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Wirtschaftsrecht
11.04.2019
Wirtschaftsrecht
EuGH: Auslegung einer Vertragsklausel über die gerichtliche Zuständigkeit in Verbraucherverträgen – Missbräuchlichkeitskontrolle von Amts wegen

EuGH, Urteil vom 3.4.2019 – C-266/18, Aqua Med sp. z o.o. gegen Irena Skóra

ECLI:EU:C:2019:282

Volltext: BB-Online BBL2019-897-2

Tenor

1. Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen ist dahin auszulegen, dass eine Vertragsklausel wie die im Ausgangsverfahren streitige, die hinsichtlich der Bestimmung der gerichtlichen Zuständigkeit für Streitigkeiten zwischen den Vertragsparteien allgemein auf das einschlägige nationale Recht verweist, nicht vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausgenommen ist.

2. Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 ist dahin auszulegen, dass er Verfahrensvorschriften nicht entgegensteht, auf die eine Vertragsklausel verweist und die dem Gewerbetreibenden für eine Klage wegen geltend gemachter Nichterfüllung eines Vertrags durch den Verbraucher die Wahl zwischen dem zuständigen Gericht des Wohnorts des Beklagten und dem des Erfüllungsorts des Vertrags ermöglicht, sofern die Wahl des Erfüllungsorts des Vertrags für den Verbraucher keine Verfahrensbedingungen zur Folge hat, die geeignet sind, das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf, das ihm die Unionsrechtsordnung verleiht, übermäßig einzuschränken, was zu prüfen Sache des nationalen Gerichts ist.

Aus den Gründen

1          Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. 1993, L 95, S. 29) und das Urteil vom 4. Juni 2009, Pannon GSM (C243/08, EU:C:2009:350).

2          Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Aqua Med sp. z o.o. und Frau Irena Skóra über die örtliche Zuständigkeit der nationalen Gerichte für die Klage eines Gewerbetreibenden gegen einen Verbraucher auf Kaufpreiszahlung.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Die Richtlinie 93/13

3          In den Erwägungsgründen 13 und 24 der Richtlinie 93/13 heißt es:

„Bei Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten, in denen direkt oder indirekt die Klauseln für Verbraucherverträge festgelegt werden, wird davon ausgegangen, dass sie keine missbräuchlichen Klauseln enthalten. Daher sind Klauseln, die auf bindenden Rechtsvorschriften oder auf Grundsätzen oder Bestimmungen internationaler Übereinkommen beruhen, bei denen die Mitgliedstaaten oder die Gemeinschaft Vertragsparteien sind, nicht dieser Richtlinie zu unterwerfen; der Begriff ‚bindende Rechtsvorschriften‘ in Artikel 1 Absatz 2 umfasst auch Regeln, die nach dem Gesetz zwischen den Vertragsparteien gelten, wenn nichts anderes vereinbart wurde.

...

Die Gerichte oder Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten müssen über angemessene und wirksame Mittel verfügen, damit der Verwendung missbräuchlicher Klauseln in Verbraucherverträgen ein Ende gesetzt wird“.

4          Art. 1 der Richtlinie 93/13 bestimmt:

„(1)      Zweck dieser Richtlinie ist die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über missbräuchliche Klauseln in Verträgen zwischen Gewerbetreibenden und Verbrauchern.

(2)      Vertragsklauseln, die auf bindenden Rechtsvorschriften … beruhen, … unterliegen nicht den Bestimmungen dieser Richtlinie.“

5          Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 lautet:

„Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass missbräuchliche Klauseln in Verträgen, die ein Gewerbetreibender mit einem Verbraucher geschlossen hat, für den Verbraucher unverbindlich sind, und legen die Bedingungen hierfür in ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften fest; sie sehen ferner vor, dass der Vertrag für beide Parteien auf derselben Grundlage bindend bleibt, wenn er ohne die missbräuchlichen Klauseln bestehen kann.“

6          In Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 heißt es:

„Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass im Interesse der Verbraucher und der gewerbetreibenden Wettbewerber angemessene und wirksame Mittel vorhanden sind, damit der Verwendung missbräuchlicher Klauseln durch einen Gewerbetreibenden in den Verträgen, die er mit Verbrauchern schließt, ein Ende gesetzt wird.“

