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Wirtschaftsrecht
10.12.2015
Wirtschaftsrecht
EuGH: Anspruch des Handelsvertreters auf Schadensersatz zusätzlich zur Ausgleichszahlung für Kunden

EuGH, Urteil vom 3.12.2015 – Rs. C-338/14, Quenon K. SPRL gegen Beobank SA, vormals Citibank Belgium SA, Metlife Insurance SA, vormals Citilife SA, ECLI:EU:C:2015:795

Volltext: BB-Online BBL2015-3073-2

unter www.betriebs-berater.de

Tenor

1. Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom 18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung, nach der ein Handelsvertreter bei Beendigung des Handelsvertretervertrags sowohl Anspruch auf eine Ausgleichszahlung für Kunden, die auf höchstens eine Jahresvergütung beschränkt ist, als auch, sofern dieser Ausgleich den tatsächlich erlittenen Schaden nicht vollständig deckt, auf zusätzlichen Schadensersatz hat, nicht entgegensteht, soweit eine solche Regelung nicht zu einer doppelten Entschädigung des Handelsvertreters für den Verlust der Provisionen infolge der Beendigung des Handelsvertretervertrags führt.

2. Art. 17 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 86/653 ist dahin auszulegen, dass er die Zuerkennung von Schadensersatz nicht vom Nachweis des Vorliegens eines dem Unternehmer zuzurechnenden Verschuldens, das in kausalem Zusammenhang mit dem angegebenen Schaden steht, abhängig macht, aber verlangt, dass sich der angegebene Schaden von demjenigen unterscheidet, der durch die Ausgleichszahlung für Kunden abgedeckt wird.

Aus den Gründen

1          Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom 18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter (ABl. L 382, S. 17, im Folgenden: Richtlinie).

2          Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Quenon K. SPRL (im Folgenden: Quenon) auf der einen und der Beobank SA, vormals Citibank Belgium SA (im Folgenden: Citibank), sowie der Metlife Insurance SA, vormals Citilife SA (im Folgenden: Citilife), auf der anderen Seite wegen Zahlung des von Quenon aufgrund der Auflösung ihres Handelsvertretervertrags durch die letztgenannten Gesellschaften geforderten Ausgleichs und Schadensersatzes.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3          Die Erwägungsgründe 2 und 3 der Richtlinie lauten:

„Die Unterschiede zwischen den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der Handelsvertretungen beeinflussen die Wettbewerbsbedingungen und die Berufsausübung innerhalb der Gemeinschaft spürbar und beeinträchtigen den Umfang des Schutzes der Handelsvertreter in ihren Beziehungen zu ihren Unternehmen sowie die Sicherheit im Handelsverkehr. Diese Unterschiede erschweren im Übrigen auch erheblich den Abschluss und die Durchführung von Handelsvertreterverträgen zwischen einem Unternehmer und einem Handelsvertreter, die in verschiedenen Mitgliedstaaten niedergelassen sind.

Der Warenaustausch zwischen den Mitgliedstaaten muss unter Bedingungen erfolgen, die denen eines Binnenmarktes entsprechen, weswegen die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten in dem zum guten Funktionieren des Gemeinsamen Marktes erforderlichen Umfang angeglichen werden müssen. Selbst vereinheitlichte Kollisionsnormen auf dem Gebiet der Handelsvertretung können die erwähnten Nachteile nicht beseitigen und lassen daher einen Verzicht auf die vorgeschlagene Harmonisierung nicht zu“.

4          Art. 1 der Richtlinie bestimmt:

„1. Die durch diese Richtlinie vorgeschriebenen Harmonisierungsmaßnahmen gelten für die Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, die die Rechtsbeziehungen zwischen Handelsvertretern und ihren Unternehmern regeln.

2. Handelsvertreter im Sinne dieser Richtlinie ist, wer als selbständiger Gewerbetreibender ständig damit betraut ist, für eine andere Person (im folgenden Unternehmer genannt) den Verkauf oder den Ankauf von Waren zu vermitteln oder diese Geschäfte im Namen und für Rechnung des Unternehmers abzuschließen.

