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Wirtschaftsrecht
14.01.2021
Wirtschaftsrecht
Brandenburgisches OLG: Aufrechnungslage zur Zeit der Anzeige der Masseunzulänglichkeit – Risiko des frühzeitigen Erkennens drohender Masseunzulänglichkeit trägt der Insolvenzverwalter

Brandenburgisches OLG, Urteil vom 25.11.2020 – 7 U 77/19

Volltext des Urteils: BB-ONLINE BBL2021-148-1

AMTLICHE LEITSÄTZE

Für monatlich fällige Zahlungen, die vorauszuleistende Arbeit entgelten, ist der für ein Bargeschäft (§ 142 InsO) erforderliche Unmittelbarkeitszusammenhang noch gegeben, wenn die Entgeltzahlung innerhalb von 30 Tagen nach Fälligkeit vorgenommen wird. Der Vorrang der Verwaltervergütung bezieht sich auf die verfügbare Masse. Der Insolvenzverwalter ist nicht übermäßig belastet, wenn ihm das Risiko zugewiesen wird, die drohende Masseunzulänglichkeit frühzeitig zu erkennen, um sie sodann rechtzeitig anzuzeigen und dem Vertrauen in die ungeschmälerte Durchsetzung von Masseforderungen im Wege der Aufrechnung dadurch die Grundlage zu entziehen.

InsO §§ 94ff., 142, 208ff.

Aus den Gründen

I. Eines Tatbestandes bedarf es nicht (§ 313 a I 1 ZPO).

II. Die Berufung ist begründet, die Klage unbegründet.

Der mit der Klage geltend gemachte Rückforderungsanspruch ist entstanden und durch die vom Beklagten erklärte Aufrechnung erloschen.

Der Rückforderungsanspruch in Bezug auf die an den Beklagten geleisteten Entgeltzahlungen beruht auf den §§ 143 I 1, 135 I Nr. 2 InsO.

Die Zahlungen der Gesellschaft an den Beklagten stehen der Rückgewähr eines Darlehens gleich.

Ungeachtet des Entstehungsgrundes sind einem Darlehen alle aus Austauschgeschäften herrührende Forderungen gleichzuachten, die der Gesellschaft rechtlich oder rein faktisch gestundet wurden, weil jede Stundung bei wirtschaftlicher Betrachtung eine Darlehensgewährung bewirkt. Stehengelassene Gehaltsansprüche eines Gesellschafters können darum wirtschaftlich einem Darlehen entsprechen (BGHZ 202, 59, Rdnr. 50).

Der maßgebliche Zeitraum, nach dem zu beurteilen ist, ob eine nicht geltend gemachte Forderung als gestundet gilt, wird einer Parallelwertung zum Bargeschäft entnommen: Folgen Leistung und Gegenleistung in zeitlich so dichter Nähe aufeinander, dass die Anfechtung wegen des Bargeschäftsprivilegs (§ 142 InsO) ausgeschlossen ist, dann liegt in der hingenommenen Zahlungsverzögerung noch keine Stundung. Eine Zahlung, die nicht mehr als Bargeschäft gelten kann, ist hingegen konkludent gestundet (vgl. MüKo-InsO-Gehrlein, 4. Aufl. 2019, § 135 Rdnr. 19).

Unter dem Gesichtspunkt des Bargeschäfts (§ 142 InsO) werden Leistungen privilegiert, für die unmittelbar eine gleichwertige Gegenleistung in das Schuldnervermögen gelangt ist. Leistung und Gegenleistung werden "unmittelbar" ausgetauscht (§ 142 II 1 InsO), wenn ein enger zeitlicher Zusammenhang besteht. Für monatlich fällige Zahlungen, die vorauszuleistende Arbeit entgelten, ist der für ein Bargeschäft erforderliche Unmittelbarkeitszusammenhang noch gegeben, wenn die Entgeltzahlung innerhalb von 30 Tagen nach Fälligkeit vorgenommen wird (vgl. BGHZ 202, 59, Rdnr. 15, 37; 204, 83, Rdnr. 71).

Danach scheitert die Anfechtbarkeit keiner der verspäteten Zahlungen am Bargeschäftsprivileg, weil die Gesellschaft erst jeweils mehr fünf Wochen oder mehr als vier Monate nach Fälligkeit an den Beklagten zahlte. Die Parallelwertung führt zur faktischen Stundung der Entgeltzahlungen und mithin zur Anfechtung Zahlung auf eine dem Gesellschafterdarlehen gleichgestellte Forderung.

Die Forderung gegen den Beklagten ist durch die von ihm erklärte Aufrechnung (Anlage B 1 = Bl. 25) mit der Vergütungsforderung erloschen (§ 389 BGB), die mit dem Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 21. März 2019 - 19 O 51/18 - (Anlage K 4 = Bl. 46 f.; rechtskräftig durch Berufungsrücknahme: 7 U 66/19) tituliert worden ist.

Die vom Beklagten erklärte Aufrechnung mit seinen Vergütungsforderungen ist nicht wegen der angezeigten Masseunzulänglichkeit unwirksam.

