EuGH: Aufforderung zum Kauf – Information über Art der Preisberechnung
EuGH, Urteil vom 23.1.2025 – C-518/23, Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände – Verbraucherzentrale Bundesverband e. V. gegen NEW Niederrhein Energie und Wasser GmbH
ECLI:EU:C:2025:35
Volltext: BB-Online BBL2025-257-2
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Tenor
Art. 7 Abs. 1 und Abs. 4 Buchst. c der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern im Binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) ist dahin auszulegen, dass im Fall einer Aufforderung zum Kauf, die mittels einer kommerziellen Kommunikation im Internet erfolgt, die Information über die Art der Preisberechnung nicht notwendigerweise den genauen Prozentsatz eines variablen Bestandteils wie der Ausgleichsmenge enthalten muss, den der Stromversorger für den betreffenden Verbraucher anwendet, so dass dieser, wenn er seinen Stromverbrauch kennt, den Preis selbständig berechnen kann, sofern in dieser Kommunikation die grundsätzliche Anwendbarkeit eines solchen Prozentsatzes zusammen mit einer möglichen Größenordnung und den Faktoren, die sich auf diesen Prozentsatz auswirken, angegeben werden und der Durchschnittsverbraucher dadurch in die Lage versetzt wird, eine informierte geschäftliche Entscheidung zu treffen.
Aus den Gründen
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 7 Abs. 1 und Abs. 4 Buchst. c der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern im Binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) (ABl. 2005, L 149, S. 22, berichtigt in ABl. 2009, L 253, S. 18).
2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände – Verbraucherzentrale Bundesverband e. V. (Deutschland) (im Folgenden: Bundesverband) und der NEW Niederrhein Energie und Wasser GmbH wegen angeblich irreführender Werbung für ein Angebot zur Lieferung von Strom.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
3 In den Erwägungsgründen 6, 7, 14 und 18 der Richtlinie 2005/29 heißt es:
„(6) Die vorliegende Richtlinie gleicht deshalb die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über unlautere Geschäftspraktiken einschließlich der unlauteren Werbung an, die die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher unmittelbar und dadurch die wirtschaftlichen Interessen rechtmäßig handelnder Mitbewerber mittelbar schädigen. Im Einklang mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip schützt diese Richtlinie die Verbraucher vor den Auswirkungen solcher unlauteren Geschäftspraktiken, soweit sie als wesentlich anzusehen sind, berücksichtigt jedoch, dass die Auswirkungen für den Verbraucher in manchen Fällen unerheblich sein können. …
(7) Diese Richtlinie bezieht sich auf Geschäftspraktiken, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Beeinflussung der geschäftlichen Entscheidungen des Verbrauchers in Bezug auf Produkte stehen. …
…
(14) Es ist wünschenswert, dass der Begriff der irreführenden Praktiken auch Praktiken, einschließlich irreführender Werbung, umfasst, die den Verbraucher durch Täuschung davon abhalten, eine informierte und deshalb effektive Wahl zu treffen. In Übereinstimmung mit dem Recht und den Praktiken der Mitgliedstaaten zur irreführenden Werbung unterteilt diese Richtlinie irreführende Praktiken in irreführende Handlungen und irreführende Unterlassungen. Im Hinblick auf Unterlassungen legt diese Richtlinie eine bestimmte Anzahl von Basisinformationen fest, die der Verbraucher benötigt, um eine informierte geschäftliche Entscheidung treffen zu können. Solche Informationen müssen nicht notwendigerweise in jeder Werbung enthalten sein, sondern nur dann, wenn der Gewerbetreibende zum Kauf auffordert; dieses Konzept wird in dieser Richtlinie klar definiert. Die in dieser Richtlinie vorgesehene vollständige Angleichung hindert die Mitgliedstaaten nicht daran, in ihren nationalen Rechtsvorschriften für bestimmte Produkte, zum Beispiel Sammlungsstücke oder elektrische Geräte, die wesentlichen Kennzeichen festzulegen, deren Weglassen bei einer Aufforderung zum Kauf rechtserheblich wäre. …
…
