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Wirtschaftsrecht
02.02.2012
Wirtschaftsrecht
LG Heidelberg: Aufklärungspflicht der beratenden Bank über das allgemeine Emittentenrisiko

LG Heidelberg, Urteil vom 17.1.2012 - 2 O 144/11

Leitsatz

1. Über die generelle Abhängigkeit der Rückzahlung des empfohlenen Zertifikats von der Bonität der Emittentin bzw. Garantiegeberin (sog. allgemeines Emittentenrisiko) muss die beratende Bank auch dann aufklären, wenn dem Anleger zu einem früheren Zeitpunkt ohne Bezug zur konkreten Anlageberatung eine mehr als 150 Seiten umfassende Informationsbroschüre mit allgemeinen Hinweisen zu Wertpapieren ("Basisinformationen über Vermögensanlagen in Wertpapieren") übergeben wurde. Denn es kann schon nicht unterstellt werden, dass ein durchschnittlicher Anleger und Bankkunde eine derart umfangreiche Broschüre vollständig durchliest. Erst recht kann nicht erwartet werden, dass ihm die in der Broschüre enthaltenen Informationen zu einer Vielzahl von komplexen Anlageprodukten in dem späteren Beratungsgespräch noch so präsent sind, dass er keiner weiteren Aufklärung über die für die konkrete Anlageentscheidung bedeutsamen Umstände und insbesondere über die Produktrisiken mehr bedarf.

2. Die Pflicht der beratenden Bank zur Aufklärung über das allgemeine Emittentenrisiko entfällt auch regelmäßig nicht, wenn ein Anleger bereits früher Zertifikate erworben hatte und ihm bei diesen früheren Zertifikatskäufen von der beratenden Bank schriftliche Produktinformationen übergeben wurden. Denn die Bank darf nicht ohne weiteres unterstellen, dass der Anleger bei den vorausgegangen Zertifikatskäufen richtig und vollständig aufgeklärt wurde und die ihm zur Verfügung gestellten schriftlichen Produktinformationen gelesen und verstanden hat. Insbesondere dann, wenn die frühere Beratung von einem anderen Berater oder Institut gemacht wurde, muss zudem in Rechnung gestellt werden, dass der Anleger falsch beraten wurde und aus diesem Grund - trotz der Übergabe eines richtig und vollständig informierenden Prospekts - eine falsche Vorstellung von den Produktrisiken und sonstigen für die Anlageentscheidung bedeutsamen Umständen hat.

3. Bei einem konservativen und sicherheitsorientierten Anleger, der über das allgemeine Emittentenrisiko nicht aufgeklärt wurde, kann regelmäßig nicht angenommen werden, dass er bei ordnungsgemäßer Aufklärung in einen Entscheidungskonflikt geraten wäre. Für ihn gilt daher die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens. Dass er bereits früher Zertifikate erworben hatte, vermag diese Vermutung ebenso wenig zu entkräften wie die Tatsache, dass die Insolvenz einer Großbank vor der Lehman-Pleite für unwahrscheinlich gehalten wurde.

sachverhalt

1

Die Klägerin beansprucht von der Beklagten aus abgetretenem Recht ihres Ehemannes Dr. K.D. Schadensersatz wegen fehlerhafter Anlageberatung im Zusammenhang mit dem Erwerb von Lehman-Zertifikaten.

2

Der Zedent und Zeuge Dr. K.D. ist seit 2005 Kunde der Beklagten. Am 08.02.2006 eröffnete der Zedent ein Wertpapierdepot bei der Beklagten. Am 30.08.2006 beauftragte der Zedent die Beklagte mit der Einziehung seines Wertpapierdepots bei der D-Bank Mannheim. Im eingezogenen Depot befanden sich seinerzeit 150 Stücke eines von der C-Bank emittierten Zertifikats (WKN ...). Der Wert des eingezogenen Depots, in dem sich ganz überwiegend Aktien und Fondsanteile befanden, betrug zum 31.12.2006 insgesamt 92.924,76 EUR (Jahresdepotauszug, Anlage B 5). Bei Eröffnung des Wertpapierdepots am 08.02.2006 erstellte der damals für den Zedenten zuständige Kundenberater der Beklagten M.W. ein Risikoprofil (Anlage B 5 a). Dieses Risikoprofil weist den Zedenten als konservativen und sicherheitsorientierten Anleger aus. Am 31.05.2007 führte der Zedent ein Beratungsgespräch mit dem Kundenberater O.G., bei dem der Zeuge G. ein weiteres Risikoprofil (Anlage B 9) erstellte. In diesem Risikoprofil beantwortete der Zedent die vorgegebenen fünf Fragen zu seiner Risikoeinstellung in gleicher Weise wie im Risikoprofil vom 08.02.2006. Gleichwohl wurde die Anlagestrategie in dem neuen Risikoprofil nicht mehr als „konservativ", sondern als „ausgewogen" bezeichnet. Im Anschluss an das Beratungsgespräch vom 31.05.2007 entschied sich der Zedent auf Empfehlung des Zeugen G. am 05.06.2007 zum Verkauf von Fondsanteilen und zum Erwerb von 50 Stücken einer von der S. emittierten Anleihe mit Kapitalschutz (Alpha Express Anleihe mit der WKN ...). In dem Beratungsgespräch waren dem Zedenten die Produktinformationen zu dieser Anleihe (Anlage B 8) übergeben worden. Am 06.09.2007 führte der Zedent ein weiteres Beratungsgespräch mit dem Zeugen G., bei dem der Zeuge G. ein nicht kapitalgeschütztes, aber mit einem Risikopuffer von 50 % ausgestattetes Zertifikat der C1-Bank (Bonus Express Defensiv 6 Zertifikat mit der WKN ...) empfahl. Am 24.09.2007 schickte der Zeuge G. dem Zedenten die Produktinformationen zu diesem Zertifikat (Anlage B 10) zu. Am 08.10.2007 erwarb der Zedent daraufhin 50 Stücke dieses Zertifikats. Ende 2007 investierte der Zedent noch insgesamt 150.000,00 EUR in einen konservativen Geldmarktfonds und in eine Festgeldanlage (im Einzelnen: AS 175).

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Am 11.04.2008 führte der Zedent ein Beratungsgespräch mit seinem neuen Kundenberater, dem Zeugen H.D.. In diesem Gespräch erstellte der Zeuge D. ein neues Risikoprofil (Anlage K 9 und B 14), in dem die Anlagestrategie des Zedenten mit „Ertrag" gekennzeichnet wurde. Während bei diesem Risikoprofil wie bei allen früheren Risikoprofilen von drei zur Auswahl gestellten hypothetischen Anlageformen durch Ankreuzen die mittlere Variante mit einer Rendite von - 5 % bis 12 % gewählt wurde, wurden die Kreuze in den Leerkästchen zu den vorgegebenen fünf Fragen zur Risikoeinstellung des Zedenten erstmals in der Weise anders gesetzt, dass die Zustimmung des Zedenten zu einer sicherheitsorientierten Einstellung bei allen Fragen gegenüber den früheren Risikoprofilen jeweils um eine Stufe abgeschwächt wurde. Die Fragen wurden nun in der Weise beantwortet, dass jeweils das Leerkästchen mit der zweithöchsten Zustimmung zu einer sicherheitsorientierten Anlagestrategie angekreuzt wurde. In dem Beratungsgespräch empfahl der Zeuge D. dem Zedenten den Erwerb von Alpha Express Zertifikaten (WKN A0V4E1; Produktinformationen Anlage B 16) der Emittentin Lehman Brothers Treasury Co. B.V. (nachfolgend: Lehman-Zertifikate). Diese Zertifikate waren nicht kapitalgeschützt, aber mit einem Sicherheitspuffer von 4 % pro Jahr (am abschließenden Bewertungstag 30.04.2013 also 20 %) ausgestattet. Unmittelbar im Anschluss an das Beratungsgespräch erwarb der Zedent 100 Stücke der ihm empfohlenen Lehman-Zertifikate für insgesamt 102.000,00 EUR einschließlich eines Ausgabeaufschlags von 2 % je Zertifikat. Infolge der Insolvenz der Emittentin und des Bankhauses Lehman Brothers geht die Klägerin von einem Totalverlust der von dem Zedenten erworbenen Lehman-Anlage aus.