Die Verordnung (EU) Nr. 1215/2012

7          Art. 18 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2012, L 351, S. 1) sieht vor:

„Die Klage des anderen Vertragspartners gegen den Verbraucher kann nur vor den Gerichten des Mitgliedstaats erhoben werden, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz hat.“

Polnisches Recht

8          Art. 27 des Kodeks postępowania cywilnego (Zivilprozessordnung), der in Abschnitt 1 („Allgemeiner Gerichtsstand“) des entsprechenden Kapitels 2 der Zivilprozessordnung enthalten ist, bestimmt:

„§ 1      Die Klage wird vor dem erstinstanzlichen Gericht erhoben, in dessen Bezirk der Beklagte seinen Wohnsitz hat.

§ 2       Der Wohnsitz bestimmt sich nach den Vorschriften des Kodeks cywilny [Zivilgesetzbuch].“

9          Art. 31 der Zivilprozessordnung, der in Abschnitt 2 („Alternativer Gerichtsstand“) ihres Kapitels 2 enthalten ist, sieht vor:

„Eine Klage in Angelegenheiten, die den Vorschriften dieses Teils unterliegen, kann entweder nach den Vorschriften über den allgemeinen Gerichtsstand oder vor einem gemäß den nachstehenden Vorschriften bestimmten Gericht erhoben werden.“

10        Im selben Abschnitt 2 der Zivilprozessordnung heißt es in deren Art. 34:

„Eine Klage auf Abschluss eines Vertrags, Feststellung seines Inhalts, seine Änderung, Feststellung seines Bestehens, seine Erfüllung, Auflösung oder Nichtigerklärung sowie auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung oder Schlechterfüllung des Vertrags kann vor dem für den Ort der Vertragserfüllung zuständigen Gericht erhoben werden. In Zweifelsfällen ist der Ort der Vertragserfüllung durch Urkunden nachzuweisen.“

11        Nach Art. 200 der Zivilprozessordnung verweist das Gericht, das sich für unzuständig erklärt, den Rechtsstreit an das zuständige Gericht.

12        In Art. 202 der Zivilprozessordnung heißt es:

„Eine Unzuständigkeit des Gerichts, die durch eine Vereinbarung der Parteien geheilt werden kann, wird vom Gericht nur dann berücksichtigt, wenn sie der Beklagte, bevor er sich auf den Rechtsstreit in der Sache einlässt, gerügt und seine Rüge hinreichend begründet hat. Das Gericht prüft eine solche Unzuständigkeit auch vor der Zustellung der Klage nicht von Amts wegen. Soweit nicht durch eine besondere Vorschrift etwas anderes bestimmt wird, berücksichtigt das Gericht in jedem Stadium des Verfahrens von Amts wegen neben Umständen, die eine Zurückweisung der Klage begründen, auch eine falsche Verfahrensart, das Fehlen einer ordnungsgemäßen Vollmacht des Bevollmächtigten, die fehlende Prozessfähigkeit des Beklagten, die Unvollständigkeit seiner Organe und die Untätigkeit seines gesetzlichen Vertreters.“

13        Die Richtlinie 93/13 ist im Zivilgesetzbuch in polnisches Recht umgesetzt worden. Nach Art. 3853 Nr. 23 des Zivilgesetzbuchs werden als missbräuchlich u. a. Klauseln angesehen, die die Zuständigkeit der polnischen Gerichte ausschließen, die Zuständigkeit einem polnischen oder ausländischen Schiedsgericht oder einem anderen Organ zuweisen, sowie Klauseln, die die Behandlung der Sache einem Gericht zuweisen, das nach dem polnischen Gesetz nicht örtlich zuständig ist.

