wenn der Vertragsschluss darauf zurückzuführen ist, dass der Unternehmer in diesem bestimmten Staat eine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit ausübt. …“
Art. 1 („Anwendungsbereich“) der Verordnung bestimmt:
„(1) Diese Verordnung gilt für vertragliche Schuldverhältnisse in Zivil- und Handelssachen, die eine Verbindung zum Recht verschiedener Staaten aufweisen.
Sie gilt insbesondere nicht für Steuer- und Zollsachen sowie verwaltungsrechtliche Angelegenheiten.
(2) Vom Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgenommen sind:
…
f) Fragen betreffend das Gesellschaftsrecht, das Vereinsrecht und das Recht der juristischen Personen, wie die Errichtung durch Eintragung oder auf andere Weise, die Rechts- und Handlungsfähigkeit, die innere Verfassung und die Auflösung von Gesellschaften, Vereinen und juristischen Personen sowie die persönliche Haftung der Gesellschafter und der Organe für die Verbindlichkeiten einer Gesellschaft, eines Vereins oder einer juristischen Person;
…“
Art. 3 („Freie Rechtswahl“) der Verordnung sieht in Abs. 1 vor:
„Der Vertrag unterliegt dem von den Parteien gewählten Recht. …“
In Art. 6 („Verbraucherverträge“) der Verordnung heißt es:
„(1) Unbeschadet der Artikel 5 und 7 unterliegt ein Vertrag, den eine natürliche Person zu einem Zweck, der nicht ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden kann (‚Verbraucher‘), mit einer anderen Person geschlossen hat, die in Ausübung ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit handelt (‚Unternehmer‘), dem Recht des Staates, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, sofern der Unternehmer
a) seine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit in dem Staat ausübt, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, oder
b) eine solche Tätigkeit auf irgend einer Weise auf diesen Staat oder auf mehrere Staaten, einschließlich dieses Staates, ausrichtet
und der Vertrag in den Bereich dieser Tätigkeit fällt.
(2) Ungeachtet des Absatzes 1 können die Parteien das auf einen Vertrag, der die Anforderungen des Absatzes 1 erfüllt, anzuwendende Recht nach Artikel 3 wählen. Die Rechtswahl darf jedoch nicht dazu führen, dass dem Verbraucher der Schutz entzogen wird, der ihm durch diejenigen Bestimmungen gewährt wird, von denen nach dem Recht, das nach Absatz 1 mangels einer Rechtswahl anzuwenden wäre, nicht durch Vereinbarung abgewichen werden darf.
…
(4) Die Absätze 1 und 2 gelten nicht für:
a) Verträge über die Erbringung von Dienstleistungen, wenn die dem Verbraucher geschuldeten Dienstleistungen ausschließlich in einem anderen als dem Staat erbracht werden müssen, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat;
…“
Richtlinie 93/13
Im zehnten Erwägungsgrund der Richtlinie 93/13 heißt es:
„… Von dieser Richtlinie ausgenommen sind … insbesondere Arbeitsverträge sowie Verträge auf dem Gebiet des Erb-, Familien- und Gesellschaftsrechts.“
Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie bestimmt:
„Eine Vertragsklausel, die nicht im Einzelnen ausgehandelt wurde, ist als missbräuchlich anzusehen, wenn sie entgegen dem Gebot von Treu und Glauben zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner verursacht.“
Österreichisches Recht
§ 6 Abs. 3 des Konsumentenschutzgesetzes (Bundesgesetz vom 8. März 1979, mit dem Bestimmungen zum Schutz der Verbraucher getroffen werden, BGBl. 140/1979, im Folgenden: KSchG) bestimmt:
„Eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmung ist unwirksam, wenn sie unklar oder unverständlich abgefasst ist.“
§ 13a Abs. 2 KSchG sieht vor:
„§ 6 [ist] zum Schutz des Verbrauchers ohne Rücksicht darauf anzuwenden, welchem Recht der Vertrag unterliegt, wenn dieser im Zusammenhang mit einer in Österreich entfalteten, auf die Schließung solcher Verträge gerichteten Tätigkeit des Unternehmers oder der von ihm hiefür verwendeten Personen zustande gekommen ist.“
§ 864a des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs vom 1. Juni 1811 (JGS Nr. 946/1811, im Folgenden: ABGB) lautet:
„Bestimmungen ungewöhnlichen Inhaltes in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern, die ein Vertragsteil verwendet hat, werden nicht Vertragsbestandteil, wenn sie dem anderen Teil nachteilig sind und er mit ihnen auch nach den Umständen, vor allem nach dem äußeren Erscheinungsbild der Urkunde, nicht zu rechnen brauchte; es sei denn, der eine Vertragsteil hat den anderen besonders darauf hingewiesen.“
§ 879 ABGB bestimmt:
„(1) Ein Vertrag, der gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig.
