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Wirtschaftsrecht
29.08.2022
Wirtschaftsrecht
OLG Düsseldorf: Anforderungen an die Fortführungsprognose im Rahmen der Überschuldungsprüfung bei Start-up-Unternehmen

OLG Düsseldorf, Urteil vom 9.2.2022 – 12 U 54/21

ECLI:DE:OLGD:2022:0209.12U54.21.00

Volltext: BB-Online BBL2022-1939-1

Leitsätze

1. Bei einem Start-Up Unternehmen müssen im Rahmen der Überschuldungsprüfung die Anforderungen an die Fortführungsprognose im Lichte der Besonderheiten derartiger Unternehmen betrachtet werden. Ausreichend – aber auch erforderlich – ist, dass das Unternehmen mit überwiegender, d.h. mehr als 50%iger Wahrscheinlichkeit in der Lage ist, seine im Prognosezeitraum fälligen Zahlungsverpflichtungen aufgrund der Bereitstellung oder Zusage externer Finanzierungsmittel zu decken.

2. Eine erfolgversprechende Marktentwicklung stellt einen Umstand dar, aus dem sich eine positive Fortführungsprognose ergeben kann. Das setzt eine nachvollziehbare, realistische (Finanz‑)Planung mit einem operativen Konzept voraus, das die geplante Geschäftsausrichtung erfolgversprechend erscheinen lässt. Die Zusage eines finanzkräftigen Investors, der das Unternehmen bereits in der Vergangenheit mit Darlehen finanziell unterstützt hat, vermag eine positive Fortführungsprognose jedenfalls nur dann zu begründen, wenn dieser die Bereitstellung weiterer Mittel von der Vorlage einer aktuellen, nachvollziehbaren und realistischen Planung abhängig gemacht hat und aufgrund dessen bis zu einer erfolgversprechenden Marktentwicklung die Finanzierung durch weitere Darlehen des Investors gesichert erscheint (Ergänzung zum Senatsbeschluss vom 20.07.2021 – I-12 W 7/21).

3. Fehlt es hieran und hängt die Bereitstellung weiterer finanzieller Mittel in jedem Einzelfall allein vom Willen des Geldgebers ab, kann sich der Geschäftsführer nicht darauf verlassen, dass die Finanzierung bis zur erfolgreichen Etablierung des Unternehmens am Markt gesichert ist.

§ 64 S. 1 GmbHG a. F., § 19 Abs. 2 S. 1 InsO a. F.

Sachverhalt

I. Der Beklagte begehrt Prozesskostenhilfe für die Durchführung der Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Kleve vom 05.11.2021 – 3 O 277/19 –, mit dem er kostenpflichtig verurteilt worden ist, an den Kläger 58.583,89 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.01.2020 zu zahlen.

In dem erstinstanzlichen Verfahren machte der Kläger als Insolvenzverwalter der X. UG (im Folgenden „Insolvenzschuldnerin“) Ansprüche gegen den Beklagten als deren ehemaligen Geschäftsführer geltend.

Die mit notarieller Vereinbarung vom 07.11.2013 errichtete Insolvenzschuldnerin war mit dem Vertrieb und der Entwicklung des Getränkes „X.“ betraut. Unter Ziffer 4 dieser Gesellschaftervereinbarung heißt es wie folgt:

„Die Gesellschaft wird sich mit der Weiterentwicklung, der Herstellung und dem Vertrieb des Getränkes „X.“ beschäftigen. Bei X. handelt es sich um ein fruchtiges Energy-Getränk, welches in geschmacklicher Hinsicht vornehmlich aus der brasilianischen Frucht Acai hergestellt wird. Aufgrund der Zusammensetzung der Inhaltsstoffe von X. gehen die Gesellschafter davon aus, dass X. eine erheblich alkoholabbauende Wirkung besitzt.“

Bevor X. in die endgültige Produktion ging, sollte die – erhoffte – alkoholabbauende Wirkung durch einen namentlich benannten Arzt mittels entsprechender medizinischer Untersuchungen und Studien untersucht werden. Dieser sollte im Gegenzug, sofern ihm dafür nicht 15.000,00 € von den Gesellschaftern zu gleichen Teilen gezahlt werden, berechtigt sein, einen im Rahmen einer Kapitalerhöhung neu zu schaffenden Geschäftsanteil zu zeichnen, so dass er nach Durchführung der Kapitalerhöhung 5 % an der Gesellschaft hält. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den als Anlage B 2 in Kopie zur Gerichtsakte gereichten notariellen Vertrag Bezug genommen.

