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Wirtschaftsrecht
02.12.2010
Wirtschaftsrecht
BGH: Altfälle

BGH, Beschluss vom 28.10.2010 - VII ZB 15/10

Leitsatz

a) Auch in Altfällen ist eine Geschäftsgebühr nur unter den Voraussetzungen des § 15a Abs. 2 RVG auf die Verfahrensgebühr anzurechen (im Anschluss an BGH, Beschluss vom 9. Dezember 2009 - XII ZB 175/07, FamRZ 2010, 456).

b) Die Rechtskraft einer Entscheidung im Kostenfestsetzungsverfahren über einen Antrag, mit dem eine Verfahrensgebühr unter hälftiger Anrechnung der Geschäftsgebühr geltend gemacht worden ist, steht einer Nachfestset-zung der restlichen Verfahrensgebühr nicht entgegen.

RVG § 15a

Sachverhalt

I. Der Kläger hat den Beklagten auf Zahlung von Kostenvorschuss in An-spruch genommen. Das Landgericht hat den Beklagten antragsgemäß zur Zahlung von 7.691,49 € nebst Zinsen verurteilt und ihm die Kosten des Rechts-streits auferlegt. Im Kostenfestsetzungsverfahren hat der Kläger lediglich eine um die 0,65-fache Geschäftsgebühr ermäßigte Verfahrensgebühr in Ansatz ge-bracht. Das Landgericht hat entsprechend entschieden. Am 5. November 2009 hat der Kläger einen Nachfestsetzungsantrag gestellt und darin die Festsetzung der restlichen Verfahrensgebühr von 318,68 € geltend gemacht, weil die An-rechnung der Geschäftsgebühr zu Unrecht erfolgt sei. Das Landgericht hat den Antrag abgelehnt. Das Beschwerdegericht hat die sofortige Beschwerde zu-rückgewiesen. Hiergegen richtet sich die von ihm zugelassene Rechtsbe-schwerde des Klägers, der seinen Antrag weiterverfolgt.

Aus den Gründen

2          II. Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

3          1. Das Beschwerdegericht ist der Auffassung, die Nachfestsetzung sei unzulässig, da ihr die materielle Rechtskraft des Festsetzungsbeschlusses vom 12. Februar 2009 entgegenstehe. Das Landgericht habe über die Verfahrens-gebühr rechtskräftig entschieden. Daran ändere nichts, dass der Kläger seiner-zeit nur die Kosten der ermäßigten Verfahrensgebühr geltend gemacht habe. Mehr habe ihm nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht zuge-standen. Das Landgericht habe also nicht nur über einen Teil der Verfahrens-gebühr entschieden, sondern über den Erstattungsanspruch in voller Höhe, so wie er dem Kläger zugestanden habe. Demnach bleibe kein Rest, der von den Wirkungen der Rechtskraft ausgenommen und daher einer Nachfestsetzung zugänglich wäre.

4          2. Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Der Nachfestset-zungsantrag ist begründet. Eine Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Ver-fahrensgebühr findet nicht statt (a). Einer Nachfestsetzung steht die Rechtskraft des Beschlusses des Landgerichts Chemnitz vom 12. Februar 2009 nicht ent-gegen (b).

5          a) Der Bundesgerichtshof hat bis zur Einführung des § 15a RVG durch Artikel 7 Abs. 4 Nr. 3 des Gesetzes zur Modernisierung von Verfahren im an-waltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften vom 30. Juli 2009 entschieden, dass die Anrechnung der Geschäftsgebühr gemäß Vorbe-merkung 3 Abs. 4 RVG VV Nr. 3100 auch im Kostenfestsetzungsverfahren zu berücksichtigen sei (vgl. grundlegend BGH, Beschluss vom 22. Januar 2008 - VIII ZB 57/07, NJW 2008, 1323).

6          Nach Inkrafttreten des § 15a RVG vertreten alle mit der Entscheidung befassten Senate des Bundesgerichtshofs teilweise unter Aufgabe ihrer bishe-rigen Rechtsprechung die Auffassung, dass durch § 15a RVG lediglich eine Klarstellung der bisherigen Rechtslage erfolgt ist (BGH, Beschluss vom 2. September 2009 - II ZB 35/07, NJW 2009, 3101 Rn. 8; Beschluss vom 9. De-zember 2009 - XII ZB 175/07, FamRZ 2010, 456 Rn. 16; Beschluss vom 11. März 2010 - IX ZB 82/08, AGS 2010, 159 Rn. 6; Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 38/10, AGS 2010, 263 Rn. 8; Beschluss vom 10. August 2010 - VIII ZB 15/10, bei juris). Danach findet auch für Kostenfestsetzungen vor In-krafttreten dieser Norm eine Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfah-rensgebühr nur unter den in § 15a Abs. 2 RVG genannten Voraussetzungen statt. Der VII. Zivilsenat schließt sich dieser Rechtsprechung an und nimmt zur Begründung Bezug auf die Entscheidung des XII. Zivilsenats vom 9. Dezember 2009 (XII ZB 175/07, aaO).