…“

5          Art. 17 Abs. 1 bis 3 der Richtlinie sieht vor:

„(1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen dafür, dass der Handelsvertreter nach Beendigung des Vertragsverhältnisses Anspruch auf Ausgleich nach Absatz 2 oder Schadensersatz nach Absatz 3 hat.

(2) a) Der Handelsvertreter hat Anspruch auf einen Ausgleich, wenn und soweit

– er für den Unternehmer neue Kunden geworben oder die Geschäftsverbindungen mit vorhandenen Kunden wesentlich erweitert hat und der Unternehmer aus den Geschäften mit diesen Kunden noch erhebliche Vorteile zieht und

– die Zahlung eines solchen Ausgleichs unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der dem Handelsvertreter aus Geschäften mit diesen Kunden entgehenden Provisionen, der Billigkeit entspricht …

b) Der Ausgleich darf einen Betrag nicht überschreiten, der einem jährlichen Ausgleich entspricht, der aus dem Jahresdurchschnittsbetrag der Vergütungen, die der Handelsvertreter während der letzten fünf Jahre erhalten hat, errechnet wird; ist der Vertrag vor weniger als fünf Jahren geschlossen worden, wird der Ausgleich nach dem Durchschnittsbetrag des entsprechenden Zeitraums ermittelt.

c) Die Gewährung dieses Ausgleichs schließt nicht das Recht des Handelsvertreters aus, Schadensersatzansprüche geltend zu machen.

(3) Der Handelsvertreter hat Anspruch auf Ersatz des ihm durch die Beendigung des Vertragsverhältnisses mit dem Unternehmer entstandenen Schadens.

Dieser Schaden umfasst insbesondere

– den Verlust von Ansprüchen auf Provision, die dem Handelsvertreter bei normaler Fortsetzung des Vertrags zugestanden hätten und deren Nichtzahlung dem Unternehmer einen wesentlichen Vorteil aus der Tätigkeit des Handelsvertreters verschaffen würde, und/oder

– Nachteile, die sich aus der nicht erfolgten Amortisation von Kosten und Aufwendungen ergeben, die der Handelsvertreter in Ausführung des Vertrags auf Empfehlung des Unternehmers gemacht hatte.“

Belgisches Recht

6          Das Gesetz vom 13. April 1995 über den Handelsvertretervertrag (Belgisches Staatsblatt vom 2. Juni 1995, S. 15621 [offizielle deutsche Übersetzung: Belgisches Staatsblatt vom 13. Januar 2000], im Folgenden: Gesetz von 1995) bezweckt die Umsetzung der Richtlinie in das belgische Recht. In Art. 20 dieses Gesetzes heißt es:

„Nach Vertragsbeendigung hat der Handelsvertreter Anspruch auf eine Ausgleichsabfindung, wenn er neue Kunden für den Auftraggeber geworben oder die Geschäftsverbindungen mit der bestehenden Kundschaft wesentlich erweitert hat, soweit dies dem Auftraggeber noch erhebliche Vorteile einbringen kann.

Ist im Vertrag eine Wettbewerbsabrede vorgesehen, wird davon ausgegangen, dass der Auftraggeber – außer bei Beweis des Gegenteils – noch erhebliche Vorteile haben wird.

Der Betrag der Ausgleichsabfindung wird unter Berücksichtigung sowohl der Erweiterung der Geschäftsverbindungen als auch der geworbenen Kunden festgelegt.

Der Ausgleich beträgt höchstens eine nach dem Durchschnitt der letzten fünf Jahre der Tätigkeit des Handelsvertreters berechnete Jahresvergütung; bei kürzerer Vertragsdauer ist der Durchschnitt während der Dauer der Tätigkeit maßgebend …“

7          Art. 21 des Gesetzes von 1995 lautet:

„Sofern der Handelsvertreter Anspruch auf die in Artikel 20 erwähnte Ausgleichsabfindung hat und diese Entschädigung den tatsächlich erlittenen Schaden nicht vollständig deckt, kann der Handelsvertreter über diese Entschädigung hinaus Schadenersatz erhalten in Höhe der Differenz zwischen dem Betrag des tatsächlich erlittenen Schadens und dem Betrag der besagten Entschädigung, jedoch mit der Auflage, den tatsächlichen Umfang des angegebenen Schadens nachzuweisen.“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