Gesellschafter der Insolvenzschuldnerin waren der Zeuge D., die E. GmbH (…, im Folgenden „E.“) sowie der Beklagte, welcher für den gesamten Zeitraum der Tätigkeiten der Insolvenzschuldnerin auch die Funktion ihres Geschäftsführers innehatte. Während der Laufzeit gewährte die E. – ihrerseits unter der Geschäftsführung des Zeugen K. – der Insolvenzschuldnerin mehrere Darlehen, deren Auszahlung streitig ist. Ferner leistete die E. verschiedentlich Zahlungen an die Insolvenzschuldnerin gegen eine Erhöhung ihres Anteils an dieser Gesellschaft.

Mit Jahresabschluss vom 31.12.2014 wurde ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag von 31.213,22 € festgestellt. Die Gewinn- und Verlustrechnung für das Jahr 2014 ergab einen Verlust von 69.485,47 €. Am 03.04.2017 stellte der Beklagte für die Insolvenzschuldnerin Insolvenzantrag, aufgrund dessen das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger als Insolvenzverwalter bestellt wurde.

Der Kläger hat behauptet, der Beklagte habe im Zeitraum vom 01.01.2015 bis zum 03.04.2017 masseschmälernde Zahlungen auf dem Konto der Insolvenzschuldnerin bei der … Bank in Höhe von insgesamt 58.583,89 € veranlasst. Konkret handelt es sich um diverse Zahlungen vom kreditorisch geführten Konto in Höhe von 53.032,76 € sowie eine Einzahlung der E. vom 14.10.2015 auf das seinerzeit in Höhe von 5.551,13 € debitorisch geführte Konto. Wegen der Einzelheiten der behaupteten Zahlungsvorgänge wird auf die Auflistung in der Klageschrift, dort Seite 7-12, Bezug genommen. Der Kläger hat beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an ihn 58.583,89 € nebst Rechtshängigkeitszinsen zu zahlen sowie diesem vorzubehalten, nach Erstattung des Verurteilungsbetrages an die Masse seine Gegenansprüche, die sich nach Rang und Höhe mit den Beträgen decken, welche die durch die verbotswidrige Zahlungen begünstigten Gesellschaftsgläubiger im Insolvenzverfahren erhalten hätten, gegen ihn, den Kläger, als Insolvenzverwalter zu verfolgen.

Der die Klageabweisung beantragende Beklagte ist der Ansicht gewesen, eine Überschuldung läge nicht vor. Die E. habe vorbehaltslos und verbindlich zugesagt, Kapitalbedarf der Insolvenzschuldnerin zu decken, sollte dieser bestehen. Die von der E. gewährten und ausgezahlten Darlehen seien nicht zu passivieren, da ein qualifizierter Rangrücktritt vereinbart worden sei. Die seitens des Klägers behaupteten Zahlungen würden mit Nichtwissen bestritten. Es seien teilweise bei den Zahlungen werthaltige Gegenleistungen in das Vermögen der Gesellschaft gelangt. Dies gelte für Zahlungen für die Anschaffung mehrerer Kühlschränke, auf denen unstreitig Logos der Insolvenzschuldnerin angebracht waren, Aufsteller, Ständer, Schilder und Messgeräte. Wegen der Einzelheiten wird auf die Aufstellung im Schriftsatz des Beklagten vom 04.09.2020, dort Seite 2 und 3 (BI. 231 f. d.A.), verwiesen.

Das Landgericht hat der Klage nach Durchführung der Beweisaufnahme durch Vernehmung des Zeugen D. (vgl. Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 05.10.2021, Bl. 318-322 d.A.) vollumfänglich stattgegeben.

