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Wirtschaftsrecht
13.12.2018
Wirtschaftsrecht
EuGH: Anwendung einer Gerichtsstandsklausel bei Schadensersatzklage eines Händlers gegen seinen Lieferanten wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung

EuGH, Urteil vom 24.10.2018 – C‑595/17, Apple Sales International, Apple Inc., Apple retail France EURL gegen MJA als Liquidator von eBizcuss.com

ECLI:EU:C:2018:854

Volltext: BB-ONLINE BBL2018-3028-1

unter www.betriebs-berater.de

Tenor

1. Art. 23 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass die Anwendung einer in dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag enthaltenen Gerichtsstandsklausel auf eine auf Art. 102 AEUV gestützte Schadensersatzklage eines Händlers gegen seinen Lieferanten nicht allein aus dem Grund ausgeschlossen ist, dass sie sich nicht ausdrücklich auf Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Haftung wegen eines Verstoßes gegen das Wettbewerbsrecht bezieht.

2. Art. 23 der Verordnung Nr. 44/2001 ist dahin auszulegen, dass die Anwendung einer Gerichtsstandsklausel im Rahmen einer auf Art. 102 AEUV gestützten Schadensersatzklage eines Händlers gegen seinen Lieferanten nicht von der vorherigen Feststellung eines Verstoßes gegen das Wettbewerbsrecht durch eine nationale oder europäische Behörde abhängt.

Urteil

1          Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 23 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1).

2          Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Apple Sales International, der Apple Inc. und der Apple retail France EURL einerseits sowie MJA als Liquidator der Gesellschaft eBizcuss.com (im Folgenden: eBizcuss) andererseits über eine von dieser Gesellschaft wegen einer Zuwiderhandlung gegen Art. 102 AEUV erhobene Schadensersatzklage.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3          Die Erwägungsgründe 2, 11 und 14 der Verordnung Nr. 44/2001 lauten:

„(2) Die Unterschiede zwischen bestimmten einzelstaatlichen Vorschriften über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung von Entscheidungen erschweren das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts. Es ist daher unerlässlich, Bestimmungen zu erlassen, um die Vorschriften über die internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen zu vereinheitlichen und die Formalitäten im Hinblick auf eine rasche und unkomplizierte Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen aus den durch diese Verordnung gebundenen Mitgliedstaaten zu vereinfachen.

(11) Die Zuständigkeitsvorschriften müssen in hohem Maße vorhersehbar sein und sich grundsätzlich nach dem Wohnsitz des Beklagten richten, und diese Zuständigkeit muss stets gegeben sein außer in einigen genau festgelegten Fällen, in denen aufgrund des Streitgegenstands oder der Vertragsfreiheit der Parteien ein anderes Anknüpfungskriterium gerechtfertigt ist. Der Sitz juristischer Personen muss in der Verordnung selbst definiert sein, um die Transparenz der gemeinsamen Vorschriften zu stärken und Kompetenzkonflikte zu vermeiden.

(14) Vorbehaltlich der in dieser Verordnung festgelegten ausschließlichen Zuständigkeiten muss die Vertragsfreiheit der Parteien hinsichtlich der Wahl des Gerichtsstands, außer bei Versicherungs-, Verbraucher- und Arbeitssachen, wo nur eine begrenztere Vertragsfreiheit zulässig ist, gewahrt werden.“

4          In Kapitel II Abschnitt 7 („Vereinbarung über die Zuständigkeit“) der Verordnung Nr. 44/2001 bestimmt Art. 23 Abs. 1:

