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Wirtschaftsrecht
27.02.2014
Wirtschaftsrecht
OLG Jena: Aufrechnungsausschluss - Verrechnungsabrede zwischen Insolvenzverwalter und Insolvenzgläubiger

OLG Jena, Urteil vom 29.1.2014 - 2 U 204/13


Amtlicher Leitsatz


Eine Abrede zwischen dem Insolvenzverwalter und einem Insolvenzgläubiger verstößt gegen den Schutzzweck des § 96 Abs. 1 InsO, wenn sie dem Insolvenzgläubiger gestattet, gegen Forderungen, die erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen ihn entstanden sind, mit derzeit noch nicht genau ermittelten Forderungen aufzurechnen, die er vor dem Insolvenzfall gegen den Schuldner erworben hat.


§ 387 BGB, § 96 Abs 1 InsO


Sachverhalt


I.


Die Klägerin begehrt als Insolvenzverwalterin eines Reiseunternehmens von der Beklagten, die ebenfalls Reiseveranstalter ist, aufgrund eines Gewerbemietvertrages ausstehenden Mietzins bzw. nach Kündigung des Mietverhältnisses Nutzungsentschädigung. Ursprünglich verlangte sie auch Räumung des Mietobjekts. Aufgrund eines vor dem Landgericht G. am 25.04.2012 geschlossenen Teilvergleichs ist dieser Streitpunkt jedoch erledigt.


Am 01.05.2010 schlossen der Schuldner und die Beklagte einen Vertrag über die Kooperation beider Unternehmen bei der Durchführung von Reisen (Anlage K 6). Am 14.10.2010 wurde über das Vermögen des Schuldners die vorläufige Insolvenzverwaltung angeordnet (Anlage K 9). Die Klägerin wurde zur vorläufigen Insolvenzverwalterin bestellt. Am 15.12.2010 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und die Klägerin zur  Insolvenzverwalterin ernannt (Anlage K 1). Am selben Tag vermietete die Klägerin der Beklagten eine zum Schuldnervermögen gehörende Gewerbefläche, auf der ein Reisebüro betrieben werden sollte (Anlage K 2). Mit Schreiben vom 08.07.2011 kündigte die Klägerin das Gewerbemietverhältnis unter Hinweis auf Zahlungsrückstände (Anlage K 4).


Hinsichtlich ihrer Entstehung sind die Miet- bzw. Nutzungsentschädigungsansprüche, die die Klägerin geltend macht, dem Grunde und der Höhe nach unstreitig. Der Streit geht darum, ob die Zahlungsansprüche durch Aufrechnung mit Gegenforderungen der Beklagten untergegangen sind. Dazu beruft sie sich auf entsprechende Vereinbarungen zum einen mit dem Schuldner und zum anderen mit der Klägerin.


Die Beklagte stellt folgende Gegenforderungen zur Aufrechnung:


Aufwendungen für Reparaturen und die Anschaffung von Kfz-Teilen                                 19.038,98 €


Forderungen aus Kundenzahlungen                                                                                                          72.778,48 €


Zahlungen des Insolvenzversicherers                                                                                                        50.000,00 €


Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen, § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO.


Das Landgericht G. hat der Klage überwiegend stattgegeben und die Hilfswiderklage der Beklagten abgewiesen.


Ausgehend davon, dass die Entstehung der Mietzins- bzw. Nutzungsentschädigungsansprüche der Höhe nach unstreitig ist, hat die Kammer die Beklagte zur Zahlung verurteilt. Die Aufrechnung der Beklagten mit mehreren Gegenansprüchen hat sie nicht durchgreifen lassen. Der Aufrechnung mit Gegenansprüchen, die vor dem Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden seien, stehe § 96 InsO entgegen. Diese Norm stelle zwingendes Recht dar. Von daher könne sich die beklagtenseits behauptete Vereinbarung allenfalls auf Gegenforderungen der Beklagten beziehen, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens angefallen und damit Masseverbindlichkeiten seien. Ansprüche der Beklagten, die aufgrund entsprechender Absprachen mit der Klägerin im Zeitraum vom 14.10.2010 bis zum 14.12.2010 entstanden seien, seien hiervon nicht erfasst, da die Klägerin seinerzeit nicht als "starke" vorläufige Insolvenzverwalterin im Sinne des § 22 Abs. 1 InsO eingesetzt gewesen sei.


