BGH: Anspruch auf Herausgabe gezogener Nutzung aus wirksam angefochtenen Steuerzahlungen
BGH, Urteil vom 24.5.2012, IX ZR 125/11
a) Der Fiskus ist von der Rechtshandlung an dem Insolvenzverwalter zur Herausga-be gezogener Nutzungen aus wirksam angefochtenen Steuerzahlungen verpflich-tet, wobei es auf die steuerliche Ertragshoheit nicht ankommt.
b) Als gezogene Nutzungen herauszugeben sind Zinserträge von Einnahmeüber-schüssen, die im Haushaltsvollzug ausnahmsweise zeitweilig nicht benötigt wer-den, und ersparte Zinsen für Kassenverstärkungskredite oder andere staatliche Refinanzierungsinstrumente, die infolge des Eingangs wirksam angefochtener Steuerzahlungen zurückgeführt oder vermieden worden sind.
InsO § 143 Abs. 1 Satz 2; BGB §§ 100, 987 Abs. 1
Sachverhalt:
Der Kläger ist Verwalter in dem am 13. Juli 2006 eröffneten Insolvenzver-fahren über das Vermögen des S. . Er focht Steuerzahlungen des Schuldners an das beklagte Land in Höhe von insgesamt 103.120,21 € an und verlangte Rückgewähr dieses Betrages nebst Zinsen. Der Beklagte hat die Hauptforderung nebst Zinsen ab Insolvenzeröffnung beglichen.
Im Streit befinden sich noch Zinsen auf die Hauptforderung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, welche der Kläger in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz von der jeweiligen Zahlung des Insolvenzschuldners an mit einem ursprünglichen Gesamtbetrag von 14.435,02 € beansprucht hat. Zur Begründung dieser Forderung hat er sich auch darauf berufen, ohne die ange-fochtenen Steuerzahlungen habe der Beklagte wenigstens Mittel auf dem Fi-nanzmarkt in entsprechender Höhe aufnehmen müssen und damit Schuldzin-sen erspart.
Das Landgericht hat den Beklagten zur Zahlung von 7.707,59 € verurteilt. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage abgewie-sen. Die Anschlussberufung des Klägers, mit welcher dieser die Zahlung weite-rer 3.478,04 € verlangt, ist zurückgewiesen worden. Mit seiner vom Berufungs-gericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger den Anspruch auf Zahlung von 11.185,63 € weiter.
Aus den Gründen:
4 Die Revision ist begründet, die Sache aber noch nicht zur Endentschei-dung reif.
5 I. Das Berufungsgericht hat angenommen, dem Kläger stehe der geltend gemachte Anspruch gemäß § 143 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 819 Abs. 1, § 818 Abs. 4, § 292 Abs. 2, § 987 BGB nicht zu. Das beklagte Land habe weder Nut-zungen aus den vom Schuldner gezahlten Lohn- und Umsatzsteuern gezogen noch schuldhaft unterlassen, Nutzungen zu ziehen. Wenn höhere Einnahmen zu einer geringeren Neuverschuldung geführt haben sollten, so sei dies uner-heblich. Zu einer zinsbringenden Sonderverwahrung der vom Schuldner entrichteten Steuern sei der Beklagte nicht verpflichtet gewesen. Abgesehen da-von fehle es an einem Verschulden des beklagten Landes, dessen zuständige Bedienstete nicht mit der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Ver-mögen des Schuldners hätten rechnen müssen. Dagegen wendet sich die Re-vision mit Erfolg.
6 II. Der in der Hauptsache erhobene Zinsanspruch besteht nicht. Der Bun-desgerichtshof hat seine Entscheidung, wonach von der angefochtenen Rechtshandlung an nach § 143 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 819 Abs. 1, § 818 Abs. 4, §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB auch Prozesszinsen zugunsten der Masse ent-stehen (vgl. BGH, Urteil vom 23. März 2006 IX ZR 116/03, BGHZ 167, 11 Rn. 20), durch sein Urteil vom 1. Februar 2007 (IX ZR 96/04, BGHZ 171, 38 Rn. 20) wieder aufgegeben, weil der Rückgewähranspruch erst mit der Insol-venzeröffnung fällig wird. Hiervon abzugehen, besteht kein Anlass.
