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Wirtschaftsrecht
14.06.2012
Wirtschaftsrecht
BGH: Anerkennung eines gerichtlich genehmigten Vergleichsplans nach englischem Gesellschaftsrecht

BGH, Urteil vom 15.2.2012 - IV ZR 194/09


Leitsätze


1. Der Anerkennung eines gerichtlich genehmigten Vergleichsplans nach englischem Gesellschaftsrecht („Scheme of Arrangement"), der eine Lebensversicherung betrifft, stehen jedenfalls die Vorschriften über die Zuständigkeit in Versicherungssachen gemäß Artt. 8, 12 Abs. 1, 35 EuGVVO entgegen.


2. Die Verjährung eines auf das negative Interesse gerichteten Schadensersatzanspruchs aus vorvertraglichem Verschulden richtet sich nicht nach § 12 Abs. 1 VVG a. F., sondern nach den §§ 195, 199 BGB (Bestätigung Senatsbeschluss vom 16.12.2009 - IV ZR 195/08, VersR 2010, 373).


EuGVVO Artt. 8, 12 Abs. 1, 35; VVG a. F. § 12 Abs. 1; BGB §§ 195, 199


Sachverhalt


Der Kläger macht gegen die Beklagte Schadensersatzansprüche wegen zahlreicher Aufklärungspflichtverletzungen anlässlich des Abschlusses einer englischen Lebensversicherung mit Überschussbeteiligung geltend. Die Beklagte, ein englisches Versicherungsunternehmen, vertrieb über Mitarbeiter ihrer deutschen Niederlassung Lebens- und Rentenversicherungen mit Überschusssystem. Aufgrund einer finanziellen Schieflage führte die Beklagte ein sog. Vergleichsplanverfahren („Scheme of Arrangement") nach § 425 des Britischen Companies Act 1985 durch. Die Beklagte meint, der Kläger sei an der Geltendmachung von Ansprüchen gehindert, da der Vergleichsplan nach englischem Gesellschafsrecht durch die erteilte gerichtliche Genehmigung allen vom Vergleichsplan betroffenen Versicherungsnehmern gegenüber wirksam geworden sei. Hilfsweise erhebt die Beklagte die Einrede der Verjährung. Das LG hat die Klage abgewiesen, die Berufung hiergegen ist erfolglos geblieben. Die Revision des Klägers führte zur Zurückverweisung.


Aus den Gründen


18        II. ... 1. Die Klage ist zulässig. Die Genehmigung („court order") eines Vergleichsplans („Scheme of Arrangement") nach englischem Gesellschaftsrecht (Sect. 425 Companies Act 1985) durch ein englisches Gericht steht der Zulässigkeit der Klage nicht entgegen.


  • Kein Vorliegen eines anerkennungsfähigen ausländischen Insolvenzverfahren

19        a) Es liegt kein anerkennungsfähiges ausländisches Insolvenzverfahren vor.


20        aa) Das Vergleichsplanverfahren der Beklagten ist allein schon wegen des Zeitpunkts seiner Durchführung kein Insolvenzverfahren i. S. des § 88 VAG, das gemäß § 88 Abs. 1a S. 2 VAG im Inland ohne Rücksicht auf die Voraussetzungen des § 343 Abs. 1 InsO anzuerkennen wäre. Das Vergleichsplanverfahren wurde vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufsichtsrechtlicher Bestimmungen zur Sanierung und Liquidation von Versicherungsunternehmen und Kreditinstituten vom 10.12.2003 (BGBl. I 2003, 2478), das § 88 Abs. 1a VAG mit Wirkung zum 17.12.2003 eingefügt hat, eingeleitet. Auch die § 88 VAG zu Grunde liegende Richtlinie 2001/17/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19.3.2001 über die Sanierung und Liquidation von Versicherungsunternehmen erfasst das Vergleichsplanverfahren der Beklagten nicht, weil die Richtlinie nur für Sanierungsmaßnahmen oder Liquidationsverfahren gilt, die nach dem 20.4.2003 ergriffen oder eröffnet worden sind.


21        bb) Das Vergleichsplanverfahren der Beklagten ist auch nicht nach § 343 InsO anzuerkennen (a. A. LG Rottweil ZIP 2010, 1964). Danach wird die Eröffnung eines ausländischen Insolvenzverfahrens anerkannt; dies gilt entsprechend für Sanierungsmaßnahmen, die nach dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens getroffen worden sind.