…
(3) Eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmung, die nicht eine der beiderseitigen Hauptleistungen festlegt, ist jedenfalls nichtig, wenn sie unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles einen Teil gröblich benachteiligt.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
Der VKI ist als ein in Österreich ansässiger gemeinnütziger Verbraucherverein berechtigt, Unterlassungsklagen zum Schutz der Interessen von Verbrauchern mit Wohnsitz in Österreich einzubringen.
TVP ist eine Gesellschaft mit Sitz in Hamburg (Deutschland) und eine 100%ige Tochtergesellschaft der Gruppe MPC Münchmeyer Capital AG Hamburg (im Folgenden: MPC-Gruppe), die geschlossene Fonds strukturiert und vertreibt. Diese Fonds sind Kommanditgesellschaften deutschen Rechts, an denen sich Privatanleger und institutionelle Anleger als Kommanditisten beteiligen können.
Zwischen TVP und ihrer Muttergesellschaft bestand bis 19. Dezember 2014 ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag. Die Leitung von TVP war damit der MPC-Gruppe unterstellt.
Zu den zahlreichen von der MPC-Gruppe strukturierten Kommanditgesellschaften gehören die Dreiundvierzigste Sachwert Rendite-Fonds Holland GmbH & Co KG (im Folgenden: 43. Fonds), die Einundfünfzigste Sachwert Rendite-Fonds Holland GmbH & Co KG und die Zweiundsiebzigste Sachwert Rendite-Fonds Holland GmbH & Co KG.
TVP ist als Treuhänderin und Gründungskommanditistin unter anderem an dem im Lauf des Jahres 2003 errichteten 43. Fonds beteiligt. Dieser wurde nicht nur in Österreich vertrieben, aber bei einer österreichischen Bank wurde ein Treuhandkonto für die Zahlungen im Zusammenhang mit den von Anlegern mit Wohnsitz in Österreich erworbenen Beteiligungen eröffnet. Einige andere Fonds von TVP wurden ausschließlich in Österreich vertrieben, etwa der Einundfünfzigste Sachwert Rendite-Fonds Holland (errichtet im Lauf des Jahres 2004) und der Zweiundsiebzigste Sachwert Rendite-Fonds Holland (errichtet im Jahr 2011). Für diese beiden Fonds wurde von TVP bei einer österreichischen Bank ein Treuhandkonto eingerichtet.
Nach § 3 Abs. 3 des Gesellschaftsvertrags des 43. Fonds ist TVP ermächtigt, weitere Kommanditisten aufzunehmen. Die interessierten Anleger überweisen dabei als künftige Kommanditisten eine Beteiligung auf das Treuhandkonto des Fonds. Auf diese Weise treten die Anleger dem Fonds mittelbar als Treugeber bei, über TVP, die als Treuhandkommanditistin auftritt. Ihre Beteiligungen werden von TVP auf Grundlage eines Treuhandvertrags verwaltet. Diese Vorgehensweise wird auch bei den anderen Fonds angewendet.
Die Anwerbung der Anleger erfolgt nicht durch die TVP selbst, sondern über die CPM Anlagen Vertriebs GmbH i. L., eine andere 100%ige Tochtergesellschaft der MPC-Gruppe. Die gezielten Angebote und Werbemaßnahmen werden von dieser Tochtergesellschaft, aber auch durch andere Vermittler wie österreichische Banken oder Vermögensberater an Verbraucher mit Wohnsitz in Österreich übermittelt. TVP, die weder über eine Niederlassung noch über eine Filiale in Österreich verfügt, hat keinen direkten Kontakt zu den Kommanditisten und erbringt selbst keine Beratungstätigkeiten.
Die Anleger können Beteiligungen an den Fonds erwerben, indem sie eine Beitrittserklärung in Form eines Angebots auf Abschluss eines Treuhandvertrags an TVP richten. Wie der Vorlageentscheidung zu entnehmen ist, haben alle betroffenen Anleger in dem vor dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit ihren Zeichnungsantrag in Österreich unterfertigt. Ihr Beteiligungsbetrag war auf das auf TVP lautende Treuhandkonto des gewählten Fonds bei einer österreichischen Bank zu überweisen. In keinem Fall wurden Beteiligungsbeträge auf ein deutsches Treuhandkonto überwiesen.