8          Quenon, die zur Fortführung der Geschäftstätigkeit von Herrn K. Quenon gegründet wurde, war auf der Grundlage zweier verschiedener Handelsvertreterverträge ab dem 1. Dezember 1997 als Handelsvertreterin der Citibank und von Citilife tätig. Die Bank- und Versicherungstätigkeiten wurden in einer einzigen Filiale zusammengefasst und Quenon erhielt ihre Vergütungen ausschließlich in Form von Provisionen, die von der Citibank für den Verkauf von Bankprodukten beziehungsweise von Citilife für den Verkauf von Versicherungsprodukten gezahlt wurden.

9          Am 9. Januar 2004 kündigte die Citibank den Handelsvertretervertrag mit Quenon ohne Angabe von Gründen und überwies ihr eine Ausgleichszahlung von 95 268,30 Euro für die fristlose Kündigung sowie eine Ausgleichsabfindung von 203 326,80 Euro für die Geschäftsentziehung. Die Citibank untersagte Quenon, sie weiterhin zu vertreten und ihren Namen sowie ihre Marke zu verwenden. Von diesem Zeitpunkt an hatte Quenon keinen Zugang mehr zu dem Computerprogramm, das es ihr ermöglichte, das Portfolio aus Versicherungsprodukten von Citilife zu verwalten. Quenon zufolge war es ihr somit faktisch unmöglich, den Versicherungsvertretervertrag fortzuführen.

10        Am 20. Dezember 2004 erhob Quenon Klage beim Tribunal de commerce de Bruxelles (Handelsgericht Brüssel) und beantragte, die Citibank und Citilife einzeln oder gesamtschuldnerisch zu verurteilen, ihr Ausgleichszahlungen für die fristlose Kündigung und die Geschäftsentziehung wegen der Beendigung des Versicherungsvertretervertrags, zusätzlichen Schadensersatz sowie Provisionen für die nach Beendigung dieses Handelsvertretervertrags abgeschlossenen Geschäfte zu leisten.

11        Nachdem die Klage mit Urteil vom 8. Juli 2009 abgewiesen worden war, legte Quenon unter Abänderung der in erster Instanz geforderten Beträge beim vorlegenden Gericht Berufung ein.

12        Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass Quenon zur Begründung ihrer Berufung geltend macht, die ihr von der Citibank für die Beendigung des Bankfilialvertrags überwiesene Ausgleichsabfindung sei unzureichend. Ihrer Ansicht nach sind gemäß Art. 21 des Gesetzes von 1995 Ausgleichszahlungen für die fristlose Kündigung und die Geschäftsentziehung, die aufgrund der faktischen Auflösung ihres Versicherungsvertretervertrags geschuldet würden, sowie die Gesamtheit des Schadens, den sie erlitten habe, zu berücksichtigen.

13        Die Berufungsbeklagten des Ausgangsverfahrens tragen vor, dass diese nationale Rechtsvorschrift, so wie Quenon sie auslege, nicht mit der Richtlinie vereinbar sei, da diese es den Mitgliedstaaten nicht erlaube, die beiden Entschädigungssysteme, d. h. das Ausgleichssystem und das Schadensersatzsystem zu kumulieren.

14        Unter diesen Umständen hat die Cour d’appel de Bruxelles (Berufungsgericht Brüssel) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Ist Art. 17 der Richtlinie dahin auszulegen, dass er den nationalen Gesetzgeber dazu ermächtigt, festzulegen, dass der Handelsvertreter nach Vertragsbeendigung einen Anspruch auf eine Ausgleichszahlung für Kunden hat, deren Höhe den Betrag einer jährlichen Vergütung nicht überschreiten darf, sowie daneben, wenn der Betrag der Ausgleichszahlung nicht den gesamten tatsächlich erlittenen Schaden abdeckt, auf Schadensersatz in Höhe der Differenz zwischen dem Betrag des tatsächlich erlittenen Schadens und dem der Ausgleichszahlung?

