BGH: Anteilige Haftung der einen Einziehungsbeschluss fassenden Gesellschafter
BGH, Urteil vom 24.1.2012 - II ZR 109/11
leitsätze
a) Wenn ein Einziehungsbeschluss weder nichtig ist noch für nichtig erklärt wird, wird die Einziehung mit der Mitteilung des Beschlusses an den betroffenen Gesellschafter und nicht erst mit der Leis-tung der Abfindung wirksam.
b) Die Gesellschafter, die den Einziehungsbeschluss gefasst haben, haften dem ausgeschiedenen Gesellschafter anteilig, wenn sie nicht dafür sorgen, dass die Abfindung aus dem ungebundenen Vermögen der Gesellschaft geleistet werden kann, oder sie die Gesellschaft nicht auflösen.
GmbHG § 34
sachverhalt
Der Kläger war neben R. Gesellschafter der beklagten GmbH. Die Gesellschafterversammlung der Beklagten beschloss am 19. April 2001, den Geschäftsanteil des Klägers ohne seine Zustimmung einzuziehen. Die Ein-ziehung ist nach § 7 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrags ohne Zustimmung zum Zweck der Ausschließung des Gesellschafters zulässig, wenn in dessen Person ein wichtiger Grund vorliegt. Die nach § 7 Abs. 4 des Gesellschaftsvertrags in-nerhalb von zwei Jahren an den ausscheidenden Gesellschafter zu zahlende Abfindung erhielt der Kläger bisher nicht.
In der Gesellschafterversammlung der Beklagten vom 22. Februar 2007, zu der auch der Kläger eingeladen wurde, beantragte dieser, unter anderem zu beschließen, den einzigen weiteren Gesellschafter R. auf Zahlung von 251.871,07 DM in Anspruch zu nehmen und den Kläger zur gerichtlichen Gel-tendmachung der Ansprüche zu ermächtigen. Der Vertreter des Klägers stimm-te für die beiden Anträge, der Vertreter von R. stimmte dagegen.
Der Kläger hat beantragt, die ablehnenden Beschlüsse für nichtig zu er-klären und festzustellen, dass die beantragten Beschlüsse gefasst wurden. Das Landgericht hat entsprechend dem Klageantrag erkannt. Das Berufungsgericht hat, soweit die ablehnenden Beschlüsse für nichtig erklärt wurden, das Urteil des Landgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen, weil die Beschlüsse nicht von einem Versammlungsleiter festgestellt worden sind. Im Übrigen - hinsichtlich der Feststellungsanträge - hat es die Berufung der Beklagten zu-rückgewiesen. Dagegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Re-vision der Beklagten, mit der sie ihren Klageabweisungsantrag weiter verfolgt.
aus den gründen
4 Die Revision hat Erfolg und führt zur vollständigen Abweisung der Klage.
5 I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Kläger sei unbeschadet der bestandskräftigen Einziehung seines Geschäftsanteils in der Gesellschafterver-sammlung vom 22. Februar 2007 stimmberechtigt gewesen, weil er bisher nicht aus der Beklagten ausgeschieden sei. Sofern im Gesellschaftsvertrag - wie hier - nichts Gegenteiliges vereinbart sei, bewirke die Einziehung eines Ge-schäftsanteils das Ausscheiden des betroffenen Gesellschafters auch bei der Zwangseinziehung durch Beschluss im Regelfall erst mit der Entrichtung des geschuldeten Abfindungsbetrags. Nur so sei es dem Gesellschafter möglich, nachhaltig darauf hinzuwirken, dass die Gesellschaft das zur Erfüllung des Ab-findungsanspruchs erforderliche Vermögen nicht verlagere, sondern das ihr Mögliche und Zumutbare unternehme, um den Abfindungsanspruch auch tat-sächlich befriedigen zu können. Die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht eröffne ein flexibles und situationsbezogenes Instrumentarium, um in der Schwebepha-se die Belange aller Beteiligten ausgewogen auszutarieren.
6 II. Der Kläger hatte entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsge-richts in der Gesellschafterversammlung vom 22. Februar 2007 kein Stimmrecht mehr. Er war nicht mehr Gesellschafter der Beklagten. Mit der Einziehung sei-nes Geschäftsanteils hat er auch das aus dem Geschäftsanteil folgende Stimm-recht (§ 47 Abs. 2 GmbHG) verloren. Die Einziehung wurde mit der Bekanntga-be des Beschlusses an den Kläger wirksam.
