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Wirtschaftsrecht
27.05.2021
Wirtschaftsrecht
BGH: Angabe einer vom Hauptsitz abweichenden Betriebsstätte im Impressum einer Website – Zuständigkeit deutscher Gerichte

BGH, Urteil vom 16.03.2021 – X ZR 9/20

ECLI:DE:BGH:2021:160321UXZR9.20.0

Volltext: BB-Online BBL2021-1297-1

Leitsatz

Die Angabe einer vom Hauptsitz abweichenden Betriebsstätte im Impressum einer Website darf ein Kunde, der über diese Website ein Vertragsangebot abgibt, in der Regel dahin verstehen, dass die angegebene Stelle im Namen des Stammhauses die Leistungen anbietet, Vertragsangebote entgegennimmt und gegebenenfalls deren Annahme erklärt.

ECLI:DE:BGH:2021:160321UXZR9.20.0

Sachverhalt

Der Kläger begehrt von der Beklagten Schadensersatz wegen der Stornierung eines Vertrags über eine Luftbeförderung.

Der Kläger buchte am 19. Dezember 2017 über die Website "a    .de" bei der Beklagten für den 21. August 2018 ein Flugticket von San Francisco nach Paris in der First Class und einen Anschlussflug von Paris nach London in der Business Class für insgesamt 582,97 Euro.

Im Impressum der genannten Website heißt es unter der Überschrift "A.     in Deutschland":

A.          für Deutschland,

Unter der Überschrift "Firmen Hauptsitz" ist angegeben:

A.    , Aktiengesellschaft nach französischem Recht mit einem Grundkapital von … Euro,

Nach Überweisung des Flugpreises erhielt der Kläger ein elektronisches Ticket. Darin ist in den Spalten für Ausstellungsdatum und Ausstellungsort angegeben:

19 Dec 2017 DIR - WEB Allemagne, F.        . IATA: 23494774

Am 20. Dezember 2017 teilte die Beklagte mit, das Ticket sei wegen eines Systemfehlers storniert worden und der gezahlte Betrag werde erstattet.

Der Kläger hält den Vertrag weiterhin für wirksam und verlangt Schadensersatz wegen Nichterfüllung, den er anhand des am 31. Januar 2018 geltenden regulären Preises von 10.578,86 Euro berechnet. In erster Instanz hat er auf Zahlung dieses Betrags geklagt, in zweiter Instanz auf Zahlung der Differenz zu dem von ihm gezahlten Betrag.

Die Beklagte hat die fehlende internationale Zuständigkeit gerügt und in der Sache geltend gemacht, sie habe den Vertrag wegen eines Erklärungsirrtums, zumindest aber wegen eines offenen Kalkulationsirrtums wirksam angefochten.

Das Landgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

Aus den Gründen

10        Die zulässige Revision hat Erfolg und führt zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

11        I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

12        Die internationale Zuständigkeit des Landgerichts ergebe sich nicht aus Art. 7 Nr. 5 Brüssel-Ia-VO. Unter der im Impressum der Website angegebenen Adresse in F.        befinde sich zwar die Angabe eines Geschäftsführers der Beklagten für deren Marketingabteilung für Deutschland. Jedoch betreffe der Rechtsstreit nicht eine Streitigkeit aus dem Betrieb dieser Niederlassung. Unstreitig seien die in F.        unter der angegebenen Adresse tätigen Mitarbeiter nur mit Marketing und nicht mit der Buchung von Flügen beschäftigt. Die im Impressum angegebene Adresse weise deshalb nicht den Diensteanbieter im Sinne des Telemediengesetzes aus. Die Mitarbeiter in F.    hätten weder einen Zugriff auf diese Website noch auf die Buchungsvorgänge für den Verkauf von Flugtickets. Insoweit bestehe auch kein Rechtsschein für einen Gerichtsstand der Zweigniederlassung. Im Impressum werde zudem auch der Hauptsitz aufgeführt. Die Nennung der deutschen Adresse solle nur aufzeigen, dass es auch eine Präsenz in Deutschland gebe. Vor allem spreche die im Impressum angegebene E-Mail-Adresse mit dem Domainnamen "a    .fr" für einen von Frankreich ausgehenden Betrieb der Internetadresse.

13        Eine internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ergebe sich weiterhin nicht aus Art. 17 Abs. 1 Buchst. c und Abs. 3 Brüssel-Ia-VO. Diese Vorschrift sei auf Beförderungsverträge nicht anwendbar. Art. 33 des Montrealer Übereinkommens sei ebenfalls nicht einschlägig.