Die Forderungen, die die Beklagte wegen Reparaturen etc. zur Aufrechnung stelle, seien nicht aufrechnungsfähig, da sie vor dem 15.12.2010 entstanden seien. Hinsichtlich der Reiseleistungen fehle eine nachvollziehbare Aufstellung darüber, welche Zahlungen von Kunden des Schuldners wann auf Konten des Schuldners bzw. der Klägerin eingegangen seien. Die Ausführungen der Klägerin sprächen dafür, dass es sich um Zahlungen gehandelt habe, die vor dem 15.12.2010 eingegangen seien.


Die Hilfswiderklage hat das Landgericht abgewiesen. Es hat dabei offen gelassen, ob die Klage bereits deshalb unzulässig ist, weil die Beklagte nicht im Einzelnen angegeben hat, in welcher Reihenfolge sie die von ihr behaupteten Gegenforderungen geltend machen will. Die Kammer meint, der Klage stehe § 87 InsO entgegen, wonach Insolvenzgläubiger ihre Forderungen nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren geltend machen können.


Gegen das Urteil des Landgerichts G. vom 20.02.2013 hat die Beklagte Berufung eingelegt.


In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vom 06.11.2013 ist die Beklagte nicht aufgetreten. Der Senat hat daraufhin ihre Berufung auf Antrag der Klägerin mit Versäumnisurteil vom 06.11.2013 zurückgewiesen. Gegen das ihr am 12.11.2013 zugestellte Versäumnisurteil hat die Beklagte am 26.11.2013 Einspruch eingelegt.


Mit ihrer Berufung begehrt die Beklagte weiterhin die vollständige Klageabweisung. Sie greift das landgerichtliche Urteil mit folgenden Argumenten an:


Das Landgericht habe verkannt, dass individuelle Verrechnungsvereinbarungen, die noch am Tage der Insolvenzeröffnung wiederholt werden, rechtlich wirksam seien, Vorrang gegenüber einem vertraglich vereinbarten Aufrechnungsverbot hätten und ihrer Wirksamkeit auch § 96 InsO nicht entgegenstehe.


Die Kammer habe unberücksichtigt gelassen, dass der Kooperationsvertrag vom 01.05.2010 zu keinem Zeitpunkt von der Klägerin angefochten oder andersartig beendet oder für erledigt erklärt worden ist. Aufgrund des Fortbestandes dieser Vereinbarung entfalteten auch die in ihm verankerten Aufrechnungsbefugnisse der Beklagten weiterhin Geltung, zumal die Klägerin ihrerseits auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens Ansprüche aus der Abrede vom 01.05.2010 herleite.


Ferner wirft die Beklagte dem Landgericht vor, aus dem zutreffend dargestellten Sachverhalt hinsichtlich der Abreden zwischen den Streitparteien die falschen rechtlichen Schlüsse gezogen zu haben. Der Mietvertrag sei erst nach Insolvenzeröffnung abgeschlossen worden. Von daher würden die früheren Absprachen über Verrechnungen und die Behandlung eingehender Kundengelder, von der Klägerin als Insolvenzverwalterin durch Abschluss des Mietvertrages vom 15.12.10 bestätigt, weiterhin gelten, unabhängig davon, ob die Klägerin vor der Insolvenzeröffnung als starke oder schwache vorläufige Insolvenzverwalterin gehandelt habe oder nicht. Dementsprechend komme es auch nicht darauf an, wann die einzelnen zur Aufrechnung gestellten Gegenansprüche entstanden seien.


Zu Unrecht habe das Landgericht der Beklagten auch vorgeworfen, nicht konkret dargelegt zu haben, wann Zahlungen der Kunden an den Schuldner bzw. die Klägerin erfolgt seien. Als Außenstehende habe die Beklagte gar keinen Einblick in diese Zahlungsvorgänge, könne mithin auch nicht wie vom Landgericht gefordert vortragen.  Hierzu behauptet sie, aufgrund der Zeitpunkte der anstehenden Reisen müssten nach dem 15.12.2010 in einem erheblichen Umfang Kundenzahlungen auf den von der Klägerin geführten Konten eingegangen sein.


