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Wirtschaftsrecht
11.11.2010
Wirtschaftsrecht
EuGH: Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters bei Beendigung des Vertragsverhältnisses durch den Unternehmer

EuGH, Urteil vom 28.10.2010 - C-203/09

Tenor

Art. 18 Buchst. a der Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom 18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter lässt es nicht zu, dass ein selbständiger Handelsvertreter seinen Ausgleichsanspruch verliert, wenn der Unternehmer ein schuldhaftes Verhalten des Handelsvertreters feststellt, das nach dem Zugang der ordentlichen Kündigung des Vertrags und vor Vertragsende stattgefunden hat und das eine fristlose Kündigung des Vertrags gerechtfertigt hätte.

Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie lautet:

„Handelsvertreter im Sinne dieser Richtlinie ist, wer als selbständiger Gewerbetreibender ständig damit betraut ist, für eine andere Person (im Folgenden Unternehmer genannt) den Verkauf oder den Ankauf von Waren zu vermitteln oder diese Geschäfte im Namen und für Rechnung des Unternehmers abzuschließen."

4        Art. 16 der Richtlinie lautet:

„Diese Richtlinie berührt nicht die Anwendung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten, wenn diese Rechtsvorschriften die fristlose Beendigung des Vertragsverhältnisses für den Fall vorsehen, dass

a)      eine der Parteien ihren Pflichten insgesamt oder teilweise nicht nachgekommen ist;

b)      außergewöhnliche Umstände eintreten."

5        Art. 17 der Richtlinie bestimmt:

„(1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen dafür, dass der Handelsvertreter nach Beendigung des Vertragsverhältnisses Anspruch auf Ausgleich nach Absatz 2 oder Schadensersatz nach Absatz 3 hat.

(2)      a)     Der Handelsvertreter hat Anspruch auf einen Ausgleich, wenn und soweit

-        er für den Unternehmer neue Kunden geworben oder die Geschäftsverbindungen mit vorhandenen Kunden wesentlich erweitert hat und der Unternehmer aus den Geschäften mit diesen Kunden noch erhebliche Vorteile zieht und

-        die Zahlung eines solchen Ausgleichs unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der dem Handelsvertreter aus Geschäften mit diesen Kunden entgehenden Provisionen, der Billigkeit entspricht. ..."

6        Art. 18 der Richtlinie sieht vor:

„Der Anspruch auf Ausgleich oder Schadensersatz nach Artikel 17 besteht nicht,

a)      wenn der Unternehmer den Vertrag wegen eines schuldhaften Verhaltens des Handelsvertreters beendet hat, das aufgrund der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften eine fristlose Beendigung des Vertrages rechtfertigt;

b)      wenn der Handelsvertreter das Vertragsverhältnis beendet hat, es sei denn, diese Beendigung ist aus Umständen, die dem Unternehmer zuzurechnen sind, oder durch Alter, Gebrechen oder Krankheit des Handelsvertreters, derentwegen ihm eine Fortsetzung seiner Tätigkeit billigerweise nicht zugemutet werden kann, gerechtfertigt;

..."

7        Art. 19 der Richtlinie lautet:

„Die Parteien können vor Ablauf des Vertrages keine Vereinbarungen treffen, die von Artikel 17 und 18 zum Nachteil des Handelsvertreters abweichen."

 Nationales Recht

8        In § 89a Handelsgesetzbuch (HGB) heißt es:

„(1)  Das Vertragsverhältnis kann von jedem Teil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden. Dieses Recht kann nicht ausgeschlossen oder beschränkt werden.

..."

9        Durch § 89b HGB werden die Art. 17 bis 19 der Richtlinie umgesetzt. In § 89b HGB in der im entscheidungserheblichen Zeitraum geltenden Fassung heißt es:

„(1)      Der Handelsvertreter kann von dem Unternehmer nach Beendigung des Vertragsverhältnisses einen angemessenen Ausgleich verlangen, wenn und soweit

1.      der Unternehmer aus der Geschäftsverbindung mit neuen Kunden, die der Handelsvertreter geworben hat, auch nach Beendigung des Vertragsverhältnisses erhebliche Vorteile hat,

2.      der Handelsvertreter infolge der Beendigung des Vertragsverhältnisses Ansprüche auf Provision verliert, die er bei Fortsetzung desselben aus bereits abgeschlossenen oder künftig zustande kommenden Geschäften mit den von ihm geworbenen Kunden hätte, und

3.      die Zahlung eines Ausgleichs unter Berücksichtigung aller Umstände der Billigkeit entspricht.

