BGH: Anwendbarkeit der §§ 110 ff. ZPO (Prozesskostensicherheit) im Verfahren auf Vollstreckbarerklärung von inländischen und ausländischen Schiedssprüchen
BGH, Beschluss vom 12.1.2023 – I ZB 33/22
ECLI:DE:BGH:2023:120123BIZB33.22.0
Volltext: BB-Online BBL2023-514-2
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Amtliche Leitsätze
a) Im Verfahren auf Vollstreckbarerklärung von inländischen oder ausländischen Schiedssprüchen sind die Vorschriften der §§ 110 ff. ZPO über die Verpflichtung zur Leistung einer Prozesskostensicherheit entsprechend anwendbar. Der Antragsteller in einem solchen Verfahren steht einem Kläger im Sinne von § 110 Abs. 1 ZPO gleich (Aufgabe der Rechtsprechung zu dem bis zum 31. Dezember 1997 geltenden Verfahrensrecht in BGH, Urteil vom 22. September 1969 - VII ZR 192/68, BGHZ 52, 321).
b) Die Privilegierung des Widerklägers gemäß § 110 Abs. 2 Nr. 4 ZPO findet ihre Rechtfertigung darin, dass die Erhebung einer Widerklage durch einen vorangegangenen Angriff des Klägers veranlasst ist. Es ist deshalb auch nicht ungeachtet der formalen Parteirolle derjenige als Angreifer anzusehen, der die Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs begehrt.
ZPO §§ 110, 1025 Abs. 4, § 1061 Abs. 1 Satz 1, § 1062 Abs. 1 Nr. 4, § 1063
Sachverhalt
A. Der Antragsteller ist ein deutscher Unternehmer, der jahrzehntelang in der Russischen Föderation tätig war. Die vier Antragsgegnerinnen sind selbständige Unternehmen der E. -Gruppe, eines Fruchtsaftkonzerns, mit Sitz in R. . Die E. -Gruppe kooperierte einige Jahre mit den Unternehmen des Antragstellers in der Russischen Föderation. Nach Beendigung der Kooperation reichte der Antragsteller Schiedsklage ein, mit der er von den Antragsgegnerinnen und drei natürlichen Personen Schadensersatz in Höhe von 68.228.226 € verlangte.
Ein Ad-hoc-Schiedsgericht in Moskau verurteilte die Antragsgegnerinnen sowie die drei weiteren Schiedsbeklagten im Jahr 2019 gesamtschuldnerisch, an den Antragsteller Schadensersatz in Höhe von 49.024.599,75 € nebst Zinsen in Höhe von 5% p.a. ab dem 13. April 2017, Schiedsgerichtskosten in Höhe von 8.886,15 €, Rechtsanwaltskosten in Höhe von 100.000 € sowie die Schiedsgebühr in Höhe von 78.595,57 € zu zahlen.
Die Antragsgegnerinnen haben vor dem Oberlandesgericht negative Feststellungsklage auf Versagung der Anerkennung dieses ausländischen Schiedsspruchs erhoben; hilfsweise haben sie - im Beschlussverfahren - einen negativen Feststellungsantrag gestellt. Mit der Klageerwiderung hat der damals in Moskau wohnhafte Antragsteller neben der Klagabweisung die Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs, hilfsweise im Wege der Widerklage die Verurteilung der Antragsgegnerinnen zu den im Schiedsspruch ausgeurteilten Zahlungen und weiter hilfsweise die Verweisung der Hilfswiderklage an das Landgericht beantragt. Die Antragsgegnerinnen haben daraufhin die negative Feststellungsklage, respektive den negativen Feststellungsantrag, einseitig für erledigt erklärt und beantragt, den Antrag auf Vollstreckbarerklärung abzulehnen sowie die Hilfswiderklage abzuweisen.