14        Art. 454 des Zivilgesetzbuchs lautet:

„§ 1 Ist ein Erfüllungsort für die Leistung weder bestimmt noch der Natur des Schuldverhältnisses zu entnehmen, so hat die Leistung an dem Ort zu erfolgen, an dem der Schuldner zur Zeit der Entstehung des Schuldverhältnisses seinen Wohnsitz bzw. Sitz hatte. Eine Geldleistung ist jedoch am Wohnsitz bzw. Sitz des Gläubigers zum Zeitpunkt der Leistung zu bewirken; hat der Gläubiger seinen Wohnsitz bzw. Sitz nach der Entstehung des Schuldverhältnisses geändert, so trägt er die dadurch entstandenen Mehrkosten der Übermittlung.

§ 2 Steht das Schuldverhältnis im Zusammenhang mit dem Unternehmen des Schuldners oder des Gläubigers, so ist für den Erfüllungsort der Sitz des Unternehmens maßgebend.“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

15        Aqua Med ist eine Gewerbetreibende mit Sitz in Opalenica (Polen). Sie schloss am 29. Oktober 2016 außerhalb ihrer Geschäftsräume mit Frau Skóra, einer in Legnica (Polen) wohnhaften Verbraucherin, einen Kaufvertrag über eine Matratze, einen Matratzenbezug und ein Kopfkissen zu einem Preis von 1 992 polnischen Zloty (PLN) (ungefähr 465 Euro).

16        In der Klausel in Kapitel 9 Nr. 4 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die Bestandteil des Kaufvertrags sind, heißt es: „Der Gerichtsstand für Streitigkeiten zwischen den Parteien bestimmt sich nach den einschlägigen Vorschriften.“

17        Nachdem Aqua Med den Kaufpreis nicht innerhalb der vereinbarten Frist erhalten hatte, erhob sie Klage beim Sąd Rejonowy w Nowym Tomyślu (Rayongericht Nowy Tomyśl, Polen), in dessen Bezirk sie ihren Sitz hat. Ihrer Ansicht nach ergibt sich die örtliche Zuständigkeit dieses Gerichts aus Art. 34 der Zivilprozessordnung, wonach eine Klage auf die Erfüllung eines Vertrags vor dem für den Ort seiner Erfüllung zuständigen Gericht erhoben wird. Aqua Med zufolge hätte die Zahlung nach Art. 454 des Zivilgesetzbuchs durch Überweisung auf ihr Bankkonto an ihrem Sitz erfolgen müssen.

18        Mit Beschluss vom 18. Oktober 2017 erklärte sich der Sąd Rejonowy w Nowym Tomyślu (Rayongericht Nowy Tomyśl) von Amts wegen für unzuständig und verwies die Sache an das Rayongericht, in dessen Bezirk die Beklagte ihren Wohnsitz hat. Seiner Ansicht nach musste, da es sich um einen Vertrag zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher handelte, nicht nur das nationale Recht angewandt werden, sondern auch das Verbraucherschutzrecht der Union, u. a. Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13, sowie die Rechtsprechung des Gerichtshofs, insbesondere das Urteil vom 4. Juni 2009, Pannon GSM (C243/08, EU:C:2009:350), aus dem sich ergebe, dass die nationalen Gerichte verpflichtet seien, missbräuchliche Klauseln in Verträgen zwischen Gewerbetreibenden und Verbrauchern, einschließlich der Klauseln über die gerichtliche Zuständigkeit, von Amts wegen zu prüfen.

19        Es war folglich der Auffassung, dass Art. 202 der Zivilprozessordnung, der dem angerufenen Gericht keine Zuständigkeitskontrolle von Amts wegen erlaubt, die Inanspruchnahme des rechtlichen Schutzes, den das Unionsrecht den Verbrauchern gewähre, in der Praxis unmöglich mache oder übermäßig erschwere.

20        Aufgrund dieser Kontrolle von Amts wegen prüfte der Sąd Rejonowy w Nowym Tomyślu (Rayongericht Nowy Tomyśl) seine örtliche Zuständigkeit und bewertete die Vertragsklausel, die die Anwendung einer nationalen Vorschrift ermöglicht, wonach ein Gewerbetreibender eine Klage gegen einen Verbraucher bei dem Gericht erheben kann, in dessen Bezirk der Gewerbetreibende ansässig ist, als missbräuchlich.

