BGH: Auslegung einer Bestimmung über Mehrheitserfordernisse im Gesellschaftsvertrag einer Publikumsgesellschaft
BGH, Urteil vom 19.7.2011 - II ZR 153/09
Leitsatz
Ist im Gesellschaftsvertrag einer Publikumsgesellschaft geregelt, dass über bestimmte Beschlussgegenstände nicht die Mehrheit der abgegebenen, sondern die Mehrheit der anwesenden Stimmen entscheidet, und ergibt die Auslegung des Gesellschaftsvertrags, dass die Mehrheit der anwesenden Stimmen als Mehrheit aller teilnehmenden und nicht als Mehrheit der mit Ja oder Nein stimmenden Gesellschafter zu verstehen ist, sind bei schriftlicher Beschlussfassung mit den „anwesenden" Gesellschaftern im Regelfall nicht alle, sondern nur die Gesellschafter gemeint, die sich an der schriftlichen Abstimmung beteiligen.
Sachverhalt
Die Kläger zu 1 und 2 sind unmittelbare Kommanditisten der Beklagten, einem geschlossenen Immobilienfonds in der Rechtsform einer Kommanditgesellschaft mit ursprünglich vielen Hundert unmittelbaren und mittelbaren Kommanditisten. Die Nebenintervenientin ist als geschäftsführende Kommanditistin ebenso wie die beiden Komplementäre jeweils allein zur Geschäftsführung und Vertretung der Beklagten berechtigt und verpflichtet.
Der Gesellschaftsvertrag enthält in §§ 16, 17 zur Beschlussfassung unter anderem folgende Regelungen:
§ 16 Gegenstand der Gesellschafterversammlung
1. Die Gesellschafterversammlung ist insbesondere für folgende Beschlussfassungen zuständig:
...
f) Änderungen des Gesellschaftsvertrages
...
2. Soweit Beschlüsse nach lit. a), c), f), g), j), k), und l) gefasst werden, bedarf es einer Mehrheit der anwesenden Stimmen. Sind 75 % der Gesellschaftsanteile auf fünf oder weniger Personen vereinigt, tritt an die Stelle der ¾ Mehrheit die 9/10 Mehrheit. Sind 90 % oder mehr der Gesellschaftsanteile auf fünf oder weniger Personen vereinigt, sind die vorgenannten Beschlüsse einstimmig zu fassen.
§ 17 Beschlussfassung
1. Beschlüsse können in Gesellschafterversammlungen oder im Wege der schriftlichen Abstimmung gefasst werden.
2. ... Ein Beschluß im Wege der schriftlichen Abstimmung kommt nur zustande, wenn mindestens 10 % der Stimmen aller Gesellschafter an der Abstimmung teilnehmen.
3. Beschlüsse der Gesellschafterversammlung bedürfen grundsätzlich der einfachen Mehrheit der abgegebenen Stimmen, sofern nicht in diesem Vertrag oder durch Gesetz etwas anderes bestimmt ist. Stimmenthaltungen gelten als nicht abgegebene Stimmen; bei Stimmengleichheit gilt ein Antrag als abgelehnt.
...
Seit November 2005 unterbreitete die F. GmbH den Kommanditisten das Angebot, ihre Fondsanteile gegen Zahlung von rund 50 % der ursprünglichen Beteiligungssumme zu erwerben. Mit Schreiben vom 25. Mai 2007 schlug die Streithelferin den Gesellschaftern vor, § 16 Abs. 2 des Gesellschaftsvertrags (im Folgenden: GV) in schriftlicher
Abstimmung in der Weise zu ändern, dass Beschlüsse über die in § 16 Abs. 2 Satz 1 GV aufgezählten Gegenstände einer ¾ Mehrheit der abgegebenen Stimmen bedürfen und § 16 Abs. 2 Satz 2 und 3 GV ersatzlos aufgehoben werden. Mit Schreiben vom 5. Juli 2007 teilte die Streithelferin den Gesellschaftern mit, dass die Beschlussanträge mit der erforderlichen Mehrheit angenommen worden seien; an der Abstimmung hätten sich zwischen 71,19 % und 71,43 % der Gesamtheit der Gesellschafter beteiligt, die Beschlüsse seien jeweils mit einer Mehrheit von über 86 % gefasst worden. Die Kläger haben sich mit der mit der Rüge formeller und materieller Beschlussmängel gegen die Wirksamkeit der Beschlüsse gewandt. Das Landgericht hat die Klagen abgewiesen, das Berufungsgericht hat auf die Berufung der Kläger zu 1 und 2 (im Folgenden: Kläger) festgestellt, dass die gefassten Beschlüsse unwirksam sind. Hiergegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Beklagten.