2. Ist Art. 17 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie insbesondere dahin auszulegen, dass er die Zuerkennung von Schadensersatz zusätzlich zu einer Ausgleichszahlung für Kunden vom Vorliegen eines vertraglichen oder quasideliktischen Verschuldens des Unternehmers, das in kausalem Zusammenhang mit den geltend gemachten Schäden steht, und vom Vorliegen eines gesonderten Schadens neben demjenigen, der durch die pauschale Ausgleichszahlung für Kunden abgedeckt wird, abhängig macht?

3. Wenn die letzte Frage zu bejahen ist: Hat sich das Verschulden von der einseitigen Vertragsbeendigung zu unterscheiden, wie beispielsweise die Zustellung einer Kündigung ohne ausreichende Kündigungsfrist, die Gewährung ungenügender Ausgleichszahlungen für die Kündigung und für Kunden, das Vorliegen vom Unternehmer zu vertretender schwerwiegender Gründe, eine missbräuchliche Ausübung des Kündigungsrechts oder jegliche andere Vertragsverletzungen insbesondere im Hinblick auf die Gepflogenheiten des Handels?

Zur Zuständigkeit des Gerichtshofs

15        Vorab weisen die deutsche Regierung und die Europäische Kommission darauf hin, dass der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Sachverhalt, der einen Handelsvertreter betrifft, dessen Tätigkeiten in der Erbringung von Bank- und Versicherungsdienstleistungen bestehen, nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie falle. Die Kommission ist allerdings der Ansicht, der Gerichtshof müsse die Fragen des vorlegenden Gerichts beantworten, um eine einheitliche Auslegung der Richtlinie zu gewährleisten.

16        Hierzu ist festzustellen, dass die Richtlinie allein für die Anwendung auf selbständige Handelsvertreter konzipiert wurde, die – wie sich aus der in Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie enthaltenen Definition des Begriffs „Handelsvertreter“ ergibt – damit betraut sind, den Verkauf oder den Ankauf von Waren zu vermitteln. Ein Handelsvertreter, der mit der Vermittlung des Verkaufs von Bank- und Versicherungsdienstleistungen betraut ist, unterliegt folglich nicht dem Anwendungsbereich der Richtlinie.

17        Nach ständiger Rechtsprechung besteht jedoch dann, wenn sich nationale Rechtsvorschriften zur Regelung rein innerstaatlicher Sachverhalte nach den im Unionsrecht getroffenen Regelungen richten sollen, um u. a. zu verhindern, dass es zu Benachteiligungen der eigenen Staatsangehörigen oder zu Wettbewerbsverzerrungen kommt, oder um sicherzustellen, dass in vergleichbaren Fällen ein einheitliches Verfahren angewandt wird, ein klares Interesse daran, dass die aus dem Unionsrecht übernommenen Bestimmungen oder Begriffe unabhängig davon, unter welchen Voraussetzungen sie angewandt werden sollen, einheitlich ausgelegt werden, um künftige Auslegungsunterschiede zu verhindern (vgl. u. a. Urteile Poseidon Chartering, C3/04, EU:C:2006:176, Rn. 15 und 16, Volvo Car Germany, C203/09, EU:C:2010:647, Rn. 24 und 25, sowie Unamar, C184/12, EU:C:2013:663, Rn. 30 und 31).

18        Was insbesondere das Gesetz von 1995 betrifft, das die Umsetzung der Richtlinie in das belgische Recht bezweckt, hat der Gerichtshof unter Umständen, die einen Handelsvertretervertrag betrafen, der sich auf Dienstleistungen bezog, in der Rechtssache, in der das Urteil Unamar (C184/12, EU:C:2013:663) erging, bereits seine Zuständigkeit bejaht. Hierzu hat der Gerichtshof in Rn. 30 dieses Urteils festgestellt, dass die Richtlinie den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens zwar nicht unmittelbar regelt, der belgische Gesetzgeber bei der Umsetzung der Bestimmungen der Richtlinie in innerstaatliches Recht jedoch entschieden hat, Handelsvertreterverträge, die sich auf Waren beziehen, und solche, die sich auf Dienstleistungen beziehen, gleich zu behandeln.

