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Wirtschaftsrecht
16.10.2014
Wirtschaftsrecht
OLG Frankfurt: Anspruch auf ermessenfehlerfreie Entscheidung über Akteneinsichtsgesuch als an einem Kartellverfahren nicht beteiligter Dritter zur Prüfung zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche

OLG Frankfurt, Beschluss vom 4.9.2014 – 11 W 3/14 (Kart)

Amtliche Leitsätze

1. Soweit mangels Verfahrensbeteiligung kein Anspruch auf Akteneinsicht in Kartellakten besteht, kann bei Darlegung eines berechtigten Interesses ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über das als Dritter gestellte Akteneinsichtsgesuch bestehen, welchen die Kartellbehörde gemäß § 40 VwVfG nach pflichtgemäßen Ermessen zu bescheiden hat.

2. Ein berechtigtes Interesse ist anzunehmen, wenn die Akteneinsicht der Prüfung/Vorbereitung einer zivilrechtlichen Schadensersatzklage gemäß § 33 GWB dienen soll; ausreichend kann insoweit sein, sich mit der Akteneinsicht über das Nichtvorliegen von Umständen vergewissern zu wollen, die einem scheinbar schlüssigen Anspruch entgegenstehen könnten.

Sachverhalt

I.

Der Antragsteller ist Eigentümer eines in O1 gelegenen Grundstücks, welches an das Trinkwassernetz der Betroffenen angeschlossen ist. Die Abrechnung des Wasserverbrauchs erfolgt über eine Vertriebstochter der Betroffenen, die X.

Der Antragsgegner leitete im Jahr 2009 gegen die Betroffene ein Kartellverfahren wegen des Verdachts des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung ein. Auf Basis eines Preisvergleichs äußerte er die Vermutung, dass die von der Betroffenen berechneten Trinkwasserpreise um 39 % überhöht seien.

Die Betroffene bot unter dem 20.9.2013 eine Verpflichtungszusage u.a. mit dem Inhalt an, ab dem Jahr 2014 die Preise um 20% zu senken. Mit Pressemitteilung vom gleichen Tag teilte der Antragsgegner mit, dass das Kartellverfahren durch einen Vergleich beendet worden sei (GA 19). Daraufhin beantragte der Antragsteller mit Schreiben vom 29.10.2013, ihm Einsicht in die Akten des Antragsgegners zu gewähren, um mögliche Schadensersatzansprüche gem. § 33 GWB abklären zu können. Hilfsweise begehrte er, ihn zum Kartellverfahren beizuladen. Mit Verfügung vom 08.01.2014 lehnte der Antragsgegner beide Anträge ab (GA 25 ff.).

Bereits mit Verfügung vom 2.12.2013 (GA 33ff) hatte der Antragsgegner die Verpflichtungszusage der Betroffenen als bindend gemäß § 32 b GWB angenommen.

Mit der am 30.01.2014 bei Gericht eingegangenen Beschwerde wendet sich der Antragsteller gegen die ihm verweigerte Akteneinsicht. Zur Begründung verweist er darauf, die Ablehnung seines Akteneinsichtsantrages verletze ihn in seinen Rechten gemäß § 54 Abs. 2 GWB, §§ 29, 13 VwVfG. Sollten die genannten Normen ihm keinen Anspruch auf Akteneinsicht zubilligen, würden diese Normen jedenfalls gegen höherrangiges Gemeinschaftsrecht verstoßen und damit unwirksam sein. Das deutschlandweite Gesamtsystem kommunaler Trinkwassermonopole verhindere einen zwischenstaatlichen Wasserhandel und löse die Anwendbarkeit von Art. 102 AEUV aus. Die Verweigerung der Akteneinsicht verstoße gegen den dort verankerten gemeinschaftsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz.

Selbst ohne zwischenstaatliche Bedeutung sei hier gemäß Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz ein Anspruch auf Akteneinsicht anzunehmen. Würde man einen Akteneinsichtsanspruch verneinen, wäre es einem einzelnen Geschädigten nicht möglich, einen Unterlassungs- und/oder Schadensersatzanspruch gem. § 33 GWB geltend zu machen. Aus § 54 Abs. 2 Nr. 3 GWB folge jedoch, dass der Gesetzgeber gerade die Interessen der geschädigten Verbraucher schützen wolle. Der formale Abschluss des Kartellverfahrens sei für das Akteneinsichtsgesuch unerheblich.