Der Werbung eines neuen Kunden steht es gleich, wenn der Handelsvertreter die Geschäftsverbindung mit einem Kunden so wesentlich erweitert hat, dass dies wirtschaftlich der Werbung eines neuen Kunden entspricht.

...

(3)      Der Anspruch besteht nicht, wenn

1.      der Handelsvertreter das Vertragsverhältnis gekündigt hat, es sei denn, dass ein Verhalten des Unternehmers hierzu begründeten Anlass gegeben hat oder dem Handelsvertreter eine Fortsetzung seiner Tätigkeit wegen seines Alters oder wegen Krankheit nicht zugemutet werden kann, oder

2.      der Unternehmer das Vertragsverhältnis gekündigt hat und für die Kündigung ein wichtiger Grund wegen schuldhaften Verhaltens des Handelsvertreters vorlag ..."

10      Der Bundesgerichtshof führt in dem Vorlagebeschluss aus, die Regelung über den Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters in § 89b HGB finde nach seiner ständigen Rechtsprechung auf einen Händlervertrag wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entsprechende Anwendung. Wie sich aus dieser Rechtsprechung ergebe, müsse ein wichtiger Grund, der die Entscheidung einer fristlosen Beendigung des Vertrags gerechtfertigt hätte, lediglich im Zeitpunkt der Entscheidung, den Vertrag zu beenden, objektiv vorgelegen haben. Falls der Handelsvertreter sich vor dem vorgesehenen Vertragsende eines Verhaltens schuldig gemacht habe, das eine fristlose Kündigung gerechtfertigt hätte, habe nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Unternehmer, der den Vertrag habe fristgerecht beenden wollen, sogar das Recht, sich entweder für eine neue, fristlose Kündigung zu entscheiden, sofern er von diesem schuldhaften Verhalten vor Ablauf der Kündigungsfrist erfahren habe, oder die Ausgleichszahlung unter Berufung auf dieses schuldhafte Verhalten zu verweigern, sofern er davon erst nach dem vorgesehenen Vertragsende erfahren habe.

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

11      Zwischen Volvo Car (dem Hersteller) und AHW (dem Vertragshändler) wurde ein Händlervertrag geschlossen. Im gleichen Zeitraum betrieben die Geschäftsführer von AHW mit einem ehemaligen Geschäftsführer von AHW die Autovermietung Weidensdorf GbR (im Folgenden: AVW). Diese hatte über eine andere Gesellschaft Geschäftsbeziehungen mit Volvo Car aufgenommen, die durch eine „Rahmenvereinbarung für Großkunden" über Sondernachlässe bei der Belieferung mit fabrikneuen Volvo-Fahrzeugen geregelt waren. AVW kaufte auf der Grundlage dieser Rahmenvereinbarung Fahrzeuge bei AHW unter Inanspruchnahme der vereinbarten Nachlässe. Dafür erhielt AHW von Volvo Car Zuschüsse.

12      Mit Schreiben vom 6. März 1997 kündigte Volvo Car den Händlervertrag zum 31. März 1999.

13      Im Zeitraum von April 1998 bis Juli 1999 wurden 28 Fahrzeuge, die AVW von AHW gekauft hatte, entgegen den Vertragsbestimmungen vorzeitig weiterverkauft. Wie sich aus dem Vorlagebeschluss ergibt, wird im Rahmen der Revision unterstellt, dass Volvo Car hiervon erst nach Vertragsende Kenntnis erlangte.

14      AHW, nach deren Ansicht § 89b HGB auf den Händlervertrag Anwendung findet, erhob gegen Volvo Car Klage und machte einen Ausgleichsanspruch sowie Zahlungsansprüche aufgrund von Gutschriften geltend. Volvo Car ist der Auffassung, ein Ausgleichsanspruch von AHW sei nach § 89b Abs. 3 Nr. 2 HGB ausgeschlossen. AHW habe sich ihr nicht zustehende Zuschüsse verschafft, indem sie im bewussten Zusammenwirken mit AVW die vertraglich vereinbarte Haltefrist nicht eingehalten habe. Im Rahmen der diesem Vorabentscheidungsersuchen zugrunde liegenden Revision steht fest, dass AHW durch dieses Vorgehen gegen ihre Pflichten aus dem Händlervertrag mit Volvo Car verstoßen hat. Infolgedessen wäre Volvo Car zur fristlosen Beendigung des Vertrags berechtigt gewesen, wenn sie davon vor Vertragsende erfahren hätte.