19        Da diese Gründe auch für den vorliegenden Fall gelten, sind die Vorlagefragen zu beantworten.

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

20        Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der ein Handelsvertreter bei Beendigung des Handelsvertretervertrags sowohl Anspruch auf eine Ausgleichszahlung für Kunden, die auf höchstens eine Jahresvergütung beschränkt ist, als auch, sofern dieser Ausgleich den tatsächlich erlittenen Schaden nicht vollständig deckt, auf zusätzlichen Schadensersatz hat.

21        Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass Art. 17 der Richtlinie mit Blick auf das Ziel dieser Richtlinie und das damit eingeführte System auszulegen ist (Urteile Honyvem Informazioni Commerciali, C465/04, EU:C:2006:199, Rn. 17, und Semen, C348/07, EU:C:2009:195, Rn. 13).

22        Die Richtlinie hat die Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien eines Handelsvertretervertrags zum Ziel (Urteile Honyvem Informazioni Commerciali, C465/04, EU:C:2006:199, Rn. 18, und Unamar, C184/12, EU:C:2013:663, Rn. 36).

23        Wie sich aus den Erwägungsgründen 2 und 3 der Richtlinie ergibt, soll diese die Interessen der Handelsvertreter gegenüber den Unternehmern schützen, die Sicherheit des Handelsverkehrs fördern und den Warenaustausch zwischen den Mitgliedstaaten erleichtern, indem die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Handelsvertretungen angeglichen werden. Zu diesem Zweck enthält die Richtlinie u. a. – in den Art. 13 bis 20 – Bestimmungen über Abschluss und Beendigung des Handelsvertretervertrags (Urteile Honyvem Informazioni Commerciali, C465/04, EU:C:2006:199, Rn. 19, und Semen, C348/07, EU:C:2009:195, Rn. 14).

24        Was insbesondere die Beendigung des Vertrags betrifft, verpflichtet Art. 17 der Richtlinie die Mitgliedstaaten, eine Regelung für die Entschädigung des Handelsvertreters einzuführen, wobei er ihnen die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten lässt, nämlich entweder einem nach den Kriterien des Art. 17 Abs. 2 bestimmten Ausgleich – d. h. dem System des Ausgleichs für Kunden – oder Schadensersatz nach den in Art. 17 Abs. 3 festgelegten Kriterien – d. h. dem Schadensersatzsystem (vgl. in diesem Sinne Urteile Honyvem Informazioni Commerciali, C465/04, EU:C:2006:199, Rn. 20, Semen, C348/07, EU:C:2009:195, Rn. 15, und Unamar, C184/12, EU:C:2013:663, Rn. 40).

25        Das Königreich Belgien hat sich für die in Art. 17 Abs. 2 vorgesehene Lösung entschieden.

26        Die mit Art. 17 der vorliegenden Richtlinie geschaffene Regelung ist zwar nach ständiger Rechtsprechung, insbesondere was den Schutz des Handelsvertreters nach Vertragsbeendigung betrifft, zwingendes Recht, jedoch enthält sie keine detaillierten Hinweise zur Methode der Berechnung des Ausgleichs wegen Beendigung des Vertragsverhältnisses. Der Gerichtshof hat daher entschieden, dass die Mitgliedstaaten innerhalb dieses Rahmens einen Gestaltungsspielraum bei der Wahl der Methoden zur Berechnung des Ausgleichs oder des Schadensersatzes haben (vgl. in diesem Sinne Urteile Ingmar, C381/98, EU:C:2000:605, Rn. 21, Honyvem Informazioni Commerciali, C465/04, EU:C:2006:199, Rn. 34 und 35, sowie Semen, C348/07, EU:C:2009:195, Rn. 17 und 18).

27        Im Licht dieser Rechtsprechung ist zu prüfen, ob die Zuerkennung zusätzlichen Schadensersatzes – wie sie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung vorsieht – innerhalb des den Mitgliedstaaten von der Richtlinie eingeräumten Gestaltungsspielraums bleibt, wenn die Ausgleichszahlung für Kunden den tatsächlich erlittenen Schaden nicht vollständig deckt.

