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Wirtschaftsrecht
04.04.2024
Wirtschaftsrecht
BGH: Amtshaftung Börse, Rechtskraft eines verwaltungsgerichtlichen Urteils

BGH, Urteil vom 22.2.2024 – III ZR 13/23

ECLI:DE:BGH:2024:220224UIIIZR13.23.0

Volltext: BB-Online BBL2024-770-3

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Amtliche Leitsätze

Für Amtspflichtverletzungen des Organs einer Börse haftet das Land, das den Rechtsträger der Börse durch die Erteilung der Erlaubnis gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 BörsG zu der Errichtung und dem Betrieb der Börse berechtigt und verpflichtet hat.

BGB § 839

a) Zivilgerichte sind im Amtshaftungsprozess an rechtskräftige Entscheidungen von Verwaltungsgerichten im Rahmen ihrer Rechtskraftwirkung (§ 121 VwGO) gebunden (Fortführung von Senat, Urteile vom 12. Juni 2008 - III ZR 38/07, NVwZ-RR 2008, 674 Rn. 15; vom 7. Februar 2008 - III ZR 76/07, BGHZ 175, 221 Rn. 10; vom 9. Dezember 2004 - III ZR 263/04, BGHZ 161, 305, 309 und vom 14. Dezember 2000 - III ZR 151/99, BGHZ 146, 153, 156).

b) Lehnt das Oberverwaltungsgericht einen auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des die Klage als unbegründet abweisenden Urteils des Verwaltungsgerichts gestützten Berufungszulassungsantrag (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) ab, weil es – nach strikter rechtlicher Prüfung - zum Ergebnis kommt, die Klage sei bereits unzulässig, erwächst das vorinstanzliche Urteil nur nach Maßgabe der Gründe des Nichtzulassungsbeschlusses in Rechtskraft, das heißt mit der Begründung, dass die Klage unzulässig war (Anschluss an OVG Sachsen, BeckRS 2022, 42208 Rn. 44; OVG Nordrhein-Westfalen, NVwZ-RR 2020, 186 Rn. 38; VGH Bayern, Beschluss vom 11. Mai 2006 - 8 ZB 06.485, juris Rn. 5).

BGB § 839 I; VwGO §§ 121, 124a Abs. 5 Satz 4

 

Sachverhalt

Die Klägerin, ein Wertpapierhandelsunternehmen, macht gegen das beklagte Land (im Folgenden: Beklagter) Amtshaftungsansprüche geltend unter dem Vorwurf, sie sei durch einen Beschluss des Sanktionsausschusses der Terminbörse E.    D.        (im Folgenden: Börse) vom 20. Mai 2015 amtspflichtwidrig vom dortigen Handel ausgeschlossen worden. Die Nebenintervenientin ist der Rechtsträger der Börse, dem der Beklagte die Erlaubnis zu deren Betrieb erteilt hat.

Die Klägerin ist ein auf Handel mit Futures spezialisiertes Wertpapierhandelsunternehmen mit Sitz in Chicago, USA, das an der Börse zum Handel zugelassen ist. Sie verfolgt eine sogenannte antizipatorische Handelsstrategie, bei der sie Kauf- oder Verkaufsaufträge in das Orderbuch eingibt und diese vor Ausführung löscht, während sie von ihr später eingegebene, entgegengesetzte Orders zur Ausführung kommen lässt.

Der Sanktionsausschuss der Börse verhängte am 24. Juni 2014 sowie am 15. Dezember 2014 Ordnungsgelder gegen die Klägerin in Höhe von 90.000 € beziehungsweise 250.000 € wegen - seiner Auffassung nach - unzulässiger Handelsaktivitäten in zwei Zeiträumen in den Jahren 2013 bis 2014. Durch sofort vollziehbaren Beschluss des Sanktionsausschusses vom 20. Mai 2015 wurden die Klägerin sowie ihr Chief Executive Officer (im Folgenden: CEO) wegen Handelsaktivitäten seit Jahresanfang 2015 für dreißig Handelstage von der Börse ausgeschlossen.

Gegen den Sanktionsbeschluss vom 20. Mai 2015 erhob die Klägerin (nicht dagegen ihr CEO) beim Verwaltungsgericht Frankfurt am Main Anfechtungsklage und stellte einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Fall 2 VwGO. Das Verwaltungsgericht wies mit Verfügung vom 27. Mai 2015 darauf hin, es gehe davon aus, dass die Börse, die dortige Antragsgegnerin, bis zur Entscheidung über den Eilantrag von Vollstreckungshandlungen absehe. Über den Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Fall 2 VwGO entschied das Verwaltungsgericht bis zum Ablauf der in dem Sanktionsbeschluss bestimmten Ausschlussfrist nicht. Die Klägerin nahm in dieser Zeit nicht am Handel an der Börse teil und erhob anschließend Fortsetzungsfeststellungsklage. Diese wies das Verwaltungsgericht - Einzelrichter - durch Urteil vom 12. Januar 2016 (Az.: 2 K 1888/15.F) ab, da der Beschluss des Sanktionsausschusses vom 20. Mai 2015 rechtmäßig sei. Den Antrag auf Zulassung der Berufung lehnte der Hessische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 17. Februar 2017 (Az.: 6 A 490/16.Z) ab. In der Begründung ist ausgeführt, es könne dahinstehen, ob ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur Begründetheit der Fortsetzungsfeststellungsklage bestünden, da alles dafür spreche, dass die Klägerin kein "berechtigtes Interesse" an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Sanktionsbeschlusses habe, so dass sich die Klage als unzulässig erweise.

Die Sanktionsbeschlüsse vom 24. Juni 2014 und 15. Dezember 2014 wurden auf eine von der Klägerin erhobene, in erster Instanz erfolglose Anfechtungsklage vom Hessischen Verwaltungsgerichtshof durch Urteil vom 20. Januar 2021 (Az.: 6 A 2755/16) beziehungsweise Beschluss vom 24. Februar 2022 (Az.: 6 A 215/17) aufgehoben.

Die Klägerin macht geltend, durch den - ihrer Auffassung nach ebenfalls - rechtswidrigen Ausschluss vom Börsenhandel sei ihr ein Gewinn in Höhe von 983.740,86 € entgangen und ein weiterer Schaden aufgrund der dem Handelsausschluss folgenden Reduktion der Handelsaktivitäten entstanden, für den sie im Wege der Teilklage 16.259,14 € beansprucht. Die danach auf Zahlung von insgesamt 1.000.000 € gerichtete Klage ist in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren in vollem Umfang weiter.

Aus den Gründen

7          Die zulässige Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

 

I.

8          Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Schadensersatz aus § 839 Satz 1 BGB i.V.m. Art. 34 Satz 1 GG.

 

9          Zwar könne entgegen der Auffassung des Landgerichts ein Anspruch der Klägerin nicht deshalb verneint werden, weil sie es vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hätte, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden (§ 839 Abs. 3 BGB). Sie habe mit der Anfechtungsklage und dem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO die ihr zumutbaren Rechtsmittel ergriffen. Die Fortsetzung des Handels trotz sofort vollziehbarem Sanktionsbeschluss wäre nicht geeignet gewesen, diesen zu beseitigen oder zu berichtigen.

 

10        Die Abweisung der Klage sei jedoch deshalb im Ergebnis richtig, weil aufgrund der Bindungswirkung des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 12. Januar 2016 für das Amtshaftungsverfahren von der Rechtmäßigkeit des Sanktionsbeschlusses vom 20. Mai 2015 auszugehen sei, so dass es schon an einem amtspflichtwidrigen Verhalten fehle. Das Urteil sei mit Bekanntgabe des Beschlusses des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 17. Februar 2017 formell rechtskräftig geworden. Durch die Abweisung der Fortsetzungsfeststellungsklage sei materiell rechtskräftig die Rechtmäßigkeit des Sanktionsbeschlusses vom 20. Mai 2015 festgestellt.

 

11        Der Bindungswirkung stehe nicht entgegen, dass der Beklagte nicht Partei des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens gewesen sei. Zwar liege insofern weder Parteiidentität vor, noch sei das Land beigeladen gewesen oder hätte nach § 65 Abs. 1 Satz 2 VwGO beigeladen werden müssen. Jedoch müsse unter wertenden Gesichtspunkten im Amtshaftungsprozess eine Bindung an die gegenüber der Börse ergangene verwaltungsgerichtliche Entscheidung auch im Verhältnis zum Beklagten angenommen werden.

 

12        Ein Fall, in dem ausnahmsweise eine Ausnahme von der Bindungswirkung anzunehmen wäre, liege nicht vor. Allein die Unrichtigkeit der Entscheidung genüge hierfür nicht. Die Bindungswirkung müsste - wie hier nicht - zu schlechthin untragbaren Ergebnissen führen.

 

II.

13        Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung nicht in allen Punkten stand.

 

14        1. Zutreffend indessen sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass der Sanktionsausschuss der Börse in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes gehandelt hat (a) und etwaige daraus resultierende Amtshaftungsansprüche sich gegen den Beklagten richten (b).

 

15        a) Aufgaben und Organisation der Börse sind im Börsengesetz geregelt. Danach ist die Börse eine teilrechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts (§ 2 Abs. 1 BörsG) und erbringt ihre Leistungen, die ihrem Gegenstand nach der öffentlichen Daseinsvorsorge zuzuordnen sind, in den Handlungsformen des öffentlichen Rechts. Dies stellt einen hinreichenden Grund für die Anwendbarkeit des Amtshaftungsrechts dar (vgl. Senat, Urteil vom 16. Februar 1995 - III ZR 106/93, BGHZ 129, 23, 24).

 

16        b) Passivlegitimiert ist der Beklagte.

 

17        Nach Art. 34 Satz 1 GG trifft bei Pflichtverletzungen eines Amtsträgers die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst er steht. Entscheidend ist, wer dem Amtsträger das Amt, bei dessen Ausübung er fehlerhaft gehandelt hat, anvertraut, wer mit anderen Worten dem Amtsträger die Aufgabe, bei deren Wahrnehmung die Amtspflichtverletzung erfolgt ist, übertragen hat. Es haftet daher im Regelfall die Körperschaft, die den Amtsträger angestellt und ihm damit die Möglichkeit zur Amtsausübung eröffnet hat. Versagt die Anknüpfung an die Anstellung, weil kein Dienstherr oder mehrere Dienstherren vorhanden sind, richtet sich das Haftungssubjekt danach, wer dem Amtsträger die konkrete - fehlerhaft erfüllte - Aufgabe anvertraut hat (zB Senat, Urteil vom 22. Oktober 2009 - III ZR 295/08, VersR 2010, 346 Rn. 17 mwN).

 

18        Die Börse ist amtshaftungsrechtlich nicht für die Tätigkeit des Sanktionsausschusses verantwortlich. Zwar ist dieser gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 BörsG ein Börsenorgan. Der Börse fehlt indes im Hinblick auf einen Amtshaftungsanspruch die Rechtsfähigkeit. Zwar sind Börsen gemäß § 2 Abs. 1 BörsG teilrechtsfähige Anstalten des öffentlichen Rechts. Gemäß Absatz 11 der genannten Vorschrift sind sie jedoch nur im verwaltungsgerichtlichen Verfahren parteifähig (vgl. auch Kumpan in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, 5. Aufl., § 2 BörsG Rn. 23, 25). Die Inanspruchnahme einer Börse nach Art. 34 Abs. 1 GG vor den ordentlichen Gerichten ist daher nicht möglich.

 

19        Ebenso kommt der Rechtsträger der Börse, die Nebenintervenientin, als Haftungssubjekt nicht in Betracht, da dieser eine juristische Person des Privatrechts ist (vgl. Senat aaO Rn. 14 mwN).

 

20        Passivlegitimiert ist vielmehr das Land, hier also der Beklagte, das den Rechtsträger der Börse durch die Erteilung der Erlaubnis gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 BörsG zu der Errichtung und dem Betrieb der Börse berechtigt und verpflichtet und damit ihm - und durch ihn vermittelt der Börse - diese öffentliche Aufgabe anvertraut hat (OLG Stuttgart, Beschluss vom 11. Juni 2010 - 9 U 64/09, zitiert nach der Stellungnahme des Bundesrats zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Umsetzung der Richtlinie 2010/73/EU und zur Änderung des Börsengesetzes, BT-Drucks. 17/8684, S. 27). Die haftungsrechtliche Verantwortlichkeit des Beklagten wird durch die Regelung zum Regress bei einer Inanspruchnahme des Landes im Wege der Amtshaftung in § 5 Abs. 6 BörsG bestätigt (vgl. BT-Drucks. 17/8684 aaO), ohne dass es darauf ankommt, ob die Erlaubnis gemäß § 4 Abs. 1 BörsG als Beleihung zu qualifizieren ist (so BT-Drucks. 17/8684 aaO; vgl. aber auch Kumpan aaO § 4 BörsG Rn. 4 mwN zum Meinungsstand).

 

21        2. Das Berufungsgericht hat indessen zu Unrecht eine Bindungswirkung des Urteils des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 12. Januar 2016 für den Amtshaftungsprozess angenommen.

 

22        a) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats sind die Zivilgerichte im Amtshaftungsprozess an rechtskräftige Entscheidungen von Verwaltungsgerichten im Rahmen ihrer Rechtskraftwirkung (§ 121 VwGO) gebunden (vgl. nur Senat, Urteile vom 12. Juni 2008 - III ZR 38/07, NVwZ-RR 2008, 674 Rn. 15; vom 7. Februar 2008 - III ZR 76/07, BGHZ 175, 221 Rn. 10; vom 9. Dezember 2004 - III ZR 263/04, BGHZ 161, 305, 309 und vom 14. Dezember 2000 - III ZR 151/99, BGHZ 146, 153, 156; mwN). Diese tritt ein, wenn die Entscheidung der materiellen Rechtskraft fähig und formell rechtskräftig geworden ist. In materieller Hinsicht ist die Bindungswirkung gemäß § 121 VwGO auf den Streitgegenstand beschränkt (vgl. Senat, Urteil vom 7. Februar 2008 aaO Rn. 10; mwN). Wird durch ein rechtskräftiges Urteil eines Verwaltungsgerichts auf eine Anfechtungsklage hin ein Verwaltungsakt aufgehoben, so ist damit zugleich dessen Rechtswidrigkeit festgestellt; in gleicher Weise tritt die Bindung ein, wenn die Wirksamkeit und Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes durch das rechtskräftige Urteil eines Verwaltungsgerichts bejaht und deshalb die Anfechtungsklage aus sachlichen Gründen abgewiesen wird (Senat, Urteil vom 12. Juli 1962 - III ZR 16/61, DVBl. 1962, 75). Ebenso wird durch eine Fortsetzungsfeststellungsklage rechtskräftig über die Rechtmäßigkeit beziehungsweise Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts entschieden (vgl. BVerwGE 116, 1, 2 f; HK-VerwR/Unruh, 5. Aufl., § 121 VwGO Rn. 25; Kilian/Hissnauer in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl., § 121 Rn. 87 f).

 

23        Das Verwaltungsgericht hat vorliegend durch die Abweisung der Fortsetzungsfeststellungsklage festgestellt, dass die Entscheidung des Sanktionsausschusses rechtmäßig ist. Diese Entscheidung ist mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung gemäß § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO formell rechtskräftig geworden.

 

24        b) Das bedeutet indessen nicht, dass das erstinstanzliche Urteil mit dem Inhalt, dass die Klage unbegründet war, materiell rechtskräftig geworden ist. Ein auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des die Klage als unbegründet abweisenden Urteils des Verwaltungsgerichts gestützter Berufungszulassungsantrag (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) ist auch dann abzulehnen, wenn, wie hier, der Verwaltungsgerichtshof - nach strikter rechtlicher Prüfung (siehe hierzu BVerfG, NVwZ 2021, 325 Rn. 34, 36 f; Eyermann/Happ, VwGO, 16. Aufl., § 124 Rn. 12a, 16) - zum Ergebnis kommt, die Klage sei bereits unzulässig, da sich in diesem Fall am Ergebnis der erstinstanzlichen Entscheidung nichts ändert (zB: VGH Hessen, Beschluss vom 17. Februar 2017 - 6 A 490/16.Z mwN; VGH Bayern, NVwZ 2004, 629; WuM 2003, 416; BeckOK VwGO, Posser/Wolff/Decker, 67. Edition, Stand: 1. Juli 2023, § 124 Rn. 25; Eyermann/Happ aaO Rn. 12; Kopp/Schenke/W.-R. Schenke, VwGO, 29. Aufl., § 124 Rn. 7a; vgl. auch BVerwG NVwZ-RR 2004, 542, 543; OVG Niedersachsen, Beschluss vom 13. Januar 2012 - 7 LA 138/11, BeckRS 2012, 45747). Nach verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung erwächst in einer solchen Konstellation das vorinstanzliche Urteil nur nach Maßgabe der Gründe des Nichtzulassungsbeschlusses des Berufungsgerichts in Rechtskraft, das heißt mit der Begründung, dass die Klage unzulässig war (OVG Sachsen, BeckRS 2022, 42208 Rn. 44; OVG Nordrhein-Westfalen, NVwZ-RR 2020, 186 Rn. 38; VGH Bayern, Beschluss vom 11. Mai 2006 - 8 ZB 06.485, juris Rn. 5; so auch zum Revisionszulassungsverfahren BVerwG NVwZ-RR 2012, 86 Rn. 7; Beschluss vom 19. Dezember 2001 - 1 B 217/01, juris Rn. 7; VIZ 1996, 392, 393; aA: OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 17. Oktober 2013 - 1 E 799/13, juris Rn. 7).

 

25        So liegt der Fall hier.

 

26        aa) Im Verwaltungsprozess ist ebenso wie im Zivilprozess der Inhalt einer Entscheidung in erster Linie dem Tenor zu entnehmen. Lässt allerdings die Entscheidungsformel den Inhalt der Entscheidung nicht mit Sicherheit erkennen, sind Tatbestand und Entscheidungsgründe, erforderlichenfalls auch das Parteivorbringen ergänzend heranzuziehen (vgl. BVerwG, NVwZ 2021, 800 Rn. 20; Beschluss vom 28. Januar 2015 - 2 B 15.14, juris Rn. 14 unter Verweis auf BVerwGE 17, 293, 299; 70, 159, 161 sowie Senat, Urteile vom 27. Februar 1961 - III ZR 16/60, BGHZ 34, 337, 339; vom 3. Juli 1961 - III ZR 19/60, BGHZ 35, 338, 340 und vom 17. Februar 1983 - III ZR 174/81, NJW 1983, 2032; vgl. auch BGH, Urteil vom 16. April 2002 - KZR 5/01, GRUR 2002, 915, 916 und vom 5. Juni 1982 - VI ZR 179/80, NJW 1982, 2257).

 

27        bb) Nach diesen Maßstäben ist das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 12. Januar 2016 als Prozessurteil rechtskräftig geworden. Zwar ergibt sich dies nicht aus dem Tenor des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofs über die Nichtzulassung der Berufung. In den Gründen hat er jedoch die Unzulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage als erwiesen bezeichnet, wohingegen er ausdrücklich offengelassen hat, ob die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur Begründetheit dieser Klage ernstlichen Zweifeln unterliegen. Unter Heranziehung der Gründe der Entscheidung ergibt sich damit unzweifelhaft, dass der Verwaltungsgerichtshof das verwaltungsgerichtliche Urteil nicht in der Sache bestätigt, sondern vielmehr entschieden hat, dass eine Sachentscheidung unzulässig sei. Das Urteil des Verwaltungsgerichts entfaltet daher materielle Rechtskraft nur nach Maßgabe des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofs, so dass eine Bindung im Amtshaftungsprozess an die Würdigung, dass der Sanktionsbeschluss rechtmäßig war, nicht bestehen kann.

 

III.

28        Das angefochtene Urteil kann daher keinen Bestand haben. Es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die Sache ist, da sie zur Endentscheidung nicht reif ist, zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 ZPO). Dieses hat - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - keine tatsächlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen eines Amtshaftungsanspruchs der Klägerin, insbesondere zur Amtspflichtwidrigkeit des Sanktionsbeschlusses und zum Verschulden der Amtsträger, getroffen. Dies ist im neuen Verfahren nachzuholen, wobei das Berufungsgericht auch Gelegenheit hat, sich mit den Rügen der Revisionserwiderungen zu befassen, auf die einzugehen der Senat im vorliegenden Verfahrensstadium keine Veranlassung hat.

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