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Wirtschaftsrecht
15.05.2025
Wirtschaftsrecht
EuGH: Alleinvertriebsvereinbarung und Auslegung von Art. 4 Buchst. b Ziff. i der VO (EU) Nr. 330/2010 (Beevers Kaas)

EuGH, Urteil vom 8.5.2025 – C-581/23, Beevers Kaas BV gegen Albert Heijn België NV u. a.

ECLI:EU:C:2025:323

Volltext: BB-Online BBL2025-1153-2

unter www.betriebs-berater.de

Tenor

1. Art. 4 Buchst. b Ziff. i der Verordnung (EU) Nr. 330/2010 der Kommission vom 20. April 2010 über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 [AEUV] auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen ist dahin auszulegen, dass, wenn ein Anbieter einem seiner Abnehmer ein Gebiet ausschließlich zugewiesen hat, die bloße Feststellung, dass die anderen Abnehmer dieses Anbieters nicht aktiv in dieses Gebiet verkaufen, nicht ausreicht, um für die Zwecke der Anwendung dieser Bestimmung das Vorliegen einer Vereinbarung zwischen dem Anbieter und den anderen Abnehmern über das Verbot des aktiven Verkaufs in dieses Gebiet nachzuweisen.

2. Art. 4 Buchst. b Ziff. i der Verordnung Nr. 330/2010 ist dahin auszulegen, dass die in dieser Bestimmung vorgesehene Ausnahme für den Zeitraum gewährt wird, für den nachgewiesen ist, dass eine Zustimmung der Abnehmer eines Anbieters zu dessen Aufforderung vorliegt, nicht aktiv in das einem anderen Abnehmer ausschließlich zugewiesene Gebiet zu verkaufen.

 

Aus den Gründen

1          Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 Buchst. b Ziff. i der Verordnung (EU) Nr. 330/2010 der Kommission vom 20. April 2010 über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 [AEUV] auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen (ABl. 2010, L 102, S. 1).

 

2          Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Beevers Kaas BV auf der einen und der Albert Heijn België NV, der Koninklijke Ahold Delhaize NV, der Albert Heijn BV und der Ahold België BV (im Folgenden zusammen: Albert-Heijn-Gesellschaften) auf der anderen Seite wegen Verletzung der zwischen Beevers Kaas und der B. A. Coöperatieve Zuivelonderneming Cono (im Folgenden: Cono) bestehenden Alleinvertriebsvereinbarung für den Vertrieb von Beemster-Käse in Belgien und in Luxemburg (im Folgenden: im Ausgangsverfahren in Rede stehende Alleinvertriebsvereinbarung) durch die Albert-Heijn-Gesellschaften.

 

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3          Die Verordnung Nr. 330/2010, die nach Ansicht des vorlegenden Gerichts auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbar ist, trat mit Wirkung zum 1. Juni 2010 an die Stelle der Verordnung (EG) Nr. 2790/1999 der Kommission vom 22. Dezember 1999 über die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 [EG] auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen (ABl. 1999, L 336, S. 21). Gemäß Art. 10 Abs. 2 der Verordnung Nr. 330/2010 galt diese bis zum 31. Mai 2022.

 

4          Gemäß Art. 11 der Verordnung (EU) 2022/720 der Kommission vom 10. Mai 2022 über die Anwendung des Artikels 101 Absatz 3 [AEUV] auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen (ABl. 2022, L 134, S. 4) trat diese Verordnung am 1. Juni 2022 in Kraft und gilt bis zum 31. Mai 2034.

 

Verordnung Nr. 330/2010

5          Art. 2 („Freistellung“) Abs. 1 der Verordnung Nr. 330/2010 sah vor:

„Nach Artikel 101 Absatz 3 AEUV und nach Maßgabe dieser Verordnung gilt Artikel 101 Absatz 1 AEUV nicht für vertikale Vereinbarungen.

Diese Freistellung gilt, soweit solche Vereinbarungen vertikale Beschränkungen enthalten.“

 

6          Art. 4 („Beschränkungen, die zum Ausschluss des Rechtsvorteils der Gruppenfreistellung führen – Kernbeschränkungen“) dieser Verordnung bestimmte:

„Die Freistellung nach Artikel 2 gilt nicht für vertikale Vereinbarungen, die unmittelbar oder mittelbar, für sich allein oder in Verbindung mit anderen Umständen unter der Kontrolle der Vertragsparteien Folgendes bezwecken:

b)         die Beschränkung des Gebiets oder der Kundengruppe, in das oder an die ein an der Vereinbarung beteiligter Abnehmer, vorbehaltlich einer etwaigen Beschränkung in Bezug auf den Ort seiner Niederlassung, Vertragswaren oder ‑dienstleistungen verkaufen darf, mit Ausnahme

i)          der Beschränkung des aktiven Verkaufs in Gebiete oder an Kundengruppen, die der Anbieter sich selbst vorbehalten oder ausschließlich einem anderen Abnehmer zugewiesen hat, sofern dadurch der Verkauf durch die Kunden des Abnehmers nicht beschränkt wird,

…“

 

Leitlinien von 2010

7          Die Leitlinien für vertikale Beschränkungen (ABl. 2010, C 130, S. 1, im Folgenden: Leitlinien von 2010) wurden von der Europäischen Kommission parallel zum Erlass der Verordnung Nr. 330/2010 veröffentlicht.