Da die Aufrechnung mit den Gegenforderungen durchgreife, stünden dem Untergang der streitgegenständlichen Ansprüche auch nicht die erst später vorgenommenen Verrechnungen der Klägerin entgegen.


Die Abweisung der Hilfswiderklage greift die Beklagte mit ihrer Berufung nicht an.


Die Beklagte beantragt,


unter Aufhebung des Versäumnisurteils des Senats das Urteil des Landgerichts G. vom 20.02.2013 abzuändern und die Klage abzuweisen.


Die Klägerin beantragt,


das Versäumnisurteil aufrechtzuerhalten.


Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Hinsichtlich der Forderungen, die in der Zeit vor der Insolvenzeröffnung entstanden sind, beruft sie sich auf § 96 InsO. Damit könnten die Aufwendungsersatzansprüche im Volumen von 19.038,98 € von vornherein nicht zur Aufrechnung gestellt werden, da die entsprechenden Rechnungen vom 11.10.2010 und 10.12.2010 stammten, die zugrundeliegenden Forderungen daher vor der Insolvenzeröffnung entstanden sein müssten. Gleiches gelte hinsichtlich der Zahlung des Insolvenzversicherers in Höhe von 50.000,- €. Hinsichtlich der 72.778,48 € habe die Beklagte nicht im Einzelnen schlüssig dargelegt, welche Ansprüche vor dem 15.10.12 entstanden seien. Mangels Bestimmtheit könne daher die entsprechende Aufrechnung ebenfalls nicht durchgreifen. Die Klägerin stellt zudem in Abrede, dass sie mit der Beklagten eine Verrechnungsvereinbarung geschlossen habe. Sie weist außerdem darauf hin, dass eine solche Abrede auch gegen § 96 InsO verstoßen würde und daher unwirksam wäre. Die Klägerin bestreitet zudem, in ihrer Funktion als vorläufige Insolvenzverwalterin eine Verrechnungsvereinbarung geschlossen zu haben. Ferner vertritt sie die Ansicht, als Insolvenzverwalterin an derartige Abreden ohnehin nicht gebunden zu sein. Der Mietvertrag vom 15.12.10 sehe ein Aufrechnungsverbot vor. Abweichendes sei nicht vereinbart worden und wäre nach § 18 Abs. 1 des Vertrages formbedürftig gewesen. In ihrer Funktion als Insolvenzverwalterin habe die Klägerin lediglich mitgeteilt, möglicherweise selbst gegen Ansprüche der Beklagten aufrechnen zu wollen. Damit habe sie der Beklagten aber nicht das Recht einräumen wollen, entgegen § 96 InsO mit Forderungen, die vor der Insolvenzeröffnung entstanden seien, aufrechnen zu dürfen. Die Klägerin stellt auch in Abrede, dass der Beklagten Forderungen gegen sie zustehen. Insbesondere rügt sie, der Beklagtenvortrag sei nicht hinreichend substantiiert. Hinsichtlich der 72.778,48 € an behaupteten Kundenzahlungen an die Klägerin nach dem 14.10.2010 könne sich die Beklagte auch nicht darauf berufen, dass ihr die entsprechenden Unterlagen nicht zur Verfügung stünden. Die Zahlungen der Reisekunden nebst Datum des Zahlungseingangs lägen der Beklagten vor. Zum einen habe die Klägerin die entsprechenden Informationen der Beklagten mit Schreiben vom 19.04.12 gegeben und zum anderen auch mit der Anlage K 13 in den Prozess eingeführt. Im Übrigen müsse die Beklagte im Einzelnen darlegen und beweisen, welche Reisen sie aufgrund der Kooperationsvereinbarung vom 01.05.10  für den Schuldner bzw. die Klägerin durchgeführt habe. Entsprechenden Vortrag habe sie erstinstanzlich nicht gehalten. Neuer Vortrag wäre präkludiert. Im Übrigen wären etwaige Gegenansprüche durch die Aufrechnung der Klägerin vom 19.04.2012 (Anlage K 13) untergegangen.


Aus den Gründen


II.


Die Beklagte hat gegen das Versäumnisurteil des Senats vom 06.11.2013 form- und fristgerecht Einspruch eingelegt, § 539 Abs. 3, §§ 338 ff. ZPO.