„Haben die Parteien, von denen mindestens eine ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, vereinbart, dass ein Gericht oder die Gerichte eines Mitgliedstaats über eine bereits entstandene Rechtsstreitigkeit oder über eine künftige aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit entscheiden sollen, so sind dieses Gericht oder die Gerichte dieses Mitgliedstaats zuständig. Dieses Gericht oder die Gerichte dieses Mitgliedstaats sind ausschließlich zuständig, sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben. Eine solche Gerichtsstandsvereinbarung muss geschlossen werden

a) schriftlich oder mündlich mit schriftlicher Bestätigung,

b) in einer Form, welche den Gepflogenheiten entspricht, die zwischen den Parteien entstanden sind, oder

c) im internationalen Handel in einer Form, die einem Handelsbrauch entspricht, den die Parteien kannten oder kennen mussten und den Parteien von Verträgen dieser Art in dem betreffenden Geschäftszweig allgemein kennen und regelmäßig beachten.“

Französisches Recht

5          In dem für das Ausgangsverfahren maßgebenden Zeitraum bestimmte Art. 1382 des Code civil (Zivilgesetzbuch):

„Jegliche Handlung eines Menschen, durch die einem anderen ein Schaden zugefügt wird, verpflichtet denjenigen, durch dessen Verschulden der Schaden entstanden ist, diesen zu ersetzen.“

6          Art. L 420-1 des Code de commerce (Handelsgesetzbuch) sieht vor:

„Abgestimmtes Vorgehen, Vereinbarungen, Absprachen – seien sie ausdrücklicher oder stillschweigender Art – oder Bündnisse, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs auf einem Markt bezwecken oder bewirken können, sind, auch wenn sie direkt oder indirekt über eine außerhalb Frankreichs niedergelassene Konzerngesellschaft zustande kommen, verboten, insbesondere wenn sie darauf abzielen,

1° den Zugang zum Markt oder die freie Ausübung des Wettbewerbs durch andere Unternehmen zu beschränken;

2° die Festlegung der Preise durch das freie Kräftespiel des Marktes zu behindern, indem sie ihre künstliche Erhöhung oder Senkung begünstigen;

3° die Erzeugung, den Absatz, die Investitionen oder den technischen Fortschritt einzuschränken oder zu kontrollieren;

4° die Märkte oder die Versorgungsquellen aufzuteilen.“

7          Art. L 420-2 des Handelsgesetzbuchs lautet:

„Verboten sind, unter den Voraussetzungen des Art. L 420-1, der Missbrauch einer beherrschenden Stellung auf dem Binnenmarkt oder auf einem wesentlichen Teil desselben durch ein Unternehmen oder eine Gruppe von Unternehmen. Dieser Missbrauch kann insbesondere bestehen in einer Verkaufsverweigerung, Kopplungsgeschäften oder diskriminierenden Verkaufsbedingungen sowie aus dem Abbruch bestehender Geschäftsbeziehungen allein aus dem Grund, dass der Partner sich weigert, sich unangemessenen Geschäftsbedingungen zu unterwerfen.

Verboten ist ferner der Missbrauch der wirtschaftlichen Abhängigkeit eines gewerblichen Kunden oder Lieferanten durch ein Unternehmen oder eine Gruppe von Unternehmen, da dieser geeignet ist, das Funktionieren oder die Struktur des Wettbewerbs zu beeinträchtigen. Dieser Missbrauch kann insbesondere bestehen in einer Verkaufsverweigerung, Kopplungsgeschäften, diskriminierenden Praktiken im Sinne von Art. L 442-6 Abs. I oder Absprachen über die Produktpalette“.

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

8          Am 10. Oktober 2002 schloss die Apple Sales International, eine Gesellschaft irischen Rechts, mit eBizcuss einen Vertrag, mit dem dieser der Status eines Wiederverkäufers der Marke Apple verliehen wurde. Dieser Vertrag, mit dem eBizcuss sich verpflichtete, nahezu ausschließlich die Erzeugnisse ihres Vertragspartners zu vertreiben, enthielt eine Gerichtsstandsklausel zugunsten der irischen Gerichte.

