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Wirtschaftsrecht
05.09.2019
Wirtschaftsrecht
OLG Braunschweig: Ausschließliche örtliche Zuständigkeit nach § 32b Abs. 1. Nr. 1 ZPO bei mehreren betroffenen Emittenten

OLG Braunschweig, Beschluss vom 12.8.2019 – 3 Kap 1/16

ECLI:DE:OLGBS:2019:0812.3KAP1.16.00

Volltext: BB-ONLINE BBL2019-2113-3

Amtliche Leitsätze

1. Im Kapitalanleger-Musterverfahren ist der Erlass von Teil-Musterentscheiden grundsätzlich zulässig.

2. Gegenstand eines Teil-Musterentscheids können Rechtsfragen im Zusammenhang mit der örtlichen Zuständigkeit der Ausgangsgerichte gemäß § 32b Abs. 1 ZPO sein.

3. „Betroffen“ im Sinne von § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist der Emittent, der den Kapitalmarkt nach dem haftungsbegründenden Klagevorwurf fehlerhaft informiert hat oder eine gebotene Information des Kapitalmarkts unterlassen hat. Nicht entscheidend ist dagegen, welches Finanzinstrument Gegenstand der fehlgeschlagenen Kapitalanlage ist (in Abgrenzung zu OLG Braunschweig, Beschluss vom 30.10.2019 – 1 W 31/17 – ZIP 2018, 348).

4. Werden zwei Emittenten mit Unternehmenssitzen in verschiedenen Landgerichtsbezirken wegen jeweils eigenständiger Publizitätspflichtverletzungen aufgrund desselben Kernsachverhalts als Streitgenossen in Anspruch genommen, ist für jeden Emittenten ein ausschließlicher Gerichtsstand an dessen Sitz begründet. Eine weiter gehende Zuständigkeitskonzentration bei einem der jeweils ausschließlich zuständigen Landgerichte ist gesetzlich nicht vorgesehen. Ebenso wenig hat der Kläger ein Wahlrecht zwischen einem der ausschließlichen Gerichtsstände (insoweit im Anschluss an OLG Braunschweig, Beschluss vom 30.10.2019 – 1 W 31/17 – ZIP 2018, 348).

§ 32b Abs 1 Nr 1 ZPO, § 301 ZPO, § 11 Abs 1 KapMuG

Sachverhalt

I.

Ausgangspunkt des vorliegenden Kapitalanleger-Musterverfahrens sind Anlegerklagen wegen angeblicher Verletzungen von Mitteilungspflichten über Insiderinformationen sowie angeblich fehlerhafter Finanzberichterstattung im Zusammenhang mit dem sog. „VW-Abgasskandal“.

Die Musterbeklagte zu 1) ist ein Automobilhersteller mit Sitz in Wolfsburg. Die Musterbeklagte zu 2) ist seit Juni 2007 eine reine Holdinggesellschaft mit Sitz in Stuttgart. Bis zu diesem Zeitpunkt firmierte sie als Dr. Ing. h.c. F. Porsche Aktiengesellschaft und führte auch das operative Geschäft des Automobilherstellers Porsche. Zwischen dem Jahr 2005 und Januar 2009 erwarb die Musterbeklagte zu 2) Beteiligungen an der Musterbeklagten zu 1) in Höhe von 50,76 % der Stammaktien. Im September 2015 hielt die Musterbeklagte zu 2) ca. 52 % der Stammaktien der Musterbeklagten zu 1); ihre Kapitalbeteiligung betrug insgesamt etwas über 30 %.

Gegenstand des als „VW-Abgasskandal“ bezeichneten Sachverhalts – und Grundlage der geltend gemachten Verletzungen von Mitteilungspflichten – ist der jahrelange Einsatz einer Abschalteinrichtung in Dieselfahrzeugen der Musterbeklagten zu 1), durch die die Fahrzeuge die gesetzlichen Emissionsgrenzwerte zwar auf dem Prüfstand einhielten, im realen Fahrbetrieb aber ein Vielfaches an Stickoxiden (NOx) ausstießen. Der Einsatz der Abschalteinrichtungen wurde aufgrund umweltbehördlicher Untersuchungen in den U.S.A. im Sommer bzw. Herbst 2015 aufgedeckt und von der US-Umweltbehörde EPA (United States Environmental Protection Agency) im Rahmen einer Pressekonferenz und durch Veröffentlichung einer u. a. gegen die Musterbeklagte zu 1) gerichteten Notice of Violation am 18. September 2015 öffentlich gemacht. Die Musterbeklagte zu 1) gab am 22. September 2015 eine Ad-hoc-Mitteilung heraus, in der sie u. a. ankündigte, „zur Abdeckung notwendiger Servicemaßnahmen und weiterer Anstrengungen, um das Vertrauen unserer Kunden zurück zu gewinnen, im 3. Quartal des laufenden Geschäftsjahres rund 6,5 Mrd. EUR ergebniswirksam zurückzustellen“. Der Schlusskurs der Vorzugsaktie der Musterbeklagten zu 1) fiel am Handelsplatz Xetra der Frankfurter Wertpapierbörse im Zeitraum vom 18. bis 22. September 2019 von 162,40 € auf 106,00 €, der Schlusskurs der Stammaktie der Musterbeklagten zu 1) von 161,35 € auf 111,20 €. Die Musterbeklagte zu 1) musste infolge des Einsatzes der Abschalteinrichtungen in den U.S.A. Strafzahlungen in Milliardenhöhe leisten.

Aus diesem Sachverhalt machen die Musterklägerin und die Beigeladenen Schadensersatzansprüche geltend.

Beim Landgericht Braunschweig sind mittlerweile mehr als 1.750 solche Anlegerklagen anhängig. Diese Verfahren richten sich überwiegend gegen die Musterbeklagte zu 1). In mindestens sechs Verfahren werden beide Musterbeklagten gemeinsam als Streitgenossen verklagt. Der überwiegende Teil der beim Landgericht Braunschweig anhängigen Verfahren betrifft behauptete Schäden aus Investitionen in Aktien der Musterbeklagten zu 1) (im Folgenden: VW-Aktien). Zum Teil werden in diesen Verfahren aber auch Schäden aus fremdemittierten Papieren, namentlich aus behaupteten Investitionen in Aktien der Musterbeklagten zu 2) (im Folgenden: PSE-Aktien), geltend gemacht.

In mindestens 137 weiteren Verfahren werden beide Musterbeklagten daneben als Streitgenossen beim Landgericht Stuttgart in Anspruch genommen. Weitere mindestens 57 Verfahren vor dem Landgericht Stuttgart richten sich ausschließlich gegen die Musterbeklagte zu 1). Schließlich sind zahlreiche weitere Klagen beim Landgericht Stuttgart anhängig, die sich allein gegen die Musterbeklagte zu 2) richten.

Die bei dem Landgericht Stuttgart anhängigen Klagen beziehen sich teilweise ausschließlich auf behauptete Investitionen in VW-Aktien, zu einem weiteren Teil ausschließlich auf behauptete Investitionen in PSE-Aktien und schließlich in weiteren Fällen auf behauptete Investitionen sowohl in VW-Aktien als auch in PSE-Aktien. In zumindest neun Verfahren vor dem Landgericht Stuttgart werden überdies Schäden aufgrund von Investitionen in Anleihen oder Derivate geltend gemacht.

Die Beigeladenen Reisert haben in ihrer Ausgangsklage beide Musterbeklagten wegen behaupteter Schäden aufgrund von Investitionen in VW- und PSE-Aktien verklagt. Dieser Rechtsstreit ist bei dem Landgericht Braunschweig anhängig (Az. 5 O 255/17) und mit Beschluss des Landgerichts vom 21. Februar 2018 ausgesetzt worden.

Das vorliegende Musterverfahren, das sich zunächst allein gegen die Musterbeklagte zu 1) richtete, ist aufgrund des Vorlagebeschlusses des Landgerichts Braunschweig vom 5. August 2016 (Az. 5 OH 62/16; im Klageregister veröffentlicht am 10. August 2016, berichtigt mit Beschluss vom 8. August 2016, veröffentlicht am 25. August 2016) eingeleitet und nach Auswahl der Musterklägerin am 8. März 2017 im Klageregister bekannt gemacht worden. Mit Beschlüssen vom 2. Mai 2019 (veröffentlicht am 7. Mai 2019) und vom 20. Juni 2019 (veröffentlicht am 25. Juni 2016) hat der Senat das Musterverfahren um weitere Feststellungsziele erweitert. Wegen der Einzelheiten wird auf den Vorlagebeschluss und die Beschlüsse vom 2. Mai 2019 und 20. Juni 2019 verwiesen.

Die Beteiligten streiten unter anderem darüber, welches Landgericht für die vorgenannten Ausgangsklagen örtlich zuständig ist. Dies betrifft insbesondere die Frage, wie das Tatbestandsmerkmal der „Betroffenheit“ im Sinne des § 32b Abs. 1 ZPO auszulegen ist.

Zu dieser Fragestellung haben die Beteiligten nachfolgende Feststellungsziele formuliert:

1. Beigeladene Reisert mit Erweiterungsantrag vom 29. April 2019 i.d.F. vom 8. Juni 2019 (zugelassen mit Beschluss vom 20. Juni 2019)

I. Zur alleinigen ausschließlichen Zuständigkeit des LG Stuttgart nach § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO in den Anlegerklagen wegen der Dieselthematik

1. Es wird festgestellt, dass die beiden Musterbeklagten in sämtlichen gegen sie eingeleiteten Anlegerklagen im Zusammenhang mit der Dieselthematik stets „betroffener“ Emittent i.S.d. § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO sind, und zwar unabhängig davon, ob sie allein oder als Streitgenossen zusammen verklagt werden und unabhängig davon, auf welche Finanzinstrumente sich die Klagen beziehen.

2. Es wird festgestellt, dass § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO für alle unter Ziff. 1. genannten Anlegerklagen allein am Sitz des LG Stuttgart einen ausschließlichen Gerichtsstand begründet.

II. Zur alleinigen ausschließlichen Zuständigkeit des LG Braunschweig nach § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO in den Anlegerklagen wegen der Dieselthematik

Es wird festgestellt, dass § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO für alle unter Ziff. I.1. genannten Anlegerklagen allein am Sitz des LG Braunschweig einen ausschließlichen Gerichtsstand begründet.