Das Versäumnisurteil des Senats, mit dem die Berufung der Beklagten zurückgewiesen wurde, ist aufrechtzuerhalten (§ 539 Abs. 3, § 343 ZPO). Die Berufung der Beklagten ist zwar zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Die dem Grunde und der Höhe nach unstreitigen Mietzins- bzw. Entschädigungsansprüche der Klägerin sind nicht durch Aufrechnung nach § 389 BGB untergegangen.


1. Die Beklagte rechnet mit Aufwendungen für Reparaturen und Anschaffungen sowie Barauslagen im von ihr behaupteten Gesamtvolumen von 19.038,98 € auf. Sie verweist hierzu auf die Aufstellung in Anlage 1 des Schriftsatzes vom 28.11.2011. Unabhängig davon, dass die dort aufgeführten Einzelpositionen in Summe nur einen Betrag in Höhe von 18.498,98 € ergeben, lässt sich diesem Schriftstück entnehmen, dass die entsprechenden Einzelrechnungen vor dem 15.12.2012 ausgestellt worden sind. Es handelt sich mithin um Insolvenzforderungen. Da die eingeklagten Ansprüche jedoch erst nach der Insolvenzeröffnung entstanden sind, liegt ein Fall des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO vor, worauf das Landgericht zu Recht hingewiesen hat. Die hiergegen gerichteten Berufungsangriffe greifen nicht durch.


a) Selbst wenn der Vortrag der Beklagten zutrifft, die Klägerin in ihrer Funktion als vorläufige Insolvenzverwalterin habe die Beklagte gebeten, die Investitionen zu tätigen, greift § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO ein. Denn ausweislich des Beschlusses des Amtsgerichts G. vom 14.10.2010, durch den die vorläufige Insolvenzverwaltung angeordnet wurde, wurde dem Schuldner kein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt. Mithin griff § 22 Abs. 1 InsO nicht ein. Die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis ging nicht auf die Klägerin als vorläufige Insolvenzverwalterin über. Damit zählen die Verbindlichkeiten, die von der Klägerin in ihrer Funktion als vorläufige Insolvenzverwalterin begründet worden sind, auch nicht als Masseverbindlichkeiten im Sinne § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO, für die die §§ 94 ff. InsO nicht gelten (vgl. Kroth, in: Braun, InsO, 5. Aufl., § 96 Rn. 3 f.).


b) Soweit sich die Beklagte auf Abreden aus der Zeit vor der Insolvenzeröffnung beruft, sei es im Hinblick auf die Kooperationsvereinbarung mit dem Schuldner, sei es auf Vereinbarungen mit der Klägerin als vorläufiger Insolvenzverwalterin, kann sie von vornherein nicht gehört werden. Verrechnungsvereinbarungen zwischen einem Gläubiger und dem späteren Insolvenzschuldner haben keinen Einfluss auf die Anwendung der §§ 94 ff. InsO (Brandes/Lohmann, in: MüKo-InsO, 3. Aufl. 2013, § 96 Rn. 4, mit Hinweisen zur BGH-Rechtsprechung). Gleiches gilt auch, soweit ein "schwacher" Insolvenzverwalter entsprechende Vereinbarungen geschlossen hat.


c) Entgegen der Ansicht der Beklagten kann die Vorgabe des § 96 InsO auch nicht vollständig durch eine Parteivereinbarung abbedungen werden. Das Landgericht hat es von vornherein für ausgeschlossen gehalten, dass die Klägerin in ihrer Funktion als Insolvenzverwalterin - wie klägerseits behauptet - wirksam eine entsprechende Verrechnungsvereinbarung mit der Beklagten eingegangen ist. Nach Ansicht der Kammer steht dem § 96 Abs. 1 InsO als zwingendes Recht entgegen. Das Landgericht stützt sich dabei auf die Kommentierung von Brandes, in: MüKo-InsO, 2. Aufl. 2007, § 96 Rn. 4, der seinerseits als Beleg das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 03.06.1981 - VIII ZR 171/80, NJW 1981, 2257, zitiert. Dort findet sich die Feststellung, dass § 55 KO, die Vorgängerbestimmung des § 96 InsO, zwingendes Recht ist. Hiervon gehen etwa auch Zeuner, in: Leonhardt/Smid/Zeuner, InsO, 3. Aufl., § 96 Rn. 1, sowie Lüke, in: Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 96 Rn. 60, aus.