9          Diese auf Englisch abgefasste Klausel lautete in der letzten Fassung des Vertriebsvertrags vom 20. Dezember 2005 wie folgt:

„This Agreement and the corresponding relationship between the parties shall be governed by and construed in accordance with the laws of the Republic of Ireland and the parties shall submit to the jurisdiction of the courts of the Republic of Ireland. Apple [Sales International] reserves the right to institute proceedings against Reseller in the courts having jurisdiction in the place where Reseller has its seat or in any jurisdiction where a harm to Apple [Sales International] is occurring.“

10        Die Parteien des Ausgangsverfahrens sind über die richtige Übersetzung der Formulierung „and the corresponding relationship“ in die französische Sprache uneins. Sie übersetzen diese mit „et la relation correspondante“ („und die entsprechende Beziehung“) (Übersetzung von eBizcuss) bzw. mit „et les relations en découlant“ („und die sich daraus ergebenden Beziehungen“) (Übersetzung von Apple Sales International).

11        Ungeachtet dieses Unterschieds lässt sich diese Klausel wie folgt übersetzen:

„Le présent contrat et la relation correspondante [Übersetzung von eBizcuss]/et les relations en découlant [Übersetzung von Apple Sales International] entre les parties seront régis par et interprétés conformément au droit de l’Irlande et les parties se soumettent à la compétence des tribunaux de l’Irlande. Apple [Sales International] se réserve le droit d’engager des poursuites à l’encontre du revendeur devant les tribunaux dans le ressort duquel est situé le siège du revendeur ou dans tout pays dans lequel Apple [Sales International] subit un préjudice.“ („Der vorliegende Vertrag und die entsprechende Beziehung [Übersetzung von eBizcuss]/und die sich daraus ergebenden Beziehungen [Übersetzung von Apple Sales International] zwischen den Parteien unterliegen irischem Recht, das auch für ihre Auslegung maßgeblich ist, und die Parteien unterwerfen sich der Zuständigkeit der irischen Gerichte. Apple [Sales International] behält sich das Recht vor, rechtliche Schritte gegen den Wiederverkäufer vor den Gerichten des Sitzes des Wiederverkäufers oder jedes Landes, in dem Apple [Sales International] einen Schaden erleidet, einzuleiten“).

12        Im April 2012 erhob eBizcuss beim Tribunal de commerce de Paris (Handelsgericht Paris, Frankreich) auf der Grundlage von Art. 1382 des Zivilgesetzbuchs, Art. L 420-2 des Handelsgesetzbuchs und Art. 102 AEUV eine auf unlauteren Wettbewerb und Missbrauch einer beherrschenden Stellung gestützte Haftungsklage gegen Apple Sales International, die Apple Inc., eine Gesellschaft amerikanischen Rechts, und die Apple retail France, eine Gesellschaft französischen Rechts.

13        Mit Urteil vom 26. September 2013 gab dieses Gericht der von Apple Sales International erhobenen Einrede der Unzuständigkeit mit der Begründung statt, dass in dem Vertrag zwischen dieser Gesellschaft und eBizcuss eine Gerichtsstandsklausel zugunsten der irischen Gerichte vereinbart sei.

14        Mit Urteil vom 8. April 2014 wies die Cour d’appel de Paris (Berufungsgericht Paris, Frankreich) das von eBizcuss gegen dieses Urteil eingelegte Rechtsmittel zurück.

15        Mit Urteil vom 7. Oktober 2015 hob die Cour de cassation (Kassationsgerichtshof, Frankreich) dieses Urteil mit der Begründung auf, dass die Cour d’appel de Paris (Berufungsgericht Paris) dadurch gegen Art. 23 der Verordnung Nr. 44/2001 in seiner Auslegung durch den Gerichtshof im Urteil vom 21. Mai 2015, CDC Hydrogen Peroxide (C‑352/13, EU:C:2015:335), verstoßen habe, dass sie die im Vertrag zwischen eBizcuss und der Apple Sales International enthaltene Gerichtsstandsklausel berücksichtigt habe, obwohl sich diese Klausel nicht auf Streitigkeiten über die Haftung wegen Verstoßes gegen das Wettbewerbsrecht bezogen habe.

