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Wirtschaftsrecht
01.06.2023
Wirtschaftsrecht
EuGH: Anbieter elektronischer Kommunikationsdienste – Zum Verhältnis von Art. 13 i. V. m. Art. 3 RL (EU) 2018/1972 zu nationaler Kostenerstattungsregelung

EuGH, Urteil vom 16.3.2023 – C-339/21, Colt Technology Services SpA u. a. gegen Ministero della Giustizia u. a.

ECLI:EU:C:2023:214

Volltext: BB-Online BBL2023-1281-2

unter www.betriebs-berater.de

 

Tenor

Art. 13 in Verbindung mit Art. 3 der Richtlinie (EU) 2018/1972 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2018 über den europäischen Kodex für die elektronische Kommunikation sowie deren Anhang I Teil A Nr. 4 sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, die keine vollständige Erstattung der Kosten vorschreibt, die den Anbietern elektronischer Kommunikationsdienste bei der Ermöglichung der rechtmäßigen Überwachung der elektronischen Kommunikation durch die zuständigen nationalen Behörden tatsächlich entstanden sind, sofern diese Regelung nicht diskriminierend, verhältnismäßig und transparent ist.

 

Aus den Gründen

1          Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 18, 26, 49, 54 und 55 AEUV, der Art. 3 und 13 der Richtlinie (EU) 2018/1972 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2018 über den europäischen Kodex für die elektronische Kommunikation (ABl. 2018, L 321, S. 36) sowie der Art. 16 und 52 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).

 

2          Es ergeht im Rahmen mehrerer Rechtsstreitigkeiten zwischen der Colt Technology Services SpA, der Wind Tre SpA, der Telecom Italia SpA und der Vodafone Italia SpA (im Folgenden zusammen: die betroffenen Telekommunikationsbetreiber) auf der einen Seite und dem Ministero della Giustizia (Justizministerium, Italien), dem Ministero dello Sviluppo economico (Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung, Italien) und dem Ministero dell’Economia e delle Finanze (Wirtschafts- und Finanzministerium, Italien) sowie in einigen Fällen je nach Verfahren der Procura Generale della Repubblica presso la Corte d’appello di Reggio Calabria (Generalstaatsanwaltschaft beim Berufungsgericht von Reggio Calabria, Italien), der Procura della Repubblica presso il Tribunale di Cagliari (Staatsanwaltschaft beim Gericht Cagliari, Italien), der Procura della Repubblica presso il Tribunale di Roma (Staatsanwaltschaft beim Gericht Rom, Italien) und der Procura della Repubblica presso il Tribunale di Locri (Staatsanwaltschaft beim Gericht Locri, Italien) auf der anderen Seite sowie zwischen dem Ministero della Giustizia (Justizministerium), dem Ministero dello Sviluppo economico (Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung, Italien), der Procura Generale della Repubblica presso la Corte d’appello di Reggio Calabria (Generalstaatsanwaltschaft beim Berufungsgericht von Reggio Calabria), der Procura della Repubblica presso il Tribunale di Cagliari (Staatsanwaltschaft beim Gericht Cagliari) und der Procura della Repubblica presso il Tribunale di Roma (Staatsanwaltschaft beim Gericht Rom) auf der einen und Wind Tre auf der anderen Seite wegen einer nationalen Regelung, die alle auf dem nationalen Hoheitsgebiet tätigen Telekommunikationsbetreiber verpflichtet, gegen eine jährliche Pauschalgebühr auf Verlangen der Justizbehörden Leistungen im Bereich der Überwachung des Telekommunikationsverkehrs zu erbringen.

 

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

 

3          Im ersten Erwägungsgrund der Richtlinie 2018/1972 heißt es:

„Die Richtlinien … 2002/20/EG [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. März 2002 über die Genehmigung elektronischer Kommunikationsnetze und ‑dienste (Genehmigungsrichtlinie) (ABl. 2002, L 108, S. 21)], 2002/21/EG [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. März 2002 über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und ‑dienste (Rahmenrichtlinie) (ABl. 2002, L 108, S. 33)] … wurden erheblich geändert. Aus Gründen der Klarheit empfiehlt es sich, im Rahmen der jetzt anstehenden Änderungen eine Neufassung dieser Richtlinien vorzunehmen.“

 

4          Art. 3 („Allgemeine Ziele“) dieser Richtlinie bestimmt in den Abs. 1 und 2:

„(1) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die nationalen Regulierungsbehörden und anderen zuständigen Behörden bei der Wahrnehmung der in dieser Richtlinie festgelegten regulatorischen Aufgaben alle angezeigten Maßnahmen treffen, die zur Erreichung der in Absatz 2 vorgegebenen Ziele erforderlich und verhältnismäßig sind. …