22        (1) Die Anerkennung des ausländischen Verfahrens nach § 343 Abs. 1 S. 1 InsO setzt ein Insolvenzverfahren voraus. Als solches werden Auslandsverfahren nicht schrankenlos, sondern nur dann anerkannt, wenn damit in etwa die gleichen Ziele verfolgt werden wie mit den in der Insolvenzordnung vorgesehenen Verfahren (BGH, Urteil vom 13.10.2009 - X ZR 79/06, WM 2009, 2330, Rn. 8; vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des internationalen Insolvenzrechts, BT-Drucks. 15/16, S. 21). Den in § 1 InsO formulierten Zielen des Insolvenzverfahrens dienen neben Verfahren, die in erster Linie auf alsbaldige Liquidation des Schuldnervermögens angelegt sind, auch solche, durch die der Bestand eines Unternehmens trotz bestehender Insolvenzgründe erhalten werden soll, sofern mit diesen Verfahren auch das Ziel der Befriedigung der Gläubiger verfolgt wird. In der Insolvenzordnung ist diese Zielsetzung durch Anerkennung solcher Verfahren als Insolvenzverfahren verwirklicht, bei denen die gemeinschaftliche Befriedigung der Gläubiger nicht nur in der Weise bewirkt wird, dass das Vermögen des Schuldners verwertet und der Erlös verteilt wird, sondern auch dadurch, dass in einem Insolvenzplan eine abweichende Regelung insbesondere zum Erhalt des Unternehmens getroffen wird (BGH a. a. O.).


23        (2) Diese Anforderungen erfüllt das Vergleichsplanverfahren der Beklagten nicht. Nach englischem Gesellschaftsrecht hat das Vergleichsplanverfahren einen breiten Anwendungsbereich, der auch Verfahrensgestaltungen außerhalb von Insolvenzverfahren abdeckt. Die Verfahrenseröffnung ist an keine tatbestandlichen Voraussetzungen gebunden (Chudzick, Schemes of Arrangement mit Gläubigern nach englischem Recht, 2000, S. 48 f.) und erfordert folglich keinen Insolvenztatbestand (Petrovic, ZInsO 2010, 265, 267; Schaloske, VersR 2009, 23, 24). Außerhalb der Insolvenz liegt ein sog. „solventer Vergleichsplan" vor („Solvent Scheme of Arrangement"; vgl. Labes, Verfahrensoptionen zur Beendigung von Haftungen aus (Rück-)Versicherungsverträgen - Solvent Scheme of Arrangement/Part VII Transfer in Liber amicorum für Gerrit Winter, 2007, S. 645, 648). Dieser ist als Vergleich zwischen einem Unternehmen und seinen Gläubigern oder einer Gruppe von Gläubigern aufzufassen. Dabei werden sämtliche (also auch zukünftige) Verbindlichkeiten eines Unternehmens aus solchen Rechtsgeschäften, die der solvente Vergleichsplan erfasst, gegen bestimmte, an die Gläubiger auszuzahlende Beträge abgewickelt (Schulz, ZfV 2011, 202).


24        Das Vergleichsplanverfahren der Beklagten stellt keine Regelung dar, die sämtliche Gläubiger der Beklagten einbezieht, und kann schon mangels gemeinschaftlicher Befriedigung nicht als Insolvenzverfahren betrachtet werden (vgl. Paulus, ZIP 2011, 1077, 1080). Inhalt des Vergleichsplans ist nicht eine Gesamtregelung gegenüber allen Gläubigern, sondern nur die Abgeltung von Ansprüchen der Versicherungsnehmer im Zusammenhang mit GAR-Verträgen gegen Erhöhung des Versicherungswertes. Hinzu kommt, dass das „Scheme of Arrangement" in Anhang A zur Verordnung (EG) Nr. 1346/200 des Rates vom 29.5.2000 über Insolvenzverfahren bei den innerhalb der EU anzuerkennenden Verfahren (vgl. hierzu Braun/Liersch, InsO 4. Aufl. § 343 Rn. 3) nicht genannt wird. Schließlich wollte die Beklagte als Initiatorin des Vergleichsplanverfahrens gerade kein Verfahren durchführen, das in irgendeiner Form mit einer Insolvenz in Verbindung steht. So heißt es in dem Begleitschreiben des Vorstands an die Versicherungsnehmer vom 1.12.2001: „Die Society ist und bleibt solvent". Dies kann nur als Durchführung eines solventen Vergleichsplanverfahrens verstanden werden.


