BGH: Ausgangskontrolle bei Einsatz eines Telefaxgerätes
BGH, Beschluss vom 14.10.2010 - IX ZB 34/10
leitsätze
a) Überträgt eine Kanzleiangestellte die anzuwählende Telefaxnummer des Gerichts aus einem in der Akte befindlichen Schreiben des Gerichts in einen fristgebunde-nen Schriftsatz, erfordert die Ausgangskontrolle, die Richtigkeit der gewählten Nummer auch darauf zu kontrollieren, ob sie tatsächlich einem Schreiben des Empfangsgerichts entnommen wurde.
b) Wird diese Kontrolle versäumt, ist in Altfällen gleichwohl Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Prüfung, ob die der Akte entnommene Nummer aus einem Empfängerschrei-ben stammt, teils für entbehrlich erachtet wird.
ZPO § 233 Fd
sachverhalt
I. Das Amtsgericht Pankow/Weißensee hat die auf Zahlung von Steuerbe-raterhonorar gerichtete Klage durch das der Klägerin am 8. Juni 2009 zugestell-te Urteil vom 2. Juni 2009 überwiegend abgewiesen. Die Klägerin hat gegen das Urteil am 8. Juli 2009 bei dem Landgericht Berufung eingelegt. Die an das Landgericht gerichtete Berufungsbegründung vom 10. August 2009, einem Montag, ist am selben Tag um 21.42 Uhr durch Fax bei dem Amtsgericht Pan-kow/Weißensee eingegangen, von wo der Schriftsatz ebenfalls per Fax am 11. August 2009 an das Landgericht weitergeleitet wurde. Das Original des Schriftsatzes ist am 14. August 2009 bei dem Landgericht eingegangen.
Auf die Mitteilung des Vorsitzenden der Berufungskammer über den ver-späteten Eingang des Schriftsatzes hat die Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist bean-tragt. Sie hat geltend und durch eidesstattliche Versicherung der Rechtsan-walts- und Notargehilfin M. Z. glaubhaft gemacht, die Mitarbeiterin ihrer Prozessbevollmächtigten entnehme die Faxnummer regelmäßig dem Schreiben des Berufungsgerichts, in dem das Geschäftszeichen des Beru-fungsverfahrens mitgeteilt werde. In vorliegender Sache habe die Mitarbeiterin versehentlich das auf der Akte befindliche Schreiben des Amtsgerichts Pan-kow/Weißensee für das des Landgerichts gehalten. Infolge dieses Irrtums habe sie die Faxnummer des Amtsgerichts Pankow/Weißensee in das Adressfeld des Berufungsbegründungsschriftsatzes eingefügt. Nach Übermittlung des Schrift-satzes habe sie anhand des Sendeberichts festgestellt, dass die dort angege-bene der in dem Schriftsatz enthaltenen Nummer entspreche.
Das Berufungsgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vori-gen Stand zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Die Klä-gerin habe eine Büroorganisation zur Überprüfung der per Fax übermittelten Berufungsbegründung im Blick auf die Verwendung einer zutreffenden Empfän-gernummer weder dargelegt noch glaubhaft gemacht. Werde der Schriftsatz - wie im Streitfall - unmittelbar vor Ablauf der Frist übermittelt, müsse der Rechtsanwalt, weil dann aus Zeitgründen keine Möglichkeit bestehe, dass der falsche Adressat die Berufungsbegründung fristgerecht an die zuständige Stelle weiterleite, mangels hinreichender Anweisungen an das Personal selbst die Richtigkeit der Empfängernummer überprüfen. Der Anwalt könne sich nicht auf seine Angestellte verlassen, wenn keine Anweisung zur Kontrolle des Sende-protokolls auf die richtige Empfangsnummer ergangen sei.
aus den gründen
4 II. 1. Die nach § 574 Abs. 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig. Eine Entscheidung des Bundesge-richtshofs ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO) geboten. Der angefochtene Beschluss verletzt die Klägerin in ihrem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf Gewährung wir-kungsvollen Rechtsschutzes (vgl. Art. 2 Abs. 1 GG i.V. mit dem Rechtsstaats-prinzip des Art. 20 Abs. 3 GG). Dieser verbietet es, einer Partei die Wiederein-setzung in den vorigen Stand aufgrund von Anforderungen an die Sorgfalts-pflicht des Prozessbevollmächtigten zu versagen, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und mit denen sie nicht rechnen musste.