Das Oberlandesgericht hat den Antrag auf Feststellung der Erledigung sowie den Antrag auf Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs abgelehnt. Es hat ausgesprochen, dass der ausländische Schiedsspruch im Inland nicht anzuerkennen ist. Die Hilfswiderklage hat das Oberlandesgericht als unzulässig abgewiesen und den Verweisungsantrag abgelehnt. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Antragstellers, mit der er seine Anträge weiterverfolgt. Die Antragsgegnerinnen beantragen die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde. Mit ihrer Anschlussrechtsbeschwerde wenden sie sich gegen die Zurückweisung ihres Antrags auf Feststellung der Erledigung.
Mit Schriftsatz vom 14. November 2022 hat der Antragsteller den Antragsgegnerinnen mitgeteilt, dass er seinen Wohnsitz nach Dubai, Vereinigte Arabische Emirate, verlegt habe. Die Antragsgegnerinnen haben daraufhin mit Schriftsatz vom 25. November 2022 beantragt, dem Antragsteller die Stellung einer Prozesskostensicherheit aufzugeben. Mit Schriftsatz vom 5. Januar 2023 hat der Antragsteller mitgeteilt, er habe die Anschrift in Dubai wieder aufgegeben und seinen Wohnsitz und den räumlichen Schwerpunkt seiner Lebensverhältnisse nach Italien verlegt. Dem sind die Antragsgegnerinnen mit Schriftsatz vom 11. Januar 2023 entgegengetreten.
Aus den Gründen
6 B. Der Antrag ist statthaft. Ob er auch im Übrigen zulässig ist, kann offenbleiben. Er bleibt jedenfalls in der Sache ohne Erfolg.
7 I. Der Antrag ist statthaft.
8 1. Nach § 110 Abs. 1 ZPO leisten Kläger, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum haben, auf Verlangen des Beklagten wegen der Prozesskosten Sicherheit. Wer Kläger ist, bestimmt sich nach der Parteirolle in erster Instanz; dabei bleibt es auch für den Fall eines Rechtsmittelverfahrens, bei dem der Kläger Rechtsmittelbeklagter ist (BGH, Beschluss vom 23. Juli 2020 - I ZR 9/20, juris Rn. 15; Beschluss vom 23. September 2021 - I ZB 21/21, SchiedsVZ 2022, 32 [juris Rn. 5] mwN).
9 2. Der Antragsteller steht hinsichtlich seines Hauptantrags auf Vollstreckbarerklärung des ausländischen Schiedsspruchs einem Kläger im Sinne des § 110 Abs. 1 ZPO gleich. Es bedarf deshalb keiner Entscheidung, ob seine Hilfswiderklage für eine Stellung als Kläger im Sinn von § 110 Abs. 1 ZPO ausreicht.
10 a) Das Verfahren auf Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Schiedsspruchs (§ 1025 Abs. 4, § 1061 Abs. 1 Satz 1 ZPO in Verbindung mit den Vorschriften des New Yorker Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche, BGBl. II 1961 S. 121 - UNÜ) wird nach § 1025 Abs. 4, § 1062 Abs. 1 Nr. 4 Fall 2 ZPO durch einen Antrag eingeleitet. Die Beteiligten stehen sich daher nicht als Kläger und Beklagter, sondern als Antragsteller und Antragsgegner gegenüber.
11 b) Der Antragsteller steht im Verfahren auf Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Schiedsspruchs aber einem Kläger im Sinne von § 110 Abs. 1 ZPO gleich.
12 aa) Zum Verfahren auf Vollstreckbarerklärung eines inländischen Schiedsspruchs hat der Bundesgerichtshof unter dem bis zum 31. Dezember 1997 geltenden Verfahrensrecht entschieden, dass die §§ 110 ff. ZPO nicht entsprechend anwendbar sind. Für das Beschlussverfahren ohne mündliche Verhandlung nach § 1042a Abs. 1 Satz 1 ZPO aF hat er dies mit der Beschleunigungsbedürftigkeit des Verfahrens begründet, die Unanwendbarkeit aber auch auf das Urteilsverfahren nach § 1042a Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 ZPO aF erstreckt. Maßgeblich hierfür ist die Annahme gewesen, dass es in der Praxis in aller Regel zu einer mündlichen Verhandlung nur im Fall der Geltendmachung von Aufhebungsgründen durch den Antragsgegner kommt, die dieser andernfalls im Rahmen der in § 1041 ZPO aF vorgesehenen Aufhebungsklage vorbringen müsste, bei der er in der Rolle des Klägers die Einrede mangelnder Prozesskostensicherheit nicht erheben könnte (vgl. BGH, Urteil vom 22. September 1969 - VII ZR 192/68, BGHZ 52, 321 [juris Rn. 30 und 34 bis 37]; BGH, SchiedsVZ 2022, 32 [juris Rn. 10] mwN).