 

8          In Rn. 25 der Leitlinien von 2010 heißt es:

„Die Definition vertikaler Vereinbarungen in Randnummer 24 beruht auf vier zentralen Elementen:

a)         Die [Verordnung Nr. 330/2010] ist auf Vereinbarungen zwischen Unternehmen und auf abgestimmte Verhaltensweisen anwendbar. Einseitige Handlungen beteiligter Unternehmen fallen nicht unter die [Verordnung Nr. 330/2010]. Sie können aber unter Artikel 102 AEUV fallen, der die missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung verbietet. Eine Vereinbarung im Sinne von Artikel 101 AEUV liegt bereits dann vor, wenn die Beteiligten ihrer gemeinsamen Absicht Ausdruck verliehen haben, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten. Hierbei ist die Ausdrucksform unerheblich, sofern sie den Willen der beteiligten Unternehmen getreu wiedergibt. Ist keine explizite Vereinbarung über eine Willensübereinstimmung auffindbar, obliegt es der Kommission nachzuweisen, dass das einseitige Handeln eines Unternehmens mit Zustimmung der übrigen beteiligten Unternehmen erfolgte. Bei vertikalen Vereinbarungen kann die Zustimmung zu einem bestimmten einseitigen Handeln auf zwei Wegen erklärt werden: Im ersten Fall leitet sich die Zustimmung aus den Befugnissen ab, die den beteiligten Unternehmen im Rahmen einer vorab getroffenen Vereinbarung übertragen werden. Wenn die vorab getroffene Vereinbarung vorsieht oder einem beteiligten Unternehmen die Möglichkeit einräumt, nachfolgend ein bestimmtes einseitiges Verhalten zu verfolgen, das für ein anderes Unternehmen bindend ist, so kann hieraus die Zustimmung dieses Unternehmens zu dem Verhalten abgeleitet werden … Wurde, zweitens, eine derart explizite Zustimmung nicht erteilt, so kann die Kommission das Vorliegen einer stillschweigenden Zustimmung nachweisen. Zu diesem Zweck ist zuerst darzulegen, dass ein beteiligtes Unternehmen die Mitwirkung des anderen Unternehmens bei der Verwirklichung seines einseitigen Handelns ausdrücklich oder stillschweigend verlangt, und zweitens ist nachzuweisen, dass das andere beteiligte Unternehmen dieser Forderung nachgekommen ist, indem es dieses einseitige Verhalten in die Praxis umgesetzt hat … Beispielsweise ist von einer stillschweigenden Zustimmung zum einseitigen Handeln eines Anbieters auszugehen, wenn dieser einseitig eine Lieferverringerung ankündigt, um parallelen Handel auszuschließen, und die Händler ihre Aufträge unverzüglich verringern und sich aus dem parallelen Handel zurückziehen. Dieser Schluss kann allerdings nicht gezogen werden, wenn die Händler weiterhin parallelen Handel betreiben oder nach neuen Möglichkeiten für parallelen Handel suchen. Bei vertikalen Vereinbarungen kann eine stillschweigende Zustimmung gleichermaßen aus dem Grad des Zwangs abgeleitet werden, den ein beteiligtes Unternehmen ausübt, um sein einseitiges Handeln bei dem oder den anderen an der Vereinbarung beteiligten Unternehmen durchzusetzen, in Kombination mit der Anzahl an Händlern, die das einseitige Handeln des Anbieters praktisch umsetzen. So weist beispielsweise ein System von Überwachung und Bestrafung, das ein Anbieter einführt, um jene Händler abzustrafen, die sein einseitiges Handeln nicht unterstützen, auf eine stillschweigende Zustimmung zum einseitigen Handeln des Anbieters hin, weil es dem Anbieter durch dieses System möglich ist, seine Strategie umzusetzen. Beide in dieser Randnummer genannten Möglichkeiten, eine stillschweigende Zustimmung zu erhalten, können gemeinsam Anwendung finden.

…“

 

9          Rn. 51 der Leitlinien von 2010 lautet:

„Zu der in Artikel 4 Buchstabe b [der Verordnung Nr. 330/2010] beschriebenen Kernbeschränkung gibt es vier Ausnahmebestimmungen. Nach der ersten Ausnahme in Artikel 4 Buchstabe b Ziffer i kann der Anbieter den aktiven Verkauf durch einen an der Vereinbarung beteiligten Abnehmer in Gebiete oder an Kundengruppen beschränken, die er ausschließlich einem anderen Abnehmer zugewiesen oder sich selbst vorbehalten hat. Ein Gebiet oder eine Kundengruppe ist ausschließlich zugewiesen, wenn sich der Anbieter verpflichtet, sein Produkt nur an einen Händler zum Vertrieb in einem bestimmten Gebiet oder an eine bestimmte Kundengruppe zu verkaufen, und der Alleinvertriebshändler, unabhängig von den Verkäufen des Anbieters, vor aktivem Verkauf in sein Gebiet oder an seine Kundengruppe durch alle anderen Abnehmer des Anbieters innerhalb der [Europäischen] Union geschützt wird. Der Anbieter darf die mit einem Ausschließlichkeitsrecht verbundene Zuweisung eines Gebietes und einer Kundengruppe beispielsweise dadurch miteinander verknüpfen, dass er einem Händler den Alleinvertrieb an eine bestimmte Kundengruppe in einem bestimmten Gebiet überlässt. Der Schutz des Alleinvertriebs in zugewiesenen Gebieten oder an zugewiesene Kundengruppen darf jedoch den passiven Verkauf in diesen Gebieten oder an diese Kunden nicht verhindern. Für die Anwendung des Artikels 4 Buchstabe b [der Verordnung Nr. 330/2010] definiert die Kommission den ‚aktiven‘ und den ‚passiven‘ Verkauf wie folgt:

–            ‚Aktiver‘ Verkauf bedeutet die aktive Ansprache einzelner Kunden, z. B. mittels Direktwerbung einschließlich Massen-E‑Mails oder persönlichen Besuchs, oder die aktive Ansprache einer bestimmten Kundengruppe oder von Kunden in einem bestimmten Gebiet mittels Werbung in den Medien, über das Internet oder mittels anderer verkaufsfördernder Maßnahmen, die sich gezielt an die betreffende Kundengruppe oder gezielt an die Kunden in dem betreffenden Gebiet richten. Werbung oder verkaufsfördernde Maßnahmen, die für den Abnehmer nur interessant sind, wenn sie (auch) eine bestimmte Kundengruppe oder Kunden in einem bestimmten Gebiet erreichen, gelten als ‚aktiver‘ Verkauf an diese Kundengruppe oder an die Kunden in diesem bestimmten Gebiet.

…“

 

Belgisches Recht

10        Art. VI.104 des Wetboek van economisch recht (Wirtschaftsgesetzbuch) sieht vor:

„Handlungen, die ehrlichen Marktpraktiken zuwiderlaufen und durch die ein Unternehmen den beruflichen Belangen eines oder mehrerer anderer Unternehmen schadet oder schaden kann, sind verboten.“

 

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

11        Beevers Kaas ist Alleinvertriebshändlerin für Beemster-Käse in Belgien, den das Unternehmen vom Hersteller Cono bezieht, der seinerseits in den Niederlanden ansässig ist.

 

12        Am 1. Januar 1993 schlossen Cono und Beevers Kaas die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Alleinvertriebsvereinbarung.

 

13        Die Albert-Heijn-Gesellschaften sind in der Supermarktbranche in Belgien und in den Niederlanden tätig. Sie sind Abnehmer von Beemster-Käse, der von Cono für die Märkte außerhalb Belgiens und Luxemburgs hergestellt wird.

 

14        Beevers Kaas wirft den Albert Heijn-Gesellschaften vor, sich als Dritte an einer Verletzung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Alleinvertriebsvereinbarung beteiligt zu haben, was ihrer Ansicht nach einen Verstoß gegen Art. VI.104 des Wirtschaftsgesetzbuchs darstellt. Dieser Verstoß ergebe sich aus den Wiederverkaufstätigkeiten, die diese Gesellschaften in Belgien unternommen hätten, obwohl sie gewusst hätten, dass zwischen Cono und Beevers Kaas eine Alleinvertriebsvereinbarung bestanden habe.

 

15        Nach Ansicht der Albert-Heijn-Gesellschaften versuchen Beevers Kaas und Cono, ihnen ein unzulässiges Wiederverkaufsverbot aufzuerlegen. Sie vertreten insoweit die Auffassung, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Alleinvertriebsvereinbarung, da sie Cono nicht verpflichte, Beevers Kaas vor dem aktiven Verkauf durch andere Händler zu schützen, nicht die strengen wettbewerbsrechtlichen Voraussetzungen für die Rechtfertigung eines Wiederverkaufsverbots erfülle.

 

16        Mit Urteil vom 9. Juli 2021 wies der Präsident der Ondernemingsrechtbank Antwerpen (Unternehmensgericht Antwerpen, Belgien) die Klage von Beevers Kaas mit der Begründung, dass „sich aus keiner vertraglichen oder gesetzlichen Bestimmung ergibt, dass es Unternehmen verboten ist, Waren in den Niederlanden direkt von Cono zu beziehen und [diese] in Belgien zu vertreiben“, als unbegründet ab. In diesem Urteil wurde insbesondere festgestellt, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Alleinvertriebsvereinbarung lediglich vorsehe, dass Cono nicht selbst an belgische Händler verkaufen dürfe. Die von Beevers Kaas vertretene Auslegung liefe daher darauf hinaus, dass alle Unternehmen, unabhängig vom Ort ihrer Niederlassung, diese Vereinbarung beachten und den Verkauf von von Cono hergestelltem Beemster-Käse in Belgien unterlassen müssten. Auch genieße Beevers Kaas in Belgien, dem ihr ausschließlich zugewiesenen Vertriebsgebiet, keinen vertraglichen Schutz gegen einen aktiven Verkauf durch andere Abnehmer, die ihre Ware bei Cono bezögen.

 

17        Beevers Kaas legte gegen dieses Urteil beim Hof van beroep te Antwerpen (Appellationshof Antwerpen, Belgien), dem vorlegenden Gericht, Berufung ein.

 

18        Vor diesem Gericht streiten die Parteien darüber, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Alleinvertriebsvereinbarung mit dem Wettbewerbsrecht, konkret mit den Bedingungen von Art. 4 Buchst. b Ziff. i der Verordnung Nr. 330/2010, in Einklang steht. Der Streit dreht sich um die sogenannte „Bedingung der parallelen Auferlegung“, wonach der Anbieter den Alleinvertriebshändler vor aktiven Verkäufen aller anderen seiner Abnehmer in dem diesem Händler ausschließlich zugewiesenen Gebiet schützt.

 

19        Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts obliegt es Beevers Kaas, nachzuweisen, dass der ihr von Cono angeblich gewährte Schutz gegen einen aktiven Verkauf unter die Ausnahme von Art. 4 Buchst. b Ziff. i fällt.

 

20        Mit Zwischenurteil vom 27. April 2022 stellte das vorlegende Gericht fest, dass Beevers Kaas nachgewiesen habe, dass die Albert-Heijn-Gesellschaften einem Verbot des aktiven Verkaufs zumindest stillschweigend zugestimmt hätten. Nach Ansicht dieses Gerichts muss Beevers Kaas jedoch auch nachweisen, dass sich alle anderen von Cono belieferten Wiederverkäufer mit diesem Verbot einverstanden erklärt hätten.

 

21        Das vorlegende Gericht teilt die Auffassung der belgischen Wettbewerbsbehörde, bezüglich deren es mit diesem Zwischenurteil ein Amicus-curiae-Verfahren einleitete und die der Ansicht ist, dass die Bedingung der parallelen Auferlegung im Licht des Begriffs „Vereinbarung“ im Sinne von Art. 101 AEUV auszulegen sei.

 

22        Insoweit weist dieses Gericht darauf hin, dass die Verordnung Nr. 330/2010 und die Leitlinien von 2010 nicht bestimmten, wie ein Anbieter seine Alleinvertriebshändler vor einem aktiven Verkauf durch seine anderen Abnehmer in dem diesen Händlern ausschließlich zugewiesenen Gebiet schützen müsse. Insbesondere sähen diese Verordnung und diese Leitlinien weder vor, auf welche Weise dieser Anbieter diesen anderen Abnehmern ein solches Verbot des aktiven Verkaufs mitteilen müsse, noch, auf welche Weise sich diese Abnehmer mit dem Verbot einverstanden erklären müssten.

 

23        Im vorliegenden Fall gebe es keinen Beweis dafür, dass sich alle anderen Wiederverkäufer von Cono mit einem Verbot des aktiven Verkaufs ausdrücklich einverstanden erklärt hätten. Die belgische Wettbewerbsbehörde ist der Ansicht, dass das vorlegende Gericht die stillschweigende Zustimmung dieser Wiederverkäufer zu diesem Verbot aus dem bloßen Umstand ableiten könne, dass gegenwärtig keiner von ihnen bei Cono bezogene Produkte in Belgien verkaufe. Beevers Kaas teilt diesen Standpunkt und ist der Ansicht, dass sie somit hinreichend nachgewiesen habe, dass sich diese Wiederverkäufer mit dem Verbot einverstanden erklärt hätten.

 

24        Demgegenüber sind die Albert-Heijn-Gesellschaften der Ansicht, dass mit einer solchen Auslegung die Beweislast, die bei Beevers Kaas liege, verkannt werde. Sie sind der Ansicht, dass eine stillschweigende Zustimmung nur dann angenommen werden könne, wenn Beevers Kaas nachweise, dass die Strategie von Cono, wonach in den Niederlanden bezogener Beemster-Käse nicht aktiv in Belgien verkauft werden dürfe, zum Zeitpunkt der Gewährung der Ausschließlichkeit allen zu diesem Zeitpunkt zugelassenen Wiederverkäufern und anschließend jedem neu benannten Wiederverkäufer mitgeteilt worden sei und dass von jedem von ihnen verlangt worden sei, sich daran zu halten.

 

25        Unter diesen Umständen hat der Hof van beroep te Antwerpen (Appellationshof Antwerpen) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.         Kann die Bedingung der parallelen Auferlegung gemäß Art. 4 Buchst. b Ziff. i der Verordnung Nr. 330/2010 als erfüllt angesehen werden und der Anbieter, der die anderen Bedingungen dieser Verordnung erfüllt, somit aktive Verkäufe durch einen seiner Abnehmer in ein Gebiet, das ausschließlich einem anderen Abnehmer zugewiesen wurde, rechtswirksam verbieten, wenn dem bloß die Feststellung zugrunde liegt, dass die anderen Abnehmer nicht aktiv in das Gebiet verkaufen? Mit anderen Worten: Ist das Bestehen einer Vereinbarung über ein Verbot des aktiven Verkaufs zwischen diesen anderen Abnehmern und dem Anbieter bereits auf der Grundlage der bloßen Feststellung, dass diese anderen Abnehmer nicht aktiv in das ausschließlich zugewiesene Gebiet verkaufen, als hinreichend nachgewiesen anzusehen?