Vorliegend kann offen bleiben, ob das in § 96 InsO enthaltene Aufrechnungsverbot so restriktiv dahingehend zu verstehen ist, dass es dem Insolvenzverwalter schlechterdings verwehrt ist, im Rahmen einer Vereinbarung mit einem Insolvenzgläubiger dessen Altforderungen mit Verbindlichkeiten zu verrechnen, die der Insolvenzgläubiger erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist. So weisen Brandes/Lohmann, in: MüKo-InsO, 3. Aufl., § 96 Rn. 4, darauf hin, dass sich die Frage, ob der Insolvenzverwalter sich nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit einem Insolvenzgläubiger über die Aufrechenbarkeit einer Insolvenzforderung verständigen könne, nicht nach § 96, sondern vielmehr nach den Rechten und Pflichten (§ 80) sowie der Haftung (§§ 60, 61 InsO) des Insolvenzverwalters richte. Dementsprechend sei es dem Insolvenzverwalter grundsätzlich nicht verwehrt, einen Vergleich über eine Forderung der Masse zu schließen. Daher könne der Vergleich auch darin bestehen, die Aufrechnung gegen eine Masseforderung ganz oder teilweise anzuerkennen.


Selbst wenn man diesem Ansatz folgen würde, greift im vorliegenden Fall gleichwohl die Aufrechnungssperre des § 96 InsO ein. Zwingendes Recht ist § 96 InsO jedenfalls insoweit, als die Aufrechnung als einseitige Gestaltungserklärung des Insolvenzgläubigers per se kraft Gesetzes unwirksam ist. Selbst wenn es dem Insolvenzverwalter unbenommen bleiben sollte, in einem Vergleich die Aufrechnung gegen eine Masseforderung anzuerkennen bzw. die entsprechenden Forderungen miteinander zu verrechnen, so kann sich dies mit Blick auf den Schutzzweck des § 96 InsO doch stets nur auf ganz konkret bezeichnete Gegenforderungen des Insolvenzgläubigers beziehen, die aus der Zeit vor der Insolvenzeröffnung stammen. Es muss zum Zeitpunkt der Vereinbarung feststehen, welche Ansprüche gegeneinander aufgerechnet bzw. miteinander verrechnet werden. Allenfalls unter diesen Voraussetzungen könnte der Insolvenzverwalter aus den von Brandes und Lohmann genannten Gründen einen Handlungsspielraum haben. Keinesfalls mit § 96 InsO vereinbar wäre jedoch eine Abrede, durch die es der Insolvenzverwalter dem Insolvenzgläubiger freistellt, zu einem beliebigen späteren Zeitpunkt mit irgendwelchen Gegenforderungen, die aus der Zeit vor der Insolvenzeröffnung stammen, aufzurechnen. Denn damit wäre der Schutzzweck des § 96 InsO ausgehöhlt.


Dies zugrunde gelegt, scheitert die beklagtenseits erklärte Aufrechnung an der Vorgabe des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO.


aa) Da die Aufwendungen ausweislich der Rechnungen (vgl. Anlage 1 zum Schriftsatz vom 28.11.2011) vor der Insolvenzeröffnung angefallen sind, muss die von der Beklagten behauptete entsprechende Verrechnungsabrede ebenfalls vor der Insolvenzeröffnung getroffen worden sein, wie sich der Klageerwiderung, dort S. 5, entnehmen lässt. Auf eine in diesem Zeitraum getroffene Abrede kann sich ein Insolvenzgläubiger jedoch  - wie oben dargelegt - wegen § 96 InsO nicht mit Erfolg berufen.