21        Infolgedessen wandte der Sąd Rejonowy w Nowym Tomyślu (Rayongericht Nowy Tomyśl) die in Rede stehende Vertragsklausel nicht an und machte von einer gesetzlichen Bestimmung Gebrauch, nämlich von Art. 27 § 1 der Zivilprozessordnung, der den allgemeinen Gerichtsstand in der Weise regelt, dass das Gericht, in dessen Bezirk die Beklagte ihren Wohnsitz hat, örtlich zuständig ist.

22        Aqua Med legte gegen den Beschluss des erstinstanzlichen Gerichts beim Sąd Okręgowy w Poznaniu (Bezirksgericht Posen, Polen) Beschwerde ein und rügte einen Verstoß gegen die nationale Regelung sowie eine falsche Anwendung von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13.

23        Dieses Gericht hat Zweifel, was die Anwendung der Richtlinie 93/13 betrifft, weil die in Rede stehende Vertragsklausel auf nationale Vorschriften verweise, die unabhängig von ihr anwendbar seien. Wenn das angerufene Gericht seine Zuständigkeit von Amts wegen prüfe, laufe dies im vorliegenden Fall auf eine kritische Bewertung der nationalen Regelung hinaus, was die Bestimmung dieser Zuständigkeit in Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit Verbraucherverträgen angehe. Insoweit fragt sich das vorlegende Gericht, ob das Unionsrecht den nationalen Gerichten eine solche Befugnis verleiht und ob sich diese aus den Bestimmungen der Richtlinie 93/13 ergibt. Falls diese Frage zu bejahen sein sollte, müsste das vorlegende Gericht das nationale Gesetz, das als mit den unionsrechtlichen Bestimmungen unvereinbar anzusehen sei, gemäß der aus dem Urteil vom 9. März 1978, Simmenthal (106/77, EU:C:1978:49), hervorgegangenen Rechtsprechung unangewandt lassen und die für den Verbraucher günstigste Vorschrift anwenden, im vorliegenden Fall die allgemeine Vorschrift, wonach das Gericht zuständig sei, in dessen Bezirk der Beklagte seinen Wohnsitz habe.

24        Zur Stützung dieser Erwägungen verweist das vorlegende Gericht auf Art. 18 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012, wonach für Klagen der anderen Vertragspartei gegen den Verbraucher nur die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig sind, in dem sich der Wohnsitz des Verbrauchers befindet.

25        Schließlich ist das vorlegende Gericht der Auffassung, dass ein Verbraucher durch die Einbeziehung einer Gerichtsstandsklausel wie der in Rede stehenden in einen Vertrag zwischen ihm und einem Gewerbetreibenden getäuscht werden könnte, da sie ihn zu Unrecht zu der Annahme verleiten könne, dass die betreffende Klausel für ihn vorteilhaft sei.

26        Unter diesen Umständen hat der Sąd Okręgowy w Poznaniu (Bezirksgericht Posen) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Muss eine Prüfung einer Gerichtsstandsvereinbarung in einem Verbrauchervertrag, die ein nationales Gericht von Amts wegen vornimmt und die sich auf Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 und die Rechtsprechung des Gerichtshofs (Urteil vom 4. Juni 2009, Pannon GSM, C243/08, EU:C:2009:350) stützt, auch solche vertraglichen Bestimmungen erfassen, die zwar die Frage des Gerichtsstands für Rechtsstreitigkeiten zwischen den Parteien regeln, dies jedoch durch eine bloße Verweisung auf das innerstaatliche Recht tun?

2.      Falls die erste Frage bejaht wird: Muss die vom Gericht vorgenommene Prüfung dazu führen, dass die Zuständigkeitsregelungen so angewandt werden, dass dem Verbraucher der ihm nach der Richtlinie 93/13 zustehende Schutz gewährt wird, die Sache also von dem Gericht entschieden werden kann, das dem Wohnort bzw. dem Ort des gewöhnlichen Aufenthalts des Verbrauchers am nächsten liegt?