16        Mit einem auf die Zurückverweisung durch die Cour de cassation (Kassationsgerichtshof, Frankreich) hin ergangenen Urteil vom 25. Oktober 2016 gab die Cour d’appel de Versailles (Berufungsgericht Versailles, Frankreich) dem Rechtsmittel von eBizcuss statt und verwies die Sache an das Tribunal de commerce de Paris (Handelsgericht Paris).

17        Apple Sales International, die Apple Inc. und Apple retail France legten gegen dieses Urteil Kassationsbeschwerde beim vorlegenden Gericht ein und machten im Wesentlichen geltend, dass, wenn eine eigenständige wettbewerbsrechtliche Klage ihren Ursprung in der Vertragsbeziehung habe, eine Gerichtsstandsklausel auch dann zu berücksichtigen sei, wenn sie sich nicht ausdrücklich auf eine solche Klage beziehe und zuvor kein wettbewerbsrechtlicher Verstoß von einer nationalen oder europäischen Behörde festgestellt worden sei.

18        Das vorlegende Gericht führt aus, es habe in der Zwischenzeit Kenntnis von einem Urteil des Supremo Tribunal de Justiça (Oberster Gerichtshof, Portugal) vom 16. Februar 2016, Interlog und Taboada/Apple, erlangt. Dieses betreffe ebenfalls Apple Sales International und eine vergleichbare, allgemein gefasste Gerichtsstandsklausel. Das Supremo Tribunal de Justiça (Oberster Gerichtshof) habe befunden, dass diese Klausel in einem Rechtsstreit, der sich auf eine ebensolche Behauptung eines Missbrauchs einer beherrschenden Stellung im Sinne des Unionsrechts beziehe, für die Parteien eingreife, und die Unzuständigkeit der portugiesischen Gerichte festgestellt.

19        Unter diesen Umständen hat die Cour de cassation (Kassationsgerichtshof) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Ist Art. 23 der Verordnung Nr. 44/2001 dahin auszulegen, dass er es dem nationalen Gericht, das über eine von einem Händler gegen seinen Lieferanten auf der Grundlage von Art. 102 AEUV erhobene Schadensersatzklage entscheidet, ermöglicht, eine Gerichtsstandsklausel anzuwenden, die in dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag enthalten ist?

2. Ist im Fall der Bejahung der ersten Frage Art. 23 der Verordnung Nr. 44/2001 dahin auszulegen, dass er es dem nationalen Gericht, das über eine von einem Händler gegen seinen Lieferanten auf der Grundlage von Art. 102 AEUV erhobene Schadensersatzklage entscheidet, ermöglicht, eine Gerichtsstandsklausel anzuwenden, die in dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag enthalten ist, und zwar auch dann, wenn sich diese Klausel nicht ausdrücklich auf Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Haftung wegen eines Verstoßes gegen das Wettbewerbsrecht bezieht?

3. Ist Art. 23 der Verordnung Nr. 44/2001 dahin auszulegen, dass er es dem nationalen Gericht, das über eine von einem Händler gegen seinen Lieferanten auf der Grundlage von Art. 102 AEUV erhobene Schadensersatzklage entscheidet, ermöglicht, eine Gerichtsstandsklausel, die in dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag enthalten ist, unangewendet zu lassen, wenn weder eine nationale noch eine europäische Behörde einen Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht festgestellt hat?

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten und zur zweiten Frage

20        Mit seiner ersten und seiner zweiten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 23 der Verordnung Nr. 44/2001 dahin auszulegen ist, dass die Anwendung einer in dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag enthaltenen Gerichtsstandsklausel, die sich nicht ausdrücklich auf Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Haftung wegen eines Verstoßes gegen das Wettbewerbsrecht bezieht, auf eine auf Art. 102 AEUV gestützte Schadensersatzklage eines Händlers gegen seinen Lieferanten ausgeschlossen ist.