2. Musterbeklagte zu 1) mit Erweiterungsantrag vom 28. Februar 2018 (soweit zugelassen mit Beschluss vom 2. Mai 2019)

1. Zur Zuständigkeit des LG Braunschweig nach § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO

a) Es wird festgestellt, dass die Musterbeklagte zu 1) in sämtlichen gegen sie eingeleiteten Anlegerklagen im Zusammenhang mit der Dieselthematik stets „betroffener“ Emittent i.S.d. § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist, und zwar unabhängig davon, ob sie allein oder mit der Musterbeklagten zu 2) als Streitgenossin zusammen verklagt wird und auf welche Finanzinstrumente die jeweiligen Kläger ihre angeblich schadensursächlichen Transaktionen stützen.

b) Es wird festgestellt, dass § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO für alle unter Ziff. 1. lit. a) genannten und gegen die Musterbeklagte zu 1) gerichteten Anlegerklagen am Sitz des „betroffenen“ oder – im Fall der passiven Streitgenossenschaft – des „primär betroffenen“ Emittenten einen ausschließlichen Gerichtsstand begründet.

c) Hilfsweise für den Fall, dass die unter Ziff. 1. lit. a und b begehrten Feststellungen unzulässig oder unbegründet sein sollten, wird festgestellt, dass die Kläger in den Anlegerklagen im Zusammenhang mit der Dieselthematik, in denen die Musterbeklagten gemeinsam als Streitgenossinnen verklagt sind, ein ihnen nach eigener Auffassung zustehendes Gerichtsstandswahlrecht zugunsten des Gerichtsstands Braunschweig mit Klagerhebung in Braunschweig wirksam ausgeübt haben und eine Abtrennung und Verweisung der gegen die Musterbeklagte zu 2) gerichteten Prozessrechtsverhältnisse daher ausgeschlossen ist.

d) Hilfsweise für den Fall, dass die unter Ziff. 1 lit. a, b und c begehrten Feststellungen unzulässig oder unbegründet sein sollten, wird festgestellt, dass in den Anlegerklagen im Zusammenhang mit der Dieselthematik, in denen die Musterbeklagten gemeinsam als Streitgenossinnen verklagt sind, jeder betroffene Emittent an seinem Heimatgerichtsstand i.S.d. §§ 12, 17 ZPO zu verklagen ist, unabhängig davon, auf welche Finanzinstrumente die Kläger ihre angeblich schadensursächlichen Transaktionen stützen.

 

3. Musterbeklagte zu 2) mit Erweiterungsantrag vom 28. Mai 2019 (zugelassen mit Beschluss vom 20. Juni 2019)

1. Es wird festgestellt, dass die Musterbeklagte zu 2) in sämtlichen gegen sie erhobenen Anlegerklagen im Zusammenhang mit der Dieselthematik stets „betroffener“ Emittent im Sinne von § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist, wenn der behauptete Schaden aus Transaktionen in Finanzinstrumenten der Musterbeklagten zu 2) resultiert, und zwar unabhängig davon, ob sie allein oder mit der Musterbeklagten zu 1) als Streitgenossin zusammen verklagt wird.

2. Es wird festgestellt, dass § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO für alle gegen die Musterbeklagte zu 2) unter Ziffer 1 genannten Anlegerklagen allein am Sitz des Landgerichts Stuttgart einen ausschließlichen Gerichtsstand begründet, und zwar unabhängig davon, ob sie allein oder mit der Musterbeklagten zu 1) als Streitgenossin zusammen verklagt wird.

Die Beigeladenen Reisert vertreten die Auffassung, die Auslegung des § 32b Abs. 1 ZPO müsse für beide Musterbeklagte einen einheitlichen Gerichtsstand begründen. Schon der frühere Gesetzgeber (vgl. § 13 WpHG a.F.) sei davon ausgegangen, dass ein und dieselbe Insiderinformation auch mehrere Emittenten mit jeweils mehreren Finanzinstrumenten treffen könne; dies habe auch die Auslegung des § 32b ZPO zu berücksichtigen. Das Prozessrecht habe hier einen gewissen „Gleichlauf“ mit dem materiellen Recht zu gewährleisten. Ferner verbiete der Sinn und Zweck des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes, dass eine einheitliche Klage gegen mehrere Emittenten aufgrund mehrerer Finanzinstrumente, die von diesen unterschiedlichen Emittenten jeweils emittiert worden seien, aufgetrennt würde. Dies bedeutete nämlich eine durch nichts gerechtfertigte Erhöhung des Kostenrisikos der Kläger, welche sowohl der ursprüngliche als auch der Reform-Gesetzgeber des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes explizit habe vermeiden wollen. Ein einheitlicher ausschließlicher Gerichtsstand könne entweder durch eine „konzerndimensionale“ Betrachtung erreicht werden. Danach könnten die Tochter- und Beteiligungsgesellschaften am Forum der Konzernobergesellschaft in Anspruch genommen werden. Dies führe zu einer ausschließlichen Zuständigkeit des Landgerichts Stuttgart in sämtlichen Ausgangsklagen des zugrunde liegenden Lebenssachverhalts. Oder es sei – der Rechtsauffassung der Musterbeklagten zu 1) folgend – der von dem zugrunde liegenden Sachverhalt primär betroffene Emittent zu ermitteln. Dessen Sitz sei dann maßgeblich für die ausschließliche Zuständigkeit gemäß § 32b ZPO in sämtlichen Ausgangsverfahren.

Die Musterbeklagte zu 1) ist der Auffassung, § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO begründe auch in Konstellationen, in denen mehrere Emittenten mit unterschiedlichen allgemeinen Gerichtsständen als Streitgenossen verklagt würden, einen ausschließlichen „Anker“-Gerichtsstand am Sitz des „primär betroffenen“ Emittenten. Für die Ermittlung des primär betroffenen Emittenten sei maßgeblich, bei welchem Emittenten die Unternehmensdaten und Informationen vorlägen, die für die kapitalmarktrechtliche Beurteilung des Falles relevant seien. Nur diese Anknüpfung stelle sicher, dass das vom Gesetzgeber mit § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO verfolgte Ziel erreicht werde, kapitalmarktrechtliche Streitigkeiten, die denselben Lebenssachverhalt beträfen, stets an einem Gerichtsstand zu konzentrieren.

Die Musterbeklagte zu 2) vertritt die Rechtsansicht, für die Bestimmung der Zuständigkeit nach § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO komme es entscheidend darauf an, ob sich die im Klageweg geltend gemachten Schäden auf Finanzinstrumente der Musterbeklagten zu 1) oder der Musterbeklagten zu 2) bezögen. Diese Rechtsauffassung entspreche der hierzu ergangenen Rechtsprechung und trage dem Sinn und Zweck des § 32b ZPO Rechnung. Ziel des § 32b ZPO sei es, Verfahren hinsichtlich einer öffentlichen Kapitalmarktinformation an einem Ort zu bündeln. Dadurch sollten divergierende Entscheidungen verschiedener Gerichte hinsichtlich einer Kapitalmarktinformation verhindert werden. Dies führe aus den vom 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts in mehreren Gerichtsstandsbestimmungsverfahren herausgearbeiteten Gründen aber nicht dazu, dass für Anlegerklagen in der Dieselthematik, die gegen beide Musterbeklagten gerichtet seien, ein einheitlicher Gerichtsstand existieren müsse.

Aus den Gründen

II.

Der Senat kann über die hochstreitigen und höchstrichterlich ungeklärten Rechtsfragen zur Auslegung des § 32b Abs. 1 ZPO im Wege eines Teil-Musterentscheids entscheiden (dazu 1.). Die begehrten Feststellungsziele sind auch zulässig (dazu 2.). In der Sache sind die aus dem Tenor ersichtlichen Feststellungen zu treffen (dazu 3.).

1.

a)

Ein Teil-Musterentscheid ist grundsätzlich gemäß § 11 Abs. 1 KapMuG, § 301 ZPO zulässig.

§ 11 Abs. 1 KapMuG verweist für die Durchführung des Musterverfahrens auf die allgemeinen Vorschriften der ZPO über das Verfahren vor den Landgerichten im ersten Rechtszug (§§ 253 ff. ZPO). Aufgrund dieser Verweisung gelten die allgemeinen Vorschriften zur Abfassung des Urteils, §§ 300 ff. ZPO. Hierzu gehört grundsätzlich auch die Regelung zum Teilurteil gemäß § 301 ZPO. Die ganz herrschende Meinung hält deshalb einen Teil-Musterentscheid für möglich (LG Heidelberg, Beschluss vom 25. Juli 2013 – 11 O 36/08 KfH –, BeckRS 2015, 04477; Gängel/Huth/Gansel, in Heidel, Aktien- und Kapitalmarktrecht, 4. Aufl., § 16 KapMuG Rn. 4; Parigger, in Vorwerk/Wolf, KapMuG, § 9 Rn. 25; Vollkommer, in KK-KapMuG, 2. Aufl., § 11 Rn. 133, § 12 Rn. 51; Reuschle, in:Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl., § 16 KapMuG Rn. 5).

Für ein solches Verständnis spricht zunächst die systematische Auslegung des § 11 Abs. 1 KapMuG. In § 11 Abs. 1 Satz 2 KapMuG sind mehrere Vorschriften der Zivilprozessordnung aufgeführt, die im Kapitalanleger-Musterverfahren nicht anzuwenden sind. Hierzu gehört unter anderem auch die Regelung zum Verzichtsurteil gemäß § 306 ZPO. Die Regelung zum Teilurteil gemäß § 301 ZPO ist hier hingegen nicht genannt.

Auch der Sinn und Zweck des § 301 ZPO trifft auch (und gerade) auf das Kapitalanleger-Musterverfahren zu. Durch die hierdurch eröffnete Möglichkeit, den Verfahrensstoff und die Beteiligten im Musterverfahren „abzuschichten“, kann das Gericht das Verfahren sinnvoll strukturieren und gegebenenfalls zeitnahe Entscheidungen erreichen (vgl. Vollkommer, a.a.O).