(2) Im Rahmen dieser Richtlinie verfolgen die nationalen Regulierungsbehörden und anderen zuständigen Behörden sowie das GEREK [Gremium Europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation], die [Europäische] Kommission und die Mitgliedstaaten sämtliche nachstehenden Ziele, wobei die Auflistung keiner Rangfolge der Prioritäten entspricht:

b) Förderung des Wettbewerbs bei der Bereitstellung elektronischer Kommunikationsnetze und zugehöriger Einrichtungen … und des Wettbewerbs bei der Bereitstellung elektronischer Kommunikationsdienste und zugehöriger Dienste;

c) Leistung eines Beitrags zur Entwicklung des Binnenmarkts, indem sie verbleibende Hindernisse für Investitionen in elektronische Kommunikationsnetze, elektronische Kommunikationsdienste, zugehörige Einrichtungen und zugehörige Dienste sowie für deren Bereitstellung in der gesamten [Europäischen] Union abbauen helfen …“

 

5          Art. 12 („Allgemeingenehmigung für elektronische Kommunikationsnetze und ‑dienste“) Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie lautet:

„Die Mitgliedstaaten gewährleisten die Freiheit, elektronische Kommunikationsnetze und ‑dienste gemäß den in dieser Richtlinie festgelegten Bedingungen bereitzustellen.“

 

6          In Art. 13 („Bedingungen bei Allgemeingenehmigungen und Nutzungsrechten für Funkfrequenzen und für Nummerierungsressourcen sowie besondere Verpflichtungen“) der Richtlinie 2018/1972 heißt es:

„(1) Die Allgemeingenehmigung für die Bereitstellung elektronischer Kommunikationsnetze oder ‑dienste sowie die Rechte zur Nutzung von Funkfrequenzen und die Rechte zur Nutzung von Nummerierungsressourcen können nur an die in Anhang I genannten Bedingungen geknüpft werden. Diese müssen nicht diskriminierend, verhältnismäßig und transparent sein. …

(3) Die Allgemeingenehmigung enthält nur die branchenspezifischen Bedingungen, die in den Teilen A, B und C des Anhangs I aufgeführt sind, und greift keine Bedingungen auf, die für die Unternehmen aufgrund anderer innerstaatlicher Rechtsvorschriften gelten.

…“

 

7          Anhang I dieser Richtlinie erläutert in Teil A entsprechend dessen Titel die „[a]llgemeine[n] Bedingungen, die an eine Allgemeingenehmigung geknüpft werden können“. Dazu gehört folgende Bedingung, die dort in Nr. 4 genannt ist:

„Ermöglichung der rechtmäßigen Überwachung des Telekommunikationsverkehrs entsprechend der Verordnung (EU) 2016/679 [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) (ABl. 2016, L 119, S. 1)] und der Richtlinie 2002/58/EG [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation) (ABl. 2002, L 201, S. 37)].“

 

8          Nach Art. 125 der Richtlinie 2018/1972 wurden mit dieser Richtlinie u. a. die Richtlinie 2002/20 in ihrer durch die Richtlinie 2009/140/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 (ABl. 2009, L 337, S. 37) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2002/20) und die Richtlinie 2002/21 in ihrer durch die Richtlinie 2009/140 geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2002/21) mit Wirkung vom 21. Dezember 2020 aufgehoben und ersetzt; dabei gelten Bezugnahmen auf die Richtlinien 2002/20 und 2002/21 als Bezugnahmen auf die Richtlinie 2018/1972 und sind nach Maßgabe der Entsprechungstabelle in deren Anhang XIII zu lesen.

 

Italienisches Recht

9          Art. 28 („Bedingungen bei Allgemeingenehmigungen und Nutzungsrechten für Funkfrequenzen und für Nummern“) des Decreto legislativo n. 259 – Codice delle comunicazioni elettroniche (gesetzesvertretenden Dekret Nr. 259 über das Gesetzbuch über die elektronische Kommunikation) vom 1. August 2003 (GURI Nr. 214 vom 15. September 2003) (im Folgenden: Gesetzbuch über die elektronische Kommunikation) bestimmt in Abs. 1:

„Die Allgemeingenehmigung für die Bereitstellung elektronischer Kommunikationsnetze oder ‑dienste sowie die Rechte zur Nutzung von Funkfrequenzen und Nummern können nur an die jeweils in den Teilen A, B und C des Anhangs 1 genannten Bedingungen geknüpft werden. Diese müssen nicht diskriminierend, verhältnismäßig und transparent sein und im Fall der Nutzungsrechte für Funkfrequenzen Art. 14 des Gesetzbuchs entsprechen.  Die Allgemeingenehmigung ist stets mit der Bedingung Nr. 11 des Teils A von Anhang 1 verknüpft.“

 

10        Anhang 1 enthält eine abschließende Liste der Bedingungen, die mit Allgemeingenehmigungen (Teil A), Rechten zur Nutzung von Funkfrequenzen (Teil B) und Rechten zur Nutzung von Nummern (Teil C) verknüpft werden können. Teil A Nr. 11 dieses Anhangs nennt u. a. die Bedingung der „Sicherstellung der Dienste für die Zwecke der Justiz gemäß Art. 96 des Gesetzbuchs [über die elektronische Kommunikation], von Beginn der Tätigkeit an“.