Die Unzulässigkeit der Aufrechnung ist nur für Insolvenzgläubiger geregelt (§§ 94 ff. InsO), nicht für Massegläubiger, und ein Aufrechnungsverbot gehört nicht zu den geregelten Rechtsfolgen angezeigter Masseunzulänglichkeit (§§ 208 ff. InsO). Nach ganz allgemeiner, unangefochtener Auffassung ist das Vertrauen in Aufrechnungslagen geschützt, die zur Zeit der Unzulänglichkeitsanzeige schon bestanden haben (BFHE 220, 295 = DStRE 2008, 825, 826; MüKo-InsO-Lohmann/Reichelt, § 94 Rdnr. 13, -Hefermehl, § 208 Rdnr. 70; Uhlenbruck-Ries, InsO, 15. Aufl. 2019, § 208 Rdnr. 44; Kayser/Thole-Schmidt, InsO, 10. Aufl. 2020, § 94 Rdnr. 12 f.; noch zur KO: BGHZ 130, 38, juris-Rdnr. 50 f.).

Dagegen verfängt es nicht, wenn der Kläger auf die "absolute Priorität" der Vergütungsansprüche des Insolvenzverwalters verweist und auf ihren "ersten Rang der Befriedigung", den § 209 I Nr. 1 InsO vorsehe, dessen "zwingende Befriedigungsreihenfolge" durch eine Zulassung der Aufrechnung aufgehoben werde (Schriftsatz vom 30. Oktober 2020, S. 2 = Bl. 71). Zum einen ist einzuwenden, dass die Befriedigungsreihenfolge des § 209 InsO erst Bedeutung erlangt, wenn die Masseunzulänglichkeit angezeigt ist; zu dieser Zeit bestanden die Forderungen nicht mehr (§ 389 BGB). Zum anderen hat das vom Bundesgerichtshof zur Konkursordnung verwendete Argument unter Geltung der Insolvenzordnung nicht an Überzeugungskraft verloren: Der Vorrang der Verwaltervergütung bezieht sich auf die verfügbare Masse. Aus dem Vorrang folgt nicht, dass Mittel erst verfügbar gemacht werden müssten, um daraus die Vergütung entnehmen zu können. Zu diesem Zweck sind schon bestehende gesicherte Rechtspositionen der Gläubiger - etwa die Aufrechnungslage - nicht zu entziehen (BGHZ 130, 38, juris-Rdnr. 51). Der Insolvenzverwalter ist nicht übermäßig belastet, wenn ihm das Risiko zugewiesen wird, die drohende Masseunzulänglichkeit frühzeitig zu erkennen, um sie sodann rechtzeitig anzuzeigen und dem Vertrauen in die ungeschmälerte Durchsetzung von Masseforderungen im Wege der Aufrechnung dadurch die Grundlage zu entziehen.

Hier standen sich die Forderungen bereits vor Anzeige der Masseunzulänglichkeit am 11. Januar 2018 aufrechenbar gegenüber:

Die Vergütungsforderungen des aufrechnenden Beklagten waren fällig. Sie stammen aus zu entgeltenden Leistungen, die er bis März 2017 erbrachte (Bl. 43).

Der Rückgewähranspruch (§ 143 I 1 InsO) entsteht (spätestens: vgl. MK-InsO-Kirchhof/Piekenbrock, § 143 Rdnr. 14) mit der Insolvenzeröffnung, der die Anzeige der Masseunzulänglichkeit hier nachfolgte. Während der Zeitspanne zwischen Eröffnung und Anzeige bestand die Aufrechnungslage.

Der Verweis auf die erst nach Verkündung des angefochtenen Urteils erklärte Aufrechnung ist schließlich auch prozessrechtlich nicht unzulässig (§ 533 Nr. 1 ZPO). Der Beklagte hätte sich schon in erster Instanz mit der Aufrechnung verteidigen können. Der Kläger hat indes eingewilligt, indem er sich vorbehaltlos auf eine Erörterung der materiellrechtlichen Zulässigkeit der Aufrechnung eingelassen hat (Bl. 42 ff.).

Die zur Aufrechnung verwendete Forderung darf der Beklagte erstmals in der Berufungsinstanz vortragen (§§ 533 Nr. 2, 529 I Nr. 2, 531 II 1 Nr. 3 ZPO). Es ist ihm nicht als nachlässig anzulasten, dass er die von dem Kläger bestrittene Forderung hier erst erwähnt, nachdem er eine gewisse Sicherheit über ihren Bestand aus dem im Parallelverfahren erstrittenen Urteil gewonnen hatte.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 I 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Anlass, die Revision zuzulassen (§ 543 II ZPO), besteht nicht. Die Entscheidung beruht - wie dargelegt - auf einer völlig unangefochten vertretenen Auffassung, so dass es einer erneuten revisionsgerichtlichen Befassung nicht bedarf.

Der Wert des Berufungsverfahrens wird auf 17.496 Euro festgesetzt (§§ 63 II, 47 I 1 GKG). Die zur Aufrechnung gestellte Forderung erhöht den Streitwert nicht, obwohl sich der Beklagte vorrangig mit anderen Einwendungen gegen die Klageforderung verteidigt hat. Dennoch kann über die Gegenforderung hier keine der Rechtskraft fähige Entscheidung ergehen (§ 45 III GKG), weil über diese Forderung bereits rechtskräftig entschieden worden ist, nämlich mit dem Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 21. März 2019 - 19 O 51/18.

 

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