28        Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass das in Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie geregelte System des Ausgleichs für Kunden drei Stufen vorsieht. Auf der ersten Stufe geht es zunächst um die Quantifizierung der Vorteile des Unternehmers aus den Geschäften mit den vom Handelsvertreter geworbenen Kunden gemäß Art. 17 Abs. 2 Buchst. a erster Gedankenstrich der Richtlinie. Auf der zweiten Stufe wird dann geprüft, ob der Betrag, der sich auf der Grundlage der genannten Kriterien ergeben hat, unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der dem Handelsvertreter entgangenen Provisionen, der Billigkeit entspricht. Schließlich wird auf der dritten Stufe der Ausgleichsbetrag an der in Art. 17 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie festgelegten Höchstgrenze gemessen, die nur dann relevant ist, wenn der sich aus den vorstehenden beiden Berechnungsstufen ergebende Ausgleichsbetrag sie übersteigt (Urteil Semen, C348/07, EU:C:2009:195, Rn. 19).

29        Art. 17 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie nennt aber erst die Voraussetzungen, unter denen ein Handelsvertreter Anspruch auf einen Ausgleich hat, und legt die Höchstgrenze für diesen Ausgleich fest, und bestimmt erst danach, dass „die Gewährung dieses Ausgleichs … nicht das Recht des Handelsvertreters aus[schließt], Schadensersatzansprüche geltend zu machen“.

30        Aus dem Wortlaut der vorstehenden Bestimmung und aus ihrer systematischen Auslegung ergibt sich, dass Handelsvertretern zusätzlich zu diesem Ausgleich Schadensersatz zuerkannt werden kann und dass dieser weder den in Art. 17 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie aufgezählten Voraussetzungen noch der Höchstgrenze nach Art. 17 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie unterliegt.

31        Wie der Generalanwalt in Nr. 32 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, betrifft die Harmonisierung der Voraussetzungen für eine Entschädigung nach Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie nämlich nur die Ausgleichszahlung für Kunden, indem diese Bestimmung die Voraussetzungen vorsieht, denen die Gewährung dieses Ausgleichs unterliegt. Die Harmonisierungsmaßnahmen bezwecken daher nicht, sämtliche Entschädigungsmöglichkeiten zu vereinheitlichen, auf die sich Handelsvertreter nach dem innerstaatlichen Recht berufen können, wenn dieses eine vertragliche oder deliktische Haftung des Unternehmers vorsieht.

32        Da die Richtlinie keine präzisen Hinweise zu den Voraussetzungen gibt, unter denen ein Handelsvertreter Schadensersatz begehren kann, ist es daher Sache der Mitgliedstaaten, diese Bedingungen und Verfahrensmodalitäten in Wahrnehmung ihres Gestaltungsspielraums festzulegen.

33        Dieses Ergebnis wird durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs bestätigt, nach der die Mitgliedstaaten durch eine Ausweitung des Anwendungsbereichs der Richtlinie oder durch die erweiterte Nutzung des von der Richtlinie eingeräumten Gestaltungsspielraums einen stärkeren Schutz für Handelsvertreter einführen können (vgl. in diesem Sinne Urteil Unamar, C184/12, EU:C:2013:663, Rn. 50).

34        Wie die Kommission zu Recht geltend macht und der Generalanwalt in Nr. 43 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, geht der Gestaltungsspielraum, den die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung von Art. 17 Abs. 2 Buchst c der Richtlinie wahrnehmen können, mit der Pflicht einher, sich für eines der beiden in Abs. 2 bzw. Abs. 3 von Art. 17 der Richtlinie vorgesehenen Entschädigungssysteme zu entscheiden, ohne sie kumulieren zu können. Daher darf die Zuerkennung von Schadensersatz nicht zu einem doppelten Ersatz führen, indem die Ausgleichszahlung für Kunden mit dem Ersatz für den Schaden kombiniert wird, der u. a. auf dem Verlust der Provisionen infolge der Beendigung des Vertrags beruht.

35        Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung, nach der ein Handelsvertreter bei Beendigung des Handelsvertretervertrags sowohl Anspruch auf eine Ausgleichszahlung für Kunden, die auf höchstens eine Jahresvergütung beschränkt ist, als auch, sofern dieser Ausgleich den tatsächlich erlittenen Schaden nicht vollständig deckt, auf zusätzlichen Schadensersatz hat, nicht entgegensteht, soweit eine solche Regelung nicht zu einer doppelten Entschädigung des Handelsvertreters für den Verlust der Provisionen infolge der Beendigung des Handelsvertretervertrags führt.