bb) Auch in ihrem Schriftsatz vom 20.04.12 bezieht sich die Beklagte primär auf Gespräche, die am 13.10. oder 14.10.2010 in den Geschäftsräumen des Insolvenzschuldners geführt worden sein sollen, bei denen die Klägerin den Eindruck vermittelt habe, sie sei "primär an der Sicherstellung der Fortführung des Unternehmens unter Einbeziehung der Beklagten und der Abwendung von Schäden für die Reisekunden interessiert". Weitere Angaben zum konkreten Inhalt von Absprachen macht die Beklagte in diesem Zusammenhang nicht. Anlässlich des Abschlusses des Mietvertrages am 15.12.10 sei "ausdrücklich darüber gesprochen und von der Klägerin bestätigt worden, dass weiterhin für die Beklagte die Möglichkeit bestehe, mit ihren Ansprüchen aus der besprochenen und vereinbarten Durchführung der Reisen Verrechnungen vorzunehmen". Hier ist jedoch nicht von einer konkreten Verrechnung der Mietzinsforderungen mit  Aufwendungsersatzansprüchen wegen Reparaturen etc. die Rede. Bereits nach dem Vortrag der Beklagten gab es mithin keine genaue Abrede darüber, welche bestimmten Gegenforderungen der Beklagten mit den Mietzinsforderungen der Klägerin verrechnet werden sollten. Das von der Beklagten behauptete generelle Einverständnis der Klägerin mit Aufrechnungen, die die Beklagte zu einem späteren Zeitpunkt vornehmen wollte, ist jedoch - wie oben dargelegt - keinesfalls mit § 96 InsO vereinbar, selbst wenn man wie Brandes/Lohmann, a.a.O., davon ausgeht, dass es dem Insolvenzverwalter unbenommen bleibt, im Rahmen eines Vergleichsschlusses Forderungen, die der Insolvenzgläubiger erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist, mit dessen Altforderungen zu verrechnen.


2. Die Beklagte rechnet ferner mit Zahlungsansprüchen wegen von ihr erbrachter Reiseleistungen auf, bei denen der Insolvenzschuldner bzw. die Klägerin die Kundenzahlungen vereinnahmt haben. Als Anspruchsgrundlage kommt zum einen § 4 des Kooperationsvertrages in Betracht. Nach dessen Absatz 1 sollen "bei allen von R. angebotenen und veranstalteten Reisen die Zahlungen der Kunden ausschließlich R. in voller Höhe zustehen und unmittelbar an R. zu leisten bzw. weiterzuleiten" sein. Weiter legt Absatz 2 Satz 1 fest, dass "alle bei S. eingehenden Kundenzahlungen für Reisen, die von R. veranstaltet werden bzw. worden sind, von S. ausschließlich treuhänderisch für R. vereinnahmt und gehalten werden". Diese Zahlungen sollen "unmittelbar - spätestens am 15. bzw. 30. eines jeden Monats [...] - an R. weiter[geleitet]" "oder mit Leistungen die S. für R. erbringt verrechnet" werden. Ferner heißt es in Absatz 2 Satz 2: "Alle eingehenden Zahlungen stehen unmittelbar R. zu".


Als weitere Anspruchsgrundlage könnte die (mündliche) Vereinbarung heranzuziehen sein, die im Oktober 2010 getroffen worden ist und von der die Beklagte behauptet, dass die Beklagte sie beim Abschluss des Mietvertrages und auch danach noch mehrfach bestätigt habe. Danach - so Seite 3 des angefochtenen Urteils - war man sich einig, dass "die bei dem Schuldner gebuchten Reisen von der Beklagten übernommen und durchgeführt werden sollten". Auf Konten des Schuldners bzw. der Klägerin als vorläufige Insolvenzverwalterin eingehende Kundenzahlungen habe die Beklagte erhalten sollen.


Letztlich kann aber offen bleiben, welche Anspruchsgrundlage einschlägig wäre, denn soweit es sich um Ansprüche handelt, die vor der Insolvenzeröffnung entstanden sind, steht der Aufrechnung - wie aufgezeigt - § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO entgegen. Die Beklagte ist zudem einen schlüssigen Vortrag schuldig geblieben, welche konkreten Einzelansprüche nach Insolvenzeröffnung entstanden sind, für die die Aufrechnungssperre des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO nicht gilt.


