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Wirtschaftsrecht
08.11.2018
Wirtschaftsrecht
BGH: Anwendung der arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften bei Abschluss eines privatrechtlichen Vertrags

BGH, Urteil vom 11.10.2018 – VII ZR 298/17

ECLI:DE:BGH:2018:111018UVIIZR298.17.0

Volltext: BB-Online BBL2018-2689-3

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Amtliche Leitsätze

Die arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften betreffend den Kündigungsschutz (§§ 1 ff. KSchG), die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (§ 3 EntgeltFG) sowie die Pflicht zur Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen und Lohnsteuer (§ 28e SGB IV, § 41a EStG) finden unabhängig von einer möglichen Umgehungsabsicht der Vertragspartner beim Abschluss eines privatrechtlichen Vertrags Anwendung, wenn die in ihnen niedergelegten Voraussetzungen erfüllt sind, und führen nicht zur Nichtigkeit des Vertrags gemäß § 134 BGB.

BGB §§ 134, 138 Bb, 611

Sachverhalt

Die Klägerin ist selbständige Maklerin und war Inhaberin des Franchiserechts der Firma R.      für den Standort B.        . Sie war berechtigt, Lizenzen an Dritte zu vergeben, die dann ebenfalls als selbständige Makler tätig werden und Unterstützungs- und Managementleistungen der Klägerin als R.     Franchisenehmer (im Folgenden nur: Franchisenehmer) erhalten sollten. Für fixe und variable Kosten waren monatliche Beiträge zu zahlen und außerdem ein Teil der Provision an die Klägerin abzuführen. Am 19. Februar 2014 schlossen die Klägerin und der Beklagte einen R.    -Lizenznehmervertrag, nach dem der Beklagte das Recht und die Pflicht hatte, seine berufliche Tätigkeit als selbständiger Makler von Immobilien im Rahmen des R.     -Immobilienmakler-Gemeinschaftsbüros als R.     Lizenznehmer der Klägerin (im Folgenden nur: Lizenznehmer) aufzunehmen und für die Dauer des Vertrags nach den Grundsätzen und Richtlinien für die Nutzung der Marken, des Know-hows und unter Inanspruchnahme der Unterstützungs- und Managementleistungen der Klägerin auszuüben. Gemäß § 2 des Lizenznehmervertrags sollte der Beklagte als selbständiger Makler von Immobilien mit eigenem Kapitaleinsatz im eigenen Namen und für eigene Rechnung im Gemeinschaftsbüro der Klägerin tätig werden.

Gemäß § 6.2 des Lizenznehmervertrags sollte die Klägerin nach außen im eigenen Namen, im Innenverhältnis jedoch für Rechnung des Beklagten die Geschäftsbeziehungen zu Auftraggebern des Beklagten abwickeln. In § 6.3 ist geregelt, dass allein die Klägerin als Franchisenehmerin die Inkassovollmacht in Bezug auf Provisionen und Vergütungen des Lizenznehmers besitzt. Die Klägerin war nach § 6.5 des Lizenznehmervertrags verpflichtet, dem Beklagten die von diesem in Rechnung gestellten Provisionen unverzüglich nach Eingang der Zahlung seitens des Kunden zu überweisen.

Gemäß § 8 des Lizenznehmervertrags sollte der Beklagte für alle von ihm abgeschlossenen provisionspflichtigen Geschäfte einen Provisionsanteil von 20 % an die Klägerin zahlen, die ihrerseits einen Provisionsanteil an die R.      D.         abzuführen hatte. Der Beklagte hatte außerdem bestimmte Kosten monatlich zu übernehmen, und zwar ein Management-Fee in Höhe von 335 € netto, anteilige Bürofixkosten in Höhe von 488,30 € netto und anteilige persönliche Kosten, unter anderem für den Softwarezugang, in Höhe von 37,50 € netto. Daneben hatte der Beklagte die variablen Kosten, wie Telefonkosten, Druckkosten, Büromaterial, Portokosten, zu tragen. Die Klägerin war nach § 8.4 des Lizenznehmervertrags berechtigt, diese monatlichen Gebühren von den vom Beklagten verdienten Provisionen einzubehalten.

Da der Beklagte nicht über Eigenkapital verfügte, vereinbarten die Parteien für die ersten sechs Monate der Vertragslaufzeit abweichend von § 8 des Lizenznehmervertrags, dass der Beklagte der Klägerin eine monatliche Kostenpauschale von 160 € zahlen und lediglich die notwendigen Werbemaßnahmen, die persönlichen verbrauchsabhängigen Kosten und die Kosten für die Anzeigenschaltung selbst übernehmen sollte. Dafür sollte die Provisionsregelung in diesem Zeitraum 48 % zu 52 % zugunsten der Klägerin sein. Eine weitere Zusatzvereinbarung ermöglichte es dem Beklagten, die an ihn gerichteten Rechnungen der Klägerin innerhalb des ersten Jahres je nach seinen finanziellen Möglichkeiten zu begleichen.