Zur zweiten und zur dritten Frage

36        Mit seiner zweiten und seiner dritten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 17 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er die Zuerkennung von Schadensersatz zum einen vom Nachweis des Vorliegens eines dem Unternehmer zuzurechnenden Verschuldens, das in kausalem Zusammenhang mit dem angegebenen Schaden steht, und zum anderen vom Nachweis des Vorliegens eines Schadens, der sich von demjenigen unterscheidet, der durch die Ausgleichszahlung für Kunden abgedeckt wird, abhängig macht. Für den Fall, dass dies zu bejahen ist, fragt das vorlegende Gericht nach der Art und dem Maß des dem Unternehmer zuzurechnenden Verschuldens und insbesondere danach, ob dieses von der einseitigen Beendigung des Handelsvertretervertrags verschieden sein muss.

37        Was erstens das Erfordernis eines dem Unternehmer zuzurechnenden Verschuldens und eines Kausalzusammenhangs zwischen diesem und dem angegebenen Schaden betrifft, damit der Handelsvertreter Schadensersatz geltend machen kann, ist darauf hinzuweisen, dass – wie aus Rn. 32 des vorliegenden Urteils hervorgeht – die Richtlinie und insbesondere ihr Art. 17 Abs. 2 Buchst. c die Voraussetzungen, unter denen dem Handelsvertreter Schadensersatz zusteht, nicht näher bestimmt. Es ist daher Sache der Mitgliedstaaten, in ihrem innerstaatlichen Recht zu bestimmen, ob die Zuerkennung von Schadensersatz vom Vorliegen eines vertraglichen oder deliktischen Verschuldens abhängt, das dem Unternehmer zuzurechnen ist und in kausalem Zusammenhang mit dem angegebenen Schaden steht.

38        Daraus folgt, dass Art. 17 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie die Zuerkennung von Schadensersatz weder vom Nachweis des Vorliegens eines den Unternehmer zuzurechnenden Verschuldens, das in einem Kausalzusammenhang mit dem geltend gemachten Schaden steht, noch von der Art und dem Maß eines solchen Verschuldens abhängig macht.

39        Was zweitens die Frage betrifft, ob der Schadensersatz sich auf einen Schaden beziehen muss, der sich von demjenigen unterscheidet, der durch die Ausgleichszahlung für Kunden abgedeckt wird, folgt aus dem Wortlaut von Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie und deren Systematik, dass diese Frage zu bejahen ist.

40        Aus der Verwendung unterschiedlicher Begriffe zur Bezeichnung der beiden Aspekte des in Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie vorgesehenen Systems der Ausgleichszahlung für Kunden, nämlich „Ausgleich“ und „Schadensersatz“, aus deren ergänzendem und fakultativem Charakter sowie aus dem unterschiedlichen Grad der von der Richtlinie hinsichtlich dieser beiden Aspekte angestrebten Harmonisierung ergibt sich nämlich, dass sich die Entschädigung des Handelsvertreters mittels Schadensersatz nur auf einen Schaden beziehen kann, der sich von dem Schaden unterscheidet, der durch die Ausgleichszahlung für Kunden abgedeckt wird. Andernfalls würde die in Art. 17 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie vorgesehene Obergrenze des Ausgleichsbetrags umgangen.

41        Somit ist festzustellen, dass der Antrag auf Schadensersatz nach Art. 17 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie einen Schaden zum Gegenstand haben muss, der sich von dem Schaden unterscheidet, der durch die Ausgleichszahlung für Kunden ausgeglichen wird.

42        Nach alledem ist auf die zweite und die dritte Frage zu antworten, dass Art. 17 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er die Zuerkennung von Schadensersatz nicht vom Nachweis des Vorliegens eines dem Unternehmer zuzurechnenden Verschuldens, das in kausalem Zusammenhang mit dem angegebenen Schaden steht, abhängig macht, aber verlangt, dass sich der angegebene Schaden von demjenigen unterscheidet, der durch die Ausgleichszahlung für Kunden abgedeckt wird.

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