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Die Klägerin trägt vor,

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zum Beratungsgespräch am 11.04.2008 sei es gekommen, weil der Zedent nach dem Auslaufen einer Festgeldanlage für ein Jahr eine Neuanlage für sein Kapital gesucht habe, das aus dem Verkauf seiner Arztpraxis herrühre. Der Zedent habe dem Zeugen D. mitgeteilt, dass er sein Anlageverhalten seit dem Verkauf seiner Arztpraxis konservativ ausrichten würde, weil ihm keine Einnahmen aus der selbständigen Tätigkeit mehr zur Verfügung stünden. Der Zeuge D. habe dem Zedenten zur Umsetzung seines konservativen Anlageverhaltens schon im Oktober und November 2007 Zertifikate als besonders sichere und trotzdem ertragreiche Papiere empfohlen. Demzufolge sei der Zedent grundsätzlich interessiert gewesen, als der Zeuge D. ihm Lehman-Zertifikate empfohlen habe. Der Zeuge D. habe die Funktionsweise der Zertifikate erläutert und ergänzend auf die dem Zedenten erst im Anschluss an das Beratungsgespräch und die Order überlassenen Produktinformationen verwiesen. Der Zeuge D. habe die Zertifikate als sicheres Engagement bezeichnet und den Zedenten weder auf das konkrete Emittentenrisiko im Falle von Lehman Brothers noch auf das einem Zertifikat grundsätzlich immanente Emittenten- bzw. Bonitätsrisiko hingewiesen. Es sei lediglich ein mögliches Kursrisiko besprochen worden, dieses sei aber durch den Sicherheitspuffer wieder relativiert worden. Über den von der Beklagten erhobenen Ausgabeaufschlag von 2 % sei der Zedent informiert worden, nicht aber über die von der Beklagten weiter generierten Vertriebsgebühren von 34,00 EUR pro Zertifikat. Eine von den früheren Risikoprofilen abweichende Risikoeinstellung habe der Zedent am 11.04.2008 gegenüber dem Zeugen D. nicht kommuniziert. Vielmehr sei die konservative Risikoeinstellung des Zedenten am 11.04.2008 unverändert geblieben. Über das einem Zertifikat grundsätzlich immanente Emittenten- bzw- Bonitätsrisiko sei der Zedent auch nicht bei den früheren Zertifikatserwerben von dem Zeugen G. aufgeklärt worden. Soweit dem Zedenten die Produktinformationen zur Alpha Express Anleihe (Anlage B 8) und zum Bonus Express 6 Zertifikat (Anlage B 10) überlassen worden seien, finde sich auch darin kein Hinweis auf das bei Zertifikaten bestehende Totalverlustrisiko. Die Basisinformationen über Vermögensanlagen in Wertpapieren (Anlage K 16) seien dem Zedenten zu keiner Zeit übergeben worden.

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Die Beratung des Zedenten sei nicht anleger- und objektgerecht gewesen. Insbesondere sei der Zedent nicht auf das Risiko eines Totalverlustes der Anlage hingewiesen worden. Der Zedent sei weder auf das Emittentenrisiko noch auf die fehlende Einlagensicherung hingewiesen worden. Ihm sei auch nicht gesagt worden, dass die eigentliche Emittentin eine niederländische Briefkastenfirma gewesen sei, die hauptsächlich als Finanzierungsgesellschaft für andere Lehman-Gesellschaften fungiert und keine Sicherheiten zur Befriedigung der Verbindlichkeiten aus den emittierten Wertpapieren gebildet habe (im Einzelnen: AS 75 ff.). Im März 2008 sei in einschlägigen Fachzeitschriften bereits offen über Liquiditätsprobleme bei Lehman Brothers spekuliert worden (im Einzelnen: AS 97 ff.). Die Beklagte hätte den Zedenten auch über die von ihr vereinnahmten Vertriebsgebühren aufklären müssen. Aus der Effektenabrechnung (Anlage K 10) ergebe sich, dass die Zertifikate im Kommissionsgeschäft vertrieben worden seien, so dass eine aufklärungspflichtige Rückvergütung vorliege.

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Mit Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Stuttgart vom 03.05.2011 (Gesch.-Nr.: 11-8987156-0-3), zugestellt am 05.05.2011, ist die Beklagte im vorausgegangenen Mahnverfahren ohne Zug um Zug-Vorbehalt zur Zahlung von 102.000,00 EUR nebst Zinsen verurteilt worden. Am 03.05.2011 (Eingangsdatum) hat die Beklagte gegen den vorausgegangen Mahnbescheid vom 07.04.2011 Widerspruch eingelegt, den das Mahngericht als Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid behandelt hat.

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Die Klägerin beantragt,

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den Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Stuttgart vom 03.05.2011 aufrecht zu erhalten.

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Die Beklagte beantragt,

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den Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Stuttgart aufzuheben und die Klage abzuweisen.

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Die Beklagte trägt vor,

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der Zedent habe schon vor Eröffnung seines Wertpapierdepots bei der Beklagten Erfahrungen mit Wertpapiergeschäften gemacht. Am 08.02.2006 seien ihm die Basisinformationen über Wertpapiere ausgehändigt worden. Bereits in den Gesprächen vom 31.05.2007 und vom 06.09.2007, die den Käufen der Alpha Express Anleihe der Emittentin S. und des Bonus Express Zertifikats der Emittentin C1-Bank vorausgegangen seien, sei der Zedent von dem Zeugen O.G. über die Risiken der jeweiligen Zertifikate und insbesondere über das Emittentenrisiko aufgeklärt worden. Entsprechende Hinweise hätten sich auch aus den dem Zedenten überlassenen Produktflyern ergeben. In dem Beratungsgespräch vom 11.04.2008 habe der neue Kundenberater des Zedenten, der Zeuge H.D., ein weiteres Risikoprofil angefertigt, nachdem die Erstellung des letzten Risikoprofils vom 31.05.2007 bereits knapp elf Monate zurückgelegen habe. Wie sich aus dem neu erstellten Risikoprofil ergebe, sei der Zedent nunmehr bereit gewesen, höhere Risiken zu akzeptieren, um höhere Ertragschancen zu wahren. Der Zeuge D. habe das Risikoprofil gemeinsam mit dem Zedenten erstellt. Letzterer habe mit seiner Unterschrift die Richtigkeit und Vollständigkeit dokumentiert. Die Gesamtschau der Antworten des Zedenten habe eine zumindest mittlere Risikoeinstellung ergeben. Auch das Anlageverhalten des Zedenten in der Vergangenheit belege, dass dieser nicht als konservativer Anleger gelten könne. Die streitgegenständlichen Lehman-Zertifikate könnten nicht als hochspekulativ eingeordnet werden, sondern entsprächen dem Risikoprofil des Zedenten. In dem Beratungsgespräch seien dem Zedenten die Funktionsweise und Risiken der Anlage anhand des Produktflyers Punkt für Punkt erläutert worden. Danach sei ihm nicht nur der Produktflyer, sondern auch der ausführliche Verkaufsprospekt ausgehändigt worden. Schon durch die Übergabe des Produktflyers, der alle notwendigen Informationen über die Funktionsweise und Risiken des Zertifikats enthalte, habe die Beklagte ihre Aufklärungspflicht erfüllt. Der Zeuge D. habe den Zedenten aber auch mündlich über die Risiken des Zertifikats, namentlich über den fehlenden Kapitalschutz, das kursbedingte Verlustrisiko und das Bonitätsrisiko der Emittentin aufgeklärt.