Am 1. März 2014 nahm der Beklagte seine Tätigkeit auf. Im März 2014 nahm der Beklagte an einer kostenpflichtigen R.      -Schulung teil. Die Klägerin verauslagte die hierfür anfallenden Kosten in Höhe von 1.008 € und stellte dem Beklagten absprachegemäß den hälftigen Kostenanteil in Rechnung. In den ersten Monaten vermittelte der Beklagte einige Gewerbeeinheiten. Nach Eingang der Provisionszahlungen zahlte die Klägerin an den Beklagten vereinbarungsgemäß eine Provision von 48 %, insgesamt einen Betrag in Höhe von 1.101,27 € brutto aus. Weitere Zahlungen der Klägerin erfolgten nicht. Mit Vereinbarung vom 3. November 2014 hoben die Parteien den Lizenznehmervertrag einvernehmlich rückwirkend zum 31. Oktober 2014 auf. Die Klägerin stellte dem Beklagten für die Monate März bis Oktober 2014 Kosten in Höhe von 5.698,02 € in Rechnung, die sie gegen berechtigte Provisionsansprüche des Beklagten in diesem Zeitraum in Höhe von 2.043,21 € verrechnete.

Den Differenzbetrag in Höhe von 3.654,81 € hat die Klägerin mit der Klage geltend gemacht. Der Beklagte hat eingewandt, der Vertrag sei sittenwidrig, weil er nicht selbständig handeln, sondern nur "scheinselbständig" nach außen als Makler habe auftreten können. Er hat die Auffassung vertreten, dass die berechneten Kosten überhöht seien und zu seinen Gunsten ein Provisionsanspruch offen stehe. Das Amtsgericht hat den Beklagten unter Abweisung der Klage im Übrigen zur Zahlung eines Betrags von 3.411,74 € zuzüglich Zinsen verurteilt. Auf die Berufung des Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage abgewiesen.

Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision will die Klägerin die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils erreichen.

Aus den Gründen

8          Die Revision der Klägerin führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht.

I.

9          Das Berufungsgericht hat die Auffassung vertreten, der Beklagte sei zu Unrecht zur Zahlung verurteilt worden. Bei dem Lizenznehmervertrag handele es sich wegen der Scheinselbständigkeit des Beklagten um ein nichtiges Umgehungsgeschäft. Scheinselbständige seien Personen, die für einen anderen andauernd Dienst- oder Werkleistungen erbrächten und dabei wie ein Arbeitnehmer weisungsgemäß oder in wirtschaftlicher Abhängigkeit von dem Auftraggeber tätig würden, obwohl sie als Vertragspartner ausdrücklich keinen Arbeitsvertrag geschlossen hätten. Die Scheinselbständigkeit werde in dem Bestreben benutzt, arbeitsrechtliche Schutzvorschriften, insbesondere Kündigungsschutz, Entgeltfortzahlung, Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuer, zu umgehen. Die Nichtigkeit eines solchen Umgehungsgeschäfts ergebe sich bereits im Wege der Auslegung aus der umgangenen Verbotsnorm. Vorliegend sei kein Arbeitsvertrag zwischen den Parteien geschlossen worden, sondern ein Lizenznehmervertrag, der den Anschein habe erwecken sollen, der Lizenznehmer werde selbständig Immobilien vermakeln. Der Lizenznehmer sei hier in der Gestaltung seiner Arbeitszeit frei, er könne bestimmen, ob eine Rechnung an seinen Kunden gestellt werde und er betreibe selbständig Kundenakquise. Allerdings überwögen in dem Lizenzvertrag die Bestimmungen, die ein Arbeitsverhältnis kennzeichneten.

II.

10        Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

11        1. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann die Nichtigkeit des zwischen den Parteien geschlossenen Lizenznehmervertrags nicht angenommen werden.

12        Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist dieser Vertrag nicht wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot gemäß § 134 BGB unwirksam. Eine Umgehung der vom Berufungsgericht in Bezug genommenen arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften betreffend den Kündigungsschutz (§§ 1 ff. KSchG), die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (§ 3 EntgeltFG) sowie die Pflicht zur Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen und Lohnsteuer (§ 28e SGB IV, § 41a EStG) führt nicht zur Nichtigkeit des Vertrags. Diese Bestimmungen finden vielmehr unabhängig von einer möglichen Umgehungsabsicht der Vertragspartner beim Abschluss eines privatrechtlichen Vertrags Anwendung, wenn die in ihnen niedergelegten Voraussetzungen erfüllt sind (vgl. Edenfeld in Erman, BGB, 15. Aufl., § 611 Rn. 11; Palandt/Weidenkaff, BGB, 77. Aufl., Einf v § 611 Rn. 7a). Ob ein Vertrag über die Ausübung einer selbständigen Tätigkeit oder ein Arbeitsvertrag vorliegt, ist anhand einer Gesamtwürdigung aller maßgebenden Umstände des Einzelfalls zu ermitteln, der objektive Geschäftsinhalt ist den ausdrücklich getroffenen Vereinbarungen und der praktischen Durchführung des Vertrags zu entnehmen. Widersprechen sich Vereinbarung und tatsächliche Durchführung, ist Letztere maßgeblich (vgl. BAGE 146, 97, juris Rn. 17; BAGE 143, 77, juris Rn. 15 m.w.N.).