14        II. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand.

15        1. Zu Recht und insoweit nicht angegriffen hat das Berufungsgericht eine internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte aufgrund von Art. 33 des Montrealer Übereinkommens im Streitfall verneint.

16        2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts sind die deutschen Gerichte für den Rechtsstreit nach Art. 7 Nr. 5 Brüssel-Ia-VO zuständig.

17        a) Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung unterhält die Beklagte in F.        eine Zweigniederlassung im Sinne von Art. 7 Nr. 5 Brüssel-Ia-VO.

18        Eine Zweigniederlassung in diesem Sinne setzt nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs einen Mittelpunkt geschäftlicher Tätigkeit voraus, der auf Dauer als Außenstelle des Stammhauses hervortritt, eine Geschäftsführung hat und sachlich so ausgestattet ist, dass sich Dritte zum Betreiben von Geschäften nicht unmittelbar an das Stammhaus zu wenden brauchen (vgl. nur EuGH, Urteil vom 11. April 2019 - C-464/18, NJW-RR 2019, 684 = RRa 2019, 164 Rn. 33 - Ryanair; Urteil vom 25. Februar 2021 - C-804/19 Rn. 47 - Markt24).

19        Aus dem insoweit unstreitigen Vorbringen der Parteien ergibt sich, dass diese Voraussetzung im Streitfall erfüllt ist.

20        aa) Die Beklagte stellt nicht in Abrede, dass in der betreffenden Betriebsstätte unter anderem Mitarbeiter tätig sind, die spezielle Angebote für in Deutschland ansässige Reisebüros und Firmenkunden erstellen. Damit liegt eine Tätigkeit vor, die es den angesprochenen Kunden ermöglicht, Geschäfte mit der Beklagten zu betreiben, ohne sich unmittelbar an das Stammhaus zu wenden.

21        bb) Nach dem Vorbringen der Beklagten befindet sich in der Betriebsstätte ferner der Sitz des Geschäftsführers für Deutschland. Damit ist eine Geschäftsführung vorhanden.

22        cc) Entgegen der Ansicht der Beklagten kann auf dieser Grundlage nicht davon ausgegangen werden, dass es sich nur um eine unselbständige Betriebstätte handelt, die in jeder Hinsicht vom Hauptsitz abhängig ist.

23        Dabei kann dahingestellt bleiben, inwieweit die Mitarbeiter der Betriebsstätte für den Abschluss von Geschäften intern der Zustimmung durch Bedienstete des Hauptsitzes bedürfen. Ausschlaggebend sind nicht die geschäftsinternen Abläufe, sondern die Art und Weise, in der die Niederlassung gegenüber Dritten im Geschäftsverkehr auftritt (EuGH, Urteil vom 9. Dezember 1987 - Rs. 218/86, NJW 1988, 625 Rn. 14 f. - Schotte).

24        b) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts weist der Rechtsstreit den nach Art. 7 Nr. 5 Brüssel-Ia-VO erforderlichen Bezug zum Betrieb der Zweigniederlassung auf.

25        Der Gerichtshof hat hierzu ausgeführt, dass ein solcher Bezug vorliegt, wenn der Rechtsstreit Handlungen betrifft, die sich auf den Betrieb der Zweigniederlassung beziehen, oder eine Verpflichtung, die die Zweigniederlassung im Namen des Stammhauses eingegangen und die in dem Vertragsstaat zu erfüllen ist, in dem sich die Zweigniederlassung befindet (vgl. EuGH, Urteil vom 22. November 1978 - Rs. 33/78, RIW 1979, 56 Rn. 13 - Somafer; ebenso: Urteil vom 19. Juli 2012 - C-154/11, RIW 2012, 630 Rn. 48 - Mahamdia; Urteil vom 5. Juli 2018 - C-27/17, NZKart 2018, 357 Rn. 59 - Lithuanian Airlines; Urteil vom 11. April 2019 - C-464/18, NJW-RR 2019, 684 = RRa 2019, 164 Rn. 33 - Ryanair; Urteil vom 25. Februar 2021 - C-804/19 Rn. 48 - Markt24). Hinsichtlich der zweiten Alternative hat der Gerichtshof klargestellt, dass ein Erfüllungsort im Vertragsstaat der Zweigniederlassung nicht erforderlich ist (EuGH, Urteil vom 6. April 1995 - C-439/93, EuZW 1995, 408 Rn. 22 - Lloyds).