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

27        Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof in den Rn. 22 und 23 des Urteils vom 4. Juni 2009, Pannon GSM (C243/08, EU:C:2009:350), ausgeführt hat, dass das durch die Richtlinie 93/13 eingeführte Schutzsystem auf der Vorstellung beruht, dass der Verbraucher sich gegenüber dem Gewerbetreibenden in einer schwächeren Verhandlungsposition befindet und einen geringeren Informationsstand besitzt, was dazu führt, dass er den vom Gewerbetreibenden vorformulierten Bedingungen zustimmt, ohne auf deren Inhalt Einfluss nehmen zu können. Der Gerichtshof hat außerdem entschieden, dass die Richtlinie 93/13 in Anbetracht dieser Position der Unterlegenheit die Mitgliedstaaten verpflichtet, ein Verfahren vorzusehen, das gewährleistet, dass bei jeder nicht im Einzelnen ausgehandelten Vertragsklausel geprüft werden kann, ob sie möglicherweise missbräuchlich ist (Urteil vom 26. März 2019, Abanca Corporación Bancaria, C70/17, EU:C:2019:250, Rn. 50). In diesem Kontext könnte das mit Art. 6 dieser Richtlinie verfolgte Ziel nicht erreicht werden, wenn die Verbraucher die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel selbst geltend machen müssten, und ein wirksamer Schutz des Verbrauchers lässt sich nur gewährleisten, wenn dem nationalen Gericht die Möglichkeit eingeräumt wird, eine solche Klausel von Amts wegen zu prüfen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. Juni 2000, Océano Grupo Editorial und Salvat Editores, C240/98 bis C244/98, EU:C:2000:346, Rn. 26).

28        Eine solche Prüfung von Amts wegen durch das nationale Gericht kann allerdings nur verlangt werden, wenn es um eine Vertragsklausel geht, die in den Anwendungsbereich der Richtlinie 93/13 fällt, wie er in ihrem Art. 1 festgelegt ist. Nach ihrem Art. 1 Abs. 2 unterliegen Vertragsklauseln, die auf bindenden Rechtsvorschriften beruhen, nicht den Bestimmungen dieser Richtlinie.

29        Gemäß dem 13. Erwägungsgrund dieser Richtlinie umfasst der Begriff „bindende Rechtsvorschriften“ in ihrem Art. 1 Abs. 2 auch Regeln, die nach dem Gesetz zwischen den Vertragsparteien gelten, wenn nichts anderes vereinbart wurde.

30        Folglich ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seiner ersten Frage wissen möchte, ob Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen ist, dass eine Vertragsklausel wie die im Ausgangsverfahren streitige, die hinsichtlich der Bestimmung der gerichtlichen Zuständigkeit für Streitigkeiten zwischen den Vertragsparteien auf das einschlägige nationale Recht verweist, vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausgenommen ist.

31        Mit Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 93/13, der Klauseln betrifft, die auf bindenden Rechtsvorschriften beruhen, wird eine Ausnahme vom Anwendungsbereich der Richtlinie geschaffen, die nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs an zwei Voraussetzungen geknüpft ist. Zum einen muss die Vertragsklausel auf einer Rechtsvorschrift beruhen, und zum anderen muss diese Rechtsvorschrift bindend sein (Urteil vom 20. September 2018, OTP Bank und OTP Faktoring, C51/17, EU:C:2018:750, Rn. 52 und die dort angeführte Rechtsprechung).

32        Während für die Prüfung, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, im jeweiligen Einzelfall das nationale Gericht zuständig ist, ist es Sache des Gerichtshofs, die einschlägigen Kriterien herauszuarbeiten, die jenem eine Entscheidung ermöglichen (vgl. entsprechend Urteil vom 22. Februar 2018, Nagyszénás Településszolgáltatási Nonprofit Kft., C182/17, EU:C:2018:91, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).