 

11        Art. 96 („Obligatorische Leistungen“) dieses Gesetzbuchs lautet:

„1. Die auf Überwachungs- und Auskunftsersuchen der zuständigen Justizbehörden durchgeführten Leistungen für die Zwecke der Rechtspflege sind für die Betreiber obligatorisch; die Zeiten und Modalitäten werden bis zur Genehmigung des in Abs. 2 genannten Dekrets mit den genannten Behörden vereinbart.

2. Zur Festsetzung der jährlichen Pauschalgebühr für die in Abs. 1 genannten obligatorischen Leistungen werden die Listeneinträge nach dem Dekret des Ministro delle Communicazioni (Ministers für Kommunikation) vom 26. April 2001, GURI Nr. 104 vom 7. Mai 2001, durch das bis zum 31. Dezember 2017 von dem Justizminister und dem Minister für wirtschaftliche Entwicklung im Benehmen mit dem Minister für Wirtschaft und Finanzen zu erlassende Dekret geändert. Das Dekret

a) regelt die Arten der obligatorischen Leistungen und legt deren Tarifsätze unter Berücksichtigung der Entwicklung der Kosten und der Dienste so fest, dass eine Kostenersparnis von mindestens 50 Prozent im Vergleich zu den geltenden Sätzen erzielt wird. Der Satz enthält die Kosten für alle Dienste, die von jeder Netzidentität gleichzeitig aktiviert oder genutzt werden;

b) bestimmt die Personen, die zu obligatorischen Überwachungsleistungen verpflichtet sind, und zwar auch unter Dienstanbietern, deren Infrastruktur den Netzzugang oder die Verbreitung von Informations- oder Kommunikationsinhalten ermöglicht, sowie unter den Personen, die, in welcher Eigenschaft auch immer, Telekommunikationsdienste oder Anwendungen anbieten, auch wenn diese über fremde Zugangs- oder Übertragungsnetze genutzt werden können;

c) legt die Pflichten der zu obligatorischen Leistungen verpflichteten Personen und die Modalitäten der Ausführung dieser Leistungen fest, darunter die Einhaltung einheitlicher EDV-Verfahren für die Übermittlung und Verwaltung von Mitteilungen administrativer Art, einschließlich der Phasen vor der Bezahlung dieser Dienstleistungen.

…“

 

12        Im Einklang mit diesem Art. 96 Abs. 2 wurden die obligatorischen Leistungen der Telekommunikationsbetreiber und die entsprechenden Sätze durch das Decreto interministeriale del Ministro della Giustizia e del Ministro dello Sviluppo Economico di concerto con il Ministro dell’Economia e delle Finanze – Disposizione di riordino delle spese per le prestazioni obbligatorie di cui all’articolo 96 del decreto legislativo n. 259 del 2003 (interministerielles Dekret, das der Justizminister und der Minister für wirtschaftliche Entwicklung im Benehmen mit dem Minister für Wirtschaft und Finanzen erlassen haben – Regelung zur Neufestsetzung der Kosten für die obligatorischen Leistungen gemäß Art. 96 des gesetzesvertretenden Dekrets Nr. 259 von 2003) vom 28. Dezember 2017 (GURI Nr. 33 vom 9. Februar 2018, im Folgenden: interministerielles Dekret vom 28. Dezember 2017) näher geregelt.

 

Ausgangsrechtsstreitigkeiten und Vorlagefrage

13        Nach italienischem Recht, insbesondere nach Art. 96 des Gesetzbuchs über die elektronische Kommunikation, sind die Telekommunikationsbetreiber verpflichtet, auf Verlangen der Justizbehörden Maßnahmen zur Überwachung des Fernmeldeverkehrs (Sprachkommunikation, computergestützte und telematische Kommunikation sowie Datenverkehr) gegen eine jährliche Pauschalgebühr durchzuführen.

 

14        Die betroffenen Telekommunikationsbetreiber wurden im Rahmen ihrer Tätigkeiten verpflichtet, solche Überwachungsvorgänge durchzuführen. Nach Art. 96 Abs. 2 des Gesetzbuchs über die elektronische Kommunikation wurden die Beträge, die sie hierfür erhielten und die ursprünglich durch ein Dekret des Ministers für Kommunikation vom 26. April 2001 festgesetzt worden waren, durch das interministerielle Dekret vom 28. Dezember 2017 geändert.

 

15        Nach dieser Bestimmung bestand die Änderung u. a. in einer Kürzung der Erstattungen der Kosten im Zusammenhang mit diesen Überwachungsmaßnahmen um mindestens 50 %.