2.         Kann die Bedingung der parallelen Auferlegung gemäß Art. 4 Buchst. b Ziff. i der Verordnung Nr. 330/2010 als erfüllt angesehen werden und der Anbieter, der die anderen Bedingungen dieser Verordnung erfüllt, somit aktive Verkäufe durch einen seiner Abnehmer in ein Gebiet, das ausschließlich einem Abnehmer zugewiesen wurde, rechtswirksam verbieten, wenn er die Zustimmung seiner anderen Abnehmer nur erhält, falls und wenn sie Anstalten machen, aktiv in das auf diese Weise ausschließlich zugewiesene Gebiet zu verkaufen? Oder ist vielmehr erforderlich, dass der Anbieter eine solche Zustimmung von allen seinen Abnehmern erhalten hat, unabhängig davon, ob diese Anstalten machen, aktiv in das ausschließlich zugewiesene Gebiet zu verkaufen?

 

Zum Antrag auf Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens

26        Mit Schriftsätzen, die am 11. bzw. am 28. Februar 2025 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen sind, haben Beevers Kaas und Cono beantragt, gemäß Art. 83 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens zu beschließen.

 

27        Zur Begründung ihrer Anträge machen sie geltend, dass die Generalanwältin in ihren Schlussanträgen erstens eine andere Frage beantwortet habe als die vom vorlegenden Gericht im Rahmen der zweiten Vorlagefrage aufgeworfene und zweitens sich zur Beantwortung dieser zweiten Frage in umformulierter Fassung auf unzutreffende tatsächliche und rechtliche Gesichtspunkte gestützt habe. Unter diesen Umständen sei es erforderlich, dass die Parteien des Ausgangsverfahrens bzw. die anderen in Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union bezeichneten Beteiligten zu diesen Gerichtspunkten Stellung nehmen könnten, um ihre Verfahrensrechte zu wahren und zu vermeiden, dass der Gerichtshof eine Frage beantworte, die für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits nicht erforderlich sei.

 

28        Der Gerichtshof kann gemäß Art. 83 seiner Verfahrensordnung jederzeit nach Anhörung des Generalanwalts die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens beschließen, insbesondere wenn er sich für unzureichend unterrichtet hält, wenn eine Partei nach Abschluss des mündlichen Verfahrens eine neue Tatsache unterbreitet hat, die von entscheidender Bedeutung für die Entscheidung des Gerichtshofs ist, oder wenn ein zwischen den Parteien oder den in Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union bezeichneten Beteiligten nicht erörtertes Vorbringen entscheidungserheblich ist.

 

29        Hierzu ist jedoch darauf hinzuweisen, dass der Inhalt der Schlussanträge des Generalanwalts als solcher keine solche neue Tatsache darstellen kann, da anderenfalls die Parteien unter Geltendmachung einer solchen Tatsache auf diese Schlussanträge antworten könnten. Die Schlussanträge des Generalanwalts können aber von den Parteien nicht erörtert werden. So hat der Gerichtshof bereits darauf hingewiesen, dass die Rolle des Generalanwalts nach Art. 252 AEUV darin besteht, öffentlich in völliger Unparteilichkeit und Unabhängigkeit begründete Schlussanträge zu den Rechtssachen zu stellen, in denen nach der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union seine Mitwirkung erforderlich ist, um den Gerichtshof bei der Erfüllung seiner Aufgabe zu unterstützen, die Wahrung des Rechts bei der Anwendung und Auslegung der Verträge zu sichern. Nach Art. 20 Abs. 4 der Satzung des Gerichtshofs und Art. 82 Abs. 3 seiner Verfahrensordnung beenden die Schlussanträge des Generalanwalts die mündliche Verhandlung. Die Schlussanträge stehen außerhalb der Verhandlung zwischen den Parteien und eröffnen die Phase der Beratung des Gerichtshofs. Es handelt sich somit nicht um eine an die Richter oder die Parteien gerichtete Stellungnahme, die von einer Behörde außerhalb des Gerichtshofs herrührt, sondern um die individuelle, begründete und öffentlich dargelegte Auffassung eines Mitglieds des Organs selbst (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. Oktober 2021, Sumal, C‑882/19, EU:C:2021:800, Rn. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

30        Daraus folgt insbesondere, dass der Umstand, dass der Generalanwalt eine Vorlagefrage auf der Grundlage einer Umformulierung geprüft hat, für sich genommen kein Grund ist, der die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung rechtfertigen würde (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. Januar 2003, Makedoniko Metro und Michaniki, C‑57/01, EU:C:2003:47, Rn. 33 bis 36).

 

31        Im vorliegenden Fall stellt der Gerichtshof nach Anhörung der Generalanwältin fest, dass die von Beevers Kaas vorgebrachten Gesichtspunkte keine neue Tatsache erkennen lassen, die von entscheidender Bedeutung für die Entscheidung wäre, die er in der vorliegenden Rechtssache zu erlassen hat, und dass in dieser Rechtssache kein zwischen den Parteien oder den in Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union bezeichneten Beteiligten nicht erörtertes Vorbringen entscheidungserheblich ist. Außerdem verfügt der Gerichtshof nach Abschluss des schriftlichen und des mündlichen Verfahrens über alle erforderlichen Angaben und ist daher ausreichend unterrichtet, um entscheiden zu können.

