VG Hamburg: Auskunftsanspruch gegen die Rechtsanwaltskammer auf Angabe des Haftpflichtversicherers des Anwalts
VG Hamburg, Beschluss vom 10.9.2010 - 15 K 1352/10
Leitsatz
Der Auskunftsanspruch eines möglicherweise geschädigten Mandanten gegen eine Rechtsanwaltskammer auf Angabe des Haftpflichtversicherers des Rechtsanwalts besteht grundsätzlich nur in den Fällen eines möglichen Direktanspruchs gegen den Versicherer
BRAO § 51 Abs 6 S. 2; VVG § 115 Abs. 1
Sachvherlat
Der Kläger begehrt Prozesskostenhilfe sowie die Beiordnung eines Rechtsanwalts für einen Rechtsstreit, in dem er von der Beklagten Auskunft über den Berufshaftpflichtversicherer sowie die Angabe der Versicherungsnummer des Beigeladenen beansprucht. Der Antrag des Klägers hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen
II. ... Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Prozesskostenhilfe (unten 1.) noch auf Beiordnung eines Anwalts (unten 2.) ...
1. ... Anspruchsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch auf Mitteilung des Berufshaftpflichtversicherers und der Versicherungsnummer des Beigeladenen ist § 51 Abs. 6 S. 2 BRAO. Ein solcher Anspruch besteht hier jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht ...
Bei dem geltend gemachten Auskunftsanspruch nach § 51 Abs. 6 S. 2 BRAO handelt es sich um einen Anspruch auf Erlass eines Verwaltungsaktes (vgl. Anwaltsgerichtshof Stuttgart, Beschluss vom 8.1.2008, AGH 34/07, NJW 2008, 19167 f., Juris Rn. 6), der von zwei Voraussetzungen abhängt: Einerseits muss die begehrte Auskunft zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen dienen, andererseits darf der betroffene Rechtsanwalt kein überwiegendes schutzwürdiges Interesse an der Nichterteilung der Auskunft haben.
Das Gericht zweifelt zwar nicht daran, dass der Kläger die Auskunft fordert, um beim Versicherer des Beigeladenen Schadensersatzansprüche geltend machen zu können. Das schutzwürdige Interesse des Beigeladenen daran, dass der Kläger keine Auskunft über seinen Berufshaftpflichtversicherer erhält, überwiegt aber das Interesse des Klägers an der Auskunft.
Der Beigeladene hat ein schutzwürdiges Interesse daran, dass die Auskunft nicht erteilt wird. Grundsätzlich unterfällt auch das Versicherungsverhältnis dem informationellen Selbstbestimmungsrecht des Versicherten, also dem Schutz der Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG (vgl. BT-Drs. 16/513, Seite 24). Speziell bei der Berufshaftpflicht der Rechtsanwälte gewinnt dieses abstrakte Interesse an der Herrschaft über die eigenen Daten dadurch Gewicht, dass der unmittelbare Kontakt zwischen einem Anspruchsteller und dem Versicherer für den Rechtsanwalt von erheblichem Nachteil sein kann. So ist denkbar, dass der Versicherer einen Rechtsanwalt dann, wenn dieser viele Vorgänge verursacht, die zwar letztendlich nicht zu einer Leistungspflicht führen, aber aufgrund langwieriger Korrespondenz mit angeblich Geschädigten erheblichen Aufwand bereiten, als zu kostenträchtig einstuft und deshalb anstrebt, die Prämien zu erhöhen oder sich bei nächster Gelegenheit ganz von ihm zu trennen. Hinzu kommt, dass der Versicherer in solchen Fällen mit einer Vielzahl von Vorwürfen gegen den versicherten Rechtsanwalt konfrontiert wird, die sein Bild von diesem und auch den Umgang mit ihm prägen werden ...