7          b) Danach ist auf den Nachfestsetzungsantrag des Klägers eine weitere Verfahrensgebühr in Höhe von 318,68 € nebst Zinsen festzusetzen. Dieser Festsetzung steht nicht die Rechtskraft des Kostenfestsetzungsbeschlusses des Landgerichts vom 12. Februar 2009 entgegen.

8            Zutreffend geht das Beschwerdegericht davon aus, dass Kostenfestset-zungsbeschlüsse der materiellen Rechtskraft fähig sein können (vgl. BGH, Be-schluss vom 16. Januar 2003 - V ZB 51/02, NJW 2003, 1462). Rechtsfehlerhaft ist jedoch die Annahme, über den im Nachfestsetzungsverfahren geltend ge-machten Teil der Verfahrensgebühr sei bereits entschieden. Dieser war nicht Gegenstand der Entscheidung vom 12. Februar 2009.

9          aa) Die Rechtskraft eines Kostenfestsetzungsbeschlusses bezieht sich nur auf die im Antrag geforderten und im Beschluss beschiedenen Beträge. Ei-ne Nachforderung eines bislang nicht geltend gemachten Teils bezüglich des-selben Postens hindert sie grundsätzlich nicht (Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Aufl., § 103 Rn. 12; PG/K. Schmidt, ZPO, 2. Aufl., § 103 Rn. 27; MünchKommZPO/Giebel, 3. Aufl., § 104 Rn. 128 f.; vgl. OLG Stuttgart, MDR 2009, 1136, zur Nachfestsetzung der Umsatzsteuer; BVerfG, Rpfleger 1995, 476, zur Nachfestsetzung der Erhöhungsgebühr für Mehrvertretung). Dies deckt sich auch mit dem allgemeinen Verständnis der Rechtskraftwirkung bei offenen (BGH, Urteil vom 30. Januar 1985 - IVb ZR 67/83, BGHZ 93, 330) und verdeck-ten Teilklagen (BGH, Urteil vom 9. April 1997 - IV ZR 113/96, BGHZ 135, 178). Danach ergreift die Rechtskraft des Urteils nur den geltend gemachten An-spruch im beantragten Umfang; eine Erklärung des Klägers, er behalte sich darüber hinausgehende Ansprüche vor, ist nicht erforderlich. Soweit ein Antrag nur beschränkt geltend gemacht worden ist, ist grundsätzlich über den über-schießenden Teil nicht entschieden.

10        bb) Soweit in der Rechtsprechung von diesen Grundsätzen Ausnahmen gemacht worden sind (vgl. dazu BGH, Urteil vom 9. April 1997 - IV ZR 113/96, BGHZ 135, 178, 182 m.w.N.), handelt es sich um besonders gelagerte Sach-verhalte, deren Voraussetzungen nicht vorliegen. Der Kläger hat insbesondere durch seinen Antrag nicht zum Ausdruck gebracht, dass er eine abschließende, eine Nachforderung ausschließende Entscheidung über die Berücksichtigung der Verfahrensgebühr nur in gekürztem Umfang haben wollte. Allein der Um-stand, dass er auf der Grundlage der damals gefestigten Rechtsprechung da-von ausging, ihm stünde nur eine gekürzte Gebühr zu, rechtfertigt diese An-nahme nicht. Etwas anderes kann auch nicht aus der Entscheidung des V. Zivilsenats vom 16. Januar 2003 (V ZB 51/02, NJW 2003, 1462) hergeleitet werden. Diese Entscheidung befasst sich lediglich mit der Auslegung eines Kostenfestsetzungsbeschlusses hinsichtlich des Zinsanspruchs und kann zu der hier entscheidungserheblichen Frage nichts beitragen.

11        cc) Der Kläger hat von vornherein nur eine um die hälftige Geschäftsge-bühr gekürzte Verfahrensgebühr in Ansatz gebracht. Das Landgericht hat dem-gemäß auch nur darüber entschieden, dass dem Kläger eine Verfahrensgebühr in dieser Höhe zusteht. Eine Entscheidung über die Frage, ob dem Kläger eine höhere Verfahrensgebühr zusteht, hat es nicht getroffen. Demgemäß hat es auch über die höhere Verfahrensgebühr nicht rechtskräftig entschieden. Eine Nachfestsetzung des Teils der Verfahrensgebühr, über die im Kostenfestset-zungsverfahren nicht entschieden worden ist, weil eine anteilige Geschäftsge-bühr von vornherein im Antrag abgezogen worden ist, ist danach möglich (vgl. auch N. Schneider, FamRZ 2009, 1823, 1824; Hansens, RVG-Report 2009, 354, 355; ders. RVG-Report 2009, 417, 418; Thiel, AGS 2010, 308).

12        3. Die angefochtenen Beschlüsse sind danach aufzuheben. Da die Sa-che zur Endentscheidung reif ist (§ 577 Abs. 5 ZPO), entscheidet der Senat selbst und gibt dem Nachfestsetzungsantrag in beantragter Höhe statt.

13        4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

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