15      Das Landgericht gab den Anträgen von AHW hinsichtlich des Ausgleichsanspruchs in Höhe von 180 159,46 Euro und hinsichtlich der Gutschriften in voller Höhe - jeweils nebst Zinsen - statt.

16      Das Oberlandesgericht änderte auf die Berufung von Volvo Car das erstinstanzliche Urteil hinsichtlich der Höhe des Ausgleichsanspruchs und der Gutschriften teilweise ab. Es war der Ansicht, AHW stehe in analoger Anwendung von § 89b Abs. 1 HGB ein Ausgleichsanspruch gegen Volvo Car zu. § 89b Abs. 3 Nr. 2 HGB sei in Einklang mit Art. 18 Buchst. a der Richtlinie auszulegen. Folglich müsse ein wichtiger Grund ursächlich für die Entscheidung des Unternehmers gewesen sein, den Vertrag zu beenden, damit der Handelsvertreter seinen Ausgleichsanspruch verliere.

17      Volvo Car legte gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Revision ein. Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts hängt die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits von der Auslegung des Art. 18 Buchst. a der Richtlinie ab.

18      Unter diesen Umständen hat der Bundesgerichtshof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist Art. 18 Buchst. a der Richtlinie dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters auch im Falle einer ordentlichen Kündigung durch den Unternehmer nicht besteht, wenn ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung des Vertrags wegen schuldhaften Verhaltens des Handelsvertreters im Zeitpunkt der ordentlichen Kündigung zwar vorlag, dieser aber für die Kündigung nicht ursächlich war?

2.      Falls eine solche nationale Regelung mit der Richtlinie vereinbar ist:

Steht Art. 18 Buchst. a der Richtlinie einer entsprechenden Anwendung der nationalen Regelung über den Ausschluss des Ausgleichsanspruchs auf den Fall entgegen, dass ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung des Vertrags wegen schuldhaften Verhaltens des Handelsvertreters erst nach Ausspruch der ordentlichen Kündigung eintrat und dem Unternehmer erst nach Vertragsbeendigung bekannt wurde, so dass er eine weitere, auf das schuldhafte Verhalten des Handelsvertreters gestützte fristlose Kündigung des Vertrags nicht mehr aussprechen konnte?

 Zu den Vorlagefragen

 Zur Zuständigkeit des Gerichtshofs und zur Zulässigkeit der Vorlagefragen

 Beim Gerichtshof eingereichte Erklärungen

19      Volvo Car hält das Vorabentscheidungsersuchen für unzulässig. Der Gegenstand des Ausgangsverfahrens falle nämlich nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie. Ein Vertragshändler wie AHW sei kein Handelsvertreter im Sinne des Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie oder im Sinne des § 84 Abs. 1 Satz 1 HGB. Der Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung nationaler Rechtsvorschriften gelte aber nur für den unmittelbaren Anwendungsbereich der jeweiligen Richtlinie.

20      AHW hat in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht, dass die Vorlagefragen zulässig seien, da die Bestimmungen über Handelsvertreter nach deutschem Recht auf Händlerverträge entsprechend angewendet würden. Außerdem sei die erste Frage nicht hypothetischer Natur.

21      Die deutsche Regierung trägt vor, nach deutschem Recht finde das Handelsvertreterrecht auf Vertragshändler entsprechende Anwendung. Folglich komme es für die Entscheidung über den Ausgleichsanspruch von AHW darauf an, wie die Bestimmungen der Richtlinie, die den Ausschluss des Ausgleichsanspruchs von Handelsvertretern beträfen, auszulegen seien. Zur ersten Frage hat die deutsche Regierung in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, diese Frage sei nicht hypothetisch, da sie ein Problem betreffe, dessen Lösung für die Beantwortung der zweiten Frage vorgreiflich sei.

22      Nach Auffassung der Kommission spricht nichts gegen die Zuständigkeit des Gerichtshofs für die Beantwortung der Vorlagefragen, da die zur Umsetzung der Richtlinie erlassenen deutschen Rechtsvorschriften im Einklang mit dieser ausgelegt werden müssten. Die Kommission hat jedoch Zweifel an der Zulässigkeit der ersten Frage, da sie eine Fallgestaltung betreffe, die nicht dem durch das vorlegende Gericht zu beurteilenden Sachverhalt entspreche.