(18) Es ist angezeigt, alle Verbraucher vor unlauteren Geschäftspraktiken zu schützen; der Gerichtshof hat es allerdings bei seiner Rechtsprechung im Zusammenhang mit Werbung … für erforderlich gehalten, die Auswirkungen auf einen fiktiven typischen Verbraucher zu prüfen. Dem Verhältnismäßigkeitsprinzip entsprechend und um die wirksame Anwendung der vorgesehenen Schutzmaßnahmen zu ermöglichen, nimmt diese Richtlinie den Durchschnittsverbraucher, der angemessen gut unterrichtet und angemessen aufmerksam und kritisch ist, unter Berücksichtigung sozialer, kultureller und sprachlicher Faktoren in der Auslegung des Gerichtshofs als Maßstab, enthält aber auch Bestimmungen zur Vermeidung der Ausnutzung von Verbrauchern, deren Eigenschaften sie für unlautere Geschäftspraktiken besonders anfällig machen. … Der Begriff des Durchschnittsverbrauchers beruht dabei nicht auf einer statistischen Grundlage. Die nationalen Gerichte und Verwaltungsbehörden müssen sich bei der Beurteilung der Frage, wie der Durchschnittsverbraucher in einem gegebenen Fall typischerweise reagieren würde, auf ihre eigene Urteilsfähigkeit unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs verlassen.“
4 Art. 2 dieser Richtlinie bestimmt:
„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck
…
d) ‚Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern‘ … jede Handlung, Unterlassung, Verhaltensweise oder Erklärung, kommerzielle Mitteilung einschließlich Werbung und Marketing eines Gewerbetreibenden, die unmittelbar mit der Absatzförderung, dem Verkauf oder der Lieferung eines Produkts an Verbraucher zusammenhängt;
…
i) ‚Aufforderung zum Kauf‘ jede kommerzielle Kommunikation, die die Merkmale des Produkts und den Preis in einer Weise angibt, die den Mitteln der verwendeten kommerziellen Kommunikation angemessen ist und den Verbraucher dadurch in die Lage versetzt, einen Kauf zu tätigen;
…“
5 Art. 7 der Richtlinie sieht vor:
„(1) Eine Geschäftspraxis gilt als irreführend, wenn sie im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller tatsächlichen Umstände und der Beschränkungen des Kommunikationsmediums wesentliche Informationen vorenthält, die der durchschnittliche Verbraucher je nach den Umständen benötigt, um eine informierte geschäftliche Entscheidung zu treffen, und die somit einen Durchschnittsverbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst oder zu veranlassen geeignet ist, die er sonst nicht getroffen hätte.
(2) Als irreführende Unterlassung gilt es auch, wenn ein Gewerbetreibender wesentliche Informationen gemäß Absatz 1 unter Berücksichtigung der darin beschriebenen Einzelheiten verheimlicht oder auf unklare, unverständliche, zweideutige Weise oder nicht rechtzeitig bereitstellt oder wenn er den kommerziellen Zweck der Geschäftspraxis nicht kenntlich macht, sofern er sich nicht unmittelbar aus den Umständen ergibt, und dies jeweils einen Durchschnittsverbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst oder zu veranlassen geeignet ist, die er ansonsten nicht getroffen hätte.
(3) Werden durch das für die Geschäftspraxis verwendete Kommunikationsmedium räumliche oder zeitliche Beschränkungen auferlegt, so werden diese Beschränkungen und alle Maßnahmen, die der Gewerbetreibende getroffen hat, um den Verbrauchern die Informationen anderweitig zur Verfügung zu stellen, bei der Entscheidung darüber, ob Informationen vorenthalten wurden, berücksichtigt.
(4) Im Falle der Aufforderung zum Kauf gelten folgende Informationen als wesentlich, sofern sie sich nicht unmittelbar aus den Umständen ergeben:
…
c) der Preis einschließlich aller Steuern und Abgaben oder in den Fällen, in denen der Preis aufgrund der Beschaffenheit des Produkts vernünftigerweise nicht im Voraus berechnet werden kann, die Art der Preisberechnung sowie gegebenenfalls alle zusätzlichen Fracht‑, Liefer- oder Zustellkosten oder in den Fällen, in denen diese Kosten vernünftigerweise nicht im Voraus berechnet werden können, die Tatsache, dass solche zusätzliche Kosten anfallen können;
…“
Deutsches Recht
6 Das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb vom 3. Juli 2004 (BGBl. 2010 I S. 254) in seiner am 28. Mai 2022 geltenden, auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: UWG) dient u. a. der Umsetzung der Richtlinie 2005/29 in deutsches Recht.