Die Verfügung sei ermessensfehlerhaft. Entgegenstehende Interessen der Betroffenen in Form von Geschäftsgeheimnissen würden in der Verfügung nicht erwähnt. Soweit die Verfügung auf die eigenen behördlichen Interessen Bezug nehme, komme es auf diese im Rahmen der hier erforderlichen Abwägung nicht an. Maßgeblich sei allein, ob es ihm, dem Antragsteller, als Geschädigtem erst durch eine Akteneinsicht möglich werde, effizient einen Schadensersatzanspruch gegen die Betroffene als Kartelltäterin durchzusetzen. Diese Ermessensentscheidung habe der Antragsgegner tatsächlich nicht getroffen, so dass ein Ermessensfehlgebrauch vorläge.

Er beantragt,

unter Aufhebung der Verfügung vom 08.01.2014 den Beschwerdegegner zu verpflichten, dem Beschwerdeführer unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats Einsicht in die Akten der Landeskartellbehörde Hessen betreffend das Kartellverfahren gegen die Betroffene wegen des Verdachts missbräuchlich überhöhter Trinkwasserpreise - Geschäftszeichen III 78 k 20 - 01/563-09 - zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er ist der Ansicht, der Antragsteller könne sich nicht auf einen Anspruch auf Akteneinsicht gem. § 29 Abs. 1 VwVfG berufen, da diese Vorschrift den Beteiligtenstatus i.S.v. § 54 Abs. 2 Nr. 3 GWB bzw. § 13 Abs. 1 VwVfG voraussetze. Diese Voraussetzung erfülle der Antragsteller nicht. Der Antragsteller habe auch nicht an dem Verfahren beteiligt werden müssen. Insbesondere habe er sich nicht auf ein erhebliches wirtschaftliches Interesse berufen können. Dieses richte sich vorliegend nicht an den wirtschaftlichen Interessen Einzelner, sondern der Gesamtheit aus. Über die unterlassene Beiladung sei demnach ermessensfehlerfrei entschieden worden. Der Antragsteller habe zur Sachverhaltsklärung nichts Wesentliches beitragen können.

Der Antragsteller könne sich auch nicht auf ein rechtliches Interesse nach § 29 Abs. 1 VwVfG berufen. Der Ausgang des Kartellverwaltungsverfahrens sei für die von ihm beabsichtigte Schadensersatzklage rechtlich irrelevant. Zudem könne der Antragsteller im Rahmen eines Zivilverfahrens die Beiziehung der Kartellakten gemäß § 273 ZPO beantragen.

Europäisches Unionsrecht finde ebenfalls keine Anwendung, da der zwischenstaatliche Handel nicht berührt sei. Schließlich habe sich der deutsche Gesetzgeber im Rahmen der achten GWB-Novelle ausdrücklich dafür ausgesprochen, die natürlichen Trinkwassermonopole nicht der Missbrauchsaufsicht zu unterwerfen.

Die Betroffene beantragt ebenfalls,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie ist ebenfalls der Ansicht, dass Europäisches Unionsrecht keine Anwendung finde. Der deutsche Gesetzgeber habe bewusst regionale Gebietsmonopole der Wasserversorger hingenommen. Tatsächlich existiere ein Wettbewerb um Konzessionsgebiete zwischen den Wasserversorgungsunternehmen in Deutschland in weit größerem Umfang als in den europäischen Nachbarstaaten.

Jedenfalls aber stünden die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Akteneinsicht der zugrunde liegenden Verfügung nicht entgegen. Abweichend von der Sachverhaltskonstellation, die der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs im Fall Donau-Chemie zugrunde gelegen habe, sei vorliegend die Akteneinsicht nicht grundsätzlich ausgeschlossen, sondern von einer Ermessensentscheidung im Einzelfall abhängig. Entsprechend habe der Antragsgegner seine Ermessensentscheidung in einer nicht zu beanstandenden Weise zu Gunsten der Vielzahl der Verbraucher ausgeübt, die von der preissenkende Wirkung der Verpflichtungszusage profitierten. Dieses Interesse sei höher zu bewerten als das Individualinteresse des Antragstellers.

Der Antragsteller, der Antragsgegner und die Betroffene sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (GA 61, 73, 69, 94).

Aus den Gründen

II.