Für die Anleger steht TVP als Anbieterin einer Treuhanddienstleistung zur Verfügung. Sie übernimmt den Kommanditanteil für Rechnung des Anlegers und verwaltet ihn treuhänderisch. Sie übt im eigenen Namen, aber für Rechnung des Anlegers dessen Rechte aus dem Kommanditanteil aus und leitet Ausschüttungen sowie jeden sonstigen vermögenswerten Vorteil aus der Beteiligung an den Anleger weiter. TVP gibt laufend Informationen, die sie vom Fonds über den Geschäftsverlauf der Beteiligungsgesellschaften erhält, an die Anleger weiter. Für diese Leistungen erhält TVP ein pauschales Entgelt von 0,3 % der Einlage des Anlegers pro Jahr.
TVP verwendet im geschäftlichen Verkehr mit den privaten Anlegern Vertragsformblätter. Die erforderlichen Rechtshandlungen (Unterfertigung der Beitrittserklärung) werden von den Anlegern in Österreich vorgenommen und von Vertragspartnern von TVP bzw. deren Vertragspartnern in Österreich entgegengenommen.
TVP übt ihre Verwaltung auf der Grundlage eines Treuhandvertrags aus. In den betreffenden Treuhandverträgen heißt es unter anderem:
„Der Treuhandvertrag unterliegt dem Recht der Bundesrepublik Deutschland. Erfüllungsort und Gerichtsstand für sämtliche Streitigkeiten aus diesem Vertrag sowie über das Zustandekommen dieses Vertrags ist der Sitz der Treuhänderin, soweit dies gesetzlich zulässig vereinbart werden kann.“
Diese Klausel wurde nicht im Einzelfall ausgehandelt und findet sich in den Vertragsformblättern. Ebenso wenig findet sich in den Vertragsformblättern ein eindeutiger Hinweis, der es dem künftigen Anleger ermöglichen würde, von der Klausel ohne Weiteres Kenntnis zu erlangen.
Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts richtet TVP ihre Dienstleistungen auf den österreichischen Markt aus und betreibt eine Website – www.tvp-treuhand.at –, von der aus der Nutzer auf die deutsche Website www.tvp-treuhand.de weitergeleitet wird. Domaininhaber ist ein Unternehmen der MPC-Gruppe, das sich zentral um deren EDV-Agenden kümmert. Auch die deutsche Startseite des Webauftritts wird von diesem Unternehmen verwaltet. Die österreichischen Anleger können sich seit dem Jahr 2006 über diese Seite anmelden. Seit dem Jahr 2011 können Anleger, die dies explizit möchten, ihre Stimme nicht nur schriftlich, sondern auch elektronisch abgeben. Auch eine Kopie der Schriften, die dem Anleger auf diesem Wege zugegangen sind, kann er einsehen.
Mit einer am 6. September 2013 beim Handelsgericht Wien (Österreich) eingebrachten Unterlassungsklage begehrte der VKI, TVP zu verbieten, in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die sie den von ihr geschlossenen Treuhandverträgen zugrunde legt, und/oder in den hierbei verwendeten Vertragsformblättern im geschäftlichen Verkehr mit in Österreich wohnhaften Anlegern, die nach ihrer Ansicht als Verbraucher anzusehen sind, die Rechtswahlklausel und sinngleiche Klauseln zu verwenden sowie sich auf solche Klauseln zu berufen.
Nach Auffassung des VKI widerspricht die Rechtswahlklausel dem Unionsrecht sowie dem österreichischen Recht. Sie verstoße insbesondere gegen § 6 Abs. 3 KSchG, aber auch gegen § 864a und § 879 Abs. 3 ABGB. Gemäß den Art. 4 und 6 der Rom-I-Verordnung sei die Rechtmäßigkeit der beanstandeten Klausel nicht anhand des Vertragsstatuts, sondern anhand des Deliktsstatuts zu beurteilen, also nach österreichischem Recht. Das österreichische Recht sei auch nach dem Übereinkommen von Rom sowie der Rom-I-Verordnung anwendbar, weil TVP ihre Tätigkeit bewusst auf den österreichischen Markt ausgerichtet habe und weil in Österreich ihr zurechenbare Dienstleistungen erbracht worden seien.