7 § 5a UWG bestimmt in den Abs. 1 und 3:
„(1) Unlauter handelt auch, wer einen Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer irreführt, indem er ihm eine wesentliche Information vorenthält,
1. die der Verbraucher oder der sonstige Marktteilnehmer nach den jeweiligen Umständen benötigt, um eine informierte geschäftliche Entscheidung zu treffen, und
2. deren Vorenthalten dazu geeignet ist, den Verbraucher oder den sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte.
…
(3) Bei der Beurteilung, ob wesentliche Informationen vorenthalten wurden, sind zu berücksichtigen:
1. räumliche oder zeitliche Beschränkungen durch das für die geschäftliche Handlung gewählte Kommunikationsmittel sowie
2. alle Maßnahmen des Unternehmers, um dem Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer die Informationen auf andere Weise als durch das für die geschäftliche Handlung gewählte Kommunikationsmittel zur Verfügung zu stellen.“
8 § 5b Abs. 1 UWG bestimmt:
„Werden Waren oder Dienstleistungen unter Hinweis auf deren Merkmale und Preis in einer dem verwendeten Kommunikationsmittel angemessenen Weise so angeboten, dass ein durchschnittlicher Verbraucher das Geschäft abschließen kann, so gelten die folgenden Informationen als wesentlich im Sinne des § 5a Absatz 1, sofern sie sich nicht unmittelbar aus den Umständen ergeben:
…
3. der Gesamtpreis oder in Fällen, in denen ein solcher Preis auf Grund der Beschaffenheit der Ware oder Dienstleistung nicht im Voraus berechnet werden kann, die Art der Preisberechnung sowie gegebenenfalls alle zusätzlichen Fracht‑, Liefer- und Zustellkosten oder in Fällen, in denen diese Kosten nicht im Voraus berechnet werden können, die Tatsache, dass solche zusätzlichen Kosten anfallen können,
…“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
9 Die NEW Niederrhein Energie und Wasser ist deutschlandweit tätig und beliefert u. a. Kunden, die über eine Stromspeicherheizung verfügen, mit Strom (im Folgenden: Heizstrom). So verkauft diese Gesellschaft diesen Kunden insbesondere Strom, der während der einem nächtlichen Zeitabschnitt entsprechenden „Niedertarifzeit“ zu einem Niedertarif in Rechnung gestellt wird und für die Versorgung eines solchen Heizungssystems bestimmt ist.
10 Aus dem Vorlagebeschluss geht hervor, dass bei diesen Kunden der Verbrauch von Heizstrom und Allgemeinstrom getrennt oder gemeinsam erfasst werden kann. Bei gemeinsamer Erfassung kommt ein Doppeltarifzähler zum Einsatz, der über zwei Laufwerke verfügt, wobei mit einem Laufwerk der Stromverbrauch während der Niedertarifzeit zum Niedertarif, mit dem anderen der Stromverbrauch während der sonstigen Stunden des Tages zum Hochtarif erfasst wird.
11 Das vorlegende Gericht führt aus, dass die Kunden in den Stunden der Geltung des Niedertarifs neben Heizstrom auch Allgemeinstrom verbrauchen können, wobei der letztgenannte Verbrauch nicht getrennt erfasst werden kann. In diesem Fall gäben einige Betreiber von Stromverteilungsnetzen den Stromlieferanten eine sogenannte Ausgleichsmenge (im Folgenden: Ausgleichsmenge) vor, die einer Abrechnung eines Teils des zum Niedertarif erfassten Stromverbrauchs nach dem Hochtarif in Form eines pauschalen Prozentsatzes entspreche.
12 Auf ihrer Website www.new-energie.de stellt die NEW Niederrhein Energie und Wasser, die die von den Betreibern von Stromverteilungsnetzen festgelegte Ausgleichsmenge an ihre Kunden weitergibt, der Öffentlichkeit einen Tarifrechner für Stromtarife zur Verfügung. Dieser kann auch von Personen genutzt werden, die Heizstrom beziehen und über einen Doppeltarifzähler verfügen. Dazu müssen die interessierten Personen ihre Postleitzahl und ihre Stromverbrauchs‑ bzw. Strombedarfsmengen im Hoch- und Niedertarif in den Tarifrechner eingeben. Dieser berechnet dann ein Tarifangebot, das sie annehmen und damit einen Stromlieferungsvertrag mit der NEW Niederrhein Energie und Wasser abschließen können.