[Es] bedarf hier keiner Erörterung, in welchem Umfang ein um Auskunft nachsuchender Mandant verpflichtet ist, seinen Schadensersatzanspruch gegenüber der Rechtsanwaltskammer zu konkretisieren und substantiiert zu begründen. Da nicht die Kammer berufen ist, über den Anspruch zu befinden, können insoweit keine hohen Anforderungen gestellt werden (vgl. VG Stuttgart, Urteil vom 17.6.2008, 6 K 399/08, Juris Rn. 22; Dahns, NJW 2007, 1553 [ 1556]). Auf die Substanz des geltend gemachten Schadensersatzanspruches kommt es jedoch nicht an, wenn dieser - wie auch hier - ohnehin nicht direkt gegen den Versicherer geltend gemacht werden kann und der Anspruchssteller auch sonst keinen rechtlichen Vorteil aus einem direkten Kontakt zum Haftpflichtversicherer hat. Dann nämlich hat der Anspruchssteller kein schutzwürdiges Interesse an der Benennung des Haftpflichtversicherers, so dass das oben bereits festgestellte schützenswerte Interesse des Rechtsanwalts stets das subjektiv vorhandene Interesse des Mandanten an der Auskunft überwiegt.
Aus der Entstehungsgeschichte und der Systematik des Auskunftsanspruchs nach § 51 Abs. 6 S. 2 BRAO folgt, dass es gesetzgeberische Absicht war, diesen Anspruch nur dann zu gewähren, wenn die verlangte Auskunft der Rechtsanwaltskammer zur Verfolgung etwaiger Rechte eines Mandanten wirklich erforderlich ist (BT-Drs. 16/513, Seite 24). Nachdem lange umstritten war, ob und in welchen Fällen die Rechtsanwaltskammern verpflichtet waren, einem Geschädigten den Versicherer des betroffenen Anwalts mitzuteilen ( Feuerich/Weyland, BRAO, 6. Auflage 2003, § 51 Rn. 29) , sollte mit § 51 Abs. 6 S. 2 BRAO zum Schutz der geschädigten Mandanten ein solcher Anspruch ausdrücklich normiert werden, damit die Schutzfunktion der Pflichtversicherung nicht leerlaufe (BT-Drucksache 15/5223, Seite 17) ...
Mittlerweile - das Versicherungsvertragsgesetz wurde mit Wirkung ab 2008 novelliert und ein Direktanspruch des Geschädigten wurde normiert - kann ein Auskunftsanspruch gegen die Rechtsanwaltskammer regelmäßig nur dann anerkannt werden, wenn der Geschädigte das Recht hat, seinen Schadensersatzanspruch direkt gegenüber den Versicherer geltend zu machen (vgl. bereits Dahns, NJW 2007, 1553 [ 1556]) und diesen nicht kennt, da sein Rechtsanwalt die Auskunft verweigert hat. Ansonsten ist er gehalten, sich direkt an den Rechtsanwalt zu wenden, dort seinen Schaden geltend zu machen und in jenen Fällen, in denen dieser hierauf gar nicht reagiert oder aber die Schadensersatzforderungen bestreitet, um gerichtliche Hilfe nachzusuchen und den Anwalt zu verklagen (vgl. dazu auch VG Stuttgart, Urteil vom 17.6.2008, 6 K 399/08, Juris Rn. 24) . Zwar ist die Berufshaftpflichtversicherung der Rechtsanwälte eine Pflichtversicherung, die auch dem Schutze geschädigter Mandanten dient, da sie die Rechtsanwälte finanziell in den Stand setzt, Schadensersatzansprüche der Mandantschaft zu erfüllen. Direkte Ansprüche eines Geschädigten gegen den Versicherer gibt es gleichwohl auch nach der Gesetzesnovelle nur in seltenen Fällen: Der insoweit maßgebliche § 115 Abs. 1 Nrn. 2 und 3 VVG sieht einen direkten Anspruch gegen den Haftpflichtversicherer eines Rechtsanwaltes nur dann vor, wenn Zahlungsunfähigkeit des Rechtsanwalts vorliegt oder sein Aufenthalt unbekannt ist. Ein Wahlrecht indes, ob sich ein Geschädigter an den Schädiger oder an dessen Haftpflichtversicherer wendet, gibt es nach § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG nur bei der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung ...