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Wirtschaftsrecht
06.06.2019
Wirtschaftsrecht
OLG Hamm: Allgemeiner Gerichtsstand einer GmbH – unverbindlicher Verweisungsbeschluss

OLG Hamm, Beschluss vom 18.3.2019 – 32 SA 11/19

ECLI:DE:OLGHAM:2019:0318.32SA11.19.00

Volltext: BB-ONLINE BBL2019-1346-4

 

Amtliche Leitsätze

Der allgemeine Gerichtsstand einer GmbH wird durch ihren (satzungsmäßigen) Sitz bestimmt. Ein Verweisungsbeschluss, der sich mit diesem Sitz nicht befasst, obwohl von Seiten der Parteien ausdrücklich auf den in der Satzung festgelegten Sitz hingewiesen wurde, kann unverbindlich sein. Die Voraussetzungen für eine Gerichtsstandbestimmung gem. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen nicht vor, wenn keines der am Zuständigkeitskonflikt beteiligten Gerichte zuständig ist. In diesem Fall kann ein - unverbindlicher - Verweisungsbeschluss aufzuheben und die Sache an das verweisende Gericht zurückzugeben sein, damit dieses über eine Verweisung erneut entscheiden kann.

Sachverhalt

I.

Der Rechtsstreit liegt dem Senat zur Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO vor.

Dem Rechtsstreit liegt – soweit für das Zuständigkeitsbestimmungsverfahren von Belang – im Kern folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Klägerin – eine Agentur für Unternehmensfilme und Fotografie – nimmt die Beklagte vor dem Amtsgericht I für von ihr im Jahr 2018 erbrachte Leistungen („Filmdokumentation Fachausbildung“) aus Rechnungen vom 07.03.2018, 19.03.2018 und 26.04.2018 auf Zahlung von insgesamt 7.142,39 € nebst Zinsen in Anspruch. Ausweislich des Handelsregisterauszuges des Amtsgerichts Münster, HRB 15395, hat die Beklagte ihren satzungsmäßigen Sitz in N (Landgerichtsbezirk N), ihre Geschäftsanschrift hingegen in N2 (Landgerichtsbezirk B). Dem Klageverfahren ist ein vor dem Amtsgericht I – Mahnabteilung – geführtes Mahnverfahren mit dem Aktenzeichen 18-2157570-0-3 vorausgegangen. Als Prozessgericht, an das im Falle des Widerspruchs das Verfahren abzugeben sei, hatte die Klägerin das Amtsgericht I benannt.

Nach erfolgtem Widerspruch gegen den Mahnbescheid hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 16.08.2018 u.a. beantragt, den Rechtsstreit mit Blick auf die Klagesumme und den Sitz der Beklagten „an das zuständige Landgericht N“ zu verweisen.

Daraufhin hat das Amtsgericht I mit Verfügung vom 21.08.2018 darauf hingewiesen, dass es nur als zentrales Mahngericht zuständig gewesen sei und eine Zuständigkeit als Prozessgericht fehle, und zugleich angefragt, ob „von Klägerseite Verweisung an das zuständige Landgericht für N2 beantragt“ werde.

Mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 29.08.2018 hat die Klägerin darauf hingewiesen, dass bereits Verweisung an das gemäß § 17 Abs. 1 S. 1 ZPO zuständige Landgericht N beantragt worden sei. An diesem Verweisungsantrag halte sie fest. Denn der statuarische Sitz der Beklagten sei, wie aus dem überreichten HRB-Auszug ersichtlich, N. Überdies sei auf der Internetseite der Beklagten deren Anschrift T-Straße – ## in N angegeben und auch dort als Sitz N ausgewiesen.

Daraufhin hat das Amtsgericht I mit Verfügung vom 27.09.2018 „nochmals auf § 17 Abs. 1 S. 2 ZPO hingewiesen. Kl. mag Verweis an LG B beantragen.“

Daraufhin hat die Klägerin Bezug nehmend auf den v.g. Hinweis mit Schriftsatz vom 11.10.2018 beantragt, den Rechtsstreit an das Landgericht B zu verweisen.

Sodann hat sich das Amtsgericht I mit Beschluss vom 13.11.2018 ohne nähere Begründung unter Bezugnahme auf die §§ 281, 3, 17, 29 ZPO für örtlich und sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht B verwiesen.

Mit Verfügung vom 05.12.2018 hat das Landgericht B die Parteien darauf hingewiesen, dass es die vom Amtsgericht I vorgenommene Verweisung für evident gesetzeswidrig und damit willkürlich und nichtig halte. Gemäß § 17 ZPO sei nur das Landgericht N zuständiges Gericht, weil dort die Beklagte ihren satzungsmäßigen Sitz habe. Der Umstand, dass der Geschäftsführer der Beklagten seinen Wohnsitz im Bezirk des Landgerichts B habe, ändere an der satzungsmäßigen Bestimmung des Geschäftssitzes nicht. Es sei daher beabsichtigt, den Rechtsstreit an das Amtsgericht I zurückzuverweisen, damit er von dort aus an das zuständige Gericht verwiesen werden könne.