 Würdigung durch den Gerichtshof

23      Was erstens die Zuständigkeit des Gerichtshofs für die Beantwortung der Vorlagefragen betrifft, so ist es im Rahmen der durch Art. 267 AEUV geschaffenen Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten allein Sache des nationalen Gerichts, im Hinblick auf die Besonderheiten der jeweiligen Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung zum Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof von ihm vorgelegten Fragen zu beurteilen. Der Gerichtshof kann das Ersuchen eines nationalen Gerichts nur zurückweisen, wenn offensichtlich ist, dass die erbetene Auslegung des Unionsrechts in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht oder dass die Frage allgemeiner oder hypothetischer Natur ist (vgl. u. a. Urteil vom 16. März 2006, Poseidon Chartering, C‑3/04, Slg. 2006, I‑2505, Randnr. 14).

24      Betreffen die von den nationalen Gerichten vorgelegten Fragen die Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts, so ist der Gerichtshof daher grundsätzlich gehalten, darüber zu befinden. Weder aus dem Wortlaut des Art. 267 AEUV noch aus dem Zweck des durch diesen Artikel errichteten Verfahrens ergibt sich nämlich, dass die Verfasser des Vertrags solche Vorabentscheidungsersuchen von der Zuständigkeit des Gerichtshofs ausnehmen wollten, die sich in dem besonderen Fall auf eine Unionsvorschrift beziehen, dass das nationale Recht eines Mitgliedstaats zur Bestimmung der auf einen rein innerstaatlichen Sachverhalt anwendbaren Regelung auf den Inhalt dieser Vorschrift verweist (vgl. Urteil Poseidon Chartering, Randnr. 15).

25      Richten sich nämlich nationale Rechtsvorschriften zur Regelung rein innerstaatlicher Sachverhalte nach den im Unionsrecht getroffenen Regelungen, um insbesondere Diskriminierungen oder etwaige Wettbewerbsverzerrungen zu verhindern, so besteht ein unbestreitbares Interesse der Union daran, dass zur Vermeidung künftiger Auslegungsdivergenzen die aus dem Unionsrecht übernommenen Bestimmungen oder Begriffe unabhängig davon, unter welchen Voraussetzungen sie angewendet werden sollen, einheitlich ausgelegt werden (Urteil Poseidon Chartering, Randnr. 16).

26      Auch wenn sich die Fragen im vorliegenden Fall auf einen Händlervertrag und nicht auf einen Handelsvertretervertrag beziehen und die Richtlinie daher den betreffenden Sachverhalt nicht unmittelbar regelt, so werden nichtsdestoweniger diese beiden Arten von Verträgen nach deutschem Recht gleich behandelt (vgl. in diesem Sinne Urteil Poseidon Chartering, Randnr. 17).

27      Darüber hinaus lässt sich den Akten nicht entnehmen, dass das vorlegende Gericht die Möglichkeit hat, von der Auslegung der Richtlinienbestimmungen durch den Gerichtshof abzuweichen.

28      Daher ist die Einrede der Unzuständigkeit zurückzuweisen.

29      Was zweitens die Zulässigkeit der ersten Frage angeht, so betrifft sie eine Situation, in der im Zeitpunkt der ordentlichen Kündigung des Vertrags ein Grund vorlag, der eine fristlose Kündigung des Vertrags gerechtfertigt hätte, auf den sich der Unternehmer aber nicht zur Begründung der ordentlichen Kündigung berufen hat. Aus der Vorlageentscheidung ergibt sich, dass die AHW vorgeworfene Verletzung der vertraglichen Verpflichtungen nach dem Zugang der ordentlichen Kündigung des Händlervertrags stattgefunden hat.

30      Daher ist festzustellen, dass sich die erste Vorlagefrage auf einen rein hypothetischen Fall bezieht, der dem Sachverhalt des Ausgangsverfahrens offensichtlich nicht entspricht, und damit für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits nicht erheblich ist.

31      Daraus folgt, dass die erste Frage unzulässig ist.

Aus den Gründen

 Beim Gerichtshof eingereichte Erklärungen

32      Volvo Car schlägt vor, die zweite Frage zu verneinen, und stützt sich dabei auf eine weite Auslegung der in Art. 18 Buchst. a der Richtlinie genannten Kriterien. Insbesondere seien der Richtlinie keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass der Ausschluss eines Ausgleichsanspruchs von dem rein zufälligen Kriterium abhängig sein solle, ob das schuldhafte Verhalten, das eine fristlose Beendigung des Vertrags gerechtfertigt hätte, vor Vertragsende entdeckt worden sei oder nicht.