13 bb) An dieser Auffassung hält der Senat unter dem geltenden Verfahrensrecht nicht fest (offengelassen in BGH, SchiedsVZ 2022, 32 [juris Rn. 15]).
14 (1) Die Frage, unter welchen Voraussetzungen die §§ 110 ff. ZPO auf andere Verfahrensarten der Zivilprozessordnung als Klagen entsprechend anwendbar sind, wird uneinheitlich beurteilt. Nach einer engen Auffassung sind die Vorschriften auf Rechtsschutzgesuche, die nicht die Form der Klage fordern, nicht anwendbar (vgl. Muthorst in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl., § 110 Rn. 14 mwN). Nach einer anderen, weitergehenden Meinung kommt es darauf an, ob sich die Beteiligten wie Kläger und Beklagter gegenüberstehen und ob Sinn und Zweck des Verfahrens für oder gegen eine analoge Anwendung der Vorschriften sprechen (vgl. BeckOK.ZPO/Jaspersen, 47. Edition [Stand 1. Dezember 2022], § 110 Rn. 2).
15 Der zweiten Auffassung ist zuzustimmen. Liegen die Voraussetzungen einer Analogie vor, kann eine entsprechende Anwendung der §§ 110 ff. ZPO auf Antragsverfahren nicht von vornherein ausgeschlossen werden.
16 (2) Die Voraussetzungen einer entsprechenden Anwendung der §§ 110 ff. ZPO im Verfahren auf Vollstreckbarerklärung von inländischen oder ausländischen Schiedssprüchen liegen vor.
17 Es ist von einer planwidrigen Regelungslücke auszugehen, weil § 1063 ZPO (für ausländische Schiedssprüche in Verbindung mit § 1025 Abs. 4 ZPO) nur einzelne Verfahrensbestimmungen enthält. Die allgemeinen Vorschriften über das erstinstanzliche Erkenntnisverfahren finden deshalb ergänzend Anwendung (vgl. OLG München, SchiedsVZ 2022, 183 [juris Rn. 25]; BeckOK.ZPO/Wilske/Markert aaO § 1063 Rn. 1 mwN; Niedermaier, SchiedsVZ 2022, 187). Hierzu gehören auch die in den allgemeinen Vorschriften des ersten Buchs der Zivilprozessordnung enthaltenen Bestimmungen der §§ 110 ff. ZPO.
18 Im Verfahren auf Vollstreckbarerklärung eines Schiedsspruchs sprechen Sinn und Zweck für die analoge Anwendung der §§ 110 ff. ZPO. Das Institut der Prozesskostensicherheit dient dem Ziel, die beklagte Partei vor Vollstreckungsschwierigkeiten im Ausland bei der Durchsetzung eines Kostenerstattungsanspruchs zu bewahren (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Rechtspflegergesetzes, BT-Drucks. 13/10871, S. 17). Die Interessenlage des Antragsgegners im Verfahren auf Vollstreckbarerklärung eines Schiedsspruchs ist insoweit mit der eines Beklagten im Klageverfahren vergleichbar. Die Leistung einer Prozesskostensicherheit ist in gleicher Weise wie in einem Klageverfahren geeignet, die Durchsetzung eines etwaigen Kostenerstattungsanspruchs des Antragsgegners gegen einen Antragsteller mit gewöhnlichem Aufenthalt außerhalb der Europäischen Union oder dem Europäischen Wirtschaftsraum zu sichern.
19 (3) Besonderheiten des Vollstreckbarerklärungsverfahrens stehen einer entsprechenden Anwendung nicht entgegen. Weder die Zivilprozessordnung noch das New Yorker Übereinkommen enthalten besondere Vorschriften zur Beschleunigung des Vollstreckbarerklärungsverfahrens.