 

32        Folglich hält der Gerichtshof die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens nicht für geboten.

 

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

33        Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 4 Buchst. b Ziff. i der Verordnung Nr. 330/2010 dahin auszulegen ist, dass, wenn ein Anbieter einem seiner Abnehmer ein Gebiet ausschließlich zugewiesen hat, die bloße Feststellung, dass die anderen Abnehmer dieses Anbieters nicht aktiv in dieses Gebiet verkaufen, ausreicht, um für die Zwecke der Anwendung dieser Bestimmung das Vorliegen einer Vereinbarung zwischen dem Anbieter und den anderen Abnehmern über das Verbot des aktiven Verkaufs in dieses Gebiet nachzuweisen.

 

34        Art. 2 Abs. 1 der Verordnung Nr. 330/2010 sieht eine Gruppenfreistellung vom Verbot von unter Art. 101 Abs. 1 AEUV fallende Vereinbarungen für vertikale Vereinbarungen vor. In dieser Bestimmung heißt es nämlich, dass nach Art. 101 Abs. 3 AEUV Art. 101 Abs. 1 AEUV für vertikale Vereinbarungen, die die in dieser Verordnung vorgesehenen Voraussetzungen erfüllen, nicht gilt.

 

35        Diese Freistellung gilt jedoch nicht für vertikale Vereinbarungen, die die in Art. 4 der genannten Verordnung aufgeführten Kernbeschränkungen enthalten.

 

36        So gilt die genannte Freistellung nach Art. 4 Buchst. b der Verordnung Nr. 330/2010 „nicht für vertikale Vereinbarungen, die unmittelbar oder mittelbar, für sich allein oder in Verbindung mit anderen Umständen unter der Kontrolle der Vertragsparteien … die Beschränkung des Gebiets oder der Kundengruppe [bezwecken], in das oder an die ein an der Vereinbarung beteiligter Abnehmer, vorbehaltlich einer etwaigen Beschränkung in Bezug auf den Ort seiner Niederlassung, Vertragswaren oder ‑dienstleistungen verkaufen darf“.

 

37        Gemäß Art. 4 Buchst. b Ziff. i der Verordnung Nr. 330/2010 kann eine vertikale Vereinbarung, die eine Beschränkung des Gebiets oder der Kundengruppe eines Abnehmers bezweckt, gleichwohl unter die Gruppenfreistellung gemäß Art. 2 Abs. 1 dieser Verordnung fallen, wenn es sich um eine Beschränkung des aktiven Verkaufs durch diesen Abnehmer in Gebiete oder an Kundengruppen, die der Anbieter sich selbst vorbehalten oder ausschließlich einem anderen Abnehmer zugewiesen hat, handelt und dadurch der Verkauf durch die Kunden des erstgenannten Abnehmers nicht beschränkt wird.

 

38        Beschränkungen des aktiven Verkaufs in das Gebiet, das ein Anbieter einem seiner Abnehmer ausschließlich zugewiesen hat, können daher unter diese Freistellung fallen, sofern die Voraussetzungen der Verordnung Nr. 330/2010 erfüllt sind.

 

39        Wie die Generalanwältin in den Nrn. 39 bis 43 ihrer Schlussanträge im Kern ausgeführt hat und wie sich insbesondere aus Rn. 51 der Leitlinien von 2010 ergibt, ist die Gewährung einer territorialen Ausschließlichkeit durch einen Anbieter an einen seiner Abnehmer zwangsläufig mit der parallelen Verpflichtung für diesen Anbieter verbunden, diesen Abnehmer vor aktiven Verkäufen seiner anderen Abnehmer zu schützen. Daraus folgt, dass Art. 4 Buchst. b Ziff. i der Verordnung Nr. 330/2010 Beschränkungen des aktiven Verkaufs erfassen soll, die ein Anbieter seinen Abnehmern insoweit auferlegen muss, um die Wirksamkeit einer solchen Ausschließlichkeit in dem Gebiet zu gewährleisten, das er einem seiner Abnehmer zugewiesen hat.

 

40        Bei der Beurteilung, ob eine Vertriebsvereinbarung zwischen einem Anbieter und einem Abnehmer als unter Art. 4 Buchst. b Ziff. i dieser Verordnung fallende vertikale Vereinbarung eingestuft werden kann, ist der Begriff „Vereinbarung“ im Sinne von Art. 101 AEUV zu berücksichtigen.

 

41        Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs liegt eine „Vereinbarung“ im Sinne von Art. 101 Abs. 1 AEUV schon dann vor, wenn die betreffenden Unternehmen ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck gebracht haben, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten. Eine Vereinbarung kann somit nicht darauf beruhen, dass eine ausschließlich einseitige Politik einer der Parteien eines Vertriebsvertrags zum Ausdruck kommt (Urteil vom 29. Juni 2023, Super Bock Bebidas, C‑211/22, EU:C:2023:529, Rn. 47 und 48 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

 

42        Ein scheinbar einseitiger Akt oder ein entsprechendes Verhalten stellt allerdings eine „Vereinbarung“ im Sinne von Art. 101 Abs. 1 AEUV dar, soweit er bzw. es Ausdruck des übereinstimmenden Willens von mindestens zwei Parteien ist, so dass die Form, in der diese Übereinstimmung zum Ausdruck kommt, als solche nicht entscheidend ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. Juni 2023, Super Bock Bebidas, C‑211/22, EU:C:2023:529, Rn. 49).