13 Nach Ansicht des Bundesverbands verstößt die bei der Verwendung des Tarifrechners fehlende Angabe der an den betreffenden Verbraucher weitergegebenen Ausgleichsmenge gegen das Verbot irreführender Unterlassungen und damit gegen das UWG. Der vom Tarifrechner ausgewiesene Gesamtpreis liege nämlich unter dem tatsächlichen Preis, da er den Prozentsatz der Ausgleichsmenge nicht berücksichtige.
14 Der Bundesverband beantragte bei den zuständigen deutschen Gerichten sowohl in der ersten Instanz als auch in der Berufungsinstanz, die NEW Niederrhein Energie und Wasser zu verurteilen, u. a. die Werbung für ein Angebot zur Lieferung von Heizstrom zu unterlassen, ohne dem Verbraucher im Zuge des Vertragsabschlusses insbesondere im Hinblick auf die Abrechnungsweise des Heizstroms ausdrücklich den Prozentsatz der Ausgleichsmenge mitzuteilen, der im Fall einer gemeinsamen Erfassung des Verbrauchs von Heizstrom und Allgemeinstrom durch einen Doppeltarifzähler angewendet wird.
15 Nachdem diese Gerichte diese Anträge zurückgewiesen hatten, legte der Bundesverband Revision beim Bundesgerichtshof (Deutschland), dem vorlegenden Gericht, ein und beantragte erneut die Unterlassung dieser Werbung.
16 Der Vorlageentscheidung ist zu entnehmen, dass in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten des Ausgangsverfahrens, deren Kenntnisnahme die betreffende Person bei der Annahme des Angebots zur Lieferung von insbesondere für Heizzwecke verwendeten Strom im Internet bestätigen muss, klargestellt wird, dass der Betreiber des örtlichen Stromverteilungsnetzes den nächtlichen Zeitabschnitt und den Prozentsatz der Ausgleichsmenge bestimmt. Darin heißt es auch, dass diese Ausgleichsmenge vom Betreiber des Netzes für das geografische Gebiet, in dem die Beklagte des Ausgangsverfahrens ihren Sitz hat, auf 25 % festgelegt worden sei.
17 Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, dass die Werbung für ein Angebot zur Lieferung von Strom, die sich aus der Bereitstellung eines Online-Tarifrechners durch den Lieferanten ergebe, eine „Aufforderung zum Kauf“ im Sinne der einschlägigen deutschen Rechtsvorschriften darstelle, die insbesondere Art. 7 Abs. 4 der Richtlinie 2005/29 umsetzten.
18 Da die endgültige geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers, nämlich der Abschluss eines Stromlieferungsvertrags, auf die Einleitung vertragsbezogener Vorgänge zurückgehe, sei die Angabe des geltenden Prozentsatzes der Ausgleichsmenge in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten des Ausgangsverfahrens nicht geeignet, ihre Informationspflicht, vor allem in zeitlicher Hinsicht, zu erfüllen. Insbesondere sollte die Information über die Art der Preisberechnung im Rahmen der Verwendung des Tarifrechners unter Angabe des genauen Prozentsatzes der für die betreffende Person geltenden Ausgleichsmenge erteilt werden. Denn erst die Einbeziehung dieses Prozentsatzes in die Berechnung des Strompreises ermögliche den Verbrauchern einen Vergleich des Angebots der Beklagten des Ausgangsverfahrens mit dem anderer Anbieter.
19 Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts wäre dem bei ihm eigereichten Unterlassungsantrag des Bundesverbands stattzugeben, wenn davon auszugehen wäre, dass die von der Beklagten des Ausgangsverfahrens gemäß Art. 7 Abs. 1 und Abs. 4 Buchst. c der Richtlinie 2005/29 zu erteilende Information über die Art der Preisberechnung den genauen Prozentsatz der Ausgleichsmenge umfassen müsse, so dass die betreffende Person, die ihren Stromverbrauch kenne, selbständig eine Preisberechnung vornehmen könne. Eine solche Auslegung stehe im Einklang mit dem Ziel dieser Richtlinie, ein hohes Verbraucherschutzniveau zu gewährleisten, und ließe sich aus dem Regelungszusammenhang ableiten, in dem Art. 7 Abs. 4 Buchst. c der Richtlinie 2005/29 stehe.