7 1. Ein Einziehungsbeschluss ist entsprechend § 241 Nr. 3 AktG nichtig, wenn bereits bei Beschlussfassung feststeht, dass das Einziehungsentgelt nicht aus freiem, die Stammkapitalziffer nicht beeinträchtigenden Vermögen der Ge-sellschaft gezahlt werden kann (BGH, Urteil vom 5. April 2011 - II ZR 263/08, ZIP 2011, 1104 Rn. 13; Beschluss vom 8. Dezember 2008 - II ZR 263/07, ZIP 2009, 314 Rn. 7; Urteil vom 19. Juni 2000 - II ZR 73/99, BGHZ 144, 365, 369 f.). Dass bei Beschlussfassung am 19. April 2001 feststand, dass die Ab-findung, die nach § 6 Abs. 4 des Gesellschaftsvertrags innerhalb von zwei Jah-ren bar zu bezahlen war, nicht aus dem freien Vermögen der Gesellschaft ge-leistet werden konnte (§ 34 Abs. 3, § 30 Abs. 1 GmbHG), hat das Berufungsge-richt nicht festgestellt und hat keine der Parteien behauptet.
8 2. Wenn ein Einziehungsbeschluss weder nichtig ist noch für nichtig er-klärt wird (§ 241 Nr. 5 AktG), wird die Einziehung mit der Mitteilung des Be-schlusses an den betroffenen Gesellschafter und nicht erst mit der Leistung der Abfindung wirksam.
9 a) In Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, ob die Einziehung vor Zahlung des Abfindungsentgelts wirksam wird.
10 Teilweise wird angenommen, die Einziehung stehe unter der aufschie-benden Bedingung einer Abfindungszahlung aus freiem Vermögen (OLG Frank-furt, NJW-RR 1997, 612 f.; OLG Zweibrücken, GmbHR 1997, 939, 942; OLG Hamm, NZG 1999, 597, 598; OLG Köln, NZG 1999, 1222; KG, GmbHR 1999, 1202, 1203 f.; OLG Schleswig, NZG 2000, 703, 704 f.; OLG Dresden, GmbHR 2001, 1047, 1048; OLG Düsseldorf, ZIP 2007, 1064; Scholz/ Westermann, GmbHG, 10. Aufl., § 34 Rn. 60; Scholz/Winter/Seibt, GmbHG, 10. Aufl., Anh. § 34 Rn. 17; Michalski/Sosnitza, GmbHG, 2. Aufl., § 34 Rn. 79; Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl., § 34 Rn. 43; Wicke, GmbHG, 2. Aufl., § 34 Rn. 10; Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, 5. Aufl., § 30 Rn. 63; Gehrlein, ZIP 1996, 1157, 1159; Bacher/ von Blumenthal, NZG 2008, 406, 407 f.; ebenso für die Ausschlussklage BGH, Urteil vom 1. April 1953 - II ZR 235/52, BGHZ 9, 157, 173; für „Rechtsbedin-gung" RGZ 142, 286, 290 f.).
11 Wegen der Probleme, die diese „Bedingungslösung" für die Gesellschaft und die übrigen Gesellschafter mit sich bringt, wenn ein Gesellschafter, dessen Geschäftsanteil wegen der Unzumutbarkeit seines weiteren Verbleibens in der Gesellschaft eingezogen ist, während der Schwebezeit weiterhin Mitglied-schaftsrechte ausüben kann, vertreten andere, die Einziehung sei sofort wirk-sam (KG, NZG 2006, 437; OLG Hamm, GmbHR 1993, 743, 746 f.; Grunewald, Der Ausschluss aus Gesellschaft und Verein, 1983, S. 242; Niemeier, ZGR 1990, 314, 353; Ulmer, Festschrift Rittner, 1991, S. 735, 748 ff.; Ulmer, Festschrift Priester, 2007, S. 775, 793 ff.; Lutter in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl., § 34 Rn. 48; Lutz, DStR 1999, 1858, 1861 f.; Goette, Festschrift Lutter, 2000, S. 399, 409; Pentz, Festschrift Ulmer, 2003, S. 451, 467 ff.; Fietz/Fingerhut, DB 2007, 1179, 1181 ff.).