Mit Schriftsatz vom 11.12.2018 hat sich die Klägerin der Rechtsauffassung des Landgerichts B angeschlossen.

Daraufhin hat das Landgericht B die Übernahme des Rechtsstreits mit Beschluss vom 02.01.2019 abgelehnt, sich für örtlich unzuständig erklärt und die Sache an das Amtsgericht I zurückverwiesen.

Das Amtsgericht I wiederum hat die Sache dem Oberlandesgericht Hamm zum Zwecke der Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 ZPO vorgelegt. Da der Handelsregisterauszug eine Anschrift im Bezirk des Landgerichts B aufweise, sei diese gemäß § 17 ZPO zuständig. Denn es komme nicht auf den statuarischen, sondern den effektiven Geschäftssitz an. Eine Tätigkeit der Beklagten in N sei jedoch nicht vorgebracht.

Der Senat hat die Parteien mit Verfügung vom 01.02.2019 angehört. Hierzu haben sie keine Stellungnahme abgegeben.

Aus den Gründen

II.

Die Voraussetzungen einer Bestimmung des Gerichtsstands gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen im Ergebnis nicht vor.

1.

Das Amtsgericht I und das Landgericht B haben sich zwar beide im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO rechtskräftig für unzuständig erklärt. Das Amtsgericht I hat den Rechtsstreit durch den grundsätzlich gemäß § 281 Abs. 2 S. 2 ZPO unanfechtbaren und den Parteien bekannt gemachten Beschluss vom 13.11.2018 an das Landgericht B verwiesen. Das Landgericht B hat durch den Parteien ebenfalls bekannt gemachten Beschluss vom 02.01.2019 die Übernahme des Verfahrens abgelehnt und den Rechtsstreit an das Amtsgericht I zum Zwecke der Verweisung an das zuständige Landgericht N zurückverwiesen.

2.

Das Oberlandesgericht Hamm ist gemäß § 36 Abs. 2 ZPO an sich auch zur Entscheidung über den Zuständigkeitsstreit berufen, da das zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht der Bundesgerichtshof ist und das Amtsgericht I als das zuerst mit der Sache befasste Gericht zum hiesigen Bezirk gehört.

3.

Das Landgericht B ist an den Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts I vom 13.11.2018 nicht gebunden.

Gemäß § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO sind Verweisungsbeschlüsse grundsätzlich bindend, da - im Einklang mit der in § 281 Abs. 2 S. 2 ZPO normierten Unanfechtbarkeit von Verweisungsbeschlüssen - im Interesse der Prozessökonomie das Verfahren verzögernde Zuständigkeitsstreitigkeiten vermieden werden sollen. Eine Bindung an den Verweisungsbeschluss ist nur ausnahmsweise zu verneinen, wenn der Verweisungsbeschluss nicht mehr als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen anzusehen ist, etwa weil er auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs beruht, nicht durch den gesetzlichen Richter erlassen wurde oder jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich betrachtet werden muss. Hierfür genügt nicht, dass der Beschluss inhaltlich unrichtig oder fehlerhaft ist (st. Rspr., z.B. BGH, Beschluss vom 09.06.2015, X ARZ 115/15, juris Rn 9; BGH, Beschluss vom 17.05.2011, X ARZ 109/11, juris Rn 12; Senat, Beschluss vom 29.07.2011, 32 SA 57/11, juris Rn 19). Willkür liegt vielmehr erst dann vor, wenn der Verweisungsbeschluss einen über einen einfachen Rechtsfehler hinausgehenden, schwerwiegenden Fehler aufweist, der unter Umständen begangen wurde, die den Verweisungsbeschluss in der Gesamtbetrachtung bei verständiger Würdigung als schlechterdings nicht mehr nachvollziehbar und offensichtlich unhaltbar erscheinen lassen (BGH, Beschluss vom 09.06.2015, X ARZ 115/15, juris Rn 11 m.w.N.).

Zwar lässt ein einfacher Rechtsirrtum die Bindungswirkung noch nicht entfallen. Verneint wird die Bindung aber z.B. (zum Ganzen: Greger in Zöller, ZPO 32. Aufl., § 281 Rn 17 m.w.N.) bei evident falscher Erfassung von Sachverhalt, Klagebegehren oder Zuständigkeitsstreitwert oder sonst ohne nachvollziehbare Begründung der Zuständigkeit des anderen Gerichts (vgl. BayObLG; Beschluss v. 09.09.1993, 1Z AR 25/93, NJW-RR 94, 891). Die Bindungswirkung kann deshalb schon fehlen, wenn der Beschluss wegen fehlender Begründung nicht erkennen lässt, dass sich das Gericht mit einer fast einhellig gegenteiligen Rechtsansicht auseinander gesetzt hat (Senat, Beschluss v. 14.05.2014, I-32 SA 32/14, MDR 2014, 1106).