Die Beschwerde ist zulässig (unter 1.). Sie hat auch in der Sache Erfolg (unter 2.). Dem Antragsgegner wird aufgegeben, sein Ermessen unter Berücksichtigung der Erwägungen des Senats hinsichtlich eines aus § 40 VwVfG folgenden Anspruchs auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über das Akteneinsichtsgesuch des Antragstellers auszuüben.

1.

Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere gemäß §§ 63, 66 Abs. 1, 3 GWB form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

Der Antragssteller ist beschwerdebefugt. Er kann sich zwar mangels eigener Beteiligung am Verfahren gem. § 54 Abs. 2 GWB nicht auf die formalisierte Beschwerdebefugnis als Verfahrensbeteiligter gemäß § 63 Abs. 2 GWB berufen. Über den Wortlaut des § 63 Abs. 2 GWB hinaus ist jedoch zur Gewährung eines lückenlosen Rechtsschutzes die Beschwerdebefugnis auch dann anzunehmen, wenn ein Beschwerdeführer geltend macht, durch eine Verfügung der Kartellbehörde in seinen Rechten verletzt worden zu sein (Schmidt in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl., § 63 Rn. 23). Erforderlich, aber auch ausreichend ist es, wenn der Beschwerdeführer individuell und unmittelbar durch eine Verfügung der Kartellbehörde betroffen ist (ebenda; BGH NJW 2007, 607, 608 – pepcom). Dies ist vorliegend der Fall. Durch die mit der Beschwerde angegriffene Verfügung werden unmittelbar gegenüber dem Antragsteller der begehrte Anspruch auf Akteneinsicht sowie der hilfsweise geltend gemachte Anspruch auf Beiladung abgelehnt. Der Antragsteller ist nicht darauf zu verweisen, zunächst seinen Anspruch auf Beiladung nachträglich zu erzwingen, sondern kann unmittelbar das begehrte Recht auf Akteneinsicht mit der Beschwerde weiter verfolgen (Schmidt ebenda § 63 Rn. 23).

2.

Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Die Verfügung ist wegen fehlsamen Gebrauchs eines dem Antragsgegner eingeräumten Ermessens gemäß § 71 Abs. 5 GWB aufzuheben.

Der Antragsteller hat zwar keinen unbedingten Anspruch auf Akteneinsicht (unter a); er hat jedoch einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über sein Akteneinsichtsgesuch entsprechend § 40 VwVfG, welcher bislang vom Antragsgegner nicht erfüllt wurde (unter b.).

a.

Der Antragsteller kann sich nicht mit Erfolg auf einen unbedingten Anspruch auf Akteneinsicht berufen.

aa.

Dem Antragsteller steht kein Anspruch auf Akteneinsicht gemäß §§ 13, 29 VwVfG zu. Gemäß § 29 Abs. 1VwVfG hat die Behörde den Beteiligten Einsicht in die Verfahrensakten zu gestatten, soweit deren Kenntnis zur Geltendmachung oder Verteidigung ihrer rechtlichen Interessen erforderlich ist. Diese Voraussetzungen erfüllt der Antragsteller in mehrfacher Hinsicht nicht:

Unstreitig ist er nicht Beteiligter im Sinne des § 13 VwVfG.

Die Akteneinsicht ist auch nicht auf die Wahrnehmung rechtlicher Interessen im Sinne des § 29 VwVfG gerichtet. Der Begriff des rechtlichen Interesses ist enger zu verstehen als der des berechtigten Interesses. Ein rechtliches Interesse ist nur gegeben, wenn die Einsichtnahme bezweckt, eine tatsächliche Unsicherheit über ein Rechtsverhältnis zu klären, ein rechtlich relevantes Verhalten nach dem Ergebnis der Einsichtnahme zu regeln oder eine gesicherte Grundlage für die Verfolgung eines Anspruchs zu bieten (Kallerhoff in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. § 29 Rd. 47). Es bezieht sich stets auf einen Anspruch innerhalb des Verwaltungsverfahrens. Dies ergibt sich insbesondere aus der Formulierung in § 29 VwVfG, wonach die Akteneinsicht zur Geltendmachung oder Verteidigung der rechtlichen Interessen erforderlich sein muss. Es muss demnach ein konkreter Zusammenhang zu einem Verwaltungsverfahren bestehen (ebenda Rn. 49). Daran fehlt es hier. Der Antragsteller will nicht innerhalb des - zudem nunmehr abgeschlossenen – Verwaltungsverfahrens rechtliche Interessen verfolgen, sondern beabsichtigt mit der Akteneinsicht die Vorbereitung einer zivilrechtlichen Schadensersatzklage (GA 12).