26        Im Streitfall ist ein Bezug des Rechtsstreits zur Zweigniederlassung durch das Eingehen einer Verpflichtung im Namen des Stammhauses gegeben.

27        aa) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu der mit Art. 7 Abs. 5 Brüssel-Ia-VO wortgleichen Regelung in Art. 5 Nr. 5 EuGVÜ muss sich eine rechtlich selbständige Gesellschaft, die Geschäfte so abschließt, dass sie als Außenstelle einer anderen Gesellschaft auftritt, an dem so erweckten Anschein festhalten lassen, selbst wenn beide Gesellschaften gesellschaftsrechtlich voneinander unabhängig sind (EuGH, Urteil vom 9. Dezember 1987 - Rs. 218/86, NJW 1988, 625 Rn. 14 f. - Schotte; Urteil vom 18. Mai 2017 - C-617/15, GRUR 2017, 728 Rn. 38 - Nike).

28        bb) Im Streitfall ist die Zweigniederlassung der Beklagten gegenüber Kunden, die Buchungen über die Website "a    .de" vorgenommen haben, als diejenige Stelle aufgetreten, die die Buchungen anbietet, das in der Vornahme einer Buchung liegende Vertragsangebot entgegennimmt und gegebenenfalls dessen Annahme erklärt. Dies ergibt sich aus dem Umstand, dass die Zweigniederlassung im Impressum der Website als "A.     in Deutschland" bezeichnet wird.

29        (1) Angaben im Impressum einer Website dienen der Erfüllung der Informationspflichten aus § 5 TMG.

30        § 5 Abs. 1 TMG, der der Umsetzung von Art. 5 Abs. 1 Buchst. a und b der Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über den elektronischen Geschäftsverkehr dient, schreibt unter anderem vor, dass die Anbieter von Telemediendiensten für geschäftsmäßige, in der Regel gegen Entgelt angebotene Telemedien bestimmte Informationen leicht erkennbar, unmittelbar erreichbar und ständig verfügbar halten. Zu diesen Angaben gehören nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 TMG insbesondere der Name des Diensteanbieters und die Anschrift, unter der er niedergelassen ist.

31        Eine entsprechende Informationspflicht war schon in § 6 TDG vorgesehen. Der Gesetzgeber hat diese Regelung unverändert übernommen (BT-Dr. 16/3078 S. 14 re. Sp.). Sie dient dem Zweck, für den Nutzer ein Mindestmaß an Transparenz und Information über die Person oder Personengruppe sicherzustellen, die ihm einen Teledienst anbietet; auf diese Weise soll insbesondere im Konfliktfall auch ein Anknüpfungspunkt für eine Rechtsverfolgung bestehen (BT-Dr. 13/7385 S. 21 li. Sp.).

32        (2) Angesichts dieser Zwecksetzung ist die im Impressum angegebene Stelle im Geschäftsverkehr grundsätzlich als diejenige Stelle anzusehen, die die beworbene Dienstleistung anbietet und die maßgeblichen Vertragserklärungen abgibt oder entgegennimmt.

33        Die Angaben zum Anbieter können ihren Zweck nur dann erfüllen, wenn der angesprochene Nutzer sich darauf verlassen kann, dass ihm die angegebene Stelle als Anbieter und Vertragspartner gegenübertritt.

34        (3) Im Streitfall ist die Zweigniederlassung der Beklagten als Anbieter in diesem Sinne aufgetreten.

35        Die Verwendung der Toplevel-Domain ".de" und der deutschen Sprache deutet aus Sicht des Kunden darauf hin, dass sich das Angebot auf der genannten Website an Interessenten in Deutschland richtet. Wenn vor diesem Hintergrund eine vorhandene Betriebsstätte als "A.     in Deutschland" bezeichnet wird, darf ein Kunde dies dahin verstehen, dass diese Betriebsstätte die Stelle ist, die die Buchungen anbietet.

36        (4) Der Umstand, dass im Impressum auch der Hauptsitz angegeben ist, führt vor diesem Hintergrund nicht zu einer abweichenden Beurteilung.

37        Diese Angabe war schon deshalb folgerichtig, weil der Diensteanbieter nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 TMG auch Angaben über Rechtsform und Stammkapital machen muss und die Niederlassung weder über eigene Rechtspersönlichkeit noch über eigenes Stammkapital verfügt. In ihrer Gesamtheit sind die Angaben aus Kundensicht folglich dahin zu verstehen, dass die als "A.     in Deutschland" bezeichnete Betriebsstätte den deutschen Kunden im Namen des Stammhauses gegenübertritt.