33        So erstreckt sich die Ausnahme vom Geltungsbereich der Richtlinie 93/13, die in ihrem Art. 1 Abs. 2 vorgesehen ist, nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs auf Bestimmungen des nationalen Rechts, die unabdingbar sind oder von Gesetzes wegen greifen, wenn sie nicht abbedungen wurden. Diese Ausnahme ist dadurch gerechtfertigt, dass die Annahme zulässig ist, dass der nationale Gesetzgeber eine ausgewogene Regelung aller Rechte und Pflichten der Parteien bestimmter Verträge getroffen hat, eine Ausgewogenheit, die der Unionsgesetzgeber ausdrücklich wahren wollte (Urteil vom 7. August 2018, Banco Santander und Escobedo Cortés, C96/16 und C-94/17, EU:C:2018:643, Rn. 43).

34        Im Übrigen hat der Gerichtshof auch entschieden, dass das nationale Gericht zu berücksichtigen hat, dass die in Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 93/13 vorgesehene Ausnahme – insbesondere im Hinblick auf das Ziel der Richtlinie, nämlich den Schutz der Verbraucher vor missbräuchlichen Klauseln in Verträgen zwischen ihnen und Gewerbetreibenden – eng auszulegen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. September 2018, OTP Bank und OTP Faktoring, C51/17, EU:C:2018:750, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).

35        Im vorliegenden Fall geht aus den Feststellungen des vorlegenden Gerichts hervor, dass die im Ausgangsverfahren streitige Vertragsklausel sehr allgemein gefasst ist, so dass sich zum einen die Frage nach ihrem Nutzen stellt; denn sie verweist auf die nationalen Vorschriften, die – wie das vorlegende Gericht ausführt – unabhängig von dieser Klausel gelten. Zum anderen beruht diese Klausel nicht im eigentlichen Sinne auf einer bestimmten nationalen Vorschrift, da die nationalen Vorschriften, auf die sie verweist, ein Regelwerk vorsehen, das die Modalitäten für die Bestimmung der gerichtlichen Zuständigkeit festlegt, wobei der Gewerbetreibende die für ihn günstigste Regel wählen kann.

36        Obwohl die im Ausgangsverfahren streitige Klausel auf die nationalen Rechtsvorschriften verweist, vermag die Annahme, dass der nationale Gesetzgeber eine ausgewogene Regelung aller Rechte und Pflichten der Parteien bestimmter Verträge getroffen hat, eine Ausnahme dieser Klausel vom Anwendungsbereich der Richtlinie 93/13 nicht zu rechtfertigen. Denn in einem solchen Fall müssen die Formulierung der betreffenden Vertragsklausel und ihre Auswirkungen auf die Erwartungen des Verbrauchers beurteilt werden.

37        In Anbetracht der engen Auslegung der Ausnahme, die Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 93/13 vorsieht, ergibt sich aus dem Vorstehenden, dass eine Klausel wie die im Ausgangsverfahren streitige nicht als auf einer nationalen Vorschrift beruhend angesehen werden kann.

38        Nach alledem ist Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen, dass eine Vertragsklausel wie die im Ausgangsverfahren streitige, die hinsichtlich der Bestimmung der gerichtlichen Zuständigkeit für Streitigkeiten zwischen den Vertragsparteien allgemein auf das einschlägige nationale Recht verweist, nicht vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausgenommen ist.

Zur zweiten Frage

39        Zwar bezieht sich die zweite Frage nicht speziell auf die Auslegung eines bestimmten Unionsrechtstexts; nach ständiger Rechtsprechung hat der Gerichtshof aber aus dem gesamten von dem vorlegenden Gericht übermittelten Material, insbesondere aus der Begründung der Vorlageentscheidung, diejenigen Vorschriften des Unionsrechts herauszuarbeiten, die unter Berücksichtigung des Gegenstands des Rechtsstreits einer Auslegung bedürfen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Februar 2015, Surgicare, C662/13, EU:C:2015:89, Rn. 17 und die dort angeführte Rechtsprechung).

40        Da es dem Sąd Okręgowy w Poznaniu (Bezirksgericht Posen) im vorliegenden Fall darum geht, das Niveau des Schutzes der Verbraucher sowie die ihnen zur Verfügung stehenden gerichtlichen Rechtsbehelfe zu bestimmen, ist Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 zu den Rechtsvorschriften der Union zu zählen, um deren Auslegung dieses Gericht den Gerichtshof bittet (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. September 2014, Kušionová, C34/13, EU:C:2014:2189, Rn. 45).