Gegen einen Anspruch auf Akteneinsicht gemäß § 29 VwVfG spricht schließlich, dass das Verwaltungsverfahren mit der bindenden Annahme der Verpflichtungszusage seit Dezember 2013 abgeschlossen ist. Die Akteneinsicht nach § 29 VwVfG wird ihrem klarem Wortlaut nach jedoch nur innerhalb eines laufenden Verwaltungsverfahrens gewährt (vgl. Kallerhoff ebenda § 29 Rd. 18; OLG Frankfurt am Main NJW-RR 2004,1194).

bb.

§ 1 des Gesetzes über den Zugang zu Informationen des Bundes (im Folgenden: IFG) gewährt dem Antragsteller ebenfalls keinen Anspruch auf Akteneinsicht. Gemäß § 1 Abs. 1 IFG richtet sich der Anspruch allein gegen Behörden des Bundes, nicht aber – wie hier – gegen Landesbehörden. Das Land Hessen hat bislang kein entsprechendes Landesgesetz erlassen.

cc.

Auch aus § 72 GWB folgt für den Antragsteller kein Anspruch auf Akteneinsicht. § 72 GWB bezieht sich nur auf die Einsicht in die Gerichtsakten im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens. Diese sind nicht Gegenstand der hier streitigen Verfügung. An einer speziellen Regelung der Akteneinsicht im Verwaltungsverfahren vor der Kartellbehörde fehlt es im GWB, so dass insoweit nur auf die allgemeinen Vorschriften zurückgegriffen werden kann.

Wie oben dargestellt gewährt die allgemeine verwaltungsrechtliche Vorschrift des § 29 VwVfG dem Antragsteller vorliegend indes keinen Anspruch auf Akteneinsicht. Selbst wenn der Antragsteller hätte beigeladen werden müssen, hätte er als förmlicher Beteiligter aus den oben ausgeführten Gründen – insbesondere mangels Verfolgung eines rechtlichen Interesses innerhalb des Verwaltungsverfahrens - keinen Anspruch auf Akteneinsicht gehabt.

dd.

Schließlich kann sich der Antragsteller auch nicht auf § 406 e Abs. 1 StPO mit Erfolg berufen. Vorliegend wurde kein Kartellordnungswidrigkeitenverfahren gem. § 81 ff GWB, auf welches die Vorschriften der StPO gem. § 46 OWiG ergänzend Anwendung finden würden, durchgeführt, sondern allein ein Kartellverwaltungsverfahren.

b.

Der rechtliche Umfang der vom Antragsteller eingeleiteten Überprüfung der ablehnenden Verfügung vom 8.1.2014 erstreckt sich gem. § 71 Abs. 5 S. 1 GWB jedoch auch auf die Frage, ob der Antragsgegner von einem ihm eingeräumten Ermessen i.S.d. § 40 VwVfG fehlsamen Gebrauch gemacht hat. Gemäß § 40 VwVfG hat eine zur Ermessenshandlung ermächtigte Behörde ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Vorliegend ist von einem Ermessensfehlgebrauch in Form des Ermessensnichtgebrauchs auszugehen:

Außerhalb des Anwendungsbereichs von § 29 VwVfG sowie der weiteren oben unter a. genannten Vorschriften wird Akteneinsicht – u.a. für Dritte – beim Vorliegen eines berechtigten Interessen nach pflichtgemäßen Ermessen gem. § 40 VwVfG gewährt (vgl. Kallerhoff ebenda § 40 Rd. 18; BGH NZG 2014, 110ff; OLG Frankfurt am Main NJW-RR 2004, 1194; vgl. auch BVerwG NVwZ 2011, 235 zu § 1 IFG). Erwägungen zu dieser Ermessenentscheidung lassen sich jedoch weder der Verfügung vom 8.1.2014 noch der Beschwerdeerwiderung entnehmen. Dieser Ermessensfehlgebrauch in Form des Nichtgebrauchs führt zur Aufhebung der Verfügung. Da keine Umstände vorliegen, die für eine Reduzierung des eingeräumten Ermessensspielraums auf Null sprechen, ist dem Antragsgegner Gelegenheit zu geben, sein Ermessen gemäß § 40 VwVfG hinsichtlich des Akteneinsichtsantrags nunmehr auszuüben.

aa.