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Die Beratung des Zedenten sei anleger- und objektgerecht gewesen. Der Zedent habe als erfahrener Anleger zudem nicht mehr umfassend aufgeklärt werden müssen. Die Risiken von Zertifikaten seien ihm schon aufgrund der früheren Zertifikatskäufe und der in diesem Zusammenhang geführten Beratungsgespräche und überlassenen Produktinformationen bekannt gewesen. Auf eine fehlende Einlagensicherung habe der Zedent nicht gesondert hingewiesen werden müssen, da er bereits über das Emittentenrisiko aufgeklärt worden sei. Im Übrigen könne angenommen werden, dass der Zedent sich in jedem Fall für das ihm empfohlene Zertifikat entschieden hätte, da dieses genau seinem Anlegerprofil entsprochen habe. Im Falle einer Aufklärungspflichtverletzung greife somit die Vermutung aufklärungspflichtigen Verhaltens nicht zugunsten des Zedenten ein. Aufklärungspflichtige Rückvergütungen habe die Beklagte im Zusammenhang mit der streitgegenständlichen Anlageempfehlung nicht erhalten, da die Zertifikate im Wege eines Festpreisgeschäfts veräußert worden seien. Über ihre dabei erzielte Gewinnmarge habe die Beklagte den Zedenten nicht aufklären müssen. Gleichwohl sei der Zedent sowohl mündlich als auch im Produktflyer auf den erhobenen Ausgabeaufschlag und die Vertriebsgebühr hingewiesen worden.

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Da Lehman Brothers von den führenden Ratingagenturen eine sichere Bonität bescheinigt worden sei, sei ein Ausfall der Garantiegeberin im Zeitpunkt der Anlageempfehlung unwahrscheinlich gewesen. Im Zeitpunkt der Anlageempfehlung habe es noch keine Anzeichen für Zahlungsschwierigkeiten oder eine bevorstehende Insolvenz von Lehman Brothers gegeben. Selbst bis September 2008 sei mit einem Zusammenbruch der Emittentin bzw. der Garantiegeberin nicht zu rechnen gewesen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Das Gericht hat gemäß Verfügung vom 28.07.2011 (AS 283) und gemäß Beweisbeschluss vom 08.11.2011 (AS 465 ff.) Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen Dr. K.D., H.D. und O.G.. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschriften vom 04.10.2011 und 20.12.2011 Bezug genommen.

aus den gründen

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Die Klage ist zulässig und weitgehend begründet. Der Vollstreckungsbescheid war daher auf den rechtzeitigen Einspruch der Beklagten mit den aus dem Urteilstenor ersichtlichen Einschränkungen aufrecht zu erhalten.

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1. Die Klägerin hat gegen die Beklagte aus abgetretenem Recht des Zeugen Dr. K.D. gemäß §§ 280 Abs. 1, 398 BGB Anspruch auf Schadensersatz wegen fehlerhafter Anlageberatung in Höhe von 102.000,00 EUR, Zug um Zug gegen Übertragung der im Urteilstenor näher bezeichneten Lehman-Zertifikate.

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a. Durch die Beratungstätigkeit der Beklagten im Zusammenhang mit der Empfehlung und der anschließenden Zeichnung der Lehman-Zertifikate durch den Zedenten ist ein Anlageberatungsvertrag zwischen diesem und der Beklagten zustande gekommen. Nimmt ein Anlageinteressent bei einer konkreten Anlageentscheidung die Hilfe eines Kreditinstituts oder eines Beratungsunternehmens in Anspruch und lässt sich dieses auf eine Beratung ein, kommt auch ohne eine entsprechende ausdrückliche Abrede und ohne Vereinbarung eines Entgelts ein Beratungsvertrag zustande (Palandt/Grüneberg, BGB, 70. Aufl., § 280 Rn 47 m.w.N.). So liegen die Dinge im Streitfall. Unstreitig beriet die Beklagte den Zedenten durch ihren Mitarbeiter H.D. bei dem Erwerb der streitgegenständlichen Lehman-Zertifikate. Dabei nahm der Zedent die besondere Sachkunde des Zeugen D. in Anspruch, der eine Bewertung der Anlage vornahm und eine Empfehlung aussprach.

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b. Die Beklagte hat ihre Verpflichtung aus dem Anlageberatungsvertrag zur anleger- und objektgerechten Beratung (vgl. BGHZ 123, 126 Rn 14 ff., zitiert nach Juris; BGH NJW 2006, 2041 Rn 12, zitiert nach Juris) schuldhaft verletzt. Sie hat dabei gemäß § 278 BGB für das Verschulden ihres Kundenberaters D. einzustehen.

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aa. Zwar kann nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme und den gesamten Umständen nicht von einer Verletzung der Pflicht zur anlegergerechten Beratung ausgegangen werden. Anlegergerechte Beratung bedeutet, dass die Anlageempfehlung sich an den persönlichen Verhältnissen, den Anlagezielen und der Risikobereitschaft des Anlegers orientieren muss (Palandt/Grüneberg, BGB, 70. Aufl., § 280 Rn 48 m.w.N.). Dass die Empfehlung des Zeugen D. zum Kauf von Lehman-Zertifikaten dieser Vorgabe nicht entsprochen hätte, kann im Streitfall nicht angenommen werden.

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Allerdings musste der Zedent bis zum Beratungsgespräch vom 11.04.2008 aufgrund der in den Risikoprofilen vom 08.02.2006 (Anlage B 5 a) und 31.05.2007 (Anlage B 9) dokumentierten Beantwortung der Fragen zu seiner Risikoeinstellung als uneingeschränkt konservativer und sicherheitsorientierter Anleger gelten. Denn der Zedent hat sowohl am 08.02.2006 als auch am 31.05.2007 sämtliche Fragen zu seiner Risikoeinstellung in der Weise beantwortet, dass er jeweils das Leerkästchen mit der höchsten Zustimmung zu einer sicherheitsorientierten und risikoarmen Anlagestrategie angekreuzt hat. In Übereinstimmung mit der Beantwortung der Fragen zur Risikoeinstellung weist das Risikoprofil vom 08.02.2006 die zukünftige Anlagestrategie des Zedenten auch als „konservativ" aus. Dass das Risikoprofil vom 31.05.2007 die zukünftige Anlagestrategie des Zedenten mit dem Begriff „ausgewogen" umschreibt, steht im Widerspruch zu den in diesem Risikoprofil unverändert gebliebenen Antworten des Zedenten auf die Fragen zu seiner Risikoeinstellung und vermag daher an der Einordnung des Zedenten als konservativer Anleger nichts zu ändern.