Aus den Gründen
4 Die Revision hat Erfolg und führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
5 Das Berufungsgericht hat ausgeführt:
6 Die Änderungsbeschlüsse seien unwirksam, weil sie nicht mit der nach § 16 Abs. 2 Satz 1 GV erforderlichen Stimmenmehrheit gefasst worden seien. Auch wenn nach dem Wortlaut eine einfache Mehrheit genüge, könne § 16 Abs. 2 Satz 1 GV bei objektiver Auslegung nur so verstanden werden, dass eine ¾- Mehrheit erforderlich sei. Abweichend von § 17 Abs. 3 Satz 1 GV müssten bei den § 16 Abs. 2 Satz 1 GV unterworfenen Beschlussgegenständen sowohl bei Beschlussfassung in der Gesellschafterversammlung als auch bei schriftlicher Beschlussfassung 75 % der anwesenden Gesellschafter mit Ja stimmen. Dies seien bei einer Versammlung 75 % der Erschienenen, bei schriftlicher Abstimmung 75 % aller Gesellschafter, da bei schriftlicher Abstimmung alle Gesellschafter als „anwesend" anzusehen seien.
7 II. Diese Beurteilung hält revisionsrechtlicher Nachprüfung in einem wesentlichen Punkt nicht stand. Die angefochtenen Änderungsbeschlüsse sind entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts mit der in § 16 Abs. 2 Satz 1 GV festgelegten Stimmenmehrheit gefasst worden.
8 1. Die Klage ist zu Recht gegen die Gesellschaft erhoben worden. Die Nichtigkeit von Beschlüssen der Gesellschafterversammlung einer Kommanditgesellschaft wird durch Feststellungsklage gegen die Mitgesellschafter geltend gemacht, wenn nicht der Gesellschaftsvertrag bestimmt, dass der Streit mit der Gesellschaft auszutragen ist (BGH, Urteil vom 1. März 2011 - II ZR 83/09, ZIP 2011, 806 Rn. 19; Urteil vom 27. April 2009 - II ZR 167/07, ZIP 2009, 1158 Rn. 25 mwN). Dies ist hier aber der Fall. Nach § 17 Abs. 7 GV ist eine Klage gegen die Unwirksamkeit eines Gesellschafterbeschlusses gegen die Gesellschaft zu richten.
9 2. Die in § 16 Abs. 2 Satz 1 GV genannten Beschlüsse sind einer schriftlichen Beschlussfassung zugänglich. Nach § 17 Abs. 1 GV können Beschlüsse sowohl in der Gesellschafterversammlung als auch in schriftlicher Abstimmung gefasst werden. Ob dies auch für die in § 16 Abs. 3 GV genannten Gegenstände (Genehmigung und Feststellung des Jahresabschlusses, Verwendung von Jahres- und Liquiditätsüberschüssen) gilt, kann dahinstehen. Jedenfalls kann § 16 GV nicht entnommen werden, dass eine Beschlussfassung in schriftlicher Abstimmung über die Beschlussgegenstände des § 16 Abs. 2 GV ausgeschlossen sein soll, die nicht unter § 16 Abs. 3 GV fallen. Der Begriff „Gesellschafterversammlung" im Sinn von § 16 GV meint - ebenso wie in § 17 Abs. 3 GV - nicht die Versammlung der erschienenen Gesellschafter, sondern die Gesellschafter als Organ der Gesellschaft. Andernfalls wäre § 17 Abs. 1 GV weitgehend bedeutungslos, da § 16 Abs.1 GV auch Beschlüsse über Rechtsgeschäfte umfasst, für die der Gesellschaftsvertrag die Zustimmung der Gesellschafterversammlung vorschreibt.