20 Der Verbraucher benötige eine solche Angabe, um eine informierte geschäftliche Entscheidung zu treffen, und die Unterlassung dieser Angabe sei geeignet, ihn zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte.
21 Zudem sei die Berufungsinstanz zwar davon ausgegangen, dass die Beklagte des Ausgangsverfahrens nicht in der Lage gewesen sei, die Information über den genauen Prozentsatz der Ausgleichsmenge anzugeben, die in dem von einem bestimmten Netz erfassten geografischen Gebiet gelte, da die Betreiber von Stromverteilungsnetzen diese Information nur selten veröffentlichten, doch habe sie nicht festgestellt, dass es der Beklagten des Ausgangsverfahrens nicht möglich sei, sich diese Information bei den Betreibern zu beschaffen.
22 Allerdings könne die Wendung „Art der Preisberechnung“ in Art. 7 Abs. 4 Buchst. c der Richtlinie 2005/29 auch dahin ausgelegt werden, dass sich eine allgemeine Information des Verbrauchers über die maßgeblichen Faktoren der Preisberechnung als ausreichend erweisen könnte.
23 Unter diesen Umständen hat der Bundesgerichtshof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Muss die vom Gewerbetreibenden nach Art. 7 Abs. 1 und 4 Buchst. c der Richtlinie 2005/29 zu erteilende Information über die Art der Preisberechnung bei einer vom Verbrauch abhängigen Preisgestaltung so beschaffen sein, dass der Verbraucher auf Grundlage der Information selbständig eine Preisberechnung vornehmen kann, wenn er den ihn betreffenden Verbrauch kennt?
Zur Vorlagefrage
24 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass aus der Vorlageentscheidung hervorgeht, dass die Parteien des Ausgangsverfahrens darüber streiten, ob der auf der Website des Stromversorgers verfügbare Tarifrechner, der es dem betreffenden Verbraucher ermöglicht, den monatlich zu zahlenden Preis für den insbesondere für Heizzwecke verwendeten Strom zu berechnen, die Angabe des genauen Prozentsatzes der vom Stromversorger für diesen Verbraucher angewandten Ausgleichsmenge enthalten muss, so dass der Verbraucher, der seinen Stromverbrauch kennt, diesen Preis selbständig berechnen kann.
25 Unter diesen Umständen möchte das vorlegende Gericht mit seiner Vorlagefrage im Wesentlichen wissen, ob Art. 7 Abs. 1 und Abs. 4 Buchst. c der Richtlinie 2005/29 dahin auszulegen ist, dass im Rahmen einer Werbung im Internet für ein Angebot zur Lieferung von Strom die Information über die Art der Preisberechnung den genauen Prozentsatz eines variablen Bestandteils wie der Ausgleichsmenge enthalten muss, den der Stromversorger für den betreffenden Verbraucher anwendet, so dass dieser, sobald er seinen Stromverbrauch kennt, den Preis selbständig berechnen kann.
26 Nur eine zuvor als „Aufforderung zum Kauf“ eingestufte Geschäftspraxis wird von Art. 7 Abs. 4 der Richtlinie 2005/29 erfasst, während alle Geschäftspraktiken einschließlich der Aufforderung zum Kauf den Vorgaben des Art. 7 Abs. 1 bis 3 und 5 dieser Richtlinie unterliegen (Urteil vom 12. Mai 2011, Ving Sverige, C‑122/10, EU:C:2011:299, Rn. 24).
27 Da das vorlegende Gericht der Ansicht ist, dass die Werbung für ein Angebot zur Lieferung von Strom mittels eines Tarifrechners, der dem Verbraucher auf der Website des Stromversorgers zur Verfügung gestellt wird, eine „Aufforderung zum Kauf“ im Sinne von Art. 2 Buchst. i der Richtlinie 2005/29 darstellt, ist darauf hinzuweisen, dass dieser Begriff in dieser Bestimmung definiert wird als „jede kommerzielle Kommunikation, die die Merkmale des Produkts und den Preis in einer Weise angibt, die den Mitteln der verwendeten kommerziellen Kommunikation angemessen ist und den Verbraucher dadurch in die Lage versetzt, einen Kauf zu tätigen“.