33      AHW hat in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, dass die Möglichkeit einer Befreiung von der Verpflichtung zur Zahlung eines Ausgleichs an den Handelsvertreter, die sich dem Unternehmer durch eine weite Auslegung des Art. 18 Buchst. a der Richtlinie eröffne, zu einer Verzerrung des Wettbewerbs führen würde. Folglich sei diese Bestimmung, die eine Ausnahme von der Verpflichtung zur Zahlung eines Ausgleichs darstelle, wörtlich auszulegen, was bedeute, dass das schuldhafte Verhalten des Handelsvertreters für die Entscheidung, den Vertrag zu beenden, unmittelbar ursächlich sein müsse. Außerdem könne auf der Grundlage des Art. 17 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie, der eine Billigkeitsprüfung vorsehe, der Betrag des Ausgleichs herabgesetzt oder dem Handelsvertreter der Ausgleich sogar ganz versagt werden.

34      Die deutsche Regierung schlägt vor, die zweite Frage zu bejahen. Die Richtlinie, deren wesentliche Prinzipien das Vertrauen und gegenseitige Loyalitätspflichten seien, strebe nämlich einen ausgewogenen Ausgleich zwischen den Interessen der Parteien an. Nach Art. 18 Buchst. a der Richtlinie sei der Anspruch auf Ausgleich ausgeschlossen, wenn das schuldhafte Verhalten des Handelsvertreters zwar nicht unmittelbar die Ursache für die Entscheidung, den Vertrag zu beenden, gewesen sei, jedoch vor dieser Entscheidung objektiv vorgelegen habe und nach nationalem Recht eine Entscheidung, den Vertrag fristlos zu beenden, gerechtfertigt hätte. Es sei ausreichend, dass das schuldhafte Verhalten des Handelsvertreters theoretisch vom Unternehmer als Grund für die Entscheidung, den Vertrag zu beenden, genutzt werden könne (hypothetische Kausalität). Da die beiden oben genannten Voraussetzungen kumulativ vorliegen müssten, finde Art. 18 Buchst. a der Richtlinie dagegen keine Anwendung, wenn diese Voraussetzungen nicht zur selben Zeit vorlägen und die Pflichtverletzung erst nach der Entscheidung, den Vertrag zu beenden, eingetreten sei.

35      Nach Ansicht der Kommission ist das durch die Art. 17 bis 19 der Richtlinie geschaffene System zwingendes Recht. Gleichwohl ließe sich eine weite Auslegung des Art. 18 Buchst. a der Richtlinie mit einem gerechten Ausgleich der Interessenlage zwischen dem Unternehmer und dem Handelsvertreter in Einklang bringen. Denn der Handelsvertreter sei auch schutzwürdig, wenn sein Verhalten vom Unternehmer nicht als schwerwiegend genug angesehen worden sei, um eine Kündigung des Vertrags zu rechtfertigen. Außerdem spreche nichts dagegen, dass der Unternehmer dem Handelsvertreter gegenüber erklären könne, dass er dessen Verhalten zum Anlass für eine Kündigung genommen hätte, wenn er diese nicht schon ausgesprochen hätte.

36      Falls der Unternehmer das schuldhafte Verhalten des Handelsvertreters erst nach Beendigung des Vertragsverhältnisses entdecke, sei es ihm unmöglich, das Vertragsverhältnis deswegen aufzulösen, denn es bestehe ja kein kündbares Vertragsverhältnis mehr. Da der Unionsgesetzgeber darauf verzichtet habe, Vorschriften zu dieser Fallvariante in der Richtlinie vorzusehen, stehe es den Mitgliedstaaten frei, im Rahmen der ihnen vom Vertrag gesetzten Grenzen einen Ausgleichsanspruch auszuschließen oder nicht. In den Fällen, in denen der Unternehmer von dem Vorliegen des schuldhaften Verhaltens des Vertreters vor Vertragsende erfahren und das schuldhafte Verhalten nicht zum Anlass für eine Kündigung genommen habe, bleibe der Ausgleichsanspruch zwar weiter bestehen; dieses Verhalten könne aber in die Anpassung des Ausgleichsanspruchs aus Billigkeitsgründen einbezogen werden.

 Antwort des Gerichtshofs

37      Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 18 Buchst. a der Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er es nicht zulässt, dass ein selbständiger Handelsvertreter seinen Ausgleichsanspruch verliert, wenn der Unternehmer ein schuldhaftes Verhalten des Handelsvertreters feststellt, das nach dem Zugang der ordentlichen Kündigung des Vertrags und vor Vertragsende stattgefunden hat und das eine fristlose Kündigung des Vertrags gerechtfertigt hätte.