12 Zur Sicherung des Abfindungsanspruchs des ausgeschiedenen Gesell-schafters werden bei sofortiger Wirksamkeit der Einziehung verschiedene Lö-sungsvorschläge gemacht. Teilweise wird angenommen, die Einziehung stehe unter der auflösenden Bedingung, dass die Abfindung zum Fälligkeitszeitpunkt nicht ohne Verstoß gegen § 30 Abs. 1 Satz 1 GmbHG gezahlt werden kann (Ulmer, Festschrift Rittner 1991, S. 735; Lutter in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl., § 34 Rn. 48). Andere wollen dem ausgeschiedenen Gesellschafter das Recht geben, mit der Auflösungsklage nach § 61 GmbHG die Liquidation der Gesellschaft herbeizuführen, teilweise verbunden mit einem Wiedereintritts-recht (Grunewald, Der Ausschluss aus Gesellschaft und Verein, 1983, S. 243; Niemeier, ZGR 1990, 314, 353; Goette, Festschrift Lutter, 2000, S. 399, 409). Schließlich wird vertreten, dass die Mitgesellschafter verpflichtet sind, dem aus-geschiedenen Gesellschafter die Abfindung pro rata ihrer Beteiligung zu zahlen, soweit die Gesellschaft die Abfindung nicht leisten darf (Altmeppen in Roth/ Altmeppen, GmbHG, 6. Aufl., § 34 Rn. 21 ff.; MünchKommGmbHG/Strohn, § 34 Rn. 76; Goette, Festschrift Lutter, 2000, S. 399, 410; Heckschen, GmbHR 2006, 1254, 1256; Kolb, NZG 2007, 815, 817; Heidinger/Blath, GmbHR 2007, 1184, 1187).
13 b) Der Senat schließt sich der zuletzt genannten Ansicht an. Grundsätz-lich werden Beschlüsse wirksam und vollziehbar, sobald sie gefasst worden sind. Gesetzlich steht der Einziehungsbeschluss nicht unter der Bedingung, dass das Einziehungsentgelt gezahlt wird. § 34 Abs. 3 GmbHG soll im Interesse der Gläubiger sicherstellen, dass die Gesellschafter die Kapitalerhaltungspflicht nach § 30 Abs. 1 GmbHG nicht durch die Aufgabe der Mitgliedschaft umgehen, soll aber nicht den Abfindungsanspruch der Gesellschafter schützen.
14 Der Gesellschafter, dessen Geschäftsanteil eingezogen wird, muss aller-dings davor geschützt werden, dass die verbleibenden Gesellschafter sich mit der Fortsetzung der Gesellschaft den wirtschaftlichen Wert des Anteils des ausgeschiedenen Gesellschafters aneignen und ihn aufgrund der gläubiger-schützenden Kapitalerhaltungspflicht mit seinem Abfindungsanspruch leer aus-gehen lassen. Dazu genügt es aber, die verbleibenden Gesellschafter selbst in die Haftung zu nehmen, wenn sie nicht auf andere Weise für die Auszahlung der Abfindung sorgen. Der Schutz des Abfindungsanspruchs gebietet es nicht, schon die Wirksamkeit der Einziehung von der Zahlung der Abfindung abhängig zu machen und die damit verbundenen Nachteile in Kauf zu nehmen.
15 aa) Die Schwebelage, die nach der Bedingungslösung entsteht, hat er-hebliche Nachteile. Dem ausgeschiedenen Gesellschafter bleiben während der Schwebezeit seine mitgliedschaftlichen Rechte jedenfalls grundsätzlich erhal-ten, obwohl es zumindest dann, wenn ein wichtiger Grund in seiner Person zur Einziehung geführt hat, der Gesellschaft und den verbleibenden Gesellschaf-tern gerade unzumutbar ist, dass er weiter in der Gesellschaft bleibt. Auch wenn mit der Einziehung unerwünschte Dritte von der Gesellschaft ferngehalten werden sollen, wie dies etwa bei der Pfändung des Geschäftsanteils als Einzie-hungsgrund der Fall ist, wird der Zweck der Einziehung bei einer Schwebelage nach der Bedingungslösung teilweise verfehlt. Selbst wenn die mitgliedschaftli-chen Rechte wie das Stimmrecht eingeschränkt werden, können die Unklarhei-ten der Ausübungsbeschränkungen eine stete Quelle neuen Streits bilden. Ins-gesamt bietet das dem Gesellschafter einen Anreiz, seinen Lästigkeitswert zu steigern und das Abfindungsverfahren weiter in die Länge zu ziehen.