Soweit der Bundesgerichtshof in einem obiter dictum ausgeführt hat, „im Übrigen widerspräche – bei unterstellter Möglichkeit der Erweiterung des Musterverfahrens noch nach Schluss der mündlichen Verhandlung – der Erlass eines Teil-Musterentscheids entgegen der Auffassung des Musterklägers Sinn und Zweck des Musterverfahrens“ (Beschluss vom 20. Januar 2019 – II ZB 11/14 –, NJW 2015, 2188, Rn. 22, juris), versteht der Senat dies nicht dahingehend, dass nach Auffassung des II. Zivilsenates des Bundesgerichtshofs ein Teil-Musterentscheid per se ausgeschlossen sein soll. Die dortigen Ausführungen beziehen sich auf die dort vorliegende Konstellation, die maßgeblich davon geprägt war, dass ein Beteiligter nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung einen Erweiterungsantrag gestellt hatte.

Auch wenn man den vom Bundesgerichtshof angestellten Zweckmäßigkeitserwägungen, die gegen einen Teil-Musterentscheid sprechen, eine über die der Entscheidung zugrunde liegende Konstellation hinausgehende Bedeutung beimessen wollte, führte dies nicht dazu, dass ein Teil-Musterentscheid stets als „zumindest unpraktikabel“ anzusehen und daher zu unterlassen ist. Das Ziel einer effizienten Verfahrensgestaltung kann es im Gegenteil im Einzelfall sinnvoll erscheinen lassen, über einzelne Feststellungsziele, die für die weitere Verfahrensführung des Musterverfahrens oder der Ausgangsverfahren von grundlegender Bedeutung sind, vorab zu entscheiden, um es den Beteiligten zu ermöglichen, die Entscheidung möglichst bald durch den Bundesgerichtshof überprüfen zu lassen. Dies verdeutlicht folgendes vereinfachtes Beispiel: In einem Musterverfahren mögen zahlreiche rechtliche und tatsächliche Aspekte streitig und Gegenstand einer Vielzahl von Feststellungszielen sein. Eine Rechtsfrage hiervon betrifft eine mögliche Verjährung sämtlicher in den Ausgangsverfahren geltend gemachter Ansprüche. Würde man einen Teil-Musterentscheid für grundsätzlich unzulässig halten, müsste sich das Oberlandesgericht – falls es nicht von einer Verjährung ausginge – möglicherweise über Jahre mit einem aufwendigen und ggf. kostenträchtigen Musterverfahren befassen, bevor der Bundesgerichtshof sich mit der Frage der Verjährung befassen könnte. Ein solches Verständnis wäre mit dem Ziel des Musterverfahrens, eine effektive Klärung der Haftungsfragen bei Streuschäden zu gewährleisten, nicht vereinbar. Gleiches dürfte auch in Bezug auf einen Teil-Musterentscheid zum Haftungsgrund gelten, wenn Gegenstand des Musterverfahrens auch umfangreiche Tatsachen- und Rechtsfragen zur haftungsausfüllenden Kausalität und zur Schadenshöhe sind. Ob ein Teil-Musterentscheid sinnvoll ist, ist vor diesem Hintergrund eine Frage des jeweiligen Einzelfalls.

b)

Der Erlass eines Teil-Musterentscheids setzt zunächst voraus, dass die Voraussetzungen vorliegen, unter denen ein Teilurteil ergehen könnte. Dies ist der Fall, wenn der Streitgegenstand teilbar, der abgeschichtete Teil entscheidungsreif und das Teilurteil von der Entscheidung des Reststreits unabhängig ist (im Sinne einer Widerspruchsfreiheit zum Schlussurteil, vgl. statt vieler nur: Feskorn, in Zöller, ZPO, 32. Aufl., § 301 Rn. 2). Im Kapitalanleger-Musterverfahren enthält jede gesondert begehrte Feststellung zum Vorliegen oder Nichtvorliegen einer anspruchsbegründenden oder anspruchsausschließenden Voraussetzung oder zur Klärung einer Rechtsfrage ein gesondertes Rechtsschutzbegehren und begründet mithin einen eigenständigen Streitgegenstand des Musterverfahrens (BGH, Beschluss vom 19. September 2017 – XI ZB 17/15 –, NJW 2017, 3777, Rn. 32, juris). In Bezug auf einen Teil-Musterentscheid über einzelne Feststellungsziele stellt sich deshalb die Frage der Teilbarkeit nicht. Zu berücksichtigen ist jedoch die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen zu weiteren Teil-Musterentscheiden oder dem Schluss-Musterentscheid. Es bedarf an dieser Stelle keiner Entscheidung, ob bzw. inwieweit die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen vor dem Hintergrund des Umfangs der innerprozessualen Bindungswirkung der getroffenen Feststellungen überhaupt bestehen kann. Jedenfalls begründet die Entscheidung (ausschließlich) über Rechtsfragen zu der örtlichen Zuständigkeit im vorliegenden Komplex keine Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen zu den Tatsachen- und Rechtsfragen, die Gegenstand der weiteren Feststellungsziele sind.

c)

Ein Teil-Musterentscheid in Bezug auf die hochstreitigen Zuständigkeitsfragen ist auch unter Berücksichtigung der etwaigen durch ein gesondertes Rechtsmittelverfahren entstehenden zusätzlichen Kosten zweckmäßig. Beide Musterbeklagte werden sowohl am Landgericht Stuttgart als auch am Landgericht Braunschweig in Anspruch genommen. Für einen nicht unerheblichen Anteil dieser Ausgangsklagen fehlt es auf der Grundlage der sich aus dem Tenor ergebenden Auslegung des § 32b Abs. 1 ZPO an der örtlichen Zuständigkeit des jeweils angerufenen Gerichts. Erfolgt in diesen Verfahren kein Antrag auf Verweisung an das örtlich zuständige Gericht, wären diese Ausgangsklagen durch Prozessurteil zurückzuweisen. Inhaltlich bietet sich ein Teil-Musterentscheid zu den Zuständigkeitsfragen in besonderer Weise an, da diese unabhängig von den weiteren Tatsachen- und Rechtsfragen des Musterverfahrens zu beurteilen sind. Die Abschichtung solcher in sich abgeschlossener Teile im Wege eines Teil-Musterentscheids dient der Entlastung und der Übersichtlichkeit des weiteren Musterverfahrens. Der Senat hat hierbei in seine Erwägungen auch den Gesichtspunkt mit einbezogen, dass die Musterparteien übereinstimmend eine Klärung der streitigen Zuständigkeitsfragen im Wege eines Teil-Musterentscheids für sinnvoll erachtet haben.

Eine andere Bewertung ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt, dass das vorliegende Musterverfahren für die Dauer eines etwaigen Rechtsbeschwerdeverfahrens gegen den Teil-Musterentscheid nicht fortgesetzt werden könnte. Ein etwaiges Rechtsbeschwerdeverfahren in Bezug auf die Zuständigkeitsfragen wäre für die Entscheidung über die weiteren verfahrensgegenständlichen Feststellungsziele nicht vorgreiflich. Das Musterverfahren könnte deshalb ohne weiteres parallel zu einem etwaigen Rechtsbeschwerdeverfahren fortgesetzt werden.

2.

Die Rechtsfragen im Zusammenhang mit der örtlichen Zuständigkeit der Ausgangsgerichte gemäß § 32b Abs. 1 ZPO sind auch taugliche Gegenstände eines Feststellungsziels.

Die möglichen Gegenstände eines Feststellungsziels ergeben sich aus der Legaldefinition des § 2 Abs. 1 KapMuG. Nach dieser Regelung kann durch Musterverfahrensantrag im ersten Rechtszug die Feststellung des Vorliegens oder Nichtvorliegens anspruchsbegründender oder anspruchsausschließender Voraussetzungen oder die Klärung von Rechtsfragen (Feststellungsziele) begehrt werden. Danach stellen die im Zusammenhang mit der Auslegung des § 32b ZPO auftretenden Rechtsfragen ohne weiteres ein taugliches Feststellungsziel dar.

Soweit in der Rechtsprechung die Auffassung vertreten wird, feststellungsfähig seien nur solche Rechtsfragen, die die Feststellung des Vorliegens oder Nichtvorliegens anspruchsbegründender oder anspruchsausschließender Voraussetzungen betreffen (KG, Beschluss vom 4. Mai 2007 – 24 SCH 2/07 KapMuG – und Beschluss vom 22. August 2007 – 24 Kap 13/07 –, jeweils nicht veröffentlicht, hier zitiert nach Kruis, in: KK-KapMuG, § 2 Rn. 54 mit Fn. 76; LG Braunschweig, Beschluss vom 4. März 2015 – 5 O 2077/11 –, nicht veröffentlicht, zitiert nach LG Stuttgart, Vorlagebeschluss vom 6. Dezember 2017 – 22 AR 2/17 Kap –, Rn. 68, veröffentlicht im Klageregister), folgt der Senat dieser Auffassung nicht.

Die „Klärung einer Rechtsfrage“ ist nach dem eindeutigen Wortlaut des § 2 Abs. 1 KapMuG („oder“) gerade kein Unterfall der Feststellung des Vorliegens oder Nichtvorliegens einer anspruchsbegründenden oder anspruchsausschließenden Voraussetzung (so auch OLG Stuttgart, Beschlüsse vom 27. März 2019 – 20 Kap 3/17 und 20 Kap 4/17 –, jeweils unter II. A.; LG Stuttgart, Vorlagebeschluss vom 6. Dezember 2017 – 22 AR 2/17 Kap –, Rn. 54, veröffentlicht im Klageregister; Kruis, a.a.O.; Großerichter, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl., § 2 KapMuG Rn. 20). Gegen eine Beschränkung der vorlagefähigen Rechtsfragen auf materiell-rechtliche Fragen spricht zudem, dass sich auch verfahrensrechtliche Fragen in einer Vielzahl gleichgerichteter Verfahren stellen können, weshalb die vom Gesetzgeber bezweckte Bündelungs- und Kanalisierungsfunktion die Klärung dieser Fragen im Rahmen eines Musterverfahrens gebieten kann (so zutreffend OLG Stuttgart, a.a.O.). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der historischen Auslegung, auf die sich die Gegenauffassung in erster Linie stützt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die zutreffenden Ausführungen des Oberlandesgerichts Stuttgart (a.a.O.) Bezug genommen.

3.

Die begehrten Feststellungen sind wie aus dem Tenor ersichtlich zu treffen.