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Ob einem Anleger, der seine Anlagestrategie wie der Zedent in den Risikoprofilen vom 08.02.2006 und 31.05.2007 ohne Wenn und Aber als risikoscheu und sicherheitsorientiert definiert hat, die Lehman-Zertifikate, die immerhin mit einem Kursverlustrisiko und dem Emittentenrisiko behaftet waren, empfohlen werden durften oder ob eine solche Empfehlung von vornherein als nicht anlegergerecht zu gelten hätte, kann hier dahinstehen. Denn im Streitfall wurde anlässlich der Beratung vom 11.04.2008 ein neues Risikoprofil (Anlage B 14) erstellt, in dem die Fragen zur Risikoeinstellung des Zedenten zwar immer noch in der Weise beantwortet wurden, dass jeweils das Leerkästchen mit der zweithöchsten Zustimmung zu einer sicherheitsorientierten Anlagestrategie angekreuzt wurde. Die Beantwortung der Fragen weist den Zedenten aber nicht mehr als uneingeschränkt konservativen Anleger aus, der Verlustrisiken in jedem Fall vermeiden will. Hinzu kommt, dass der Zedent vor der streitgegenständlichen Beratung bereits wiederholt Anleihen und Zertifikate erworben hatte, wobei zumindest die am 08.10.2007 erworbenen Zertifikate der C1-Bank keinen Kapitalschutz aufwiesen. Vor diesem Hintergrund musste der Zedent als Anleger gelten, der trotz seiner konservativen Ausrichtung am Erwerb von Zertifikaten grundsätzlich interessiert war. Dem Zeugen D., der das bisherige Anlegerverhalten des Zedenten aus den Depotumsätzen ersehen konnte, kann deshalb ein Beratungsfehler nicht schon deshalb vorgeworfen werden, weil er dem Zedenten den Erwerb weiterer Zertifikate empfahl.

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Dass die Änderung des Risikoprofils ohne Zutun des Zedenten erfolgt wäre, steht nach der Beweisaufnahme nicht fest. Es ist ebenfalls nicht bewiesen, dass der Zedent in dem Beratungsgespräch vom 11.04.2008 ausdrücklich nach einer Anlageform ohne jegliches Verlustrisiko verlangt hätte. Der Zedent hat in seiner Zeugenvernehmung vielmehr selbst eingeräumt, dass der Zeuge D. bei der Erstellung des Risikoprofils die Fragen mit ihm durchgegangen sei. Aus dem Gesprächsverlauf heraus habe der Zedent dann die Fragen mit „so" oder „weitgehend" beantwortet. Auch habe der Zedent nicht nach einer Festgeldanlage gefragt, weil ihm gesagt worden sei, dass bei Festgeld der Zins unter der Inflationsrate liege. Ihm sei es aber um eine Anlage gegangen, die einen Ertrag sichere, der über der Inflationsrate liege oder diese wenigstens ausgleiche. Schon aus dieser Aussage ergibt sich, dass der Zeuge D. das Risikoprofil, das der Zedent immerhin unterschrieben hat, mit diesem gemeinsam erstellt hat und dass die Beantwortung der Fragen zur Risikoeinstellung mit der Vorstellung des Zedenten von der für ihn geeigneten Anlageform durchaus übereinstimmt. Das Gericht bezweifelt daher nicht, dass die bei der Erstellung des Risikoprofils gesetzten Kreuze bei den Fragen zur Risikoeinstellung des Zedenten mit den Antworten, die der Zedent im Beratungsgespräch gegeben hat, korrespondieren und somit die von dem Zedenten kommunizierte Risikoeinstellung zutreffend wiedergeben.

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bb. Die Beklagte hat aber ihre Pflicht zu objektgerechter Beratung verletzt. Objektgerechte Beratung bedeutet, dass die Bank über alle Umstände und Risiken, die für die Anlageentscheidung Bedeutung haben, richtig und vollständig informieren muss. Die Bewertung und Empfehlung der Anlage muss ex ante betrachtet vertretbar sein (BGH NJW 2006, 2041 Rn 12, zitiert nach Juris; Palandt/Grüneberg, a.a.O., Rn 49).

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(1) Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hat die Beklagte den Zedenten nicht objektgerecht beraten, weil der Zedent in dem Beratungsgespräch nicht über das allgemeine Emittentenrisiko aufgeklärt wurde. Da bei Zertifikaten - anders als beispielsweise bei Investmentfonds nach dem Investmentgesetz - kein vom sonstigen Vermögen des Emittenten getrenntes Sondervermögen gebildet wird, trägt der Anleger nicht nur das Marktrisiko in Bezug auf den zugrunde gelegten Basiswert, sondern darüber hinaus auch das Bonitätsrisiko des Emittenten. Zu einer vollständigen Risikodarstellung der Anlageform des Zertifikats gehört mithin auch, dass der Anleger erkennen kann, dass die Rückzahlung generell von der Bonität der jeweiligen Emittentin bzw. Garantiegeberin zum Zeitpunkt der Rückzahlbarkeit der Anleihe abhängt. Grundsätzlich ist damit im Rahmen eines Beratungsvertrages über die generelle Abhängigkeit der Rückzahlung des empfohlenen Zertifikats von der Bonität der Emittentin bzw. Garantiegeberin (sog. allgemeines Emittentenrisiko) aufzuklären (BGH ZIP 2011, 2246 Rn 27 f., zitiert nach Juris). Eine solche Aufklärung ist in dem Beratungsgespräch vom 11.04.2008 nach der Überzeugung des Gerichts nicht erfolgt.

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Der Zedent hat in seiner Zeugenvernehmung ausgeführt, dass der Zeuge D. bei der Erläuterung des Lehman-Zertifikats als schlimmstes Szenario beschrieben habe, dass die Bedingungen am Ende der Laufzeit nicht eingehalten würden und es deshalb zu Kursverlusten komme. Der Zedent war sich in diesem Zusammenhang ganz sicher, dass der Zeuge D. das Emittentenrisiko nicht erläutert hat. Auch das Wort „Totalverlust" sei nicht gefallen. Der Zedent habe auch nicht danach gefragt, er sei noch nicht einmal auf diese Idee gekommen. Der Zeuge D., der das Beratungsgespräch als Kundenberater mit dem Zedenten geführt hat, hat den Parteivortrag der Beklagten, dass der Zedent anhand des Produktflyers mündlich über das Emittentenrisiko aufgeklärt worden sei, nicht bestätigt und somit der Darstellung des Zedenten nicht widersprochen. Der Zeuge D. konnte sich zwar an die Einzelheiten des Beratungsgesprächs vom 11.04.2008 nicht mehr konkret erinnern. Aus seiner Schilderung, wie er allgemein über die Risiken des Lehman-Zertifikats aufgeklärt habe, ergibt sich aber, dass er nicht in jedem Fall über das Emittentenrisiko aufgeklärt hat, sondern nur, wenn der Kunde danach gefragt hat. Dann habe er den Kunden auf das Rating von Lehman Brothers hingewiesen und dieses in annähernd 100 Prozent der Fälle mit dem Rating der Deutschen Bank verglichen. In diesem Zusammenhang habe er dem Kunden standardmäßig die Frage gestellt, ob er sich vorstellen könne, dass die Deutsche Bank pleitegeht. Letzteres habe er jedenfalls immer dann gesagt, wenn von dem Kunden die Frage nach dem Emittentenrisiko gekommen sei. Ansonsten habe er im Rahmen der Risikoaufklärung die Rückzahlungsszenarien erläutert und darauf hingewiesen, dass es unter Umständen zu Kursverlusten bis hin zum Totalverlust kommen könne. Ob er das Wort „Totalverlust" explizit gesagt habe, wisse er allerdings nicht mehr.