7 Rechtlich nicht zu beanstanden sind die Ausführungen des Berufungsge-richts auch insoweit, als es einen Hilfsanspruch des Klägers wegen schuldhaft nicht gezogener Nutzungen des Beklagten nach § 143 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 819 Abs. 1, § 818 Abs. 4, §§ 292, 987 Abs. 2 BGB verneint (vgl. dazu BGH, Urteil vom 1. Februar 2007, aaO Rn. 23). Der Kläger hat nicht widerlegt, dass die Steuerzahlungen des Schuldners in der Haushaltsführung der jeweiligen Etatjahre zur Deckung staatlicher Ausgaben verbraucht werden mussten. Diese Tatfrage kann bei öffentlichen Trägern, die zeitweise Überschüsse erwirtschaf-ten und diese nicht zur Schuldentilgung, sondern zum Aufbau von Rücklagen für künftige Ausgaben verwenden, anders liegen.
8 Soweit das Berufungsgericht den Hilfsanspruch der Klage auch unter dem Gesichtspunkt der Herausgabe gezogener Nutzungen nach § 143 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 819 Abs. 1, § 818 Abs. 4, §§ 292, 987 Abs. 1 BGB aberkannt hat, hält seine Entscheidung rechtlicher Prüfung nicht stand. Dieser Anspruch entsteht mit der Vornahme der angefochtenen Rechtshandlung (BGH, Urteil vom 1. Februar 2007, aaO Rn. 22).
9 1. Nutzungen sind nach § 100 BGB die Früchte einer Sache oder eines Rechts sowie die Vorteile, welche der Gebrauch der Sache oder des Rechts gewährt. Zutreffend verweist die Revision darauf, dass nicht nur Zinserträge und sonstige Erträge, die dem Schuldner aus einer rentierlichen Anlage zuge-flossen sind, zu den Nutzungen eines erlangten Geldbetrages zählen können, sondern auch die durch Tilgung einer verzinslichen Schuld ersparten Schuld-zinsen (BGH, Urteil vom 6. März 1998 V ZR 244/96, BGHZ 138, 160, 164 ff; vgl. auch Staudinger/Jickeli/Stieper, BGB 2012, § 100 Rn. 5). Wird durch Geld-zahlung eine Kreditaufnahme des Empfängers von vornherein vermieden oder hinausgeschoben, gilt nichts anderes. Hat der Fiskus erhaltene Abgaben zurück zu gewähren, umfasst diese Verpflichtung daher grundsätzlich auch die Her-ausgabe von ersparten Zinsen (BayObLG, NJW 1999, 1194, 1195; OLG Köln, JurBüro 2001, 312; LG Potsdam, NVwZ-RR 2008, 513). Für hier nicht gegebe-ne öffentlich-rechtliche Steuererstattungsansprüche gilt die Verzinsungspflicht der § 37 Abs. 2, § 233a Abs. 3 AO.
10 Das Reichsgericht hat allerdings für die Rückzahlung von Stempelabga-ben durch den preußischen Fiskus angenommen, dass bei verhältnismäßig ge-ringfügigen Beträgen entgegen seinerzeitiger Behauptung Anleihezinsen nicht erspart worden seien, weil bei dem Fehlen solcher Summen vom Fiskus keine höheren Anleihen aufgenommen worden wären (RGZ 72, 152, 153). Damit sind jedoch die Gegebenheiten der Haushaltsführung des beklagten Landes in dem hier maßgeblichen Zeitraum nicht erschöpfend gewürdigt. Haushaltswirtschaft-lich von Belang sind hier die Anforderungen an den Haushaltsplan nach den §§ 13 und 18 LHO-NW, die geplanten und durchgeführten Einnahmen aus Kre-diten gemäß § 13 Abs. 3 Nr. 1, § 18 Abs. 2 Nr. 1 LHO-NW sowie die tatsächli-che Inanspruchnahme von Kassenverstärkungskrediten innerhalb der haus-haltsgesetzlichen Ermächtigung nach § 18 Abs. 2 Nr. 2 und § 60 Abs. 3 LHO-NW.