  • Anerkennung folgt auch nicht aus der EuGVVO

25        b) Eine Anerkennung folgt auch nicht aus der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 vom 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO).


26        aa) Für die gerichtliche Genehmigung eines Vergleichsplans als eine Entscheidung im Sinne von Art. 32 EuGVVO sprechen insbesondere das insoweit gebotene weite Verständnis und die kontradiktorischen Züge dieses Verfahrens. Das kann hier aber letztlich offen bleiben (dafür LG Potsdam, Urteil vom 22.10.2010 - 2 O 501/07, nicht veröffentlicht; Mankowski, EWiR Art. 32 EuGVVO 1/09, 711; Petrovic a. a. O. 267 ff.; Schaloske, a. a. O. 27 f.; Sieg/Blum, Solvent Schemes - Enforceability in Germany in Managing Runoff in Europe, S. 47, 49 ff.; Tyrell/Heitlinger, VW 2007, 1695, 1697 f.; dagegen Schnepp/Janzen, VW 2007, 1057, 1058 f.; Schulz a. a. O. 204).


27        bb) Einer Anerkennung stehen jedenfalls Artt. 8, 12 Abs. 1, 35 EuGVVO entgegen, weil die Bestimmungen über die Zuständigkeit in Versicherungssachen nicht gewahrt sind. Gemäß Art. 35 Abs. 1 EuGVVO wird eine Entscheidung nicht anerkannt, wenn u. a. Vorschriften in Abschnitt 3 des Kapitels II der EuGVVO verletzt worden sind. Hierzu gehört Art. 12 Abs. 1 EuGVVO, wonach der Versicherer grundsätzlich nur vor den Gerichten des Mitgliedsstaats klagen kann, in dessen Hoheitsgebiet die von ihm verklagte Partei ihren Wohnsitz hat. Diese Zuständigkeit gilt gemäß Art. 8 EuGVVO für Klagen in Versicherungssachen. Als solche ist das von der Beklagten initiierte gerichtliche Verfahren zur Durchführung und Genehmigung eines Vergleichsplans aufzufassen (vgl. Schaloske a. a. O. 23, 28; Sieg/Blum a. a. O. S. 53). Die Sonderregelungen in Art. 8 ff. EuGVVO beruhen auf sozialpolitischen Erwägungen, um dem wirtschaftlich schwächeren Versicherungsnehmer im Prozess besonderen Schutz zu gewähren (EuGH, Urteil vom 17.9.2009 - C-347/08 - Vorarlberger Gebietskrankenkasse - juris Rn. 40; Kropholler/von Hein, Europäisches Zivilprozessrecht, 9. Aufl. vor Art. 8 EuGVVO Rn. 2). Im Lichte seines Schutzzwecks ist Art. 8 EuGVVO in autonomer Weise weit auszulegen (Kropholler/von Hein a. a. O. Rn. 5). Erfasst werden alle Streitigkeiten, die sich auf den Abschluss, die Auslegung, die Durchführung und Beendigung des Versicherungsvertrages beziehen (Geimer in Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 3. Aufl. Art. 8 EuGVVO Rn. 15). Mit dem Schutzgedanken des Art. 8 EuGVVO ist nicht zu vereinbaren, dass Versicherer Rechte eines Versicherungsnehmers grundlegend umgestalten, ohne hierbei den Gerichtsstand des Art. 12 Abs. 1 EuGVVO einhalten zu müssen. Die Genehmigung des Vergleichsplans durch das zuständige englische Gericht zielt auf eine solche grundlegende Umgestaltung der Rechte der Versicherungsnehmer ab. Die Änderung der Rechtsposition des Versicherungsnehmers liegt darin, dass entsprechend dem englischen Gesellschaftsrecht der Vergleichsplan durch die Genehmigung des zuständigen englischen Gerichts gegenüber allen Gläubigern Wirkung entfalten soll, also auch gegenüber den Versicherungsnehmern in Deutschland.


28        2. Die Mehrzahl, jedoch nicht alle der vom Kläger geltend gemachten Schadenersatzansprüche sind verjährt ... [wird ausgeführt].






 

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