 

16        Die betroffenen Telekommunikationsbetreiber beantragten beim Tribunale amministrativo regionale per il Lazio (Regionales Verwaltungsgericht Latium, Italien) mit getrennten Klagen die Nichtigerklärung des interministeriellen Dekrets vom 28. Dezember 2017. Sie brachten vor, dass die Vergütungen, die ihnen die italienischen Behörden nach diesem Dekret zu gewähren hätten, die für die Erbringung der obligatorischen Leistungen im Zusammenhang mit der von den zuständigen nationalen Justizbehörden angeordneten Überwachung elektronischer Kommunikation anfallenden Kosten nicht vollständig deckten.

 

17        Mit den Urteilen Nrn. 4594/2019, 4596/2019, 4600/2019 und 4604/2019 vom 9. April 2019 wies dieses Gericht die Klagen mit der Begründung ab, es sei nicht erwiesen, dass die in diesem Dekret festgelegten Sätze nicht ausreichten, um die den Betreibern im Rahmen der Durchführung der Überwachungstätigkeiten entstandenen Kosten auszugleichen.

 

18        Die betroffenen Telekommunikationsbetreiber sowie in Bezug auf das Urteil Nr. 4604/2019, mit dem der Klage von Wind Tre aus einem anderen Grund teilweise stattgegeben worden war, das Justizministerium, das Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung, die Generalstaatsanwaltschaft beim Berufungsgericht von Reggio Calabria, die Staatsanwaltschaft beim Gericht Cagliari und die Staatsanwaltschaft beim Gericht Roma haben gegen diese Urteile Rechtsmittel beim Consiglio di Stato (Staatsrat, Italien), dem vorlegenden Gericht, eingelegt.

 

19        Mit Entscheidung vom 13. Februar 2020 hat dieses Gericht den Gerichtshof um Vorabentscheidung über die Auslegung der Art. 18, 26 und 102 ff. AEUV ersucht. Da dieses Ersuchen den Anforderungen von Art. 94 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs nicht genügte, ist es mit Beschluss vom 26. November 2020, Colt Technology Services u. a. (C‑318/20, nicht veröffentlicht, EU:C:2020:969), als offensichtlich unzulässig zurückgewiesen worden.

 

20        Nach Fortsetzung der Ausgangsverfahren hält sich das vorlegende Gericht in seiner Eigenschaft als letztinstanzliches Gericht für verpflichtet, den Gerichtshof erneut im Wege der Vorabentscheidung anzurufen, um die richtige Auslegung des für die bei ihm anhängigen Rechtsstreitigkeiten relevanten Unionsrechts zu erlangen.

 

21        Insoweit führt es aus, dass es Zweifel hinsichtlich des Zusammenspiels zwischen Art. 13 der Richtlinie 2008/1972 und bestimmten primärrechtlichen Vorschriften der Union hege.

 

22        Die betroffenen Telekommunikationsbetreiber hätten geltend gemacht, dass die beanstandete nationale Regelung erstens zu einer Diskriminierung aufgrund der Größe des Unternehmens führe, da kleine Unternehmen verhältnismäßig weniger benachteiligt würden als die großen Betreiber, zweitens eine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit bewirke, da nicht in Italien niedergelassene Unternehmen gegenüber den in Italien niedergelassenen Betreibern begünstigt würden, drittens auf Unionsebene zu einer Wettbewerbsverzerrung führe, da sie für ausländische Betreiber ein strukturelles und ungerechtfertigtes Hindernis für den Zugang zum italienischen Markt schaffe, und viertens gegen das Recht auf freie Ausübung einer gewerblichen Tätigkeit verstoße, indem sie eine erhebliche Enteignung der unternehmerischen Kapazitäten privater Wirtschaftsteilnehmer vornehme, die in keinem Verhältnis zu dem geltend gemachten Ziel des öffentlichen Interesses stehe.

 

23        Das vorlegende Gericht weist jedoch darauf hin, dass nach Art. 13 und Anhang I der Richtlinie 2018/1972 die Allgemeingenehmigung für die Bereitstellung elektronischer Kommunikationsdienste nach nationalem Recht von der Bedingung abhängig gemacht werden könne, dass die von den Justizbehörden angeordneten Überwachungen durchgeführt würden, und dass die einzige in diesem Art. 13 allgemein vorgesehene Grenze darin bestehe, dass die vorgesehenen Bedingungen nicht diskriminierend, verhältnismäßig und transparent seien.

 

24        Es ist der Auffassung, dass das einschlägige sekundäre Unionsrecht und die von den betroffenen Telekommunikationsbetreibern herangezogenen allgemeinen Grundsätze des AEU‑Vertrags keine vollständige Erstattung der den Betreibern bei der Durchführung solcher Überwachungen tatsächlich entstandenen Kosten verlangen und daher einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, die keine solche vollständige Erstattung vorsieht und die darüber hinaus die Überarbeitung der zu gewährenden Erstattungen mit dem Ziel einer Kostenersparnis verknüpft.