Mit Urteil vom 3. September 2015 gab das Erstgericht dieser Klage statt. Es verpflichtete TVP unter Anwendung des österreichischen Rechts, im geschäftlichen Verkehr mit in Österreich wohnhaften Verbrauchern die Verwendung der von der Klage erfassten Klauseln zu unterlassen.
Mit Beschluss vom 13. September 2016 hob das Oberlandesgericht Wien (Österreich) als Berufungsgericht das Urteil des Erstgerichts auf und trug ihm eine neuerliche nach Verfahrensergänzung zu fällende Entscheidung auf. Es vertrat die Auffassung, die Prüfung der Gültigkeit der Rechtswahlklausel habe zwar nach deutschem Recht zu erfolgen, aber auch nach diesem Recht sei eine Klausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen missbräuchlich, sofern sie den Verbraucher in die Irre führe, indem sie ihm den Eindruck vermittle, auf den Vertrag sei nur deutsches Recht anwendbar, ohne ihn darüber zu unterrichten, dass er nach der Rom-I-Verordnung und dem Übereinkommen von Rom auch den Schutz der zwingenden Bestimmungen des Rechts des Staates seines gewöhnlichen Aufenthalts genieße, im vorliegenden Fall des österreichischen Rechts. Nach den Ausführungen des Berufungsgerichts wäre selbst für den Fall der Wirksamkeit der Rechtswahlklausel nach deutschem Recht grundsätzlich die Rechtmäßigkeit der übrigen Klauseln anhand dieses Rechts zu prüfen. Ferner wäre zu prüfen, ob zwingende den Verbraucher schützende Bestimmungen des österreichischen Rechts der Anwendung des deutschen Rechts bei der Beurteilung der Zulässigkeit der inkriminierten Klauseln entgegenstünden.
Der VKI und TVP haben beim österreichischen Obersten Gerichtshof Revision gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts eingelegt. Nach Ansicht von TVP sind das Übereinkommen von Rom und die Rom-I-Verordnung angesichts des Ausschlusses von Fragen des Gesellschaftsrechts von ihrem Anwendungsbereich nicht anwendbar. Aufgrund der Verzahnung der Gesellschafts- und Treuhandverträge miteinander seien die Treugeber als Gesellschafter direkt in das Gesellschaftsverhältnis eingebunden. Darüber hinaus kämen auch die Ausnahmebestimmungen in Art. 5 Abs. 4 Buchst. b des Übereinkommens von Rom und Art. 6 Abs. 4 Buchst. a der Rom-I-Verordnung zur Anwendung, da TVP als Treuhänderin die Rechte eines Kommanditisten wahrnehme und somit Dienstleistungen erbringe.
Unter diesen Umständen hat der Oberste Gerichtshof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Erfasst die in Art. 1 Abs. 2 Buchst. e des Übereinkommens von Rom und in Art. 1 Abs. 2 Buchst. f der Rom-I-Verordnung vorgesehene Ausnahme vom Anwendungsbereich auch Vereinbarungen zwischen einem Treugeber und einem Treuhänder, der eine Gesellschaftsbeteiligung an einer Kommanditgesellschaft für den Treugeber hält, insbesondere wenn eine Verflechtung von Gesellschafts- und Treuhandverträgen vorliegt?
2. Für den Fall der Verneinung der Frage 1:
Ist Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 so auszulegen, dass eine in einem zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher abgeschlossenen Treuhandvertrag über die Verwaltung einer Kommanditbeteiligung enthaltene Klausel, die nicht im Einzelnen ausgehandelt wurde und nach der das Recht des Sitzstaats der Kommanditgesellschaft anwendbar ist, missbräuchlich ist, wenn einziger Zweck des Treuhandvertrags die Verwaltung der Kommanditbeteiligung ist und dem Treugeber die Rechte und Pflichten eines unmittelbaren Gesellschafters zukommen?
3. Für den Fall der Bejahung der Fragen 1 oder 2:
Ändert sich diese Antwort, wenn sich der Unternehmer zur Erbringung der von ihm geschuldeten Dienstleistungen nicht in den Verbraucherstaat begeben muss, er aber verpflichtet ist, Ausschüttungen sowie sonstige vermögenswerte Vorteile aus der Beteiligung und Informationen über den Geschäftsverlauf der Beteiligung an den Verbraucher weiterzuleiten? Macht es dabei einen Unterschied, ob die Rom-I-Verordnung oder das Übereinkommen von Rom anwendbar ist?