20 Es kann auch nicht von einer vergleichbaren Eilbedürftigkeit wie im Verfahren über Arreste und einstweilige Verfügungen ausgegangen werden, zu dem vertreten wird, dass die §§ 110 ff. ZPO wegen des in besonderem Maße geltenden Beschleunigungsgebots grundsätzlich unanwendbar seien und das Beschleunigungsinteresse des Gläubigers erst bei Anberaumung einer mündlichen Verhandlung gegenüber dem Sicherungsinteresse des Schuldners zurücktrete (vgl. die Nachweise in BGH, SchiedsVZ 2022, 32 [juris Rn. 9]). Die in einem Schiedsverfahren obsiegende Partei hat mit dem Schiedsspruch nicht nur bereits eine (erste) Sicherheit erlangt. Seit der Neuregelung des Schiedsverfahrensrechts hat sie auch die Möglichkeit, die spätere Vollstreckung des Schiedsspruchs durch einen Antrag auf vorläufige Sicherungsvollstreckung gemäß § 1063 Abs. 3 Satz 1 ZPO abzusichern (vgl. Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Schiedsverfahrensrechts BT-Drucks. 13/5274, S. 64 f.; KG, SchiedsVZ 2017, 37; Ebert, SchiedsVZ 2020, 55; zur Unanfechtbarkeit einer solchen Entscheidung vgl. BGH, Beschluss vom 7. Juli 2016 - I ZB 90/15, WM 2017, 732).
21 Soweit der Bundesgerichtshof für das Urteilsverfahren auf Vollstreckbarerklärung unter dem bis zum 31. Dezember 1997 geltenden Verfahrensrecht für die Unanwendbarkeit der §§ 110 ff. ZPO darauf abgestellt hat, eine mündliche Verhandlung müsse (erst) angeordnet werden, wenn der Antragsgegner einen Aufhebungsgrund geltend mache (§ 1042a Abs. 2 ZPO aF), und dieser sei dann in Wirklichkeit als der angreifende Teil anzusehen (vgl. BGHZ 52, 321 [juris Rn. 34 f.]), ist diese Argumentation mit dem geltenden Verfahrensrecht nicht mehr vereinbar. Nach § 1063 Abs. 2 Fall 2 ZPO ist bei der Vollstreckbarerklärung eines inländischen Schiedsspruchs die mündliche Verhandlung bereits dann anzuordnen, wenn Aufhebungsgründe "in Betracht kommen". Die Vorschrift erfasst in Verbindung mit § 1025 Abs. 4 ZPO auch den Fall, dass bei einem Antrag auf Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Schiedsspruchs über § 1061 Abs. 1 ZPO Versagungsgründe nach Art. V UNÜ in Betracht kommen (vgl. BeckOK.ZPO/Wilske/Markert aaO § 1063 Rn. 8; vgl. auch OLG Köln, IPRspr 2014, Nr. 266, 713 [juris Rn. 3 f.]). Bei den von Amts wegen zu berücksichtigenden Aufhebungsgründen im Sinne von § 1059 Abs. 2 Nr. 2 ZPO beziehungsweise Art. V Abs. 2 UNÜ bedarf es insoweit auch keiner begründeten Geltendmachung durch den Antragsgegner. Vielmehr ist eine mündliche Verhandlung (bereits) dann anzuordnen, wenn das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht, dass ein von Amts wegen zu berücksichtigender Aufhebungsgrund vorliegt. Damit gibt es keinen Grund (mehr), den Antragsgegner im Vollstreckbarerklärungsverfahren als den eigentlichen Angreifer anzusehen, der mit seinen Einwendungen den Schiedsspruch zu Fall bringen will. Vielmehr ist es der Antragsteller, der mit der (Anerkennung und) Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs einen vollstreckbaren Titel nach § 794 Abs. 1 Nr. 4a ZPO erlangen will.