 

25        Die im Gesetzbuch über die elektronische Kommunikation allgemein vorgesehenen Sätze seien für alle Betreiber, die in Italien Dienste anböten, vollkommen vergleichbar. Diese Sätze müssten von der Verwaltung unter Berücksichtigung der Kostenentwicklung, des technologischen Fortschritts, infolge dessen bestimmte Leistungen weniger kostenaufwendig geworden seien, sowie des Umstands, dass diese Leistungen einen Zweck des öffentlichen Interesses verfolgten und nur von den Telekommunikationsbetreibern erbracht werden können, berechnet werden und seien veröffentlicht. Die in den Ausgangsverfahren in Rede stehende Bedingung, mit der eine Allgemeingenehmigung für die Bereitstellung elektronischer Kommunikationsnetze oder -dienste verknüpft sei, sei mithin nicht diskriminierend, verhältnismäßig und transparent im Sinne von Art. 13 der Richtlinie 2018/1972. Darüber hinaus stelle die im Vorhinein erfolgende Schaffung der für solche Überwachungen erforderlichen Ressourcen einen der kommerziellen Tätigkeit der Bereitstellung elektronischer Kommunikationsdienste immanenten, unvermeidlichen Kostenpunkt dar, da die Bereitstellung dieser Dienste zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine Allgemeingenehmigung voraussetze, die mit der streitigen Bedingung verknüpft sei.

 

26        Unter diesen Umständen hat der Consiglio di Stato (Staatsrat) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Stehen die Art. 18, 26, 49, 54 und 55 AEUV, die Art. 3 und 13 der Richtlinie 2018/1972 sowie die Art. 16 und 52 der Charta einer nationalen Regelung entgegen, die bei der Betrauung einer Verwaltungsbehörde mit der Aufgabe, die Entschädigung festzulegen, die Telekommunikationsbetreibern für auf Ersuchen von Justizbehörden verpflichtend durchzuführende Überwachungstätigkeiten im Telekommunikationsverkehr gewährt wird, nicht die Beachtung des Grundsatzes der vollständigen Erstattung der tatsächlich entstandenen und von den Betreibern ordnungsgemäß belegten Kosten in Bezug auf diese Tätigkeiten vorschreibt, und die Verwaltungsbehörde darüber hinaus verpflichtet, gegenüber den früheren Kriterien für die Berechnung der Entschädigung Kosten einzusparen?

 

Zur Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens

27        Die italienische Regierung bestreitet die Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens. Zum einen habe der Consiglio di Stato (Staatsrat) dadurch, dass er keinen vernünftigen Zweifel hinsichtlich der Auslegung des Unionsrechts aufgezeigt habe, von dem in Art. 267 AEUV vorgesehenen Vorabentscheidungsmechanismus Gebrauch gemacht, ohne die vor Kurzem erfolgten Ausführungen des Gerichtshofs im Urteil vom 6. Oktober 2021, Consorzio Italian Management und Catania Multiservizi (C‑561/19, EU:C:2021:799), zu beachten. Zum anderen sei die Vorlagefrage hypothetisch. Der Consiglio di Stato (Staatsrat) habe nämlich keine tatsächlichen Anhaltspunkte dafür angeführt, dass die in der in Rede stehenden Regelung festgelegten Sätze nicht ausreichten, um die Betreiber zu vergüten. Die Vorlagefrage wäre jedoch nur dann entscheidungserheblich, wenn die Sätze nicht kostendeckend seien.

 

28        Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass ein nationales Gericht, dessen Entscheidungen nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, zwar unter Beachtung der in den Rn. 40 bis 46 des Urteils vom 6. Oktober 2021, Consorzio Italian Management und Catania Multiservizi (C‑561/19, EU:C:2021:799), genannten Voraussetzungen davon absehen kann, dem Gerichtshof eine Frage nach der Auslegung des Unionsrechts vorzulegen, und sie stattdessen in eigener Verantwortung lösen darf, wenn die richtige Auslegung des Unionsrechts derart offenkundig ist, dass keinerlei Raum für einen vernünftigen Zweifel bleibt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. Oktober 2021, Consorzio Italian Management und Catania Multiservizi, C‑561/19, EU:C:2021:799, Rn. 39 und 47 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

 

29        Der Umstand, dass geltend gemacht wird, die Antworten auf die Vorlagefragen lägen auf der Hand, hindert aber ein nationales Gericht keineswegs, dem Gerichtshof Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. September 2008, UGT‑Rioja u. a., C‑428/06 bis C‑434/06, EU:C:2008:488, Rn. 42 und 43).