10 3. Ebenfalls zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die von der Streithelferin vorgeschlagenen Änderungen des Gesellschaftsvertrags nach §16 Abs. 2 Satz 1 GV einer ¾-Mehrheit der anwesenden Stimmen bedürfen. Zwar fordert § 16 Abs. 2 Satz 1 GV nur die Mehrheit der anwesenden Stimmen, so dass nach dem Wortlaut eine einfache Mehrheit genügte. Aus dem Zusammenhang von § 16 Abs. 2 Satz1 GV mit dem nachfolgenden Satz 2 der Bestimmung, der bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen anstelle der ¾-Mehrheit eine 9/10-Mehrheit verlangt, ergibt sich aber, dass Beschlüsse nach § 16 Abs. 2 Satz 1 GV mit ¾-Mehrheit gefasst werden müssen. Mit der ¾-Mehrheit, die bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 16 Abs. 2 Satz 2 GV durch eine 9/10-Mehrheit ersetzt wird, kann nach der Systematik der Vorschrift nur die nach § 16 Abs.2 Satz 1 GV erforderliche Mehrheit gemeint sein. Der Wortlaut des § 16 Abs. 2 Satz 1 GV lässt für diese Auslegung Raum, weil hier - anders als in § 17 Abs. 3 Satz 1 GV - nicht der Begriff der einfachen Mehrheit, sondern nur der Mehrheit verwendet wird. Dass die § 16 Abs. 2 Satz 1 GV unterfallenden Beschlüsse mit einer qualifizierten und nicht mit einfacher Mehrheit gefasst werden, ist auch interessengerecht, weil den in den Anwendungsbereich dieser Regelung fallenden Beschlussgegenständen für die Gesellschaft und ihre Gesellschafter besondere Bedeutung zukommt.
11 4. Rechtsfehlerhaft ist hingegen die Auffassung des Berufungsgerichts, bei schriftlicher Abstimmung über die in § 16 Abs. 2 GV genannten Beschlussgegenstände sei für das Zustandekommen eines Beschlusses nach § 16 Abs. 2 Satz 1 GV eine ¾-Mehrheit aller Gesellschafter erforderlich. § 16 Abs. 2 Satz 1 GV verlangt bei schriftlicher Beschlussfassung lediglich eine ¾-Mehrheit der an der Abstimmung teilnehmenden Gesellschafter, weil bei schriftlicher Beschlussfassung unter „anwesenden" Stimmen im Sinne dieser Vorschrift nicht sämtliche, sondern die an der schriftlichen Abstimmung teilnehmenden Gesellschafter der Beklagten zu verstehen sind. Das kann der Senat selbst feststellen, da der Gesellschaftsvertrag der Beklagten als Publikumsgesellschaft objektiv auszulegen ist (st.Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 19. März 2007 - II ZR 73/06, ZIP 2007, 812 Rn. 18; Urteil vom 11. Januar 2011 - II ZR 187/09, ZIP 2011, 322 Rn. 12 mwN; Urteil vom 1. März 2011 - II ZR 16/10, ZIP 2011, 957 Rn. 8).
12 a) Das Berufungsgericht hat allerdings zutreffend angenommen, dass die Mehrheit der anwesenden Stimmen im Sinn von § 16 Abs. 2 Satz 1 GV bei Beschlussfassung in der Versammlung ebenso wie bei schriftlicher Abstimmung als Mehrheit aller teilnehmenden und nicht als Mehrheit der mit Ja oder Nein abstimmenden Gesellschafter zu verstehen ist. Diese Auslegung ist entgegen der Meinung der Revision nicht deshalb fehlerhaft, weil nach der Rechtsprechung des Senats in einer eher körperschaftlich strukturierten Publikumsgesellschaft mit einer Vielzahl von Mitgliedern nicht nur personengesellschaftsrechtliche, sondern auch kapitalgesellschaftsrechtliche Regeln Anwendung finden können, so auch § 47 Abs. 1 GmbHG. Nach dieser Vorschrift ist die Mehrheit nicht nach der Zahl der stimmberechtigten Gesellschafter, sondern ausschließlich nach der Zahl der abgegebenen gültigen Stimmen unter Außerachtlassung der Enthaltungen zu bestimmen (BGH, Urteil vom 30.März 1998 - II ZR 20/97, ZIP 1998, 859, 861; Urteil vom 21. März 1988 - II ZR 308/87, BGHZ 104, 66, 74 f.). Ebenso wie im unmittelbaren Anwendungsbereich des § 47 Abs. 1 GmbHG (vgl. BGH, Urteil vom 22. März 2004 - II ZR 50/02, ZIP 2004, 804, 805; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl., § 47 Rn. 24) kann auch der Gesellschaftsvertrag einer Personengesellschaft über diese Vorschrift hinausgehende gesteigerte Mehrheitserfordernisse aufstellen. Soll jedoch abweichend von den geltenden kapitalgesellschaftsrechtlichen Grundsätzen nicht die Mehrheit der abgegebenen Stimmen entscheiden, sollen also nicht nur die Ja- und Nein- Stimmen, sondern auch die Enthaltungen mit der Wirkung von Nein-Stimmen zählen, muss dies allerdings aus dem Gesellschaftsvertrag eindeutig hervorgehen, weil derjenige, der sich der Stimme enthält, seine Unentschiedenheit bekunden und gerade nicht mit Nein stimmen will (BGH, Urteil vom 12. Januar 1987 - II ZR 152/86, ZIP 1987, 635, 636 zum Verein).