 

43        So kann sich diese Übereinstimmung des Willens der Parteien im Fall einer Beschränkung des aktiven Verkaufs in das einem Abnehmer ausschließlich zugewiesene Gebiet sowohl aus den Klauseln der Vertriebsverträge zwischen dem Anbieter und den Abnehmern, die keine territoriale Ausschließlichkeit genießen, ergeben, wenn diese Verträge ein ausdrückliches Verbot eines solchen Verkaufs enthalten, als auch aus einem expliziten oder impliziten Verhalten der Parteien, das den Schluss zulässt, dass diese Abnehmer einer Aufforderung des Anbieters, von einem solchen Verkauf abzusehen, zugestimmt haben (vgl. entsprechend Urteil vom 29. Juni 2023, Super Bock Bebidas, C‑211/22, EU:C:2023:529, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

44        Was den Nachweis des Vorliegens einer „Vereinbarung“ im Sinne von Art. 101 Abs. 1 AEUV anbelangt, so ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass es mangels einschlägiger Unionsregeln zu den Grundsätzen für die Beweiswürdigung und das Beweismaß im Rahmen eines einzelstaatlichen Verfahrens zur Anwendung von Art. 101 AEUV nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung jedes Mitgliedstaats ist, entsprechende Regeln festzulegen, vorausgesetzt allerdings, dass sie nicht ungünstiger sind als diejenigen, die gleichartige Sachverhalte regeln, die dem innerstaatlichen Recht unterliegen (Äquivalenzgrundsatz), und dass sie die Ausübung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsgrundsatz) (Urteil vom 29. Juni 2023, Super Bock Bebidas, C‑211/22, EU:C:2023:529, Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

45        Der Effektivitätsgrundsatz verlangt, dass der Beweis für einen Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht der Union nicht nur durch unmittelbare Beweise erbracht werden kann, sondern auch mittels Indizien, sofern diese objektiv und übereinstimmend sind. In den meisten Fällen muss das Vorliegen einer Vereinbarung nämlich aus einer Reihe von Koinzidenzen und weiterer tatsächlicher Umstände abgeleitet werden, die bei einer Gesamtbetrachtung mangels einer anderen schlüssigen Erklärung den Beweis für eine Verletzung der Wettbewerbsregeln darstellen können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. Juni 2023, Super Bock Bebidas, C‑211/22, EU:C:2023:529, Rn. 56 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

46        Daraus folgt, dass das Vorliegen einer „Vereinbarung“ im Sinne von Art. 101 Abs. 1 AEUV, die eine Beschränkung des aktiven Verkaufs in ein ausschließlich zugewiesenes Gebiet bezweckt, nicht nur durch unmittelbare Beweise nachgewiesen werden kann, sondern auch auf der Grundlage objektiver und übereinstimmender Indizien, sofern daraus mit hinreichender Gewissheit geschlossen werden kann, dass der Anbieter seine Abnehmer aufgefordert hat, nicht aktiv in dieses Gebiet zu verkaufen, und dass diese der Aufforderung in der Praxis zugestimmt haben (vgl. entsprechend Urteil vom 29. Juni 2023, Super Bock Bebidas, C‑211/22, EU:C:2023:529, Rn. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

47        Im vorliegenden Fall geht aus den Angaben des vorlegenden Gerichts zum einen hervor, dass die zwischen Cono und ihren Abnehmern geschlossenen Vertriebsvereinbarungen keine Klausel enthalten, mit der diesen Abnehmern ein Verbot des aktiven Verkaufs in das Beevers Kaas ausschließlich zugewiesene Gebiet auferlegt würde. Zum anderen hat mit Ausnahme der Albert-Heijn-Gesellschaften kein Abnehmer von Cono aktiv in dieses Gebiet verkauft.

 

48        Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, die Umstände des Ausgangsrechtsstreits im Licht der in den Rn. 42 bis 46 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung zu beurteilen.

 

49        So wird es erstens anhand aller ihm vorliegenden Informationen zu prüfen haben, ob sich feststellen lässt, dass Cono im vorliegenden Fall ihre Abnehmer, in welcher Form auch immer, aufgefordert hat, nicht aktiv in das Beevers Kaas ausschließlich zugewiesene Gebiet zu verkaufen.

 

50        Wie die Generalanwältin in Nr. 78 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, kann eine solche Aufforderung verschiedene Formen annehmen, beispielsweise die Form einer gezielten Mitteilung des Anbieters an seine Abnehmer, mit der diesen aufgegeben wird, ein ausschließlich zugewiesenes Gebiet zu achten, oder die Form einer Klausel oder eines speziellen Hinweises diesbezüglich in den allgemeinen Geschäftsbedingungen des Anbieters.

 

51        Zweitens wird auch zu prüfen sein, ob die Abnehmer von Cono einer etwaigen Aufforderung dieses Anbieters ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt haben.

 

52        In Anbetracht der beiden in den Rn. 49 und 51 des vorliegenden Urteils genannten Erfordernisse ist festzustellen, dass der Umstand, dass mit Ausnahme der Albert-Heijn-Gesellschaften keiner der Abnehmer von Cono aktiv in das Beevers Kaas ausschließlich zugewiesene Gebiet verkauft hat, für sich genommen nicht ausreicht, um das Vorliegen einer „Vereinbarung“ im Sinne von Art. 101 AEUV nachzuweisen.