22 II. Ob der Antrag auch im Übrigen zulässig ist, insbesondere, ob das erstmals im Rechtsbeschwerdeverfahren geltend gemachte Verlangen nach einer Prozesskostensicherheit deswegen nicht verspätet ist, weil die Voraussetzungen von § 110 Abs. 1 ZPO erstmals mit dem im November 2022 angezeigten Wohnsitzwechsel in die Vereinigten Arabischen Emirate eingetreten sind, kann offenbleiben (zur Ausnahme vom Vorrang der Zulässigkeitsprüfung vgl. BGH, Beschluss vom 30. März 2006 - IX ZB 171/04, NJW-RR 2006, 1346 [juris Rn. 4] mwN). Es bedarf deshalb keiner Entscheidung, ob der Antragsteller während seines gewöhnlichen Aufenthalts in der Russischen Föderation unter Berücksichtigung des Haager Übereinkommens über den Zivilprozess vom 1. März 1954 (BGBl. II 1958 S. 576 - HZPÜ), namentlich der Art. 17 und 18 HZPÜ als Regelungen im Sinne der Ausnahmetatbestände des § 110 Abs. 2 Nr. 1 und 2 ZPO, von der Verpflichtung zur Leistung einer Prozesskostensicherheit befreit war, sowie, ob sich an einer möglichen Befreiung durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine im Jahr 2022 etwas geändert hätte.
23 III. Der Antrag ist jedenfalls unbegründet.
24 1. Ob schon die Voraussetzungen gemäß § 110 Abs. 1 ZPO für die Anordnung einer Prozesskostensicherheit nicht (mehr) vorliegen, weil der Antragsteller im Zeitpunkt der Entscheidung seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union hat, bedarf keiner Entscheidung.
25 2. Der Antragsteller ist zumindest gemäß § 110 Abs. 2 Nr. 4 ZPO von der Verpflichtung zur Leistung einer Prozesskostensicherheit befreit. Danach tritt diese Verpflichtung bei Widerklagen nicht ein.
26 a) Die Privilegierung des Widerklägers gemäß § 110 Abs. 2 Nr. 4 ZPO findet ihre Rechtfertigung darin, dass die Erhebung einer Widerklage durch einen vorangegangenen Angriff des Klägers veranlasst ist (vgl. BT-Drucks. 13/10871, S. 18). Ein Kläger, der durch seine Klage gegen einen Schuldner, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum hat, bereits gezeigt hat, dass er eine erschwerte Vollstreckung in Kauf nimmt, ist hinsichtlich seines möglichen Kostenerstattungsanspruchs wegen der Widerklage nicht in gleicher Weise schutzwürdig wie ein Beklagter, der ohne sein Zutun von einem Kläger ohne gewöhnlichen Aufenthalt in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum verklagt wird (vgl. OLG München, IPRax 2011, 505 [juris Rn. 37]; K. Schmidt in Prütting/Gehrlein, ZPO, 14. Aufl., § 110 Rn. 17). Soweit außerdem darauf abgestellt wird, der inländische Kläger mute dem Beklagten und Widerkläger umgekehrt das gleiche Risiko zu (so Stadler, IPRax 2011, 480, 482; Foerste in Musielak/Voit, ZPO, 19. Aufl., § 110 Rn. 7; MünchKomm.ZPO/Schulz, 6. Aufl., § 110 Rn. 28), wird übersehen, dass es sich insoweit um eine im Inland zu vollstreckende inländische Entscheidung über die Erstattung von Prozesskosten handelt, die kein erhöhtes Risiko wegen der Notwendigkeit einer Auslandsvollstreckung - im Sinne der Vollstreckung einer inländischen Entscheidung im Ausland - birgt.
27 b) Das Verfahren vor dem Oberlandesgericht ist durch eine Feststellungsklage, hilfsweise einen Feststellungsantrag, der Antragsgegnerinnen eingeleitet worden. Mit der Klageerwiderung hat der Antragsteller nicht nur die Klagabweisung beantragt, sondern auch einen (Gegen-)Antrag auf Vollstreckbarerklärung des ausländischen Schiedsspruchs gestellt und hilfsweise Widerklage auf Zahlung der im Schiedsspruch ausgeurteilten Beträge erhoben.