Die örtliche Zuständigkeit richtet sich bei Klagen wegen falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformationen nach § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Dieser begründet eine ausschließliche Zuständigkeit des Gerichts am Sitz des betroffenen Emittenten.

a)

Zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals der „Betroffenheit“ werden, soweit ersichtlich drei Grundauffassungen vertreten.

aa)

Nach der hierzu bislang ergangenen Rechtsprechung und der wohl herrschenden Ansicht in der Literatur ist „betroffen“ im Sinne des § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO der Emittent oder Anbieter, dessen Wertpapier oder sonstige Vermögensanlage Gegenstand der fehlgeschlagenen Kapitalanlage ist (vgl. OLG Braunschweig, Beschluss vom 30. Oktober 2017 – 1 W 31/17 –, ZIP 2018, 348; LG Braunschweig, Beschluss vom 4. März 2015 – 5 O 2077/11 –; LG Stuttgart, Beschluss vom 3. September 2018 – 14 O 162/17 –, jeweils nicht veröffentlicht; Beschluss vom 28. Februar 2017 – 22 AR 1/17 Kap –, WM 2017, 1451; Beschluss vom 29. Februar 2012 – 21 O 13/12 –, nicht veröffentlicht; Beschluss vom 3. Mai 2011 – 12 O 3/11 –, WM 2011, 1511; zustimmend, Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl., § 32b Rn. 9, Fn. 38, Toussaint, in: BeckOKZPO, Stand: 1. März 2017, § 32b Rn. 14; Reuschle/Kruis, in: Wieczorek/Schütze, 4. Aufl., § 32b ZPO Rn. 82).

Diese Auffassung ist vom 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig in mehreren Gerichtsstandsbestimmungsverfahren vertreten worden, die in beim Landgericht Braunschweig anhängigen bzw. anhängig gewesenen Ausgangsverfahren auf Antrag der Musterbeklagten zu 1) durchgeführt worden sind (Beschlüsse vom 30. Oktober 2017 – 1 W 31/17 –, ZIP 2018, 348; – 1 W 32/17–, ZIP 2018, 1512; – 1 W 33/17 –, AG 2018, 120; – 1 W 35/17 –, juris; – 1 W 34/17 –, ZIP 2018, 352).

Folgte man dieser Auffassung, wäre für sämtliche Klagen, in denen Schäden in VW-Aktien geltend gemacht werden, ausschließlich das Landgericht Braunschweig zuständig, für Klagen betreffend Schäden in PSE-Aktien ausschließlich das Landgericht Stuttgart.

Dem hat sich nunmehr auch die Musterbeklagte zu 2) angeschlossen, die dementsprechend für Klagen, mit denen Schäden in von ihr emittierten Vorzugsaktien geltend gemacht werden, die ausschließliche Zuständigkeit des Landgerichts Stuttgart annimmt.

Auch das Landgericht Stuttgart ist in seinem Vorlagebeschluss vom 6. Dezember 2017 – 22 AR 2/17 Kap – von der herrschenden Meinung ausgegangen, dass „betroffen“ im Sinne des § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO der Emittent oder Anbieter ist, dessen Wertpapier oder sonstige Vermögensanlage Gegenstand der fehlgeschlagenen Kapitalanlage ist. Es hat darüber hinaus die Auffassung vertreten, es sei eine „konzerndimensionale“ Betrachtung geboten. Danach soll der Radius der gerichtlichen Zuständigkeit nach § 32b ZPO auf sämtliche Tochter- und Beteiligungsgesellschaften zu erweitern sein. Die das Ereignis auslösende Beteiligungsgesellschaft könne abweichend von ihrem statuarischen Sitz im Forum ihrer Konzernobergesellschaft in Anspruch genommen werden. Es bestehe demnach für Schäden aufgrund von Investitionen in VW-Aktien gegen die Musterbeklagte zu 1) ein Gerichtsstand sowohl an ihrem Unternehmenssitz als auch am Sitz ihres Mutterunternehmens, der Musterbeklagten zu 2).

bb)

Nach anderer Ansicht bezeichnet das Tatbestandsmerkmal der „Betroffenheit“ die nach den einschlägigen Haftungsvorschriften verklagte Partei (Hess, in: KK-KapMuG, 2. Aufl., § 32b Rn. 10; Cuypers, in: Gerichtliche Zuständigkeit bei fehlgeschlagenen Kapitalanlagen, WM 2007, 1446, 1456).

Von dieser Auffassung geht die Musterbeklagte zu 1) aus. Sie vertritt darüber hinaus die Ansicht, dass in Konstellationen, in denen mehrere Emittenten mit unterschiedlichen allgemeinen Gerichtsständen als Streitgenossen verklagt werden, ein sog. „Anker-Gerichtsstand“ eröffnet sei, der sich am Sitz des „primär betroffenen“ Emittenten befinde. Sie knüpft dabei nicht an die Eigenschaft als Beklagte in einem konkreten Rechtsstreit an, sondern an die Eigenschaft als Beklagte eines Rechtsstreits in dem gesamten sog. „Dieselkomplex“. Nach der Auffassung der Musterbeklagten zu 1) lägen danach in allen Anlegerverfahren im Zusammenhang mit der „Dieselthematik“ zwei betroffene Emittenten vor. In einem solchen Fall sei für die Zuständigkeit ausschließlich maßgeblich, bei welchem Emittenten die Unternehmensdaten und Informationen vorlägen, die für die kapitalmarktrechtliche Beurteilung des Falles relevant seien (sog. „primär betroffener Emittent“ oder „Ankerbeklagter“). Nur diese Anknüpfung stelle sicher, dass das vom Gesetzgeber mit § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO verfolgte Ziel erreicht werde, kapitalmarktrechtliche Streitigkeiten, die denselben Lebenssachverhalt beträfen, stets an einem Gerichtsstand zu konzentrieren. Sofern Unternehmensdaten und -informationen mehrerer Unternehmen zur kapitalmarktrechtlichen Bewertung erforderlich seien, lasse sich die Zuständigkeit zudem zwanglos danach bestimmen, auf welches Unternehmen es hierbei primär ankomme. Die Musterbeklagte bezieht sich hierzu auf die von ihr im Zuge der Gerichtsstandsbestimmungsverfahren eingeholten Rechtsgutachten von Herrn Prof. Dr. Hess (Anlagen MB 115, 116).

cc)

Schließlich wird die Auffassung vertreten, dass für die Ermittlung der örtlichen Zuständigkeit im Rahmen des § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO darauf abzustellen sei, welcher Emittent/Anbieter (nach dem haftungsbegründenden Klagevorwurf) tatsächlich fehlerhaft gehandelt hat oder hätte handeln müssen (Vollkommer, EWiR 2018, 127, 128, zugleich Anmerkung zum Beschluss des OLG Braunschweig vom 30. Oktober 2017 – 1 W 31/17 –).

Nach dieser Ansicht wäre für die gegen die Musterbeklagte zu 2) gerichteten Klagen ausschließlich das Landgericht Stuttgart zuständig, da diese Klagen auf eigene Verletzungen der Ad-hoc-Pflicht gestützt werden. Für die Klagen gegen die Musterbeklagte zu 1) wegen angenommener Verletzung von deren Ad-hoc-Pflicht wäre umgekehrt ausschließlich das Landgericht Braunschweig zuständig, unabhängig davon, um welche Finanzinstrumente es in den einzelnen Verfahren geht.

b)

Der Senat schließt sich der letztgenannten Auffassung an.

aa)

Der Wortlaut von § 32b ZPO gibt keine hinreichende Antwort auf die Frage, nach welchem Kriterium die Betroffenheit des Emittenten zu bestimmen ist.

Der ausschließliche Gerichtsstand bei falschen, irreführenden oder unterlassenen öffentlichen Kapitalmarkinformationen ist durch das Gesetz zur Einführung von Kapitalanleger-Musterverfahren in die ZPO eingefügt worden. Im Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz taucht der „betroffene Emittent“ ebenfalls auf, nämlich u. a. in § 1 Abs. 1 Satz 3 KapMuG a.F. (jetzt § 1 Abs. 2 Satz 1 KapMuG) im Rahmen der Definition der öffentlichen Kapitalmarkinformation. Es ist daher nicht fernliegend, unter dem betroffenen Emittenten im Sinne von § 32b Abs. 1 ZPO denselben Emittenten zu verstehen, den § 1 Abs. 2 Satz 1 KapMuG meint, also den Emittenten, der von der falschen, irreführenden oder unterlassenen öffentlichen Kapitalmarktinformation betroffen ist. Dies lässt sich allerdings für keine der erwähnten Auffassungen fruchtbar machen. Es ergibt sich daraus weder, dass der Gesetzgeber mit dem betroffenen Emittenten den beklagten Emittenten meinte, noch dass die Betroffenheit des Emittenten aus dem Wertpapier abzuleiten ist, in das investiert wurde.

bb)

Aus der systematischen, teleologischen und der historische Auslegung folgt jedoch, dass für die Ermittlung der örtlichen Zuständigkeit im Rahmen des § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO darauf abzustellen ist, welcher Emittent/Anbieter (nach dem haftungsbegründenden Klagevorwurf) den Kapitalmarkt falsch oder irreführend informiert oder die gebotene Information unterlassen hat.

Der systematische Zusammenhang, in den § 32b ZPO innerhalb der Zuständigkeitsvorschriften der ZPO gestellt ist, nämlich hinter den deliktischen Gerichtsständen der §§ 32 und 32a ZPO, spricht dafür, dass der Gesetzgeber Schadensersatzansprüche wegen falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformationen als deliktische oder deliktsähnliche Ansprüche qualifiziert. Dies legt nahe, die örtliche Zuständigkeit an den Ort des deliktischen Handelns anzuknüpfen (Vollkommer, a.a.O.).

Ein solches Verständnis ergibt sich auch aus den Gesetzesmaterialien. Der Gesetzgeber wollte mit § 32b ZPO eine ausschließliche Zuständigkeit bei Klagen gegen inländische Emittenten schaffen, mit denen u. a. Schadensersatzansprüche wegen falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformationen geltend gemacht werden (BT-Drs. 15/5091, S. 17). Dabei soll das Gericht am Sitz des Emittenten zuständig sein (a.a.O., S. 17, 33), also grundsätzlich an dem Ort, an dem die Verwaltung des Emittenten geführt wird (a.a.O., S. 33). Grund für die Verfahrenskonzentration am Sitz des Emittenten war die Vorstellung des Gesetzgebers, dass zur Feststellung von fehlerhaften oder irreführenden Kapitalmarktinformationen stets auf Unternehmensdaten und die verlautbarten Ad-hoc-Mitteilungen am Sitz des Unternehmens zurückgegriffen werden müsse (BT-Drs. 15/5091, S. 33). Außerdem habe dies den Vorteil, so die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrats, dass auf kurzem Weg vor Ort auch auf Ergebnisse eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens zurückgegriffen werden könne (a.a.O., S. 52).