 

30        Soweit die italienische Regierung geltend macht, die Vorlagefrage sei hypothetisch, da sie auf der falschen Prämisse beruhe, dass die Erstattungen, die in der in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung vorgesehen wurden, die den betroffenen Betreibern tatsächlich entstandenen Kosten nicht decken könnten, ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof sich in einem Verfahren nach Art. 267 AEUV nur auf der Grundlage des ihm vom nationalen Gericht unterbreiteten Sachverhalts zur Auslegung einer Unionsvorschrift äußern darf (Urteil vom 12. Januar 2023, DOBELES HES, C‑702/20 und C‑17/21, EU:C:2023:1, Rn. 85 und die dort angeführte Rechtsprechung). Folglich ist es nicht Sache des Gerichtshofs, die tatsächliche Prämisse in Frage zu stellen, auf der das Vorabentscheidungsersuchen beruht.

 

31        Mithin spricht eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen des nationalen Gerichts, die es zur Auslegung des Unionsrechts in dem rechtlichen und sachlichen Rahmen stellt, den es in eigener Verantwortung festgelegt hat und dessen Richtigkeit der Gerichtshof nicht zu prüfen hat. Der Gerichtshof kann die Entscheidung über ein Ersuchen eines nationalen Gerichts nur dann verweigern, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (Urteil vom 27. Oktober 2022, Climate Corporation Emissions Trading, C‑641/21, EU:C:2022:842, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

32        Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass, soweit die Vorlagefrage die Auslegung der Art. 18, 26, 49, 54 und 55 AEUV sowie der Art. 16 und 52 der Charta betrifft, das vorlegende Gericht weder ausgeführt hat, aus welchen Gründen es sich veranlasst sah, sich hinsichtlich der Auslegung dieser Bestimmungen Fragen zu stellen, noch erläutert hat, welche Verbindung seines Erachtens zwischen diesen Bestimmungen und der auf die Rechtsstreitigkeiten der Ausgangsverfahren anwendbaren nationalen Regelung besteht; mithin verfügt der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Frage erforderlich sind, soweit diese die genannten Bestimmungen betrifft. Soweit sich hingegen die Frage auf die Bestimmungen der Richtlinie 2018/1972 bezieht, erörtert das Vorabentscheidungsersuchen nicht nur die maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Angaben, sondern lässt auch erkennen, warum sich dem vorlegenden Gericht diesbezüglich Fragen stellen. Darüber hinaus ergibt sich der Zusammenhang zwischen diesen Fragestellungen und dem Gegenstand der Rechtsstreitigkeiten der Ausgangsverfahren, deren Gegebenheiten im Übrigen nicht bestritten werden, eindeutig aus dem Ersuchen.

 

33        Folglich ist das Vorabentscheidungsersuchen zulässig, soweit es die Richtlinie 2018/1972 betrifft.

 

Zur Vorlagefrage

34        Das vorlegende Gericht ersucht um die Auslegung von Bestimmungen der Richtlinie 2018/1972. Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten geht jedoch hervor, dass die auf die Rechtsstreitigkeiten in den Ausgangsverfahren anwendbare nationale Regelung eine Vorgängerrichtlinie der Richtlinie 2018/1972, nämlich die Richtlinie 2002/20, umgesetzt hatte und dass die Richtlinie 2002/20 gemäß Art. 125 der Richtlinie 2018/1972 erst mit Wirkung vom 21. Dezember 2020 durch ebendiese Richtlinie aufgehoben und ersetzt wurde, also nach Erlass des interministeriellen Dekrets vom 28. Dezember 2017 und nachdem die betroffenen Telekommunikationsbetreiber ihre Klagen auf dessen Nichtigerklärung beim Tribunale amministrativo regionale per il Lazio (Regionales Verwaltungsgericht Latium) erhoben hatten.

 

35        Sollte das vorlegende Gericht letztlich feststellen, dass die Rechtsstreitigkeiten der Ausgangsverfahren unter die Richtlinie 2002/20 fallen, ist darauf hinzuweisen, dass die im vorliegenden Urteil gegebene Antwort auf diesen früheren Rechtsakt übertragbar wäre. Wie sich aus dem ersten Erwägungsgrund der Richtlinie 2018/1972 ergibt, wurde nämlich in dieser Richtlinie insbesondere eine Neufassung der vier früheren Richtlinien in jeweils geänderter Fassung, die den Sektor der elektronischen Kommunikationsnetze und -dienste regelten, einschließlich der Richtlinie 2002/20, vorgenommen, ohne dass die Bestimmungen, deren Auslegung für die Entscheidung der Rechtsstreitigkeiten der Ausgangsverfahren erforderlich ist, in für die vorliegende Rechtssache maßgeblicher Weise im Hinblick auf ihren Wortlaut, ihren Zusammenhang oder ihr Ziel geändert wurden.

 

36        Konkret übernehmen Art. 13 Abs. 1 Satz 1 und 2 sowie Abs. 3 der Richtlinie 2018/1972 und deren Anhang I Teil A Nr. 4 ohne im vorliegenden Fall maßgebliche Änderung in der Sache Art. 6 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 2002/20 bzw. Anhang Teil A Nr. 11.