Hierzu hat es im Wesentlichen ausgeführt, dem Kläger stehe der geltend gemachte Anspruch gegen den Beklagten auf Zahlung von 58.583,89 € aus § 64 GmbHG in der bis zum 01.01.2021 geltenden Fassung zu. Die Insolvenzschuldnerin sei jedenfalls ab dem 31.12.2014 – und damit vor den streitgegenständlichen Zahlungen des Beklagten – überschuldet i.S.d. § 19 Abs. 2 InsO gewesen, ferner habe keine positive Fortführungsprognose bestanden. Der hierfür darlegungsbelastete Beklagte habe bereits nicht hinreichend vorgetragen, woraus sich eine solche ergeben solle. Weder ein Unternehmenskonzept, welches Erträge erwarten ließe, noch etwaige Ertrags- und Finanzierungsplanungen seien vorgetragen. Auch stelle eine etwaige weiche Patronatserklärung in Form der finanziellen Unterstützung der Insolvenzschuldnerin durch die E. keine hinreichende Grundlage für eine positive Fortführungsprognose dar. Hierbei bleibe nicht außer Betracht, dass es sich um ein junges Unternehmen gehandelt habe, welches in der Startphase einen deutlich höheren Investitionsbedarf haben kann. Auch vor diesem Hintergrund könne jedoch ein sorgfältiger Geschäftsführer nicht damit rechnen, dass ein Patron die Gesellschaft aufgrund einer weichen Patronatserklärung ohne Konzept, welches Gewinn erwarten lasse, uneingeschränkt über einen längeren Zeitraum finanziere. Dabei reiche der bloße Umstand, dass in der Vergangenheit Darlehen gewährt worden seien, nicht aus, um anzunehmen, dass dies auch im weiteren Prognosezeitraum ohne Weiteres erfolgen werde.

Der Beklagte beabsichtigt, gegen das ihm am 08.11.2021 zugestellte Urteil des Landgerichts Berufung einzulegen und begehrt mit seinem Antrag vom 06.12.2021, beim Oberlandesgericht eingegangen am selben Tag, ihm hierfür ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten zu bewilligen. Er ist der Ansicht, das Landgericht habe bei seiner rechtlichen Würdigung hinsichtlich der Frage, ob eine positive Fortführungsprognose bereits aufgrund einer weichen Patronatserklärung eines Finanzierers gerechtfertigt war, verkannt, dass bei einem sog. Start-Up Unternehmen wie dem der Insolvenzschuldnerin der Geschäftsführer, mithin er als Beklagter, von einer positiven Fortführungsprognose ausgehen dürfe, solange nicht konkret wahrscheinlich sei, dass der Finanzierer das Unternehmen nicht weiterfinanzieren werde. Hierbei habe das Landgericht insbesondere die Entscheidung des Senats vom 20.07.2021 – I-12 W 7/21 –, welche im Ergebnis zu einer deutlichen Erleichterung der Darlegung einer positiven Fortführungsprognose für Geschäftsführer eines Start-Up Unternehmens führen könne, unberücksichtigt gelassen. Stattdessen argumentiere es, dass eine weiche Patronatserklärung stets keine hinreichende Grundlage für eine positive Fortführungsprognose rechtfertige. Vor diesem Hintergrund sei ihm Prozesskostenhilfe zu gewähren, zumal er nicht in der Lage sei, die Kosten für die beabsichtigte Einlegung des angestrebten Rechtsmittels der Berufung aus seinem Vermögen aufzubringen.

Aus den Gründen

 

II. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist zurückzuweisen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen des § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht vorliegen. Nach dieser Vorschrift erhält eine bedürftige Partei Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt.