5 2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das Berufungsgericht hät-te der Klägerin die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht versagen dürfen. Die Klägerin war ohne ihr Verschulden verhindert, die Beru-fungsbegründungsfrist einzuhalten (§§ 233, 519 ZPO). Die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beruht nicht auf einem Verschulden ihrer Prozess-bevollmächtigten, das die Klägerin sich nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen las-sen muss.
6 a) Dem Berufungsgericht kann nicht gefolgt werden, soweit es meint, der Prozessbevollmächtigten der Klägerin habe die persönliche Kontrolle oblegen, ob hier die richtige Telefaxnummer verwendet wurde. Bei dem Heraussuchen und Eingeben der Faxnummer in das Faxgerät handelt es sich vielmehr um Hilfstätigkeiten, die in jedem Fall dem geschulten Kanzleipersonal eigenverant-wortlich überlassen werden können (BGH, Beschl. v. 23. März 1995 - VII ZB 19/94, NJW 1995, 2105, 2106; Beschl. v. 20. Dezember 1999 - II ZB 7/99, NJW 2000, 1043; BFH, NJW 2003, 2559, 2560).
7 b) Allerdings ist der Anwalt verpflichtet, für eine Büroorganisation zu sor-gen, die eine Überprüfung der durch Telefax übermittelten fristgebundenen Schriftsätze auch auf die Verwendung der zutreffenden Empfängernummer hin gewährleistet.
8 aa) Der Rechtsanwalt erfüllt seine Verpflichtung, für eine wirksame Aus-gangskontrolle zu sorgen, bei Einsatz eines Telefaxgerätes nur dann, wenn er seinen dafür zuständigen Mitarbeitern die Weisung erteilt, sich nach der Über-mittlung eines Schriftsatzes einen Einzelnachweis ausdrucken zu lassen, auf dieser Grundlage die Vollständigkeit der Übermittlung zu überprüfen und die Notfrist erst nach Kontrolle des Sendeberichts zu löschen (BGH, Beschl. v. 22. Juni 2004 - VI ZB 14/04, NJW 2004, 3491). Die Richtigkeit der Empfänger-nummer ist von den Mitarbeitern abschließend und selbständig zu prüfen (BGH, Beschl. v. 10. Januar 2000 - II ZB 14/99, NJW 2000, 1043, 1044; BGH, Beschl. v. 22. Juni 2004, aaO S. 3492).
9 bb) Im Streitfall wurde die zur Übermittlung verwendete Faxnummer ent-sprechend der Organisation im Büro der Bevollmächtigten der Klägerin unmit-telbar aus einem in der Akte befindlichen Schreiben des Berufungsgerichts ent-nommen und in den zu versendenden Schriftsatz eingefügt.
10 (1) Die Grundsätze über die selbständige Prüfung der Empfängernum-mer gelten nach der Rechtsprechung des Senats auch dann, wenn die Telefax-nummer des Empfangsgerichts der Akte entnommen wird. Bei dieser Verfah-rensweise kann es leicht zu Verwechslungen kommen. Eine solche Gefahr be-steht nicht nur, wenn sich der gerichtliche Schriftsatzempfänger infolge einer Verweisung des Rechtsstreits oder des Übergangs der Sache an das Rechts-mittelgericht auch in der vom Anwalt geführten Handakte im Laufe des Rechts-streits geändert hat. Das Büropersonal muss daher stets angewiesen werden, die angegebene Faxnummer noch einmal auf ihre Zuordnung zu dem vom Rechtsanwalt bezeichneten Empfangsgericht zu überprüfen. Nur so kann die bekannte Fehlerquelle beherrscht werden, dass fristgebundene Rechtsmittel-schriften und Rechtsmittelbegründungen per Fax trotz richtiger Gerichtsadres-sierung weiter an das Gericht der Vorinstanz geleitet werden (BGH, Beschl. v. 11. März 2004 - IX ZR 20/03, BGHReport 2004, 978 = FamRZ 2004, 866 = BGHR ZPO § 233 Telekopie 3 [Gründe]; ebenso BGH, Beschl. v. 26. Sep-tember 2006 - VIII ZB 101/05, NJW 2007, 996, 997; v. 4. Februar 2010 - I ZB 3/09, juris Rn. 14). Nach diesen Maßstäben, die der Senat weiterhin für zutref-fend erachtet, ist bei der Entnahme der Empfängernummer aus einem von die sem stammenden, bei der Akte befindlichen Schreiben stets eine - zweifache - Kontrolle des Inhalts vorzunehmen, ob die gewählte Nummer mit der in dem Schreiben enthaltenen Nummer übereinstimmt und ob es sich bei dem Schrei-ben tatsächlich um ein solches des Empfängers handelt. Danach fehlt es hier an einer ordnungsgemäßen Kanzleiorganisation, weil die eingesetzte Emp-fangsnummer von dem Personal lediglich dahin abzugleichen war, ob sie mit der Nummer aus einem bei der Akte befindlichen - vermeintlich von dem Beru-fungsgericht herrührenden - Schreiben übereinstimmt, aber die weitergehende Prüfung, wer Absender dieses Schreibens ist, versäumt wurde.