4. Für den Fall der Bejahung der Frage 3:
Hat es bei dieser Antwort zu bleiben, wenn zusätzlich der Zeichnungsantrag des Verbrauchers in seinem Aufenthaltsstaat unterfertigt wurde, der Unternehmer Informationen über die Beteiligung auch im Internet zur Verfügung stellt und eine Zahlstelle im Verbraucherstaat errichtet wurde, auf die der Verbraucher den Beteiligungsbetrag einzuzahlen hat, wenngleich der Unternehmer über dieses Bankkonto nicht verfügungsberechtigt ist? Macht es dabei einen Unterschied, ob die Rom-I-Verordnung oder das Übereinkommen von Rom anwendbar ist?
Aus den Gründen
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
34 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 1 Abs. 2 Buchst. e des Übereinkommens von Rom und Art. 1 Abs. 2 Buchst. f der Rom-I-Verordnung dahin auszulegen sind, dass vertragliche Pflichten wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die ihren Ursprung in einem Treuhandvertrag über die Verwaltung einer Beteiligung an einer Kommanditgesellschaft haben, vom Anwendungsbereich des Übereinkommens und der Verordnung ausgenommen sind.
35 Hierzu hat der Gerichtshof entscheiden, dass der in Art. 1 Abs. 2 Buchst. f der Rom-I-Verordnung vorgesehene Ausschluss von Fragen betreffend das Gesellschaftsrecht, das Vereinsrecht und das Recht der juristischen Personen – wie die Errichtung von Gesellschaften, Vereinen und juristischen Personen durch Eintragung oder auf andere Weise, ihre Rechts- und Handlungsfähigkeit, ihre innere Verfassung und ihre Auflösung – vom Anwendungsbereich der Verordnung ausschließlich die organisatorischen Aspekte dieser Gesellschaften, Vereine und juristischen Personen betrifft (Urteil vom 8. Mai 2019, Kerr, C-25/18, EU:C:2019:376, Rn. 33).
36 Diese Auslegung wird durch den Bericht über das Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht von Mario Giuliano, Professor an der Universität Mailand, und Paul Lagarde, Professor an der Universität Paris I (ABl. 1980, C 282, S. 1), bestätigt; demnach gilt der Ausschluss dieser Fragen vom Anwendungsbereich des Übereinkommens von Rom, das zwischen den Mitgliedstaaten durch die Rom-I-Verordnung ersetzt wurde, für all jene sehr komplexen Rechtsakte, die für die Errichtung einer Gesellschaft erforderlich sind oder ihre innere Verfassung oder ihre Auflösung regeln, d. h. für die unter das Gesellschaftsrecht fallenden Rechtshandlungen (Urteil vom 8. Mai 2019, Kerr, C-25/18, EU:C:2019:376, Rn. 34).
37 Wie der Generalanwalt in den Nrn. 49 bis 55 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, können Geschäfte in Bezug auf Gesellschaftsanteile wie die Veräußerung oder die Treuhand zwar Fragen betreffend das Gesellschaftsrecht aufwerfen, doch gilt dies nicht für die diesen Geschäften zugrunde liegenden Verträge. Insbesondere bewirkt der bloße Umstand, dass ein Vertrag eine Verbindung zu „Fragen betreffend das Gesellschaftsrecht“ hat, nicht, dass die Verpflichtungen, die sich aus diesem Vertrag ergeben, vom Anwendungsbereich der Rom-I-Verordnung ausgenommen sind. Folglich dürfen diese Fragen nicht mit vertraglichen Fragen vermengt werden. Im vorliegenden Fall betrifft die Unterlassungsklage des VKI die Missbräuchlichkeit und aufgrund dessen die Zulässigkeit bestimmter Klauseln der fraglichen Treuhandverträge. Daher fallen die im Ausgangsrechtsstreit aufgeworfenen Fragen unter das Vertragsstatut und somit unter die Rom-I-Verordnung.
38 Der Gerichtshof hat im Zusammenhang mit Verpflichtungen aufgrund eines von einer Gesellschaft vor ihrer Aufnahme im Zuge einer grenzüberschreitenden Verschmelzung abgeschlossenen Anleihevertrags, der vor der Verschmelzung durch Aufnahme in den Anwendungsbereich des Übereinkommens von Rom fiel, ferner entschieden, dass das Recht, das vor der Verschmelzung auf die Auslegung und Erfüllung dieser Verpflichtungen anzuwenden war, auch nach der Verschmelzung auf sie anwendbar blieb (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. April 2016, KA Finanz, C-483/14, EU:C:2016:205, Rn. 52 bis 58).