11 2. Wie auch bei Banken und anderen Anfechtungsgegnern mit komplexer Refinanzierungsstruktur kommt es im Rahmen der Schadensschätzung nach § 987 Abs. 1 BGB, § 287 ZPO nicht darauf an, rückzugewährende Einnahmen des Steuerfiskus einzelnen Zinserträgen oder Zinsersparnissen bestimmter Maßnahmen des Haushaltsvollzuges zuzuordnen. Es gelten hier keine anderen Grundsätze, als sie für den umgekehrten Fall eines weitergehenden Verzugs-schadens der öffentlichen Hand in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs seit langem anerkannt sind (vgl. BGH, Urteil vom 17. April 1978 II ZR 77/77, WM 1978, 616, 617; vom 18. Oktober 1988 VI ZR 223/87, NJW-RR 1989, 670, 672 unter B. I. 2. b, ee). Sie werden für die Nutzungsherausgabe auch vom Bundesverwaltungsgericht gebilligt (vgl. BVerwG, NJW 1999, 1201, 1202 f). Die gezogenen Mindestnutzungen des beklagten Landes sind jeden-falls die in Höhe der eingegangenen Steuerzahlungen vermiedenen oder zu-rückgeführten Kassenverstärkungskredite (vgl. Schön, NJW 1993, 3289, 3292), sofern sie in entsprechender Höhe und Zeit in Anspruch genommen worden sind.
12 Die tatsächliche Vermutung, dass Banken Kapitalerträge oder Zinser-sparnisse in Höhe des gesetzlichen Verzugszinses erwirtschaften (vgl. BGH, Urteil vom 24. April 2007 XI ZR 17/06, BGHZ 172, 147 Rn. 35), die sie als Nutzungen herauszugeben haben, findet jedoch in der Haushaltsführung von Bund und Ländern keine Entsprechung. Sie beruht auf der Durchführung von Bankgeschäften.
13 3. Der Einwand der Revisionserwiderung, dass nach Art. 106 Abs. 3 GG die Ertragshoheit der gezahlten Lohn- und Umsatzsteuern nur teilweise bei dem beklagten Land liege, ändert an dem Umfang der anfechtungsrechtlichen Rück-gewährpflicht nichts. Es kommt anfechtungsrechtlich insoweit allein auf die Verwaltungshoheit der entrichteten Abgaben an, wie das beim Einzug des Ge-samtsozialversicherungsbeitrags durch die gesetzlichen Krankenkassen und beim Einzug tarifvertraglicher Sozialkassenbeiträge seit langem anerkannt ist. Anfechtungsgegner ist in allen Fällen allein die Einzugsstelle (BGH, Urteil vom 12. Februar 2004 IX ZR 70/03, NJW 2004, 2163, 2164 mwN; vom 21. Oktober 2004 IX ZR 71/02, ZIP 2005, 38 f). Der Senat hat bereits entschieden, dass dieser Grundsatz auch für den hier gegebenen Fall der Erhebung von Steuern gilt, die von der einziehenden Stelle (teilweise) an einen anderen Rechtsträger abzuführen sind (BGH, Beschluss vom 11. Oktober 2007 IX ZR 87/06, WM 2007, 2158 Rn. 4; ebenso OLG Hamm, ZIP 2010, 996). Der Beklagte hat sich auf eine anderweitige Rechtsfolge für die Rückgewähr der gezahlten Steuern und die nach Verfahrenseröffnung geschuldeten Rechtshängigkeitszinsen, die nicht mehr im Streit stehen, auch nicht berufen. Es wäre widersprüchlich, für die Nutzungsherausgabe nach § 987 Abs. 1 BGB anders zu entscheiden, weil eine anteilige Verpflichtung der im Innenverhältnis am Steueraufkommen beteiligten öffentlichen Körperschaften nicht besteht.
14 4. Der Anspruch auf Nutzungsherausgabe wegen ersparter Kreditzinsen gegen den Fiskus als Nebenfolge des anfechtungsrechtlichen Rückgewähranspruchs in der Insolvenz gemäß § 143 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 819 Abs. 1, § 818 Abs. 4, §§ 292, 987 Abs. 1 BGB weicht nicht von der Auslegung des § 818 Abs. 1 BGB durch den XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs ab, auf die sich das Berufungsgericht gestützt hat und auf die sich die Revisionserwiderung gleichfalls beruft. Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat bei einem Be-reicherungsanspruch gegen den Steuerfiskus einen Anspruch auf Zinszahlun-gen wegen tatsächlich gezogener Nutzungen nach § 818 Abs. 1 BGB verneint, weil der Staat Steuereinnahmen in der Regel nicht gewinnbringend anlege, sondern im Interesse der Allgemeinheit verwende (BGH, Urteil vom 3. Februar 2004 XI ZR 125/03, BGHZ 158, 1, 9; vom 30. März 2004 XI ZR 145/03, juris Rn. 32). Je nach Lage der Staatsfinanzen ist von Rechts wegen aber nicht aus-geschlossen, dass im Haushaltsvollzug zeitweilig auch Überschüsse erwirt-schaftet werden und zum Aufbau von zinsbringenden Rücklagen verwendet werden können. Der Beklagte hat eine solche Sachlage bestritten.