11 (2) Allerdings wird abweichend von dieser Beurteilung in der Rechtspre-chung des Bundesgerichtshofs teilweise angenommen, dass sich bei einer Ent-nahme der Faxnummer aus der Akte das besonders hohe Verwechslungsrisiko, das bei der Auswahl aus elektronischen oder buchmäßig erfassten Daten be-steht, erheblich verringere. Dies gestatte es, die Sorgfaltsanforderungen an die Ausgangskontrolle abzumildern und eine Überprüfung der verwendeten Fax-nummer auf Übereinstimmung mit der aus der Akte entnommenen, im Schrift-satz festgehaltenen Faxnummer zu beschränken. Mithin reiche es aus, mögli-che Eingabefehler zu korrigieren, indem die gewählte Empfängernummer mit der zuvor in den Schriftsatz eingefügten Nummer abgeglichen werde (BGH, Beschl. v. 22. Juni 2004, aaO S. 3492; v. 13. Februar 2007 - VI ZB 70/06, NJW 2007, 1690, 1691 Rn. 11; v. 11. November 2009 - XII ZB 117/09, BRAK-Mitt. 2010, 25). Das Versehen der Mitarbeiterin der Klägerin, die eine einem Schrei-ben des Amtsgerichts statt des Berufungsgerichts entnommene Telefaxnummer in den Schriftsatz übertragen hat, wäre der Klägerin mangels einer weiterge-henden Kontrollpflicht danach nicht als Verschulden ihrer Prozessbevollmäch-tigten (§ 85 Abs. 2 ZPO) zuzurechnen.
12 cc) Unabhängig davon, welcher der geschilderten Auffassungen zu fol-gen ist, kann gegenwärtig ein Verschulden der Prozessbevollmächtigten der Klägerin nicht angenommen werden. Sie durfte sich wegen der uneinheitlichen höchstrichterlichen Rechtsprechung, in der die Divergenz bislang nicht offen ausgesprochen wurde, an der ihr günstigeren Ansicht orientieren, die sich mit einem Abgleich der gewählten Empfängernummer mit dem in der Akte befindli-chen Schriftsatz begnügt. Folglich ist ein Verschulden der Prozessbevollmäch-tigten der Klägerin nicht gegeben. Bei dieser Sachlage besteht zum gegenwär-tigen Zeitpunkt keine Veranlassung, den Großen Senat für Zivilsachen anzuru-fen (vgl. § 132 Abs. 4 GVG). Künftig wird sich ein Prozessbevollmächtigter, um dem Gebot des sichersten Weges zu genügen, jedoch wegen der mit der vor-liegenden Entscheidung bewirkten Problematisierung an der strengeren Auffas-sung ausrichten müssen, solange nicht der Große Senat für Zivilsachen ange-rufen wird und im gegenteiligen Sinne entscheidet.
13 3. Die Sache ist nach der gewährten Wiedereinsetzung an das Beru-fungsgericht zur Entscheidung über die Berufung zurückzuverweisen, das auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu entscheiden haben wird.