38        (5) In dieselbe Richtung deutete im Streitfall aus Kundensicht der Umstand, dass im elektronischen Ticket als Ausstellungsort ebenfalls F.    angegeben ist.

39        Die Buchungsmöglichkeiten auf der Website stellen aus vertragsrechtlicher Sicht lediglich Aufforderungen zur Abgabe eines Angebots dar. Deshalb kann der Annahme eines solchen Angebots Bedeutung für die Frage zukommen, wer als Vertragspartner des Kunden auftritt.

40        Im Streitfall bestätigen die Angaben im elektronischen Ticket den bereits durch das Impressum erweckten Eindruck, weil der Ausstellungsort mit dem im Impressum angegebenen Sitz der Niederlassung übereinstimmt und weil die darin angegebene IATA-Nummer nach dem unbestrittenen Vorbringen des Klägers ebenfalls dieser Betriebsstätte zugeordnet ist.

41        (6) Dass die Mitarbeiter der Zweigniederlassung weder an der inhaltlichen Gestaltung und dem Betrieb der Website noch an der Bestätigung und Abwicklung der darüber getätigten Buchungen beteiligt waren, ist entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung unerheblich.

42        Wie bereits oben dargelegt wurde, kommt einzelnen Details der betriebsinternen Abläufe keine ausschlaggebende Bedeutung zu, sofern eine - tatsächlich vorhandene - Betriebsstätte gegenüber Interessenten und Kunden als diejenige Stelle auftritt, die im Namen des Stammhauses Angebote unterbreitet und Annahmeerklärungen abgibt oder Erklärungen des Kunden entgegennimmt. Diese Voraussetzung ist im Streitfall aus den oben aufgezeigten Gründen erfüllt.

43        (7) Ebenfalls nicht zu einer abweichenden Beurteilung führt der Umstand, dass die angegebenen E-Mail-Adressen abweichend von der Website die Toplevel-Domain ".fr" aufweisen.

44        Dieser Umstand gab aus Kundensicht keinen hinreichend deutlichen Hinweis darauf, dass die für den Vertragsschluss maßgeblichen Personen in Frankreich ansässig sind. Er ist ohne weiteres damit zu erklären, dass alle Mitarbeiter der Beklagten über eine nach gleichem Muster zusammengesetzte E-Mail-Adresse verfügen.

45        cc) An dem durch diese Erklärungen begründeten Anschein, dass die Buchungen durch die - tatsächlich vorhandene - Zweigniederlassung in F.        angeboten und bestätigt werden, muss sich die Beklagte nach der aufgezeigten Rechtsprechung des Gerichtshofs festhalten lassen.

46        Nach dieser Rechtsprechung besteht eine Bindungswirkung selbst dann, wenn nicht eine Zweigniederlassung, sondern eine rechtlich selbständige Gesellschaft tätig geworden ist. Eine entsprechende Bindungswirkung muss erst recht bestehen, wenn eine tatsächlich vorhandene Zweigniederlassung auf den Vertragsschluss bezogene Erklärungen gegenüber den Kunden abgibt.

47        3. Ob sich eine Zuständigkeit im Streitfall zudem aus Art. 17 Abs. 1 Buchst. c und Abs. 3 Brüssel-Ia-VO ergibt, kann angesichts all dessen offenbleiben.

48        III. Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union ist nicht veranlasst.

49        Die für die Entscheidung erheblichen Fragen zur Auslegung von Art. 7 Abs. 5 Brüssel-Ia-VO sind durch die oben aufgezeigte Rechtsprechung des Gerichtshofs bereits geklärt. Die Anwendung der vom Gerichtshof entwickelten Grundsätze obliegt den Gerichten der Mitgliedstaaten.

50        IV. Da beide Vorinstanzen bislang nur über die Zulässigkeit der Klage entschieden haben, erscheint es sachdienlich, die Sache gemäß § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO an das Landgericht zurückzuverweisen.

51        Diese grundsätzlich dem Berufungsgericht obliegende Entscheidung darf in der gegebenen Verfahrenssituation auch der Senat als Revisionsgericht treffen. Den für eine Zurückverweisung erforderlichen Antrag hat der Kläger in der Berufungsinstanz gestellt und in der Revisionsinstanz durch Bezugnahme wiederholt.

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