16 Diese Nachteile für die Gesellschaft entstehen bei der Bedingungslösung auch in den Fällen, in denen sich ein Schutz des Abfindungsanspruchs im Nachhinein als nicht erforderlich erweist. Wenn die Abfindung wie im gesetzli-chen Regelfall (vgl. MünchKommGmbHG/Strohn, § 34 Rn. 218) mit der Einzie-hung fällig ist (§ 271 Abs. 1 BGB), steht auch objektiv fest, ob sie aus dem freien Vermögen geleistet werden kann. Ein Schutz des Abfindungsanspruchs ist nur erforderlich, wenn das Einziehungsentgelt erst später fällig wird oder die Auszahlung verzögert wird. Er erweist sich nachträglich als überflüssig, wenn die Gesellschaft die Abfindung in dem für die Kapitalerhaltung maßgeblichen Zeitpunkt der Zahlung ohne Beeinträchtigung des gebundenen Vermögens leis-ten kann. Die Bedingungslösung belastet die Gesellschaft aber auch in solchen Fällen mit der weiteren Mitgliedschaft des Störenfrieds und stellt damit das Inte-resse des ausgeschiedenen Gesellschafters in den Vordergrund, obwohl er ei-ner Einziehung aus wichtigem Grund im Gesellschaftsvertrag zugestimmt hat (§ 34 Abs. 2 GmbHG). Wegen seiner antizipierten Zustimmung zur Einziehung in der Satzung ist er weniger schutzwürdig als ein Gesellschafter, der ohne eine solche Bestimmung im Gesellschaftsvertrag ausgeschlossen wird. Insoweit un-terscheidet sich die Einziehung des Geschäftsanteils mittels Beschluss von der Ausschließung des Gesellschafters durch eine Klage, die ohne seine Zustim-mung möglich ist und bei der nach der bisherigen Rechtsprechung des Bun-desgerichtshofs die Wirkung des Ausschließungsurteils von der Zahlung des Abfindungsentgelts abhängt (BGH, Urteil vom 1. April 1953 - II ZR 235/52, BGHZ 9, 157, 174).
17 Davor, dass sich die Vermögenslage der Gesellschaft verschlechtert und so der Abfindungsanspruch gefährdet wird, bietet auch die Bedingungslösung keinen Schutz. Der dem Gesellschafter nach der Bedingungslösung verblei-bende Geschäftsanteil ist bei einer Verschlechterung der Vermögenslage eben-falls entwertet. Auch soweit der ausscheidende Gesellschafter nach der Bedingungslösung das weitere Schicksal der Gesellschaft mitbestimmen kann, ist angesichts des häufig fortbestehenden Streites fraglich, ob er - wie das Beru-fungsgericht meint - seine berechtigten Interessen „effektiv" verfolgen und eine Verschlechterung der Vermögenslage durch Entscheidungen der anderen Ge-sellschafter verhindern kann.
18 bb) Die weiteren vorgeschlagenen Wege zum Schutz des Abfindungsan-spruchs - auflösende Bedingung oder Anspruch auf Auflösung - vermeiden zwar, dass der ausgeschiedene Gesellschafter stören kann, weisen aber eben-falls Nachteile auf.
19 (1) Eine auflösende Bedingung der Nichtzahlung der Abfindung unterliegt ähnlichen Bedenken wie die aufschiebende Bedingung. Zwar kann der ausge-schiedene Gesellschafter wegen der Wirksamkeit der Einziehung nicht weiter als Störenfried auf die Gesellschaft einwirken. Es entsteht aber ebenfalls eine Schwebelage, deren Ende zudem nicht sicher zu bestimmen ist. Bei Bedin-gungseintritt muss der Gewinnverteilungsschlüssel, gegebenenfalls nach einer Inanspruchnahme der Gesellschafter auch der Haftungsschlüssel korrigiert werden. Beschlüsse der Gesellschafterversammlung, die ohne den ausge-schiedenen Gesellschafter gefasst wurden, müssen unter Umständen wieder-holt oder neu gefasst werden. Nach einer Veränderung oder einer Abtretung der Geschäftsanteile ist eine automatische Herstellung des früheren Rechtszu-stands auch vor dem Hintergrund der Regelungen in § 5 Abs. 3 Satz 2 und § 16 Abs. 3 GmbHG kaum mehr möglich.
20 (2) Ein Recht, bei einer Unterdeckung im Zeitpunkt der Auszahlung der Abfindung die Auflösung der Gesellschaft zu betreiben, steht dem Gesellschaf-ter, der - wenn man nicht der Bedingungslösung folgt - ausgeschieden ist, nicht zu. Außerdem könnte jahrelang in der Schwebe bleiben, ob die Gesellschaft aufgelöst ist oder nicht. Dieser Schwebezustand besteht auch dann, wenn man dem ausgeschiedenen Gesellschafter aus diesem Grund ein Wiedereintritts-recht gibt.