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Da die Aussage des Zeugen D. nicht grundsätzlich im Widerspruch zur Aussage des Zedenten steht, besteht kein Grund, die Richtigkeit der Zeugenaussage des Zedenten in Frage zu stellen, auch wenn dieser als von der Lehman-Pleite unmittelbar betroffener Anleger ein erhebliches eigenes Interesse am Ausgang des Rechtsstreits hat. Dies gilt umso mehr, als der Zeuge D. vor dem erkennenden Richter - worauf das Gericht die Parteien in dem Beschluss vom 08.11.2011 (AS 465 ff.) hingewiesen hat - schon in einer früheren Vernehmung ausgesagt hat, dass er das Emittentenrisiko bei Beratungen im Zusammenhang mit Lehman-Zertifikaten nicht im Speziellen aufgeführt habe, sondern nur auf das Rating hingewiesen und Vergleiche mit anderen Banken gezogen habe. Dass es zu einem Totalverlust oder zu einer Pleite der Emittentin kommen könne, habe er nicht explizit gesagt. Das sei damals überhaupt kein Thema gewesen. Die Angaben des Zeugen D. in dieser früheren Vernehmung bezogen sich auf ein Beratungsgespräch, das im März 2008 und damit nur kurze Zeit vor der streitgegenständlichen Beratung stattgefunden hatte. Dass der Zeuge D. - wie auch der Zedent bestätigt hat - die Bedeutung von Lehman Brothers als eines der größten Bankhäuser der Welt betont und in diesem Zusammenhang möglicherweise auch auf das Rating hingewiesen und dieses mit dem Rating der Deutschen Bank verglichen hat, stellt keine ausreichende Aufklärung über das allgemeine Emittentenrisiko dar. Denn ein durchschnittlicher Anleger konnte dieser werbenden Aussage nicht ohne weiteres entnehmen, dass die Rückzahlung des Zertifikats von der Bonität der Emittentin abhing und es im Falle der Insolvenz der Emittentin zum Totalverlust der Anlage kommen konnte.

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(2) Die Beklagte hat ihre Verpflichtung zur Aufklärung des Zedenten über das Emittentenrisiko auch nicht dadurch erfüllt, dass der Zeuge D. die Beratung unter Zuhilfenahme der schriftlichen Produktinformationen (Anlage B 16) durchgeführt und dem Zedenten möglicherweise schon während des Beratungsgesprächs, zumindest aber am Ende des Gesprächs, die schriftlichen Produktinformationen übergeben hat. In den schriftlichen Produktinformationen wird zwar bei der Darstellung der Produktrisiken auf Seite 6 auf das Emittentenrisiko (dort als „Kreditrisiko" bezeichnet) und das kursbedingte Totalverlustrisiko hingewiesen. Nach der Beweisaufnahme steht aber fest, dass der Zeuge D. die schriftlichen Produktinformationen nicht Punkt für Punkt durchgegangen ist, weil er das Emittentenrisiko nicht erläutert und auch den Begriff „Totalverlust" nicht verwendet hat. Durch die bloße Aushändigung eines Prospekts genügt die beratende Bank ihrer Pflicht zur objektgerechten Beratung nur dann, wenn der Prospekt dem Kunden so rechtzeitig vor der Zeichnung der Anlage übergeben wird, dass dieser ausreichend Zeit hat, den Prospekt zu lesen und dessen Inhalt zu erfassen (BGH NJW-RR 2007, 1692 Rn 9, zitiert nach Juris). Dass ein Anleger den Inhalt der schriftlichen Produktinformationen in Anbetracht der Komplexität der Anlage - und erst recht die kleingedruckten Informationen auf den beiden letzten Seiten der Produktinformationen - nicht erfassen kann, wenn ihm der Prospekt erst während des Beratungsgesprächs ausgehändigt wird und das Beratungsgespräch nicht wenigstens für eine angemessene Zeit unterbrochen wird, in der der Anleger den Prospekt in Ruhe durchlesen kann, liegt auf der Hand und bedarf keiner näheren Darlegung.

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(3) Eine Aufklärung des Zedenten über das bei Zertifikaten bestehende allgemeine Emittentenrisiko war auch nicht deswegen entbehrlich, weil dem Zedenten nach dem bestrittenen Vortrag der Beklagten im Februar 2006, also mehr als zwei Jahre vor der streitgegenständlichen Beratung, im Zusammenhang mit der Eröffnung seines Wertpapierdepots die Broschüre „Basisinformationen über Vermögensanlagen in Wertpapieren" (Anlage K 16 bzw. B 23) übergeben wurde und in diesem mehr als 150 Seiten umfassenden Kompendium ein Hinweis auf die Bedeutung des Ratings enthalten ist und das Bonitätsrisiko erläutert wird. Soweit in der Rechtsprechung (so etwa OLG Düsseldorf WM 2011, 399 Rn 76, zitiert nach Juris) bisweilen die Auffassung vertreten wird, dass solche allgemein gehaltenen Unterlagen, die dem Kunden zu einem früheren Zeitpunkt ohne Bezug zur konkreten Anlageberatung übergeben wurden, ein geeignetes Aufklärungsmittel darstellten und eine Aufklärung über die wesentlichen Produktrisiken der in einem späteren Beratungsgespräch empfohlenen Anlage entbehrlich machten, kann dem nicht gefolgt werden. Denn es kann schon nicht unterstellt werden, dass ein durchschnittlicher Anleger und Bankkunde eine derart umfangreiche Broschüre vollständig durchliest. Erst recht kann nicht erwartet werden, dass er die in der Broschüre enthaltenen Informationen zu einer Vielzahl von komplexen Anlageprodukten in einem späteren Beratungsgespräch noch so präsent hat, dass er keiner weiteren Aufklärung über die für die Anlageentscheidung bedeutsamen Umstände und insbesondere über die Produktrisiken mehr bedarf. Selbst wenn dem Zedenten also bei der Eröffnung des Wertpapierdepots im Februar 2006 die Broschüre „Basisinformationen über Vermögensanlagen in Wertpapieren" übergeben wurde, hätte dies die Beklagte nicht davon befreit, den Zedenten bei der konkreten Beratung über das Emittentenrisiko aufzuklären.

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(4) Die Beklagte hat auch nicht bewiesen, dass dem Zedenten aus früheren Beratungsgesprächen das bei Zertifikaten bestehende allgemeine Emittentenrisiko geläufig war, so dass er hierüber im Beratungsgespräch vom 11.04.2008 nicht erneut aufgeklärt werden musste.