Hieraus erschließt sich, dass der Gesetzgeber bei der Konzentration der Zuständigkeit auf den Sitz des betroffenen Emittenten eher die Konzentration auf den Ort der Sach- und Beweisnähe in Bezug auf falsche, irreführende oder unterlassene öffentliche Kapitalmarktinformationen vor Augen hatte als die Auswirkungen dieser Information auf die Wertpapiere eines oder mehrerer Emittenten.

Diese unternehmensbezogene Sichtweise korrespondiert schließlich auch am ehesten mit dem Sinn und Zweck der Zuständigkeitskonzentration. § 32b Abs. 1 ZPO soll verhindern, dass die Zuständigkeit für die Beurteilung einer bestimmten öffentlichen Kapitalmarktinformation aufgrund verschiedener Gerichtsstände zersplittert wird (BGH, Beschluss vom 30. Juli 2013 – X ARZ 320/13 –, Rn. 15, juris; vgl. BT-Drs. 15/5019, S. 33). Dieses gesetzgeberische Ziel wäre bei einer Bündelung nach dem von der Investition betroffenen Wertpapier nicht erreicht. Denn die tatsächlichen und rechtlichen Fragestellungen in Bezug auf eine etwaige Verletzung der Ad-hoc-Pflicht der Musterbeklagten zu 1) könnten nach dieser wertpapierbezogenen Ansicht sowohl von dem Landgericht Braunschweig als auch von dem Landgericht Stuttgart zu beurteilen sein. Demgegenüber gewährleistet die eben dargelegte Auffassung, die derjenigen von Vollkommer entspricht, dass etwaige Kapitalmarktpublizitätspflichtverletzungen der Musterbeklagten zu 1) durch das Landgericht Braunschweig und etwaige Kapitalmarktpublizitätspflichtverletzungen der Musterbeklagten zu 2) durch das Landgericht Stuttgart zu beurteilen sind.

Hieraus folgt zugleich, dass in den Fällen, in denen ein Emittent wegen Beihilfe zu einer Publizitätspflichtverletzung eines anderen Emittenten in Anspruch genommen wird, gemäß § 32b Abs. 1 ZPO eine ausschließliche Zuständigkeit am Sitz desjenigen Unternehmens begründet ist, dem nach dem haftungsbegründenden Klagevorwurf eine täterschaftliche Publizitätspflichtverletzung vorgeworfen wird. Hierdurch wird gewährleistet, dass dasselbe Ausgangsgericht über den haftungsbegründenden Sachverhalt sowohl gegenüber dem Haupttäter als auch gegenüber dem Teilnehmer entscheidet. Dies trägt der Zielsetzung Rechnung, dass ein ausschließlich zuständiges Gericht über eine bestimmte (unterlassene) Kapitalmarktinformation entscheidet (s.o.).

cc)

Eine weitergehende Zuständigkeitskonzentration in Fällen, in denen innerhalb desselben Kernsachverhalts mehrere Emittenten beteiligt sind, kommt nicht in Betracht.

Der Wortlaut, die Systematik und die Gesetzeshistorie geben für die Beantwortung dieser Frage nichts her. Der Gesetzgeber hat eine Konstellation wie die vorliegende offenbar nicht gesehen. Andernfalls hätte es nahegelegen, sie in den Materialien zumindest zu erwähnen und ihr ggf. durch eine weitergehende Regelung Rechnung zu tragen. Beides ist nicht geschehen. Dem Entwurfsverfasser wird zwar bekannt gewesen sein, dass ein und dieselbe Insiderinformation mehrere Emittenten betreffen kann, da schon der früher geschaffene § 13 WpHG a.F. eine entsprechende Formulierung enthält. Allein dies genügt aber nicht, um eine Auslegung von § 32b ZPO dahingehend vorzunehmen, bei mehreren betroffenen Emittenten, die wegen eigenständig zu beurteilender Informationspflichtverletzung in Anspruch genommen werden, nur einen ausschließlichen Gerichtsstand oder mehrere ausschließliche Gerichtsstände, unter denen der Kläger die Wahl hat, anzunehmen.

(1)

Die von der Musterbeklagten zu 1) vertretene Theorie des „hauptbetroffenen“ bzw. „primär betroffenen“ Emittenten stellt kein taugliches Abgrenzungskriterium dar.

Dieser Theorie liegt die Überlegung zugrunde, dass es der Sinn und Zweck des § 32b Abs. 1 ZPO gebiete, eine vollständige Konzentration sämtlicher Ausgangsverfahren an einem Gerichtsstand herbeizuführen. Dies wiederum setzt voraus, dass die Ermittlung des „hauptbetroffenen“ bzw. „primär betroffenen“ Emittenten nicht in Bezug auf einen konkreten Rechtsstreit, sondern in Bezug auf den gesamten zugrunde liegenden „Kernsachverhalt“ (hier nach Auffassung der Musterbeklagten zu 1): „die Dieselthematik“) erfolgt (so ausdrücklich Schriftsatz der Musterbeklagten zu 1) vom 28. Februar 2018, Rn. 1692).

Der Senat folgt bereits der Prämisse der Musterbeklagten zu 1) nicht, wonach es der Sinn und Zweck des § 32b Abs. 1 ZPO gebiete, eine vollständige Konzentration sämtlicher Ausgangsverfahren an einem Gerichtsstand herbeizuführen. Ein solcher gesetzgeberischer Wille lässt sich § 32b ZPO nicht entnehmen. Im unmittelbaren Anwendungsbereich von § 32b ZPO sind vielmehr unterschiedliche Konstellationen denkbar, in denen innerhalb desselben einheitlichen Lebenssachverhalts eine ausschließliche Zuständigkeit mehrerer Gerichte begründet wird. Dies betrifft etwa die Fälle, dass der Sitz des Emittenten bzw. Anbieters und der Sitz der Fondsgesellschaft auseinanderfallen, dass ein Emittent/Anbieter mehrere Sitze hat oder dass sowohl ein Emittent als auch ein Anbieter vorhanden sind und beide ihren Sitz in verschiedenen Gerichtsbezirken haben (vgl. OLG Braunschweig, Beschluss vom 30. Oktober 2017 – 1 W 31/17 –, Rn. 44, juris, mit weiteren Nachweisen).

Dies hat der Gesetzgeber auch erkannt. Er hat sowohl in der Gesetzesbegründung als auch im Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz selbst an mehreren Stellen vorausgesetzt, dass für die Ausgangsverfahren unterschiedliche Gerichte zuständig sein können (vgl. zutreffend OLG Braunschweig, a.a.O., Rn. 45). Es erscheint unabhängig hiervon auch kaum vorstellbar, dass der Gesetzgeber übersehen hat, dass in den oben genannten Konstellationen durch § 32b ZPO eine ausschließliche Zuständigkeit mehrerer Ausgangsgerichte begründet wird. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass dieser Gesichtspunkt in der Literatur bereits im Jahr 2004, also noch bevor der Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz vorlag, diskutiert wurde (vgl. Hess, WM 2004, 2329, 2331 Fn. 478 und Reuschle, WM 2004, 966, 975). Trotz dieses Umstandes hat der Gesetzgeber keine Regelung geschaffen, um in solchen Fällen eine weitergehende Konzentration herbeizuführen. Er hat somit offenbar im Hinblick auf die in § 7 Satz 1 KapMuG gewährleistete Bündelung der einen einheitlichen Lebenssachverhalt betreffenden Verfahren auf der Ebene des Musterverfahrens die Möglichkeit einer divergierenden ausschließlichen Zuständigkeit auf der Ebene der Ausgangsgerichte in Ausnahmefällen in Kauf genommen (vgl. zutreffend OLG Braunschweig, a.a.O., Rn. 46)

Die von der Musterbeklagten zu 1) vertretene Theorie des „hauptbetroffenen“ bzw. „primär betroffenen“ Emittenten ermöglicht auch keine hinreichend klare Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit. Schließlich greifen auch die von der Musterbeklagten zu 1) angestellten systematischen Erwägungen nicht.

Der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig (a.a.O., Rn. 51 ff.) hat hierzu ausgeführt:

Diese Rechtsauffassung würde aber nur in den Fällen ein taugliches Abgrenzungskriterium bieten, in denen sich (wie dies aufgrund der spezifischen Besonderheiten in dem „Dieselkomplex“ der Fall sein mag) ein „primär betroffener“ Emittent eindeutig und ohne weiteres feststellen lässt. Ist dies nicht der Fall, bietet die Rechtsauffassung der Beklagten zu 1 weder eine hinreichend zuverlässige Bestimmung des die ausschließliche Zuständigkeit begründenden Tatbestandsmerkmals des „betroffenen Emittenten“ noch gewährleistet sie die erwünschte Verfahrenskonzentration. Es würde dann nämlich von der individuellen Bewertung des jeweils angerufenen Gerichts und/oder dem argumentativen Schwerpunkt des jeweiligen Klägers abhängen, welcher Emittent als von dem zugrunde liegenden Lebenssachverhalt „primär betroffen“ anzusehen ist.