15 Unterstellt man den genannten Urteilen des XI. Zivilsenats die vom Beru-fungsgericht angenommene Absicht, den Fiskus bei der Nutzungsherausgabe rechtsgrundlos erlangter Steuern hinsichtlich ersparter Kreditzinsen gegenüber anderen Schuldnern zu privilegieren, so kann dieses Rechtsverständnis nicht auf den im Streit stehenden Regelungszusammenhang übertragen werden. Mit dem Zweck des § 143 Abs. 1 Satz 2 InsO und dessen Rechtsfolgenverweisung ist nicht vereinbar, dass dem Anfechtungsgegner die vor Eröffnung des Insol-venzverfahrens aus dem Rückgewährbetrag gezogenen Zinsen verbleiben (BGH, Urteil vom 1. Februar 2007, aaO Rn. 22). Für zurückgeführte oder ver-miedene Kreditinanspruchnahmen des Anfechtungsgegners und die hierdurch erzielten Zinsersparnisse kann nichts anderes gelten (BGH, Urteil vom 6. März 1998, aaO und oben unter 1.). Eine anfechtungsrechtliche Besserstellung des Fiskus wegen des Interesses der Allgemeinheit am Einsatz der Steuereinkünfte für öffentliche Staatszwecke ist in der Insolvenzordnung nicht mehr vorgesehen. Sie findet nach gefestigter Auslegung des geltenden Rechts weder bei der Rückgewähr anfechtbarer Steuerzahlungen selbst statt noch bei der Verpflich-tung zur Zahlung von Rechtshängigkeitszinsen nach Eröffnung des Insolvenz-verfahrens gemäß § 143 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 819 Abs. 1, § 818 Abs. 4, §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB. Es gibt mithin keinerlei rechtlichen Anhalt da-für, dass bei der Herausgabe gezogener oder ersparter Zinsen als Nutzungen nach § 143 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 819 Abs. 1, § 818 Abs. 4, §§ 292, 987 Abs. 1 BGB der Wille des Gesetzes zugunsten des Fiskus in eine andere Richtung gegangen sein könnte.
16 III. Das Berufungsurteil kann demnach mit der gegebenen Begründung nicht bestehen bleiben. Es kann auch nicht aus anderen Gründen nach § 561 ZPO aufrechterhalten werden, wie die Revisionserwiderung zu bedenken gibt.
17 Der Kläger hat seiner Darlegungslast für den geltend gemachten An-spruch auf Nutzungsherausgabe nach § 143 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 819 Abs. 1, § 818 Abs. 4, §§ 292, 987 Abs. 1 BGB genügt, indem er zumindest hilfsweise Zinsersparnisse des Beklagten beim Haushaltsvollzug infolge der angefochte-nen Steuerzahlungen behauptet hat. Hierbei war, wie ausgeführt, allein auf den Beklagten und nicht auch auf die im Innenverhältnis an dem Steueraufkommen beteiligten Körperschaften abzustellen. Die näheren haushaltswirtschaftlichen Daten bei dem Beklagten kann der Kläger nicht vortragen. Der Haushaltsvoll-zug auch in seiner zeitlichen Entwicklung während der fraglichen Etatjahre ist dagegen dem Beklagten in allen Einzelheiten bekannt und belegbar. Ihn trifft daher entgegen dem Rechtsstandpunkt der Revisionserwiderung die sekundäre Darlegungslast, hierzu in der gebotenen Klarheit vorzutragen. Dazu bestand nach den Rechtsauffassungen beider Tatrichter bisher keine zwingende Veran-lassung. Die ausgesprochene Zurückverweisung gibt dem Beklagten Gelegen-heit, die zur Spruchreife des Streitgegenstandes fehlenden Tatsachen seines Verwaltungsbereichs in den Rechtsstreit einzuführen.