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Allein der Umstand, dass ein Anleger bereits früher Zertifikate erworben hat, befreit die beratende Bank und den Anlageberater nicht von ihrer Verpflichtung, den Anleger in einem späteren Beratungsgespräch vollständig und richtig über die Produktrisiken zu beraten. Denn selbst wenn ein Anleger bereits Erfahrungen mit einschlägigen Anlagen gesammelt hat, dürfen die beratende Bank und der Anlageberater nicht ohne weiteres unterstellen, dass der Anleger bei den vorausgegangenen Anlagegeschäften richtig und vollständig aufgeklärt wurde oder ihm zur Verfügung gestellte Produktinformationen gelesen und verstanden hat; gerade der vorliegende Fall liefert ein Beispiel dafür, dass Beratungen nicht immer fehlerfrei sind. Etwas anderes kann nur gelten, wenn der Anleger in dem späteren Beratungsgespräch ausdrücklich erklärt hat, dass ihm die Funktionsweise und Risiken des Produkts bereits bekannt sind und er aus diesem Grund nicht mehr aufgeklärt werden muss oder wenn der Anlageberater selbst die frühere Beratung durchgeführt und den Anleger dabei richtig und vollständig über die Funktionsweise und Risiken des Anlageprodukts aufgeklärt hat. Beides ist hier nicht der Fall gewesen. Dass der Zedent in dem Beratungsgespräch vom 11.04.2008 ausdrücklich erklärt habe, er kenne die Risiken von Zertifikaten bereits und müsse nicht mehr aufgeklärt werden, hat die Beklagte schon nicht behauptet. Auch hatte der Zeuge D. den Zedenten bei den früheren Zertifikatskäufen nicht beraten, so dass er kein eigenes Wissen darüber hatte, ob der Zedent damals richtig und vollständig aufgeklärt wurde.

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Dass der Zedent von seinem früheren Kundenberater, dem Zeugen O.G., bei den Beratungsgesprächen vom 31.05.2007 und 06.09.2007 betreffend die Alpha Express Anleihe der Emittentin S. am 31.05.2007 und das Bonus Express Defensiv 6 Zertifikat der Emittentin C1-Bank über das bei Anleihen und Zertifikaten bestehende allgemeine Emittentenrisiko aufgeklärt wurde, steht nicht zur Überzeugung des Gerichts fest.

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Der Zeuge G., der an die Beratungsgespräche vom 31.05.2007 und 06.09.2007 keine konkrete Erinnerung mehr hatte, hat zwar in seiner Vernehmung bekundet, dass er in Beratungsgesprächen über Zertifikate immer anhand des Prospekts auf das Emittentenrisiko hingewiesen habe. Hierzu habe er in jedem Gespräch konkret gesagt, dass das Geld weg sei, wenn die Emittentin, wie etwa Lehman Brothers, S. oder C1-Bank, pleitegehe. Dass ein Kunde nach der Belehrung über das Emittentenrisiko auch nur in einem Fall gesagt habe, dass er das Produkt dann nicht haben möchte, sei ihm nicht in Erinnerung. Demgegenüber hat der Zedent sowohl in seiner ersten Vernehmung am 04.10.2011 als auch in seiner zweiten Vernehmung am 20.12.2011 ausgesagt, dass er sich nicht daran erinnern könne, dass das Emittentenrisiko bei irgendeinem der Beratungsgespräche erläutert worden sei. Auch von einem Totalverlust sei im Zusammenhang mit Zertifikaten nie die Rede gewesen. Vielmehr sei ihm von dem Zeugen G. als einziges Risiko genannt worden, dass es zu Kursverlusten kommen könne. Dass es zu einer Pleite der Emittentin kommen könne, sei ganz sicher nicht gesagt worden. Er habe definitiv keine Erinnerung daran, dass Begriffe wie Pleite oder Totalverlust gefallen sind.

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Damit steht Aussage gegen Aussage, ohne dass objektive Anhaltspunkte dafür bestehen, welche der gegensätzlichen Aussagen richtig und welche falsch ist. Das geht zu Lasten der Beklagten, weil diese für die Umstände, die die Pflicht zu objektgerechter Beratung ausnahmsweise entfallen lassen, die Beweislast trägt. Das Gericht verkennt auch insoweit das eigene Interesse des Zedenten am Ausgang des Rechtsstreits nicht. Allein deshalb ist seine Aussage aber nicht weniger glaubhaft als diejenige des Zeugen G.. Denn auch ein Anlage- oder Bankberater hat - selbst wenn er wie der Zeuge G. inzwischen für einen anderen Arbeitgeber tätig ist - ein persönliches Interesse daran, nicht in einem schlechten Licht zu erscheinen. Immerhin hat der Zedent ein durchaus differenziertes Bild der Beratungsgespräche gezeichnet und dabei Umstände erwähnt, die ihm eher ungünstig sind. So hat der Zedent beispielsweise eingeräumt, dass er nicht nach einer Festgeldanlage verlangt habe und im Falle des Bonus Express Defensiv 6 Zertifikats über den fehlenden Kapitalschutz aufgeklärt worden sei. Auch sei ihm bekannt gewesen, dass die Beklagte den erhobenen Ausgabeaufschlag erhält. Des Weiteren hat der Zedent zugegeben, dass er die schriftlichen Produktinformationen nicht nur erhalten, sondern auch durchgesehen habe. Dass der Zedent ein so differenziertes Bild der Beratungsgespräche gezeichnet und dabei inzident auch eigene Versäumnisse zugestanden hat, spricht für seine Glaubwürdigkeit. Zwar haben sich auch keine Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Zeugen G. ergeben. Die Angaben des Zeugen G. sind aber nicht stimmiger und überzeugender als diejenigen des Zedenten. So hatte der Zeuge G. an die Beratungsgespräche mit dem Zedenten bereits keine konkrete Erinnerung mehr. Dass seine Angaben zum allgemeinen Ablauf von Beratungsgesprächen im Zusammenhang mit Anleihen und Zertifikaten nicht auf die Goldwaage gelegt werden können, zeigt sich zudem daran, dass der Zeuge G. bekundet hat, er habe dem Kunden im Anschluss an das Beratungsgespräch immer den Prospekt mitgegeben. Im vorliegenden Fall war es aber unstreitig so, dass dem Zedenten die Produktinformationen zum Bonus Express Defensiv 6 Zertifikat nicht im Beratungsgespräch vom 06.09.2007 übergeben, sondern erst am 24.09.2007 zugesandt wurden. Seine Aussage, er habe in jedem Beratungsgespräch über das Emittentenrisiko aufgeklärt, ist vor diesem Hintergrund nicht glaubhafter als die gegenteilige Aussage des Zedenten. Hinzu kommt, dass der Zeuge G. in allen Beratungsgesprächen in ganz besonders plakativer Weise über das Emittentenrisiko aufgeklärt haben will, indem er gesagt habe, dass das Geld weg sei, wenn die Emittentin pleitegehe. Es ist zwar richtig, dass die Insolvenz einer Großbank vor der Lehman-Pleite als unwahrscheinliches Szenario galt. Dass aber trotzdem - wie der Zeuge G. bekundet hat - kein einziger Kunde von dem Erwerb eines Zertifikats Abstand genommen haben soll, nachdem er so unmissverständlich auf ein bestehendes Totalverlustrisiko hingewiesen wurde und die globale Banken- und Finanzkrise bereits offen zutage getreten war, ist nur schwer vorstellbar.