38      Zur Beantwortung dieser Frage ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 18 Buchst. a der Richtlinie der dort genannte Ausgleichsanspruch nicht besteht, wenn der Unternehmer den Vertrag „wegen" eines schuldhaften Verhaltens des Handelsvertreters beendet hat, das aufgrund der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften eine fristlose Beendigung des Vertrags rechtfertigt.

39      Dass der Unionsgesetzgeber die Präposition „wegen" verwendet hat, stützt die insbesondere von der Kommission vertretene These, wonach dem Handelsvertreter der in Art. 17 der Richtlinie vorgesehene Ausgleich nach dem Willen des Gesetzgebers nur versagt werden können soll, wenn zwischen dem schuldhaften Verhalten des Handelsvertreters und der Entscheidung des Unternehmers, den Vertrag zu beenden, ein unmittelbarer Ursachenzusammenhang besteht.

40      Diese Auslegung wird durch die Entstehungsgeschichte der Richtlinie bestätigt. Wie aus dem Richtlinienvorschlag (ABl. 1977, C 13, S. 2) hervorgeht, hatte die Kommission ursprünglich vorgeschlagen, dass der Ausgleichsanspruch nicht bestehen soll, wenn der Unternehmer den Vertrag wegen eines vertragswidrigen Verhaltens des Handelsvertreters, dessentwegen dem Unternehmer eine Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht zugemutet werden kann, „gekündigt hat oder hätte kündigen können". Der Unionsgesetzgeber hat den für den Ausschluss des Ausgleichsanspruchs vorgeschlagenen letztgenannten Grund jedoch nicht in die Richtlinie aufgenommen.

41      Für die oben dargestellte Auslegung spricht auch, dass in den verschiedenen Sprachfassungen des Art. 18 Buchst. a der Richtlinie die gleiche Präposition verwendet wird, insbesondere in der spanischen („por un incumplimiento imputable al agente comercial"), der deutschen („wegen eines schuldhaften Verhaltens des Handelsvertreters"), der englischen („because of default attributable to the commercial agent"), der französischen („pour un manquement imputable à l'agent commercial"), der italienischen („per un'inadempienza imputabile all'agente commerciale") und der polnischen Sprachfassung („z powodu uchybienia przypisywanego przedstawicielowi handlowemu").

42      Zudem ist Art. 18 Buchst. a als Ausnahme von dem Anspruch des Handelsvertreters auf einen Ausgleich eng auszulegen. Die Bestimmung kann daher nicht in einer Weise ausgelegt werden, die darauf hinausliefe, dass ein Grund für den Ausschluss des Ausgleichsanspruchs hinzukommt, der in dieser Bestimmung nicht ausdrücklich vorgesehen ist.

43      Erfährt der Unternehmer erst nach Vertragsende von dem schuldhaften Verhalten des Handelsvertreters, ist es daher nicht mehr möglich, die in Art. 18 Buchst. a der Richtlinie vorgesehene Regelung anzuwenden. Folglich kann dem Handelsvertreter der Ausgleichsanspruch nicht nach dieser Bestimmung versagt werden, wenn der Unternehmer, nachdem er den Vertrag gegenüber dem Handelsvertreter ordentlich gekündigt hat, ein schuldhaftes Verhalten des Handelsvertreters feststellt, das eine fristlose Kündigung des Vertrags gerechtfertigt hätte.

44      Allerdings hat der Handelsvertreter nach Art. 17 Abs. 2 Buchst. a zweiter Gedankenstrich der Richtlinie Anspruch auf einen Ausgleich, wenn und soweit die Zahlung eines solchen Ausgleichs unter Berücksichtigung aller Umstände der Billigkeit entspricht. Es ist somit nicht auszuschließen, dass das Verhalten des Handelsvertreters im Rahmen der Prüfung der Billigkeit des Ausgleichs berücksichtigt werden kann.

45      Nach alledem ist auf die zweite Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 18 Buchst. a der Richtlinie es nicht zulässt, dass ein selbständiger Handelsvertreter seinen Ausgleichsanspruch verliert, wenn der Unternehmer ein schuldhaftes Verhalten des Handelsvertreters feststellt, das nach dem Zugang der ordentlichen Kündigung des Vertrags und vor Vertragsende stattgefunden hat und das eine fristlose Kündigung des Vertrags gerechtfertigt hätte.

 Kosten

46      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

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