13 Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Nach dem klaren Wortlaut des § 16 Abs. 2 Satz 1 GV entscheidet über die dort genannten Beschlussgegenstände - anders als im Anwendungsbereich des § 17 Abs. 3 Satz 1 GV, der auf die abgegebenen Stimmen abstellt, zu denen Enthaltungen nicht gehören (§ 17 Abs. 3 Satz 2 GV) - die Mehrheit der anwesenden Stimmen. Zwar kann die Auslegung des Gesellschaftsvertrags trotz eines solchen Wortlauts der Bestimmung zu dem Ergebnis führen, dass die abgegebenen Stimmen maßgeblich sind und Stimmenthaltungen nicht mitzuzählen sind (BGH, Urteil vom 12. Januar 1987 - II ZR 152/86, ZIP 1987, 635, 636; vgl. auch Urteil vom 25. Januar 1982 - II ZR 164/81, BGHZ 83, 35, 36 f. zu § 32 Abs. 1 Satz 3 BGB in der bis zum 30. September 2009 geltenden Fassung). Anders als in der von der Revision herangezogenen Entscheidung des Senats (BGH, Urteil vom 12. Januar 1987 - II ZR 152/86, ZIP 1987, 635 zur Auslegung einer Vereinssatzung) bestehen hier aber keine Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei der Formulierung in § 16 Abs. 2 Satz 1 GV lediglich um eine Ungenauigkeit des Ausdrucks handelt. Vielmehr spricht alles dafür, dass den unterschiedlichen Formulierungen in § 17 Abs. 3 Satz 1 GV und § 16 Abs. 2 Satz 1 GV eine gewollte inhaltliche Unterscheidung zugrunde liegt. Abgesehen davon, dass § 17 Abs. 3 Satz 1 GV darauf hinweist, dass der Gesellschaftsvertrag etwas anderes bestimmen kann und damit eine abweichende Regelung ausdrücklich zulässt, handelt es sich bei den § 16 Abs. 2 Satz 1 GV unterfallenden Beschlussgegenständen für die Gesellschafter um Angelegenheiten von besonderer Bedeutung, für die der Gesellschaftsvertrag in § 16 Abs. 2 Satz 1 ein höheres Mehrheitserfordernis aufstellt als für weniger einschneidende Beschlussgegenstände.
14 b) Entgegen der Meinung des Berufungsgerichts sind jedoch bei schriftlicher Beschlussfassung mit der Mehrheit der anwesenden Stimmen im Sinne von § 16 Abs. 2 Satz 1 GV nicht alle, sondern nur die Gesellschafter gemeint, die sich an der schriftlichen Abstimmung beteiligen. Gegen die vom Berufungsgericht für richtig gehaltene Auslegung spricht schon, dass § 17 Abs. 2 Satz 2 GV für die Beschlussfassung in schriftlicher Abstimmung ausdrücklich eine Teilnahme von mindestens 10 % aller Gesellschafter verlangt. Hätte der Gesellschaftsvertrag auch bei schriftlichen Abstimmungen über die in § 16 Abs. 2 genannten Beschlussgegenstände eine bestimmte Mehrheit aller - und nicht nur der teilnehmenden - Gesellschafter fordern wollen, wäre zu erwarten, dass dieser Wille in § 16 Abs. 2 Satz 1 GV ebenso unmissverständlich Ausdruck gefunden hätte wie in dem folgenden § 17 Abs. 2 Satz 2 GV.
15 Insbesondere steht der vom Berufungsgericht befürworteten Auslegung entgegen, dass für die in § 16 Abs. 2 GV genannten Beschlussgegenstände im schriftlichen Verfahren ein wesentlich höheres Maß an Zustimmung gefordert würde als bei Abstimmung in der Versammlung. Während es bei der Abstimmung über einen unter § 16 Abs. 2 GV fallenden Gegenstand in der Versammlung für eine positive Beschlussfassung schon genügte, dass 3 von 4 erschienenen Gesellschaftern mit Ja stimmten, fehlte es bei schriftlicher Abstimmung selbst dann an der nach § 16 Abs. 2 Satz 1 GV erforderlichen Mehrheit, wenn sich - wie hier - mehr als 70 % aller Gesellschafter an der Abstimmung beteiligen und der Beschluss eine Mehrheit von über 86 % der teilnehmenden Gesellschafter findet.