41        Folglich ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seiner zweiten Frage wissen möchte, ob Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen ist, dass er Verfahrensvorschriften entgegensteht, auf die eine Vertragsklausel verweist und die dem Gewerbetreibenden für eine Klage wegen angeblicher Nichterfüllung eines Vertrags durch den Verbraucher die Wahl zwischen dem zuständigen Gericht des Wohnorts des Beklagten und dem des Erfüllungsorts des Vertrags ermöglicht.

42        Nach Art. 7 Abs. 1 in Verbindung mit dem 24. Erwägungsgrund der Richtlinie 93/13 sorgen die Mitgliedstaaten dafür, dass im Interesse der Verbraucher und der gewerbetreibenden Wettbewerber angemessene und wirksame Mittel vorhanden sind, damit der Verwendung missbräuchlicher Klauseln durch einen Gewerbetreibenden in den Verträgen, die er mit Verbrauchern schließt, ein Ende gesetzt wird.

43        In seiner ständigen Rechtsprechung – und wie in Rn. 27 des vorliegenden Urteils erneut ausgeführt – hat der Gerichtshof die Art und die Bedeutung des öffentlichen Interesses hervorgehoben, auf dem der Schutz beruht, der den Verbrauchern gewährt wird, weil sie sich gegenüber den Gewerbetreibenden in einer Position der Unterlegenheit befinden (Urteil vom 13. September 2018, Profi Credit Polska, C176/17, EU:C:2018:711, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

44        Hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit für Streitigkeiten zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher ist festzustellen, dass die Richtlinie 93/13 keine ausdrückliche Vorschrift enthält, die das zuständige Gericht bestimmt.

45        Zwar sieht Art. 18 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012, auf den das vorlegende Gericht in diesem Zusammenhang verweist, vor, dass das für eine gegen einen Verbraucher gerichtete Klage der anderen Vertragspartei international zuständige Gericht das des Mitgliedstaats ist, in dem sich der Wohnsitz des Verbrauchers befindet; diese Vorschrift ist jedoch in einer Rechtsstreitigkeit wie der des Ausgangsverfahrens, die dadurch gekennzeichnet ist, dass es keinen Hinweis auf einen grenzüberschreitenden Sachverhalt gibt, nicht anwendbar (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. Dezember 2013, Asociación de Consumidores Independientes de Castilla y León, C413/12, EU:C:2013:800, Rn. 46 und 47).

46        Unbeschadet dessen muss – wie die Europäische Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen bemerkt – ein wirksamer Schutz der Rechte, die der Verbraucher aus der Richtlinie 93/13 herleitet, gewährleistet werden.

47        Auch wenn der Gerichtshof in mehrfacher Hinsicht und unter Berücksichtigung der Anforderungen von Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 ausgeführt hat, wie das nationale Gericht den Schutz der den Verbrauchern nach der Richtlinie 93/13 zustehenden Rechte sicherstellen muss, ändert dies nichts an der Tatsache, dass die Verfahren zur Prüfung, ob eine Vertragsklausel missbräuchlich ist, grundsätzlich nicht unionsrechtlich harmonisiert und damit Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der Mitgliedstaaten sind, vorausgesetzt allerdings, dass sie nicht ungünstiger sind als diejenigen, die gleichartige Sachverhalte regeln, die dem innerstaatlichen Recht unterliegen (Äquivalenzgrundsatz), und dass sie ein Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf im Sinne von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vorsehen (Urteil vom 13. September 2018, Profi Credit Polska, C176/17, EU:C:2018:711, Rn. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung).

48        Hinsichtlich des Äquivalenzprinzips ist festzustellen, dass der Gerichtshof über keinerlei Anhaltspunkte verfügt, die einen Zweifel an der Vereinbarkeit der im Ausgangsverfahren streitigen Regelung mit diesem Prinzip hervorrufen könnten.