Der Vortrag des Antragstellers bot hinreichenden Grund, seitens des Antragsgegners das Vorliegen eines berechtigten Interesses an der Akteneinsicht zu prüfen.

Ein berechtigtes Interesse liegt vor, wenn der Antragsteller ein eigenes und gewichtiges Interesse an der Akteneinsicht darlegt. Beteiligtenstatus ist nicht erforderlich, ebenfalls nicht das Bestehen eines rechtlichen Interesses (Kallerhoff ebenda § 29 Rd. 18). Ausreichend ist das Bestehen der Möglichkeit, dass die Akteneinsicht die Rechtsposition des Antragstellers beeinflusst (OLG Frankfurt am Main ebenda 1194, 1195).

Für ein berechtigtes Interesse genügt jedes nach vernünftiger Erwägung durch die Sachlage gerechtfertigte Interesse, dass auch wirtschaftlicher Art sein kann. Insoweit kann auch das Interesse an der Akteneinsicht zur Vorbereitung einer zivilrechtlichen Schadensersatzklage geeignet sein, ein berechtigtes Interesse zu begründen (Kallerhoff ebenda § 29 Rd. 18; BVerfG Beschluss vom 4.12.2008, Az: 2 BvR 1043/08, zitiert nach BeckRS 2009, 18693 – zu § 826 BGB, Rd. 24ff). Dieses ist dabei jedenfalls anzunehmen, wenn ein gerichtliches Folgeverfahren durch die Kenntnisse des Akteninhaltes erst möglich gemacht wird (Kallerhoff ebenda § 29 Rd. 18). Aber auch wenn bereits substanziierter Vortrag für eine beabsichtigte Zivilklage ohne Akteneinsicht möglich ist, kann ein berechtigtes Interesse an der Akteneinsicht bestehen, wenn offen ist, ob der Antragsteller aus anderen Quellen als der begehrten Akte ohne weiteres alle erforderlichen Informationen erhalten kann, um den Anspruch durch den Instanzenzug geltend zu machen (BVerfG ebenda Rd. 24). Ausreichend für ein berechtigtes Interesse an der Akteneinsicht kann es insbesondere auch sein, sich über das Nichtvorliegen von Umständen vergewissern zu wollen, die einem scheinbar bereits schlüssigen Anspruch entgegenstehen könnten (BVerfG ebenda Rd. 24).

bb.

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist vorliegend von einer hinreichenden Darlegung eines berechtigten Interesses des Antragstellers an der Akteneinsicht auszugehen (1), so dass ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über seinen Antrag entstanden ist (2).

 (1)

Der Antragsteller möchte durch die begehrte Akteneinsicht Erkenntnisse erlangen, die es ihm ermöglichen, eine Schadensersatzklage gem. § 33 GWB gegen die Betroffene zu begründen (GA 12). Auch unter Berücksichtigung der dem Antragsteller durch die Verfügung vom 2.12.2013 bereits bekannt gewordenen Umstände besteht vorliegend die konkrete Möglichkeit, dass die begehrte Akteneinsicht sich auf seine Entscheidung, ob eine Klage, wenn ja, in welchem Umfang erhoben wird, auswirkt:

Der Antragsteller ist darlegungs- und beweispflichtig für die einer Klage nach § 33 GWB zugrunde liegende Behauptung des Kartellverstoßes. Er kann sich dabei nicht auf die Bindungswirkung von Feststellungen der Kartellbehörde gem. § 33 Abs. 4 GWB berufen. Die Verfügung gem. § 32 b GWB vom 2.12.2013 entfaltet keine Bindungswirkung im Zivilprozess gem. § 33 Abs. 4 GWB (Bechtold, GWB, 6. Auflage, § 33 Rn. 39). Zudem ist die Frage, ob vorliegend tatsächlich missbräuchlich überhöhte Wasserpreise verlangt wurden und damit ein Kartellverstoß feststeht, im Rahmen der Verfügung ausdrücklich offen gelassen worden (GA 45). Selbst wenn die Verfügung für die Tatbestandsmerkmale der marktbeherrschenden Stellung der Betroffenen und der damit zusammenhängenden Marktabgrenzung im Indikativ stehende Feststellungen enthält, die in eine Klage übernommen werden könnten, steht konkret im Raum, dass die begehrte Akteneinsicht weitere Erkenntnisse über die herangezogenen Vergleichsunternehmen und die Frage, ob die Betroffene sich auf ihr nicht zurechenbare Umstände i.S.d. § 31 Abs. 4 Nr. 2 GWB berufen kann, vermittelt.