Die mit der Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Kleve beabsichtigte Rechtsverfolgung des Beklagten bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Der Senat hat das erstinstanzliche Urteil umfassend geprüft. Das PKH-Gesuch muss keine sachliche Begründung für eine beabsichtigte Berufung enthalten, so dass sich die bedürftige Prozesspartei darauf beschränken kann, innerhalb der Berufungsfrist lediglich einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beifügung der nach § 117 Abs. 2 Satz 1 ZPO erforderlichen Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst den notwendigen Belegen beim Prozessgericht einzureichen (vgl. BGH, Beschluss vom 21.08.2018 – VIII ZB 22/18, NJW-RR 2018, 1271 Rn. 8; BAG, Beschluss vom 05.07.2016 – 8 AZB 1/16 [BB 2016, 2100 Os] Rn. 16 ff. m.w.N.). Dies gilt unabhängig davon, ob der Prozesskostenhilfeantrag von einer durch einen Prozessbevollmächtigten vertretenen Partei oder von der Partei selbst ge-stellt wird (BAG, a.a.O.). Wird Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Berufung beantragt und wird das Gesuch nicht näher begründet, ergibt sich das Streitverhältnis einschließlich der Beweismittel ohne Weiteres aus der erstinstanzlichen Entscheidung und den Gerichtsakten. Wird darüber hinaus Prozesskostenhilfe – wie hier – uneingeschränkt beantragt, kann das Berufungsgericht aus diesem Umstand zudem entnehmen, dass das erstinstanzliche Urteil auf der Grundlage des bisherigen Streitstandes im Rahmen der jeweiligen Beschwer zur Überprüfung gestellt wird (BAG, a.a.O.).

 

Auf der Grundlage des bisherigen Streitstandes ist keine Rechtsverletzung i.S.v. § 546 ZPO zu Lasten des Beklagten ersichtlich und das Urteil erweist sich auf der Basis der nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen auch nicht aus anderen Gründen als fehlerhaft, § 513 ZPO. Vielmehr hat das Landgericht der Klage rechtsfehlerfrei und mit zutreffender Begründung stattgegeben. Dem Kläger steht der geltend gemachte Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten aus § 64 Satz 1 GmbHG i.d. bis zum 31.01.2020 geltenden Fassung (nachstehend GmbHG a.F.) zu. Insbesondere ist mit dem Landgericht davon auszugehen, dass keine positive Fortführungsprognose bestand.

Gemäß § 64 Satz 1 GmbHG a.F. sind die Geschäftsführer der Gesellschaft zum Ersatz von Zahlungen verpflichtet, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder nach Feststellung ihrer Überschuldung geleistet werden. Überschuldung liegt nach § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO in der bis zum 31.12.2020 geltenden Fassung (nachstehend InsO a.F.) vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich. Ergibt die rechnerische Prüfung eine Überschuldung der GmbH, ist somit in einer zweiten Stufe eine Fortführungsprognose i.S. einer Prognose über die zukünftigen Geschäftsverläufe und die künftige – mittelfristige – Zahlungsfähigkeit des Unternehmens zu treffen. Die Fortführungsprognose ist die Frage nach der Finanzkraft, der wirtschaftlichen Überlebensfähigkeit des Unternehmens (BGH, Urteil vom 20.03.1995 – II ZR 205/94 [BB 1995, 1200], NJW 1995, 1739, 1743, juris Rn. 36, 38; Urteil vom 13.07.1992 – II ZR 269/91 [BB 1992, 1898], NJW 1992, 2891, 2894, juris Rn. 15). Steht fest, dass die Gesellschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt überschuldet war, so ist es Sache des Geschäftsführers, Umstände darzulegen, die es aus damaliger Sicht rechtfertigten, das Unternehmen fortzuführen (BGH, Beschluss vom 24.09.2019 – II ZR 248/17, ZInsO 2020, 141, 143 Rn. 21; Urteil vom 18.10.2010 – II ZR 151/09, WM 2010, 2313 Rn. 11).

 

1. Zunächst hat das Landgericht zurecht festgestellt, dass jedenfalls ab dem 31.12.2014 eine Überschuldung gegeben war. Insbesondere lag weder ein qualifizierter Rangrücktritt noch eine harte Patronatserklärung vor, welche einer Überschuldung hätte entgegenstehen können.