39 Im Übrigen ist die zwischen den Parteien des Ausgangsverfahrens streitige gesellschaftsrechtliche Frage, ob den Treugebern die Gesellschaftereigenschaft zukommt, im Rahmen des Ausgangsverfahrens nicht entscheidend. Es betrifft nämlich nicht die Tragweite der etwaigen Rechte und Pflichten, die die Treugeber nach dem anwendbaren Gesellschaftsrecht gegenüber den Kommanditgesellschaften haben, oder ihre etwaigen Verbindlichkeiten gegenüber Drittgläubigern der Gesellschaft, sondern die Missbräuchlichkeit und deshalb die Zulässigkeit bestimmter Klauseln der Treuhandverträge.
40 Diese Klauseln, die Fragen wie den Umfang der Haftung von TVP als Treuhänderin, den Erfüllungsort der Treuhandleistungen und das auf den Treuhandvertrag anwendbare Recht betreffen, sollen die vertraglichen Beziehungen zwischen Treugebern und Treuhändern regeln und fallen folglich in den Bereich des Vertragsstatuts. Die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Verpflichtungen sind somit nicht vom Anwendungsbereich des Übereinkommens von Rom oder der Rom-I-Verordnung ausgeschlossen.
41 Angesichts der vorstehenden Erwägungen ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 1 Abs. 2 Buchst. e des Übereinkommens von Rom und Art. 1 Abs. 2 Buchst. f der Rom-I-Verordnung dahin auszulegen sind, dass vertragliche Pflichten wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die ihren Ursprung in einem Treuhandvertrag über die Verwaltung einer Beteiligung an einer Kommanditgesellschaft haben, nicht vom Anwendungsbereich des Übereinkommens und der Verordnung ausgenommen sind.
Zur dritten und zur vierten Frage
42 Mit seiner dritten und seiner vierten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 5 Abs. 4 Buchst. b des Übereinkommens von Rom und Art. 6 Abs. 4 Buchst. a der Rom-I-Verordnung dahin auszulegen sind, dass ein Treuhandvertrag, aufgrund dessen die dem Verbraucher geschuldeten Dienstleistungen in dem Staat, in dem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, vom Gebiet eines anderen Staates aus, d. h. aus der Ferne, zu erbringen sind, unter den in diesen Bestimmungen vorgesehenen Ausschluss fällt.
43 Insoweit hat das vorlegende Gericht bereits festgestellt, dass es sich bei den streitigen Treuhandverträgen um Verbraucherverträge handelt, die unter die Verbraucherschutzbestimmungen in Art. 5 des Übereinkommens von Rom sowie in Art. 6 der Rom-I-Verordnung fallen können. Diese Verträge bestehen nämlich zwischen einem „Unternehmer“, TVP, der in Ausübung seiner beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit handelt und verschiedenen Anlegern, die „Verbraucher“ sind, d. h. natürliche Personen, die beim Abschluss der Verträge zu einem Zweck gehandelt haben, der keiner solchen Tätigkeit zugerechnet werden kann.
44 In Abs. 4 der genannten Bestimmungen werden allerdings bestimmte Verträge ausdrücklich von ihrem Anwendungsbereich ausgeschlossen. Insbesondere sehen Art. 5 Abs. 4 Buchst. b des Übereinkommens von Rom und Art. 6 Abs. 4 Buchst. a der Rom-I-Verordnung gleichlautend vor, dass die Schutzvorschriften im Bereich der Verbraucherverträge nicht für „Verträge über die Erbringung von Dienstleistungen [gelten], wenn die dem Verbraucher geschuldeten Dienstleistungen ausschließlich in einem anderen als dem Staat erbracht werden müssen, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat“.
45 Aus dem Wortlaut dieser Bestimmungen geht hervor, dass Art. 5 des Übereinkommens von Rom und Art. 6 Abs. 1 und 2 der Rom-I-Verordnung dann nicht gelten, wenn erstens ein Vertrag über die Erbringung von Dienstleistungen vorliegt und zweitens die dem Verbraucher geschuldeten Dienstleistungen ausschließlich in einem anderen als dem Staat erbracht werden, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.