 (2)

Ausgehend von einem berechtigten Interesse an der Akteneinsicht, besteht ein subjektives Recht des Antragstellers auf fehlerfreie Ausübung des Ermessens über die beantragte Akteneinsicht (Kallerhoff ebenda § 29 Rd. 18). Der Antragsgegner hat u.a. zu werten, ob das berechtigte Interesse des Antragstellers bei Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an der Vertraulichkeit der Akten und eventuell betroffenen Drittinteressen überwiegt. An einer derartigen Ermessensausübung gemäß den Maßstäben des § 40 VwVfG fehlt es vorliegend.

Der Antragsgegner hat die Möglichkeit eines aus § 40 VwVfG folgenden Anspruchs auf Akteneinsicht zu keinem Zeitpunkt geprüft. Die Begründung des Antragsgegners im Rahmen der Verfügung vom 8.1.2014 beschäftigt sich allein mit einem Anspruch auf Akteneinsicht gem. §§ 13, 29 VwVfG - auch im Falle einer unterstellten Beiladung (GA 30, dort Rn. 20) - sowie § 406 Abs. 1 e StPO und den Grundzügen der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Akteneinsicht in Kartellakten. Weder die Verfügung noch die Beschwerdeerwiderung befassen sich dagegen mit der Frage, ob ein berechtigtes Interesse an der Akteneinsicht seitens des Antragstellers als Dritter bestehen und ein Anspruch auf ermessensfreie Entscheidung gemäß § 40 VwVfG unabhängig von den Voraussetzungen des § 29 VwVfG entstanden sein könnte.

Es liegt mithin ein Ermessensfehlgebrauch in Form des Ermessensnichtgebrauchs vor. Da vorliegend nicht feststellbar ist, dass von einer Reduzierung des eingeräumten Ermessensspielraums auf Null auszugehen ist, ist dem Antragsgegner Gelegenheit zu geben, sein Ermessen nunmehr auszuüben. Der Senat ist nicht berechtigt, seine eigenen Erwägungen an die Stelle des Antragsgegners zu setzen.

Anhaltspunkte für eine Ermessensreduzierung auf Null liegen nicht vor. Es ist nicht nur eine ermessensfehlerfreie Entscheidung denkbar. Insbesondere lassen sich die vom Antragsgegner im Zusammenhang mit § 29 VwVfG angeführten Erwägungen bei einer Entscheidung über eine im pflichtgemäßen Ermessen gem. § 40 VwVfG zu gewährende Akteneinsicht nicht lediglich in einem Sinne werten:

Der Hinweis des Antragsgegners, die begehrte Akteneinsicht könne nicht für die Herbeiführung einer Bindungswirkung gemäß § 33 Abs. 4 GWB herangezogen werden (Rd. 13 der Verfügung), so dass keine Veranlassung für eine Akteneinsicht bestehe, kann auch für die Gewährung von Akteneinsicht angeführt werden: Gerade da der Verfügung nach § 32 b GWB keine Bindungswirkung nach § 33 Abs. 4 GWB zukommt, erlangt das Interesse des Antragstellers an der Kenntnis des Akteninhalts zur Erhebung einer substanziierten Klage besondere Bedeutung.

Der vom Antragsgegner im Rahmen der Beschwerdeerwiderung genannte Gesichtspunkt, dass das Verfahren zum Zeitpunkt des Antrags auf Akteneinsicht bereits so weit ermittelt gewesen sei, dass das Verfahren kurz vor seinem Abschluss gestanden habe (GA 76), so dass auch deshalb kein Anlass für eine Beiladung und damit verbundene Akteneinsicht bestanden habe, verfängt ebenfalls nicht (einseitig). Gerade wenn das Verfahren kurz vor dem Abschluss gestanden haben sollte, müssten sich in der Akte bereits belastbare Feststellungen zu den einzelnen Merkmalen des Preishöhenmissbrauchs finden. Dies könnte wiederum gerade für ein gewichtiges Interesse des Antragstellers an der begehrten Einsicht sprechen.