Schon die Darlehensverträge sahen vor, dass die Darlehen jederzeit gekündigt werden konnten und im Übrigen bei Einräumung einer Finanzierungslinie durch eine Bank oder Sparkasse umgehend getilgt werden sollten, womit diesen jeweils die Wirkung eines Fremdkredit zukam, welcher auf jeden Fall zu passivieren wäre. Durch solche Vereinbarungen kann eine Überschuldung nicht vermieden werden. Die E. hatte auch nicht verbindlich erklärt, die Insolvenzschuldnerin finanziell so auszustatten, dass diese ihre Verpflichtungen erfüllen konnte, oder für die Erfüllung der gesicherten Verbindlichkeiten einzustehen. In der für den Zeugen K. mit Schreiben vom 27.03.2020 seitens des Rechtsanwalts B. abgegebenen Erklärung (vgl. Anlage K 14) heißt es auszugsweise: „Zu keinem Zeitpunkt war insoweit auch nur ansatzweise die Rede von einer harten Patronatserklärung oder einer „Verpflichtung“ von Herrn K. und/oder der E., der X. ein Darlehen und/oder Sonstiges zu gewähren. (…) hat sich die E. jeweils im Einzelfall bereit erklärt, im Rahmen von Kapitalerhöhungen Zuzahlungen in die Kapitalrücklage der X. zu leisten und/oder Darlehen bereit zu stellen.“ Diese Angaben werden gestützt durch die Aussage des Zeugen D. (vgl. Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 05.10.2021, Bl. 321 d.A.), Herr K. wäre „auch jederzeit aus dem Vertrag rausgekommen, wenn er das erklärt hätte“.

 

2. Liegt damit – wie hier – eine rechnerische Überschuldung der Insolvenzschuldnerin vor, ist eine positive Fortführungsprognose erforderlich. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt eine solche in subjektiver Hinsicht den Fortführungswillen des Schuldners bzw. seiner Organe und in objektiver Hinsicht die sich aus einem aussagekräftigen Unternehmenskonzept herzuleitende Lebensfähigkeit des Unternehmens voraus. Dem schlüssigen und realisierbaren Unternehmenskonzept muss grundsätzlich ein Ertrags- und Finanzplan zugrunde liegen, der für einen angemessenen Prognosezeitraum aufzustellen ist und aus dem sich ergibt, dass die Finanzkraft der Gesellschaft mittelfristig zur Fortführung des Unternehmens ausreicht (BGH, Urteil vom 13.07.2021 – II ZR 84/20, NZG 2021, 1175, 1182, Rn. 68). Die objektive Überlebensfähigkeit der Gesellschaft kann sich jedoch auch aus den übrigen Umständen ergeben (BGH, Urteil vom 23.01.2018 – II ZR 246/15 [BB 2018, 848], NZI 2018, 407, 408 f., Rn. 23).

 

2.1. Auch die Finanzierungszusage eines Investors kann bei der Beurteilung, ob seitens des Geschäftsführers eine positive Fortführungsprognose gestellt werden konnte, zu berücksichtigen sein. Dem steht grundsätzlich auch nicht entgegen, wenn es sich bei der Finanzierungszusage nicht um eine harte Patronatserklärung handelt und der Investor auch keine qualifizierte Rangrücktrittserklärung hinsichtlich der Darlehen abgegeben hat. Vielmehr kann in Ausnahmefällen auch eine weiche Patronatserklärung eine positive Fortführungsprognose begründen (BGH, Urteil vom 13.07.2021, a.a.O. Rn. 81), insbesondere scheidet eine solche nicht bereits deshalb aus, weil die Aufrechterhaltung der Liquidität der Gesellschaft von der Zurverfügungstellung ausreichender finanzieller Mittel durch Dritte abhängt, auf die die Gesellschaft (noch) keinen verbindlichen Anspruch hat (BGH, Urteil vom 13.07.2021, a.a.O., S. 1183 Rn. 77). Trotz Fehlens eines rechtlich verbindlichen Ausstattungsanspruchs ist eine weiche Patronatserklärung ein Umstand, dem im Rahmen der Beurteilung, ob gleichwohl die Fortführung des Unternehmens noch überwiegend wahrscheinlich ist, Bedeutung zukommen und der nicht außer Betracht bleiben kann, wenn es darum geht, ob die Geschäftsleitung sich noch innerhalb des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums gehalten hat (vgl. Gehrlein, GmbHR 2022, 117, 118).