Soweit die Beklagte zu 1 die Auffassung vertritt, die zuständigkeitsrechtliche Anknüpfung an das Tatbestandsmerkmal der „Betroffenheit“ i.S.d. § 32b ZPO lasse sich auch und gerade in den Fällen, in denen mehrere Emittenten gemeinsam als Streitgenossen verklagt werden, einfach und verlässlich handhaben, folgt der Senat dem nicht. Entgegen der Auffassung der Beklagten zu 1 bieten die zu § 36 Abs. 1 ZPO entwickelten Grundsätze hierfür keinen geeigneten Maßstab. Die Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 36 Abs. 1 ZPO erfolgt nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten und gemäß der Prozesswirtschaftlichkeit (BGH, Beschluss vom 23.02.2011 – X ARZ 388/10, juris-Rn. 7; OLG Frankfurt, Beschluss vom 13.11.2013 – 11 SV 100/13, juris-Rn. 14). Es handelt sich hierbei um eine aufgrund der jeweiligen Umstände des Einzelfalles zu treffende Ermessensentscheidung, wobei der räumliche Schwerpunkt des Rechtsstreits nur eines von zahlreichen anerkannten Kriterien ist (vgl. statt vieler: Zöller/Vollkommer, 31. Aufl. § 36 Rn. 18). Die durch §§ 36, 37 ZPO ermöglichte Ermessensentscheidung beruht auf dem Gesichtspunkt der Prozessökonomie und dem Ziel, in den Fällen, in denen aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen ein im Einzelfall zuständiges Gericht nicht (zweifelsfrei) feststellbar ist, Zuständigkeitsstreitigkeiten möglichst schnell und einfach zu beenden (vgl. Zöller/Vollkommer, a.a.O.). Diese Grundsätze lassen sich aber nicht auf die Auslegung von Tatbestandsmerkmalen der zuständigkeitsbegründenden Normen übertragen. Es gilt insoweit der verfassungsrechtliche Grundsatz, dass sich der zuständige Richter möglichst eindeutig aus einer allgemeinen Norm ergeben muss (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16.04.1969 – 2 BvR 115/69, juris-Rn. 35). Mit diesem Grundsatz wäre es nicht vereinbar, die Auslegung eines die ausschließliche Zuständigkeit eines Gerichts begründenden Tatbestandsmerkmals von einer Ermessensentscheidung des jeweiligen Gerichts abhängig zu machen, die ihrerseits anhand von zahlreichen, nicht kodifizierten und deshalb auch nicht abschließend benennbaren, Kriterien getroffen würde.

Erst recht ist die Rechtsauffassung der Beklagten zu 1 nicht geeignet, zuverlässig eine Aufspaltung der Zuständigkeit auf mehrere Gerichte zu verhindern, wenn sich der zugrunde liegende Lebenssachverhalt noch in der Aufklärung befindet oder noch weiterentwickelt. Dann kann sich nämlich je nach Stand der Sachverhaltsentwicklung oder der Aufklärung desselben die Bewertung der Frage, welcher Emittent von dem zugrunde liegenden Lebenssachverhalt „primär betroffen“ ist – und damit das jeweils ausschließlich zuständige Gericht – ändern. Dies mag zwar im vorliegenden Fall anders sein. Die Auslegung des Tatbestandsmerkmals „betroffener Emittent“ kann aber nicht von den spezifischen Besonderheiten des jeweiligen Verfahrens bzw. Verfahrenskomplexes abhängig sein.

Aus den vorstehenden Gründen führt auch der systematische Zusammenhang des § 32b ZPO mit dem KapMuG nicht zu einer anderen Bewertung. Es ist zwar zutreffend, dass § 32b ZPO nach seinem Sinn und Zweck darauf gerichtet ist, dass die Ausgangsverfahren eines möglichen Kapitalanleger-Musterverfahrens bei einem Ausgangsgericht gebündelt werden. Es ist ebenfalls zutreffend, dass es für die Sperrwirkung des § 7 Satz 1 KapMuG und damit die Abgrenzung zu einem möglichen weiteren Kapitalanlage-Musterverfahren auf die Abgrenzung des jeweils zugrunde liegenden Lebenssachverhalts ankommt (vgl. Vollkommer, in: Kölner Kommentar zum KapMuG, 2. Aufl., § 6 Rn. 9). Gleichwohl stellt der den Feststellungszielen eines Musterverfahrens zugrunde liegende Lebenssachverhalt i.S.d. § 4 Abs. 1 KapMuG kein geeignetes Auslegungskriterium für die Zuständigkeit nach § 32b ZPO dar. Dies folgt zunächst aus den oben dargestellten Abgrenzungsschwierigkeiten in Bezug auf den von diesem Lebenssachverhalt „primär betroffenen Emittenten“ (s.o.). Hinzu kommt, dass sich zu Beginn einer Prozessserie der den Feststellungszielen eines zukünftigen (möglichen) Musterverfahrens zugrunde liegende Lebenssachverhalt regelmäßig nicht zuverlässig abgrenzen lassen wird. Die Feststellungsziele des Musterverfahrens sind bei Prozessbeginn vor dem Ausgangsgericht in aller Regel noch nicht fixiert. Dies geschieht erst im Vorlagebeschluss des Landgerichts nach § 6 Abs. 1 KapMuG. Dieser bezieht sich zwar auf die entsprechenden Anträge und den Sachvortrag der Parteien. Gerade zu Beginn einer Prozessserie kann der Sachvortrag in den jeweiligen Klageschriften aber auch wenig vereinzelt und pauschal gehalten sein. Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass schon zu Beginn einer Prozessserie Musterfeststellungsanträge gemäß § 2 KapMuG formuliert werden. Der den Feststellungszielen eines zukünftigen (möglichen) Musterverfahrens zugrunde liegende Lebenssachverhalt (bzw. der Sitz des von diesem primär betroffenen Emittenten) stellt deshalb regelmäßig kein zuverlässiges Abgrenzungskriterium dar.

Die Rechtsauffassung der Beklagten zu 1 wird auch nicht durch die Regelungsstruktur und den systematischen Normzusammenhang des § 32b ZPO gestützt.

Diese folgt zunächst nicht aus der sog. „Beifangwirkung“ des § 32b ZPO. Es ist zwar zutreffend, dass § 32b ZPO grundsätzlich einen „ausschließlichen Gerichtsstand der passiven Streitgenossenschaft“ am Sitz der in der Vorschrift genannten Emittenten, Anbieter oder Zielgesellschaften (sog. Ankerbeklagte) begründet. Hieraus lassen sich aber – über das erkennbare Ziel einer Konzentration hinaus, dazu s. oben – gerade keine Rückschlüsse darauf ziehen, wie der Fall zu behandeln ist, dass zwei Beklagte als Ankerbeklagte in diesem Sinne in Betracht kommen.

Die Anknüpfung an den Sitz des „primär betroffenen“ Emittenten ergibt sich auch nicht aus der (etwaigen) deliktischen Rechtsnatur der ausschließlichen Zuständigkeit nach § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Zwar lässt sich hieraus folgern, dass bei Schaffung des § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO auch der Gesichtspunkt der Sach- und Beweisnähe eine Rolle gespielt hat. Dies lässt aber nicht den Schluss zu, dass der Ort der Sach- und Beweisnähe im Einzelfall zu ermitteln ist. Hierauf ist jedoch letztlich die Rechtsauffassung der Beklagten zu 1 gerichtet. Danach ist die „Betroffenheit“ des jeweiligen Emittenten im Ergebnis davon abhängig, welche Unternehmensdaten im Einzelfall zur Überprüfung der streitgegenständlichen Kapitalmarktinformationen erforderlich sind und wo sich diese befinden.

Eine solche Einzelfallprüfung widerspricht aber der Systematik der ortsbezogenen besonderen Gerichtsstände. Das Gesetz verfolgt in Bezug auf die ortsbezogenen Merkmale bei der Bestimmung des Gerichtsstands die Technik, an Merkmale eines konkreten Rechtsstreits anzuknüpfen, die diesen mit einer bestimmten Örtlichkeit verbinden (vgl. Smid/Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, 4. Aufl., Vor §§ 12–37 ZPO Rn. 7; Roth, in: Stein/Jonas, 22. Aufl., Vor § 12 Rn. 3). Der Gesetzgeber verbindet mit der Anknüpfung an ein ortsbezogenes Merkmal des konkreten Rechtsstreits die typisierte Erwartung, dass die mit dem Zweck der Zuständigkeitsnorm intendierte Verbindung zu dieser Örtlichkeit vorliegt. Es spielt hingegen keine Rolle, ob dies im Einzelfall tatsächlich der Fall ist. So knüpft § 32 Abs. 1 ZPO beispielsweise an den Ort der unerlaubten Handlung an. Dies ist sowohl der Handlungs- als auch der Erfolgsort (vgl. BGH, Urteil vom 25.11.1993 – IX ZR 32/93, juris-Rn. 32 mit weiteren Nachweisen). Der Kläger hat insoweit gemäß § 35 ZPO ein Wahlrecht. Es kommt hierfür nicht darauf an, ob in dem jeweiligen Einzelfall die Sachaufklärung und Beweisaufnahme tatsächlich am besten am Handlungs-, oder am Erfolgsort oder vielleicht auch an einem ganz anderen Ort erfolgen kann.

Diesen überzeugenden Ausführungen schließt sich der Senat an.

Die von der Musterbeklagten zu 1) gegen die Argumentation des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Braunschweig erhobenen Einwendungen greifen nicht durch.

Die Abgrenzungsschwierigkeiten anhand des „primär betroffenen“ Emittenten werden durch diese Auslegung nicht auf die Ebene des Lebenssachverhalts i.S.d. § 4 Abs. 1 KapMuG verlagert. Dies folgt bereits daraus, dass im Rahmen von § 4 Abs. 1 KapMuG kein „primär betroffener“ Emittent ermittelt werden muss. § 4 Abs. 1 KapMuG erfordert lediglich die Abgrenzung des Lebenssachverhalts. Es ist zwar zutreffend, dass auch diese Abgrenzung im Einzelfall – so auch im vorliegenden Komplex – Schwierigkeiten aufwerfen kann. Diese Abgrenzungsschwierigkeiten würden aber durch die Rechtsauffassung der Musterbeklagten zu 1) nicht vermindert, sondern verschärft. Im Rahmen von § 4 Abs. 1 KapMuG erfolgt die Abgrenzung des Lebenssachverhalts zu einem Zeitpunkt, zu dem bereits konkret formulierte Musterverfahrensanträge vorliegen. Zu diesem Zeitpunkt geht es auch zunächst nur um die Eintragung der Anträge ins Verfahrensregister. Die von der Musterbeklagten zu 1) vertretene Auslegung des § 32b ZPO führt demgegenüber dazu, dass bereits vor Eingang der ersten Klage in einem Verfahrenskomplex eine Abgrenzung des Lebenssachverhalts i.S.d. § 4 Abs. 1 KapMuG erfolgen und innerhalb dieses Lebenssachverhalts ein (überdies nach einzelfallbezogenen Kriterien) „primär betroffener“ Emittent ermittelt werden müsste. Dies alles in Bezug auf die Ermittlung des zuständigen Gerichts, das sich gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG möglichst eindeutig aus einer allgemeinen Norm ergeben muss (so ausdrücklich BVerfG, Beschluss vom 16. April 1969 – 2 BvR 115/69 –, Rn. 35, juris).