28 Der Antragsteller ist danach gemäß § 110 Abs. 2 Nr. 4 ZPO von der Erbringung einer Prozesskostensicherheit befreit.
29 c) Der (Gegen-)Antrag auf Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs ist ebenso wie die Hilfswiderklage durch die von den Antragsgegnerinnen erhobene Feststellungsklage veranlasst worden. Der Umstand, dass die Voraussetzungen für die Verpflichtung zur Leistung einer Prozesskostensicherheit gemäß § 110 ZPO möglicherweise nicht von Beginn an vorgelegen haben, sondern erst im Laufe des Verfahrens eingetreten sind, ändert daran ebenso wenig wie die Parteirolle des Antragstellers im Rechtsbeschwerdeverfahren und die einseitige Erledigungserklärung der Antragsgegnerinnen oder das Rechtsschutzziel des Antrags auf Vollstreckbarerklärung des ausländischen Schiedsspruchs.
30 aa) Unabhängig davon, ob die Voraussetzungen für die Verpflichtung zur Sicherheitsleistung gemäß § 110 Abs. 1 ZPO erst im Laufe des Rechtsstreits eingetreten sind, bleibt der Grund für die Rechtfertigung der Privilegierung des Antragstellers gemäß § 110 Abs. 2 Nr. 4 ZPO erhalten. Selbst wenn die Antragsgegnerinnen bei Klageerhebung auf Grund völkerrechtlicher Verträge im Sinne von § 110 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 ZPO mit einer erleichterten Vollstreckung hätten rechnen können und mithin bei Klageerhebung keine erschwerte Vollstreckung einer Entscheidung über die Erstattung von Prozesskosten in Kauf genommen hätten, sind sie mit der Einleitung des Rechtsstreits das Risiko eingegangen, dass der Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt verlegt und es bei der Durchsetzung eines Kostenerstattungsanspruchs zu Vollstreckungsschwierigkeiten kommt.
31 bb) Der Umstand, dass der Antragsteller zugleich Rechtsbeschwerdeführer ist, ändert nichts an seiner Befreiung gemäß § 110 Abs. 2 Nr. 4 ZPO. Wer Kläger ist, bestimmt sich nach der Parteirolle in erster Instanz; dabei bleibt es auch im Rechtsmittelverfahren (vgl. BGH, SchiedsVZ 2022, 32 [juris Rn. 5] mwN). Ebenfalls unerheblich ist es, dass die Antragsgegnerinnen ihr ursprüngliches Begehren nachträglich einseitig für erledigt erklärt und ihren Antrag auf Feststellung der Erledigung erst nach Eingang des Antrags auf Vollstreckbarerklärung gestellt haben. Auch insoweit bleibt es dabei, dass sie mit ihrer Feststellungsklage den Vollstreckbarerklärungsantrag des Antragstellers sowie seine Hilfswiderklage veranlasst haben.
32 cc) Es ist schließlich nicht ungeachtet der formalen Parteirolle derjenige als Angreifer anzusehen, der die Vollstreckbarerklärung des ausländischen Schiedsspruchs begehrt (vgl. dazu auch BGH, SchiedsVZ 2022, 32 [juris Rn. 15]). Soweit die Antragsgegnerinnen darauf abstellen, der Antrag auf Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Schiedsspruchs gehe über das kontradiktorische Gegenteil des Antrags auf Nichtanerkennung hinaus, weil er dem Antragsteller im Obsiegensfall einen Titel im Sinne von § 794 Abs. 1 Nr. 4a ZPO verschaffe, übersehen sie, dass auch ein Widerkläger, der ein über das kontradiktorische Gegenteil der Klage hinausgehendes Rechtsschutzziel verfolgt, beispielsweise durch einen widerklagend erhobenen Leistungsantrag als Gegenangriff auf eine negative Feststellungsklage, nach § 110 Abs. 2 Nr. 4 ZPO von der Erbringung einer Prozesskostensicherheit befreit ist (vgl. BGH, SchiedsVZ 2022, 32 [juris Rn. 16]).