 

2.2. Gemessen an diesen Grundsätzen sind – wie das Landgericht zutreffend dargelegt hat – die Voraussetzungen einer positiven Fortführungsprognose nicht erfüllt. Zu deren Darlegung kann sich der Beklagte nicht unter Hinweis auf die Entscheidung des Senats vom 20.07.2021 (I-12 W 7/21, juris) mit Erfolg darauf berufen, dass insoweit auch eine weiche Patronatserklärung eines Finanzierers ausreichen kann und er als ehemaliger Geschäftsführer – insbesondere bei einem sog. Start-Up Unternehmen wie dem der Insolvenzschuldnerin – von einer positiven Fortführungsprognose ausgehen dürfe, solange nicht konkret wahrscheinlich sei, dass der Finanzierer das Unternehmen nicht weiterfinanzieren werde.

Zwar ist die Situation eines Start-Up-Unternehmens – was auch das Landgericht zutreffend in Rechnung gestellt hat – eine andere, als die eines Unternehmens in der Krise, da solche jungen Unternehmen in ihrer Ideenumsetzung, Marktetablierung und Expansion in der Regel auf Außenfinanzierungen angewiesen sind und der Rückgriff auf eine Ertragsfähigkeit ihnen daher die Überlebensfähigkeit absprechen und sie zum Marktaustritt zwingen würde, so dass in diesen Fällen die Anforderungen an die Fortführungsprognose im Lichte der Besonderheiten derartiger Unternehmen betrachtet werden müssen (vgl. Martini/Karrasch, NZI 2021, 858, 863; zustimmend ferner Henkel, EWiR 2021, 628, 629 f.; Cavaillès/Krings, jurisPR-HaGesR 12/2021 Anm. 3; de Raet, NZG 2021, 1269 f.). Ausreichend – aber auch erforderlich – muss es daher sein, dass das Unternehmen mit überwiegender, also mehr als 50 %iger Wahrscheinlichkeit in der Lage ist, seine im Prognosezeitraum fälligen Zahlungsverpflichtungen aufgrund der Bereitstellung oder Zusage externer Finanzierungsmittel zu decken (Senat, Beschluss vom 20.07.2021 – I-12 W 7/21, juris Rn. 11). Dies setzt voraus, dass eine nachvollziehbare, realistischen (Finanz‑)Planung mit einem operativen Konzept vorlag, das die geplante Geschäftsausrichtung erfolgversprechend erscheinen ließ. Denn eine mittelfristige Liquiditätssicherung wird in der Regel nur dann erreicht werden, wenn durch das operative Geschäft auf Dauer ausreichend eigene Erträge erzielt werden können, weil bei einer andauernden Fremdfinanzierung perspektivisch zu erwarten ist, dass diese an entsprechende Grenzen stoßen wird (Martini/Karrasch, a.a.O.). Eine erfolgversprechende Marktentwicklung stellt einen Umstand dar, aus dem sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine positive Fortführungsprognose ergeben kann (vgl. BGH, Urteil vom 23.01.2018, a.a.O. Rn. 23 mit der Verweisung auf die Dornier-Entscheidung, BGH, Urteil vom 13.07.1992 – II ZR 269/91, BGHZ 119, 201, 215 f. [BB 1992, 1898], juris Rn. 15; Martini/Karrasch, a.a.O.). In der vom Beklagten angesprochenen Entscheidung konnte der Senat aufgrund einer Erklärung des Investors davon ausgehen, dass dieser die Bereitstellung weiterer Mittel in jedem Fall vom Vorliegen einer nachvollziehbaren, realistischen Planung abhängig gemacht hatte. Eine solche Planung muss ein Geschäftsführer zur Beurteilung der Fortführungsfähigkeit ohnehin aufstellen. Entscheidend war, dass den genannten Voraussetzungen bis zu einer erfolgversprechende Marktentwicklung die Finanzierung durch weitere Darlehen des Investors gesichert erschien.