a) Dass es Verrechnungen vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und dem Abschluss des streitgegenständlichen Mietvertrages gegeben hat, die mit Zustimmung der Klägerin als vorläufiger Insolvenzverwalterin erfolgten, ist durch die Anlage K 11 belegt und wird auch von der Klägerin nicht in Abrede gestellt. Die Klägerin bestreitet jedoch, mit der Beklagten nach Insolvenzeröffnung eine Absprache hinsichtlich der Verrechnung von Forderungen der Beklagten mit den Mietzinsansprüchen der Klägerin getroffen zu haben. Wie oben ausgeführt, könnte die Beklagte mit Altansprüchen - sieht man von dem Aufrechnungsverbot im Mietvertrag einmal ab - wegen § 96 InsO aber allenfalls dann aufrechnen, wenn eine konkrete Verrechnungsvereinbarung nach Insolvenzeröffnung geschlossen worden wäre. Der Beklagten obliegt insoweit die Darlegungs- und Beweislast (vgl. Brandes/Lohmann, a.a.O. § 96 Rn. 5). Wie bereits dargelegt, fehlt es jedoch an einem entsprechenden Beklagtenvortrag. Dementsprechend kam auch eine Vernehmung der von der Beklagten erstinstanzlich benannten Zeugen S., K. S. und T. hinsichtlich der Behauptung, anlässlich des Mietvertragsabschlusses habe die Klägerin bestätigt, dass weiterhin eine Verrechnung möglich sein solle, nicht in Betracht.


b) Unabhängig davon sprechen auch die weiteren Umstände gegen das Vorliegen einer konkreten Verrechnungsvereinbarung. Denn der streitgegenständliche Mietvertrag, bei dessen Abschluss die Klägerin bestätigt haben soll, dass weiterhin Verrechnungen möglich sein sollen, enthält in § 8 ein Aufrechnungsverbot. Zudem sieht  § 18 Abs. 1 Satz 2 vor, dass "Änderungen und Ergänzungen [des Mietvertrages] der Schriftform" bedürfen, was - so Satz 3 - auch für die Aufhebung des Schriftformerfordernisses gilt. Ebenso zeigt auch die von der Beklagten vorgelegte Anlage 1 zum Schriftsatz vom 20.04.2012 (Bl. 97), dass es im Zusammenhang mit  dem Abschluss des Mietvertrages zu keiner konkreten Verrechnungsabrede gekommen ist. Entgegen der Ansicht der Beklagten enthält dieses Schreiben gerade keine Aufrechnungserklärung der Beklagten gegenüber der Klägerin. Unabhängig davon, dass eine wirksame Aufrechnung an der fehlenden Bestimmtheit scheitern würde - es ist unklar, auf welche Forderungen genau sich wechselseitig die Verrechnungen beziehen sollen -, ist es auch nicht so, dass der Geschäftsführer der Beklagten die Aufrechnung erklärt hat. Vielmehr bittet er die Klägerin, ihrerseits eine Verrechnung vorzunehmen. Zudem geht es nur um Reiseleistungen, die „erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch die R. erbracht wurden".


Ferner sprechen auch die Emails der Beklagten an die Klägerin vom Mai und Juli 2011 (Anlagen K 15 bis 17), in denen die Beklagte versichert, dass die Mieten gezahlt werden bzw. beglichen worden sind, gegen das Vorliegen einer konkreten Verrechnungsvereinbarung.


c) Im Übrigen ist auch die Vereinbarung zwischen den Streitparteien vom 02.12.2010 (Anlage K 11)  zu berücksichtigen. Sie belegt, dass die Schuldnerin zum Stichtag in erheblichem Umfang Forderungen gegen die Beklagte hatte (149.940,- €), die aufgrund  mehrerer Reisen entstanden waren, die die Schuldnerin für die Beklagte durchgeführt hatte (vgl. die Rechnungen vom 23.11.2010 (Anlage K 10). Die Parteien einigten sich seinerzeit darauf, das Aufrechnungsverbot, das nach § 4 Abs. 3 der Kooperationsvereinbarung zu Lasten der Schuldnerin bestand, aufzuheben. Dementsprechend rechnete die Schuldnerin mit einem Teil ihrer Forderungen gegen Forderungen der Beklagten im Werte von 25.289,55 € auf. Ausweislich der Vereinbarung vom 02.12.2010 beruhten die Forderungen der Beklagten auf Kundenzahlungen "auf Altkonten S.". Soweit die Beklagte somit auch mit Forderungen aus Kundenzahlungen aufrechnen will, die vor dem 15.12.2010 auf Konten der Schuldnerin eingegangen sind, müsste sie diejenigen Zahlungen abziehen, die von der Aufrechnungsabrede vom 02.12.2010 erfasst waren. Auch insoweit fehlt es an einem nachvollziehbaren Vortrag der Beklagten.