21 cc) Die Interessen der Beteiligten werden am besten dadurch ausgegli-chen, dass die Gesellschafter, die den Einziehungsbeschluss gefasst haben, dem ausgeschiedenen Gesellschafter anteilig haften, wenn sie nicht anderwei-tig dafür sorgen, dass die Abfindung aus dem ungebundenen Vermögen der Gesellschaft geleistet werden kann, oder sie die Gesellschaft nicht auflösen. Den verbliebenen Gesellschaftern wächst anteilig der Wert des eingezogenen Geschäftsanteils zu. Sie müssten, wenn sie sich redlich verhalten und eine Un-terdeckung nicht auf andere Art und Weise ausgleichen, etwa durch Auflösung von stillen Reserven oder eine Herabsetzung des Stammkapitals (vgl. dazu BGH, Urteil vom 1. April 1953 - II ZR 235/52, BGHZ 9, 157, 169), grundsätzlich die Gesellschaft auflösen, um so die Gesellschaft in die Lage zu versetzen, den Abfindungsanspruch des ausgeschiedenen Gesellschafters soweit wie möglich zu erfüllen. Mit der Auflösung stellen sie den ausgeschiedenen Gesellschafter hinsichtlich seines Abfindungsanspruchs so, als sei er noch Gesellschafter. Sie verhalten sich treuwidrig, wenn sie sich dagegen mit der Fortsetzung der Ge-sellschaft den Wert des eingezogenen Geschäftsanteils auf Kosten des ausge-schiedenen Gesellschafters einverleiben, ihm aber eine Abfindung unter der berechtigten Berufung auf die Kapitalbindung der Gesellschaft verweigern.
22 Wenn die Gesellschafter die Gesellschaft fortsetzen, anstatt sie aufzulö-sen, weil sie darin einen wirtschaftlichen Vorteil und einen Mehrwert für ihren Anteil erblicken, ist es nicht unbillig, sie zum Ausgleich für den Abfindungsan-spruch persönlich haften zu lassen, wenn die Gesellschaft ihn wegen der Kapi-talbindung nicht erfüllen darf. Eine bei Fassung des Einziehungsbeschlusses unabsehbare persönliche Haftung ist damit nicht verbunden. Die Gesellschafter können ihre persönliche Inanspruchnahme durch Ausgleich der Unterdeckung oder durch die Auflösung der Gesellschaft vermeiden. Der Abfindungsanspruch wird dadurch zwar nicht in voller Höhe gegen Veränderungen geschützt. Auch in der Liquidation ist der Abfindungsanspruch erst nach den Ansprüchen der übrigen Gesellschaftsgläubiger zu befriedigen (§ 73 GmbHG). Davor schützt den ausgeschiedenen Gesellschafter aber auch der weitere Verbleib in der Ge-sellschaft bei Annahme einer bedingten Wirksamkeit des Einziehungsbeschlus-ses nicht.
23 Die Nachteile der weiteren Mitgliedschaft eines „Störenfrieds" werden weitgehend vermieden. Eine Ungewissheit über die Ausübung mitgliedschaftli-cher Rechte wegen eines Streits über den Einziehungsgrund oder die Höhe der Abfindung, der dazu führt, dass zunächst unklar sein kann, ob die Abfindung aus dem angegebenen Vermögen geleistet werden kann, kann nicht vermieden werden.
24 dd) Der Fortbestand der Mitgliedschaft des Gesellschafters, dessen Ge-schäftsanteil eingezogen wurde, ist auch nicht aus anderen Gründen erforder-lich. Für die Wahrnehmung der Rechte gegen den Einziehungsbeschluss selbst ist von der weiteren Rechtsinhaberschaft auszugehen, um der verfassungs-rechtlich gebotenen Rechtsschutzmöglichkeit Geltung zu verschaffen (BGH, Urteil vom 22. März 2011 - II ZR 229/09, BGHZ 189, 32 Rn. 8; Urteil vom 19. September 1977 - II ZR 11/76, NJW 1977, 2316).
25 c) Der Kläger ist nicht als stimmberechtigter Gesellschafter zu behan-deln, weil er zu der Gesellschaftsversammlung vom 22. Februar 2007 eingela-den wurde. Die Beklagte ist damit nur den Unsicherheiten gerecht geworden, die aufgrund der ungeklärten Rechtslage zum Fortbestand von Mitgliedsrechten bestanden.