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(5) Dass dem Zedenten das bei Anleihen und Zertifikaten bestehende allgemeine Emittentenrisiko geläufig war und er deshalb nicht nochmals darüber aufgeklärt werden musste, ergibt sich schließlich nicht daraus, dass ihm im Zusammenhang mit den Erwerben der Alpha Express Anleihe und des Bonus Express Defensiv 6 Zertifikats jeweils die schriftlichen Produktinformationen (Anlagen B 8 und B 10) überlassen wurden.

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Zwar kann die Bank ihre Beratungspflicht auch durch rechtzeitige Überlassung eines vollständigen und richtigen Prospekts erfüllen. Auf die mit jedem neu abgeschlossenen Beratungsvertrag selbständig begründete Beratungsverpflichtung hat dies aber keinen Einfluss. Wie bereits dargelegt, dürfen die beratende Bank und der Anlageberater auch nicht ohne weiteres unterstellen, dass ein Kunde die ihm in einem früheren Beratungsgespräch übergebenen schriftlichen Produktinformationen gelesen und verstanden hat. Sie müssen insbesondere dann, wenn die frühere Beratung - wie im Streitfall - von einem anderen Berater oder Institut gemacht wurde, zudem in Rechnung stellen, dass der Kunde falsch beraten wurde und aus diesem Grund - trotz Übergabe eines richtigen und vollständigen Prospekts - eine falsche Vorstellung von den Produktrisiken und den sonstigen für die Anlageentscheidung bedeutsamen Umständen hat.

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Dass der Zedent aufgrund der ihm im Jahr 2007 überlassenen schriftlichen Produktinformationen zur Alpha Express Anleihe (Anlage B 8) und zum Bonus Express Defensiv 6 Zertifikat (Anlage B 10) im Zeitpunkt des Erwerbs der Lehman-Zertifikate am 11.04.2008 tatsächlich wusste, dass bei Zertifikaten ein allgemeines Emittentenrisiko besteht, steht nicht zur Überzeugung des Gerichts fest. Der Zedent hat in seiner Vernehmung bekundet, dass ihm bei Durchsicht der Prospekte nicht aufgefallen sei, dass dieses Risiko bestehe. Das Gericht hält diese Aussage für nachvollziehbar. Denn die schriftlichen Produktinformationen zur Alpha Express Anleihe und zum Bonus Express Defensiv 6 Zertifikat weisen zwar darauf hin, dass der Anleger das Ausfallrisiko des Emittenten bzw. Garantiegebers trägt. Der Prospekt zum Bonus Express Defensiv 6 Zertifikat enthält im letzten Absatz auf Seit 9 sogar einen Hinweis darauf, dass die Anlage nicht der Einlagensicherung unterfällt. Allerdings finden sich diese Hinweise in beiden Fällen erst am Ende des Prospekts und relativ versteckt. Unter der aus Lesersicht bedeutsamen Überschrift „Was sind Ihre Risiken?" auf Seite 7 enthält der Prospekt zum Bonus Express Defensiv 6 Zertifikat überhaupt keinen Hinweis auf das Emittentenrisiko. Vielmehr wird der Eindruck erweckt, dass es nur zu Verlusten kommen kann, wenn der Index unter den Risikopuffer von 50 % fällt. Die Darstellung der Risiken in dem genannten Prospekt deckt sich damit mit der Aussage des Zedenten, er sei nur auf das Kursverlustrisiko hingewiesen worden. In dem Prospekt zur Alpha Express Anleihe wird unter der Überschrift „Risiken" zwar das „Kreditrisiko" genannt. In diesem Zusammenhang heißt es aber nur: „Der Anleger trägt das Kreditrisiko der Emittentin, ..., bzw. der Garantin, ...". Ob dies eine hinreichende Aufklärung über das mit einer Insolvenz der Emittentin verbundene Totalverlustrisiko darstellt, kann dahinstehen. Zumindest ist dieser Hinweis nicht so eindeutig, dass seine Bedeutung einem durchschnittlichen Anleger „ins Auge springen" musste. Das gilt umso mehr, wenn ihm - wie der Zedent bekundet hat - zuvor im Beratungsgespräch gesagt wurde, das einzige Risiko der Anleihe bestehe darin, dass die Bedingungen nicht erfüllt sind und er am Ende nur das eingesetzte Kapital abzüglich des Ausgabeaufschlags zurückbekomme. Nach alledem kann nicht angenommen werden, der Zedent sei aufgrund der Aushändigung und Durchsicht der Prospekte über das bei Anleihen und Zertifikaten bestehende allgemeine Emittentenrisiko im Bilde gewesen.

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cc. Die Pflichtverletzung der Beklagten war auch ursächlich für die Anlageentscheidung und den Schaden des Zedenten, denn es ist davon auszugehen, dass der Zedent bei vollständiger und richtiger Aufklärung von dem Erwerb der Lehman-Zertifikate abgesehen hätte. Insoweit gilt zugunsten des Zedenten die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens, die bereits dann eintritt, wenn eine fehlerhafte Beratung feststeht (BGH NJW 2011, 3231). Diese Vermutung hat die Beklagte nicht widerlegt.

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Die Kausalitätsvermutung bei Aufklärungspflichtverletzungen greift zwar dann nicht ein, wenn es nicht nur eine bestimmte Möglichkeit aufklärungsrichtigen Verhaltens gab, sondern eine gehörige Aufklärung beim Vertragspartner einen Entscheidungskonflikt ausgelöst hätte, weil es vernünftigerweise nicht nur eine, sondern mehrere Möglichkeiten aufklärungsrichtigen Verhaltens gab (BGHZ 160, 58 Rn 28, zitiert nach Juris; BGH NJW 2011, 3231 f.). Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines solchen Entscheidungskonflikts hat aber die anlageberatende Bank (BGH a.a.O.). Dass der Zedent die Zertifikate auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung über das Emittentenrisiko erworben hätte, kann indessen nicht angenommen werden, weil der Zedent als konservativer und sicherheitsorientierter Anleger anzusehen ist. Anlagen, die mit einem Totalverlustrisiko behaftet sind, sind mit der Risikoeinstellung und dem Sicherheitsbedürfnis eines solchen Anlegers grundsätzlich nicht vereinbar und werden dessen Bedürfnissen nicht gerecht. Es ist deshalb regelmäßig davon auszugehen, dass ein konservativer und sicherheitsorientierter Anleger bei gehöriger Aufklärung über das mit einer Insolvenz des Emittenten verbundene Totalverlustrisiko von dem Anlagegeschäft Abstand genommen hätte.