 

37        Darüber hinaus ist von den zwei Bestimmungen der Richtlinie 2018/1972, die vom vorlegenden Gericht in seiner Frage genannt werden, ersichtlich nur Art. 13 für die Entscheidung der Rechtsstreitigkeiten der Ausgangsverfahren unmittelbar einschlägig, auch wenn bei der Prüfung der Frage den in Art. 3 dieser Richtlinie festgelegten Zielen Rechnung zu tragen ist. Dagegen enthält Anhang I Teil A Nr. 4 der Richtlinie 2018/1972 die Bedingung, in Bezug auf die die in den Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung erlassen wurde.

 

38        Mithin ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seiner Frage im Wesentlichen wissen möchte, ob Art. 13 in Verbindung mit Art. 3 der Richtlinie 2018/1972 sowie deren Anhang I Teil A Nr. 4 dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die keine vollständige Erstattung der Kosten vorschreibt, die den Anbietern elektronischer Kommunikationsdienste bei der Ermöglichung der rechtmäßigen Überwachung der elektronischen Kommunikation durch die zuständigen nationalen Behörden tatsächlich entstanden sind.

 

39        Nach ständiger Rechtsprechung sind bei der Auslegung von Unionsvorschriften nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele der Regelung, zu der sie gehören, zu berücksichtigen (Urteil vom 20. Juni 2022, London Steam-Ship Owners’ Mutual Insurance Association, C‑700/20, EU:C:2022:488, Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

40        Nach Art. 13 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2018/1972 kann die Allgemeingenehmigung für die Bereitstellung elektronischer Kommunikationsnetze oder ‑dienste nur an die in Anhang I dieser Richtlinie genannten Bedingungen geknüpft werden. Satz 2 dieser Bestimmung stellt klar, dass diese Bedingungen nicht diskriminierend, verhältnismäßig und transparent sein müssen. Art. 13 Abs. 3 der Richtlinie 2018/1972 sieht darüber hinaus vor, dass die Allgemeingenehmigung nur die branchenspezifischen Bedingungen enthält, die in den Teilen A bis C des Anhangs I dieser Richtlinie aufgeführt sind. Zu diesen Bedingungen zählt die Ermöglichung der rechtmäßigen Überwachung des Telekommunikationsverkehrs in Nr. 4 des Teils A, der die allgemeinen Bedingungen aufzählt, die an eine Allgemeingenehmigung geknüpft werden können.

 

41        Aus dem Wortlaut dieser Bestimmung ergibt sich, dass der Unionsgesetzgeber, abgesehen von der für die Mitgliedstaaten, die sich dazu entschließen, die Allgemeingenehmigung für die Bereitstellung elektronischer Kommunikationsnetze oder -dienste an die in Teil A Nr. 4 des Anhangs I der Richtlinie 2018/1972 enthaltene Bedingung zu knüpfen, bestehenden Pflicht, diese Bedingung in nicht diskriminierender Weise, verhältnismäßig und transparent aufzulegen, weder vorgeschrieben noch ausgeschlossen hat, dass die betreffenden Mitgliedstaaten die Kosten erstatten, die den betroffenen Unternehmen entstehen, wenn sie die rechtmäßige Überwachung des Telekommunikationsverkehrs entsprechend den Vorgaben dieser Bedingung durchführen.

 

42        Da die Richtlinie 2018/1972 hierzu keine näheren Angaben enthält, verfügen die Mitgliedstaaten in diesem Bereich über einen Ermessensspielraum. Folglich können Art. 13 und Teil A Nr. 4 des Anhangs I dieser Richtlinie nicht dahin verstanden werden, dass sie die Mitgliedstaaten verpflichteten, die Erstattung solcher etwaigen Kosten vorzusehen, geschweige denn deren vollständige Erstattung.

 

43        Dieses Verständnis der genannten Bestimmungen wird sowohl durch den Zusammenhang, in den sich diese einfügen, als auch durch die mit der Richtlinie 2018/1972 verfolgten Ziele untermauert. Zum einen sieht Art. 12 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2018/1972 – der den Inhalt von Art. 3 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2002/20 aufgreift – zwar vor, dass die Mitgliedstaaten die Freiheit, elektronische Kommunikationsnetze und -dienste bereitzustellen, gewährleisten, doch ergibt sich aus dem Wortlaut dieser Bestimmung, dass diese Freiheit nur gemäß den in dieser Richtlinie festgelegten Bedingungen ausgeübt werden kann. Hieraus kann sich mithin keine Erstattungspflicht der Mitgliedstaaten in dem von den betroffenen Telekommunikationsbetreibern behaupteten Sinn ergeben.