28 Zudem hat der Gerichtshof klargestellt, dass die Aufforderung zum Kauf als eine besondere Form der Werbung einer verstärkten Informationspflicht nach Art. 7 Abs. 4 in Verbindung mit dem 14. Erwägungsgrund der Richtlinie 2005/29 unterliegt (Urteil vom 12. Mai 2011, Ving Sverige, C‑122/10, EU:C:2011:299, Rn. 28).
29 Somit muss jede Aufforderung zum Kauf eine Anzahl wesentlicher Informationen enthalten, die in Art. 7 Abs. 4 der Richtlinie 2005/29 aufgeführt sind und die der Verbraucher benötigt, um eine informierte geschäftliche Entscheidung treffen zu können. Zu diesen Informationen gehören nach Buchst. c dieser Bestimmung der Preis einschließlich aller Steuern und Abgaben oder in den Fällen, in denen der Preis aufgrund der Beschaffenheit des Produkts vernünftigerweise nicht im Voraus berechnet werden kann, die Art der Preisberechnung.
30 Aus dem Wortlaut von Art. 7 Abs. 4 Buchst. c der Richtlinie 2005/29 ergibt sich, dass zwischen der Angabe des Endpreises und der Angabe der Art der Preisberechnung zu unterscheiden ist, dass die Fälle, in denen der Gewerbetreibende den Preis vernünftigerweise nicht im Voraus berechnen kann, durch die Beschaffenheit des Produkts bestimmt werden, und dass, wenn der Gewerbetreibende nicht in der Lage ist, diesen Preis anzugeben, er die Modalitäten angeben muss, auf deren Grundlage der Preis berechnet wird, oder – mit anderen Worten – die Berechnungsweise des Endpreises.
31 Kann also der Endpreis der Stromlieferung nicht vernünftigerweise im Voraus berechnet werden, da er von bestimmten Faktoren, wie z. B. von den Kosten, die dem Stromversorger entstehen, aber außerhalb seines Einflussbereichs liegen und variabel sind, oder, wie das vorlegende Gericht ausführt, von der Menge des vom Verbraucher tatsächlich verbrauchten Stroms abhängen kann, fällt die Information über die Anwendung eines Faktors wie eines prozentualen Aufschlags in Form der Ausgleichsmenge, der vom Gewerbetreibenden in den Endpreis einbezogen wird, unter die „Art der Preisberechnung“ im Sinne von Art. 7 Abs. 4 Buchst. c der Richtlinie 2005/29 und stellt als solche eine wesentliche Information dar, die der Verbraucher benötigt, um eine informierte geschäftliche Entscheidung zu treffen.
32 Zudem gilt nach Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2005/29 eine Aufforderung zum Kauf wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Werbung als irreführend, wenn sie wesentliche Informationen vorenthält, die der durchschnittliche Verbraucher je nach den Umständen benötigt, um eine informierte geschäftliche Entscheidung zu treffen, und die somit einen Durchschnittsverbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst oder zu veranlassen geeignet ist, die er sonst nicht getroffen hätte.
33 Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass eine wesentliche Information wie die Angabe über die Anwendung eines prozentualen Aufschlags in Form der Ausgleichsmenge in einer Aufforderung zum Kauf wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden enthalten sein muss, wenn der Durchschnittsverbraucher sie je nach den Umständen benötigt, um eine informierte geschäftliche Entscheidung zu treffen.
34 Für die Auslegung der Bestimmungen der Richtlinie 2005/29 ist der Begriff des Verbrauchers von entscheidender Bedeutung. Die Richtlinie nimmt den Durchschnittsverbraucher, der angemessen gut unterrichtet und angemessen aufmerksam und kritisch ist, unter Berücksichtigung sozialer, kultureller und sprachlicher Faktoren als Maßstab (Urteil vom 12. Mai 2011, Ving Sverige, C‑122/10, EU:C:2011:299, Rn. 22).
35 Somit müssen die nationalen Gerichte auf die Wahrnehmung des normal informierten und angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers abstellen (Urteil vom 12. Mai 2011, Ving Sverige, C‑122/10, EU:C:2011:299, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).