21        Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass die Auslegung einer Gerichtsstandsvereinbarung zur Bestimmung der in ihren Geltungsbereich fallenden Rechtsstreitigkeiten nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs Sache des nationalen Gerichts ist, vor dem sie geltend gemacht wird (Urteil vom 21. Mai 2015, CDC Hydrogen Peroxide, C‑352/13, EU:C:2015:335, Rn. 67 und die dort angeführte Rechtsprechung).

22        Eine Gerichtsstandsvereinbarung kann allerdings nur eine bereits entstandene Rechtsstreitigkeit oder eine künftige aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit betreffen, was die Geltung einer Gerichtsstandsklausel auf die Rechtsstreitigkeiten einschränkt, die ihren Ursprung in dem Rechtsverhältnis haben, anlässlich dessen die Vereinbarung geschlossen wurde. Dieses Erfordernis soll vermeiden, dass eine Partei dadurch überrascht wird, dass die Zuständigkeit eines bestimmten Gerichts für sämtliche Rechtsstreitigkeiten begründet wird, die sich eventuell aus den Beziehungen mit ihrem Vertragspartner ergeben und ihren Ursprung in einer anderen Beziehung als derjenigen haben, anlässlich deren die Begründung des Gerichtsstands vorgenommen wurde (Urteil vom 21. Mai 2015, CDC Hydrogen Peroxide, C‑352/13, EU:C:2015:335, Rn. 68 und die dort angeführte Rechtsprechung).

23        Im Hinblick auf dieses Ziel hat der Gerichtshof ausgeführt, dass eine Klausel, die sich in abstrakter Weise auf Rechtsstreitigkeiten aus Vertragsverhältnissen bezieht, nicht einen Rechtsstreit erfasst, in dem ein Vertragspartner aus deliktischer Haftung wegen seines einem rechtswidrigen Kartell entsprechenden Verhaltens belangt wird (Urteil vom 21. Mai 2015, CDC Hydrogen Peroxide, C‑352/13, EU:C:2015:335, Rn. 69).

24        Bei einem solchen Rechtsstreit kann, da er für das geschädigte Unternehmen im Zeitpunkt seiner Zustimmung zu der genannten Klausel nicht hinreichend vorhersehbar war, weil diesem Unternehmen eine Beteiligung seines Vertragspartners an dem rechtswidrigen Kartell zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt war, nicht davon ausgegangen werden, dass er auf den Vertragsverhältnissen beruht (Urteil vom 21. Mai 2015, CDC Hydrogen Peroxide, C‑352/13, EU:C:2015:335, Rn. 70).

25        In Anbetracht dieser Erwägungen hat der Gerichtshof für Recht erkannt, dass es Art. 23 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 bei Schadensersatzklagen wegen Verstoßes gegen Art. 101 AEUV und Art. 53 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992 (ABl. 1994, L 1, S. 3) zulässt, in Lieferverträgen enthaltene Gerichtsstandsklauseln zu berücksichtigen, sofern sich diese Klauseln auf Streitigkeiten aus Haftung wegen einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht beziehen (Urteil vom 21. Mai 2015, CDC Hydrogen Peroxide, C‑352/13, EU:C:2015:335, Rn. 72).

26        Im Licht dieser Rechtsprechung ist zu prüfen, ob diese Auslegung von Art. 23 der Verordnung Nr. 44/2001 und die Begründung, auf der sie aufbaut, auch für eine Gerichtsstandsklausel gelten, die anlässlich einer Streitigkeit über die deliktische Haftung eingewandt wird, die einen Vertragspartner wegen eines Verstoßes gegen Art. 102 AEUV treffen soll.

27        Dies ist der Fall, wenn das vorgetragene wettbewerbswidrige Verhalten nichts mit dem Vertragsverhältnis zu tun hat, in dessen Rahmen die Gerichtsstandsklausel vereinbart wurde.