13        2. Der Einwand der Revisionserwiderung, das Urteil des Berufungsgerichts stelle sich aus anderen Gründen als richtig dar, trifft nicht zu. Soweit der Beklagte in diesem Zusammenhang in der Revisionsinstanz geltend macht, die Vertragsbestimmungen über die Tragung von Bürokosten, der Kosten für Management und Softwarezugang, der variablen Kosten sowie der Kosten für die notwendigen Werbemaßnahmen, die persönlichen verbrauchsabhängigen Kosten und die Kosten für die Anzeigenschaltung durch den Beklagten, auf die die Klägerin ihren Zahlungsanspruch stütze, seien von der Klägerin gestellt worden und hielten einer Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 BGB nicht stand, ist dieser Einwand aus den nachstehenden Gründen hier nicht erheblich. Da das Berufungsgericht entsprechende tatsächliche Feststellungen dazu, dass es sich bei diesen Vertragsbestimmungen um von der Klägerin im Sinne des § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB für eine Vielzahl von Fällen vorformulierte Vertragsbedingungen handelt, nicht getroffen hat, ohne dass der Beklagte dies angreift, ist das entgegenstehende Vorbringen des Beklagten gemäß § 559 Abs. 1 ZPO in der Revisionsinstanz nicht zu berücksichtigen.

14        3. Das Urteil des Berufungsgerichts kann danach keinen Bestand haben und ist aufzuheben. Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden, § 563 Abs. 3 ZPO, weil das Berufungsgericht zu den weiteren vom Beklagten erhobenen Einwendungen bislang keine Feststellungen getroffen hat. Die Sache ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

III.

15        Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

16        Die vom Berufungsgericht angenommene Nichtigkeit des Lizenznehmervertrags wäre gegeben, wenn der Einwand des Beklagten durchgreift, dass der Vertrag als sittenwidrig zu bewerten ist. Das kommt auch in Betracht, wenn der Beklagte als selbstständig tätiger Franchisenehmer anzusehen ist.

17        Ein Rechtsgeschäft ist sittenwidrig im Sinne des § 138 Abs. 1 BGB und damit nichtig, wenn es nach seinem aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu entnehmenden Gesamtcharakter mit den guten Sitten nicht zu vereinbaren ist (vgl. BGH, Urteil vom 28. April 2015 - XI ZR 378/13 Rn. 69, BGHZ 205, 117; Urteil vom 3. April 2008 - III ZR 190/07 Rn. 21, NJW 2008, 2026; Urteil vom 19. Januar 2001 - V ZR 437/99, BGHZ 146, 298, juris Rn. 10, jeweils m.w.N.). Ein Franchisevertrag ist insgesamt wegen Verstoßes gegen § 138 Abs. 1 BGB nichtig, wenn wegen einer Vielzahl der den Franchisegeber einseitig begünstigenden und den Franchisenehmer benachteiligenden Bestimmungen der Franchisenehmer übermäßig in seiner wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit beeinträchtigt und ihm hierfür kein auch nur annähernd angemessener Ausgleich gewährt wird (vgl. BGH, Urteil vom 12. November 1986 - VIII ZR 280/85, BGHZ 99, 101, juris Rn. 10; Urteil vom 7. Januar 1993 - IX ZR 199/91, NJW 1993, 1587, juris Rn. 19 m.w.N.). Hierfür ist eine Gesamtwürdigung der vertraglichen Vereinbarung und der zum Vertragsschluss führenden Umstände erforderlich. Indizien für eine sittenwidrige Knebelung des Franchisenehmers können dabei die Vereinbarung einer Inkassovollmacht zugunsten des Franchisegebers sein, durch die der Zahlungsverkehr auf den Franchisegeber umgeleitet wird, sowie Einschränkungen des Franchisenehmers enthaltende Vertragsbestimmungen, die über die für ein solches Vertriebssystem typischen Einschränkungen der wirtschaftlichen Freiheit des Franchisenehmers hinausgehen. Das Berufungsgericht wird hierzu nach Anhörung der Parteien die erforderlichen Feststellungen zu treffen haben.

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