Hierin unterscheidet sich der vorliegende Fall von dem seinerzeit entschiedenen Sachverhalt. Nach dem „Konzept“, wie es sich aus Ziffer 9 des Gesellschaftsvertrages ergibt, sollte „X.“ zukünftig als Wellness-Drink platziert werden, der helfen soll, die unangenehmen Begleiterscheinungen des Genusses von Alkohol zu minimieren. Zweck der Gesellschaft sollte es sein, Getränke zu entwickeln und zu vertrieben, die eine gesundheitsfördernde und suchtvermindernde Wirkung haben. „X.“ sollte in mindestens 2 Varianten (X. Day mit Coffein, zur Einnahme über Tag und vor einer Veranstaltung, und X. Night mit wenig Coffein, zur Einnahme vor dem Schlafen) auf den Markt gebracht werden und sich an „eine sehr wertige Zielgruppe und nicht an Jugendliche“ richten. Der hohe Preis (ca. 5 € pro Dose/330 ml) sollte auch Missbrauch verhindern. Nach dem Inhalt des Gesellschaftsvertrages sollte seinerzeit die erhoffte alkoholabbauende Wirkung von X. im Vorfeld einer möglichen Produktion erst noch untersucht werden. Wie weit dies im Jahr 2015 gediehen war, ist weder mitgeteilt noch sonst ersichtlich. Überdies fehlt jeglicher Vortrag dazu, dass eine solche Produktentwicklung irgendwie erfolgversprechend erschien. Schon die Finanzierung der 15.000,00 € für die Untersuchung im Vorfeld, die von den Gründungsgesellschaftern zu je 1/3 aufgebracht werden sollte, war offenbar keineswegs gesichert, weil der beteiligte Arzt im Falle der Nichtzahlung berechtigt sein sollte, Gesellschaftsanteile zu erwerben. Für die Erstproduktion gingen die Gesellschafter jedenfalls von einem Finanzierungsvolumen von rd. 90 T€ aus, welches prozentual entsprechend ihrem Anteil auf sie aufgeteilt werden sollte. Jeder im Zeitpunkt der Beschlussfassung vorhandene Gesellschafter sollte danach das Recht erhalten, an der Finanzierung der voraussichtlichen Kosten der Erstproduktion teilzunehmen, wobei Finanzierungsbeiträge jeweils zu 1/3 durch Kapitalerhöhung und zu 2/3 durch Darlehen aufgebracht werden sollten; verpflichtend war das jedoch nicht. Nur für den Fall eines durch medizinische Untersuchungen und Studien bestätigten beschleunigten Alkoholabbaus von größer/gleich 40 % erklärte sich die E. bereit, die Beta-Phase allein zu finanzieren. Jedoch sollten auch in diesem Fall die anderen Gesellschafter das Recht behalten, ebenfalls Finanzierungsbeiträge zu leisten, „um ihrer Verwässerung entgegen zu wirken.“

 

Hiernach hatte insbesondere der als Investor fungierende Zeuge K. die Bereitstellung weiterer Mittel nach dem Vorbringen des Beklagten nicht vom Vorliegen einer fortzuschreibenden, nachvollziehbaren sowie realistischen Planung und damit von objektivierbaren und nachprüfbaren Kriterien (etwa das Erreichen bestimmter Meilensteine oder konkreter Umsatzvorgaben) abhängig gemacht, sondern – insoweit weitestgehend unabhängig von der wirtschaftlichen Entwicklung der Insolvenzschuldnerin – von der Übertragung von Gesellschaftsanteilen. Dies und insbesondere auch die fehlende Verbindlichkeit der finanziellen Unterstützung ergibt sich aus der für den Zeugen K. abgegebenen schriftlichen Stellungnahme von Rechtsanwalt B. vom 27.03.2020 (Bl. 186-187 d.A.), in welcher dieser darlegt, dass im Rahmen von Gesellschafterversammlungen immer wieder aufs Neue eruiert worden sei, wer von den Gesellschaftern bereit und in der Lage gewesen sei, der Insolvenzschuldnerin ein Darlehen zur Verfügung zu stellen und/oder im Rahmen einer etwaigen Kapitalerhöhung neben einer Stammeinlage ein Agio zu gewähren. Die E. habe sich jeweils im Einzelfall bereit erklärt, im Rahmen von Kapitalerhöhungen Zuzahlungen zu leisten und/oder Darlehen bereit zu stellen und hierdurch ihre prozentuale Beteiligung an der Insolvenzschuldnerin zu erhöhen. Dies deckt sich mit den Angaben des erstinstanzlich hierzu vernommenen Zeugen D. (vgl. Protokoll der öffentlichen Sitzung vom 05.10.2021, Bl. 321 d.A.).