36 Ferner beruht der Begriff des „Durchschnittsverbrauchers“, wie sich aus dem 18. Erwägungsgrund der Richtlinie 2005/29 ergibt, nicht auf einer statistischen Grundlage, und die nationalen Gerichte und Verwaltungsbehörden müssen sich bei der Beurteilung der Frage, wie der Durchschnittsverbraucher in einem gegebenen Fall typischerweise reagieren würde, auf ihre eigene Urteilsfähigkeit verlassen.
37 Allerdings schreibt der Wortlaut von Art. 7 Abs. 4 Buchst. c der Richtlinie 2005/29 dem Gewerbetreibenden nicht vor, wie er den Verbraucher über die Modalitäten der Preisberechnung zu informieren hat.
38 Zudem ist der Gewerbetreibende aufgrund der Beschaffenheit des betreffenden Produkts und insbesondere der Bedingungen der Herstellung, Lieferung oder auch Endverwendung dieses Produkts möglicherweise nicht in der Lage, sämtliche Bestandteile des Endpreises im Voraus genau zu bestimmen, so dass er dem Verbraucher die Berechnungsweise dieses Preises nicht in einer Weise mitteilen kann, dass die interessierte Person die Berechnung selbst vornehmen könnte.
39 Daher kann nicht verlangt werden, dass die Information über die Art der Preisberechnung so umfänglich zu sein hat, dass der Verbraucher in der Lage sein muss, auf der Grundlage dieser Information den Preis selbst zu berechnen und so zu einem endgültigen bezifferten Ergebnis zu gelangen.
40 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 2005/29 keine konkrete Vorgabe hinsichtlich des Umfangs und des Trägers einer wesentlichen Information enthält (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. Februar 2017, Carrefour Hypermarchés, C‑562/15, EU:C:2017:95, Rn. 37).
41 Somit kann eine Information über die Art der Preisberechnung im Sinne von Art. 7 Abs. 4 Buchst. c dieser Richtlinie z. B. in Form einer Spanne zwischen verschiedenen Prozentsätzen, eines genauen Prozentsatzes, dessen Anwendung jedoch an Bedingungen geknüpft ist, oder eines im Voraus festgelegten Prozentsatzes, der aber mit dem Hinweis verbunden wird, dass seine Höhe im Lauf der Zeit aufgrund variabler Faktoren, die außerhalb des Einflussbereichs des Gewerbetreibenden liegen, variieren kann, erfolgen.
42 Eine solche Auslegung von Art. 7 Abs. 4 Buchst. c der Richtlinie 2005/29 wird durch eine Prüfung der allgemeinen Systematik von Art. 7 dieser Richtlinie bestätigt.
43 Hierzu ist erstens darauf hinzuweisen, dass nach Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2005/29 eine Aufforderung zum Kauf wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Werbung insbesondere dann eine irreführende Unterlassung aufweist, wenn der Gewerbetreibende die Information über die Art der Preisberechnung verheimlicht oder auf unklare, unverständliche, zweideutige Weise oder nicht rechtzeitig bereitstellt und wenn dies jeweils einen Durchschnittsverbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst oder zu veranlassen geeignet ist, die er ansonsten nicht getroffen hätte.
44 Daraus folgt, dass der Gewerbetreibende verpflichtet ist, sämtliche wesentlichen Faktoren der Preisberechnung anzugeben. Ebenso muss jeder dieser Faktoren vom Gewerbetreibenden in einer Weise kommuniziert werden, die den Durchschnittsverbraucher in die Lage versetzt, eine informierte geschäftliche Entscheidung zu treffen.
45 Zweitens ist nach Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2005/29 der irreführende Charakter einer Geschäftspraxis im konkreten Fall insbesondere unter Berücksichtigung aller tatsächlichen Umstände und der Beschränkungen des Kommunikationsmediums zu beurteilen. Art. 7 Abs. 3 dieser Richtlinie sieht wiederum vor, dass bei der Entscheidung darüber, ob Informationen vorenthalten wurden, räumliche oder zeitliche Beschränkungen des Kommunikationsmediums sowie die Maßnahmen, die der Gewerbetreibende getroffen hat, um den Verbrauchern die Informationen anderweitig zur Verfügung zu stellen, berücksichtigt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Mai 2011, Ving Sverige, C‑122/10, EU:C:2011:299, Rn. 53 und 54).