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Wie bereits oben unter b. aa. dargelegt, hat der Zedent seine Anlagestrategie durch die Beantwortung der Fragen zu seiner Risikoeinstellung in den Risikoprofilen vom 08.02.2006 (Anlage B 5 a) und 31.05.2007 (Anlage B 9) als ausschließlich sicherheitsorientiert definiert. In dem in dem streitgegenständlichen Beratungsgespräch erstellten Risikoprofil vom 11.04.2008 (Anlage B 14) hat er diese Aussage zwar abgeschwächt, indem er zu den einzelnen Fragen jeweils nur noch das Leerkästchen mit der zweithöchsten Zustimmung zu einer sicherheitsorientierten Anlagestrategie angekreuzt hat. Er hat damit zum Ausdruck gebracht, dass er Verlustrisiken nicht mehr kategorisch ausschließen will. Allerdings kann die Abänderung des Risikoprofils nicht in der Weise interpretiert werden, dass der Zedent nunmehr als risikobereiter und ertragsorientierter Anleger gelten müsste und nicht mehr als konservativer Anleger anzusehen wäre. Die Kennzeichnung der Anlagestrategie des Zedenten in diesem Risikoprofil mit „Ertrag" steht zur in dem Risikoprofil dokumentierten Risikoeinstellung des Zedenten im Widerspruch und ist daher irreführend. Die Zuordnung des Zedenten zur Strategie „Ertrag" gibt somit weniger eine veränderte Risikoeinstellung des Zedenten wieder, sondern ist vielmehr dem Umstand geschuldet, dass sich der Risikoanteil im Wertdepot des Zedenten nach dem mittlerweile dritten Zertifikatserwerb erhöht hatte. Dass eine Änderung in der Kennzeichnung der Anlagestrategie in den Risikoprofilen der Beklagten nicht notwendig mit einer veränderten Risikoeinstellung des Kunden einhergegangen sein muss, zeigt der Vergleich der beiden Risikoprofile vom 08.02.2006 und 31.05.2007. Obwohl der Zedent die Fragen zu seiner Risikoeinstellung in dem späteren Risikoprofil genau so beantwortet hatte wie in dem früheren Profil, wurde seine Anlagestrategie in dem späteren Profil von „konservativ" in „ausgewogen" abgeändert. Bei isolierter Betrachtung der für seine Einordnung allein maßgeblichen Antworten des Zedenten auf die Fragen zu dessen Risikoeinstellung zeigt sich, dass dieser weiterhin in erster Linie auf Sicherheit bedacht war und nur in begrenztem Umfang Risiken eingehen wollte. Wer nur in begrenztem Umfang Risiken einzugehen bereit ist, will aber regelmäßig keine Anlagen, bei denen ein Totalverlustrisiko besteht. Soweit die Beklagte zur Unterstreichung der Risikobereitschaft des Zedenten darauf abgestellt hat, dass dieser in allen drei Risikoprofilen von den drei zur Auswahl gestellten hypothetischen Anlageformen sich durch Ankreuzen jeweils für die mittlere Variante mit einer Rendite von - 5 % bis 12 % entschieden habe, rechtfertigt auch dies keine andere Bewertung. Daraus ergibt sich im Gegenteil, dass der Zedent gerade keine Anlageform wollte, bei der ein höheres Verlustrisiko als - 5 % bestand.

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Die Tatsache, dass der Zedent bereits früher Zertifikate erworben hatte, vermag die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens ebenfalls nicht zu widerlegen, weil gerade nicht bewiesen ist, dass der Zedent anlässlich der früheren Zertifikatskäufe vollständig und richtig über das bei dieser Anlageform bestehende Emittentenrisiko aufgeklärt wurde.

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Von einem Entscheidungskonflikt, der zum Nichteingreifen der Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens führen würde, kann auch nicht deshalb ausgegangen werden, weil das Emittentenrisiko bei einer Großbank wie Lehman Brothers allgemein als gering erachtet wurde und das Rating von Lehman Brothers im Zeitpunkt der Anlageentscheidung bei den führenden Ratingagenturen noch positiv war. Denn es kann nicht verallgemeinernd angenommen werden, dass ein sicherheitsorientierter Anleger schon dann zur Investition eines erheblichen Geldbetrages in eine nicht der Einlagensicherung unterliegende und mit dem Insolvenzrisiko des Emittenten behaftete Anlage bereit ist, wenn dieses Risiko allgemein als gering erachtet wird. Im Streitfall kommt hinzu, dass die Banken- und Finanzkrise im Zeitpunkt der Anlageempfehlung im April 2008 ein medienfüllendes Thema war und es in diesem Zusammenhang auch bereits Spekulationen über die Bonität amerikanischer Banken gab.

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dd. Ein Mitverschulden des Zedenten (§ 254 BGB) kommt nicht in Betracht. Ihm könnte zwar zum Vorwurf gemacht werden, dass er die ihm bei den früheren Zertifikatskäufen überlassenen Produktinformationen nicht sorgfältig durchgelesen hat. Allerdings enthalten diese Produktinformationen, wie oben unter bb. bereits dargelegt wurde, keinen so auffälligen Hinweis auf das bei Anleihen und Zertifikaten bestehende allgemeine Emittentenrisiko, dass sich dieses Risiko dem Zedenten gewissermaßen aufdrängen musste. Es kommt hinzu, dass nach der Beweisaufnahme nicht ausgeschlossen werden kann, dass dem Zedenten - wie von diesem geschildert - die Risiken von dem Zeugen G. verharmlosend beschrieben wurden. Wenn dem Zedenten gesagt worden sein sollte, die einzigen Risiken bestünden darin, dass er am Ende nur das eingesetzte Kapital abzüglich des Ausgabeaufschlags zurückbekomme (bei der Alpha Express Anleihe) bzw. dass die Sicherheitsbarriere reiße (bei dem Bonus Express Defensiv 6 Zertifikat), könnte ihm aber nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass er eine solche Aussage anhand der Produktinformationen nicht als fehlerhaft entlarvt hat. Zumindest hätte sein Verschulden hinter das weit schwerer wiegende Beratungsverschulden zurückzutreten. Dass die Beweisaufnahme keine Klärung über den Ablauf der Beratungsgespräche mit dem Zeugen G. erbracht hat, geht auch hier zu Lasten der Beklagten, weil diese für ein mitwirkendes Verschulden des Zedenten die Beweislast trägt.

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ee. Da der Schaden des Zedenten in dem Abschluss des für ihn nachteiligen Anlagegeschäfts liegt, ist die Beklagte der Klägerin infolge der Abtretung zur Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von 102.000,00 EUR (einschließlich 2.000,00 EUR Ausgabeaufschläge) verpflichtet. Der Zahlungsanspruch besteht indes nur Zug um Zug gegen Übertragung der Lehman-Zertifikate. Soweit diese Einschränkung von der Klägerin erst im streitigen Verfahren vorgenommen wurde, war der Vollstreckungsbescheid entsprechend aufzuheben.

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Soweit die Klägerin entgangene Anlagezinsen in Höhe von 4 % beansprucht hat, ist die Klage unbegründet. Dass der Zedent bei gehöriger Aufklärung durch die Beklagte eine festverzinsliche Festgeldanlage gezeichnet hätte, steht nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, nachdem der Zedent in seiner Vernehmung selbst gesagt hat, dass es ihm nicht um Festgeld gegangen sei. Genauso gut ist denkbar, dass der Zedent, der immerhin ein Wertpapierdepot unterhielt, sich für einen konservativen Fonds entschieden hätte. Dass er mit einer solchen Anlage im streitgegenständlichen, von einem schwierigen Marktumfeld geprägten Zeitraum einen Gewinn gemacht hätte, ist nicht ersichtlich.

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2. Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 280, 286, 288 BGB. Zinsen waren indes erst ab Zustellung des Mahnbescheids zuzusprechen, da ein früherer Verzugseintritt nicht dargelegt wurde.

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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 ZPO. Wegen des Zug um Zug-Vorbehalts erscheint eine Kostenquotelung nicht gerechtfertigt, weil davon auszugehen ist, dass die Lehman-Zertifikate weitgehend wertlos sind.

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Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat seine Grundlage in § 709 ZPO.

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