Auch der Einwand der Musterbeklagten zu 1), der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig habe sich insoweit mit einem Problem beschäftigt, welches sich vorliegend gar nicht stelle, greift nicht durch. Es mag richtig sein, dass die durch die Auslegung der Musterbeklagten zu 1) entstehenden Abgrenzungsschwierigkeiten aufgrund der Besonderheiten des vorliegenden Komplexes ohne weiteres zu lösen wären. Die Auslegung abstrakter Tatbestandsmerkmale kann aber nicht davon abhängen, ob sie im vorliegenden Einzelfall zu sachgerechten Ergebnissen führt.

Soweit die Musterbeklagten zu 1) schließlich beanstandet, der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig habe in der oben zitierten Entscheidung den systematischen Zusammenhang des § 32b ZPO verkürzend betrachtet, weil die strukturelle Ähnlichkeit mit Art. 8 Nr. 1 EuGVVO gänzlich unbeachtet geblieben sei, ist dem nicht zu folgen. Art. 8 Nr. 1 EuGVVO, der eine Wahl zwischen mehreren Gerichtsständen ermöglicht, wenn mehrere Beklagte in unterschiedlichen EU-Mitgliedsstaaten ihren Sitz haben, verlangt gerade keine Auswahl eines primär betroffenen Beklagten. Der Kläger kann vielmehr frei den Wohnsitz eines der Anspruchsgegner wählen. Es kommt hierfür nicht darauf an, ob der vom Kläger ausgewählte Wohnsitz eine besondere Sach- und Beweisnähe aufweist.

(2)

Die vom Landgericht Stuttgart in dem Vorlagebeschluss vom 6. Dezember 2017 – 22 AR 2/17 Kap – vertretene konzerndimensionale Auslegung des Merkmals der Betroffenheit i.S.d. § 32b ZPO ist mit Sinn und Zweck des § 32b Abs. 1 ZPO nicht in Einklang zu bringen.

Nach dieser Auffassung wird der Radius der gerichtlichen Zuständigkeit nach § 32b ZPO auf sämtliche Tochter- und Beteiligungsgesellschaften erweitert. Die das Ereignis auslösende Beteiligungsgesellschaft kann danach abweichend von ihrem statuarischen Sitz im Forum ihrer Konzernobergesellschaft in Anspruch genommen werden (vgl. LG Stuttgart, Beschluss vom 6. Dezember 2017 – 22 AR 2/17 Kap –, veröffentlicht im Klageregister). Hiernach bestünde für Schäden aufgrund von Investitionen in VW-Aktien gegen die Musterbeklagte zu 1) ein Gerichtsstand sowohl bei der Emittentin der betroffenen Wertpapiere (nämlich der VW AG) also auch bei deren Mutterunternehmen (der Porsche SE).

Die konzerndimensionale Auslegung gewährleistet weder eine Konzentration der Verfahren nach dem jeweiligen Emittenten noch nach dem Wertpapier des jeweiligen Emittenten. Es bestünde vielmehr in Bezug auf Schäden aufgrund von Investitionen in VW-Aktien gegen die Musterbeklagten zu 1) ein freies Wahlrecht der Anleger. Das gesetzgeberische Ziel der Verfahrenskonzentration wird bei dieser Auslegung ersichtlich verfehlt. Die Auslegung trägt der gesetzgeberischen Zielsetzung auch insoweit nicht Rechnung, als § 32b ZPO an die für die Überprüfung der streitgegenständlichen Kapitalmarktinformation maßgeblichen Unternehmensdaten anknüpft (s.o.). Die maßgeblichen Unternehmensdaten liegen bei typisierter Betrachtung aber regelmäßig bei dem Emittenten der betroffenen Wertpapiere (und nicht bzw. nicht vollständig bei dessen Mutterunternehmen) vor. Dass darüber hinaus auch Fragen zur Konzern-Compliance in Rede stehen können, die im Grundsatz den Vorstand des Mutterunternehmens betreffen mögen, ändert nichts daran, dass sich die maßgeblichen Unternehmensdaten in Bezug auf die falsche, irreführende oder unterlassene Kapitalmarktinformation bei typisierter Betrachtung bei dem Emittenten des betroffenen Wertpapiers befinden. Es ist vor diesem Hintergrund nicht ersichtlich, weshalb § 32b ZPO stets auch einen Gerichtsstand am Sitz des Mutterunternehmens begründen sollte, obgleich hierdurch gerade keine Verfahrenskonzentration erreicht wird.

Auch die weiteren Auslegungsgesichtspunkte sprechen nicht für eine konzerndimensionale Interpretation des Tatbestandsmerkmals der „Betroffenheit“. Der Wortlaut der Vorschrift ist insoweit unergiebig. Die Systematik könnte für einen Gleichlauf des Merkmals der „Betroffenheit“ i.S.d. § 32b ZPO mit dem Merkmal der Betroffenheit in § 15 WpHG a.F. sprechen (so das LG Stuttgart, a.a.O., Rn. 250: „Die Frage der Betroffenheit ist im Lichte der Betroffenheit im Sinne von § 15 Abs. 1 WpHG a.F. zu deuten.“). Bei einem solchen Verständnis käme es für die Auslegung des § 32b ZPO auf die konzerndimensionale Bewertung des § 15 WpHG a.F. an (hierzu LG Stuttgart, a.a.O., Rn. 250 ff.). Bei der systematischen Auslegung ist aber zu berücksichtigen, dass der Fall einer unterlassenen oder unrichtigen Ad-hoc-Mitteilung nur einen kleinen Teil des Anwendungsbereichs des § 32b ZPO betrifft. § 1 Abs. 2 KapMuG enthält sechs Regelbeispiele für öffentliche Kapitalmarktinformationen, die in den Anwendungsbereich von § 32b ZPO fallen. „Mitteilungen über Insiderinformationen im Sinne des § 15 des Wertpapierhandelsgesetzes“ (§ 1 Abs. 2 Nr. 3 KapMuG a.F.) stellen somit nur einen von vielen Anwendungsfällen dar. § 15 WpHG a.F. bildet vor diesem Hintergrund keinen geeigneten Auslegungsmaßstab für sämtliche von § 32b ZPO erfassten Fälle. Das für alle Anwendungsfälle gleichermaßen formulierte Tatbestandsmerkmal der Betroffenheit kann auch nicht je nach Gegenstand bzw. Form der Kapitalmarktinformation unterschiedlich (nämlich im Anwendungsbereich von § 15 WpHG a.F. konzerndimensional und in anderen Anwendungsfällen nicht konzerndimensional) auszulegen sein.

Die von den Beigeladenen Reisert vertretene Variante der konzerndimensionalen Interpretation des § 32b ZPO, wonach für sämtliche Ausgangsklagen die alleinige ausschließliche Zuständigkeit des Landgerichts Stuttgart begründet wäre, widerspricht ebenfalls dem Sinn und Zweck des § 32b Abs. 1 ZPO. Zwar würde diese Auslegung eine vollständige Konzentration der Ausgangsverfahren bei Sachverhalten mit Konzernbezug gewährleisten. Sie trägt aber der gesetzgeberischen Zielsetzung, die örtliche Zuständigkeit an die für die Überprüfung der streitgegenständlichen Kapitalmarktinformation maßgeblichen Unternehmensdaten anzuknüpfen (s.o.), überhaupt nicht mehr Rechnung. Es wäre dann für sämtliche Verfahren wegen geltend gemachter Publizitätspflichtverletzungen der Unternehmenstochter eine ausschließliche örtliche Zuständigkeit am Sitz des Mutterunternehmens begründet, obwohl dies in der Regel nicht der Ort der Sachnähe sein wird (s.o.).

(3)

Die von den Beigeladenen Reisert vertretene Rechtsauffassung, der Sinn und Zweck des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes verbiete es, eine einheitliche Klage gegen mehrere Emittenten aufgrund mehrerer Finanzinstrumente, die von diesen unterschiedlichen Emittenten jeweils emittiert worden seien, aufzutrennen, überzeugt nicht. Wie bereits ausgeführt (s.o. unter 3. b) cc) (1)), bleibt die Konzentrationswirkung des § 32b Abs. 1 ZPO in seinem unmittelbaren Anwendungsbereich in verschiedenen Konstellationen hinter der Bündelungswirkung des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes zurück. Aus den vom Gesetzgeber mit der Einführung des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes verfolgten Zwecken kann somit nicht ohne weiteres auf das Erfordernis einer maximalen Konzentration geschlossen werden (s.o.).

Hierauf kommt es im Ergebnis aber letztlich auch nicht an. Auch das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz führt eine Bündelung gleichgerichteter Verfahren nur im Rahmen eines Lebenssachverhalts i.S.d. § 4 Abs. 1 KapMuG herbei. Nur innerhalb eines Lebenssachverhalts in diesem Sinne können somit die vom Gesetzgeber verfolgten Ziele, unter anderem die Senkung des Kostenrisikos für den Einzelnen, überhaupt relevant für die Auslegung des § 32b Abs. 1 ZPO sein. Etwaige Publizitätspflichtverletzungen der Musterbeklagten zu 1) einerseits und der Musterbeklagten zu 2) andererseits betreffen aber nicht vollständig den gleichen zugrunde liegenden Lebenssachverhalt. Zwar liegt beiden behaupteten Publizitätspflichtverletzungen der gleiche (im vorliegenden Musterverfahren zu klärende) Kernlebenssachverhalt, nämlich das Geschehen bei der Musterbeklagten zu 1) im Zusammenhang mit der sogenannten „Dieselthematik", zugrunde. Hieraus folgt aber nicht, dass sämtliche weiteren rechtlichen und tatsächlichen Fragestellungen im Zusammenhang mit einer Haftung der Musterbeklagten zu 2), die ihren Ursprung in diesem Kerngeschehen haben, den gleichen Lebenssachverhalt betreffen. Diese Fragestellungen betreffen nämlich gerade nicht das Geschehen bei der Musterbeklagten zu 1). Die für eine (etwaige) Haftung der Musterbeklagten zu 2) maßgeblichen Umstände gehen vielmehr in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht deutlich hierüber hinaus, namentlich im Zusammenhang mit dem Tatbestandsmerkmal der eigenen unmittelbaren Betroffenheit und insbesondere im Hinblick auf eine etwaige Wissenszurechnung von sog. Doppelmandatsträgern unter Berücksichtigung etwaiger Verschwiegenheitspflichten der betroffenen Personen (so bereits Senat, Beschluss vom 23. Oktober 2018 – 3 Kap 1/16 –, veröffentlicht im Klageregister).