3. Die Beklagte kann auch nicht mit Erfolg mit dem von ihr geltend gemachten Anspruch auf Auszahlung der Ersatzleistung des Insolvenzversicherers aufrechnen. Die von der Beklagten behaupteten Absprachen erfolgten vor Insolvenzeröffnung.  An dem Vertrag mit dem Insolvenzversicherer Z. plc. vom 21.10.2010 (Anlage K 8) war die Beklagte nicht beteiligt. Man verständigte sich seinerzeit dahingehend, dass ein Treuhänder nach Freigabe durch die Versicherung Ansprüche von Leistungserbringern befriedigen sollte (Nr. 4 der Vereinbarung). Das Landgericht hat in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hingewiesen, dass die 50.000,- €, auf die die Beklagte Anspruch erhebt, noch vor Insolvenzeröffnung auf das Konto der Klägerin in ihrer Funktion als vorläufige Insolvenzverwalterin fließen sollten, wie sich aus Nr. 2 des Vertrages ergibt. Selbst wenn die Beklagte aufgrund der im Oktober 2010 mit dem Schuldner getroffenen Absprache einen Anspruch auf diese 50.000,- € hätte, wäre er vor der Insolvenzeröffnung begründet worden, so dass auch insoweit § 96 InsO zum Tragen käme.


4. Soweit die Beklagte mit Ansprüchen aufrechnet, die nach Insolvenzeröffnung aufgrund von Kundenzahlungen für Reiseleistungen der Beklagten entstanden sind, steht dem § 96 InsO nicht entgegen. Soweit ersichtlich, leitet die Beklagte ihre Ansprüche auch insoweit aus § 4 Abs. 2 der Kooperationsvereinbarung bzw. aus der Oktoberabsprache her. Gleichwohl scheitert die Aufrechnung aus mehreren Gründen:


a) Eine Aufrechnung setzt voraus, dass klar ist, mit welcher Forderung gegen die Hauptforderung aufgerechnet wird. Dies ist aber vorliegend nicht möglich. Bereits dem schon erwähnten außergerichtlichen Schreiben der Beklagten an die Klägerin vom 14.07.2011 (Anlage 1 zum Beklagtenschriftsatz vom 20.04.2012) mangelt es an einer hinreichenden Bestimmtheit.


b) Die Beklagte beruft sich auf nach dem 15.10.2010 bei der Klägerseite eingegangene 72.778,48 € aus Kundenzahlungen. Da sie aber - sieht man von dem im Mietvertrag enthaltenen Aufrechnungsverbot einmal ab - nur mit Ansprüchen für Leistungen aufrechnen kann, die sie seit Insolvenzeröffnung erbracht hat, müsste sie darlegen, in welcher Höhe ihr  für welche Leistungen Ansprüche zustehen. Solchen Vortrag hat sie jedoch nicht gehalten.


Sie kann sich in diesem Zusammenhang auch nicht darauf berufen, sie könne die erforderlichen Angaben nicht machen, da sich die entsprechenden Daten nicht bei ihr befänden. Zum einen hat die Klägerin ihr mit Schreiben vom 19.04.2012 (Anlage K 13) die entsprechenden Unterlagen übermittelt. Zum anderen war es die Beklagte selbst, die die Reisen abgewickelt hat. Von daher muss sie auch selbst wissen, für welche Reisen ihr Zahlungsansprüche gegen die Klägerin zustehen.


c) Des weiteren müsste die Beklagte auch im Einzelnen vortragen und belegen, dass sie die Reisen, für die sie Gegenansprüche geltend macht, auch tatsächlich erbracht hat. Auch insoweit fehlt es an entsprechendem Vortrag.


Die Beklagte trägt als unterliegende Partei auch die weiteren Kosten des Berufungsverfahrens, § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, § 709 Satz 2 und 3, § 711 ZPO.


Die Revision war nicht zuzulassen. Die vorliegende Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 ZPO).

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