49        Was das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass es sowohl für die Bestimmung der Gerichte, die für die Entscheidung über auf das Unionsrecht gestützte Klagen zuständig sind, als auch für die Verfahrensmodalitäten für solche Klagen gelten muss (Urteil vom 13. September 2018, Profi Credit Polska, C176/17, EU:C:2018:711, Rn. 59 und die dort angeführte Rechtsprechung).

50        In diesem Zusammenhang muss das nationale Gericht prüfen, ob die nationale Verfahrensvorschrift das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf gewährleistet, und bei dieser Prüfung die Stellung dieser Vorschrift im gesamten Verfahren vor den verschiedenen nationalen Stellen sowie den Ablauf und die Besonderheiten dieses Verfahrens berücksichtigen.

51        In einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens muss also geprüft werden, inwieweit die nationalen Rechtsvorschriften über die gerichtliche Zuständigkeit das Recht der Verbraucher auf einen wirksamen Rechtsbehelf oder die Ausübung der diesen durch die Richtlinie 93/13 verliehenen Rechte übermäßig einschränken bzw. erschweren.

52        Grundsätzlich ist eine nationale Vorschrift, die als eine Alternative die Zuständigkeit des Gerichts des Erfüllungsorts eines Verbrauchervertrags vorsieht, für sich genommen nicht geeignet, zu einer übermäßigen Einschränkung des Rechts des Verbrauchers auf einen wirksamen Rechtsbehelf zu führen. Denn eine solche Zuständigkeit schließt für den Verbraucher nicht die Möglichkeit aus, sich an dem gegen ihn eingeleiteten Verfahren zu beteiligen und die Rechte geltend zu machen, die er aus der Richtlinie 93/13 herleitet. Zudem ist jedes Gericht verpflichtet, von Amts wegen die Missbräuchlichkeit der Klauseln eines Vertrags zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher zu prüfen und die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um den Schutz des Verbrauchers vor missbräuchlichen Klauseln zu gewährleisten.

53        Allerdings müssen die wirksamen und geeigneten Mittel, um dem Verbraucher ein Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf zu gewährleisten, die Möglichkeit einschließen, sich unter angemessenen verfahrensrechtlichen Voraussetzungen an dem Verfahren über eine gegen ihn erhobene Klage zu beteiligen, so dass die Ausübung seiner Rechte keinen Bedingungen – insbesondere hinsichtlich der Fristen, der Kosten oder der Entfernung – unterliegen darf, die die Ausübung der durch die Richtlinie 93/13 gewährleisteten Rechte einschränken (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. September 2018, Profi Credit Polska, C176/17, EU:C:2018:711, Rn. 63 und die dort angeführte Rechtsprechung).

54        Denn Verfahrensmodalitäten, die zu hohe Kosten für den Verbraucher nach sich ziehen, könnten zur Folge haben, dass dieser davon abgehalten wird, seine Rechte sachgerecht vor dem von dem Gewerbetreibenden angerufenen Gericht zu verteidigen. Das könnte der Fall sein, wenn die Anrufung eines vom Wohnort des Verbrauchers sehr weit entfernten Gerichts für diesen zu hohe Reisekosten nach sich zieht, die geeignet sind, ihn davon abzuhalten, sich auf das gegen ihn eingeleitete Verfahren einzulassen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Februar 2015, Baczó und Vizsnyiczai, C567/13, EU:C:2015:88, Rn. 49 bis 59).

55        Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob dies im Ausgangsverfahren der Fall ist.

56        Folglich ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen ist, dass er Verfahrensvorschriften nicht entgegensteht, auf die eine Vertragsklausel verweist und die dem Gewerbetreibenden für eine Klage wegen geltend gemachter Nichterfüllung eines Vertrags durch den Verbraucher die Wahl zwischen dem zuständigen Gericht des Wohnorts des Beklagten und dem des Erfüllungsorts des Vertrags ermöglicht, sofern die Wahl des Erfüllungsorts des Vertrags für den Verbraucher keine Verfahrensbedingungen zur Folge hat, die geeignet sind, das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf, das ihm die Unionsrechtsordnung verleiht, übermäßig einzuschränken, was zu prüfen Sache des nationalen Gerichts ist.

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