Der Sinn und Zweck des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes gebietet vor diesem Hintergrund keine Konzentration mehrerer Ausgangsklagen gegen unterschiedliche Emittenten bei einem ausschließlich zuständigen Gericht.

(4)

Es besteht auch kein Gerichtsstandswahlrecht der Kläger in den Anlegerklagen im Zusammenhang mit der Dieselthematik gemäß § 35 ZPO.Die geltend gemachten Ansprüche aufgrund von behaupteten Publizitätspflichtverletzungen der Musterbeklagten zu 1) einerseits und der Musterbeklagten zu 2) andererseits stellen unterschiedliche Streitgegenstände dar. Voraussetzung für ein Gerichtsstandswahlrecht des Klägers ist jedoch, dass für denselben Streitgegenstand gegen denselben Beklagten zwei ausschließliche Gerichtsstände eröffnet sind (OLG Braunschweig, Beschluss vom 30. Oktober 2017 – 1 W 31/17 –, Rn. 62, juris; Roth, in: Stein/Jonas, 23. Aufl., § 35 Rn. 1). Der Anwendungsbereich des § 35 ZPO ist deshalb in der vorliegenden Konstellation nicht eröffnet.

c)

Auf der Grundlage der vorstehend dargelegten Auffassung des Senats sind die Feststellungsziele zur örtlichen Zuständigkeit im Einzelnen wie folgt zu beantworten:

aa) Anträge der Beigeladenen Reisert

I. Zur alleinigen ausschließlichen Zuständigkeit des LG Stuttgart nach § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO in den Anlegerklagen wegen der Dieselthematik

1. Es wird festgestellt, dass die beiden Musterbeklagten in sämtlichen gegen sie eingeleiteten Anlegerklagen im Zusammenhang mit der Dieselthematik stets „betroffener“ Emittent i.S.d. § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO sind, und zwar unabhängig davon, ob sie allein oder als Streitgenossen zusammen verklagt werden und unabhängig davon, auf welche Finanzinstrumente sich die Klagen beziehen.

2. Es wird festgestellt, dass § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO für alle unter Ziff. 1. genannten Anlegerklagen allein am Sitz des LG Stuttgart einen ausschließlichen Gerichtsstand begründet.

II. Zur alleinigen ausschließlichen Zuständigkeit des LG Braunschweig nach § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO in den Anlegerklagen wegen der Dieselthematik

Es wird festgestellt, dass § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO für alle unter Ziff. 1. genannten Anlegerklagen allein am Sitz des LG Braunschweig einen ausschließlichen Gerichtsstand begründet.

Die mit dem Feststellungsziel zu Ziffer I.1 begehrte Feststellung kann nur mit zwei Einschränkungen getroffen werden.

Die beiden Musterbeklagten sind in den gegen sie gerichteten Anlegerklagen nur in den jeweils gegen sie gerichteten Prozessrechtsverhältnissen „betroffener“ Emittent i.S.d. § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Für die Betroffenheit im Rahmen des § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist darauf abzustellen, welcher Emittent/Anbieter (nach dem haftungsbegründenden Klagevorwurf) den Kapitalmarkt falsch oder irreführend informiert oder die gebotene Information unterlassen hat. Dies ist für jedes Prozessrechtsverhältnis gesondert zu beurteilen und hiernach die jeweilige örtliche Zuständigkeit gemäß § 32b Abs. 1 ZPO zu bestimmen.

Eine weitere Einschränkung ergibt sich daraus, dass sich die „Betroffenheit“ auf die jeweilige vorgeworfene eigene Publizitätspflichtverletzung bezieht. Ist der haftungsbegründende Klagevorwurf auf eine Beihilfe zu einer Publizitätspflichtverletzung eines anderen Emittenten gerichtet, ist letzterer „betroffener Emittent“ i.S.d. § 32b Abs. 1 ZPO. Die begehrte Feststellung kann deshalb nur insoweit getroffen werden, dass beide Musterbeklagte in sämtlichen gegen sie eingeleiteten Anlegerklagen im Zusammenhang mit der Dieselthematik „betroffener Emittent“ i.S.d. § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO sind, wenn diese auf jeweils eigene Publizitätspflichtverletzungen gestützt werden.

Im Übrigen ist der Antrag zu Ziffer I.1 zurückzuweisen.

Die Anträge zu Ziffern I.2 und II sind zurückzuweisen. Es besteht weder bei dem Landgericht Braunschweig noch bei dem Landgericht Stuttgart ein alleiniger ausschließlicher Gerichtsstand für alle Anlegerklagen im Zusammenhang mit der Dieselthematik.

bb) Anträge der Musterbeklagten zu 1)

1. Zur Zuständigkeit des LG Braunschweig nach § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO

a) Es wird festgestellt, dass die Musterbeklagte zu 1) in sämtlichen gegen sie eingeleiteten Anlegerklagen im Zusammenhang mit der Dieselthematik stets „betroffener“ Emittent i.S.d. § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist, und zwar unabhängig davon, ob sie allein oder mit der Musterbeklagten zu 2) als Streitgenossin zusammen verklagt wird und auf welche Finanzinstrumente die jeweiligen Kläger ihre angeblich schadensursächlichen Transaktionen stützen.

b) Es wird festgestellt, dass § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO für alle unter Ziff. 1. lit. a) genannten und gegen die Musterbeklagte gerichteten Anlegerklagen am Sitz des „betroffenen“ oder – im Fall der passiven Streitgenossenschaft – des „primär betroffenen“ Emittenten einen ausschließlichen Gerichtsstand begründet.

c) Hilfsweise für den Fall, dass die unter Ziff. 1. lit. a und b begehrten Feststellungen unzulässig oder unbegründet sein sollten, wird festgestellt, dass die Kläger in den Anlegerklagen im Zusammenhang mit der Dieselthematik, in denen die Musterbeklagten gemeinsam als Streitgenossinnen verklagt sind, ein ihnen nach eigener Auffassung zustehendes Gerichtsstandswahlrecht zugunsten des Gerichtsstands Braunschweig mit Klagerhebung in Braunschweig wirksam ausgeübt haben und eine Abtrennung und Verweisung der gegen die PSE gerichteten Prozessrechtsverhältnisse daher ausgeschlossen ist.

d) Hilfsweise für den Fall, dass die unter Ziff. 1 lit. a, b und c begehrten Feststellungen unzulässig oder unbegründet sein sollten, wird festgestellt, dass in den Anlegerklagen im Zusammenhang mit der Dieselthematik, in denen die Musterbeklagten gemeinsam als Streitgenossinnen verklagt sind, jeder betroffene Emittent an seinem Heimatgerichtsstand i.S.d. §§ 12, 17 ZPO zu verklagen ist, unabhängig davon, auf welche Finanzinstrumente die Kläger ihre angeblich schadensursächlichen Transaktionen stützen.

Die Feststellung zu Ziffer 1 lit. a kann mit den zu dem Antrag der Beigeladenen Reisert zu Ziffer I.1 erörterten Einschränkungen getroffen werden. Im Übrigen ist der Antrag zurückzuweisen. Es kann insoweit auf die Ausführungen oben unter 3. c) aa) Bezug genommen werden.

Die Feststellung zu Ziffer 1 lit. b kann nur insoweit getroffen werden, als sie darauf gerichtet ist, dass § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO für alle unter Ziffer 1 lit. a genannten und gegen die Musterbeklagte zu 1) gerichteten Anlegerklagen am Sitz des „betroffenen“ Emittenten einen ausschließlichen Gerichtsstand begründet. Einen „primär betroffenen“ Emittenten, den der zweite Teil des Feststellungsziels voraussetzt, kennt § 32b Abs. 1 ZPO nicht. Insoweit ist der Antrag zurückzuweisen.

Der Antrag zu Ziffer 1 lit. c ist zurückzuweisen. Es gibt kein Gerichtsstandswahlrecht der Kläger in den Anlegerklagen im Zusammenhang mit der Dieselthematik.

Die Feststellung zu Ziffer 1 lit. d ist wiederum mit der Einschränkung zu treffen, dass in den Anlegerklagen im Zusammenhang mit der Dieselthematik, in denen die Musterbeklagte zu 1) und die Musterbeklagte zu 2) gemeinsam als Streitgenossinnen verklagt sind, jeder betroffene Emittent an seinem Heimatgerichtsstand i.S.d. §§ 12, 17 ZPO zu verklagen ist, soweit sie aufgrund jeweils eigener behaupteter Publizitätsplichtverletzungen verklagt sind. Im Übrigen ist der Antrag zurückzuweisen. Insoweit kann wiederum auf die Ausführungen oben unter 3. c) aa) Bezug genommen werden.

cc) Anträge der Musterbeklagte zu 2)

1. Es wird festgestellt, dass die Musterbeklagte zu 2) in sämtlichen gegen sie erhobenen Anlegerklagen im Zusammenhang mit der Dieselthematik stets „betroffener“ Emittent im Sinne von § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist, wenn der behauptete Schaden aus Transaktionen in Finanzinstrumenten der Musterbeklagten zu 2) resultiert, und zwar unabhängig davon, ob sie allein oder mit der Musterbeklagten zu 1) als Streitgenossin zusammen verklagt wird.

2. Es wird festgestellt, dass § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO für alle gegen die Musterbeklagte zu 2) unter Ziffer 1 genannten Anlegerklagen allein am Sitz des Landgerichts Stuttgart einen ausschließlichen Gerichtsstand begründet, und zwar unabhängig davon, ob sie allein oder mit der Musterbeklagten zu 1) als Streitgenossin zusammen verklagt wird.

Die Feststellung zu Ziffer 1 kann mit den zu dem Antrag der Beigeladenen Reisert zu Ziffer I.1 erörterten Einschränkungen getroffen werden. Im Übrigen ist der Antrag zurückzuweisen. Es kann insoweit auf die Ausführungen oben unter 3. c) aa) Bezug genommen werden. Aufgrund der Bezugnahme auf dieses Feststellungsziel in dem Feststellungsziel zu Ziffer 2 führt dies zugleich zu einer Teilzurückweisung des Feststellungsziels zu Ziffer 2. Im Übrigen ist die mit dem Antrag zu Ziffer 2 begehrte Feststellung zu treffen.

III.

Eine Kostenentscheidung ist nicht zu treffen, § 16 Abs. 2 KapMuG.

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