Gemessen an diesen Grundsätzen fehlt der Verweisung des Amtsgerichts Hagen an das Landgericht B die Bindungswirkung. Zwar ist das Amtsgericht I selbst im Ergebnis weder örtlich noch sachlich zur Entscheidung des Rechtsstreits berufen. Ganz offensichtlich ist jedoch auch eine örtliche Zuständigkeit des Landgerichts B nicht gegeben, worauf die Klägerin bereits mit Schriftsatz vom 29.08.2018 zutreffend hingewiesen hatte. Denn gemäß § 17 Abs. 1 S. 1 ZPO wird der allgemeine Gerichtsstand von Gesellschaften, die – wie die beklagte GmbH – als solche verklagt werden können, durch ihren (satzungsmäßigen) Sitz bestimmt. Bei den juristischen Personen des Privatrechts – zu denen die Beklagte gehört – ist die satzungsmäßige Festlegung des Sitzes und Registerpublizität vorgeschrieben (hier: gemäß § 10 GmbHG). Dieser ist deshalb in erster Linie maßgeblich für die Bestimmung des allgemeinen Gerichtsstandes juristischer Personen. Nur wenn es an einem solchen, eindeutig (satzungsmäßig u.s.w.) bestimmten (inländischen) Sitz fehlt, kommt es zur Bestimmung des allgemeinen Gerichtsstandes gemäß § 17 Abs. 1 S. 2 ZPO auf den Ort an, wo die Verwaltung geführt wird. Ausweislich des von der Klägerin vorgelegten Handelsregisterauszuges hat die Beklagte ihren satzungsmäßigen Sitz in N, wo sich dementsprechend auch gemäß § 17 Abs. 1 S. 1 ZPO ihr allgemeiner Gerichtsstand befindet. Damit hat sich das Amtsgericht I in seinem Verweisungsbeschluss vom 13.11.2018 indes nicht ansatzweise befasst, obwohl die Klägerin mit Schriftsatz vom 29.08.2018 genau hierauf ausdrücklich – und zutreffend – hingewiesen hatte. Stattdessen hat es in seinem Verweisungsbeschluss lediglich auf die „§§ 281, 3, 17, 29 ZPO“ Bezug genommen, ohne sich mit der maßgeblichen Frage, dass es auf den im Handelsregister publizierten, satzungsmäßigen Sitz der Beklagten ankommt, auseinanderzusetzen.

4.

Die Voraussetzungen für eine Bestimmung des Gerichtsstands liegen im Ergebnis gleichwohl nicht vor. Denn nach dem Wortlaut des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO muss eines der Gerichte, die sich für unzuständig erklärt haben, tatsächlich zuständig sein, woran es vorliegend fehlt. Eine Gerichtsstandsbestimmung ist deshalb abzulehnen, wenn – wie vorliegend das Landgericht N – ein drittes Gericht zuständig ist (vgl. Senat, Beschluss v. 26.06.2015, I-32 SA 29/15, Zitat nach juris, Rn 10; OLG Frankfurt, Beschluss v. 27.04.2018, 13 SV 1/18, Zitat nach juris, Rn 12; Schultzky in Zöller, ZPO 32. Aufl., § 36 Rn 37). Die Rechtsprechung lässt von diesem Erfordernis aus Gründen der Prozessökonomie (eine) Ausnahme nur dann zu, wenn ein drittes (am Kompetenzkonflikt nicht beteiligtes) Gericht ausschließlich zuständig ist und der erforderliche Verweisungsantrag bereits im Bestimmungsverfahren gestellt wird (vgl. BGH NJW 1978, 1163; BayObLG NJW-RR 2000, 67; Schultzky a.a.O. m.w.N.). Ein solcher Gerichtsstand ist beim Landgericht N jedoch ersichtlich nicht eröffnet.

Dementsprechend war der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts I vom 13.11.2018 aufzuheben und die Sache dorthin zurückzugeben (vgl. Senat, Beschluss v. 26.06.2015, I-32 SA 29/15, Zitat nach juris, Rn 10; OLG Frankfurt, Beschluss v. 27.04.2018, 13 SV 1/18, Zitat nach juris, Rn 12; Schultzky a.a.O.). Das Amtsgericht I wird den Rechtsstreit sodann, wie von der Klägerin ursprünglich beantragt, an das zuständige Landgericht N zu verweisen haben.

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