Auch der weitere Hinweis des Antragsgegners, dass im Rahmen des Zivilverfahrens gemäß § 273 ZPO die Kartellakten beigezogen werden könnten, lässt die Erforderlichkeit der begehrten Einsicht nicht zwingend entfallen. Die derzeit beantragte Akteneinsicht soll der Vorbereitung der Klage und Abschätzung ihrer Erfolgsaussichten dienen. Eine Beiziehung der Kartellakten nach § 273 ZPO kommt dagegen erst nach Klageerhebung in Betracht. Sie setzt voraus, dass hinreichend substanziiert ein Kartellverstoß dargelegt wurde; die Aktenbeiziehung nach § 273 ZPO stellt allein ein mögliches Beweismittel dar.

Die vom Antragsgegner im Rahmen der Beschwerdeerwiderung erwähnte Überlegung, dass im Rahmen einer Interessenabwägung auch ihr Interesse an einer effektiven Durchführung eventuell beabsichtigter weiterer Kartellverwaltungsverfahren gegen Wasserversorger zu beachten ist und insoweit möglicherweise die Bekanntgabe des Akteninhaltes an private Verbraucher derartige Verfahren gefährden könnte, wird in die Ermessensentscheidung nach § 40 VwVfG einbezogen werden können. Derzeit ist allerdings nicht ersichtlich, dass dieser Gesichtspunkt zwingend einer Akteneinsicht entgegensteht, zumal die Einleitung eines Verfahrens Sache der Behörde ist. In welcher konkreten Form eine Gefahr weiterer Kartellverwaltungsverfahren durch die Gewährung von Akteneinsicht begründet werden könnte, erschließt sich nicht ohne weiteres. Offen ist auch, ob diesem Gesichtspunkt ggf. durch die Gewährung einer beschränkten Akteneinsicht Genüge getan werden könnte.

Schließlich wird die Ermessensentscheidung auch den vom Antragsgegner in der Beschwerdeerwiderung eingeführten Aspekt berücksichtigen können, wonach im Rahmen der Abwägung der widerstreitenden Interessen die Gewichtigkeit des Interesses des Antragstellers Bedeutung erlangt. Der Umstand, dass der Antragsteller die Akteneinsicht für die Verfolgung eines mit 700 – 1.400 EUR bezifferten Schadensersatzanspruchs begehrt, führt allerdings allein nicht dazu, sein Interesse im Sinne einer Ermessensreduzierung auf Null als nicht hinreichend gewichtig einzustufen. Der Antragsgegner wird vielmehr den mit der Gewährung von Akteneinsicht verbundenen Aufwand – ggf. auch potentieller Dritter, die dem Antragsteller folgen - abzuwägen haben mit dem Umstand, dass im Fall eines Kartellverstoßes geschädigten Dritten zivilrechtliche Schadensersatzansprüche zustehen, deren effektive Durchsetzung von der Rechtsordnung zu gewährleisten ist. Im Rahmen dieser Abwägung dürften auch die Gründe mit zu berücksichtigen sein, die den Antragsgegner bewogen haben, im Rahmen des Verfahrens nach § 32 b GWB von einer Verpflichtung zur Rückerstattung i.S.d. §§ 32 Abs. 2 a, 32 b Abs. 1 GWB abzusehen.

Derzeit ist auch nicht ersichtlich, dass zwingend der Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen zur Verweigerung der begehrten Akteneinsicht führt. Akteneinsicht kann zwar verweigert werden, wenn und soweit Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse entgegenstehen. Den Erwägungen des Antragsgegners kann indes derzeit nicht entnommen werden, dass dies vorliegend der Fall ist.

Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sind Tatsachen, die im Zusammenhang mit dem Unternehmen stehen, nicht offenkundig sind, nach dem bekundeten Willen des Inhabers geheim gehalten werden sollen, für die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens von Bedeutung sind und an deren Geheimhaltung der Unternehmer ein berechtigtes Interesse hat (so zu § 111 GWB Glahs: Akteneinsichts- und Informationsfreiheitsansprüche im Vergabe- und Nachprüfungsverfahren, NZBau 2014, 75, 79). Dazu zählen insbesondere kaufmännisches Wissen, Umsätze, Ertragslagen, Geschäftsbücher, Kundenlisten, Bezugsquellen, Konditionen, Marktstrategien, Kalkulationsgrundlagen und Ähnliches. Der Antragsgegner geht hierauf weder im Rahmen der streitgegenständlichen Verfügung noch im Rahmen der Beschwerdeerwiderung ein. Ob, wenn ja, in welchem Umfang derartige Unterlagen in der Kartellakte enthalten sind, wird vom Antragsgegner nicht näher erläutert. Keine Angaben finden sich auch dazu, inwieweit hier überhaupt schutzwürdige Betriebsgeheimnisse betroffen sein können, da die Betroffene zum einen als Monopolistin keinem Wettbewerb ausgesetzt ist und zum anderen Tatsachen über Kartellverstöße – im Hinblick auf die fehlende Gesetzestreue – nur in geringerem Umfang schutzbedürftig erscheinen. Auch der Gesichtspunkt, dass das Kartellverwaltungsverfahren zwischenzeitlich beendet wurde und damit die dem Verfahren zu Grunde liegenden Daten nur noch von untergeordneter Bedeutung sein dürften, wäre im Rahmen der Ermessensentscheidung mit zu beachten. Schließlich wird im Rahmen der nachzuholenden Ermessensentscheidung auch die Möglichkeit einer beschränkten Akteneinsicht unter Ausklammerung geheimhaltungsbedürftiger Unterlagen zu prüfen sein.

c.

Steht dem Antragsteller gemäß den unter b. aufgeführten Erwägungen ein Anspruch auf ermessenfehlerfreie Entscheidung über sein Akteneinsichtsgesuch gemäß § 40 VwVfG zu, steht dies in Einklang mit den Vorgaben des EuGH. Auf die Frage, ob vorliegend überhaupt ein grenzüberschreitender Sachverhalt i.S.d. Art. 102 AEUV zu beurteilen ist, kommt es mithin nicht. Die Rechtslage in Deutschland erfüllt jedenfalls die vom Gerichtshofs der Europäischen Union gestellten Anforderungen:

Auch der EuGH geht nicht davon aus, dass ein durch ein wettbewerbswidriges Verhalten potentiell geschädigter Abnehmer einen unbedingten Anspruch auf Akteneinsicht hat. Die Grundsätze, nach denen über eine Akteneinsicht zu entscheiden ist, werden vielmehr ausdrücklich dem nationalen Gesetzgeber vorbehalten. Auch nach Unionsgrundsätzen verbleibt es damit zulässig, über die Akteneinsicht im Rahmen einer im Einzelfall zu treffenden abwägenden Entscheidung zwischen den Interessen des Einsichtssuchenden einerseits und des Kartellanten andererseits zu entscheiden. Die Entscheidung Donau Chemie (GRUR Int 2013, 696 - Bundes Wettbewerbsbehörde/Donau Chemie und andere) verdeutlicht insoweit allein, dass es dem Gesetzgeber der innerstaatlichen Rechtsordnung obliegt, die jeweiligen Modalitäten für eine Akteneinsicht im Eilverfahren zu regeln. Unzulässig ist lediglich eine Regelung, wonach in jedem Fall die Akteneinsicht an die Zustimmung der am Verfahren Beteiligten gebunden ist. Eine vergleichbare Situation liegt - wie oben geschildert - hier jedoch nicht vor.

Aus der weiteren Entscheidung Pfleiderer (EuGH EuZW 2011, 598 Pfleiderer-AG/BKartA) folgt ebenfalls allein, dass es Sache des nationalen Gesetzgebers ist, unter Abwägung der unionrechtlich geschützten Interessen zu bestimmen, unter welchen Voraussetzungen Zugang zu Akten eines Kartellverfahrens gewährt wird. Unter diesen Voraussetzungen scheidet jedenfalls nicht grundsätzlich ein Anspruch auf Einsicht in Unterlagen eines Kronzeugen aus (ebenda Rn. 30). Maßgeblich ist mithin auch bei Anwendung europarechtlicher Grundsätze eine Ermessensentscheidung, deren Fehlerfreiheit hier zur Überprüfung ansteht.

III.

Eine Kostenentscheidung ist derzeit nicht veranlasst.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird unter Berücksichtigung des zugrunde liegenden Interesses an einer Erleichterung des beabsichtigten Schadensersatzprozesses über EUR 700-1.400 EUR durch die begehrte Akteneinsicht auf EUR 500,00 festgesetzt.

Im Hinblick auf die grundsätzliche Bedeutung der Entscheidung und in Ermangelung höchstrichterlicher Rechtsprechung zur Frage der Akteneinsicht Dritter in Kartellakten wird die Rechtsbeschwerde gem. § 74 Abs. 2 GWB zugelassen.

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