 

53        Zum einen lässt sich aus diesem Umstand nicht ableiten, dass Cono ihre Abnehmer aufgefordert hätte, nicht aktiv in das Beevers Kaas ausschließlich zugewiesene Gebiet zu verkaufen. Insoweit ist klarzustellen, dass die bloße Feststellung, dass Cono Beevers Kaas ein Gebiet ausschließlich zugewiesen hat und dass die anderen Abnehmer von Cono möglicherweise Kenntnis von der Existenz eines solchen Gebiets hatten, insbesondere mangels einer an diese anderen Abnehmer gerichteten gezielten Mitteilung, mit der ihnen aufgegeben worden wäre, dieses ausschließlich zugewiesene Gebiet zu achten, nicht den Schluss zulässt, dass Cono diese Abnehmer aufgefordert hat, nicht aktiv in dieses Gebiet zu verkaufen.

 

54        Zum anderen kann dieser Umstand zwar einen relevanten Gesichtspunkt darstellen, der zu berücksichtigen ist, um eine etwaige stillschweigende Zustimmung der anderen Abnehmer von Cono zu einer Aufforderung von Cono zu belegen, nicht aktiv in das Beevers Kaas ausschließlich zugewiesene Gebiet zu verkaufen. Jedoch reicht er für sich genommen nicht aus, um das Vorliegen einer solchen Zustimmung nachzuweisen.

 

55        Isoliert betrachtet kann der genannte Umstand nämlich nicht mit hinreichender Gewissheit belegen, dass das Fehlen aktiver Verkäufe in das Beevers Kaas ausschließlich zugewiesene Gebiet auf dem Willen dieser anderen Abnehmer beruht, einer etwaigen Aufforderung von Cono nachzukommen, keine solchen Verkäufe zu unternehmen, oder auf einer autonomen geschäftlichen Entscheidung dieser anderen Abnehmer, nicht in dieses Gebiet zu verkaufen.

 

56        Der Umstand könnte allerdings den Beweis für eine stillschweigende Zustimmung der betreffenden Abnehmer darstellen, wenn, wie sich aus Rn. 25 der Leitlinien von 2010 ergibt, parallel dazu insbesondere eine ausdrückliche Aufforderung des Anbieters zur Beachtung des Verbots des aktiven Verkaufs in das ausschließlich zugewiesene Gebiet sowie Mittel vorliegen, die es diesem Anbieter ermöglichen, das Verbot in der Praxis durchzusetzen, beispielsweise ein von ihm eingeführtes System von Überwachung und Bestrafung, um diejenigen Abnehmer abzustrafen, die das Verbot nicht beachten.

 

57        Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 4 Buchst. b Ziff. i der Verordnung Nr. 330/2010 dahin auszulegen ist, dass, wenn ein Anbieter einem seiner Abnehmer ein Gebiet ausschließlich zugewiesen hat, die bloße Feststellung, dass die anderen Abnehmer dieses Anbieters nicht aktiv in dieses Gebiet verkaufen, nicht ausreicht, um für die Zwecke der Anwendung dieser Bestimmung das Vorliegen einer Vereinbarung zwischen dem Anbieter und den anderen Abnehmern über das Verbot des aktiven Verkaufs in dieses Gebiet nachzuweisen.

 

Zur zweiten Frage

58        Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 4 Buchst. b Ziff. i der Verordnung Nr. 330/2010 dahin auszulegen ist, dass die in dieser Bestimmung vorgesehene Ausnahme für den Zeitraum gewährt wird, für den nachgewiesen ist, dass eine Zustimmung der Abnehmer eines Anbieters zu dessen Aufforderung vorliegt, nicht aktiv in das einem anderen Abnehmer ausschließlich zugewiesene Gebiet zu verkaufen.

 

59        Aus der Antwort auf die erste Frage ergibt sich, dass ein Verbot des aktiven Verkaufs in den Anwendungsbereich dieses Art. 4 Buchst. b Ziff. i fällt, wenn zum einen ein Anbieter seine Abnehmer aufgefordert hat, nicht aktiv in das einem anderen Abnehmer ausschließlich zugewiesene Gebiet zu verkaufen, und zum anderen die betreffenden Abnehmer dieser Aufforderung zugestimmt haben.

 

60        Somit muss die Partei, die sich auf die in Art. 4 Buchst. b Ziff. i vorgesehene Ausnahme beruft, den Beweis erbringen – gegebenenfalls auf der Grundlage objektiver und übereinstimmender Indizien –, dass die beiden in der vorstehenden Randnummer genannten Umstände vorliegen. Die Ausnahme ist dann für den Zeitraum gewährt, für den dieser Beweis erbracht werden konnte.

 

61        Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 4 Buchst. b Ziff. i der Verordnung Nr. 330/2010 dahin auszulegen ist, dass die in dieser Bestimmung vorgesehene Ausnahme für den Zeitraum gewährt wird, für den nachgewiesen ist, dass eine Zustimmung der Abnehmer eines Anbieters zu dessen Aufforderung vorliegt, nicht aktiv in das einem anderen Abnehmer ausschließlich zugewiesene Gebiet zu verkaufen.

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