16 Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts lassen sich die aus seinem Verständnis des § 16 Abs. 2 Satz 1 GV folgenden gesteigerten Anforderungen an eine positive Beschlussfassung bei schriftlicher Abstimmung gegenüber der Beschlussfassung in der Versammlung weder mit den Risiken einer schriftlichen Abstimmung noch mit der Bedeutung der in § 16 Abs. 2 GV genannten Gegenstände rechtfertigen. Vielmehr läge ein nicht hinnehmbarer Wertungswiderspruch vor. Der mit jeder schriftlichen Beschlussfassung verbundenen Besonderheit, dass anders als bei einer Abstimmung in der Versammlung die Gesellschafter hier regelmäßig keine Gelegenheit haben, das Für und Wider zu erörtern und so auf den Willensbildungsprozess in der Gesellschaft Einfluss zu nehmen, trägt der Gesellschaftsvertrag dadurch Rechnung, dass er für die Beschlussfassung in schriftlicher Abstimmung ein Teilnahmequorum von 10 % aller Gesellschafter bestimmt (§ 17 Abs. 2 Satz 2 GV). Dass § 16 Abs. 2 GV Beschlussgegenstände von besonderer Bedeutung betrifft, erklärt nicht, warum über dieses Quorum hinaus für die schriftliche Beschlussfassung eine breitere Zustimmung erforderlich sein sollte als bei Beschlussfassung in der Versammlung. Für einen solchen Willen ergeben sich aus dem Gesellschaftsvertrag keine hinreichenden Anhaltspunkte. Anders als das Berufungsgericht meint, besteht auch bei schriftlicher Abstimmung zwischen der Mehrheit der anwesenden (= teilnehmenden) und der Mehrheit der abgegebenen Stimmen ein Unterschied. Auch derjenige, der an der schriftlichen Abstimmung teilnimmt, kann sich der Stimme enthalten. Dass Gesellschafter, die weder mit Ja noch mit Nein stimmen wollen, möglicherweise schon nicht an der schriftlichen Abstimmung teilnehmen und sich in diesem Fall die Mehrheit der anwesenden Stimmen der Mehrheit der abgegebenen Stimmen annäherte, genügt hierfür nicht.
17 III. Wegen des aufgezeigten Rechtsfehlers unterliegt das angefochtene Urteil der Aufhebung (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Sache noch nicht zur Endentscheidung reif ist, ist sie zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit dieses - gegebenenfalls nach ergänzendem Parteivortrag - die weiter geltend gemachten Beschlussmängel prüfen und die erforderlichen Feststellungen treffen kann (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
18 Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
19 Sollte das Berufungsgericht zu dem Ergebnis kommen, dass die Beschlüsse mit der nach dem Gesellschaftsvertrag erforderlichen Mehrheit gefasst worden und auch im Übrigen formell wirksam sind, wird es auf der zweiten Stufe den Einwand der Kläger zu prüfen haben, die Mehrheit habe sich mit den beanstandeten Beschlüssen treuwidrig über die Rechte der Minderheit hinweggesetzt (vgl. BGH, Urteil vom 15. Januar 2007 - II ZR 245/05, BGHZ 170, 283 Rn. 9 f. - OTTO; Urteil vom 24. November 2008 - II ZR 116/08, BGHZ 179, 13 Rn. 16 f. - Schutzgemeinschaftsvertrag II). Der Gesellschaftsvertrag lässt Änderungen, um die es sich auch bei der Aufhebung von § 16 Abs. 2 Satz 2 und 3 GV handelt, mit ¾-Mehrheit zu und knüpft die Geltung der in § 16 Abs. 2 Satz 2 und 3 GV geregelten erhöhten Quoren an das Vorliegen bestimmter Voraussetzungen. Eine Treuwidrigkeit der beschlossenen Änderungsbeschlüsse kann bei Hinzutreten besonderer Umstände anzunehmen sein. Ob solche Umstände vorliegen, hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt folgerichtig - bisher nicht festgestellt. Das Berufungsgericht erhält durch die Zurückverweisung Gelegenheit, auf der Grundlage des Vortrags der Parteien dazu und zu den übrigen Rügen die erforderlichen Feststellungen zu treffen.