46 Zum einen ist der Begriff „Verträge über die Erbringung von Dienstleistungen“ ebenso wie der Begriff „Dienstleistungsverträge“ in Art. 4 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung und der Begriff „Erbringung von Dienstleistungen“ in Art. 5 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 44/2001 so zu verstehen, dass er eine Verpflichtung zur Durchführung einer bestimmten Tätigkeit gegen Entgelt bezeichnet (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. Mai 2019, Kerr, C-25/18, EU:C:2019:376, Rn. 36 bis 41).
47 Im vorliegenden Fall führt der Treuhänder aufgrund eines Treuhandvertrags, wie sie im Ausgangsverfahren in Rede stehen, eine Tätigkeit durch, die in der Verwaltung der treuhänderisch anvertrauten Sache gegen Entgelt besteht. Somit ist ein solcher Vertrag als Vertrag über die Erbringung von Dienstleistungen im Sinne von Art. 5 Abs. 4 Buchst. b des Übereinkommens von Rom und von Art. 6 Abs. 4 Buchst. a der Rom-I-Verordnung anzusehen.
48 Was zum anderen den Staat betrifft, in dem die dem Verbraucher geschuldeten Dienstleistungen zu erbringen sind, ist zunächst zu prüfen, ob diese Frage der Bestimmung des Vertragsstatuts vorausgeht oder ob sie ihm unterliegt.
49 Wie der Generalanwalt in Nr. 71 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, läuft die Frage nach dem Ort, an dem die dem Verbraucher geschuldeten Dienstleistungen erbracht werden, auf die Bestimmung des Vertragsstatuts hinaus und ist daher vor dessen Bestimmung zu behandeln.
50 Hierzu geht aus dem Bericht über das Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht hervor, dass die in Rn. 36 des vorliegenden Urteils erwähnte Ausnahme in Art. 5 Abs. 4 Buchst. b des Übereinkommens von Rom ihre Rechtfertigung darin findet, dass der Verbraucher bei Verträgen über Dienstleistungen, die ausschließlich außerhalb seines Aufenthaltsstaats erbracht werden, billigerweise nicht erwarten kann, dass das Recht seines Heimatstaats in Abweichung von den allgemeinen Regeln der Art. 3 und 4 des Übereinkommens Anwendung findet.
51 Daher kann der in Rede stehende Ausschluss, will man einem Dienstleister wie TVP nicht zulasten des Verbraucherschutzziels gestatten, das anwendbare Recht unter Heranziehung einer Vertragsklausel zur Bestimmung des Erbringungsorts zu wählen, nicht dahin ausgelegt werden, dass sich die Wortfolge „erbracht werden müssen“ in Art. 6 Abs. 4 Buchst. a der Rom-I-Verordnung auf die vertraglich festgelegte Verpflichtung zur Erbringung von Dienstleistungen an einem bestimmten Ort bezieht. Wie der Generalanwalt in Nr. 76 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, ist zu prüfen, ob sich schon aus der Natur der vereinbarten Dienstleistungen ergibt, dass sie in ihrer Gesamtheit nur außerhalb des Staates, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, erbracht werden können.
52 Befindet sich, wie es die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Verträge vorsehen, der Ort der körperlichen Erbringung der Dienstleistung in einem anderen Staat als in dem, in dem der Verbraucher in ihren Genuss kommt, ist davon auszugehen, dass die Dienstleistungen nur dann „ausschließlich“ außerhalb des Mitgliedstaats erbracht werden, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, wenn er keine Möglichkeit hat, sie in seinem Aufenthaltsstaat in Anspruch zu nehmen, und sich zu diesem Zweck ins Ausland begeben muss.
53 Im vorliegenden Fall deutet, wie der Generalanwalt in Nr. 81 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, der Umstand, dass die für den Beitritt zur Gesellschaft erforderlichen Beträge auf Treuhandkonten von TVP in Österreich eingezahlt wurden, dass TVP den österreichischen Verbrauchern die Dividendenzahlungen auf österreichische Konten überwies, dass sie ihre Informationspflichten aus dem Treuhandvertrag erfüllt, indem sie den österreichischen Verbrauchern in Österreich Berichte über die Treuhandverwaltung zusendet, und dass sie über eine Website für die österreichischen Verbraucher verfügt, auf der diese Informationen abrufen und ihr Stimmrecht ausüben können, darauf hin, dass die Dienstleistungen aus der Ferne im Aufenthaltsstaat des Verbrauchers erbracht werden; dies zu prüfen ist Sache des vorlegenden Gerichts. Folglich ist der in Art. 5 Abs. 4 Buchst. b des Übereinkommens von Rom und in Art. 6 Abs. 4 Buchst. a der Rom-I-Verordnung vorgesehene Ausschluss nicht anwendbar.