Im Ergebnis stellt dies keine ausreichende Basis für die Feststellung dar, dass der Beklagte in dem hier in Rede stehenden Zeitraum vom 01.01.2015 bis zum 03.04.2017 von einer positiven Fortführungsprognose ausgehen konnte. Wurde dem Zeugen K. als alleinigem Geldgeber keine nachvollziehbare, realistische Planung vorgelegt, liegt der Schluss nahe, dass die weitere Finanzierung durch ihn nicht von einer solchen abhing, sondern durch andere – allein an subjektiven Faktoren hängende – Gründe motiviert war, etwa seinem Interesse an der Übertragung weiterer Gesellschaftsanteile. Vor diesem Hintergrund durfte sich der Beklagte nicht darauf verlassen, dass der Zeuge K. die Insolvenzschuldnerin bis zur erfolgreichen Etablierung am Markt jederzeit weiter finanziell unterstützen würde, vielmehr hing dies allein von dem Willen des Zeugen K. ab.

 

3. Auch soweit der Beklagte erstinstanzlich die behaupteten Zahlungen bestritten und hinsichtlich einzelner Zahlungen im Gesamtumfang von 1.642,18 € geltend gemacht hat, jedenfalls diese unterlägen nicht dem Zahlungsverbot, da eine gleichwertige Gegenleistung in die Masse gelangt sei, ist die Entscheidung des Landgerichts nicht zu beanstanden.

Zunächst ist das Bestreiten der Zahlungen an sich bereits unzulässig, worauf das Landgericht den Beklagten zutreffend hingewiesen hat. Dieser hat einen Anspruch auf Einsichtnahme in die Geschäftsunterlagen der Insolvenzschuldnerin und muss deshalb konkret vortragen, inwiefern die Buchhaltung unzutreffend ist. Da nur masseschmälernde Zahlungen verboten sind, entfällt die Haftung des Weiteren dann, wenn nur ein Aktiventausch stattfindet, d.h. wenn die in der Zahlung liegende Masseschmälerung ausgeglichen wird. Ein bloßer Aktiventausch liegt vor, wenn für eine Zahlung in unmittelbarem wirtschaftlichem Zusammenhang eine gleichwertige Gegenleistung in das Gesellschaftsvermögen gelangt (BGH, Urteil vom 04.07.2017 – II ZR 319/15 [BB 2017, 1921 Ls], NZG 2017, 1034, 1035 Rn. 10). Der Kläger geht zwar selbst davon aus, dass die vom Beklagten angeschafften Gegenstände einem dem gezahlten Kaufpreis entsprechenden adäquaten Wert hatten. Um die Masseverkürzung ausgleichen zu können, muss jedoch auch eine in die Masse gelangende Gegenleistung für eine Verwertung durch die Gläubiger geeignet sein (BGH, a.a.O. Rn. 18), was der Kläger unter Hinweis darauf, dass es sich um für die Schuldnerin individualisierte Gegenstände (Kühlschränke, Werbematerialien) handelte, bestritten hat. Eine Neupreisverwertung erscheint vor diesem Hintergrund ausgeschlossen, auch eine grundsätzliche Eignung zur Verwertung durch die Insolvenzschuldnerin ist vor diesem Hintergrund bereits fraglich. Dem ist der Beklagte letztlich nicht hinreichend entgegengetreten und hat insoweit auch nur seine eigene Parteivernehmung angeboten.

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