46 Aus diesen Bestimmungen ergibt sich, dass der Umfang der Information über die Art der Preisberechnung, die ein Gewerbetreibender im Rahmen einer Aufforderung zum Kauf zu kommunizieren hat, insbesondere anhand der tatsächlichen Umstände dieser Aufforderung zum Kauf und anhand des Kommunikationsmediums zu beurteilen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Mai 2011, Ving Sverige, C‑122/10, EU:C:2011:299, Rn. 55, und vom 26. Oktober 2016, Canal Digital Danmark, C‑611/14, EU:C:2016:800, Rn. 27).
47 Das vorlegende Gericht gibt an, dass weder nachgewiesen noch offensichtlich sei, dass das für die betreffende Geschäftspraxis verwendete Kommunikationsmittel, nämlich ein auf der Website der Beklagten des Ausgangsverfahrens verfügbarer Tarifrechner, räumliche oder zeitliche Beschränkungen auferlege.
48 Das vorlegende Gericht wird jedoch, um den Umfang der Information zu bestimmen, die der Gewerbetreibende im Hinblick auf die Berechnungsweise des Preises zu kommunizieren hat, die tatsächlichen Umstände der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Werbung zu berücksichtigen haben.
49 Zum einen macht die Beklagte des Ausgangsverfahrens hierzu geltend – was der Gerichtshof nicht zu überprüfen hat –, dass sie vernünftigerweise nicht in der Lage sei, in ihrer Werbung den genauen Prozentsatz der Ausgleichsmenge anzugeben. So würden die in Deutschland niedergelassenen Verteilnetzbetreiber manchmal unterschiedliche und sich im Lauf der Zeit verändernde Prozentsätze heranziehen, so dass sie, wenn sie den Verbrauchern in Echtzeit den genauen Betrag eines solchen Prozentsatzes mitteilen müsste, täglich alle diese Betreiber zu jeder etwaigen Änderung dieses Faktors befragen müsste. Eine solche Vorgehensweise würde jedoch unverhältnismäßig viele Ressourcen binden.
50 Zum anderen ist der Vorlageentscheidung zu entnehmen, dass die Werbung, die die vom Tarifrechner generierten Tarifvorschläge anzeigt, einen Link zu den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten des Ausgangsverfahrens enthält. Diese weist den Verbraucher in diesem Dokument darauf hin, dass der örtliche Netzbetreiber den nächtlichen Zeitabschnitt, für den der Niedertarif angewendet werde, sowie den Prozentsatz der Ausgleichsmenge festlege, und dass dieser Prozentsatz für das geografische Gebiet, in dem sie ihren Sitz habe, vom örtlichen Netzbetreiber auf 25 % festgelegt worden sei.
51 Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht vorzunehmenden Prüfungen unter den tatsächlichen Bedingungen der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Aufforderung zum Kauf nicht davon ausgegangen werden kann, dass diese Aufforderung eine „irreführende Unterlassung“ im Sinne von Art. 7 Abs. 1 und 4 der Richtlinie 2005/29 aufweist, sofern der Link zu den Allgemeinen Geschäftsbedingungen, in denen Angaben zu dem Prozentsatz der Ausgleichsmenge enthalten sind, gut sichtbar angezeigt wird und die Annahme des Angebots durch den Verbraucher technisch davon abhängig gemacht wird, dass dieser die Kenntnisnahme der Bedingungen bestätigt, wodurch sichergestellt wird, dass er eine informierte geschäftliche Entscheidung trifft.
52 Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 7 Abs. 1 und Abs. 4 Buchst. c der Richtlinie 2005/29 dahin auszulegen ist, dass im Fall einer Aufforderung zum Kauf, die mittels einer kommerziellen Kommunikation im Internet erfolgt, die Information über die Art der Preisberechnung nicht notwendigerweise den genauen Prozentsatz eines variablen Bestandteils wie der Ausgleichsmenge enthalten muss, den der Stromversorger für den betreffenden Verbraucher anwendet, so dass dieser, wenn er seinen Stromverbrauch kennt, den Preis selbständig berechnen kann, sofern in dieser Kommunikation die grundsätzliche Anwendbarkeit eines solchen Prozentsatzes zusammen mit einer möglichen Größenordnung und den Faktoren, die sich auf diesen Prozentsatz auswirken, angegeben werden und der Durchschnittsverbraucher dadurch in die Lage versetzt wird, eine informierte geschäftliche Entscheidung zu treffen.