54 Aus dem Vorstehenden folgt, dass auf die dritte und die vierte Frage zu antworten ist, dass Art. 5 Abs. 4 Buchst. b des Übereinkommens von Rom und Art. 6 Abs. 4 Buchst. a der Rom-I-Verordnung dahin auszulegen sind, dass ein Treuhandvertrag, aufgrund dessen die dem Verbraucher geschuldeten Dienstleistungen in dem Staat, in dem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, vom Gebiet eines anderen Staates aus, d. h. aus der Ferne, zu erbringen sind, nicht unter den in diesen Bestimmungen vorgesehenen Ausschluss fällt.
Zur zweiten Frage
55 Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen ist, dass eine in einem zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher abgeschlossenen Treuhandvertrag über die Verwaltung einer Kommanditbeteiligung enthaltene Klausel, die nicht im Einzelnen ausgehandelt wurde und nach der das Recht des Sitzstaats der Kommanditgesellschaft anwendbar ist, missbräuchlich im Sinne der genannten Bestimmung ist.
56 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 5 Abs. 3 des Übereinkommens von Rom und Art. 6 Abs. 1 der Rom-I-Verordnung für einen Verbrauchervertrag grundsätzlich das Recht des Staates maßgebend ist, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.
57 Da die im Ausgangsverfahren erhobene Klage Verbraucher betrifft, die sich in Österreich aufhalten, ist für die von ihnen mit TVP abgeschlossenen Treuhandverträge grundsätzlich das österreichische Recht maßgebend. Zu klären ist allerdings, ob die in diese Verträge aufgenommene Rechtswahlklausel, mit der das Recht des Sitzstaats von TVP, d. h. das deutsche Recht, für anwendbar erklärt wird, missbräuchlich und somit unzulässig ist.
58 Zwar ist nach Art. 5 Abs. 2 des Übereinkommens von Rom und Art. 6 Abs. 2 der Rom-I-Verordnung eine Rechtswahlklausel grundsätzlich zulässig, doch ist eine solche, in allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Gewerbetreibenden enthaltene Klausel, die nicht im Einzelnen ausgehandelt wurde und den Verbraucher in die Irre führt, indem sie ihm den Eindruck vermittelt, auf den auf elektronischem Weg geschlossenen Vertrag sei nur das Recht des Mitgliedstaats anzuwenden, in dem der Gewerbetreibende seinen Sitz hat, ohne ihn darüber zu unterrichten, dass er nach Art. 6 Abs. 2 der Verordnung auch den Schutz der zwingenden Bestimmungen des Rechts genießt, das ohne diese Klausel anzuwenden wäre – was das nationale Gericht im Licht aller relevanten Umstände zu prüfen hat –, missbräuchlich im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 (Urteil vom 28. Juli 2016, Verein für Konsumenteninformation, C-191/15, EU:C:2016:612, Rn. 71).
59 Die vorstehenden Erwägungen sind nicht auf eine bestimmte Modalität des Vertragsschlusses, insbesondere den elektronischen Weg, beschränkt, sondern haben allgemeine Geltung. Daher muss das vorlegende Gericht die Missbräuchlichkeit der streitigen Rechtswahlklausel feststellen, sofern die in der vorstehenden Randnummer genannten Voraussetzungen erfüllt sind; dies hat das vorlegende Gericht zu prüfen.
60 Aus dem Vorstehenden folgt, dass auf die zweite Frage zu antworten ist, dass Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen ist, dass eine in einem zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher abgeschlossenen Treuhandvertrag über die Verwaltung einer Kommanditbeteiligung, wie sie im Ausgangsverfahren in Rede stehen, enthaltene Klausel, die nicht im Einzelnen ausgehandelt wurde und nach der das Recht des Sitzmitgliedstaats der Kommanditgesellschaft anwendbar ist, missbräuchlich im Sinne der genannten Bestimmung ist, wenn sie den Verbraucher in die Irre führt, indem sie ihm den Eindruck vermittelt, auf den Vertrag sei nur das Recht dieses Mitgliedstaats anzuwenden, ohne ihn darüber zu unterrichten, dass er nach Art. 5 Abs. 2 des Übereinkommens von Rom und Art. 6 Abs. 2 der Rom-I-Verordnung auch den Schutz der zwingenden Bestimmungen des nationalen Rechts genießt, das ohne diese Klausel anzuwenden wäre.
Kosten
61 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.