 

44        Zum anderen ist festzustellen, dass eine solche Pflicht auch nicht aus den allgemeinen Zielen in Art. 3 der Richtlinie 2018/1972 abgeleitet werden kann, für deren Erreichung die Mitgliedstaaten über die nationalen Regulierungsbehörden und anderen zuständigen Behörden zu sorgen haben. Dies gilt insbesondere für das in Art. 3 Abs. 2 Buchst. b dieser Richtlinie vorgesehene Ziel der Förderung des Wettbewerbs bei der Bereitstellung elektronischer Kommunikationsdienste und das in Buchst. c derselben Bestimmung enthaltene Ziel der Entwicklung des Binnenmarkts, die zuvor im Wesentlichen in Art. 8 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2002/21 enthalten waren. Ihr Wortlaut lässt nämlich keinen Willen des Unionsgesetzgebers erkennen, den Ermessensspielraum der Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der in Teil A Nr. 4 des Anhangs I der Richtlinie 2018/1972 enthaltenen Bedingung über die in den Rn. 41 und 42 des vorliegenden Urteils genannten Anforderungen hinaus zu beschränken.

 

45        Da von diesem Ermessensspielraum unter Wahrung der Grundsätze der Nichtdiskriminierung, der Verhältnismäßigkeit und der Transparenz Gebrauch zu machen ist, muss eine nationale Regelung wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehende, die keine vollständige Erstattung der Kosten vorschreibt, die den Anbietern elektronischer Kommunikationsdienste bei der Ermöglichung der rechtmäßigen Überwachung der elektronischen Kommunikation durch die zuständigen nationalen Behörden tatsächlich entstanden sind, mit diesen Grundsätzen im Einklang stehen, damit Art. 13 in Verbindung mit Art. 3 der Richtlinie 2018/1972 sowie Teil A Nr. 4 des Anhangs I dieser Richtlinie ihr nicht entgegenstehen.

 

46        Im vorliegenden Fall ergibt sich aus dem Vorabentscheidungsersuchen sowie aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten erstens, dass die von der in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung vorgesehenen Erstattungen in Verbindung mit der Bedingung der Ermöglichung der rechtmäßigen Überwachung des Telekommunikationsverkehrs, mit der die Allgemeingenehmigung in Italien verknüpft ist und deren Konformität mit der Richtlinie 2018/1972 nicht bestritten wird, für alle Betreiber von elektronischen Kommunikationsdiensten in Italien vergleichbar sind, da sie auf der Grundlage von einheitlichen Pauschalsätzen vorgesehen sind, die je nach Art der durchgeführten Überwachungsleistung festgelegt sind.

 

47        Zweitens müssen diese Sätze, wie das vorlegende Gericht ausgeführt hat, nach der geltenden italienischen Regelung von der Verwaltung unter Berücksichtigung des technologischen Fortschritts in dem Sektor, infolge dessen bestimmte Leistungen weniger kostenaufwendig geworden sind, sowie des Umstands berechnet werden, dass diese Leistungen für allgemeine Zwecke des öffentlichen Interesses wesentlich sind und nur von den Telekommunikationsbetreibern erbracht werden können.

 

48        Drittens hat das vorlegende Gericht klargestellt, dass die Sätze nach dieser Regelung durch einen förmlichen Verwaltungsakt festgelegt werden, der veröffentlicht und frei einsehbar ist.

 

49        Unter diesen Umständen ist die in den Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung, soweit sie die streitigen Erstattungen vorsieht, offenbar tatsächlich nicht diskriminierend, verhältnismäßig und transparent, was jedoch vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist.

 

50        Darüber hinaus möchte das vorlegende Gericht wissen, ob ein Mitgliedstaat, der vorgesehen hat, dass die Kosten, die den Anbietern von elektronischen Kommunikationsdiensten entstehen, wenn sie gemäß der Richtlinie 2018/1972 die rechtmäßige Überwachung des Telekommunikationsverkehrs ermöglichen, erstattet werden, die Höhe der früher gewährten Erstattungen absenken kann, um Einsparungen bei den öffentlichen Ausgaben zu erzielen. Hierauf ist zu antworten, dass unter Berücksichtigung des Ermessensspielraums, der den Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der in Teil A Nr. 4 des Anhangs I der Richtlinie 2018/1972 vorgesehenen Bedingung eingeräumt wurde, diese Richtlinie einer solchen Absenkung nicht entgegensteht, wenn die in Rede stehende nationale Regelung nicht diskriminierend, verhältnismäßig und transparent ist.

 

51        Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 13 in Verbindung mit Art. 3 der Richtlinie 2018/1972 sowie deren Anhang I Teil A Nr. 4 dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, die keine vollständige Erstattung der Kosten vorschreibt, die den Anbietern elektronischer Kommunikationsdienste bei der Ermöglichung der rechtmäßigen Überwachung der elektronischen Kommunikation durch die zuständigen nationalen Behörden tatsächlich entstanden sind, sofern diese Regelung nicht diskriminierend, verhältnismäßig und transparent ist.

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