28        Das in Art. 101 AEUV genannte wettbewerbswidrige Verhalten, d. h. ein rechtswidriges Kartell, weist zwar dem Grundsatz nach keine unmittelbare Verbindung zur vertraglichen Beziehung zwischen einem Beteiligten dieses Kartells und einem Dritten auf, auf die sich das Kartell auswirkt. Allerdings kann sich das in Art. 102 AEUV genannte wettbewerbswidrige Verhalten, d. h. der Missbrauch einer beherrschenden Stellung, in den von einem Unternehmen, das eine beherrschende Stellung innehat, geknüpften vertraglichen Beziehungen und über die Vertragsbedingungen manifestieren.

29        Es ist somit festzustellen, dass die Berücksichtigung einer Gerichtsstandsklausel, die an einen Vertrag und die entsprechende Beziehung bzw. die sich daraus ergebenden Beziehungen zwischen den Parteien anknüpft, im Rahmen einer auf Art. 102 AEUV gestützten Klage nicht als für eine der Parteien überraschend im Sinne der in Rn. 22 des vorliegenden Urteils genannten Rechtsprechung angesehen werden kann.

30        Nach alledem ist auf die erste und die zweite Frage zu antworten, dass Art. 23 der Verordnung Nr. 44/2001 dahin auszulegen ist, dass die Anwendung einer in dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag enthaltenen Gerichtsstandsklausel auf eine auf Art. 102 AEUV gestützte Schadensersatzklage eines Händlers gegen seinen Lieferanten nicht allein aus dem Grund ausgeschlossen ist, dass sie sich nicht ausdrücklich auf Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Haftung wegen eines Verstoßes gegen das Wettbewerbsrecht bezieht.

Zur dritten Frage

31        Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 23 der Verordnung Nr. 44/2001 dahin auszulegen ist, dass die Anwendung einer Gerichtsstandsklausel im Rahmen einer auf Art. 102 AEUV gestützten Schadensersatzklage eines Händlers gegen seinen Lieferanten von der vorherigen Feststellung eines Verstoßes gegen das Wettbewerbsrecht durch eine nationale oder europäische Behörde abhängt.

32        Diese Frage ist zu verneinen.

33        Das Fehlen oder Vorhandensein der vorherigen Feststellung eines Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln ist nämlich, wie der Generalanwalt in Nr. 83 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, eine Erwägung, die nichts mit den Erwägungen zu tun hat, die maßgeblich für die Entscheidung sind, ob eine Gerichtsstandsklausel auf eine Klage auf Ersatz des angeblich durch einen Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln entstandenen Schadens anzuwenden ist.

34        Im Kontext von Art. 23 der Verordnung Nr. 44/2001 würde eine Unterscheidung danach, ob bereits eine Wettbewerbsbehörde einen Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln festgestellt hat, auch dem Ziel der Vorhersehbarkeit zuwiderlaufen, von dem diese Bestimmung geleitet ist.

35        Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Juli 2006, Manfredi u. a., C‑295/04 bis C‑298/04, EU:C:2006:461, Rn. 60 und die dort angeführte Rechtsprechung), und wie es auch in den Erwägungsgründen 3, 12 und 13 der Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union (ABl. 2014, L 349, S. 1) heißt, erzeugen im Übrigen die Art. 101 und 102 AEUV in den Beziehungen zwischen Einzelnen unmittelbare Wirkungen und lassen für die Betreffenden Rechte und Pflichten entstehen, die die nationalen Gerichte durchzusetzen haben. Daraus ergibt sich, dass das Recht eines sich durch einen Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln geschädigt fühlenden Einzelnen, Ersatz des entstandenen Schadens zu verlangen, von der vorherigen Feststellung eines solchen Verstoßes durch die Wettbewerbsbehörde unabhängig ist.

36        Aufgrund dessen ist auf die dritte Frage zu antworten, dass Art. 23 der Verordnung Nr. 44/2001 dahin auszulegen ist, dass die Anwendung einer Gerichtsstandsklausel im Rahmen einer auf Art. 102 AEUV gestützten Schadensersatzklage eines Händlers gegen seinen Lieferanten nicht von der vorherigen Feststellung eines Verstoßes gegen das Wettbewerbsrecht durch eine nationale oder europäische Behörde abhängt.

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